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Die

Mainzer Patrioten

in den

Jahren 1793 - 1798.

Einschließung und Kapitulation von Mainz – Haft in Königstein (Taunus), Ehrenbreitstein und Erfurt – Neuanfang und berufliches Auskommen

von

Dr. Karl Georg Bockenheimer,

Grossh. Bezirksgerichtsrath in Mainz.

1873

Chronologie der Ereignisse und Vorwort für die Neuausgabe von

Dr. Dr. Mark Scheibe.

2017 (Papierausgabe)/2019 (Ebook)

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CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Bockenheimer, Karl Georg: Die Mainzer Patrioten in den Jahren 1793-1798. Mit einem Vorwort von Mark Scheibe – Neuauflage der Ausgabe von 1873. Kelkheim, 2017 (Papierausgabe) / 2019 (Ebook).

ISBN 978-3-9813188-5-4

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen.

© Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815, Am Weiherhaag 4b, 65779 Kelkheim.

Druck und Bindearbeit: Druckerei Berthold Faber, Mandelbachtal. Printed in Germany.

Freilich bleibt es bei meiner Behauptung, daß man die Revolution ja nicht in Beziehung auf Menschenglück und Unglück betrachten müsse, sondern als eins der großen Mittel des Schicksals, Veränderungen im Menschengeschlecht hervorzubringen.

Forster, aus: Georg Forster’s sämmtliche Schriften, Bd. 9, S. 5. Brief an seine Frau, Paris, 5. April 1793.

Inhalt

Vorwort der Neuausgabe von 2017

Chronologie der Ereignisse

Zeitleiste

Vorwort der Erstausgabe von 1873

État général

Abbildungsnachweise und -rechte

Vorwort der Neuausgabe von 20171

Die Mainzer Republik wird heute eher über- als unterschätzt, (…), so urteilte Franz Dumont in seiner Dissertation von 1978.2 Dumont schrieb diesen Satz aber nicht nur vor dem Hintergrund, daß wir unsere heutige deutsche Demokratie anders verstehen, sie anders leben und weiterentwickeln als die kleine Anzahl pfälzischer und rheinhessischer Revolutionsanhänger im Winter und Frühjahr 1792/93 mit ihrem eigenen Verständnis von „Demokratie“: Diese hatten das Wort Demokratie in jenen Wochen zu einem System von physischer und psychischer Gewalt pervertiert, vor allem, um die ihnen von den französischen Machthabern zugekommenen neuen Aufgaben und die damit erwachsenen persönlichen Vorteile zu sichern.

Dumont hatte damit aber auch ein Votum gegen die aktiv von der DDR-Regierung geförderte Forschung gesetzt, die vor über 40 Jahren die Mainzer „Republik“3 als angeblich erster deutscher Demokratie für ihre Zwecke entdeckte. Mit der daraufhin finanzierten umfangreichen Forschung und der Wiederauflage damaliger politischer Schriften der Revolutionsanhänger war ihr Ziel, als einzige und legitime Nachfolgerin dieser deutschen Ur-Republik zu gelten. Trotz unbestritten wertvoller Transkriptionen, zum Beispiel der Sitzungsprotokolle des Mainzer Jakobinerclubs und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents4, waren die Publikationen der ostdeutschen Forscher nicht frei von politisch gefärbter Interpretation. Westdeutsche Wissenschaftler distanzierten sich von der teilweise „kritiklosen Heroisierung“5 deutlich. Betrachtet man diese Arbeiten der 1970er und frühen 1980er Jahre zur Mainzer „Republik“ aber als Summe und mit der Kenntnis der deutsch-deutschen Ereignisse dieser Zeit, so sind sie ein unschätzbar wertvolles Konvolut an gesammeltem Wissen, vergleichbar zustande gekommen wie das Duell zweier Sportnationen um eine Siegertrophäe.6

Wenig oder gar nicht beleuchtete die deutschsprachige Forschung aber die Umstände, die in die Mainzer „Republik“ mündeten, die aus diesem Ereignis resultierten oder welche Ursachen dem Zusammenbruch der französischen Militärmacht in dieser Region zugrunde lagen. So hat Bockenheimer mit dem vorliegend wieder aufgelegten Büchlein einen wertvollen Beitrag geleistet, was aus den ersten Mainzer „Patrioten“ wurde – wobei vor dem zeitgeschichtlichen Rahmen (seine Veröffentlichung erschien 1873) der Titel „Mainzer Patrioten“ als ein offenbar gezielt vorgebrachtes Wortspiel zu sehen ist. Per se ist zwar ein „Patriot“ positiv unterlegt. Doch Bockenheimers „Patrioten“ sind die Antitypen, eine Minorität innerhalb der Bevölkerung, die diesen Aktivisten zunächst abwartend, dann aber durch die ausufernde Gewalt ablehnend gegenüberstand. Auch aus der zeitgeschichtlichen Situation heraus, in der sich Bockenheimer zum Zeitpunkt der Herausgabe seines Büchleins befand (1873), ist seine Wortwahl zu sehen: Seit dem Aufkommen des deutschen Nationalismus in den letzten Jahren von Napoleons Herrschaft und nicht zuletzt vor dem gerade stattgefundenen Krieg zwischen Preußen und Frankreich 1870/1871 und dem neugegründeten deutschen Kaiserreich war ein Patriot ein seinem adligen Landesherren bzw. dem neuen Kaiserreich ergebener Diener – kein Demokrat! Es liegt deshalb nicht fern, anzunehmen, daß Bockenheimer mit dem Titel seines Büchleins bewußt die Seriosität der Mainzer Aktivisten in Abrede stellte, als er sie als „Patrioten“ betitelte. Eine Parteinahme für die konservative politische Hauptströmung seiner Zeit ist allerdings aus seinem Büchlein nicht herauszulesen – was ein Indiz für seine Qualität ist.

So endet seine Schrift mit der lakonischen Feststellung, daß die einstigen Kämpfer für die (von ihne so genannte) „demokratische“ Sache sich widerstandslos der Diktatur Napoleons bzw. den ihnen nachfolgenden früheren Landesherren beugten, ja bequemten. – Dem mochte wahrscheinlich der Wunsch nach finanzieller Absicherung geschuldet sein. Zwar lassen sich nicht alle Mainzer „Patrioten“ über einen Kamm scheren, aber in ihrer großen Mehrheit lassen sich die „demokratischen“ Eiferer in Rheinpfalz und Rheinhessen von 1792/93 eben nicht in eine Reihe mit den späteren Demokraten von 1830, 1848/49 und auch nicht denen der Weimarer Republik oder der Bundesrepublik Deutschland stellen.7 Dazu gleich.

Tatsächlich strebten die Mainzer Aktivisten zunächst eine repräsentative Demokratie nach dem Muster der Französischen Konstitution von 1791 an, die den heutigen „westlichen“ sehr nahekommt. Was ihnen die Umsetzung schwer machte, war zum einen der Mangel eines Fundaments, auf dem sie bauen konnten, keine in der Region einmal verankert gewesene Legitimation, nur eben die momentane Waffengewalt des französischen Militärs. Die akademische Schwärmerei an den deutschen Universitäten für die Revolution im Nachbarland, die Tradition der deutschen Aufklärung, letztere auch offiziell gefördert vom Mainzer Kurfürsten, war für die Praxisarbeit der Mainzer „Demokraten“ ohne Wert.

Die Schwierigkeit, sie als Demokraten nach heutigem Verständnis zu billigen, liegt darin, daß sie sich in der Ausübung ihrer Ämter und Funktionen nicht als solche verhielten. Die Aktivisten aus dem Winter und Frühjahr 1792/93 mußten davon ausgehen (und so trat es tatsächlich auch ein), daß der Kollaps der „Expedition Custine“8 und die Rückkehr der alten feudalen Strukturen ihre neuen Lebensgrundlagen auf Dauer zerstören und ebenso ihre Familien in das Unglück ziehen würden. Schon kurz nach der Inbesitznahme von Mainz, spätestens ab der Jahreswende 1792/93 wurden sie sich bewußt, daß das von Custine zuerst propagierte Selbstbestimmungsrecht der Einwohner der besetzten Landstriche nicht automatisch zu einem Votum für die Demokratie führen würde. „Freiheit war kein offener Entscheidungsprozeß mehr“.9 Umso heftiger also ihr Vorgehen, umso hektischer und unüberlegter ihre Aktionen innerhalb weniger Wochen, die Jahrhunderte gewachsene Ständegesellschaft zu pulverisieren und eine neue Gesellschaftsform mittels Gewalt, Zwangseiden und Zwangswahlen in Stein zu meißeln. Menschlichkeit, Rücksichtnahme auf andere politische Meinungen, Einhaltung fairer Verhaltensregeln im demokratischen Prozeß schienen bei den meisten von ihnen in ihren Handlungen nicht existent.

Auch der erst zögerlich für das neue System agierende Georg Forster, berühmt geworden durch die Teilnahme an der Weltumseglung mit Captain Cook und zu der Zeit der „Expedition Custine“ Bibliothekar in Mainz, entschied sich in der Phase der Zwangseide und Zwangswahlen zum Ductus des „Zwangs zur Freiheit“10: Wir müssen alles zum Weichen bringen, was der guten Sache widerstrebt“, schrieb er seiner Frau, als er an dem Tag in Grünstadt nur unter Einsatz von Soldaten die gegen ihn und die „Patrioten“ aufgebrachte Menschenmenge in Zaum halten konnte.11 Nimmt man ihn aus der Reihe der Demokraten moderner Prägung, bleibt tatsächlich unter den Mainzer „Patrioten“ keiner übrig, der das Prädikat verdienen könnte. Zwar gab es unter ihnen den Kostheimer Adam Lux, der mit ansteckender Begeisterung für die neue Freiheit warb und so Erfolg für seine Sache verzeichnen konnte. Er prangerte Mißstände laut an und mußte dafür schließlich in seinem Pariser Exil mit seinem Leben bezahlen. Allerdings stimmen er und auch alle anderen Abgeordneten der Mainzer „Republik“ einstimmig „bei Androhung der Todesstrafe“ für die Deportation und Vermögenskonfiszierung aller Einwohner, die nicht den Eid auf das neue System abgelegt hatten. Immerhin waren dies 80 bis 90 Prozent der Wahlberechtigten, die damit hätten deportiert werden müssen! Bereits vorher waren schon alle Oppositionellen entfernt worden, so daß eine Demokratie nicht einmal im Ansatz entstanden war.

Eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Persönlichkeiten der Mainzer „Patrioten“ bleibt der weiteren Forschung vorbehalten.

Bockenheimer beleuchtet die Mainzer „Patrioten“ ohne eine persönliche oder aus dem Zeitgeschehen resultierende Färbung. Vielleicht auch aus dem Standpunkt eines Mainzers heraus, der keinen Keil in die Bevölkerung treiben wollte, in der die letzten Zeitgenossen der Mainzer Republik erst vor einer Generation verstorben waren. Die zeitgeschichtliche Besonderheit seiner Arbeit liegt darin, die bis dahin über Jahrzehnte totgeschwiegene Geschichte dieses ersten Demokratisierungsversuches hervorzuholen und als politisch-neutraler Beobachter zu beleuchten. Etliche der Mainzer Protagonisten von 1792/93 waren bis zu diesem Zeitpunkt deutschlandweit bekannte und geachtete Publizisten, wie Georg Forster. Der hier bei Bockenheimer mehrfache zitierte Georg Friedrich Rebmann, der als Schriftsteller und politischer Beobachter erst zeitlich nach Ende der Mainzer Republik in Erscheinung trat, wurde von Zeitgenossen sogar in seinem Bekanntheitsgrad mit Goethe gleichgestellt. Doch mit dem Erlahmen der Demokratisierung und dem Aufkommen von Bonapartes Militärdiktatur und der Rückkehr zum Feudalstaat wurden die demokratischen Publizisten totgeschwiegen. Umso mehr wiegt Bockenheimers Veröffentlichung in der antidemokratischen Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts.