Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis

M.W. Ludwig

 

Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis

 

Teil 1

Der Fluch des Vincent St.John-Smythe

 

 

Impressum

 

Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim Art Skript Phantastik Verlag und dem Autor.

 

Copyright © 2019 Art Skript Phantastik Verlag

 

Lektorat » Marion Lembke

» www.mysteryofwords.de

 

Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

Innenseiten-Illustrationen » Jana Jorde

 

Der Verlag im Internet

» www.artskriptphantastik.de

» art-skript-phantastik.blogspot.com

 

 

Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

Über den Autor

 

M. W. Ludwig wurde 1977, 81 Jahren nach den schauerlichen Ereignissen in diesem Buch, im Rheinland geboren. Bereits während seines Anglistik und Germanistikstudiums an der RWTH Aachen arbeitete er als Pressesprecher verschiedener internationaler Künstler, Eventmanager, Zeitungskolumnist und Radiomoderator. Inzwischen lebt er mit seiner Frau, einem Sohn und zwei Töchtern, zweieinhalb Hunden, einer Katze und einem Papagei abwechselnd im (fast) westlichsten und (fast) östlichsten Zipfel Deutschlands, wo er neben seiner schriftstellerischen Arbeit Englisch unterrichtet und Theaterstücke inszeniert. Geschichten denkt er sich schon aus, so lange er denken kann. Und im Sommer 2016 klopfte dann ein gewisser Graham McPherson an seine Tür…

 

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Für

Henriette, Wilhelmine, Bruno und Konstanze

 

Für Tanja

 

 

 

 

 

 

 

Second Witch

By the pricking of my thumbs,

Something wicked this way comes.

Open locks,

Whoever knocks!

 

William Shakespeare; Macbeth; Akt 4; Szene 1

 

 

»The greatest trick the devil ever pulled

was convincing the world he didn‘t exist.«

 

Erzähler in »Die üblichen Verdächtigen«

 

 

 

Hamish Hamilton, im November 1896

 

Mein Mondschein!

 

Nun sind es 40 Jahre, seit all das geschehen ist.

40 Jahre, die ich mein Geheimnis mit mir umhertrage.

Ich erinnere mich noch, als sei es erst gestern gewesen, dass Sinner uns den Schwur abnahm, niemals darüber zu reden; über Doktor Urian, über Heather und Laura, nicht einmal über Swamp. 40 Jahre lang habe ich mich daran gehalten.

Die Gnade des Vergessens jedoch ist mir nie zuteilgeworden. Wir alle haben unseren Anteil des Fluches zu erfüllen. Aber was rede ich? Wie leicht ist doch mein Teil im Vergleich zu dem von Swamp?

Du wirst dich fragen, was das alles soll, so wie du mich schon so manches Mal gefragt hast, wenn du wieder milde lächelnd den Kopf über meine Obsession geschüttelt hast.

Nun ist genug der Ausflüchte.

Eben habe ich in der Zeitung von dem Verschwinden einer jungen Frau gelesen. Sicherlich gab es an dieser Meldung nicht viel Außergewöhnliches dieser Tage. Seit den Morden im Londoner Westend vor acht Jahren ist unser Empfinden für derlei merklich abgestumpft. Die meisten Leser dürften nicht lange darüber nachgedacht haben. Und ich hätte es sicherlich auch nicht getan, wäre die arme Person nicht in der Nähe des Anwesens der Familie Melmoth zum letzten Male lebendig gesehen worden. Da wusste ich, dass es wieder begonnen hat.

Ich weiß, wie sehr du das Okkulte liebst, das Mysteriöse, das Schauerliche.

Darum lasse mich dir eine Schauergeschichte erzählen …

 

Prolog

Ein unerwarteter Besuch

 

Der Himmel war ein einziges Sternenmeer. Jedoch hatte Angus Macfadyen nicht viel dafür übrig. Seit einigen Minuten stand er reglos vor dem schmiedeeisernen Eingangsportal des Friedhofes und blickte durch die Gitterstäbe auf den schneebedeckten Gottesacker. Vereinzelt warfen Kerzen ihr unruhiges Licht auf die Steine und Kreuze in ihrer Nachbarschaft. Ein Käuzchen beschwerte sich lautstark über die Kälte. Doch abgesehen davon war es jenseits der Stäbe friedlich und still. Seit der Wächter das Tor vor einer halben Stunde abgeschlossen und die Gaslaternen gelöscht hatte, war keine Menschenseele mehr zu sehen gewesen.

Als schlussendlich das Licht in dem Pfarrhaus neben der Friedhofsmauer gelöscht wurde, atmete Macfadyen erleichtert auf. Er stieß einen leisen Pfiff aus, woraufhin ein zweiter Mann mit einem Karren aus den Schatten trat. Dann griff er in die Seitentasche seines groben Arbeitermantels, tastete nach einem Dietrich und schloss das Tor auf.

Macfadyen gehörte der Berufsgruppe Body Snatchers an, von manchen auch Totenauferstehungshelfer, Leichenräuber oder Tomb Raider genannt. Macfadyen machte sich nicht viel aus derartigen Wortklaubereien. Er buddelte Tote aus ihren Gräbern, um sie anschließend zu verkaufen. Das war ganz sicher nicht moralisch einwandfrei und seit dem Anatomy Act von 1832 verboten1, gleichzeitig allerdings äußerst lukrativ. Das offizielle Angebot an Körpern, deren Besitzer sich schon nach oben oder unten verabschiedet hatten, war mager, die Nachfrage dafür umso größer.

Medizinprofessoren und Studenten waren ständig auf der Suche nach halbwegs frischen Demonstrationsobjekten für Operationsmethoden. Ab und an erkundigten sich sogar Künstler oder Privatleute; wobei Erstere nicht sonderlich gut bezahlten, dafür aber absonderliche Vorstellungen hatten, Letztere es meist auf einen bestimmten Toten abgesehen hatten, beziehungsweise darauf, was dieser bei sich trug. Onkel Henry, der zum großen Verdruss mit seiner Lieblingstaschenuhr begraben worden war, für die sich der arme Hinterbliebene einen viel besseren Verwendungszweck hätte vorstellen können. Oder Tante Gertrude, deren Gebiss viel zu schade gewesen war, um einfach so zu verrotten.

Macfadyen jedenfalls hatte keine großartigen Bedenken. Die Toten brauchten ihren Körper in der Regel ohnehin nicht mehr dort, wo sie jetzt auch immer waren. Und wenn die Alternative war, ihn den Würmern zu überlassen, dann war sein Dienst gar nicht hoch genug zu achten. Außerdem brachte es je nach Zustand des Körpers bis zu zehn Pfund ein.

Sicherlich, es gab auch schwarze Schafe, aber wo gab es die nicht? Burke und Hare, diese beiden Trottel, die sich vor ein paar Jahrzehnten in Schottland ein paar Pennies dazu verdient hatten, indem sie selbst für Nachschub sorgen, hatten ihrer Berufsgruppe ganz schön geschadet.

Allerdings war die Nachfrage nach frischen Steifen, wie man die Leichen in seiner Branche nannte, fürderhin so groß, dass man sich nicht weiter sorgen musste. Es galt nur, vorsichtiger zu sein. Und sich nicht gegenseitig ins Gehege zu kommen. Aus diesem Grunde hatten die Auferstehungshelfer Londons die Wochentage und Friedhofsparzellen fein säuberlich unter sich aufgeteilt. Bei besonders interessanten Objekten wurde gar per Los darüber entschieden, wer die Ware abholen durfte.

Dienstag war Macfadyen mit seinem Partner O’Brien an der Reihe, oder besser, in der Nacht auf Mittwoch, denn auch wenn manch Richter oder Inspektor für Anatomie Haare oder Zähne trug, die schon einmal in einer Kiste gelegen hatten; offiziell kannten sie mit seiner Berufsgruppe kein Erbarmen. Und so machte man sich besser im Schutz der Dunkelheit auf.

Macfadyen und O’Brien schoben ihren Karren über den schneebedeckten Boden zwischen den Reihen von Gräbern, hinter denen Kreuze und steinerne Todesengel düster aufragten. Wenigstens hatte es heute Nacht nicht weitergeschneit. Dafür war es verdammt kalt. Es würde mit Sicherheit kein Vergnügen werden, das Grab wieder auszuheben.

Macfadyen pustete in seine Hände und blickte sich um. Hier irgendwo musste der Kunde liegen. Er zog eine Karte vom Friedhof hervor und studierte sie im Schein der Laterne.

»Welche Richtung?«, fragte O’Brien.

»Ist nicht mehr weit. Siehst du das Mausoleum?« Er wies mit dem Kinn zu einem düsteren Bau zu ihrer Rechten. »Gleich dahinter.«

O’Brien streckte vorsichtig den Kopf vor. »Du meinst jetzt aber nicht das Loch dahinten, oder?«

»Das was?« Irritiert blickte Macfadyen von seiner Karte auf. Fast hätte er sich an seinem Kautabak verschluckt.

Potztausend! Da war ihnen jemand zuvorgekommen! Die Stelle, an der ihr Auftrag liegen sollte, war bereits geöffnet worden. Die Grabeserde lag auf einem frischen Haufen neben dem Stein. Daneben klaffte ein düsteres Loch.

Im Näherkommen sahen sie, dass jemand den Namen des Bewohners durchgestrichen und stattdessen in krakeliger Schrift einen anderen darüber geschmiert hatte. Was sollte das alles? OBrien versuchte, den neuen Namen auf dem Grabstein zu entziffern. Er war kein sonderlich guter Leser und sprach die Buchstaben einzeln aus.

Macfadyen beugte sich derweil über das Loch und leuchtete mit der Laterne nach unten. Wenigstens war der Sarg noch drin. Außerdem war er, soweit Macfadyen das beurteilen konnte, noch unversehrt. Wer weiß, vielleicht war ihr Konkurrent bei seinem unlauteren Treiben (immerhin gehörte die Nacht auf Mittwoch ihm und O’Brien!) vom Friedhofswärter erwischt worden. Nun, geschah ihm recht. In diesem Fall hatte er ihnen gar einen großen Gefallen getan. Sie brauchten nur noch runter zu steigen und die Kiste mit dem Stemmeisen zu öffnen.

Eben wollte er sich schon zufrieden an die Arbeit machen, als er ein leises Pochen hörte. Erschrocken blickte er sich um. O’Brien stand noch immer vor dem Stein und versuchte konzentriert, die Buchstaben zusammenzusetzen. Ansonsten war niemand zu sehen. Bestimmt hatte er es sich nur eingebildet.

Doch halt! Da war es wieder!

Erneut blickte er sich nach allen Seiten um. Irgendwo musste es doch herkommen!

Plötzlich rief O’Brien: »Verdammt Macfadyen, ich glaub, ich kenn den Kerl, der hier liegt!«

Vor Schreck verlor Macfadyen das Gleichgewicht, rutschte ab und fiel bäuchlings auf die Holzkiste unten im Loch.

»Hey Macfadyen, wo bist du?«, hörte er O’Brien rufen.

Ächzend stemmte er sich hoch. »Ich bin hier unten, du Trottel!«

»Wolltest wohl schon anfangen, was? Richtig so, keine Zeit verlieren. Das sagst du ja immer.« O’Brien beugte sich zu ihm runter und grinste ihn aus seinem nahezu zahnlosen Mund an. »Hast du mitgekriegt, ich kenne den Typen da unter dir. Hab mal für den gearbeitet!«

»Das ist schrecklich schön für dich. Dann könnt ihr ja gleich euer Wiedersehen begießen!«, antwortete er genervt.

In diesem Augenblick pochte es schon wieder. Und dieses Mal musste Macfadyen nicht lange suchen. Dieses Mal war er ganz sicher, wo es herkam. Wie versteinert lag er auf dem Sargdeckel, der unter dem Klopfen aus seinem Inneren leise vibrierte.

 

***

 

Der Mann riss die Augen auf und blickte sich um. Er befand sich in völliger Dunkelheit. Merkwürdig. Nie zuvor war ihm die absolute Abwesenheit von Licht in seinem Schlafzimmer aufgefallen. Dabei sollte doch der Mond am Himmel stehen. Dennoch war er erleichtert, als er endlich realisierte, nur geträumt zu haben. Da das Erwachen aus seinem Albtraum jegliche Müdigkeit aus seinem Körper vertrieben hatte, beschloss er aufzustehen, um sich einen Schlummertrunk zu genehmigen. Als er sich jedoch recken wollte, stieß er bereits nach wenigen Zoll mit beiden Armen gegen einen Widerstand.

Was sollte das? Die Breite seines Bettes war äußerst großzügig. Zudem stand es mitten im Raum. Verwirrt versuchte er, sich aufzusetzen, knallte jedoch sogleich mit Händen und Beinen gegen einen weiteren Widerstand, der dicht über seinem Körper fixiert war. Durch einen Spalt rieselte etwas auf ihn hinab. Ein helles Glöckchen bimmelte. Er erstarrte, horchte, hörte jedoch nichts als ein dumpfes Pochen.

»Hallo?«, fragte er zaghaft in die Dunkelheit, bekam aber keine Antwort. Vorsicht zog er seine Beine ein Stück weit an. Da klingelte das Glöckchen erneut. Nun begriff er. Das Bimmeln, die Glocke, das war er selbst. Jemand hatte ihm ein Glöckchen an den Fußknöchel gebunden. Vorsichtig hob er den Fuß ein Stück weit an, und augenblicklich bimmelte es erneut. Aber warum hatte man ihm so etwas umgebunden? Machte man das für gewöhnlich nicht nur bei … Ihn schwindelte. Das konnte nicht sein, das war ganz und gar unmöglich. Ein Glöckchen bekamen normalerweise nur die Menschen umgebunden, deren Körper in ein Grab gelegt wurden!

Dies war der Moment, in dem eine Panik in ihm aufstieg, die seinen Albtraum mühelos in den Schatten stellte. Jemand hatte ihn lebendig begraben!

 

***

 

Fest entschlossen, dem Spuk auf den Grund zu gehen, richtete sich Angus Macfadyen über der Kiste auf. Er machte den Job hier schon viel zu lange, um sich so leicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Gewiss gab es für diese Angelegenheit eine einfache Erklärung. Ein Scherz vielleicht, etwas, das sich die feinen Studenten in ihrem Rausch ausdachten. Oder es war die Warnung eines Konkurrenten, der ihr Revier beanspruchte. Beides sehr nervig, aber erklärbar.

Wie auch immer. Macfadyen würde es herausfinden. Eine Katze, die man in den Sarg gesperrt hatte, oder ein paar Ratten. Ein leises Bimmeln erklang. Na, gottlob hatte man wenigstens den Bewohner drin gelassen, dachte er erleichtert.

Er hängte seine Lampe an die Leiter, die ihm sein tumber Kompagnon inzwischen ins Loch gelassen hatte, und zog einen Hammer hervor, mit dessen Hilfe er die Nägel aus dem Deckel hebeln wollte.

 

***

 

Mit aller Kraft der Verzweiflung stemmte sich der Mann gegen den Deckel. Sein Herz schlug wie wild gegen das schriller werdende Bimmeln an, während sein Geist diesen einen Gedanken nicht zu fassen bekam: Man hatte ihn bei lebendigem Leibe begraben.

Augenblicklich bekam er keine Luft mehr. Grelle Blitze tanzten vor seinen Augen. Er kratzte, trommelte, trat und hämmerte gegen den Deckel, so gut es ging und seine Kraft reichte, doch saß dieser so fest und unnachgiebig, dass es wohl eines Wunders bedurfte, wenn er tatsächlich noch einmal das helle Licht der Sonne (oder des Mondes, da wollte er nicht wählerisch sein) sehen wollte.

Obgleich seine Finger schon brannten und seine Knie schmerzten, musste er noch einen letzten Versuch wagen, ehe er sich in sein Schicksal ergab. Er atmete tief ein, schloss die Augen und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Deckel. Tatsächlich und zu seiner unfassbaren Erleichterung gab dieser nach und flog schwungvoll auf.

Im fahlen Licht einer flackernden Laterne erblickte er einen großen Mann mit einer Mütze, der einen Hammer in der rechten Faust hielt. Der Kerl schrie wie am Spieß bei seinem Anblick, als wäre der Teufel in ihn gefahren.

Panisch sprang er aus seinem engen Gefängnis auf, drückte den Mann zur Seite und kletterte über eine Leiter nach oben. Ein zweiter Mann stand dort vor dem Loch und schaute ihn ungläubig an. Bei seinem Anblick ließ dieser seine Schaufel fallen und begann wie ein kleines Mädchen zu kreischen, als hätte er einen Geist gesehen. »Er ist es!«, schrie er. »Allmächtiger, er ist es wirklich!«

Verstört blickte sich der Mann nach allen Seiten um. Im trüben Licht des Mondes erkannte er den Stein, der hinter dem Loch stand. Darauf leuchteten ihm Buchstaben in gespenstischem Grün entgegen. Er erschauderte, als er realisierte, dass diese Buchstaben seinen eigenen Namen bildeten.

»Das … das ist ein großes Missverständnis«, stotterte er. »Ich bin doch noch gar nicht …«

Weiter kam er nicht, denn da schob sich der Mann mit der Mütze schon stöhnend aus dem offenen Grab. Oben angekommen, zeigte er wütend mit dem Finger auf ihn. »Stehen bleiben!«, brüllte er. »Der Körper, in dem du da steckst, gehört uns!«

Schnell griff der Mann aus dem Grab nach der Schaufel und zog sie seinem Angreifer mit einer solchen Wucht über den Schädel, dass dieser wieder in das Loch fiel. Dann drehte er sich zu dem anderen.

Der riss schnell die Arme nach vorne. »Tun Se mir nix, Sir. Ich hab mir doch nie nix zu Schulden kommen lassen bei Ihnen. Wenn Se einen holen müssen für Ihren neuen Boss da unten, dann nehmen Se den alten Macfadyen mit, okay? Ich wird auch keinem nix sagen; versprochen.«

Der Mann, der keine Ahnung hatte, wovon dieser Kerl da redete, ließ die Schaufel zu Boden sinken und ging langsam, den Burschen jedoch nicht aus den Augen lassend, in Richtung des Ausgangs. Am Friedhofstor angekommen, blieb er für einen Augenblick unschlüssig stehen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er nichts trug als seinen Pyjama und einen Morgenmantel. Ein Fuß steckte in einem türkischen Pantoffel, der andere war nackt. Bis auf den Lederriemen mit der kleinen Glocke daran.

Wild wie kleine Teufel tanzten die Gedanken hinter seiner Stirn. Was war geschehen? Wie war er hierhergekommen? Wer hatte ihn hierher gebracht und warum? Was hatten Sie damit bezweckt?

Aber mein Freund, weißt du das nicht ganz genau?, meldete sich eine unangenehme Stimme in seinem Kopf, die ihn erschaudern ließ. Hättest du nicht kommen sehen sollen, dass man sich die Finger verbrennt, wenn man mit dem Feuer spielt?

Plötzlich flackerte am Ende der Straße ein Licht auf. Er hörte Hufklappern, Peitschenhiebe, die Stimme eines Kutschers, der seine Gäule in wildem Galopp in seine Richtung scheuchte. In wenigen Augenblicken würden sie bei ihm sein. Das konnte seine Rettung sein. Doch was, wenn dem nicht so wäre? Wenn vielmehr diejenigen in der Kutsche saßen, die ihn in diese Misere gebracht und nun vorhatten, ihr schauriges Werk an ihm zu vollenden? Es war wie in einem Albtraum.

Nein, es war ein Albtraum!

Es war verdammt noch mal kein Albtraum!

Albträume waren ein Geschäft von Sekunden und Minuten, auch wenn sie einem länger vorkamen. Zudem lag man für gewöhnlich, egal wohin einen der Traum auch verfrachtet hatte, in seinem Bett, und konnte darauf vertrauen, dass nichts davon zurückblieb als eventuelle Kopfschmerzen und eine gepflegte schlechte Laune. Nichts, was man nicht mit einer Kanne Tee beheben konnte.

Doch wie sollte ihm eine Kanne Tee hierbei helfen?

Jemand hatte ihn bei lebendigem Leibe zu begraben versucht. Und das war nur das vorläufig letzte Kapitel aus einer Serie furchterregender Ereignisse. Jemand, oder besser, etwas hatte es auf ihn abgesehen. Etwas, das viel zu mächtig war, als dass man sich mit ihm anlegen sollte.

Ein Satz formte sich vor seinem geistigen Auge: Swamp ist zurück.

In diesem Moment, der für den Rest der Welt wohl nur ein Wimpernschlag war, für ihn jedoch quälend langsam verstrich, traf er eine Entscheidung. Dann lief er los.

Die kalte Luft brannte in seiner Lunge und stach wie Nadelspitzen in seine Augen. Sein Morgenmantel schwang auf und spannte sich wie ein Segel. Das eisige Straßenpflaster schnitt in seine Füße. Aber das bremste sein Tempo kaum. Die wenigen Menschen, die jetzt noch unterwegs waren, nahmen keine Notiz von ihm. Und auch er kümmerte sich um niemanden. Er lief geradezu, doch schoben sich die Leute in dem Augenblick, indem er sie hätte treffen und mit sich reißen sollen, in natürlichster Choreographie zur Seite, drehten sich nach einem Schaufenster, einer Droschke, einem anderen von ihnen, dem sie die Hand hoben, die eben noch seinen Weg versperrt hatte. Als würde er schweben, glitt er an ihnen vorbei über den Boden, hörte nur von weit entfernt das Platschen seiner Füße - platsch platsch platsch - auf dem Stein. Schweiß lief über seine Stirn, hinter der finstere Gedanken wie Sturmwellen tosten.

Er wusste nicht mehr, wie lange er gelaufen war, ehe er endlich in einer von Bäumen gesäumten Sackgasse auf seine Knie fiel, fernab des Friedhofes, benommen und mit schwindeligem Kopf. Seine Kehle brannte, er konnte kaum atmen.

Als er wieder bei Sinnen war, insofern dies angesichts seiner Lage überhaupt möglich schien, stand er auf und blickte sich um. Soweit er beurteilen konnte, hatte er sein Ziel erreicht. Vom trüben Licht einer Straßenlaterne beschienen stand vor ihm das Haus Nummer 23 im Abney Park.

Mit tauben Füßen bestieg er die Stufen zur Tür des Hauses, zögerte einen Moment. Dann richtete er sein Pyjamaoberteil (Manieren machten schließlich den Gentleman aus) und zog das Klingelseil.

Es dauerte ein paar Augenblicke, dann wurden drinnen Schritte laut. Eine junge Frauenstimme rief: »Lassen Sie nur, Miss Lang. Ich öffne schon.« Indem sie dies sagte, zog sie die Tür bereits auf. »Guten Abend. Was kann ich für Sie …« Sie stockte. »Sie?«

»Guten Abend, Mrs Gann«, antworte er zitternd. »Darf ich eintreten?«

»Ist alles in Ordnung, Mrs Gann?«, fragte eine andere Frauenstimme von drinnen.

»Ja. Ich glaube schon. Bitte richten Sie meinem Mann aus, dass Mr St.John-Smythe ihn zu sprechen wünscht!«

 

 

I.

Hokus Pokus

 

Eine weitverbreitete Theorie sieht einen Zusammenhang mit der heiligen Messe in der katholischen Kirche. Der Priester spricht dabei während der Wandlung die Konsekrationsworte: hoc est enim corpus meum, »das ist mein Leib«. Gemeint ist der Leib Christi. Die Menschen, die kein Latein verstanden, hörten nur so etwas wie Hokuspokus. (Wikipedia)

 

 

 

»Maybe not today.

Maybe not tomorrow,

but soon and

for the rest of your life«

 

Rick zu Ilsa in »Casablanca«

Aus der Hamish Hamilton Gazette,ehemals The Chronicle,

vom 1. November 1896

 

Aushilfslehrerin spurlos verschwunden.

Die Polizei von Hamish Hamilton bittet um Mithilfe!

 

Die Polizei bittet die Anwohner von Hamish Hamilton um ihre Mithilfe bei der Suche nach der 23-jährigen Janet Leigh.

 

Ihr Verschwinden war erst am gestrigen Montagmorgen aufgefallen, nachdem sie nicht zu ihrem Unterricht erschienen war und eine Entschuldigung für ihr Fehlen ausblieb. Eine polizeiliche Untersuchung ergab, dass sie am frühen Samstagabend noch dabei beobachtet worden war, wie sie die Stadt in Richtung ihrer Unterkunft in der Craven Street verlassen hatte. Danach verliert sich ihre Spur.

 

Ms. Leigh ist groß und hat rotes Haar. Über dem linken Auge hat sie eine auffällige längliche Narbe. Vermutlich trug sie bei ihrem Verschwinden einen dunklen Wollrock und eine weiße Leinenbluse mit einer schwarzen Strickjacke. Dazu einen braunen Wintermantel, eine schwarze Wollmütze und schwarze Handschuhe.

 

Janet Leigh arbeitete seit einigen Wochen an der örtlichen Perkins Middle School, wo sie die Vertretung der Lehrerin Catherine Meadows ausübte und sich äußerster Beliebtheit erfreute. Gebürtig stammte Miss Leigh aus dem Lake District. Nachforschungen bei ihrer Familie ergaben jedoch, dass sie nicht dorthin zurückgekehrt ist. Ein Gewaltverbrechen kann nicht ausgeschlossen werden.

 

1.

Von Flüchen

 

Als die Nacht hereinbrach, waren die Kämpfe noch in vollem Gang. Schlachthörner wurden geblasen und Trommelschläge gaben dem Scharmützel einen unheimlichen Rhythmus. Unerbittlich wurden Schwerter gegeneinander geschlagen. Schreie kündeten von Sieg und Niederlage. Zwar lag das Schlachtfeld versteckt hinter einem Hügel, doch reichten alleine die Geräusche, den Schrecken so lebendig werden zu lassen, als würde man selbst mit schlotternden Knien mitten unter den Soldaten stehen, die mit bluttriefenden Schwertern und Lanzen aufeinander eindroschen.

Der dichte Nebel, der über den Hügel quoll, war vom Schein der untergehenden Sonne und dem Flackern einer Feuerstelle blutrot gefärbt. Drei Gestalten, man mochte sie auf den ersten, naiven Blick für Frauen halten, saßen leise murmelnd um das Feuer herum. Von Zeit zu Zeit warfen sie kleine Knochenstücke in den Kessel, der darüber hing, woraufhin ein beißender Rauch emporstieg. Fast schien es, als würden mit jedem Knochen die Schreie jenseits des Hügels lauter. Dann kicherten sie leise. Man musste kein abergläubischer Mensch sein, um zu begreifen, dass hier etwas ganz und gar nicht Gutes im Schilde geführt wurde.

Schließlich stand eine von ihnen auf, wobei sie sich auf ihren Gehstock stützen musste. Bevor sie sich verabschiedete, blickte sie sich in Richtung des Schlachtfeldes um. Mit krächzender Stimme fragte sie ihre Schwestern: »Wann sollen wir drei uns wiederseh’n? Wenn der Regen peitscht und Stürme weh’n?«

Schwerfällig erhoben sich auch die beiden anderen.

Dann verließen sie die Feuerstelle, um einem ehrbaren schottischen General eine Prophezeiung zu überbringen, die ihn zum Mörder an seinem König machen würde. Der Name jenes Kriegers war nicht nur unter seinen Feinden gefürchtet. Seit Generationen schon lief jedem englischen Schüler der kalte Schweiß über den Rücken, wenn er an William Shakespeares Macbeth dachte.

 

***

 

Augenblick. Stopp.

Ich denke, wir sollten kurz pausieren.2

Seit wir in unserer Erzählung Graham McPherson verlassen haben, und das ist immerhin schon gut dreizehneinhalb Monate her, hatte sich einiges in seinem Leben verändert:

Nachdem er am 1. November 1895 seinen Freunden im ehrwürdigen Reformclub mit Hilfe George Méliès tatsächlich den Beweis für seine Mondreisen erbringen konnte (Ja ja, ich weiß ja, was Sie jetzt sagen wollen. Aber wir wollen doch nicht kleinlich werden, oder?), waren alle Zweifel an seiner Rechtschaffenheit vergessen. Für seinen Kontrahenten Vincent St.John-Smythe blieben nur mitleidige Blicke. Immerhin war er so sehr Gentleman, dass er seine Niederlage eingestand und es dabei beließ. Die übrigen Clubmitglieder bezahlten ihre Wettschulden in aller Stille und stellten sich in der Öffentlichkeit wieder einen Schritt dichter an McPherson heran.

Mehr noch: Sie bedrängten ihn förmlich, seine Abenteuer auf dem Mond nun auch literarisch zu verwerten (immerhin wollte man diesen Franzosen mit ihrem Jules Verne nur zu gerne zeigen, dass auch das Empire ihrer Majestät Queen Victoria, Königin von Großbritannien und Kaiserin von Indien, den Weg in die unendlichen Weiten des Alls gefunden hatte). Das renommierte Verlagshaus ASTRID&Smith Publishing Inc. machte ihm ein Angebot, das auszuschlagen nicht in Frage kam.

So erschien bereits wenige Monate später »Der Earl von Gaudibert – meine Abenteuer als Mann im Mond«. Zuerst nur in handverlesener Stückzahl, entwickelten sich McPhersons vermeintliche Monderinnerungen (die er mithilfe seiner Ghostwriterin Gann Li Pen verfasste) binnen kürzester Zeit von einem Geheimtipp zu einem regelrechten Verkaufsrenner in der feinen Londoner Society. Und so bestürmte man ihn, seiner Geschichte weitere Abenteuer folgen zu lassen. Ob man sie nun für bare Münze nahm oder nicht, vortrefflich zu unterhalten wussten sie allemal.

Auch privat sollte es bestens für ihn laufen. Nachdem sie ihr gemeinsames Abenteuer auf so merkwürdige Weise zusammengeschweißt hatte, dass er am Abend seines Wetterfolges dem für ihn ganz und gar untypische Verlangen nachgegeben hatte, die bezaubernde Gann vor aller Augen zu küssen, war in den folgenden Monaten tatsächlich eine Zuneigung zwischen ihnen entstanden, die ihn dazu brachte, um ihre Hand anzuhalten.

Eigentlich sollte alles in bester Ordnung sein, wäre da nicht eine Krankheit gewesen, die Graham McPherson aus heiterem Himmel getroffen hatte und bedauerlicherweise ihren unangenehmen Schatten auf einige Lebensbereiche warf. Zwar schienen seine Ärzte einen bestimmten Verdacht zu hegen, doch hatten ihre Medikamente bislang allenfalls vorübergehende Linderung bewirkt.

Da Quelle und Stelle seines Leidens nicht derart waren, zum Gegenstand einer Teegesellschaft erhoben zu werden, begnügte er sich in der Öffentlichkeit meist mit Andeutungen und einem gequälten Gesichtsausdruck. Der Abgabetermin für sein neues Manuskript rückte zudem immer näher, was sein Befinden keineswegs besser machte. Zwar genoss er weiterhin seine neue Prominenz, wurde jedoch von der steten Unruhe getrieben, diese mit seinem neuen Buch, wenn er es denn jemals vollenden würde, katastrophal in der Themse zu versenken.

 

Es war ihm allerdings ein Trost, dass zumindest Gann, obgleich ihrer persönlichen Einschränkungen durch seine Krankheit, weiterhin zu ihm hielt und ihn unterstützte. Und so hatte er ihren Wunsch nicht ausschlagen können, als sie ihn an einem Abend im Dezember des Jahres 1896 fragte, ob er sie ins Lyceum Theatre im West End ausführen würde.

Die Boulevardblätter überschlugen sich mit guten Kritiken für das Stück, wobei besonders Ruth Raison, die Darstellerin der Lady Macbeth, außerordentlich gelobt wurde. Obgleich mit ihren 26 Jahren noch blutjung und in der Theaterwelt noch so gut wie unbekannt, wurden bereits Vergleiche zu der großen Ellen Terry gezogen, die vor ein paar Jahren mit eben jener Rolle unsterblich geworden war.

Natürlich gab es auch Stimmen, die diese Vorschusslorbeeren einem angeblichen Verhältnis mit dem berühmten Schauspieler und Intendanten des Lyceums Henry Irving zuschrieben. Während andere wiederum behaupteten, jene Liaison sei eine bloße Inszenierung, um von Irvings Vorliebe für das eigene Geschlecht in Gestalt seines Managers Bram Stoker abzulenken, was wieder für ihre Schauspielkunst sprach.

Wie auch immer, Gann war neugierig geworden, und da sie den festen Entschluss gefasst hatte, ihre Versäumnisse der englischen Kultur so schnell wie möglich nachzuholen, kam ihr die Inszenierung gerade recht. Von ihrer Loge aus beobachtete sie gespannt das unheilvolle Geschehen, derweil McPherson versuchte, die Sitzhaltung herauszufinden, die ihm die wenigsten Schmerzen bereitete.

Später in der Pause standen Graham und Gann McPherson Li-Penn in der Lobby des Lyceums und nippten an ihren Getränken. Dieser Teil war Gann nicht weniger Lehrstunde als das Stück selbst. Während Graham das Programmheft studierte, musterte sie sorgsam die übrigen Gäste, um ihre leicht blasierte Art abzuschauen. Dabei fiel ihr Blick auf ein blondes Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren, das schüchtern in einer Ecke stand. Offenbar war ihr diese Gesellschaft ebenso neu wie Gann selbst, wenngleich das eher an ihrem Alter liegen mochte als an ihrer Herkunft. Eine Seelenverwandte, dachte Gann selbstironisch. Als der Blick des Mädchens sie traf, beschloss sie, ihr einen ermutigenden Augenaufschlag zuzuwerfen. Wie nicht anders zu erwarten, wandte es sich daraufhin verschämt ab. Ein Mann mit schwarzen Locken trat hinter sie und bot ihr seinen Arm, den sie offenbar dankbar ergriff.

»Das ist Captain James Darling«, flüsterte Graham, der von seinem Programmheft aufgeschaut hatte und ihrem Blick gefolgt war. »Ich habe ihn einmal im Club getroffen. Ein netter Kerl, wenngleich ziemlich düster.«

»Was ist mit seiner rechten Hand passiert?« Sie wies auf den Ärmel, der leer auf seiner Brust festgesteckt war.

McPherson zuckte mit den Achseln. »Ein Unfall mit einem Alligator, behauptet Wells zumindest. Es gehört sich natürlich nicht, ihn selbst darauf anzusprechen.«

»Natürlich nicht!« Gann verdrehte sie Augen. Die steife englische Art würde ihr wohl immerzu ein Rätsel bleiben. Dennoch liebte sie Graham für sein unbeholfenes Understatement. »Immerhin besser als ein Haken«, bemerkte sie.

»Er ist ja kein Seeräuber, sondern ein Gentleman.« Gann lächelte wissend, hatte sie doch Gentlemen erlebt, die weitaus mehr Seeräuber waren als mancher echte Seeräuber, den sie in ihrem Leben kennengelernt hatte. »Wer ist das Mädchen bei ihm?«

»Das dürfte seine Tochter sein. Gwendy oder so ähnlich. Nein, ich weiß wieder, Wendy.«

»Wendy?«

»Ein ungewöhnlicher Name, in der Tat. Aber eigentlich heißt sie wohl Gwendolyn«, erklärte er. »Wendy ist also nur ein Spitzname.«

»Sie wirkt ziemlich verloren.«

»Findest du?«

Ehe sie antworten konnte, sah sie eine hochgewachsene ältere Dame in einem strengen schwarzen Kleid auf das Mädchen und seinen Vater zutreten.

»Ah, Mrs ten Brinken. Es ist mir eine Freude, Sie hier zu treffen!«, hörte sie den Vater sagen.

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Darling«, erwiderte die Frau voller Überschwang in einem unüberhörbar fremdländischen Akzent. Gann fragte sich, woher sie stammen mochte. »Und dies ist mit Sicherheit Ihre bezaubernde Tochter Wendy, nicht wahr?«

Das Kind deutete einen Knicks vor ihr an, woraufhin die Frau beide Hände hob. »Ich sehe, mein Liebes, Sie sind hervorragend erzogen. Ich freue mich, Sie beizeiten zum Tee einzuladen und mit Ihnen zu erörtern, welchen Platz wir Frauen in der Welt haben sollten!« Damit zwinkerte sie ihr verschwörerisch zu.

Gann konnte in diesem Augenblick eine unbestimmte Eifersucht auf die Frau nicht verhehlen. Ganz leise, sodass es niemand außer ihr selbst hören würde, zischte sie: »Du sollst an deinem Tee ersticken, alte Hexe!«

»Wie bitte?« Graham blickte wieder von seinem Programm auf.

»Ich …«, überlegte sie, »habe mich gerade gefragt, welche Rolle wohl die Hexen in dem Stück noch spielen werden.«

Sachte den Kopf schüttelnd legte er das Programm beiseite. »Du sprichst mir aus der Seele!«

»Was?« Gann hatte keinen Schimmer, wovon er redete.

»Haben sie dich wohl ebenso gestört wie mich?« Er schüttelte den Kopf.

»Hexen. Tz… Ich verstehe ja, dass das Stück irgendwie losgehen musste, aber mussten es gleich Hexen sein?« Verständnislos schüttelte er den Kopf.

»Und wie hättest du es gemacht?«, wandte Gann herausfordernd ein. »Brieftauben wären ziemlich albern gewesen. Immerhin bringen die Hexen ihn doch erst auf die Idee, selbst König zu werden. Da brauchte es schon eine höhere Macht -«

»Aber das ist es doch gerade. Ein Mann lässt sich von dem wirren Kauderwelsch, oder besser, Kauderschottisch, dieser drei alten Schachteln dazu verleiten, seinen König umzubringen. Wenn das mal kein klares Statement gegen diesen ganzen Hokus Pokus ist!«

»Du bist unromantisch, Graham!« Gann verdrehte die Augen.

»Ich sage ja nicht, dass Macbeth ein schlechtes Stück ist.«

Augenblicklich verstummten die Unterhaltungen um sie herum. Böse Blicke wurden auf ihn gerichtet. Ein Mann schüttelte den Kopf. Eine ältere Dame bekreuzigte sich. Zu allem Überfluss kam von irgendwoher ein Theaterpage und baute sich mit missbilligender Miene vor ihm auf. »Sir, ich darf doch sehr bitten!«, sagte er mit strenger Stimme.

Verwirrt blickte McPherson ihn an. »Was denn? Ich habe doch gesagt, dass ich Macbeth nicht schlecht finde!«

»Darum geht es nicht!«, antwortete der Page.

Hilfesuchend schaute McPherson zu Gann, die ihm kichernd das Programmheft entgegenstreckte.

»Ich glaube, was der gute Mann dir sagen will, ist, dass es Unglück bringt, den Namen des Stückes auszusprechen. Hier, im Programmheft steht es: Innerhalb eines Theaters ist es absolut verboten, den Namen des Stückes zu nennen oder ihn generell in einem Gespräch über Theater zu erwähnen; andernfalls beschwört man großes Unglück auf sich herab. Das Unglück wird natürlich ungleich größer, wenn man sich dazu hinreißen lässt, Teile des Stückes zu rezitieren, speziell die Szenen mit den drei Hexen gelten dabei als besonders gefährlich.«

McPherson musste sein Lachen unterdrücken. »Ist das dein Ernst? Wir leben so gut wie im 20. Jahrhundert, benutzen Dampfturbinen und können lebendige Bilder an die Wand werfen. Wie kann man da nur an diesen ganzen übersinnlichen Mumpitz glauben?« Er blickte sich auf der Suche nach Zustimmung um. Als er sah, dass auch Gann ihm einen bösen Blick zuwarf, gab er schließlich nach. »Na gut, sage ich den Namen des Stückes halt nicht mehr. Aber du wirst sehen, dass nichts passieren wird, bloß weil ich …« Stumm formte er das Wort Macbeth mit seinen Lippen. »… gesagt habe.«

»Hör auf jetzt!«, zischte sie und strich über eine Falte an ihrem Kleid. »Komm lieber, das Stück geht gleich weiter!«

 

***

 

Während des folgenden Aktes ertappte sich McPherson ein ums andere Mal bei dem Gedanken, dass das Stück den faulen Zauber gar nicht benötigte, den man darum veranstalten wollte.

Darüber hinaus lief die Vorstellung, sofern er das von seinem Platz in der Loge aus beobachten konnte, reibungslos. Kein Fluch weit und breit. Er ließ sich selbstzufrieden in seinen Sitzplatz zurücksinken und beschloss, diesen Gedanken festzuhalten, um ihn nach der Vorstellung ganz nebenbei noch einmal fallenzulassen. Eben sah er sich schon im Foyer den Saaldiener mit seinem Bonmot in Verlegenheit bringen, was ihm einen wohligen Schauer bereitete, als sich der Vorhang zum fünften Akt hob.

Natürlich wusste McPherson, was jetzt passierte: Schlafwandelnd würde Lady Macbeth durch ihr Schloss schleichen, während sie sich von den Geistern derer verfolgt fühlte, deren Tod sie zu verantworten hatte. Dabei wurde sie von einem Arzt und einer Kammerfrau belauscht. Die sogenannte Schlafwandelszene war etwas, worauf so manche Schauspielerin ihr Leben lang hinarbeitete.

Mit einer Kerze in der Hand betrat Ruth Raison bedächtig die spärlich beleuchtete Bühne. Die Maskenbildner hatten hervorragende Arbeit geleistet. Ihr Gesicht wirkte fahl und eingefallen, die Haare standen ihr strähnig vom Kopf. In ihrer weißen Flatterrobe wirkte sie wie ein Nachtgespenst. Immer wieder blickte sie sich um, leuchtete mit der Kerze in alle Richtungen, als fühlte sie sich verfolgt. Schließlich blieb sie in der Mitte der Bühne stehen und setzte die Kerze auf den Boden vor ihre Füße. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Hände. Sogleich erschrak sie, trat einen Schritt zurück und fing an, wie von Sinnen ihre Finger zu reiben. Ohne aufzublicken sprach sie mit bitterer Stimme: »Fort, verdammter Fleck, fort, sag ich!« Dabei rieb sie weiterhin ihre Hände, als wollte sie unsichtbares Blut von ihnen abwaschen, was ihr jedoch nicht gelang.

Eben wollte sich der Arzt zu der Kammerfrau drehen, um das seltsame Geschehen für das Publikum zu kommentieren, als Lady Macbeth plötzlich zu kreischen begann. Offensichtlich zu Tode erschrocken taumelte sie einen Schritt zurück, eine Hand vor den offenen Mund gelegt, die andere ins Publikum gestreckt.

Dann begann sie zu schreien: »Gott und alle Engel im Himmel, steht mir bei! Er ist hier! Aber das kann doch nicht sein, das darf doch gar nicht sein!«

»Also um ehrlich zu sein, hatte ich das Stück anders in Erinnerung. Diese modernen Inszenierungen …«, flüsterte McPherson entschuldigend in Ganns Richtung.

Die Kammerfrau und der Arzt schienen ebenso verwundert über diese Offenbarung wie das Publikum, das mit einem derartigen Einbezug nicht gerechnet hatte. Während sie ihm einen panischen Blick zuwarf, versuchte er sein Glück darin, dass er auf sie zuschritt und seinerseits improvisierte: »Mylady, ist Ihnen nicht wohl? Dort drüben sind doch nichts als Schatten!«

Doch ließ sie sich nicht beirren. Mit ausgestrecktem Arm fuchtelte sie wild in Richtung Zuschauerraum, während sie ihn anzischte: »Aber siehst du es denn nicht, Stanley? Der Tod selbst hat dort drüben Platz genommen. Noch ist er still und wartet, doch bald wird eine schreckliche Fehlentscheidung furchtbares Unglück bringen. Ein unerwarteter Gast wird an eine alte Verpflichtung erinnern, der er zu seinem Nutze folgeleisten wird. Falsche Freunde, echte Freunde, wer ist schon, wer er ist? Nur die Liebe dauert ewig. Und am Ende lacht ohnehin der Tod. Hei, welch ein Feuerwerk!«

Ein Raunen ging durch die Menge und manch einer hätte geschworen, sie zeigte in seine Richtung. McPherson spürte Ganns Blick auf sich. Sie beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte so laut, dass er den triumphierenden Unterton in ihrer Stimme nicht überhören konnte: »Na, was sagst du nun?«

»Und ich sage dir noch einmal. Das ist purer Zufall. Die Frau hat bestimmt Lampenfieber oder zu viel getrunken. Mit Hexerei hat das jedenfalls nichts zu tun.«

Nun konnte der Darsteller des Arztes, der offenbar Stanley hieß, seine Peinlichkeit und Wut über diese merkwürdige Einlage seiner Kollegin nicht mehr verbergen. Sehr deutlich vernehmbar raunte er ihr zu: »Was soll der Mist, Ruthie? Hast du etwa wieder getrunken?«

Diese schüttelte jedoch nur in wirrer Verzweiflung den Kopf. »Er ist da. Und er wird nicht eher gehen, bis er sein Opfer hat! Nach dem Unglauben kommt die Erkenntnis. Doch am Ende wartet immer der Tod! Hörst du, Stanley? Hört ihr alle, ja, der Tod!«

Da zog sie plötzlich ein Messer hervor. Erschrocken wichen Stanley und die Bühnenarbeiter zurück.

»Ruthie, mach keinen Blödsinn, wir können doch darüber reden!« Langsam trat er auf sie zu, während er behutsam weitersprach. »Ist es wegen Kyra? Das war nur ein Versehen! Hör zu, in der Garderobe war es dunkel, da kann so etwas schon mal passieren …« Er versuchte ein Lächeln, doch sie schüttelte nur den Kopf.

»Sag den Menschen, ich habe gelebt!« Mit diesen Worten hob sie das Messer und stieß es sich mit aller Wucht in den Bauch.

Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Kein Laut war zu hören, keiner wagte, auch nur zu atmen. McPherson glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ganns Griff spannte sich fest um seine Hand. Auch die Leute auf der Bühne standen reglos, als hätte man sie in Statuen verwandelt, um Ruth Raison herum.

Diese senkte den Kopf und blickte an sich herunter. Wie ein Kleiderhaken ragte der Griff des Messers aus ihrem weißen Gewand. Ein roter Fleck bildete sich auf dem Stoff. Als sie den Kopf wieder hob und ins Publikum blickte, lag ein merkwürdig verklärtes Lächeln auf ihren Zügen. Schnaufend holte sie Luft, dann sagte sie in die gespenstische Stille des Theaters hinein: »Wer hätte gedacht, dass diese Frau noch so viel Blut in sich hat?«

Dann, noch ehe irgendwer die Gelegenheit hatte zu verstehen, was gerade passiert war, nahm sie Anlauf und sprang mit einem Satz mitten ins Publikum.

»Ich kann nur noch einmal sagen: Das ist nichts als ein dummer Zufall!«, flüsterte McPherson geistesabwesend.

Gann hielt einen Augenblick inne. Zwei Sanitäter hoben die Unglückliche gerade auf eine Trage und deckten sie zu. Gedankenverloren sah Gann ihnen bei ihrer grausigen Arbeit zu. Eben in der Pause hatte man noch darüber gesprochen, dass dieser Abend Ruth Raison berühmt machen würde. Noch so eine Prophezeiung, die etwas anders in Erfüllung gehen würde.

Ein helles Klimpern ertönte, als die Männer die Trage anhoben, fast so als trüge einer von ihnen ein Glöckchen ums Handgelenk. Wie eine obszöne Zeltstange steckte der Messergriff immer noch unter dem Tuch in dem Bauch der Schauspielerin. Als die Sanitäter an ihr vorbei kamen, war Gann, als würde sie einen seltsamen, sonderbar schweren Duft riechen.

 

 

2.

Alte Bekannte

 

Zwei Wochen nach diesem Vorfall im Theater hätte Graham McPherson das Erlebnis beinahe vergessen gehabt, hätten sich die Gazetten nicht mit der Penetranz von Aasgeiern auf die Geschichte gestürzt. Nachdem sie bereits lang und ausgiebig den Abend hatten Revue passieren lassen, wurden in den folgenden Tagen sämtliche Mitarbeiter des Theaters, angefangen bei Irving selbst bis hinunter zum kleinsten Bühnenarbeiter, zu den Ereignissen des Abends befragt. Zwar wusste niemand mit Bestimmtheit zu sagen, was oder wer in Ruth Raison gefahren war, doch zweifelte niemand daran, dass der Fluch des Macbeth für ihren Selbstmord verantwortlich war.

McPherson hatte für derlei Mutmaßungen nicht viel übrig. Obgleich er die arme Schauspielerin durchaus für ihr tragisches Ende bedauerte, gehörte er doch nicht zu denen, die diese Geschichte gewinnbringend für sich zu verkaufen wussten. Er betrachtete sich als Mann des Fortschritts und der Wissenschaft.

An jenem Abend, zwei Wochen nach ihrem Theaterbesuch, wollte er sich gerade an die Lektüre eines Reiseberichtes des deutschen Autors Karl May begeben, als es an der Tür läutete. Mit halbem Ohr vernahm er, dass sich neben Miss Lang auch Gann bereits auf den Weg gemacht hatte, dem späten Gast zu öffnen. Sie empfingen kaum Besucher und wenn, dann spätestens zum Dinner. Ein Blick auf die Salonuhr verriet ihm jedoch, dass es bereits kurz vor elf Uhr war. Stirnrunzelnd setzte er seine Teetasse an die Lippen. Im Geiste ging er die Namen durch, denen er einen derart späten Besuch zutraute, fand jedoch niemanden, der sich hierzu erdreistet hätte.

Als Gann schließlich die Türe öffnete und ihm seinen späten Gast ankündigte, verschluckte er sich an seinem Earl Grey. Hustend beugte er sich vor, um seinen höchst unerwarteten Besucher genauer in Augenschein zu nehmen.

In seinem Pyjama, der nass und viel zu groß an ihm herunterbaumelte, wirkte St.John-Smythe gar noch dürrer, als er ihn in Erinnerung hatte. Sein Gesicht war eingefallen, die Haut war blassblau. Seine ehemals stechenden Habichtsaugen blickten trüb und übernächtigt. Zu allem Überfluss hatte er sich eine kleine Schelle an das rechte Fußgelenk gebunden.

»Nehmen Sie es mir nicht übel, St.John-Smythe, aber Sie sehen furchtbar aus. Außerdem ist Ihre Garderobe etwas … ungewöhnlich«, bemerkte er, indem er aufstand und dem hageren Mann einen Sessel vor dem Kamin anbot. »Aber bitte, nehmen Sie doch Platz!«

»Danke«, hauchte sein Gast erschöpft.

Zuerst dachte McPherson, man hätte ihn buchstäblich bis aufs letzte Hemd ausgeraubt, war schon drauf und dran, die Polizei rufen zu lassen, doch hob St.John-Smythe gleich insistierend die Hand. »Bitte. Keine Polizei. Das Anliegen, das mich zu Ihnen führt, ist nichts, womit sich Scotland Yard beschäftigen würde.« Das machte McPherson neugierig. Er zog einen zweiten Sessel heran und nahm darauf Platz.

»Wäre es möglich, mit Ihnen unter vier Augen zu reden?« St.John-Smythe warf einen Blick in Richtung Gann, die sich hinter dem Sessel ihres Mannes aufgebaut hatte und schon ansetzte, vehement zu protestieren.

McPherson schaute sie entschuldigend an, woraufhin sie wütend die Luft einsog und den Raum verließ. Sie sahen ihr nach, bis sie die schwere Salontür hinter sich zugeworfen hatte. Natürlich war sich McPherson darüber im Klaren, dass sie hinter der Tür lauschen würde. Er wollte es ihr nicht verdenken.

»Also, ich höre«, hob er an, während er seinem Gast eine Teetasse anbot. »Was führt Sie ausgerechnet zu mir? Ich meine, mit Verlaub, wir sind nicht die besten Freunde.«

St.John-Smythe griff gierig nach dem Getränk und leerte es in einem Zug. »Und eben das ist der Punkt, McPherson. Bei Ihnen kann ich mir sicher sein, dass Sie mir zuhören, ohne mich zu bemitleiden oder sich über mich vor den anderen Gentlemen lustig zu machen. Und selbst wenn, dann würden sie Ihren Spott auf unser schlechtes Verhältnis schieben und denken, Sie wollen mir abermals übel mitspielen.«

McPherson räusperte sich. »Abermals?«

St.John-Smythe schien dies zu überhören und fuhr einfach fort, wobei seine Stimme einen flüsternden Tonfall annahm: »Nun, mein Auskommen und meine gesellschaftliche Position erlauben es mir, mein Leben der Erforschung des Paranormalen zu widmen.«

»Ich erinnere mich düster an Ihren Spleen.«

»Oh, es ist weit mehr als ein Spleen, das versichere ich Ihnen.«

McPherson zog eine Augenbraue hoch. »Poltergeister mit Rasselketten oder wehklagende Frauen in Schwarz oder Weiß, je nachdem, wie das entsprechende Zimmer tapeziert ist? Ich halte mich lieber weiterhin an das Nachweisbare und Echte. Die Wissenschaft hat im Gegensatz zum Aberglauben den Vorteil, dass sie auch dann funktioniert, wenn man nicht an sie glaubt.«

St.John-Smythe schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich kannte einmal jemanden, der genauso vernagelt war wie Sie. Auch er war der Meinung, mit seinem Fortschrittsglauben und Zynismus die Welt besser zu verstehen, als all die weisen Männer und Frauen in den Jahrhunderten vor ihm.«

»Wirklich? Ich hätte nicht gedacht, dass es in Ihrem Bekanntenkreis noch vernünftige Menschen gibt. Stellen Sie mich diesem Gentleman doch bei Gelegenheit einmal vor, St.John-Smythe.«

»Er hat teures Lehrgeld für seinen Spott zahlen müssen, McPherson. Insofern ich das sagen kann, hat es wohl kein gutes Ende für ihn genommen.«

»Bedauerlich.« McPherson zog ein braunes Fläschchen aus seiner Westentasche und drehte es auf. »Nichtsdestotrotz scheinen mir viele dieser angeblichen Phänomene mehr mit Scharlatanerie als dem Übersinnlichen zu tun zu haben. Schabernack, mit dem den Kleingeistigen ein Schrecken eingejagt werden soll.« Ohne hinzuschauen träufelte er genau 17 Tropfen aus der Flasche auf einen Löffel und steckte ihn in den Mund, eine Geste, die er inzwischen im Schlaf beherrschte.

»Ich rede nicht von so etwas«, sagte St.John-Smythe abfällig. »Ich meine Erscheinungen, die nicht erklärbar, allerdings dennoch nachweisbar und real sind.«

»Sie wollen mich hochnehmen, richtig? Ich weiß, dass das gerade ein furchtbares Modethema in den Salons ist. Überall in London wimmelt es nur so von Séancen, Medien und Geistererscheinungen. Heute muss es schon ein Vampyr sein, oder der Homunkulus eines verrückten Wissenschaftlers, aber mindestens eine verfluchte Mörderbestie.« Der bittere Geschmack des Medikaments breitete sich auf seiner Zunge aus. Er setzte seine Teetasse an die Lippen, um ihn hinunterzuspülen.

»Lassen Sie mich meine Geschichte erzählen. Wenn Sie dann noch immer denken, ich will Sie hochnehmen, dann werde ich gerne wieder gehen.«

McPherson nickte. »Na gut. Erzählen Sie.«

»Es ging um einen Wettstreit.«

»Sie haben in letzter Zeit kein gutes Händchen für Wetten.« Das wollte McPherson sagen, biss sich jedoch noch rechtzeitig auf die Zunge.

»Und worum ging es in Ihrer …«, er malte mit seinen Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Wette?«

St.John-Smythe hustete trocken auf. »Es ging darum, einen Geist zu beschwören.«

»Einen … Geist?«

»Ja, verflucht. Einen Geist. Halten Sie mich nicht für einfältig, McPherson. Ich weiß sehr wohl, dass es in meinem Interessengebiet vor Scharlatanen nur so wimmelt. Viele dieser sogenannten Pseudomedien mit all ihren Zirkeln und Sekten sind keinen Deut besser als Sie mit Ihrer inszenierten Mondreise.«