ELISABETH WATERFELD

Séance

der Nacht

PROLOG

Es war Blut im Holz?“ Er nahm einen kräftigen Schluck seines besten Jahrgangs und der junge Handwerker wunderte sich, warum sein Bekannter hier so laut sprach, dass sich alle anderen Gäste des Lokals zu ihm umdrehten. Simón Kerensky hatte in den Räumlichkeiten des Winzers auf gut verarbeitete Hölzer geachtet und sich gefreut, dass sein Auftraggeber ihn heute eingeladen hatte. Kerensky war außer sich gewesen und sein Auftraggeber hatte ihm einen kameradschaftlichen Hieb verpasst, sodass er sich kaum vor dieser Einkehr verweigern konnte. Nach einiger Zeit der Unruhe begann er seinen Bericht, wechselte zwischen Bier und Wein und war so aufgebracht, dass sich seine Zunge überschlug.

Simón Kerensky war auf dem Weg, sich so weit wie möglich von dem Erlebten zu distanzieren, aber es gelang ihm nur wenig:

„Man kann es nicht beschreiben, mittlerweile haben sich die Wogen ja schon geglättet. Wir konnten alles klären.“ Simón überlegte, bestellte noch einen Burgunder, einen schlechten, starken, den der Wirt ihm voller Freude eingoss.

„Und die Alte hatte eine Schwester, die sie verschwiegen hat? Das kommt vor, mein Bruder ist der größte Kretin auf Erden, den kann man kaum vorzeigen, sage ich Dir.“ Wieder drehten sich einige Gäste zu ihnen um, der Wirt sah in eine andere Richtung, aber es war ihm nicht zu verdenken, dass er diese Geschichte mithörte, die Simón dieser Tage so tatsächlich in Straßbourg an der deutschen Grenze erlebt hatte.

Der Tischlerbetrieb war erfolgreich und seine Firma warf Einiges ab. Überhaupt schien seine Branche zu florieren. Die Kunden der Tischlerei forderten gehobene Inneneinrichtungen und die Firma „Kerensky & Sohn“ konnte liefern.

Simón dachte gern an die feinen Mosaiken, die er in den Villen von Paris eigenhändig verlegt oder liebevoll aufgearbeitet hatte und er dachte an seine Arbeit, die oft sehr anstrengend war. Sie brachte ihm einen guten Kontakt zu den Kunden und die Freude an der Gestaltung mit Holz. Wäre da nicht dieser neue Auftrag gewesen. Simón war kein Mensch, dem das Privatleben der Kunden, die er besuchte, etwas ausmachte. Schon oft hatte er schöne Damen in Unterwäsche bewundert, während er seine Böden schliff, aber diesmal war es anders. Es war ein Großauftrag und es war ein altes Gebäude.

„Also mein Junge, mit Dir würd´ ich mal gern tauschen!“ Allgemeines Gelächter mischte sich in die Geschichte, der die Gäste des Bistros jetzt aufmerksam lauschten. Einer parierte mit einer flotten Bemerkung, ehe er sein Glas hob.

Der junge Handwerker ließ sich aber in seinem Bericht nicht beirren: Simón Kerenskys Vater hatte den Betrieb in dritter Generation weitergeführt, war aber längst verstorben, sodass der Zusatz „& Sohn“ eigentlich hinfällig geworden war. Von Zeit zu Zeit arbeitete der junge Tischler gemeinsam mit einem Mitarbeiter zusammen. Als Perfektionist machte er aber viele Arbeiten mit großer Akribie allein.

Es ehrte ihn, dass er diesen neuen Auftrag bekommen hatte. Das kleine Schloss von Warnberg bei Straßbourg kannte er von früher, wusste, dass die deutsche Familie von Warnberg noch dort lebte und dass sie sehr abgeschieden von der Außenwelt war. Große Auftritte in der Öffentlichkeit hatte man nie von ihnen gesehen, sodass sich Simón zunächst gefreut hatte.

Oft waren die Menschen, die das Rampenlicht und ihre guten Namen liebten, als Kunden besonders anspruchsvoll und schwierig. Er interessierte sich für den Auftrag und hatte kurzfristig das Erstgespräch angenommen. So war er frohen Mutes durch ein großes schmiedeeisernes Tor die lange Auffahrt hochgefahren und hatte sein Auto unter einer Allee von Eichen geparkt, die sicher älter als zweihundert Jahre sein mochten. Ein eindrucksvolles Schloss, das großer Pflege und Aufmerksamkeit bedurfte.

Das Anwesen war in seiner Größe nicht besonders ausladend. Die Fassade mit ihrem besonderen Türkiston und den Arabesken an den Fenstern war schon lange nur von weitem in Simóns Gedächtnis gewesen und er staunte, dass er nun wirklich vor dem großen Eingang stand, den er schon als Kind nur aus weiter Ferne gesehen hatte, wenn er mit seinen Eltern lange Ausflüge unternommen hatte. Als er den vornehmen Türknauf betätigte, geschah allerdings nichts.

„Hallo? Ist da jemand? Firma Kerensky!“ Auch nach lautem Rufen war niemand zu sehen oder zu hören. Simón sah sich um. Er hasste es, wenn seine Kunden die Termine vergaßen oder er einfach vor verschlossener Tür stand.

„Verstehst Du, ich wollte diesen Auftrag auf keinen Fall verlieren.“ Sein Gegenüber lächelte milde.

Nach einigem Klingeln beschloss Simón, im Garten nach einem Ansprechpartner zu suchen. In so einem großen Haus gab es sicher Personal, das ihm Auskunft geben konnte.

Das Wetter war plötzlich rauer geworden und nun, als er an der bunten Fassade entlangging, fühlte er die Kälte noch stärker. Er zog seine Jacke fester zu und schritt über den weißen Kiesweg in den Garten. Simón erinnerte sich wieder und blickte nun durch das nicht gerade strahlende Fenster des Bistros und erzählte dann:

„Eine beeindruckende Landschaft: Der vordere Teil war parkähnlich angelegt. Die Bewohner und Gäste mochten hier bei schönem Wetter ausgiebig flanieren zwischen Blumen in den schönsten Farben, die wahrscheinlich aufwändig gepflegt wurden. Sie waren so hergerichtet, dass sie wie auch der Rest des Hauses zwar freundlich, aber nicht aufdringlich oder unpassend wirkten. Der Garten setzte sich gen Horizont weiter fort.“

Hier sah Simón Felder, Bäume und Sträucher und er hatte das Gefühl, dass es einen nahtlosen Übergang zwischen dem gepflegten vorderen Teil und dem Wildwuchs gab, welcher der Natur überlassen worden war.

Es hatte nur einen kurzen Moment gedauert, aber er hatte es wahrgenommen. Solche Dinge waren nicht seine Sache, aber für die Dauer von weniger als einer Sekunde hatte eben eine Person dort gestanden - eine Frau in dem verwilderten Teil des Gartens vor dem Horizont. Eine Frau, kaum zu sagen, wie alt sie war, eher alterslos und Simón hatte das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, denn schon nach dem nächsten Augenzwinkern war die Gestalt wieder verschwunden. Noch einen Moment sah er in Richtung der Büsche, überlegte kurz und schob die Erscheinung auf den Stress der letzten Tage. So drehte er sich um, horchte und achtete auf das Rascheln unter seinen Füßen, das vom Kies verursacht wurde. Er zog es vor, sich nicht zu lange auf dem fremden Grundstück aufzuhalten und machte sich eilig auf den Rückweg. Es war ohnehin eine schlechte Idee gewesen, den Garten eines fremden Grundstückes einfach so zu betreten, wenn weit und breit keine Besitzer in der Nähe waren.

„Geister, meinst Du?“ Leise flüsterte ihm sein Auftraggeber zu. Er konnte es kaum glauben, allerdings war hier schon so einiges passiert, da kam es auf eine weiße Frau mehr oder weniger nicht an. In alten Schlössern gehörte dies sozusagen zum guten Ton.

Simón wirkte verunsichert. Er schien nicht so sehr an das zu glauben, was er gesehen hatte. Trotzdem ließ ihn die Geschichte nicht los und er schilderte die Begegnung mit der Hausherrin:

„Oh, da sind Sie ja, kommen Sie doch bitte herein!“, flötete die Stimme einer jungen Frau, die im Rahmen des großen Eingangsportales stand.

„Schön, dass Sie gekommen sind.“ Ihr Französisch war deutlich hörbar streng, so wie er sich den deutschen Akzent vorgestellt hatte. Französisch konnte nicht ihre Muttersprache sein.

„Äh, entschuldigen Sie, ich hatte es hinten schon versucht. Da war auch eine Frau, aber dann …“

„Eine Frau? Hier kommen viele Spaziergänger vorbei. Es ist eine schöne Gegend hier. Man kann die Seele baumeln lassen.“ Simón beschloss, die Klärung dieser Geschichte vorerst ruhen zu lassen und war gespannt, wie sie nun weiterging.

Die Frau im Eingang war schön: Sie hatte feuerrote Haare und Augen, die grün funkelten wie Smaragde. Als sich ihr Glanz im Licht der historischen Lampen brach, sah sie einfach umwerfend aus. Nicht unbedingt ihre Schönheit war es, die ihn so verzauberte, vielmehr ihre aristokratische Haltung, ihr ganzes Wesen, das von Diskretion und Würde zeugte. Simón war bereit, ihr auf der Stelle in das Haus zu folgen. Eine wundervolle Frau.

„Ja, wissen Sie. Es ist ein Schaden entstanden, den wir leider nicht mehr selbst beheben konnten. Wir möchten Sie bitten, das Parkett zunächst in Gänze zu restaurieren.“

Die Hausherrin, die sich als Felicitas von Warnberg vorgestellt hatte, hätte Simón in diesem Moment auch um eine lebensbedrohliche Operation bitten können. Er hätte alles getan. Wie sie so zielstrebig und gewandt durch die Räume ging mit großen, gekonnten Schritten, barg sie die Note einer Adligen in sich, der kein Normalsterblicher wie er das Wasser reichen konnte. Er stolperte wie magisch angezogen hinter ihr her, hatte das Gefühl, ihr nicht über die weiten Flure folgen zu können und warf nur ab und zu verstohlene Blicke auf den so gut wie tadellosen Zustand des Parketts, das edel mit unterschiedlichen Hölzern und Einlegearbeiten gestaltet worden war.

„Aber das ist doch alles in Ordnung. Ich meine, hier gibt es doch eigentlich gar nichts zu -“

„Sie mögen denken, dass es gut ist. Wir haben jedoch ein Interesse daran, dieses Andenken zu pflegen und das Denkmal zu erhalten. Außerdem gibt es da noch einen Schaden, der oberste Priorität hat.“

„Und wo …?“ Simón stotterte weiter, sah nun ganze Ahnentafeln, deren Gesichter streng auf ihn niederblickten. Sie gingen weiter durch eine längere Galerie, in der Statuen aus der griechischen Mythologie standen. Amor und Psyche, Daphne und Apollon.

„Sie wurde zu einem Baum.“ Simón hatte es leise vor sich hin gesagt.

„Sie kennen sich mit den Sagen aus?“ Sie hatte nicht damit gerechnet. Wahrscheinlich hatte sie ihr Gegenüber unterschätzt. Ihre Stimme hallte durch den langen Flur.

„Nur mit Holz. Daphne ist zu einem Lorbeerbaum geworden.“

„Ja, aus Furcht vor Apollon. Er liebte sie, aber sie wollte ihn nicht.“

Ein leises Lächeln war auf Madame de Warnbergs Gesicht zu lesen und Simón war geneigt, sich darin zu verlieren.

„Die Frau da draußen. Ist das Ihre Schwester?“ Der Tischler sprach seine Vermutung aus. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Frauen war verblüffend. Obwohl er die andere Frau im Garten nur aus weiter Ferne gesehen hatte, erkannte er ihre Gesichtszüge wieder.

„Sie sah Ihnen ähnlich, doch bestimmt -“

„Sie müssen sich irren. So, ich zeige Ihnen das Malheur, kommen Sie. Wir müssen noch ein wenig weitergehen.“

„Eine wirkliche Grande Dame! Und wie weiter?“ Simón sah sich um. Nun wollte auch das restliche Bistro wissen, um welches pikante Malheur es sich handelte.

Er stellte es sich vor und erzählte.

„Am Ende des Ganges befand sich eine Tapetentür. Ich kenne diese Türen. Das Personal schlüpft eilig durch die versteckten Pforten und Hausherren haben die Gelegenheit, vor unliebsamen Gästen zu flüchten. Die Tapete war in einem prachtvollen karmesinfarbenem Samt gehalten. Wahrscheinlich war der Stoff erst kürzlich aufgearbeitet worden.

Als die Frau die Tür öffnete, erschloss sich mir ein achteckiger Raum mit facettierten Fenstern, die mit Buntglas verziert waren. So war das Licht irisierend und warf nur Schemen auf einen großen runden Holztisch, dessen prachtvolle Intarsien nur noch zu erahnen waren. Eingelassen war der Holztisch in den Boden, aus dem er wie ein Baum gewachsen war. Darum gruppierte sich eine Sitzgelegenheit von acht Stühlen, jeweils in den Farben der Buntglasscheiben gehalten.

Alles in allem ein beeindruckendes Ensemble, wäre da nicht der Fleck gewesen. Voller Staunen ging ich auf den Tisch zu. Seine Oberfläche war wie ein Rad gestaltet, in dem sich Szenen aus dem Alltag der Menschen der vorigen Jahrhunderte spiegelten. Ich sah Alpha und Omega, Himmel und Hölle. Die Oberfläche war beschädigt, ja.“

„Sie sehen ja, der Schaden müsste behoben werden,“ sagte sie. Felicitas von Warnberg wirkte jetzt ungeduldig, geradezu aggressiv, als wollte sie, dass ich verschwand, ohne dass ich meine Arbeit erledigt hätte.

„Ich muss wissen, was diesen Flecken verursacht hat.“

„Warum? Das weiß ich nicht.“ Ihre Augen glühten jetzt hell im Licht der bunten Fenster.

„Wissen Sie, mich geht es nichts an, aber wenn ich weiß, welchen Flecken ich vor mir habe, weiß ich auch, wie ich ihn beheben kann. So dunkel, wie er aussieht, könnte es vielleicht -“

„Rotwein!“ platzte es aus ihr heraus. Sie wirkte alarmiert.

„Rotwein, sind Sie da sicher? Wein hat ganz andere Eigenschaften, wenn er im Holz eintrocknet. Äh, okay, ich will sehen, was sich machen lässt.“

„Schön, das würde mich freuen. Dieses Zimmer ist meiner Familie besonders wichtig gewesen und wir wünschen uns den einwandfreien Zustand, den wir vor dem, ach, kommen Sie, ich begleite Sie zur Tür.“

So schnell Felicitas von Warnberg den jungen Tischler durch die vielen Räume geleitet hatte, so schnell glaubte er, wieder in die Nähe des Eingangsportales zu kommen. In der Zwischenzeit war es draußen dunkel geworden und ein Sturm schien sich zusammenzubrauen.

Hier im Bistro war es ruhig, nahezu wohlig, draußen stand noch die Sonne und das Licht hatte etwas Tröstliches an sich. Die Erinnerung unterschied sich nun deutlich von der Geborgenheit, die hier herrschte:

„Aber- “ Plötzlich erstarrte Simón für die Dauer eines Augenblicks und musste stehenbleiben. In einer Nische unweit des Hauptportales hing ein Foto, eines von vielen, nur klein, aber deutlich für ihn zu sehen.

„Das …“ Es war die Frau aus dem verwilderten Garten, die Simón wiedererkannt hatte. Ihre Gesichtszüge strahlten ihm lachend entgegen und dem Zustand des Bildes nach zu urteilen, war es nicht in jüngster Zeit aufgenommen worden.

„Das ist die Frau!“ Zitternd und wie unter Schock zeigte Simón mit weit aufgerissenen Augen auf das Bild und forderte eine Antwort.

„Herr Kerensky, hier geht es doch vor allem um Ihren Auftrag, meine Familiengeschichte ist für den Schaden eher zweitrangig. Hier hängen außerdem viele Gemälde, die wir käuflich erworben haben. Mein Großvater war Kunstsammler und hat regelmäßig Führungen in diesem Haus durchgeführt.“

Ungläubig stolperte Simón die große Treppe hinunter und ließ sich als Verabschiedung nur zu einem kurzen „Bis bald!“ hinreißen und ging in die dunkle Nacht hinaus.

„Der Sturm hatte an Stärke zugenommen, Blitze schossen wild vom Himmel herab. Ich fuhr so schnell ich konnte zu Martin, um noch einen vernünftigen Menschen anzutreffen. Ich war heilfroh, als ich ihn endlich sah!“

„Na, alter Junge! Wie war´s im Schloss Schreckenstein?“

„Hör´ bloß auf. Es ist ein Großauftrag. Vielleicht müssen wir Lacroix´ Azubi noch dazu holen. Sie will, dass wir das ganze Parkett schleifen.“

Ein lauter Pfiff stieß durch Martins Zähne. Ein solcher Auftrag würde das Renommee der Firma enorm steigern. Er war gespannt auf Simóns Bericht.

„Ja, und? Aber irgendwie wirkst Du damit nicht ganz glücklich.“

„Das Holz ist kein Problem. Die Oberfläche ist fast überall einwandfrei. Da gibt es kaum was zu tun. Nur in einem Zimmer, da ist ein Fleck.“

„Flecken? Ach nee, nicht schon wieder die Urinbeutel vom örtlichen Pflegedienst.“ Martin rümpfte seine Nase.

„Nein, ich denke nicht, dunkler.“ Simóns Stimme war leiser geworden. Was er aussprechen wollte, zeichnete sich ahnungsvoll in Martins Gesicht ab.

„Bluuuut?“

Ein anderer Gast mischte sich dazwischen: „Mademoiselle musste bestimmt ein paar Erben um die Ecke bringen!“ Die Runde lachte. So mancher wusste von den merkwürdigen Geschichten, die es hier gegeben hatte. In Simóns Kopf hingegen kreisten die Gedanken. Wohin war die mysteriöse Frau verschwunden und woher war sie gekommen? Hatte sie tatsächlich Ähnlichkeit mit dem alten Foto, das Simón im Eingangsbereich gesehen hatte oder spielte seine Wahrnehmung ihm einen Streich? Eine junge Frau war es gewesen, aber vielleicht doch eine Verwandte? Die Frau auf dem Foto und die Erscheinung waren identisch, aber es mussten eigentlich Jahrzehnte zwischen ihnen liegen.

Alles an diesem Haus war sonderbar. Er hatte das Gefühl, seinen Sinnen nicht trauen zu können und so hatte er von Anfang an geglaubt, dass etwas nicht stimmte. Felicitas von Warnberg war schön und verheißungsvoll, aber auch von Geheimnissen umweht, die sich der junge Tischler in seinem Leben nie ausgemalt hätte. Es war kompliziert und er hoffte, dass alles ein gutes Ende nehmen würde.

Sein Auftraggeber klopfte ihm wieder auf die Schulter:

„Na, mein Junge, komm´ trink´ noch einen! Manchmal hilft es doch.“

Simón war froh, dass er in Gesellschaft war, aber er wollte sich auch endlich ausruhen. Die Sonne stand nun tiefer, er wollte mit der Dämmerung nach Hause gehen und sehnsuchtsvoll in seine Federn fallen. Er musste nachdenken. Martin hatte ihm von dem Auftrag abgeraten, aber trotzdem hatte er sich sofort in die wunderbaren Intarsien und nicht zuletzt in Frau von Warnberg selbst verliebt. Er beließ es zunächst dabei, lauschte den Geschichten der anderen und entspannte sich mit weiteren Gläsern des schweren Weins.

Es war merklich spät geworden, als sich die Runde der Gäste im Bistro aufzulösen begann, durch die schmierigen Fenster schien wohl eher der Mond als die Sonne und dem Wirt war es nur recht, sah man doch nicht mehr den Staub in allen Ecken. Sein Freund hatte sich längst verabschiedet und so war Simón noch geblieben. So stolperte er, mehr betrunken als nüchtern, endlich in die kühle Nacht hinaus. Der Asphalt raschelte leise unter seinen Sohlen und er genoss die frische Brise, die ihn jetzt wieder aufweckte. Bis nach Hause hatte er zum Glück keinen weiten Weg und er freute sich, noch ein paar Schritte laufen zu können.

Plötzlich sah er sie. Schon von weitem konnte er lange Strähnen erkennen, die der Wind fliegen ließ und die ein Gesicht umkränzten, das nicht gesund und bei näherem Hinsehen sicher nicht aus dem Diesseits war. Er sah das Gewand, ein Nachthemd mit Spitzenärmeln, das einer anderen Zeit entsprungen war und er stand unter Schock, sich fragend, ob er der Gestalt helfen oder vor ihr davon laufen sollte.

Es war sie. Ihre Haare waren zerzaust und blutig verschmiert. Im Gesicht und an den Händen hatte sie Dreck und Blut. Ihre Finger zitterten und ihr Mund war zu einem schwarzen Schlund geformt, lautlose Wörter formend, aber ihn deutlich ansprechend. Simón fühlte sich verloren, wollte rennen, aber seine Füße folgten seinem Willen nicht.

In der Dunkelheit nur Schemen, für einen ewigen Moment hatte sie dort gestanden auf der Straße, ehe der Schock durch seinen Körper gefahren und das Bild dieser Frau wieder verschwunden war.

Durchatmen. Es war sicher der Wein, dachte er noch, als er heilfroh zu Hause ankam.

EINS