Dieses Buch widme ich allen Menschen, die aus den Spendengeldern des Hilfswerks Schwester Emmanuelle gefördert werden.

Vom Autor ist im Verlag myMorawa bereits das Buch erschienen:

Augen haben gute Ohren. Bildhafte Predigten, ISBN: 978-3-99084-118-1 (Paperback), 978-3-99084-119-8 (Hardcover), 978-3-99084-120-4

(e-Book)

Hannes Biber

Kochschürze
trifft
Priesterkleid

Predigten frisch zubereitet

SPEISEKARTE

I. Adventpunsch & Weihnachtsmenü

Predigt einer Parkbank

Nikolaus

Langer Name

Windelduft

Menü Weiß-Rot

Hasen voller Liebe

Nussknacker

Dinner for One

Schwein gehabt

Bindemittel

II. Faschingskrapfen & Fastensuppe

Gute Unterhaltung

Jesus als Clown

Kichererbsen

Kompott

Zarteste Versuchung

Dauerparty

Gesegnete Mahlzeit

Hurra, Gott ist da

Nusskrone als Draufgabe

Esel Wanted

III. Osterpinze

Tierisch gut

Lachhaft

Schneckenpost

Unterwegs

Farbe bekennen

Rakete zum Mars

Gieß Wasser in die Suppe

Garniert mit Blumen

Lebensbaum

IV. Liebe geht durch den Magen

Mit Liebe gekocht

Druckkochtopf

Schöpft jetzt

Ausgeklammert

Abschmecken

ABC für ein Brautpaar

Kaffeetassen

Bitte zu Tisch

Früchtereich

V. Armenküche

Freunde unter den Armen

Geben-Nehmen-Regal

Virusgefahr

Nur für sich

Gern geben

Erdbeben Armut

Nichts herschenken

Zitronenpresse

Gäste verwöhnen

VI. Kinderteller

Zwei Wunschzettel

Drei Falten

Beruf erraten

Klingeling

Nachts im Kerzengeschäft

Traum von Schule

Obstkorb

Bibeldach

Uhr ohne Zeiger

VII. Maultaschen ohne Maulkorb

Na und?

Appetit auf Gebet

Babynahrung

Das Auge isst mit

Tischgespräche

Kartoffelpredigt

Karottentrick

Jammertal

Essensberge

Dessert aus dem Bibelgarten

Zum Geleit

„Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ – zumindest in unseren Breiten. In den Ländern ihres Wirkens hat Sr. Emmanuelle Hunger erfahren, nach Nahrung, nach Bildung. Um zu helfen, gründete sie Hilfsorganisationen in Europa.

Das Hilfswerk Sr. Emmanuelle Österreich hilft seit 40 Jahren den Müllsammlern in den Slums von Kairo. Damals lebten die Menschen in Hütten aus Blechtonnen im und vom Müll. Die Kindersterblichkeit war erschreckend hoch, es gab weder Gesundheitsvorsorge noch Schulen. Mädchen wurden im Alter von neun, zehn Jahren verheiratet. Durch unsere Hilfe hat sich das Bild geändert: Wir unterstützen Kinder durch Schulpatenschaften (Mokattam und Meadi Tora), finanzieren das Sozialzentrum (Kindergarten, Behindertenbetreuung, Alphabetisierung junger Mütter, Nähwerkstatt) und die Tagesklinik in Meadi Tora und helfen mit, dass Kinder, Jugendliche oder Familien ein paar Ferientage fernab vom Müll, in sauberer Umgebung, verbringen können.

Unser zweiter Schwerpunkt liegt im Südsudan: In dem durch Bürgerkrieg zerstörten Land mangelt es an allem: Stammeskämpfe verhinderten den Aufbau von Infrastruktur, kaum hatten Menschen begonnen, ihre Felder zu bestellen, wurden sie vertrieben. Der Klimawandel ist spürbar, Regen bleibt aus, ohne humanitäre Hilfe überleben die Menschen nicht. Wir unterstützen ein Ernährungszentrum für Kleinkinder in Lologo, in dem besonders gefährdete Kinder dreimal pro Woche nahrhaften Brei bekommen, der ihr Überleben sichert. Wir helfen beim Aufbau der Schule, bei der Berufsausbildung junger Erwachsener und durch Patenschaften für Straßenkinder. „Rettest du ein Kind, so rettest du eine ganze Generation.“ (Sr. Emmanuelle)

Ich wünsche dem neuen Buch von Hannes Biber viel Erfolg. Möge es den Hunger nach Spiritualität seiner Leser stillen!

Waltraud Liebich, Sprecherin des Hilfswerks Schwester Emmanuelle

Schulkinder aus Meadi Tora in Kairo nach dem Unterricht

Ernährungszentrum im Südsudan

Gruß aus der Predigtküche

Bevor Sie mit dem Kochen beginnen können, müssen Sie sich einen Menüplan zurechtlegen und danach die nötigen Zutaten besorgen. Für den Einkauf von Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, Milch, Eiern, Gewürzen und anderen Lebensmitteln können Sie entweder am Markt von Stand zu Stand pilgern oder gleich einen Supermarkt aufsuchen, der alles Gewünschte unter einem Dach anbietet.

Als Prediger würde ich mich dem Einkäufer der zweiten Variante zuordnen. Denn alle Zutaten für meine Predigtküche finde ich unter einem Dach vor – in der Bibel. Mit meinem imaginären Einkaufswagen rolle ich durch die Reihen der einzelnen biblischen Bücher und entnehme den Regalen genau jene Textstellen, die ich für meine Ansprache benötige. Das Wunderbare daran ist, dass ich gratis so viel Proviant mitnehmen kann, wie ich möchte. Da versperrt mir keine Kassa den Weg, die mir Geld abringen will. Nein, ich kann mich gratis bedienen, wie es in Jes 55,1 heißt: „Kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!“

Zum Abschmecken meines Predigtgerichts greife ich dann auch noch zu jenen Lebensmitteln, die in der Zeitung oder anderen Medien veröffentlicht werden oder die mir aus meinem Berufsalltag aus Gesprächen und Beobachtungen zufallen. Dann beginnt der Kochprozess. Vielleicht mag Sie das jetzt überraschen oder befremden, aber ich koche stets nach demselben Rezept, das da lautet, die Frohe Botschaft zu verkünden und jederzeit bereit zu sein, allen Rede und Antwort zu stehen, die nach der Hoffnung fragen, die mich erfüllt. (1 Petr 3,15)

Was die Gliederung dieses Buches betrifft, möchte ich Ihnen einige Hinweise mit auf den Weg geben. Alle sieben Kapitel tragen eine kulinarische Überschrift, die verrät, worum es gehen wird. Als Einstimmung auf das Kapitel lade ich Sie zu einer Fotomeditation mit selbst verfassten Texten ein. Nach der Überschrift finden Sie rechts die Bibelstelle, auf die ich mich beziehe, gelegentlich den Anlass der Ansprache und manchmal ein verwendetes Predigtsymbol. Auch wenn sich nicht jede Predigt ums Essen dreht, so hoffe ich doch, dass Ihnen das zubereitete Predigtwort schmeckt und Sie mit Appetit zum nächsten Gang im Menü weiterschreiten.

An dieser Stelle möchte ich jenen meinen Dank aussprechen, die dazu beigetragen haben, mein zweites Predigtbuch zu veröffentlichen. Das erste ist unter dem Titel „Augen haben gute Ohren. Bildhafte Predigten“ 2018 im gleichen Verlag erschienen. Meine besondere Zuneigung gilt dem Hilfswerk Schwester Emmanuelle, dem der Erlös dieses sowie meines letzten Buches zukommt. Projekte der Müllsammler in Kairo und auch der Menschen in Juba im Südsudan werden damit gefördert.

Jetzt aber wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, geschätzter Leser, einen guten Appetit. Lassen Sie es sich munden, wenn es heißt: Kochschürze trifft Priesterkleid.

Hannes Biber, Oktober 2019

I. Adventpunsch & Weihnachtsmenü

 

O Gott, einʼ Tau vom Himmel gieß,

im Tau herab, o Heiland, fließ.

Ihr Wolken, brecht und regnet aus

den König über Jakobs Haus.

(Friedrich Spee 16. Jh.)

Ja, kommʼ Herr, lass dich herab,

verlasse deinen Himmelsthron,

betritt irdischen Boden,

schmecke unser Leben.

Genieße, was froh macht,

durchleide den Schmerz,

werde einer von uns.

Zeig uns deinen Himmel,

das Tau,

die Verbindungsschnur zum Vater.

Gib uns die Hoffnung,

dass wir uns einst

aufschwingen

über die Wolken

in dein Reich.

Predigt einer Parkbank

„…weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lk 2,7)

Parkbank

Vorbemerkung: Während der Adventszeit steht vor dem Altar in der St. Leonhardkirche eine Parkbank mit der Aufschrift „Einer wird kommen“. Ich nutze die Gelegenheit, die Parkbank predigen zu lassen. Zur Einstimmung spielt die Orgel das bekannte Lied zur Herbergssuche „Wer klopfet an“.

P = Parkbank, S = Sprecher

P: Guten Morgen, liebe Mitfeiernde! Hallo, hier bin ich. Nein, nicht so hoch oben. Direkt vor Ihnen – ja, jetzt haben Sie mich gefunden. Genau! Ich bin es, eine ganz schlichte Parkbank. Ich möchte heute einmal das Wort ergreifen.

S: Heißt das etwa, du willst die Predigt halten? Ha, ha, ha! Ob du dich da mal nicht überschätzt – schließlich bist du nur eine ganz gewöhnliche Bank. Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. (streichelt zärtlich über die Bank) Aber was hast du uns schon Wichtiges zu sagen?

P: Ich habe mich deshalb entschlossen, zu predigen, weil es doch im Advent um Herbergssuche geht. Überall hört man das Lied „Wer klopfet an, oh zwei gar arme Leut’. Was wollt ihr dann? Wir suchen Herberg heut’!“

S: Hast du etwa Erfahrungen mit Herbergssuchenden?

P: Na klar, würde ich sonst den mühevollen Weg vom Park bis hierher auf mich nehmen, wenn ich nicht eine äußerst wichtige Botschaft für die Pfarrgemeinde hätte?

S: Wenn das so ist, dann bin ich einmal gespannt. Wir alle sind ganz Ohr. Meine Damen und Herren! Die Predigt einer Parkbank. (skeptischer Ton)

P: Liebe Adventsgemeinschaft! Ich bin eine Parkbank mit Erfahrung und Geschichte. Vor zwanzig Jahren hat mich ein Tischler zusammengeschraubt. Dann wurde ich in einen Grazer Park getragen. Aber dass einmal so viele Menschen bei mir Herberge suchen würden, hätte ich mir nie erträumt.

S: Als Sitzgelegenheit ist die Parkbank schließlich gemacht, nicht wahr? Ungenutzt möchtest du doch auch nicht bleiben.

P: Du hast Recht. Meine Bestimmung ist es, anderen Herberge zu geben. Doch wie ist das bei euch Menschen?

S: Jetzt bringst du mich in Verlegenheit. Wir Menschen sind nicht immer so gastfreundlich wie du. Gerade eben werden z.B. Wohnungen für Flüchtlingsfamilien aus Syrien gesucht. Aber viele berührt das nicht. Sie fühlen sich auch nicht angesprochen, wenn Spenden erbeten werden, damit die Flüchtlinge den Winter besser überstehen können.

P: Ich als Parkbank werde nicht gefragt, sondern die Leute nehmen einfach auf mir Platz, ob ich nun will, oder nicht.

S: Und, willst du?

P: Meistens schon. Denn ich finde es äußerst spannend, was ich von all meinen Besuchern schon erfahren habe. Das ist meine Berufung: als Parkbank für jene einen Rastplatz anzubieten, die müde, traurig oder orientierungslos sind.

S: Ich bin neugierig geworden. Gibt es Herbergssuchende, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

P: Klar gibt es die. Ich fange gleich mit Walter an. Walter hat kein Dach über dem Kopf. Ein Jahr lang war ich für ihn seine einzige Herberge. Tagsüber ist er auf mir gesessen, hat seine Bierdose auf mir abgestellt und oft geseufzt. Ich glaube, er war traurig, weil sein Leben einen solchen Lauf genommen hat, weil er sein Haus, seine Arbeit, seine Familie verloren hat. In der Nacht hat Walter dann einen großen Karton auf mich gelegt, sich eine warme Jacke angezogen und ich diente ihm als Liegestatt.

S: Liebe Parkbank! Deine Erzählung macht mich betroffen. Nun verstehe ich erst, dass du beim Thema Herbergssuche tatsächlich Erfahrung hast.

P: Sag ich ja! Nun höre weiter meine Geschichte! Kürzlich war ich Herberge für zwei Volksschüler. Auf dem Nachhauseweg haben sie bei mir Platz genommen. Zuerst tippte jeder auf seinem Smartphone herum. Dann hat der eine gesagt: „Bei mir zu Hause ist dicke Luft. Meine Eltern streiten nur. Ich mag gar nicht heimgehen.“ Der andere hat zugehört und dann seinem Freund geantwortet: „Kannst immer zu mir kommen. Wir können gemeinsam PlayStation spielen.“

S: Ich habe den Eindruck, dieser eine Schüler hat auch Herberge gesucht – eine Familie, in der Frieden herrscht und ihm Geborgenheit geschenkt wird.

P: Ich sehe es genauso. Besonders genieße ich es, wenn sich Liebespaare auf mir niederlassen. Die kuscheln dann miteinander, tuscheln und lachen. Das kitzelt mich richtig und ich würde dann am liebsten mitlachen. Da sage ich mir: Die beiden haben beieinander Herberge gefunden. Wie viele suchen und finden dennoch nicht den richtigen Menschen fürs Leben!

S: Hast du auch Stammgäste?

P: Klar, jeden Morgen um dieselbe Zeit kommt ein alter Mann mit seinem Hund. Er redet mit seinem Vierbeiner und erzählt ihm, wie schön es wäre, wenn das Frauchen auch noch da sitzen würde. Er schwärmt von jener Zeit, als er seine Anna zum Anlehnen gehabt hatte und abends nicht alleine gewesen war.

S: Jetzt hat er nur noch den Hund als Zuhörer und natürlich dich, die Parkbank.

P: So ist es. Bei mir kommt er jeden Tag mehrmals vorbei.

S: Liebe Parkbank! Ich bin froh, deine Botschaft gehört zu haben. Sie hat mich nachdenklich gemacht. Ja, Herberge suchen viele, mich eingeschlossen. Herberge sucht Jesus, unser Herr. Wird er sie in unserer Kirche und in unseren Wohnungen finden?

Nikolaus

„Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ (Ps 18,30)

Schokonikolo

Haben Sie heute schon das Fenster am Adventskalender geöffnet? Ich schon! Und wer lacht mir da entgegen? – Der heilige Bischof Nikolaus. Bei seinem Anblick fallen mir sofort einige Nikolauslegenden ein. Alle erzählen von einem mutigen Heiligen der Nächstenliebe. Nikolaus trat für die Menschenrechte ein. Ohne Furcht vor den Mächtigen hat er sich um Notleidende und Rechtlose bemüht.

Sein Name war Programm. Aus dem Griechischen stammend, bedeutet Nikolaus „Sieg des Volkes“. So hat er gelebt. Im Einsatz für das entrechtete Volk wurde er zum Werkzeug in der Hand Gottes, der den Armen zum Sieg verhalf. Die Bibel beschreibt Gott als den, der die Unterdrückung von Menschen hasst und ihr ein Ende bereitet. Im Dornbusch sagt er dem Mose: „… Ich habe das Elend meines Volkes gesehen. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen…“ (Ex 3,7f) Was folgt, ist der Triumphzug in die Freiheit. Das Volk siegt, weil es Gottes Volk ist.

Während ich in Gedanken dem Namen des heiligen Nikolaus nachhänge, sehe ich plötzlich einen höchst ungewöhnlichen Adventskalender vor mir: die Berliner Mauer. Kinder in unseren Breiten fragen ihre Eltern ungeduldig: „Wie lange noch bis Weihnachten?“ Die Menschen in der ehemaligen DDR aber fragten: „Wie lange noch, bis die Mauer fällt? Wie lange noch, bis wir frei sind und sagen dürfen, was wir denken? Wann hat die Bespitzelung durch die STASI ein Ende, Gefängnis und Folter?“ Bei herkömmlichen Adventskalendern darf man jeden Tag ein neues Fenster öffnen. An der Berliner Mauer mit ihren 167,8 Kilometern Länge, wurden alle Fenster gleichzeitig am neunten November 1989 geöffnet – ein vorgezogener Advent.

Die Vorgeschichte: An der Leipziger Nikolaikirche war damals Pfarrer Christian Führer im Amt. Bestimmt war er oft vor dieser Mauer gestanden. Er fragte sich, wie man denn da ein Fenster öffnen könnte. Der Pfarrpatron war der heilige Nikolaus, Sieg des Volkes. Ist ein derartiger Sieg möglich? Dann dachte er an diesen Gott, der nicht wollte, dass die Menschenrechte über so lange Zeit mit Füßen getreten werden. Willkürlichen Eingriff ins Privatleben und in den Schriftverkehr verbieten die Menschenrechte. Jeder Mensch hat das Recht, sein Land zu verlassen. Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Als Pfarrer Führer sich vorstellte, dass der Satz aus Psalm 18 wahr wird: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern!“, da fasste er Mut. Von 1982 an lud er jeden Montag zum Friedensgebet in die Nikolaikirche. Die Predigten waren kritisch gegen die SED, es ging um Toleranz und Achtung gegenüber Andersdenkenden. Man verzichtete stets auf Gewalt und Ausschreitungen. 1989 kamen Demonstrationen im Anschluss an das Gebet dazu. Bei der ersten Demo beteiligten sich achttausend Menschen, bei der letzten waren es bereits hundertzwanzigtausend Leute. Damals riefen die Menschen auf der Straße in Sprechchören: „Wir sind das Volk!“ Die Bedeutung des Namens Nikolaus hallt darin wider. Am achtzehnten Oktober 1989 wurde tatsächlich Honecker aus der SED ausgeschlossen, am neunten November fiel die Mauer.

Endlich wurden Familien und Freunde wieder vereint. Wie der heilige Nikolaus merkten die Menschen, dass Gebete keine leeren Worte sind. Auch heute sieht Gott das Elend seines Volkes und hört seine Schreie des Widerstands. Sie kennen sicher die historischen Bilder vom Durchbrechen der Mauer: Mit Stemmeisen brechen die Leute erste Löcher hinein. Endlich bekommt dieser ungewöhnliche Adventskalender Fenster der Hoffnung. Denn Mauern lösen keine Probleme, sie verbauen nur die Zukunft.

Darüber wollte ich mit Ihnen am heutigen Nikolaussonntag nachdenken. Nikolaus – der Sieg des Volkes. Der Sieg eines Gottes, der unsere Freiheit will, und der uns immer wieder Fenster und Türen öffnet, auch wenn vor uns eine dicke Mauer ist. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ (Ps 18,30)

Langer Name

„Der Name der Jungfrau war Maria.“ (Lk 1,27)

Mariä Unbefleckte Empfängnis

Kennen Sie diesen Sketch von Karl Valentin? Ein Mann betritt die Apotheke. Seine Frau hatte ihn gebeten, eine Medizin zu besorgen, deren Namen er aber vergessen hat. Im Gespräch mit der geduldigen Apothekerin stellt sich heraus, dass ihn seine Frau wegen eines Beruhigungsmittels losgeschickt hatte. Da nennt ihm die Pharmazeutin einen Namen, der einem Zungenbrecher gleicht. Sie sagt: „Vielleicht braucht sie ja: Isopropyl-propenyl-barbitursaures-phenyl-dimethyl-dimethyl-amino-pyrazolon.“ Die Reaktion des Kunden ist sonderbar. Er hält den Namen der Medizin für so einfach, dass man ihn gleich wieder vergisst.

Mich wundert es nicht, dass sich der Mann den elendslangen Namen des Medikaments nicht merken konnte: Isopropyl-propenyl-barbitursaures-phenyl-dimethyl-dimethyl-amino-pyrazolon. Wie geht es Ihnen eigentlich mit langen Namen? Haben Sie die Gabe, sie sich gut einzuprägen? Ich, ehrlich gestanden, weniger. Schnell wird aus einer Familie namens „Überbacher“ in meinem Kopf die Familie „Unterberger“. Oder ich sehe die Frau „Hurtig“, sage aber Frau „Schnell“ zu ihr. Da kommt „Manuel“ an mir vorbei, und ich grüße ihn mit „Hallo, Samuel“. Nun habe ich bereits mit kurzen Namen meine liebe Not, umso mehr mit den langen.

Mit dem heutigen Fest am achten Dezember könnte es Leuten wie dem Mann in der Apotheke ergehen: es hat einen unerhört langen Namen. Wie soll man sich den nur merken? Wir feiern das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Es ist auch nicht leicht, den Inhalt des Festes zu verstehen. Hier einige Hilfen: Das Dogma von 1854 besagt, dass Maria vom Augenblick ihrer Empfängnis an erlöst ist. Erlösung ist das Schlüsselwort zum heutigen Fest. Erlösung heißt ja, ein Mensch ist nicht in das Böse verstrickt, nicht an Dinge gebunden, die ihn fesseln. Das heutige Marienfest mit dem überlangen Namen ist also ein Erlösungsfest. Die Theologen bringen außerdem den Begriff der sogenannten Erbschuld ins Spiel. Erbschuld ist die Negativfolie der Erlösung. Erbschuld oder Erbsünde ist die Grundanfälligkeit des Menschen für das Böse. Maria wurde es von Gott geschenkt, davon befreit zu sein. Es ist also nicht ihr persönlicher Verdienst, sondern ein Geschenk, ein Gnadenakt Gottes. Maria, du bist voll der Gnade!

Sollten Sie, wie ich, Probleme damit haben, sich lange Namen zu merken, so können Sie zum heutigen Fest einfach „Erwählung Mariens“ sagen. Gott hat ein Mädchen erwählt, um exemplarisch zu zeigen, dass er uns Menschen alle von Grund auf als gut gedacht hat. In Maria wird uns dies vor Augen gestellt. In Maria malt Gott, was er vom Menschen grundsätzlich hält: Dass er kein hoffnungsloser Fall ist, und nicht dazu verdammt, unglücklich zu enden.

Beim heutigen Fest dreht sich alles um die Namen. Der offizielle Titel besteht aus neun Wörtern: „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Dabei geht es viel kürzer. Der Vorname der zu Feiernden enthält nämlich bereits das ganze Programm: „Maria“ bzw. jüdisch ausgesprochen „Mirjam“. Der Name besteht aus zwei Teilen: dem ägyptischen „Myr“, d.h. „Geliebte“, und dem hebräischen „Jam“ als Abkürzung für „Jahwe“, d.h. Gott. Maria bedeutet demnach „Geliebte“ oder „Vielgeliebte Gottes“. Wir feiern heute, dass Maria und mit ihr wir alle vielgeliebte Kinder Gottes sind.

Diese Zusage möge uns aufrichten, egal, ob mit oder ohne gutem Namensgedächtnis. Kurz vor dem Tag der Menschenrechte am zehnten Dezember wird uns aber auch bewusst, dass unsere Welt noch weit davon entfernt ist, diesen Zuspruch zu verwirklichen. Wir alle sind von Gott geliebt. Diese Sehnsucht nach Zuneigung wird aber immer noch vielerorts mit Füßen getreten, und zwar dort, wo die Menschenwürde nicht geachtet wird, wo durch Ausbeutung der Schwachen die Starken immer mächtiger werden, wo die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Da sind wir als Christinnen und Christen gefragt, unsere Mitmenschen spüren zu lassen, dass sie viel geliebte Kinder Gottes sind, von ihm erwählt, einzigartig und mit Würde ausgestattet. Gott hat uns alle unverwechselbar beim Namen gerufen.

Windelduft

„Ihr werdet ein Kind finden, das,

in Windeln gewickelt,

in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,12)

Weihnachten

Windel

Werde ich zu einer Familie zum Taufgespräch eingeladen, freue ich mich über eine detaillierte Wegbeschreibung. So finde ich gut hin. Diese könnte folgendermaßen lauten: „In der Rechtskurve nach der kleinen Brücke siehst du schon das gelbe Haus mit dem Holzbalkon. Davor steht ein Storch mit dem Namen unseres Kindes darauf. Du kannst es gar nicht verfehlen.“ Vor meinem inneren Auge entsteht dann ein konkretes Bild und die Orientierung fällt mir leicht. Ob die Hirten in der Weihnachtsgeschichte auch ohne Probleme den Jesussäugling entdeckt haben? Ich habe da meine Zweifel. Hätten die Engel den Hirten den Geburtsort des göttlichen Kindes nicht hilfreicher beschreiben können? Ein Kind in Windeln gewickelt soll das Erkennungszeichen sein? Reicht das aus? Ich denke mir: In Bethlehem werden zu jener Zeit noch andere Babys in Windeln gelegen sein. Warum nannten die Engel die Windel als Markenzeichen für den Messias?

Schauen wir genauer hin: Von ihrer Machart her war die Windel damals ein Ganzkörperanzug. Mit einem mehrere Meter langen Leinentuch wurde das Kind von oben bis unten umwickelt, sodass gerade Mund, Nase und Augen noch frei lagen. So eine Windel wird gleich zweimal im Weihnachtsevangelium nach Lukas genannt. (Lk 2,7 und Lk 2,12) Das kann doch kein Zufall sein, oder? Im griechischen Originaltext steht für „gewickelt“ eigentlich „gebunden“. Könnte es vielleicht heißen, Jesus bindet sich an uns Menschen, ist mit uns solidarisch, ist unser Verbündeter? Vom Baby in Windeln bis zum Schlaganfallpatienten in Windeln – der Heiland lässt sich einwickeln von all dem, was uns Menschen ausmacht. Gott bindet sich an uns, damit wir uns nicht der Verantwortung füreinander entbinden, sondern füreinander einstehen. Wie klingt das in einer Zeit der Bindungsangst, Ichbezogenheit und Vereinzelung? Gott kommt in Windeln.

Wenn Eltern mehrmals am Tag Windeln wechseln, kostet das viel an Zeit und Nerven. Und außerdem riecht eine volle Windel nicht unbedingt nach Lebkuchen und Zimt. Ich würde die Duftnote eher als „herb“ beschreiben. Ein Kind in Windeln gewickelt zeigt uns, wie bedürftig und auf ein Gegenüber angewiesen doch der Mensch ist. So präsentiert sich Gott den Hirten und der Welt. Als hilfsbedürftig, als Windelwickelkind wird er Maria und Josef in die Hände gelegt. Gott liefert sich aus, setzt sich uns aus in einem Kind. Somit klopft Weihnachten mit der Frage bei uns an, ob auch wir dieses Windelkind bei uns aufnehmen wollen. Wollen wir es hegen und pflegen, damit es aufwachsen und größer werden kann? Wollen wir ihm eine Herberge geben? Wenn ja, dann müssen wir uns dem Zeitgeist entgegenstellen. Dort ist sich jeder selbst der Nächste. Ein Windelkind – angewiesen. Wie Gott sich verbündet, verbünden wir uns mit denen, die die Hosen vor Angst gestrichen voll haben, kümmern uns hingebungsvoll um die, die es alleine und aus eigener Kraft nicht schaffen. Wir wickeln die Nackten in die Liebe Gottes ein, zärtlich, wertschätzend, freundschaftlich.

Bleibt noch die Frage zu klären, warum der Evangelist Lukas es nicht lassen kann, gleich zweimal das Kind in Windeln zu erwähnen. Zufall? Warum doppelt? Der Autor schrieb diese Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen wohl von ihrem Ende her. Er hatte den Tod Jesu im Blick und wusste, dass der Leichnam des Herrn in Leinenbinden eingewickelt und in ein Grab gelegt worden war. Deshalb wird hier zweimal von den Binden gesprochen, einmal für den Anfang, einmal für das Ende des Lebens Jesu. Vom Lebensanfang bis zum Tod – immer lässt sich dieser Gott hineinverwickeln in die Menschennatur, mit aller Erniedrigung und allem Leid. Die Erzählungen laufen bewusst parallel: Genau wie die Hirten bei der Geburt eilig zum Stall laufen, so werden die Frauen später eilends zu Jesu Grab laufen. Wie die Hirten die Leinenbinden um den Säugling gewickelt finden, werden die Frauen die losen Leinenbinden des bereits Auferstandenen entdecken.

Ich frage Sie: Könnte es also eine bessere Wegbeschreibung geben, als jene von Lukas? „Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,12) Davon ahnte wohl eine Familie, die mir auf ihrer Taufeinladung folgenden Spruch eines unbekannten Verfassers übermittelte: „Wenn alle Geschenke dieser Welt unter dem Christbaum ausgepackt sind zum freudigen Ereignis, ist das schönste Geschenk immer noch das kleine Kind von Bethlehem, eingepackt in die Windeln.“