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Der exzellente Butler Parker
– Doppelband 3 –

Der exellente Butler Parker

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-461-1

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Parker jagt die Banklady

Roman von Dönges, Günter

»Was ist denn das für ein infernalischer Lärm, Mister Parker?« Unwillig sah Lady Agatha von der köstlichen Nougattorte auf, der sie ihre volle Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Neugierig wuchtete sie ihre imponierende Körperfülle ans Wagenfenster und sah hinaus,

Erneut überholte ein Polizeiwagen mit zuckendem Blinklicht und jaulender Sirene Parkers hochbeiniges Monstrum.

»Es dürfte sich um einen größeren Einsatz, möglicherweise einen Banküberfall handeln«, gab der Butler Auskunft. Es war bereits der dritte Streifenwagen, der mit überhöhter Geschwindigkeit vorbeijagte. Und schon nahte der vierte aus einer Seitenstraße.

»Mylady wünschen der Sache auf den Grund zu gehen?« erkundigte er sich. »Selbstverständlich möchte ich das, Mister Parker«, erklärte die ältere Dame. »Zwar wollte ich mich eigentlich in Ruhe der kleinen Nascherei widmen, aber die Pflicht geht vor. Und mein untrüglicher Spürsinn sagt mir, daß wieder ein brisanter Fall auf mich wartet.«

»Mit dieser Möglichkeit sollte man zweifellos rechnen«, pflichtete der Butler ihr bei und nahm die Fährte des davonrasenden Einsatzwagens auf.

Der schwarze, schwerfällig wirkende Kasten, in dem er seine Herrin gerade von einem Konditoreibesuch

nach Hause kutschieren wollte, war viele Jahre als Taxi durch die Straßen der britischen Hauptstadt gerollt, bevor der Butler das Fahrzeug erwarb und für seine Zwecke umbauen ließ.

Neben einem hochmodernen Fahrwerk verfügte das Gefährt über eine Reihe von geheimen Einrichtungen, die der Abwehr von Verfolgern dienten und ihm den Beinamen »Trickkiste auf Rädern« eingetragen hatte. Unter der Haube verbarg sich eine spurtstarke Rennmaschine, der Parker die Sporen gab.

Wenige Minuten später hatte er das Ziel erreicht. Fast ein Dutzend Einsatzfahrzeuge der Polizei standen auf dem Vorplatz einer Bank. Uniformierte Polizisten und Mitarbeiter der Spurensicherung liefen wie aufgescheuchte Hühner durcheinander. Vor den gläsernen Türen des Haupteingangs hatten Bewaffnete in Uniform Posten bezogen.

Soeben rollte ein Krankenwagen vom Gelände der Bank auf die Straße und verschwand mit aufheulendem Motor in Richtung Kliniken. Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum am Fahrbahnrand ausrollen und half Mylady beim Aussteigen.

»Hier wimmelt es ja geradezu von Polizisten«, stellte sie mit gerunzelter Stirn fest. »Ich kann es nicht ertragen, wenn die Schnüffelnasen mir ständig in die Ermittlungen hineinpfuschen.« Dennoch marschierte sie forsch in Richtung des gesperrten Eingangs.

»Die Bank ist geschlossen. Ich muß Sie bitten, morgen wiederzukommen«, erklärte ein Polizist und trat ihr in den Weg.

»Daß die Bank geschlossen ist, sehe ich auch, junger Mann«, gab Lady Agatha mürrisch zurück. Sie dachte nicht daran, sich so einfach abwimmeln zu lassen. »Wer ist der Einsatzleiter?« wollte sie wissen.

»Chief-Superintendent McWarden persönlich«, gab der Beamte bereitwillig Auskunft.

Die Detektivin warf ihrem Butler einen bedeutungsvollen Blick zu. Wenn McWarden die Ermittlungen an sich gezogen hatte, konnte es sich nicht um einen jener Routine-Banküberfälle handeln. Da der Chief-Superintendent regelmäßiger Gast in ihrem Haus war, wußte Mylady natürlich, daß er im Yard ein Sonderdezernat leitete, das sich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens widmete.

»Bitte, teilen Sie Mister McWarden mit, daß Lady Simpson ihn zu sprechen wünscht«, schaltete der Butler sich ein. Doch der Polizist schüttelte den Kopf.

»Völlig ausgeschlossen«, meinte er. »Der Chef ist total im Streß.«

»Ich fürchte, Sie haben noch nicht bemerkt, wen Sie hier vor sich haben«, entgegnete Mylady mit dumpfem Grollen in der Stimme.

»Ich denke doch«, antwortete der Polizist ruhig. »Simpson war Ihr Name, wenn ich mich nicht verhört habe. Stimmt’s?«

»Lady Agatha Simpson genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, klärte Parker ihn auf, bevor seine Herrin aufbrausen konnte. »Und da Mister McWarden zu den Freunden des Hauses zählt, dürfte er ein Gespräch mit Mylady kaum ablehnen, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.«

»Reinlassen kann ich Sie trotzdem nicht«, blieb der Polizist standhaft. »Ich kann höchstens nachfragen lassen, ob der Chief-Superintendent bereit ist, mit Ihnen zu sprechen.« Er schickte seinen Kollegen hinein, und es dauerte keine zwei Minuten, bis McWarden mit hochrotem Kopf zur Stelle war.

»Sie erwischen mich in einem denkbar ungünstigen Moment, Mylady«, erklärte er. Man sah ihm förmlich an, wie er sich Mühe gab, freundlich zu bleiben. Schließlich hatte Butler Parker ihm schon mit manchem guten Tip ausgeholfen. Auch diesmal sah es so aus, als werde er seine Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

»Günstige Momente sind bei Ihnen ja auch nicht gerade häufig«, stichelte Agatha Simpson, doch McWarden war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen.

»Ich muß sofort hinter dem Krankenwagen herfahren«, erklärte er. »Hoffentlich bekommen sie den Direktor in der Klinik schnell wieder hin. Bisher steht der Mann unter Schock und konnte uns nicht mal eine Täterbeschreibung liefern.«

»Das heißt, der Bankräuber ist Ihnen entwischt, und Sie haben keine Ahnung, wer es sein könnte«, frohlockte Lady Agatha.

»So ist es«, bestätigte McWarden mißgelaunt. »Vielleicht haben Sie mehr Glück, wenn Sie sich in den Fall einschalten.«

»Mit Glück hat das nichts zu tun, mein lieber McWarden«, belehrte die Detektivin den Yard-Beamten. »Begabung und Leistung führen zum Erfolg!«

McWarden schluckte auch diese Bemerkung. Er trat sogar noch näher an Agatha Simpson heran, damit die Uniformierten das Gespräch nicht mithören konnten.

»Wenn Sie gestatten, Mylady«, flüsterte er, »werde ich Ihnen morgen früh einen Besuch abstatten. Ich muß mit Ihnen und Mister Parker über diesen Fall reden. Irgend etwas geht da nicht mit rechten Dingen zu.«

Die ältere Dame blickte ihn prüfend an. Offenbar überlegte sie, was der Chief-Superintendent mit diesem Besuch in Wahrheit bezweckte. Suchte er wirklich ihre Hilfe, oder war er wieder nur auf ihren guten Sherry aus?

»Wenn Sie wirklich meinen Rat wünschen«, verkündete sie hoheitsvoll, »bin ich bereit, Sie nach dem Frühstück zu empfangen.« Natürlich gab sich-Mylady nicht die geringste Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. Die Folge war, daß die beiden Uniformierten unter hämischem Grinsen die Ohren spitzten und McWardens Gesicht die Farbe einer Vollreifen Tomate annahm.

»Jetzt muß ich aber wirklich ins Krankenhaus«, erklärte er und verabschiedete sich. »Bitte, entschuldigen Sie meine Eile, Mylady.«

»Darf man Ihre Bemerkung von vorhin so interpretieren, daß über den Täter nicht das geringste bekannt ist, Mister McWarden?« wollte Parker noch wissen.

»Bis jetzt steht nur eines fest«, verriet der Chief-Superintendent. »Es war eine Frau!«

*

»Das kann doch nur McWarden sein«, murmelte Lady Agatha, als die Türglocke anschlug. »Er scheint es wirklich eilig zu haben, wenn er mich nicht mal in Ruhe frühstücken läßt.«

Hastig schob sie sich die letzten Reste des opulenten Mahls in den Mund, das Parker für sie im Salon hergerichtet hatte. Als der Chief-Superintendent den Raum betrat, war nichts mehr übrig.

»Ich hoffe, Sie haben gut gefrühstückt, mein lieber McWarden«, begrüßte die Hausherrin ihren Gast und bot ihm mit huldvoller Gebärde einen Platz an. »Leider kann ich Ihnen im Moment gar nichts anbieten. Übrigens: Was macht ihr Bankräuber?«

»Räuberin!« korrigierte der Chief-Superintendent. »Wir sind noch keinen Schritt weiter.«

»Das habe ich mir schon gedacht«, erklärte die Hausherrin schadenfroh. »Wie wollen Sie denn richtige Verbrecher fangen, wenn Sie noch nicht mal mit einer Frau fertig werden?«

»Sie haben gut reden, Mylady«, erwiderte der Chief-Superintendent. »Diese Frau arbeitet mit eiskalter Raffinesse, von der sich mancher hartgesottene Gangster eine Scheibe abschneiden könnte.«

»Darf man sich denn in aller Bescheidenheit nach dem Hergang der Tat erkundigen?« fragte Butler Parker.

»Bei der Täterin handelt es sich um eine schon etwas ältere Frau«, berichtete McWarden. »Der Bankdirektor, mit dem ich gestern abend noch sprechen konnte, schätzte sie auf etwa sechzig Jahre. Sie trug ein dunkelgraues Kostüm mit hellgrauem Pelzbesatz und einen zur Farbe des Kostüms passenden Hut.«

»Eine Personenbeschreibung, die auf tausend Zeitgenossen zutreffen dürfte, falls man sich diese Bemerkung erlauben darf«, warf Parker ein.

»Stimmt«, gab McWarden ihm Recht. »Viel werden wir damit nicht erreichen. Ansonsten wissen wir nur, daß die Frau etwa einssechzig groß war und graues Haar hatte, soweit man das unter dem Hut erkennen konnte.«

»Darf man davon ausgehen, daß die Dame bewaffnet war?« erkundigte sich Parker.

»Sie hatte eine Pistole dabei«, gab der Chief-Superintendent Auskunft. »Die zog sie allerdings erst aus der Tasche, als sie mit dem Direktor allein war.«

»Mit dem Direktor allein?« fragte Agatha Simpson.

»Ja«, bestätigte McWarden. »Die Dame ließ sich ins Büro des Direktors führen, weil sie angeblich mit ihm über ein größeres Anlagegeschäft reden wollte. Niemand schöpfte Verdacht, weil am Tag vorher eine junge Frau in die Bank kam und einen Gesprächstermin ausmachte – angeblich für ihre Mutter.«

»Und diese Mutter entpuppte sich als Bankräuberin«, schloß Lady Agatha messerscharf.

»So ist es«, fuhr der Yard-Gewaltige fort. »Sobald die ältere Frau dem Direktor gegenübersaß, zog sie ihre Waffe. Mister Daniels blieb nichts anderes übrig, als ihren Befehlen zu folgen. Er rief in der Hauptkasse an und ließ sich hunderttausend Pfund in bar ins Büro bringen.«

»Und dann verschwand die Frau auf Nimmerwiedersehen«, kombinierte Agatha Simpson.

»Nachdem sie den Kassierer beim Eintreten mit dem Griff ihrer Pistole niedergeschlagen hatte«, ergänzte der Chief-Superintendent. »Die Masche ist zwar nicht ganz neu, aber sie führt zum Erfolg. Zum drittenmal!«

»Zum drittenmal?« wiederholte die Hausherrin ungläubig. »Und immer dieselbe Frau?«

»Eben nicht«, erklärte McWarden mit bedrückter Miene. »Beim ersten Überfall war es eine elegant gekleidete junge Dame von schlanker Statur. Beim zweitenmal eine behäbige Frau mittleren Alters, und jetzt diese Rentnerin ... Es ist zum Verzweifeln! Hat die Polizei denn noch nicht genug zu tun, daß sich jetzt auch noch Frauen zu Banden zusammenschließen müssen?«

»Ihnen dürfte entgangen sein, daß Mann und Frau in Großbritannien gleichberechtigt sind, Mister McWarden«, kritisierte Lady Agatha.

»Das heißt aber noch lange nicht, daß Frauen sich als Gangster betätigen müssen, um ihre Gleichwertigkeit zu beweisen«, gab der Yard-Gewaltige unwirsch zurück.

»Darf man Ihre Darstellung dahingehend verstehen, Mister McWarden, daß in allen drei Fällen nach derselben Methode gearbeitet wurde?« unterbrach Parker das kleine Wortgeplänkel, und der Chief-Superintendent nickte.

»Deshalb wollte ich Sie bitten, Mister Parker, über ihren Vertrauten Horace Pickett unauffällig Erkundigungen einzuziehen«, fuhr McWarden fort. »So etwas muß sich doch in der Unterwelt herumsprechen.«

»Davon dürfte auszugehen sein, Mister McWarden«, pflichtete der Butler ihm bei. »Meine Wenigkeit wird selbstverständlich bemüht sein, die gewünschten Informationen zu beschaffen.«

»Ich habe zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn mein Butler Ihnen behilflich ist«, gestattete Agatha Simpson großzügig. »Aber mein untrüglicher Spürsinn sagt mir, daß Sie mit Ihren Nachforschungen in der Unterwelt in diesem Fall nicht weiterkommen werden, mein lieber McWarden.«

Und ausnahmsweise sollte sie Recht behalten ...

*

Horace Pickett wirkte ausgesprochen seriös und warum die Sechzig. Seine schlanke, aber stattliche Figur steckte meist in einem Trenchcoat. Mit seinem Traveller-Hut und dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart erinnerte er an einen pensionierten Offizier.

Dabei war Pickett mal der König der Londoner Taschendiebe gewesen – bis Parker ihm in einer unverschuldeten Notlage das Leben rettete und ihn damit auf die Seite des Gesetzes brachte.

Picketts Tätigkeit als Eigentumsumverteiler lag schon längere Zeit zurück, aber seine Verbindungen zur Londoner Halb- und Unterwelt waren noch immer von unschätzbarem Wert. In diesem Fall wußte er jedoch keinen Rat.

»Gesprochen wird darüber schon«, gab er Auskunft, als Parker ihn nachmittags anrief. »Einschlägige Kreise zerbrechen sich den Kopf, wer hinter diesen mysteriösen Überfällen stecken könnte, aber außer wilden Gerüchten hört man nichts, Mister Parker. In der Londoner Szene ist keine Damen-Bande bekannt.«

»Ähnliches hat meine bescheidene Wenigkeit bereits vermutet«, sagte der Butler. »Allerdings scheint noch keineswegs sicher, daß es sich tatsächlich um eine Bande handelt, wie Mister McWarden annimmt.«

»Das hört sich an, als hätten Sie sich schon eine eigene Theorie gebildet, Mister Parker«, sagte Pickett am anderen Ende der Leitung. Doch seine Neugier blieb unbefriedigt.

»Eine Theorie, die nicht durch Tatsachen gestützt wird, besitzt in der Regel nur geringen Wert«, erklärte Parker ausweichend, bevor er das Gespräch beendete.

Lady Agatha hatte sich gleich nach dem Mittagessen zu einer Ruhepause in ihr Studio zurückgezogen. Seitdem dröhnte ihr friedliches Schnarchen durchs Haus, und Parker entschloß sich zu einem kleinen Ausflug in die Stadt.

*

»Schauspielerinnen ohne Engagement suchen Sie?« Der Mann hinter dem Schreibtisch ließ die Brille auf die Nasenspitze rutschen und musterte Parker mißtrauisch über die Gläser hinweg. Dann legte er das Telefonbuch beiseite, in dem er eben geblättert hatte.

»Ganz recht«, bestätigte der Butler. »Das war exakt der Auftrag, den Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit erteilte.«

»Und ihre Chefin schreibt ein Drehbuch für einen Kriminalfilm?«

»Auch diese Aussage entspricht uneingeschränkt den Tatsachen, falls man sich diese Bemerkung erlauben darf«, antwortete der Butler.

»Hm.« Die Sache schien dem Mann nicht ganz geheuer. Als Leiter einer renommierten Schauspieleragentur glaubte er, auch alle wichtigen Drehbuchautoren der Insel zu kennen. Von einer Agatha Simpson hatte er aber noch nie etwas gehört.

»Und wer wird den Film produzieren?« wollte der Vermittler wissen.

»Die Diskretion, die allen Geldgebern zugesichert wurde, verbietet es im Moment noch, Namen zu nennen«, schwindelte der Butler. »Sie können aber versichert sein, daß Seriosität Myladys oberstes Prinzip ist.«

Noch mal wurde Parker eingehend gemustert. In seinem schwarzen Covercoat, den altväterlich gebundenen Regenschirm am Arm und den Bowler auf dem Kopf, wirkte er wie ein hochherrschaftlicher Butler aus längst vergangenen Zeiten.

»Dann will ich Ihnen mal glauben«, sagte der Mann und holte einen Karteikasten aus dem Schrank. »Sie sehen ja wirklich nicht so aus, als hätten sie schmutzige Geschäfte mit arbeitslosen Mädchen vor.«

Eine halbe Stunde gingen sie gemeinsam die Kartei durch, und Parker machte sich Notizen. Doch was er suchte, schien nicht dabei zu sein.

»Darf man davon ausgehen, daß dies alle Adressen sind, über die Sie im Moment verfügen?« erkundigte er sich, nachdem der Vermittler auch die letzte Karte aus dem Kasten gezogen Ratte.

»Leider ja«, bekannte der Mann. »Ich bedaure außerordentlich, Ihnen nicht helfen zu können. Ihre Chefin scheint spezielle Wünsche zu haben.«

»Ein solcher Eindruck könnte durchaus entstehen«, räumte der Butler ein. Doch als er sich gerade bedankt hatte und gehen wollte, rief ihn der Mann noch mal zurück.

»Hier ist noch eine Karte, die ich eben übersehen habe«, sagte er. »Es handelt sich um eine hochtalentierte Schauspielerin, der man vor Jahren eine steile Karriere voraussagte. Kennen Sie Betty Heart?«

»Sie galt schon mit zwanzig Jahren als Star«, fuhr der Mann fort, als Parker verneinte. »Damals spielte sie ihre dritte Hauptrolle. Es waren zwar alles Liebesschnulzen ohne künstlerischen Anspruch, aber die Kassen klingelten.«

»Weitere Erfolge waren Miß Heart dann aber nicht beschieden?« wollte der Butler wissen.

»Soviel ich weiß, hatte sie Pech mit einem Produzenten«, gab der Vermittler Auskunft. »Der Mann ging Pleite – mitten in den Dreharbeiten zu einem Kriminalfilm, in dem Betty Heart die Hauptrolle spielen sollte.«

»Demnach wurde der zuletzt von Ihnen genannte Film nie in öffentlichen Lichtspielhäusern aufgeführt?« vergewisserte sich Parker.

»So ist es«, bestätigte sein Gegenüber. »Später meldete sich Betty Heart bei mir und suchte ein neues Engagement. Da ich ihr nicht sofort weiterhelfen konnte, nahm ich sie in diese Kartei auf. Aber sie hat nie wieder nachgefragt. Und das ist inzwischen zehn Jahre her.«

»Über die derzeitige Situation der jungen Dame können Sie demnach keine Auskunft geben?« wollte Parker wissen.

»Genaues weiß ich nicht«, erklärte der Mann. »Ich könnte Ihnen nicht mal sagen, ob sie noch unter der Anschrift zu erreichen ist, die ich hier eingetragen habe. Das komfortable Landhaus, das Betty Heart damals bewohnte, dürfte ihr inzwischen zu teuer geworden sein. Es sei denn, sie hätte einen Millionär geheiratet«, setzte er lachend hinzu.

»Eine solche Möglichkeit sollte man natürlich nicht ausschließen, wenn meine bescheidene Wenigkeit sich diese Bermerkung erlauben darf«, meinte der Butler, notierte sich aber dennoch Betty Hearts alte Adresse.

»Wenn Sie mehr wissen wollen«, sagte der Mann und steckte diskret die Banknote weg, die Parker ihm über den Tisch schob, »sollten Sie sich an Ted Clapton wenden. Das ist der Regisseur, mit dem sie zuletzt gearbeitet hatte. Er wohnt am Tedworth Square in Chelsea.«

»Man dankt verbindlich für die erschöpfende Antwort«, sagte der Butler und verneigte sich leicht, bevor er das Büro verließ.

*

»Das nenne ich intelligente Ermittlungsarbeit, Mister Parker«, lobte Lady Agatha, als Parker ihr von seinen Nachforschungen in der Schauspieleragentur berichtete. »Es war also doch richtig, daß ich Sie dorthin geschickt habe. Auf so etwas würde McWarden im Leben nicht kommen!«

Der Butler konnte sich zwar nicht erinnern, daß Mylady ihn beauftragt hatte, Erkundigungen über arbeitslose Schauspielerinnen einzuziehen – im Gegenteil, er hatte schon mit einer Rüge wegen dieser Eigenmächtigkeit gerechnet.

»Mir war natürlich sofort klar, daß es sich bei allen drei Überfällen um ein und dieselbe Täterin handeln muß«, fuhr die Detektivin fort, und Parker staunte wieder mal, wie geschickt seine Herrin mit der Wahrheit zu jonglieren wußte. Eben hatte er noch heftigen Widerspruch geerntet, als er ihr diese Theorie nahezubringen versuchte.

»Schließlich weiß jeder gebildete Mensch, was eine Schauspielerin mit Schminke, Perücke und Kostümen erreichen kann«, erklärte Agatha Simpson und steckte sich noch eine der köstlichen Pralinen in den Mund, die sie in der Konditorei sich einpacken ließ. »Bei einigem Nachdenken, hätten selbst Sie darauf kommen können, Mister Parker.«

»Man dankt verbindlich für dieses unverdiente Lob, Mylady«, erwiderte Parker und verneigte sich. Er war eben Zoll für Zoll ein echter Butler, wie man heute kaum noch einen fand.

»Mylady wünschen vermutlich, zunächst Mister Clapton um einige Auskünfte zu bitten?« fragte er. »Immerhin liegt bisher gegen Miß Heart keinerlei konkreter Verdacht vor.«

»Unsinn, Mister Parker«, gab die Hausherrin zurück. »Dieser Vorschlag zeigt nur, daß Taktik für Sie ein Fremdwort ist. Ihnen fehlt es an Erfahrung und Überblick. Vermutlich steckt dieser – wie hieß er noch, Mister Parker?«

»Mylady meinen Mister Clapton, falls man sich nicht gründlich täuscht«, half der Butler ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.

»Richtig, Dapton«, antwortete sie. »Das sagte ich doch! Also – dieser Mapton ...«

»Clapton«, versuchte Parker, sie zu korrigieren. Doch das war ein Fehler.

»Ich verbitte mir die ständigen Unterbrechungen, Mister Parker«, rügte die Detektivin. »Clapton heißt der Mann, ich weiß. Nichts anderes habe ich gesagt. Vielleicht sollten Sie mal einen Arzt konsultieren, um Ihre Ohren untersuchen zu lassen.«

»Bislang sah meine bescheidene Wenigkeit dazu keine Veranlassung«, wandte der Butler ein. »Aber falls Mylady es ausdrücklich wünschen ...«

»Das hat noch Zeit«, beschied sie ihn. »Was ich Ihnen gerade auseinandersetzen wollte, als Sie mich unterbrachen, Mister Parker, war Folgendes ...« Sie brach mitten im Satz ab.

»Ja, richtig! Ich wollte Ihnen erklären, daß ...«

»... daß Mister Clapton vermutlich ...«, warf Parker ein, als er merkte, daß auch Myladys zweiter Anlauf nicht zum Ziel führte.

»... mit dieser Schauspielerin unter einer Decke steckt«, brachte Agatha Simpson mit sichtlicher Erleichterung den Satz zu Ende. »Sobald ich dort auftauche, wird er sie warnen. Und dann setzt sich dieses Frauenzimmer auf die Bahamas oder sonstwohin ab, ehe ich zuschlagen kann.«

»Darf man fragen, welche Anordnungen Mylady zu treffen gedenken?« ließ der Butler sich vernehmen.

»Sie sollen es erfahren, Mister Parker«, tat Agatha Simpson geheimnisvoll. »Ich werde natürlich einen Überraschungsangriff führen. Gleich morgen, nach dem Frühstück.«

»Einen Überraschungsangriff?« wiederholte Parker.

»Ihre Ohren scheinen doch noch in Ordnung zu sein«, stellte die ältere Dame fest. »Sie haben richtig gehört: einen Überraschungsangriff! Ich werde diese Person festnehmen und einem strengen Verhör unterziehen. Dann muß sie ein Geständnis ablegen. Auf Dauer hat sich noch niemand meinen Verhörmethoden widersetzt.«

»Das ist eine Feststellung, die man nur nachdrücklich unterstreichen kann«, pflichtete der Butler ihr bei. »Allerdings sollten Mylady berücksichtigen, daß Miß Heart möglicherweise völlig unschuldig ist, falls man sich diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf.«

»Das wird sich zeigen«, verkündete Agatha Simpson. Stöhnend wuchtete sie ihre imponierende Fülle aus dem Sofa.

»Ich muß mich jetzt noch ein Weilchen zurückziehen, um meinem taktischen Konzept den letzten Schliff zu geben«, erklärte sie und wandte sich zur Treppe. »Bitte, bringen Sie mir noch ein Glas Sherry in mein Studio, Mister Parker. Wer anstrengende Arbeit leistet, sollte sich ruhig mal ein Schlückchen gönnen.«

Zum Glück wußte Parker, was seine Herrin unter einem »Schlückchen«, verstand. Deshalb stellte er eine Flasche auf das silberne Tablett, bevor er ins Obergeschoß folgte.

»Und sorgen Sie dafür, daß mich niemand stört, Mister Parker«, wies sie ihn an, als er das Tablett auf den Tisch stellte.

»Selbstverständlich«, sagte der Butler. »Wie Mylady wünschen.«

Er hatte kaum die Wohnhalle im Erdgeschoß erreicht, da ging oben der Fernseher. Ob Mylady ihr taktisches Konzept schon vollendet hatte? Wie dem auch sei – eins stand jedenfalls fest: Um die sogenannten »Details« würde er sich wieder mal zu kümmern haben.

*

Das Landhaus in der Nähe von Harlow machte schon von weitem einen ausgesprochen gepflegten Eindruck. Der zweistöckige klassizistische Bau war in freundlichem Hellgelb gestrichen, das in der Mittagssonne leuchtete.

Grüne Rasenflächen und verschwenderisch blühende Rosenbüsche gaben dem repräsentativen Gebäude einen einladenden Rahmen. Gleich hinter dem Haus schloß sich ein weitläufiger Park mit uralten Baumriesen an, deren Kronen fast das Dach berührten.

Das ganze Anwesen war von einer mannshohen, mit Efeu überwucherten Bruchsteinmauer umgeben. Das schmiedeeiserne Tor zur Straße stand jedoch offen.

Parker stoppte sein hochbeiniges Monstrum in einiger Entfernung. »Möglicherweise wünschen Mylady, schon hier auszusteigen und zunächst einen unverbindlichen Blick auf Haus und Hof zu werfen?« fragte er.

»Ich sagte Ihnen doch, daß ich einen Überraschungsangriff plane, Mister Parker«, tönte die ungehaltene Stimme seiner Herrin aus dem Fond des Wagens. »Also fahren Sie einfach in forschem Tempo auf den Hof. Alles Weitere lassen Sie dann meine Sorge sein.«

Während Parker gehorsam sein Fahrzeug wieder anrollen ließ, wickelte Agatha Simpson die ledernen Riemen ihres Pompadour straff um das muskulöse Gelenk ihrer Rechten. Der lederne Beutel, den sie in überraschender Weise einzusetzen wußte, hatte es in sich: Neben anderen mehr oder weniger nützlichen Dingen enthielt er ein echtes Hufeisen, das die ältere Dame allerdings aus humanitären Gründen in dünnen Schaumstoff gewickelt hatte.

Dieser »Glücksbringer«, wie Agatha Simpson ihn zu nennen pflegte, erhöhte die Durchschlagskraft des Pompadour beträchtlich. Für eine weitere Steigerung der Wirkung sorgten die buntlackierten Perlen, mit denen der Beutel bestickt war. Daß sie aus Gußeisen bestanden, merkte man erst, wenn es schon zu spät war.

Der Butler fühlte sich nicht besonders wohl bei der Taktik, die Mylady angeordnet hatte. Aber wenigstens schwieg die innere Stimme, die ihn bisher immer vor wirklich gefährlichen Situationen gewarnt hatte. Dennoch konnte es zumindest sein, daß Mylady sich unsterblich blamierte. Der Verdacht gegen Betty Heart beruhte ja einzig und allein auf einer theoretischen Überlegung. Bisher gab es nicht den geringsten konkreten Hinweis, daß sie wirklich an den Banküberfällen beteiligt war. Außerdem gab es ja noch mehr Schauspielerinnen, die als Täterin in Frage kamen falls seine Theorie überhaupt stimmte.

Trotzdem bog er recht zügig in die Toreinfahrt ... und da war es auch schon passiert.

Josuah Parker trat zwar geistesgegenwärtig auf die Bremse und brachte sein hochbeiniges Monstrum mit einem Ruck zum Stehen, doch die Fahrerin des sportlichen Jaguar-Coupes hatte offenbar nicht mit Gegenverkehr gerechnet.

Der Zusammenstoß ging glimpflich ab – jedenfalls für Parkers solide gepanzertes Gefährt. Der Jaguar dagegen kam nicht ganz ungeschoren davon. Der linke Scheinwerfer ging zu Bruch, und das Wellenmuster, das der Kotflügel plötzlich angenommen hatte, erinnerte an ein Waschbrett.

»Das ist ja die größte Unverschämtheit, die ich je erlebt habe«, fauchte Lady Agatha. Sie war bei dem Aufprall vom Sitz gerutscht und hatte sich zu allem Überfluß an der Trennscheibe zwischen Fond und Fahrerplatz die Nase geprellt.

»Das wird mir dieser Verkehrsrowdy büßen«, forderte sie und versuchte mühsam, ihre im Fußraum eingeklemmte Fülle wieder auf den Sitz zu hieven.

Inzwischen war die Fahrerin des Sportwagens ausgestiegen. Sie hatte sich eine Beule an der Stirn geholt, war aber sonst unverletzt. Sie mochte etwa 50 Jahre alt sein und trug ein elegant geschneidertes Kostüm in zarten Grüntönen. Ihr leicht ergrautes Haar hatte sie im Nacken zusammengesteckt.

»Fahren Sie eigentlich immer so?« fragte sie den Butler, der seiner Herrin gerade beim Aussteigen behilflich war. »Daß das hier eine private Grundstückseinfahrt ist, kann man doch nicht übersehen. Oder?«

»Wie und wohin Mister Parker mein Fahrzeug lenkt, bestimme ich«, antwortete Agatha Simpson an seiner Stelle. »Sie hätten ja aus weichen können. Dann wäre nichts passiert.«

»Ich – ausweichen?« fragte die Frau empört zurück. »Was wollen Sie denn überhaupt hier?«

»Ich möchte Miß Dart sprechen«, antwortete die Detektivin promt. »Oder wohnt sie nicht mehr hier?«

»Wen möchten Sie sprechen?«

»Mylady wünscht, Miß Betty Heart näher kennenzulernen«, gab Parker Auskunft und musterte die Frau unauffällig, aber aufmerksam.

»Ach Miß Heart!« meinte die Frau. »Die ist aber im Moment verreist. Miß Heart muß ein paar Tage ausspannen und ist auf die Bahamas geflogen.«

»Habe ich es nicht gesagt, Mister Parker?« triumphierte die ältere Dame. »Auf die Bahamas!«