CHRISTOPH HANZIG

ZWISCHEN
VERWAHRUNG„ ASOZIALER“ UND
BEURTEILUNG „SCHWACHSINNIGER“

DIE LANDESANSTALT BRÄUNSDORF
1933-1945

FREIBERGER ZEITZEUGNIS SONDERHEFT 2019

VORWORT

Vor sechs Jahren begann ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit mit der sächsischen Landesanstalt Bräunsdorf bei Freiberg zu beschäftigen. Ausgangspunkt waren Gespräche in der Arbeitsgruppe des Gedenkbuchprojekts für die sächsischen Opfer der NS-„Euthanasie“ unter Leitung von Dr. Boris Böhm. Im Gegensatz zu den anderen Landesanstalten war die Funktion der Bräunsdorfer Anstalt im Nationalsozialismus kaum erforscht. Daher übernahm ich die Aufgabe, die Vorgänge in der Anstalt zwischen 1933 und 1945, gerade im Hinblick auf rassenhygienische Maßnahmen und mögliche Verwicklungen in die Euthanasiemorde in Sachsen, zu untersuchen. Mit diesem Untersuchungsschwerpunkt wurde die Arbeit mit dem Titel „Rassenhygiene und ‚Euthanasie‘ im Nationalsozialismus am Beispiel der Landesanstalt Bräunsdorf“ als Masterarbeit an der Technischen Universität Dresden angenommen. Betreut wurde die Arbeit von Dr. phil. habil. Sonja Koch und Dr. phil. habil. Manfred Nebelin. Wie die meisten Bachelor- und Masterarbeiten verschwand auch meine danach erstmal in der Schublade.

Dann nahmen vor einem Jahr Dr. Uta Rensch und Daniel Großmann vom Verein Freiberger Zeitzeugnis e.V. Kontakt zu mir auf. Sie waren an einem Vortrag zum Thema interessiert und boten auch eine Veröffentlichung meiner Masterarbeit im Rahmen der Vereinspublikationen an. Für diese Möglichkeit danke ich dem Verein und besonders Daniel Großmann und Dr. Uta Rensch. Weiterhin bedanke ich mich bei Anna Monika Engel, die die redaktionelle Druckvorbereitung umsichtig besorgte und Dr. Michael Düsing, der das Manuskript durchgesehen hat. Bei meiner Tochter und meiner Frau möchte ich mich gleichzeitig bedanken und entschuldigen, dass sie mal wieder zeitlich zurückstecken mussten. Nicht zuletzt danke ich auch meinem Opa, ohne den ich vielleicht nie Historiker geworden wäre.

Für den hier abgedruckten Text bearbeitete ich die Arbeit im Sinne eines breiteren Publikums. Das heißt, dass ich Teile des Textes, die zwar für eine wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit notwendig, aber für ein interessiertes Publikum irrelevant sind, wie z.B. die Darstellung des Forschungsstandes und die Ideengeschichte der „Rassenhygiene“ entfernt bzw. gekürzt habe. Außerdem formulierte ich die Einleitung um und arbeitete einige neuere Ergebnisse meiner Forschungsarbeit in den Text ein, bei der, zumindest am Rande, auch die Landesanstalt Bräunsdorf eine Rolle spielte.

Dresden, im August 2019

Christoph Hanzig

INHALT

EINLEITUNG

IDEENGESCHICHTE

1. Anfänge der Eugenik im 19. Jahrhundert

2. Etablierung der Rassenhygiene im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik

3. Rassenhygiene im Nationalsozialismus

II. DIE LANDESANSTALT BRÄUNSDORF IM NATIONALSOZIALISMUS

1. Erste Veränderungen im Jahr 1933

1.1 Wechsel in der Anstaltsdirektion

1.2 Der Neuanfang als Korrektionsanstalt

2. Die Landesanstalt Bräunsdorf bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs

2.1 Die Funktion der Anstalt

2.2 Das Personal

2.3 Die Belegung der Anstalt

2.4 Die Ernährungssituation

2.5 Zwangssterilisationen

2.6 Kampf gegen den Alkoholmissbrauch

3. Die Landesanstalt in den Kriegsjahren

3.1 Veränderte Voraussetzungen für die Korrektionsanstalt

3.2 Die Meldung der Insassen im Krieg

3.3 „Die Abteilung für schwachsinnige bildungsfähige Kinder und Jugendliche“

3.4 Die Außenabteilung Bräunsdorf der Heil- und Pflegeanstalt Hochweitzschen

3.5 Aufnahme von Umquartierten im Februar und März 1945

3.6 Das Sterben in der Anstalt

3.7 Das Kriegsende in der Anstalt

SCHLUSS

ABBILDUNGEN

ANMERKUNGEN UND QUELLEN

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Im Jahre 1824 wurde auf dem ehemaligen Rittergut in Bräunsdorf eine Landeswaisenanstalt gegründet, die bereits 1832 in eine „Erziehungs- und Korrektionsanstalt für Kinder“ umgewandelt wurde.1 Trotz einiger Veränderungen blieb Bräunsdorf bis 1933 eine Anstalt ausschließlich für Kinder und Jugendliche. Erst 1933 wurden erstmals Erwachsene hier untergebracht und in diesem Zuge die Anstalt in die „Landeskorrektionsanstalt Bräunsdorf“ umgewandelt. Dies blieb sie in der gesamten Zeit des Nationalsozialismus. In Sachsen war sie die einzige Anstalt ihrer Art und dementsprechend war die Zusammensetzung der untergebrachten Personen sehr heterogen und nur schwer mit anderen zu vergleichen. Dennoch wurde die Rolle von Bräunsdorf in der sächsischen Psychiatrielandschaft im Nationalsozialismus bis heute wenig beachtet.

In der folgenden Arbeit werden die Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945 in der Landesanstalt Bräunsdorf bei Freiberg erstmals beleuchtet. Dazu erfolgt eine institutionsgeschichtliche Beschreibung der Landesanstalt in Bräunsdorf mit ihren verschiedenen Funktionen in der Zeit des Nationalsozialismus. Zuvor soll eine kurze ideengeschichtliche Herleitung der Eugenik- und Euthanasiediskussion erfolgen. Diese wurden eben nicht zuerst von den Nationalsozialisten initiiert, sondern hatten weiter zurückliegende Wurzeln. Da für das Verständnis der NS-„Euthanasie“ diese Vorgeschichte entscheidend ist, wird zunächst ein Abriss über den Beginn und Verlauf des biologistischen Denkens seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik gegeben. Danach werden die Grundzüge der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik skizziert, wobei das besondere Augenmerk auf den rassenhygienischen Maßnahmen nach dem 30. Januar 1933 und den Euthanasieverbrechen ab 1939 liegen soll.

Im Fokus der Arbeit steht die Landesanstalt Bräunsdorf zwischen 1933 und 1945. Es werden zunächst Veränderungen in der Anstalt beschrieben, die sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ereigneten. Außerdem werden die Folgen der rassenhygienischen Maßnahmen in der Anstalt aufgezeigt. Darüber hinaus werden Fragen nach dem Anstaltsalltag, der Zusammensetzung der Anstaltsbewohner und des Personals behandelt sowie die Verwicklung der Anstalt und des Personals in die nationalsozialistischen Verbrechen betrachtet, die zum Gesamtkontext der NS-„Euthanasie“ gehören.

Allgemein fällt in der breiten Literatur zum Nationalsozialismus auf, dass Studien zu Arbeitshäusern oder Korrektionsanstalten selten sind. Ein Grund dafür ist, dass die von den Nationalsozialisten als „asozial“ stigmatisierten Frauen und Männer zu den „vergessenen Opfern“ dieser Zeit gehören. Zu den wenigen Historikern, die sich intensiver mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt haben, gehört Wolfgang Ayaß.2 Wegen der kaum vorhandenen Arbeiten zu ähnlichen Anstalten, wird eine vergleichende Perspektive der Landesanstalt Bräunsdorf zu anderen Arbeitshäusern oder Korrektionsanstalten nur am Rande dieser Arbeit vorgenommen.

Die Akten der Landesanstalt Bräunsdorf befinden sich im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden und umfassen den kompletten Zeitraum des Bestehens der Landesanstalt Bräunsdorf und die unterschiedlichen Funktionen der Anstalt. Für die Zeit des Nationalsozialismus stehen verschiedenste Verwaltungsakten, sowie wenige einzelne Personalakten zur Verfügung. Das größte Quellenproblem ist, dass die Akten der Insassen komplett fehlen. Deswegen lassen sich konkrete Aussagen zu den Insassen (u.a. Dauer des Aufenthalt, Grund des Aufenthalts, soziale Zusammensetzung) nur schwer treffen. Durch die vorhandenen Akten der verstorbenen Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, kann zumindest ein kleiner Einblick in das Leben von Bräunsdorfer Insassen gewonnen werden, die später eben in Großschweidnitz untergebracht wurden. Es bleibt aber nur ein Ausschnitt der verschiedenen Personengruppen, die in der Anstalt zwischen 1933 und 1945 untergebracht wurden. Weiterhin ist es durch das Fehlen eines gesamten Zugangs- und Abgangsverzeichnisses der Patienten und Insassen schwierig, einen Gesamtüberblick über die Verlegungen und Wege der Personen zu erhalten. Anhand einzelner Verlegungslisten konnten aber zumindest einige Namen und damit die weiteren Schicksale der Personen geklärt werden.

Trotz der teilweise schwierigen Quellenlage soll im Folgenden auf Basis der bestehenden Quellenlage ein Überblick über die Geschichte der Landesanstalt Bräunsdorf im Nationalsozialismus gegeben werden, ohne dass die Forschungsmöglichkeiten damit erschöpft wären.