Equalizer 2 

Killed in Action  

Michael Sloan


übersetzt von Philipp Seedorf

  





THE EQUALIZER /02 KILLED IN ACTION
Copyright © 2015 by Michael Sloan
Published by arrangement with St. Martin’s Publishing Group. All rights reserved.


This Book was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, on behalf of St. Martin’s Publishing Group.
Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Publishing Group durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

 





Dieses Buch ist meiner Frau Melissa und meinen Kindern Griffin und Piper gewidmet.

 

Danksagungen

 

Ich möchte meinem Lektor bei St. Martin’s Press, Michael Homler, für seine Weisheit, sein Verständnis und seine wunderbaren Vorschläge danken. Ich möchte auch seiner fantastischen Assistentin Lauren Jablonski danken, weil sie mir so viel Unterstützung und Hilfe geboten hat. Zwei der nettesten Menschen, mit denen ich je das Vergnügen hatte zusammenzuarbeiten. Ich möchte Colonel Michael G. »Gunner« Rose (US Army, im Ruhestand) danken – das reale Vorbild für Gunner! –, der über die Hälfte seiner dreißig Jahre bei der Truppe in der Special Operations Unit verbracht hat. Gunners Liebe zum Detail, seine Insiderkenntnisse was die Kriegs-Sequenzen angeht und seine unerschütterliche gute Laune waren für mich schon immer unschätzbar wertvoll.

Außerdem wurde die Figur, die auf ihm beruht, zu einer der wichtigsten im ganzen Buch! Ich möchte gern meinem Manager Peter Meyer danken und meinem Medienanwalt Nick Gladden. Dank auch an meinen lieben Freund, den verstorbenen Edward Woodward, der den Equalizer auf CBS-TV stilvoll dargestellt hat und, wie immer, an den brillanten Denzel Washington, der McCall mit einer oscarreifen Darstellung verewigt hat.

 

Impressum


Deutsche Erstausgabe
Originaltitel: KILLED IN ACTION
Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Philipp Seedorf
Lektorat: Astrid Pfister

 

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

 

ISBN E-Book: 978-3-95835-463-0

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Kapitel 1

 

Die beiden Gangmitglieder schubsten sie hin und her, als würden sie einen Football werfen. Sie waren zwar Latinos, aber sehr hellhäutig. Amerikaner in der zweiten oder dritten Generation, die Mexiko vermutlich nur in Fernsehwerbespots für Puerto Vallarta gesehen hatten. Sie trugen schwarze Baggy-Jeans und ihre Hintern hingen hinten raus. Er hatte nie verstanden, wieso es ein Fashionstatement der heutigen Jugend sein sollte, die Hosen so zu tragen. Darunter blitzten schwarze Boxershorts hervor. Beide trugen lilafarbene Hemden, die bis zum Gürtel aufgeknöpft waren, und einer von ihnen hatte genug Goldketten am Hals, um den Schwarzen in dieser alten Fernsehserie – wie hieß er noch gleich? Mr. T – eifersüchtig zu machen.

Die junge Frau war Anfang zwanzig, mittelgroß und hatte dunkelrote Haare, die ihr bis zu den Schultern reichten. Sie trug eine weiße Seidenbluse, die durchsichtig war, und keinen BH darunter. Einer der Gangster hatte ihre Bluse aufgerissen, sodass die kleinen türkisen Knöpfe einfach abgesprungen waren und ihre großen Brüste entblößt hatten, aber er hätte sich die Mühe auch sparen können, denn sie waren durch den dünnen Stoff sehr gut sichtbar gewesen. Sie trug einen kurzen weißen Rock in Glockenform, der vermutlich gerade der letzte Schrei war, und weiße Pumps mit hohen Absätzen, die aussahen, als könne man darin höchstens ein paar Meter laufen, bevor man Blasen bekam. Das war ebenfalls ein weiterer Modetrend, den er nie verstanden hatte. Wieso trugen Frauen Schuhe, deren Absätze so hoch waren, dass man davon praktisch Nasenbluten bekam? Zu ihren Füßen lag eine Gucci-Soho-Lederumhängetasche in Beigerosa mit edlen goldenen Schnallen. Diese kostete über tausendfünfhundert Dollar, wenn man sie im Gucci-Store auf der Madison Avenue kaufte, in Chinatown vermutlich immer noch vierhundert. Die junge Frau versuchte gerade so verzweifelt ihre Handtasche zu erreichen, als wäre etwas darin, dass sie unbedingt brauchte. Aber sie ließen sie nicht nahe genug heran.

Gangmitglied Nummer eins schlug ihr jetzt mitten ins Gesicht. Ein dünnes Blutrinnsal lief ihr daraufhin aus der Nase. Er schubste sie zurück zu seinem Kumpel, der sie gegen eine Steinmauer presste. Sie war aus der Kunstgalerie an der Essex Street gekommen. Er hatte durch das große Glasfenster einige elegant gekleidete Personen darin gesehen, die Champagner aus Sektflöten tranken und Horsd’œuvre von silbernen Tabletts aßen, die von Kellnern herumgetragen wurden. Sie waren zwischen einer Ansammlung seltsamer Skulpturen und Art-Deco-Stücken herumgeschlendert, die vermutlich mehr kosteten als die komplette Staatsverschuldung. Er hatte die Frau nicht besonders beachtet, aber als sie gegangen war, hatte er gesehen, wie sie die Essex Street entlanggeeilt war, um eine Abkürzung durch genau diese enge Gasse zu nehmen.

Was eine schlechte Idee gewesen war.

Wie sie bereits herausgefunden hatte.

Die junge Frau versuchte jetzt die zerrissene Bluse über ihre Brüste zu ziehen, aber die Latinos hatten sie komplett zerrissen, und die Fetzen reichten nicht aus, um alles zu bedecken. Das erste Gangmitglied – er hatte beschlossen, ihn Manuel zu nennen – schnappte sich jetzt die gefälschte Gucci-Tasche und wühlte darin herum. Der zweite Gangster – nennen wir ihn einfach mal Lopez – hielt die junge Frau mit einer Hand an der Schulter fest.

Er selbst blieb weiterhin im Schatten, unbemerkt von der Frau oder den Gangmitgliedern. Er war froh, als Manuel ihre Brieftasche hervorholte, denn dadurch erfuhr er, wie sie hieß.

»Megan Forrester«, sagte Manuel laut und hielt Lopez ihren Führerschein unter die Nase. Er sah sie an. »Hübscher Name.«

Er nahm nun eine Reihe Scheine aus der Brieftasche, ließ sie wieder in die offene Gucci-Tasche fallen und trat sie dann beiläufig in ihre Richtung.

»Nehmt das Geld«, bettelte sie, »aber lasst mich gehen.«

»Glaubst du etwa, wir wollen dir wehtun?«, fragte Lopez. »Wir wollen dich doch nur ein bisschen kennenlernen, Megan. Mal sehen, wie du ohne die Klamotten aussiehst. Dabei könntest du uns doch behilflich sein, oder? Heb mal deinen Rock hoch.«

Sie schüttelte heftig den Kopf und sah sich panisch in der Gasse um.

Falls sie ihn entdeckt hatte, ließ sie sich nichts anmerken.

Lopez holte ein Messer aus der Jackentasche und ließ eine gefährlich aussehende zwanzig Zentimeter lange Klinge hervorschnellen. »Wir haben dich noch gar nicht verletzt, und das machen wir auch nicht. Zeig uns einfach, was du hast.«
»Gibt ja gar keinen Grund, dir wehzutun«, sagte Manuel in einem ganz vernünftigen Tonfall.

»Okay, okay«, keuchte sie.

Sie griff nach unten und zog ihren weißen Rock hoch. Er war so kurz, dass sie nicht viel ziehen musste, um das weiße Höschen zu zeigen, das sie anhatte.

»Zieh es runter«, sagte Lopez nun. »Tu’s für uns.«

Sie erstarrte, den Rock immer noch hochgezogen, ihre Hand zitterte.

»Zwing mich nicht, es selbst zu tun«, sagte Manuel. »Zeig uns einfach, was wir sehen wollen, und wir lassen dich gehen.« Sie bewegte sich nicht. »Okay, dann mache ich es eben.«

»Ich tu’s! Ich tu’s!« Sie zog das Höschen herunter. Sie versuchte es festzuhalten, aber es rutschte ihr bis auf die Knöchel hinunter.

»Also von Natur aus rothaarig«, sagte Lopez anerkennend. »Sehr schön. Und jetzt zeig uns deinen Arsch.«

Sie drehte sich um.

»Lass den Rock oben«, befahl ihr Manuel.

Sie nickte und drehte sich um, sodass sie mit dem Gesicht zur Ziegelmauer stand. Ihr blanker Hintern war blass im Halbdunkel.

Der Equalizer entschied, dass die Latinos weit genug gegangen waren. Auch wenn er zugeben musste, dass sie einen Wahnsinnshintern hatte. Megan drehte sich jetzt wieder zu ihren Angreifern um und langte mit einer Hand nach unten, während sie den Rock immer noch mit der anderen hochhielt, um ihr Höschen zu greifen.

»Wir sagen dir, wenn du es wieder hochziehen kannst«, rief Manuel.

»Was meinst du?«, wollte Lopez wissen. »Sollen wir sie gehen lassen?«

»Ja, aber zuerst ficken wir sie noch.«

Das war das Letzte, was Manuel sagte.

Der Equalizer verpasste ihm einen Schlag gegen den Schädel und rammte ihm dann die Faust in den Magen. Manuel ging daraufhin auf die Knie und kotzte auf den dreckigen Asphalt. Der Equalizer verpasste ihm noch einen Tritt ins Gesicht und er landete auf der Seite. Zum Abschluss trat er ihm kräftig in die Eier.

Dann ging plötzlich alles ganz schnell.

Lopez wirbelte mit seinem Messer herum, sah die Gestalt in den Schatten aber immer noch nicht deutlich und stach deshalb einfach ziellos in seine Richtung. Der Equalizer ergriff dessen Handgelenk, vermied es, in Kontakt mit der Klinge zu kommen, riss es mit einem Ruck nach oben und dann wieder nach unten und brach es dabei. Lopez heulte schmerzerfüllt auf. Der Equalizer schickte ihn mit drei schnellen Schlägen ins Gesicht zu Boden, dabei brach er ihm die Nase, zertrümmerte den linken Wangenknochen und schlug ihm ein paar Zähne aus. Der Möchtegern-Vergewaltiger fiel der Länge nach zu Boden.

Megan zog ihr Höschen hastig hoch, ließ den Rock nach unten fallen und kniete sich hin. Sie steckte eine Hand in ihre Gucci-Handtasche und holte eine Tränengasdose in einem Etui von Bianchi Elite heraus.

Manuel hatte sich gerade wieder auf die Beine gekämpft.

Megan sprühte ihm das Tränengas direkt in die Augen.

Er schrie auf und ging wieder auf die Knie.

Megan wartete nicht, um herauszufinden, wer ihr guter Samariter war. Sie schnappte ihre Gucci-Tasche und trat Manuel mit der Spitze ihrer weißen Pumps in die Eier. Dann zog sie die Fetzen ihrer weißen Bluse über die Brüste und rannte aus der Gasse.

Keiner der Latinos stand wieder auf. Der Equalizer kniete sich neben Lopez, dessen Handgelenk aussah, wie das einer Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, und holte etwas aus seiner Manteltasche.

Es war eine Visitenkarte.

Darauf war das Bild einer Gestalt zu sehen, die in einer Gasse vor einem schwarzen Jaguar-Sportwagen stand und eine Waffe in der Hand hatte, während die New Yorker Skyline im Hintergrund zu sehen war. Darüber stand: Justice is here. Und unter der Silhouette der Gestalt: The Equalizer.

Er steckte die Visitenkarte in die Brusttasche von Lopez lila Hemd, dann richtete er sich auf und sah zu Manuel hinüber. Zwei Degenerierte vom gleichen Schlag, aber trotzdem passten sie nicht ganz zusammen. Er bedauerte es, dass er Manuel nicht den Arm gebrochen hatte. Denn er war derjenige gewesen, der Megans Bluse zerrissen und ihre Brüste befummelt hatte.

Der Equalizer zuckte mit den Achseln. Ach, was soll’s.

Er kniete sich jetzt neben Manuel nieder, ergriff seinen Arm und brach ihn mit einem Ruck an zwei Stellen.

Dieser schrie auf, bewegte sich aber nicht.

Der Equalizer richtete sich wieder auf, steckte Lopez Schnappmesser ein und warf einen Blick auf die beiden Gangster auf dem Boden. Die würden eine ganze Weile keine wehrlosen Frauen mehr angreifen. Na ja, dachte er, nicht ganz so wehrlos eigentlich. Immerhin hatte Megan Manuel fünf Sekunden lang Tränengas in die Augen gesprüht. Vielleicht hatte sie damit dafür gesorgt, dass er erblindet war.

Der Gerechtigkeit war also Genüge getan.

Er hörte plötzlich Polizeisirenen näherkommen. Megan musste von ihrem Smartphone die 911 gewählt haben. Er blieb allerdings nicht, um sich ein Dankeschön oder eine Gratulation abzuholen. Innerhalb von Sekunden verschmolz er mit den Schatten und ließ Lopez und Manuel zurück – oder wie auch immer ihre richtigen Namen lauteten –, die mit gebrochenen Knochen und blutend in der Gasse auf dem Asphalt lagen.

Aber es war nicht Robert McCall, der die Gasse verließ.

 

Kapitel 2

 

Zehn Gegner in dem halb fertiggestellten Bürogebäude.

Er lächelte kurz in sich hinein.

Das Kräfteverhältnis musste er unbedingt verbessern.

Die wummernde Rockmusik strömte in Wellen über Robert McCall hinweg. Das Meer von Menschen auf beiden Seiten war wie eine Amöbe, die ständig ihre Form änderte … verschiedene Gesichter, Farben und Bewegungen. Die erdrückende Atmosphäre der Rave-Party war süßlich und ekelhaft. McCall schob sich gerade an einem jungen Mann vorbei, der ganz allein tanzte. Er trug lavendelfarbene Jeans und ein dazu passendes Hemd, die violetten Locken waren hochtoupiert. Er trug außerdem genug Polo Red Intense, um sogar einen Toilettenreiniger würgen zu lassen. Aber dafür tanzte er verdammt gut.

Riesige Topfpflanzen mit gewaltigen Palmblättern waren im Abstand von einigen Metern im Erdgeschoss verteilt. Neben einer davon stand Blake Cunningham. Zumindest ging McCall davon aus, dass er der junge Mann in dem eleganten Anzug mit dem aschblonden Haar war. Denn er hielt gerade Emily Masdens Schulter fest. Ein dünnes Blutrinnsal floss aus dem Mund der jungen Frau. Ihr tief ausgeschnittenes Kleid saß hauteng. Sie trug schwarze Strümpfe mit silbernen Strumpfhaltern, die der Rock nicht einmal ansatzweise verdeckte. Sie sah Blake fassungslos an, offenbar schockiert über die Ohrfeige. Danach blickte sie sich in dem offenen Raum mit den vielen Treppen um, die auf die anderen halb fertiggestellten Stockwerke führten, als wäre sie eben aus einem Albtraum erwacht. Laura, die McCall an einem der großen Stahlträger zurückgelassen hatte, welche die unvollendete Decke des ersten Stocks stützten, hatte ihm gesagt, dass Emily high war. Damit hatte sie recht, denn Emilys Pupillen waren geweitet und ein glänzender Schweißfilm bedeckte ihr Gesicht und die nackten Arme. Sie hatte anscheinend Mühe, zu Atem zu kommen.

Außerdem war sie desorientiert und verängstigt.

McCall wusste, dass die beiden Männer hinter ihm ihre Waffen in den Bund ihrer Jeans gesteckt hatten. Er hatte es bemerkt, als sie vor einer halben Stunde aus ihrer Sitznische im River Café aufgestanden waren. Sie hatten die Jacken zwar nonchalant zugeknöpft, aber er hatte dennoch den Eindruck gehabt, dass sie gewollt hatten, dass er die Waffen sah. Sie waren gefährlich, und sie waren direkt hinter ihm.

McCall blieb plötzlich stehen, so als wolle er vermeiden, den Pfad des Mannes mit der Aftershave-Wolke zu kreuzen, der es vermutlich nicht einmal bemerkt hätte, wenn er ihm auf beide Füße getreten wäre. McCall drehte sich halb um, seine Hände schnellten so schnell vor, dass die Bewegung kaum zu sehen war, und als er sich wieder umdrehte, standen die Jacken der beiden Männer offen … und ihre Waffen waren weg.

McCall steckte die Pistolen in die Seitentasche seines Mantels, eine Smith & Wesson M&P 22 Compact und eine Smith & Wesson Shield Neunmillimeter. Die jungen Männer waren wie angewurzelt stehen geblieben und wirkten äußerst verwirrt. Die drei anderen Männer, die gerade die Stahltreppe rechts von McCall hinab liefen, waren zu weit entfernt. Sie hätten ihre Waffen ziehen und mitten in die Menge feuern müssen, was natürlich ein sofortiges Chaos ausgelöst und die Cops angelockt hätte.

McCall sah zu den beiden auf der zweiten Ebene über sich hinauf. Sie lehnten beiläufig am Geländer, hatte die Jacken aber offen, wodurch er ihre Heckler & Koch Neunmillimeter-Pistolen sehen konnte. Das gleiche Problem wie mit denen an der Treppe. Sie hatten zwar ein besseres Schussfeld, aber wieso sollten sie das riskieren? Er schlängelte sich gerade durch das tanzende Chaos unter ihnen. Wenn er Emily und Blake Cunningham erreicht hatte, wäre McCall genau unter dem Balkon, auf dem die beiden Männer standen. Um auf ihn feuern zu können, müssten sie sich weit vorlehnen und buchstäblich nach hinten schießen, was äußerst riskant gewesen wäre, und selbst ein Anfänger wusste, dass das keine Option war. McCall war sich allerdings sicher, dass keiner dieser jungen Schlägertypen ein professioneller Schütze war, der für so etwas trainiert hatte.

Damit blieben noch die beiden jungen Männer übrig, die sich durch die Partygäste links von McCall bewegten. Einer von ihnen besaß keine Waffe, aber sein Partner hatte seine Glock 26 Subcompact dafür schon in der Hand. McCall machte einen halben Schritt nach links und griff nach der Hand des zweiten Mannes.

In der einen Sekunde hatte er die Waffe noch in der Hand, in der nächsten nicht mehr.

McCall ließ die Glock 26 kurzerhand in einen der großen Blumenkübel fallen.

Dann trat er hinter Emily, riss sie Blake Cunningham einfach aus dem Arm und schlug ihr mit der flachen Hand fest ins Gesicht.

»Was zur Hölle glaubst du, was du da tust?«, fragte McCall sie. Er drückte ihr mit der Hand die Wangen zusammen. »Hast du etwas genommen?« Er sah hinüber zu Blake Cunningham, der einen Schritt zurückgewichen war. »Wer ist das?«

»Ich bin ihr Freund, und wer sind Sie

»Ich bin ihr Vater! Auf was ist sie? Quaaludes oder Mollys – oder wie zur Hölle man das Zeug nennt – oder Kokain?«

McCall griff nach Emilys rechten Arm und drehte ihn herum, sodass man die Venen sehen konnte. Sie war so perplex, weil sie gerade von einem vollkommen Fremden geschlagen worden war, dass sie sich nicht einen Millimeter bewegte. Jetzt versuchte sie allerdings, den Arm aus seinem Griff zu winden, aber er hatte sie wie ein eiserner Schraubstock umklammert.

»Ich weiß nicht, auf was sie ist, falls sie etwas genommen hat«, sagte Blake ruhig.

Er warf jetzt einen Blick über McCalls Schulter und schüttelte ganz leicht den Kopf. Damit sagte er seinen Gangsterfreunden, dass sie sich wieder zurückziehen sollten, weil Blake damit fertig wurde. Auch in die rechte Richtung zeigte er ein kaum merkliches Kopfschütteln, um die beiden Männer auf dieser Seite zurückzupfeifen. McCall tat so, als würde er es nicht bemerken.

»Sie haben gesagt, Sie sind ihr Freund?« McCall redete laut und in einem anklagenden Tonfall.

Blake Cunningham hob seine Stimme nur so leicht, dass man sie über den Lärm der Party hinweg hören konnte. McCall ging davon aus, dass Cunningham sich vermutlich stets bemühte, mit wohl moduliertem Tonfall zu reden. Das gehörte offenbar zum Image als Hipster-Broker. Er trug einen Giorgio-Armani-Anzug aus schwarzer Wolle und Seide mit Nadelstreifen, ein schwarz-goldenes Seidenhemd von Versace und dazu schwarze Slipper ohne Socken. Außerdem hing eine Fendi 411 Pilotensonnenbrille im obersten Knopfloch seines Hemdes.

»Ich nehme mal an, man könnte darüber streiten, ob Emily meine Freundin ist oder nicht. Wir haben uns eigentlich getrennt und seit einer Woche nicht mehr gesehen. Ich dachte aber, ich könnte sie vielleicht hier finden«, fügte er mit einem entschuldigenden Achselzucken hinzu. »Das ist nämlich die Art von Party, auf die sie gern geht. Wie lange ist es her, dass Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen haben?«

»Zwei Monate, auch wenn Sie das nichts angeht.«

Emily blinzelte jetzt zu McCall hoch, als würde sie versuchen, durch den Nebel zu sehen, der in ihrem Kopf herrschte. »Du tust mir weh.«

»Ich hole dich hier raus«, sagte McCall.

Wieder erklang Blakes sanfte, unaufdringliche Stimme: »Was, wenn sie nicht mit Ihnen gehen will?«

»Ich bin ihr Vater. Sie hat also keine Wahl.«

»Sie ist einundzwanzig Jahre alt, damit hat sie eine Wahl. Sie können sie zu nichts mehr zwingen, was sie nicht will.«

Emily starrte McCall immer noch an. Sie sagte nun fast vorsichtig: »Du bist nicht …«

McCall drehte sie hastig zu sich herum. »Deine Mutter ist ganz krank vor Sorge. Wie konntest du ihr das nur antun? Nicht mehr anrufen, dich gar nicht mehr melden? Weißt du, wie viel es gekostet hat, hierher nach New York zu fliegen, um dich zu holen? Ich sehe dich an, Emily, gekleidet wie eine Schlampe, und ich erkenne dich nicht mehr wieder. Du bist nicht die Tochter, die ich aufgezogen habe. Mit wem schläfst du noch?« Dann richtete er sich wieder an Blake: »Sie glauben doch nicht, dass Sie der Einzige sind, oder?« An Emily gewandt: »Wenn du hierbleiben, noch mehr Drogen nehmen und dir das Hirn rösten willst, um mit all diesen Degenerierten rumzumachen, dann nur zu. Ich halte dich bestimmt nicht auf.«

Er ließ ihren Arm nun los.

Emily starrte ihn weiter an, nun aber mit einem Ausdruck des Verstehens. Sie sah von ihm zu Blake Cunningham.

»Ich muss mit ihm mitgehen, Blake. Er ist immerhin mein Dad.«

Blake hob die Hände, als würde er sich ergeben. »Natürlich, nehmen Sie sie mit. Sie wird so oder so wieder zu mir zurückkommen. Das tut sie nämlich immer.«

Blake grinste und nickte den jungen Männern hinter McCall nun etwas offensichtlicher zu. McCall ging davon aus, dass sie den Wink verstanden hatten und sich wieder unter die Partygäste mischen würden. Er sah Blake weiter an. Am liebsten hätte er ihm das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen, aber würde der gute alte selbstgerechte Dad, ein Rechnungsprüfer aus Stillwater, Minnesota, wirklich ausholen und ihm eine reinhauen?

Vermutlich nicht.

McCall ergriff Emilys Hand und marschierte mit ihr davon. Er spürte, wie sich Blakes Blick in seinen Rücken bohrte. Die sieben Männer, die auf beiden Seiten in der Nähe von McCall gestanden hatten, waren jetzt verschwunden. McCall hatte Emilys Arm weiterhin fest im Griff, aber nicht mehr so fest wie vorher. Sie sah zu ihm hoch und ihre Augen wirkten ein wenig klarer.

»Sie werden mich einfach wieder zurückholen. Sie werden mich von dir wegholen.«

»Nein, das werden sie nicht.«

»Du kennst sie nicht.«

McCall ignorierte diesen Satz. »Was hast du genommen?«

»Eines der Mädchen war mit mir in der Damentoilette. Ich habe irgendwas geschnupft, was sie mir aufs Handgelenk gestreut hat. Mir wurde zuerst warm und dann ganz kalt.«

»Deine Pupillen sind riesig und du schwitzt. Du siehst aus, als hättest du Fieber. Wie schnell schlägt dein Herz?«

»Wirklich sehr schnell«, flüsterte sie. »Was habe ich denn da genommen?«

»Kokain! Kennst du das Mädchen, das es dir gegeben hat?«

»Ja, ihr Name ist Lucy. Sie ist eine Freundin von Blake. Sie hat mir gesagt, ich muss richtig aussehen. Also habe ich das Kleid hier angezogen und Strumpfhalter und schwarze Strümpfe. Blake mag so etwas. Ich habe mich auch geschminkt, mit schwarzen Tränen. Die Sorte, die man lautlos weint.«

Dann erzitterte ihr Körper plötzlich, als sie zu schluchzen begann. McCall hielt sie fester, und schob sie sanft durch die Menge zu der Stelle, wo er Laura zurückgelassen hatte.

»Das wird schon wieder, Emily.«

»Wer zur Hölle bist du?«

»Jemand, der versuchen wird, dir zu helfen.«

»Wieso sollte ich dir wichtig sein?«

»Das bist du nicht. Aber deiner Mutter.«

»Du kennst meine Mutter doch gar nicht.«

»Zumindest nicht gut.«

»Wovon redest du da?«

»Deine Mutter ist ebenfalls hier.«

Emily versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken und sah zu ihm auf. »Meine Mom? Sie wäre mir niemals nach New York gefolgt!«

»Sie war außer sich vor Sorge, und das mit gutem Grund.«

»Wo ist sie?«

McCall führte sie um eine lärmende Gruppe herum, die an einem der größeren Tische etwas trank. Laura Masden stand noch genau dort, wo McCall sie vor fünf Minuten zurückgelassen hatte, und blickte nervös in die Menge. Sie hatte sie noch gar nicht gesehen.

McCall zeigte auf Laura. »Da ist deine Mom.«

Emily wand sich so unerwartet aus McCalls Griff, dass er nicht darauf vorbereitet war.

»Das ist nicht meine Mutter«, sagte Emily mit einem gehetzten Flüstern.

McCall war geschockt. Er ließ die vergangene Stunde noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Zwischen den ganzen Scherzanrufen, die er erhalten hatte, nachdem er seine Anzeige in den Kleinanzeigen der New York Times und im Internet inseriert hatte – Haben Sie ein Problem? Stehen die Chancen gegen Sie? Dann rufen Sie den Equalizer –, war auch eine verzweifelte Nachricht von einer Frau auf seiner Voicemail gewesen, die ihm gesagt hatte, dass ihr Name Laura Masden war und sie ihre Tochter suche. Als er sie zurückgerufen hatte, hatte sie ihn gefragt, ob er tatsächlich der Equalizer sei. Er hatte kurz innegehalten, weil ein echter Klient das erste Mal diesen Namen ausgesprochen hatte, hatte dann aber gesagt: »Ja, das bin ich. Haben Sie ein Problem?«

Er hatte sie dann vor einer Stunde persönlich gesehen, als sie elegant und verängstigt, allein in einer Nische im River Café in Brooklyn gesessen hatte, von wo aus man den East River überblicken konnte. Sie hatte an einem Apple Martini genippt. Er war ihr gegenüber in die Nische gerutscht und hatte gesagt: »Hallo Laura, mein Name ist Robert McCall. Was ist Ihr Problem?« Sie schien ein wenig beunruhigt gewesen zu sein, angesichts seiner unspektakulären Begrüßung, aber ihre Ernsthaftigkeit, als es darum ging, ihre Tochter zu finden, hatte überzeugend auf ihn gewirkt.

»Es geht um meine Tochter Emily. Sie ist einundzwanzig. Ein schwieriges Kind war sie zwar schon immer, aber sie hatte bislang nie Probleme mit Drogen oder Alkohol. Sie ist einfach nur eine Träumerin, die die Welt verbessern will.«

»Wieso ist sie nach New York gegangen?«

»Sie wurde am Art Institute von New York City angenommen. Medienkunst. Nachdem sie einen Monat auf dem College war, ist sie allerdings plötzlich abgegangen und verschwunden.«

Laura hatte ihm daraufhin Emilys Freund, Blake Cunningham, beschrieben. Dieser hatte Laura allerdings gesagt, dass er sich von ihrer Tochter getrennt hatte und Laura danach fast aus seiner Wohnung geworfen. Bevor das passiert war, hatte Laura allerdings noch gehört, wie Blake eine bestimmte Adresse erwähnt hatte. McCall erinnerte sich, wie Laura mit den Tränen gekämpft hatte, als sie von ihrer Tochter gesprochen hatte.

»Ich werde Ihre Tochter finden«, hatte er ihr daraufhin versichert. »Wenn sie in Gefahr ist …«

»… werden Sie dafür sorgen, dass die Chancen ausgeglichen sind?«, hatte sie gefragt und durch ihre Tränen hindurch gelächelt.

»Ja, das werde ich.«

Er dachte jetzt darüber nach, wie sie bei der Rave-Party angekommen waren und wie Lauras Stimme gebrochen war, als sie Emily entdeckt hatte, die ausgelassen tanzte.

»Sie hat sich die Haare gefärbt. Sie sieht gar nicht mehr wie Emily aus, aber sie ist es.«

McCall hatte Laura daraufhin angewiesen, sich an die Säule zu stellen und auf ihn zu warten. Er hatte ihr gesagt, dass er ihre Tochter zu ihr bringen würde.

Er deutete jetzt erneut auf Laura, weil er dachte, dass Emily vielleicht die falsche Person angesehen hatte. »Genau die. Die Frau in dem grauen Hosenanzug mit dem schwarzen Dior-Mantel, die bei der Säule steht.«

»Ich weiß, wie meine Mutter aussieht. Oh, Mann. Aber das ist nun mal nicht meine Mom.«

McCall hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, Emily hier rauszubringen, bevor Laura – oder wer auch immer sie war – sich umdrehte und in ihre Richtung sah.

»Hier entlang«, sagte er angespannt.

Er führte Emily zu einem der vielen Seiteneingänge des verlassenen Gebäudes. Party-Türsteher mit obszön aussehenden Verbrennungsmasken, die wie bizarr wirkende Walmart-Angestellte die Gäste begrüßen, schleusten immer weitere Leute hinein. McCall warf einen Blick auf die Stelle, wo Blake Cunningham zuletzt gestanden hatte.

Doch er war verschwunden.

Genauso wie seine College-Kumpel im Erdgeschoss. Hinter ihm wurde die Frau, die sich Laura Masden genannt hatte, anscheinend langsam ungeduldig. Sie drängelte sich durch die Menge in die Richtung, in der McCall verschwunden war.

Dieser schob Emily jetzt zu einer Tür, die halb hinter einer der Stahltreppen verborgen war. Doch einer der Türsteher mit der grotesken Verbrennungsopfer-Maske stellte sich ihm in den Weg.

»Das hier ist kein Ausgang.«

McCall drängte ihn grob zur Seite. Verbrennungsmaske sah aus, als dachte er darüber nach, etwas dagegen zu tun, überlegte es sich dann aber offenbar anders. McCall schob Emily durch die Tür in die Nacht hinaus. Dort stellte er fest, dass es ziemlich heftig zu regnen begonnen hatte.

McCall warf einen Blick hinter sich, um sicherzugehen, dass Blake Cunningham oder einer seiner Freunde ihm nicht folgte, aber sie waren nicht zu sehen. Als er sich wieder zur Straße umdrehte, war Emily verschwunden.

 

Kapitel 3

 

Die Straße war verlassen, aber McCall hatte eine Bewegung zu seiner Linken gesehen. Dort, wo sich ein altes Theater an einer Straßenecke befand, etwa zehn Meter von der Whitehall-U-Bahnstation entfernt. Es war ein rotes Ziegelgebäude in schlechtem Zustand mit einem Gerüst auf einer Seite. Dieses sah allerdings so aus, als hätte man es unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet. Das Mondlicht hatte kurz die silbernen Strumpfhalter aufblitzen lassen, als Emily durch die Vordertür des Theaters rannte.

McCall spurtete über die Straße zum Theater hinüber. In verblichenen Lettern stand unter den Fenstern des ersten Stocks: Mercury Theater. Und auf den Überresten einer Markise, die einst an der Fassade angebracht gewesen war, konnte man in dünnen, unbeleuchteten Neonbuchstaben Crest lesen, wobei das C fehlte. Er hoffte, das war keine ironische Botschaft an ihn. Anscheinend war das Theater irgendwann einmal zu einem Kino umgebaut worden. Vermutlich hatte es in den Achtzigern Pornofilme gezeigt, bevor man diese im Internet genauso einfach finden konnte wie das Lieblings-Lasagne-Rezept.

McCall rannte hinüber zu einem großen blauen Müllcontainer, zog die beiden Smith & Wesson Pistolen hervor, die er sich geschnappt hatte und warf sie hinein, dann ging er zurück zum Haupteingang des Gebäudes. Er bemerkte, dass das verrostete Vorhängeschloss an der Tür aufgebrochen worden war. Vermutlich war das Gebäude in kalten Nächten ein sicherer Unterschlupf für Obdachlose. Die Tür ächzte in ihren schmutzig-schwarzen Angeln, als er sie aufschob.

In der Lobby war es totenstill. Staubpartikel tanzten in der Luft herum. Auf einer Seite waren rechteckige Bilderrahmen aus Glas zu sehen, die meisten davon waren jedoch leer, aber ein paar alte Theater-Poster waren noch übrig. Die Stadt hatte das Kino offenbar eine Weile wieder zum Theater gemacht, denn die Daten auf den beiden Theater-Postern waren von Beginn der 2000er. Auf einem kündigte das Mercury Theater stolz die Bühnenpremiere eines Thrillers namens Underground an und darauf war ein U-Bahnwaggon der Londoner Subway abgebildet, der anscheinend in einem Tunnel feststeckte. Zwölf Passagiere auf einer U-Bahnfahrt in die Hölle. Der Name über dem Titel des Stücks lautete Raymond Burr. Unter Eid hätte McCall wohl zugeben müssen, dass er sich gern alte Wiederholungen von Perry Mason im Fernsehen ansah. Neben diesem Poster war eines mit einer rustikalen Hütte auf einer nebligen Waldlichtung und einer spärlich bekleideten jungen Frau zu sehen, die von der Hütte wegrannte. Über dem Wald sah man das dämonische Gesicht einer Katze. Darüber stand: Catspaw – ein neuer Thriller auf der Bühne von Robert L. McCullough. Die Stars waren Greg Evigan und eine New Yorker Besetzung, von der McCall noch nie gehört hatte. Er dachte sarkastisch, dass dieses Theater wohl so weit vom Broadway entfernt war, wie es nur sein konnte, ohne außerhalb des Stadtgebiets von New York zu liegen.

Er blieb kurz stehen und lauschte. Er konnte jetzt ein leises Rascheln hören. Vermutlich Ratten, denn Kakerlaken machten keine Geräusche. Sonst hörte er nichts. Er ging zu einer schweren Tür mit kleinen Buntglasscheiben, die einen Ritter in grüner Rüstung darstellten, der einen Drachen tötete, und drückte sie vorsichtig auf.

Im Theater selbst war es genauso still. Zu beiden Seiten des Mittelganges befanden sich Reihen abgenutzter, einst bestimmt üppig gepolsterter Sitze. Es passten bestimmt an die dreihundertfünfzig Menschen hier hinein. Die Bühne war leer. Eine Arbeitslampe auf der rechten Seite spendete ein wenig Licht. Ein zerrissener roter Vorhang lag auf der linken Seite, der sich wohl nie wieder heben würde. Zwei verzierte Boxen standen auf beiden Seiten der Bühne. Als McCall den Mittelgang entlangging, sah er nach oben und entdeckte eine Empore mit zehn Sitzreihen über sich.

Emily stürzte sich aus dem Halbdunkel auf ihn.

Sie hatte einen vierzig Zentimeter langen Nagel aus irgendeinem Haufen Bauschutt in der Hand und stach damit in Richtung seines Gesichts. Er schnappte ihr Handgelenk und verdrehte es, gerade weit genug, dass sie aufschrie und den Nagel fallen ließ. Anschließend warf er sie sich über die Schulter, wobei ihr schwarzes Kleid über ihre Hüften rutschte und den oberen Rand der Strümpfe und die silbernen Strumpfhalter entblößte. Mit den Fäusten trommelte sie ihm auf den Rücken. Doch er reagierte nicht. Als er Reihe G in der Nähe der Bühne erreicht hatte, ließ er sie dort auf den erstbesten Sitz fallen. Trotzig starrte sie zu ihm hoch, senkte dann aber den Blick, als habe sie gerade erst bemerkt, dass ihr Kleid nach oben gerutscht war, und ihr schwarzes Höschen offenbarte. Sie zog das Kleid hastig wieder nach unten, aber es bedeckte noch nicht einmal ihre Strümpfe oder den Strumpfhalter. Dafür war es einfach nicht lang genug. Ihr Atem kam in abgehackten Stößen, und ihre Brust hob und senkte sich heftig. McCall stand regungslos über ihr, und ließ sie erst einmal ruhiger werden und zu Atem kommen.

Schließlich sagte sie: »Du hast vorgegeben, mein Dad zu sein. Du hast mich zu irgendeiner Frau geschleppt, die nicht meine Mom war. Du bist also einer von Blakes beschissenen Kumpels.«

»Wenn das wahr wäre, hätte ich dich doch wohl nicht da rausgeholt.«

»Du solltest mich bestimmt später zu ihm bringen.«

»Die haben gar nicht mitgekriegt, dass du aus dem Seiteneingang verschwunden bist. Hol ein paarmal tief Luft. Ich werde dir nicht wehtun, Emily.«

Sie nickte. Ihr Atem hatte sich beruhigt, sie kam also langsam von ihrem High runter. »Wie schlimm wird der Entzug werden?«

»Kommt ganz darauf an, wie viel man genommen hat. Was dagegen, wenn ich mich kurz setze?«

Sie rutschte einen Sitz weiter.

McCall nahm neben ihr Platz. »Wir können nicht hierbleiben.«

Sie sah zu der leeren Bühne hinauf. »Ich glaube nicht, dass sich der Vorhang in absehbarer Zeit noch einmal hebt.«

»Aber die könnten hier nach dir suchen. Das ist immerhin ein ziemlich offensichtliches Versteck.«

»Ich habe nicht großartig darüber nachgedacht, ich wollte einfach nur weg.«

»Wir können schon noch ein paar Minuten hierbleiben.«

»Ich muss nicht mit dir reden.«

»Ich kann dich auch gern wieder zur Party zurückbringen. Da kannst du dann mit jeder Menge anderer Leute reden.«

Sie schüttelte heftig den Kopf, dann griff sie plötzlich nach unten und entfernte die Strumpfbänder von beiden Strümpfen. Sie rollte sie die Beine hinab, zog sie aus, wickelte sie zu kleinen Bällen zusammen und warf sie in die Reihe vor sich. Dann schob sie ihr schwarzes Kleid ein Stückchen hoch, entfernte den Strumpfgürtel und warf ihn den Strümpfen hinterher. Danach zog sie sittsam das Kleid so weit über die Oberschenkel, wie es nur ging. Ihr Atem klang jetzt wieder normal. Sie sah ihn immer noch misstrauisch an.

»Was willst du wissen?«

»Deine Mutter – also die Person, die vorgegeben hat, deine Mutter zu sein – hat gesagt, dass du nach Manhattan gekommen wärst, weil du am New York City Art Institute angenommen worden bist. Stimmt das?«

»Ja. Als ich sechs Jahre alt war, habe ich Feen, Goblins und Drachen für einen Feen-Aufkleber-Kalender gezeichnet, den meine Mom angeblich verlegen lassen wollte, aber das ist nie passiert.« Emily zuckte erneut mit den Achseln. Das tat sie wohl häufig. »Aber die Bilder waren anscheinend ziemlich gut für eine Sechsjährige.«

»Wieso hast du das Kunststudium geschmissen?«

»Mir wurde langweilig. Ich wollte einfach nur eine Ausrede haben …«

»… um von zu Hause wegkommen zu können?«

»Ja. Du kennst meine echte Mom schließlich nicht.«

»Dann beschreibe sie mir.«

»Sie ist dünn, sehr blass, hat blonde Haare, die aber immer strähnig sind, weißt du, so als würde sie diese nie waschen. Ihr Gesicht wirkt irgendwie immer verkniffen, so als würde sie etwas Schlechtes riechen. Sie schaut zwar immer freundlich, aber sie hat diesen gehetzten Blick. Sie bemüht sich nach Kräften«, fügte Emily beinahe entschuldigend hinzu. »Sie ist bipolar, weißt du. Das heißt, sie hat ziemliche Stimmungsschwankungen. Den einen Tag ist sie vollkommen aufgekratzt wegen irgendwelcher Sachen für die Schule und weil mein Dad die ganze Zeit nicht da ist und zwei Tage später ist sie dann eine tobende Irre.«

»Erzähl mir etwas über deinen Dad.«

Emily lächelte. »Deine Darstellung von ihm hätte nicht weiter daneben liegen können. Er ist Archäologe. Er ist also ständig irgendwo bei irgendwelchen Ausgrabungen in Zentralamerika oder Afrika oder in irgendwelchen arabischen Höhlen. Er sucht dort nach alten Knochen und Fossilien oder was auch immer die suchen, um die Geheimnisse von Menschen zu entschlüsseln, die seit Jahrhunderten tot sind. 2014 ist er nach Huamparán gegangen, das liegt irgendwo in Peru, für eine Ausgrabung der Pariser Universität. Sie haben rund um Huari und eine alte königliche Inka-Straße Ausgrabungen gemacht. Ich nehme mal an, es gab dort auch noch mehr coole Sachen zu entdecken, denn sie haben ihn anschließend gebeten, noch einmal dort hinzugehen. Er ist jetzt seit fast sechs Monaten wieder dort. Kleine Stückchen zerbrochene Töpferware finden, davon geht ihm offenbar echt einer ab.«

Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als wäre der Gedanke an den Penis ihres Dads äußerst unangemessen. Dann sah sie McCall wieder an. »Mein Dad wäre niemals so aggressiv wie du bei Blake gewesen. Er ist immer vernünftig und sanft, aber er hätte mich dennoch da rausgezerrt.«

»Er liebt seine Tochter eben.«

»Natürlich.«

»Ich bin mir sicher, deine Mutter liebt dich auch.«

»Sie ist aber nicht aus ihrem amerikanischen Durchschnitts-Kaff gekommen und hat nach ihrer Tochter gesucht, die seit drei Wochen vermisst wird.«

»Vielleicht hat sie ja stattdessen jemand anderen geschickt.«

Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht.« Sie machte eine kurze Pause, dann sagte sie: »Tut mir leid, dass ich dich angegriffen habe.«

»Ich komm schon drüber weg. Wie hast du Blake Cunningham eigentlich kennengelernt?«

»Bei einer Cocktailparty in der Galerie eines Künstlers, dessen Arbeit gerade im Art Institute ausgestellt wurde. Blake war irgendwie faszinierend, mit seinen strahlend blauen Augen. Ich habe noch nie zuvor so kornblumenblaue Augen bei einem Mann gesehen. Du etwa?«

McCall dachte unwillkürlich an seinen Freund Granny mit den stechenden eiskalten blauen Augen. Er fragte sich, wie Granny wohl gerade bei der verdeckten Operation in Nordkorea zurechtkam, die er zusammen mit Mickey Kostmayer organisiert hatte. Es war durchaus eine gefährliche Mission.

»Nur einen«, sagte McCall wahrheitsgemäß.

»Blake hat mich zuerst mit seiner charmanten Persönlichkeit beeindruckt. Er war einfach nur wow, wie ein Tritt in den Magen. Er hat mich seinen Collegefreunden vorgestellt. Die meisten davon waren bereits in ihrem letzten Jahr auf der Columbia, aber ein paar hatten sogar schon ihren Abschluss und machten an der Wall Street Unmengen von Geld. Ich habe mich irgendwie in diesen berauschenden Lebensstil reinziehen lassen. Doch insgeheim wusste ich, dass da etwas nicht stimmte. Blake wollte mich ficken und ich wollte es auch, aber er blieb dennoch weiterhin distanziert. Er und seine Freunde stecken ganz offensichtlich in irgendwas drin – etwas Gefährlichem und Ekelhaftem, und sie machen anscheinend eine ganze Menge Geld damit.«

»Was tun sie denn?«

»Das weiß ich nicht. Sie waren immer alle sehr vorsichtig und haben sich nicht verplappert, wenn ich in der Nähe war.«

»Etwas Illegales?«

»Mehr als das. Etwas Finsteres. Es hat mir riesige Angst gemacht.«

»Wie gut kannst du dir Sachen merken?«

»Ziemlich gut.«

McCall nannte ihr daraufhin seine Handynummer, diejenige für sein zweites iPhone, das er als Equalizer benutzte. Sie wiederholte die Zahlen und nickte.

»Vergisst du sie auch nicht?«

»Nein, aber wieso sollte ich dich anrufen wollen?«

»Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.«

Sie nickte wieder und berührte ihn dann am Arm. »Danke, dass du mich gerettet hast«, flüsterte sie nun.

Auf einmal stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie blickte in Richtung der Bühne, als würde sie vor ihrem geistigen Auge gerade eine Aufführung sehen.

»Im ersten Monat, als ich nach Manhattan gekommen bin, war ich in sieben Musicals. Wicked – Die Hexen von Oz – war das Beste. Es war wirklich lustig und man fühlte sich nachher richtig beschwingt. Magst du Musicals auch? Du siehst mir allerdings mehr nach dem Typ aus, dem Tod eines Handlungsreisenden gefällt.«

»Ich mag Musicals.«

»Und welches ist dein Lieblingsmusical?«

»Les Misérables

»Ich kenne nicht einmal deinen Namen.«

Doch McCall gab keine Antwort, denn er hörte ihr gar nicht mehr zu. Er hatte nämlich ein Geräusch gehört, das Emily offenbar entgangen war. Er drückte sanft ihre Schulter.

»Was ist los?«

»Irgendjemand ist reingekommen«, sagte er leise. »Könnte nur ein Obdachloser sein. Ich glaube, eine Menge von denen nutzen diesen Ort, besonders, wenn es regnet.«

Sie drehte sich um und spähte ins Halbdunkel.

»Ich sehe aber niemanden.«

»Beweg dich nicht von diesem Sitz weg. Duck dich aber ein wenig, damit man dich aus dem hinteren Teil des Theaters nicht sehen kann.«

Sie tat wie geheißen. McCall stand auf und ging leise den Mittelgang entlang. Er warf einen Blick zurück und konnte Emily auf dem Sitz nicht mehr sehen, auch wenn er wusste, dass sie noch da war.

Er entdeckte niemanden auf den anderen Plätzen. McCall erreichte jetzt das Ende der letzten Reihe, und machte einen Schritt in die Dunkelheit des schmalen Korridors im hinteren Teil. In dem Buntglasfenster der Tür konnte er jetzt die Spiegelung eines Schattens auf der Bühne sehen.

Er wirbelte nach links.

Es war einer der beiden jungen Männer aus dem River Café. Die Faust des Mannes zielte genau auf McCalls Hals. Er hatte ihn offenbar unvorbereitet treffen wollen. Doch McCall duckte sich mühelos unter dem Schlag weg und schickte den Angreifer mit einem Hieb in den Solarplexus auf die Knie. Dann packte er dessen wellige schwarze Haare und knallte das Gesicht des Mannes gegen sein Knie. Er hörte einen Übelkeit erregenden Knacks, als dessen Wangenknochen brach.

Den anderen Mann aus dem River Café bemerkte er allerdings nicht, bis es zu spät war.

Daher konnte dieser einen Arm um McCalls Hals legen und ihn nach hinten zerren.

McCall schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er den Männern auf der Party wenigstens ihre Waffen abgenommen hatte, denn er wäre mausetot, wenn sie diese immer noch bei sich tragen würden.

McCall ging auf ein Knie hinunter. Er hatte den Mantelsaum des zweiten Schlägertypens in beide Hände genommen und zog ihn jetzt mit aller Kraft nach vorn. Der Kerl ging daraufhin hart zu Boden … genau in dem Moment, als der erste junge Mann nach Luft schnappend wieder aufstand.

Er trat ihm gegen den gebrochenen Kiefer, woraufhin er auf die Seite kippte und laut stöhnte. McCall nahm den anderen in den Schwitzkasten und dachte kurz darüber nach, ihm das Genick zu brechen, aber sie hatten ja nicht wirklich versucht, ihn zu töten. Sie waren offenbar nur angepisst, dass McCall ihnen die Knarren abgenommen hatte. Das konnte er durchaus verstehen. Es war immerhin ganz schön peinlich.

Er rammte dem jungen Gangster jetzt das Knie in den Rücken. Dieser krümmte sich und versuchte hinter sich nach McCalls Gesicht zu greifen. Er übte stärkeren Druck auf den Hals des Schlägertyps aus und dieser sackte nun endlich nach vorn. McCall legte ihn beinahe sanft auf den durchgetretenen Teppich.

Der erste Gangster aus dem River Café hatte offenbar schon vor langer Zeit das Interesse an dem Kampf verloren. Er hielt sich mit beiden Händen den Kiefer, als habe er Angst, dass er abfallen könnte. McCall war fertig mit ihm und seinem Partner. Die würden nirgendwo mehr hingehen.

Aber es war an der Zeit, Emily hier rauszuschaffen.

McCall rannte den Mittelgang zu Reihe G hinunter und machte sie dabei klar, dass er Emily nicht sehen würde, bevor er direkt vor dem Sessel stand.

Doch sie war schon wieder verschwunden.

Ein polterndes Geräusch ließ McCall ruckartig nach oben blicken, und er erhaschte noch einen kurzen Blick auf zwei schattenhafte Gestalten auf der Empore. Eine davon war anscheinend Emily, die sich heftig wehrte und einer von Blakes College-Kumpels, der sie festhielt. McCall hastete die Sitzreihen entlang, rannte durch die Seitentür und nahm dann immer zwei Stufen auf einmal. Die Treppe führte direkt auf die Empore. Er rannte den rechten Gang entlang. Die beiden Männer, die er eigentlich ausgeschaltet hatte, waren verschwunden. Ein Pistolenschuss hallte durch den Saal und eine Kugel flog nur wenige Zentimeter an McCalls Gesicht vorbei und schlug in die Wand hinter ihm ein. Er duckte sich, als zwei weitere Kugeln einen Sitz vor ihm mit dumpfen widerhallenden Schlägen trafen. Er wartete regungslos, denn eine weitere Kugel würde bestimmt gleich folgen. Doch nichts geschah. Der Schütze versuchte also offenbar gerade zu fliehen.

Emily war nebenbei bemerkt bestimmt auch nicht gerade eine problemlose Gefangene.

Vor seinem geistigen Auge konnte McCall sehen, wie sie gegen den Griff des Angreifers kämpfte … wie sie ihn trat und mit ihren langen schwarzen Fingernägeln sein Gesicht zu zerkratzen versuchte.

McCall ging nun hastig eine Reihe Sitze entlang in den Mittelgang der Empore und duckte sich dort schnell wieder. Vor ihm war zwar keine Bewegung zu sehen, aber er konnte immer noch Geräusche hören … etwas Kratzendes … das war ein Fenster, das hochgeschoben wurde.

McCall rannte die Stufen des Mittelgangs zu dem schmalen Korridor am Ende der Empore hoch. Zwei Türen befanden sich dort, wovon eine offenstand. Dahinter war ein kleines Büro zu sehen, dessen Möbel und leere Bücherregale mit Staub und Schmutz bedeckt waren.

Das Fenster im ersten Stock war tatsächlich offen.

Der Angreifer zerrte Emily gerade auf eine breite Planke des Außen-Gerüsts. Sie biss ihm in die Hand. Er knurrte und wirbelte herum, aber McCall war inzwischen schon durch das offene Fenster gestiegen. Er schnappte sich Emily und schob sie hinter sich. In derselben flüssigen Bewegung führte er einen schnellen Frontkick aus, der den Angreifer taumeln ließ. Da es mittlerweile ununterbrochen regnete, rutschte der Mann aus und schlug hart auf die Gerüstmatte.

Dadurch taumelte allerdings auch Emily und stürzte.

McCall wirbelte herum und griff hastig nach ihrem Arm.

Sie fiel von der Planke ins Leere.

Doch er hatte es geschafft, sie mit einer Hand festzuhalten. Es fühlte sich an, als würde ihm durch das Gewicht der Arm aus dem Gelenk gerissen werden. Er kniete auf der rutschigen Gerüstmatte, packte sie mit der anderen Hand und zog sie dann langsam hoch.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Mann, der sie angegriffen hatte, wieder auf die Beine kam.

Emilys rechte Hand rutschte jetzt aus McCalls linker und sie schrie erschrocken auf.

Doch er erwischte ihr Handgelenk erneut.

Zwei quälende Sekunden lang baumelte Emily weiter über dem Beton tief unter ihnen.

Der Schlägertyp hatte das Gleichgewicht wiedergefunden und griff jetzt nach der Waffe in seinem Gürtel.

McCall zog Emily hastig zurück auf die Gerüstmatte, setzte sie mit Schwung hinter sich ab, drehte sich in einer fließenden Bewegung um und trat dem Angreifer die Waffe aus der Hand. Anschließend warf er sich gegen ihn, sodass der Mann vom Gerüst nach unten segelte. Er knallte mit einem üblen Klatschen auf den Boden und sein Schädel platzte auf.

McCall war mittlerweile komplett durchnässt. Er drehte sich vorsichtig auf der schwankenden Gerüstplanke um und sah, wie Emily durch das Fenster wieder in das Gebäude zurückkrabbelte. Er wollte ihr gerade folgen, als sich ein Arm von hinten um seinen Hals schloss und ihn zurückriss.

Es war einer der Männer, die auf der Rave-Party so beiläufig die Treppe heruntergekommen waren. McCall rammte ihm dreimal schnell hintereinander den Ellbogen in die Niere und schwächte dadurch den Griff um seinen Hals. Dann stach er mit den Daumen nach hinten ins Gesicht des Mannes und traf dessen Augen. Der Kerl schrie wütend auf und der Arm um McCalls Hals löste sich.

McCall drehte sich hastig um und führte einen Shuto-uchi