Einführung

Heute ist es modern, dass Firmen ständig umstrukturiert und verändert werden. Doch häufig bewirken die Vorstände oder die Sanierer bei den Mitarbeitern Widerstand. Der Widerstand hat zwei Gründe.

Einmal verunsichert Veränderung immer. Aber natürlich muss sich jede Firma auch wandeln. Sie kann nicht stehen bleiben. Diesen ersten Widerstand muss man ernst nehmen. Aber zugleich ist er eine Herausforderung, sich auf das Neue einzustellen.

Der zweite Grund für den Widerstand ist jedoch, dass in der Veränderung häufig etwas Aggressives steckt. Der Sanierer vermittelt den Mitarbeitern: Alles, was ihr bisher getan habt, war nicht gut. Es muss ganz anders werden. Ihr seid nicht gut, ihr müsst euch ändern. Die Firma muss eine andere Firma werden. Eine solche Ausstrahlung mancher Veränderer löst berechtigten Widerstand aus. Denn es verletzt die Würde der Mitarbeiter, wenn das Bisherige nicht gewürdigt, sondern verurteilt wird.

Die christliche Antwort auf Veränderung ist Verwandlung. Verwandlung ist wesentlich sanfter als Veränderung. Und Verwandlung entspricht sowohl dem Weg des einzelnen Menschen als auch der Entwicklung einer Gemeinschaft, einer Firma. Verwandlung sagt: Alles, was die Firma bisher getan hat, wird gewürdigt. Es durfte so sein, wie es war. Aber die Firma hat noch nicht ihre eigentliche Gestalt gefunden: die Gestalt, wie sie heute so auftreten kann, dass sie Erfolg hat. Die Verwandlung einer Firma ist sanfter als die Veränderung, die oft frustrierte und verletzte Mitarbeiter hinterlässt.

Was in den Firmen an Umstrukturierungsprozessen abläuft, das geschieht auch auf der persönlichen Ebene. Es werden heute so viele Ratgeberbücher angeboten, die uns zeigen wollen, wie schnell wir uns verändern können: Wir können unsere Angst verändern, unsere Gefühle, unseren Erfolg programmieren.

Als ich in Rio de Janeiro in der Flughafenbuchhandlung die Bücher anschaute, fand ich eines mit dem Titel: »Wie du dich in sieben Tagen vollständig verändern kannst«. Es war von einem amerikanischen Autor geschrieben. Ein solches Buch wird nur Frustration hervorrufen. Denn es ist eine Utopie, sich in sieben Tagen vollständig zu verändern. Sie entspricht der typisch amerikanischen Macher-Mentalität. Wir können alles machen, wenn wir es nur wollen. Wir brauchen nur positiv zu denken, dann können wir uns vollständig verändern. Die Seele rebelliert gegen solche illusionären Vorstellungen oft genug mit Depression. Die Seele zeigt uns, dass diese Mentalität nicht stimmt.

Ich kenne Menschen, die sich seit zehn Jahren ändern wollen, die ständig an sich arbeiten, um sich zu verändern. Aber es ändert sich gar nichts. Der Grund dafür: Das Verändern hat etwas Aggressives an sich. Ich kämpfe gegen etwas. Und das, wogegen ich kämpfe, das wird erst einmal Gegenkräfte entwickeln. Zum anderen steckt im Verändern eine Verurteilung meiner selbst: Ich bin so, wie ich bin, nicht gut. Es muss alles anders werden. Ich muss ein anderer werden.

Doch wenn wir die deutsche Sprache genau anschauen, so ist »ander« eine Ordnungszahl, ein anderes Wort für »zwei«. Verändern heißt also: Ich soll ein zweiter Mensch werden, oder negativ ausgedrückt: Ich soll zweite Wahl werden.

Verwandlung ist dagegen sanfter. Verwandlung meint: Alles in mir darf sein. Ich würdige mich so, wie ich geworden bin. Aber ich spüre zugleich: Ich bin noch nicht der, der ich von meinem Wesen her sein darf. Das Ziel der Verwandlung ist, dass das ursprüngliche und einmalige Bild, das Gott sich von mir gemacht hat, in mir zum Vorschein kommt. Aber dieses Bild will durch alles, was in mir ist, hindurchstrahlen. Veränderung hat das Ziel, dass ich ein anderer Mensch werde. Verwandlung dagegen zielt darauf hin, dass ich ganz ich selbst werde, mehr und mehr dieser einmalige Mensch, der ich bin.

Verwandeln würde bedeuten, dass zunächst alles gut ist, was ist, dass aber vieles unser Wesen und unsere Wahrheit verstellt. Verwandeln bestünde darin, das Urbild aus dem Gestrüpp der Bilder herauszubilden und das Eigentliche aus dem Uneigentlichen wachsen zu lassen. Verwandlung setzt eine absolute Zustimmung zum Sein voraus. Alles darf sein, alles hat einen Sinn. Ich müsste nur erforschen, was für einen Sinn etwa meine Leidenschaften, meine Krankheiten, meine Konflikte, meine Probleme hätten.

Verwandlung ist für mich die typisch christliche Weise der Veränderung. In der Verwandlung ist der Aspekt der Gnade. Gott selbst verwandelt den Menschen. Das wurde in der Menschwerdung seines Sohnes offenbar, in der er unsere menschliche Natur verwandelt und vergöttlicht hat. Verwandlung ist auch der Schlüsselbegriff für eine Spiritualität, die nicht versucht, alle Fehler und Schwächen in Griff zu bekommen und möglichst alle Sünden zu vermeiden. Sie vertraut vielmehr darauf, dass alles in uns einen Sinn hat, selbst unsere Sünde, und dass Gott alles in uns verwandeln möchte, damit sein Licht und seine Herrlichkeit immer mehr in uns aufscheinen.

Die Frage ist, wie Verwandlung geschieht. Es gibt verschiedene Wege der Verwandlung:

Der erste Weg der Verwandlung besteht darin, dass ich alles, was in mir ist, Gott hinhalte. Ich verdränge nichts, sondern ich schaue an, was in mir auftaucht. Und ich halte es in Gottes Liebe hinein. Ich stelle mir vor, dass Gottes Liebe in meine Angst, in meine Ohnmacht, in meine Verzweiflung, in meine Leere, in meine Unruhe, in meine Traurigkeit, in meinen Ärger, in meine Eifersucht einströmt. Und indem Gottes Liebe, Gottes Geist dort einströmt, wandeln sich meine Gefühle.

Der zweite Weg geht über das Gespräch mit dem, was in mir auftaucht. Ich spreche mit meiner Angst und frage sie, was sie mir sagen möchte und wovor ich wirklich Angst habe. Ich spreche mit meiner Depression und frage sie nach ihrem Sinn. Und ich spreche mit meinem Ärger, mit meinem Neid, mit meiner Eifersucht, mit meiner Wut, mit meiner Sexualität und mit meiner Sucht. Indem ich mit meinen Emotionen und Leidenschaften spreche, erkenne ich ihren Sinn. Und dadurch wandeln sich die Leidenschaften. Sie beherrschen mich nicht mehr, sondern sie werden zu Freunden, die mir mein wahres Wesen aufdecken und mir Schritte zur Lebendigkeit und Freiheit weisen.

Der dritte Weg der Verwandlung besteht darin, dass ich innehalte und dem bisherigen Leben einen Widerstand entgegensetze. Der Vorgang, mit dem Wasser in Strom verwandelt wird, kann dies illustrieren. Ich baue einen Damm und staue das Wasser an, damit es durch die Turbine fließen kann und in Elektrizität verwandelt wird. So brauchen wir manchmal die Askese, die ein Hindernis gegenüber den bisherigen Gewohnheiten aufbaut. Die Askese ist ein Training, das wir auf uns nehmen, damit sich in uns etwas wandelt. Indem ich zum Beispiel in der Fastenzeit auf etwas verzichte, wächst in mir das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Ich tue also etwas, ich setze mir ein Programm, damit sich in mir etwas wandelt.

Der vierte Weg besteht im Ausprobieren. Indem ich ein neues Verhalten ausprobiere, wandelt sich meine Seele, wandeln sich meine Gewohnheiten, wandelt sich mein Inneres. Das wird für mich deutlich in dem Satz, den Jesus zu dem Gelähmten am Teich von Betesda spricht: »Steh auf, nimm dein Bett und geh!« (Joh 5,9) Der Gelähmte wartet auf ein Wunder von Jesus. Doch Jesus sagt ihm ein Wort. Wenn er dieses einfach ausprobiert, wird er erfahren, dass sich sein Leben wandelt. Ich habe das oft erlebt. Wenn etwas in mir stockt und nicht weiter geht, dann sage ich mir dieses Wort Jesu: »Steh auf, nimm dein Bett und geh!« Dann wandelt sich in mir die Verkrampfung. Ich traue mich aufzustehen. Und auf einmal fühle ich mich wie verwandelt. Ich bekomme Mut. Ich kann gehen. Verwandlung geschieht durch Gott. Aber auch wir müssen unseren Teil dazu beitragen. Wir müssen unsere Wirklichkeit Gott hinhalten und wir müssen Haltungen ausprobieren, damit sie uns Halt geben. Im Tun und im Ausprobieren von Haltungen und Tugenden geschieht in uns Verwandlung, die aber immer auch geprägt ist von der Gnade Gottes, die all unser Tun begleitet.

Auf das Thema »Verwandlung« wurde ich durch einen Traum gestoßen. Ich träumte, dass ich eine Primizpredigt halten sollte. Ich fand mein Manuskript nicht. Ich war nervös, als ich auf die Kanzel stieg und wusste nicht, was ich predigen sollte. Da hatte ich im Traum auf einmal einen Geistesblitz: »Ich predige über den Priester als Wandler und Verwandler.«

Dieses Thema der Verwandlung hat mich dann nicht mehr losgelassen. Als ich mich damit beschäftigte, bekam ich eine Anfrage, bei der pädagogischen Werkwoche in Salzburg einen Vortrag zu halten zum Thema »Ändern oder Umdeuten – Der Wandlungsweg des Glaubens«. Seit 1991 führt die Abtei Münsterschwarzach das Recollectiohaus, ein Haus für Priester und Ordensleute, die in eine Krise geraten oder ausgebrannt sind. Zu Beginn einer Eucharistiefeier in der Gruppe dieser Priester und Ordensleute sagte ich ein paar Gedanken über Verwandeln statt Verändern. Ich war überrascht über das Echo, das die Gedanken bei den Teilnehmern fand. Sie spürten, dass sie nicht alles selbst machen müssen, dass nicht alles, was bisher war, falsch war, sondern dass Gott selbst sie – durch alle Krisen und Konflikte hindurch – wandeln will. Sie erkannten, dass ihre Krise, in die sie geraten waren, eine Chance war, mit der Gott die neue und wahre Gestalt aus ihnen hervorlocken möchte.

Seit dieser Zeit habe ich viele Führungsseminare gehalten. Auch dort habe ich oft von Verwandlung statt Veränderung gesprochen. Und ich habe immer wieder Zustimmung erfahren. Die Manager spürten: Nur durch ständiges Verändern und Umstrukturieren helfe ich weder meiner Firma noch mir selbst. Der Gedanke der Verwandlung war für sie wie eine Entlastung. Ich darf mich selbst und die Firma, in der ich arbeite, würdigen. Und ich schaue, in welche Gestalt ich selbst und die Firma wachsen möchten. Und ich muss nicht alles selbst machen. Da ist auch Gott, der bei allem, was ich tue, die eigentliche Verwandlung bewirkt.

1. Der brennende Dornbusch • Ex 3,1–12

Der Dornbusch gilt für die Israeliten als wertlos, unbrauchbar, als trockenes Kraut am Rand der Wüste. So kann er für uns ein Bild für das Verdorrte und Starre, für das Dürre und Leere, für das Übersehene und Verachtete, für das Gescheiterte und Verwundete in uns sein.

Wenn Mose ausgerechnet diesen wertlosen Dornstrauch brennen sieht und in ihm die Herrlichkeit Gottes schaut, dann will Gott nicht nur ihm, sondern auch uns etwas Wesentliches über das Geheimnis der Menschwerdung sagen. Mose hatte im Zorn einen Ägypter erschlagen und im Sand verscharrt. Er war Opfer seiner eigenen Leidenschaft geworden und musste vor dem Pharao, der ihn töten wollte, aus Ägypten fliehen. In der Fremde musste er leben und einsehen, dass er gegen das mächtige Ägypten nichts ausrichten kann. Sein Eifer für sein Volk hat ihn in die Verbannung geführt. So ist sein Leben in der Fremde ausgetrocknet, fern von seinen Stammesgenossen ist er mit seiner Vision eines freien Israels gescheitert.

Mose kann sich in dem Dornbusch wiedererkennen. Er ist auch am Rand der Wüste, wertlos geworden, verachtet, ausgedörrt, unbrauchbar, zu nichts mehr gut. Statt in Ägypten am Hof des Pharao zu sein, muss er nun in der Wüste das Vieh seines Schwiegervaters weiden. Er, der aus eigener Kraft seine Volksgenossen aus der Hand der Ägypter befreien wollte, ist jetzt genauso wertlos und unbrauchbar wie dieser Dornbusch. Den einzigen Sohn, den ihm seine Frau gebiert, nennt er Gerschom, Gast der Öde. Sein Sohn spiegelt ihm seine eigene Öde, sein eigenes Entfremdetsein wider.

Der Dornbusch steht für die Erfahrung, die viele Menschen in der Lebensmitte machen. Sie haben den Eindruck, dass ihr Leben gescheitert ist, dass sie auf den Trümmern ihres Lebens sitzen, dass alles sinnlos, leer und ausgedörrt ist. Sie spüren, dass sie vieles übersehen haben, dass sie an vielem vorbeigelebt haben, was hätte leben wollen. Vieles haben sie auch verachtet, weil es nicht den eigenen Maßstäben entsprochen hat. Jetzt fühlen sie sich so verachtet, gescheitert, ausgebrannt, zu nichts mehr brauchbar wie der Dornbusch. Sie leben nicht ihr eigenes Leben, sondern das ihres Schwiegervaters. Sie sind dazu verdammt, die Erwartungen anderer zu erfüllen, anstatt selbst zu leben. Das, was sie selbst gezeugt haben, ist nur »Gerschom, Gast in der Öde«, es zeugt nur von der Öde, die sie umgibt. Selbst das, was sie selbst geschaffen haben, gehört ihnen nicht, es geht in der Fremde unter. Keiner will es sehen, keiner will es haben. Umsonst haben wir gezeugt, umsonst gearbeitet. Wir haben uns wie Mose voller Eifer eingesetzt für unsere Familie, für unser Unternehmen, für die Kirche. Aber es hat nichts genutzt. Jetzt stehen wir einsam da, alleingelassen, übersehen von den Menschen, für die wir uns engagiert haben. Wir sind gescheitert. Es hat alles keinen Sinn mehr.

Doch ausgerechnet in diesem Dornbusch erscheint dem Mose Gott mit seiner Herrlichkeit. Gott ist wie eine Flamme, die aus dem Dornbusch emporschlägt und ihn doch nicht verbrennt. Gott verwandelt gerade das Öde und Leere, das Gescheiterte und Ausgebrannte, das Übersehene und Verachtete, das Verwundete und Verletzte in uns zum Ort seiner Gegenwart.

Anstatt über die Krise unserer Lebensmitte zu jammern, sollten wir mit den Augen des Mose Gott selbst darin entdecken. Es gibt nichts in meinem Leben, das keinen Sinn hätte, das nicht von Gott in Schönheit und Herrlichkeit verwandelt werden könnte. Das Bild des brennenden Dornbusches schenkt mir neue Augen: Augen des Glaubens, die gerade in dem Leeren und Dürren in mir das Licht Gottes entdecken. Wenn ich mich mit diesen Augen des Glaubens anschaue, dann erlebe ich mein Leben anders. Alles hat seinen Sinn. Alles war gut, auch das Scheitern, auch die Krisen, auch das Verdrängen. Alles kann von Gott verwandelt werden, auch das Verklemmte, auch das Kranke.

Gerade in meinen Wunden will Gott aufleuchten. Gerade so wie ich bin, gescheitert, unbrauchbar, leer, vertrocknet, gerade so kann Gott mich wie Mose in seinen Dienst nehmen, gerade so kann er mich zum Zeugen seines Lichtes und seiner Liebe bestellen.

Doch ich muss wie Mose erst die Schuhe ausziehen. Ich brauche den Blick der Ehrfurcht, der wahrnimmt, dass ich auf heiligem Boden stehe. Die Augen der Neugier werden Gott nicht in meinen Misserfolgen entdecken. Da muss ich mit meinen Füßen die Erde – den humus – berühren, da brauche ich die Demut – die humilitas –, um mitten im Dreck meines Lebens Gottes Licht aufleuchten zu sehen. Es braucht eine Spiritualität von unten, die im Scheitern, in der Sünde, in der eigenen Ohnmacht Gottes Herrlichkeit entdeckt. So kann in der eigenen Erbärmlichkeit Gottes Erbarmen aufgehen.

Schuhe und Füße weisen in der Traumpsychologie oft »auf das weibliche beziehungsweise männliche Genitale hin. Das Ausziehen der Schuhe kommt also einer Selbstentblößung, einer symbolischen Nacktheit ... gleich.« (Drewermann 384) Wenn Mose die Schuhe vor Gott auszieht, so ist das auf der einen Seite ein Akt der Demut und Selbstauslieferung, zum anderen drückt er damit aus, dass er vor Gott, auf heiligem Boden, ganz so sein darf, wie er ist, gerade in seiner Nacktheit.

Heilige Orte sind für viele Völker Erinnerungszeichen für das verlorene Paradies. »An diesen Paradiesstätten ist es selbstverständlich möglich und nötig, unbekleidet, also ohne Scham und Scheu, vor seinen Schöpfer hinzutreten. An einem ›heiligen Ort‹ darf man wieder so sein, wie man ist; man hat dort nichts zu verbergen und braucht sich selbst nicht zu verstecken; man darf dort sein und leben, wie Adam vor dem Sündenfall; an einem ›heiligen Ort‹ ist man vollkommen angenommen.« (Drewermann 386)

Die Kirchenväter haben den brennenden Dornbusch auf Maria hin gedeutet, die den Sohn Gottes in ihrem Schoß empfing und doch nicht dabei verbrannte. Das weist uns noch auf eine andere Bedeutung hin. Wir bleiben wie Maria Mensch, wir bleiben in Berührung mit der Erde, mit dem Schmutz in uns, mit dem inneren Schatten, mit der eigenen Sünde. Wir bleiben die Verwundeten und Gekränkten, die Empfindlichen und Geängstigten. Aber mitten in unserem Dornbusch erscheint dennoch Gottes Herrlichkeit. Das Feuer der göttlichen Liebe brennt in unserem Dornbusch auf, ohne ihn zu verbrennen. Unser Leben wird nicht total anders. Wir bleiben sperrig und leer, hartnäckig und verschlossen, ohnmächtig und schwach. Und doch leuchtet Gottes Licht und Liebe gerade in unserer Ohnmacht auf.

Der Dornbusch bleibt Dornbusch, aber er wird durch das Licht Gottes verwandelt zum Ort seiner leuchtenden Gegenwart. Der Blick auf den brennenden Dornbusch kann uns befreien von dem Leistungsdruck, dass wir alles Dürre und Starre selbst wieder lebendig machen müssen, von der Angst, dass unser Leben gescheitert und dass alles zerbrochen ist. Der Blick auf den brennenden Dornbusch lässt mich daran glauben, dass Gott auch in mir am Werk ist, dass er im Stillen in mir wirkt, um alles zu verwandeln, damit alles von Gottes Herrlichkeit künde, gerade auch das Schwache und Verachtete in mir.

Der brennende Dornbusch weist uns einen neuen Weg der Spiritualität. Es kommt nicht darauf an, dass wir uns durch Askese in Ordnung bringen, dass wir unseren Baum kräftig wachsen lassen, sondern dass wir uns, so wie wir sind, Gott hinhalten. Gott ist schon da, er ist schon in meinem Dornbusch, er ist schon in meiner Wunde, in meiner Angst, in meiner Leere. Ich muss mich nicht immer gesammelt oder fromm fühlen. So leer, wie ich bin, bin ich doch in Gott und Gott ist in mir. Geistliches Leben besteht darin, dass ich in allem Gottes Spuren entdecke, gerade auch in meinen Wunden. Meine innere Leere und Zerrissenheit werden sich wandeln, wenn ich den Kampf dagegen aufgebe und mich einfach zerrissen und leer Gott übergebe. Wenn ich mit nackten Füßen zu meinem Dornbusch gehe, wenn ich ungeschützt und unbedeckt auf Gottes heiligen Boden stehe, dann wird sich meine Leere in Fülle, meine Zerrissenheit in die Ahnung eines tiefen Friedens verwandeln.

Das Feuer, das den Dornbusch erleuchtet, aber nicht verzehrt, ist ein Bild für die Liebe, es kann auch ein Bild für die Sexualität sein. Die Feuersgluten, durch die Pamina und Tamino in Mozarts »Zauberflöte« schreiten müssen, stellen ihre leidenschaftliche Liebe dar. Sie müssen durch Feuer und Wasser hindurch, damit ihre Leidenschaft sich in wahre und tragfähige Liebe wandle. Der brennende Dornbusch verheißt uns, dass auch in uns die Liebe Vertrocknetes und Verdorrtes wieder zum Leben wecken und gerade das Verachtete und Schwache in Schönheit verwandeln kann. Die Liebe verwandelt, indem sie berührt. Durch zärtliche Berührung blühen Menschen auf, die vorher in sich verkrampft und hart waren. Nun werden Mauern weich, die zuvor Menschen voneinander getrennt haben, nun kommt Licht in die dunkle Bitterkeit eines verschlossenen Herzens. Göttliche und menschliche Liebe kann unser leeres und ausgebranntes Herz zu einem Ort von Licht und Herrlichkeit verwandeln.

Gott beruft Mose am brennenden Dornbusch zum Befreier aus der Gefangenschaft Ägyptens, indem er ihm sein eigenes Leben, seine eigene Niedrigkeit und Unbrauchbarkeit, vorhält. Zuvor wollte Mose Israel aus eigener Kraft befreien. Daran ist er jämmerlich gescheitert. Er ist in seinem Zorn und in seiner Ohnmacht steckengeblieben. Jetzt, da er im Dornbusch seine eigene Schwäche angenommen hat, in der Gottes Herrlichkeit erscheint, kann er sich von Gott in Dienst nehmen lassen. Jetzt wird er zum Begleiter auf dem Weg in die Freiheit.

In der Lebensmitte könnten wir uns im Blick auf den brennenden Dornbusch fragen, was wir in uns selbst in die Freiheit hinausführen sollten, wo wir in uns selbst gefangen sind, wo unser Leib verklemmt und verspannt ist, wo unsere Beziehungen uns einengen, wo wir uns selbst von Normen und Prinzipien gefangen nehmen lassen. Wir sollten Gott zutrauen, dass er uns in die Freiheit hinausführt und wir selbst für andere Menschen zum Begleiter auf dem Weg in die Freiheit werden dürfen.

Andere bei ihren ersten Schritten in die Freiheit begleiten zu dürfen, das ist wohl die schönste Aufgabe, die auf uns wartet. Sie wartet gerade dann auf uns, wenn wir wie Mose im Dornbusch Gott selbst in seiner Herrlichkeit erkennen, wenn wir wie Mose in unserem Scheitern, in unserer Schwäche, in unserer Starre Gott erfahren, der alles mit dem Feuer und der Glut seiner alles verwandelnden Liebe aufbrechen und aufblühen lassen möchte.

2. Die ägyptischen Plagen • Ex 7,1–11,10

In den ägyptischen Plagen begegnen uns negative Wandlungen. Weil das Herz des Pharao verhärtet ist, verwandelt sich um ihn herum alles Lebende in Totes, das Fruchtbare in Unfruchtbares, das Schöne in Hässliches.

Wir können die ägyptischen Plagen als Bilder für die negative Verwandlung eines Menschen verstehen, der sein Herz verhärtet. Liebe kann den Dornbusch in Licht verwandeln, Hass und Verhärtung verhärten Licht in Dunkelheit und Leben in Tod. Auch die Verwandlung zum Schlechten hin ist eine Realität, die wir an uns selbst und an Menschen in unserer Umgebung beobachten können. Wenn wir nach langer Zeit einen Menschen treffen, sagen wir von ihm, er habe sich gewandelt, zum Guten oder zum Schlechten.

In der Beschreibung der ägyptischen Plagen lasse ich mich von der Auslegung von Eugen Drewermann anregen. Die erste Plage ist die Verwandlung des Wassers in Blut. Das Wasser, das Leben spendet, wird zum Brunnen des Todes. Die Fische sterben, die Menschen können das Wasser nicht mehr trinken. Pervertiertes Leben führt zum Tod und verbreitet um sich herum nur Tod.

Wenn Gott dann das Land mit Fröschen überschwemmt, zeigt sich darin die Überflutung durch das Unbewusste. Das Unbewusste kann ein ganzes Volk überschwemmen, wie es etwa das Dritte Reich gezeigt hat. Auf einmal hört das Denken auf. Unbewusste Inhalte beherrschen das Volk. Frösche können auch Symbol für die Sexualität sein, die auf einmal das ganze Leben beherrscht.

Die Stechmücken, die sich auf Mensch und Vieh setzen und sie plagen, können ein Bild für die Gewissensbisse sein, die an uns nagen, und für die Schuldgefühle, die uns stechen. Sie können auch die Vorwürfe des Überichs sein, die auf uns sitzen und uns nicht leben lassen.