Marianne Labisch & Gerd Scherm (Hrsg.)

Was geschah im Hotel California?

 

 

Action, Thriller, Mystery 3

 


Marianne Labisch & Gerd Scherm (Hrsg.)

WAS GESCHAH IM HOTEL CALIFORNIA?

 

Action, Thriller, Mystery 3

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: November 2016 p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Antonia Sanker

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für die Geschichtenweber, www.edition-geschichtenweber.de

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 009 2

 


Vorwort

 

 

Musik hat für nahezu jeden Künstler eine ganz besondere Bedeutung. Schon länger spukte mir der Gedanke im Kopf herum, Geschichten, Musik, Lyrik und Bilder in einem einzigen Werk zu verbinden. Als ich dann eines Tages im Radio einen älteren, aber zeitlosen Song hörte, stand fest: Dieses Werk konnte nur von diesem Hotel handeln, indem es sehr seltsam zuging. Es wurde Champagner gereicht, es gab ein Biest, und man konnte nie wieder auschecken.

Was hatte all das zu bedeuten?

Der Liedtext deutet viel an, erklärt nichts. Interpretationen dagegen gibt es viele. Manche mögen nahe an der Wirklichkeit sein, andere fand ich an den Haaren herbeigezogen.

Gab es vor diesem Hintergrund nicht unendlich viel zu erzählen? Was käme mit dem Liedtext als Grundlage heraus? Wäre ein Buch mit vielen solcher Geschichten nicht eine lohnende Lektüre? Nun, das ließ sich herausfinden.

Ich warf die Idee in den Raum des Geschichtenweber-Forums und sie wurde sofort begeistert aufgenommen, aber es geschah weit mehr. Ich glaube, es war Magie im Spiel.

Es fand sich eine Gruppe Gleichgesinnter, die Genehmigung, das Vorhaben als Geschichtenweber-Projekt laufen zu lassen, wurde erteilt, ein Verlag – aber nicht nur irgendeiner, sondern mein Wunschkandidat: der p.machinery-Verlag – sagte zu und meine Wunschillustratorin, Antonia Sanker, ebenfalls, und Gerd Scherm übernahm mit mir die Herausgeberrolle.

Die Geschichten gehen sehr unterschiedlich an das Thema heran, dennoch ist allen Storys eines gemein: Das Hotel California ist stets ein außergewöhnlicher Ort. Die Besucher sollten es sich gut überlegen, ob sie hier wirklich eine Nacht verbringen möchten.

Gerds lyrische Verbindungen krönten das ganze Projekt und sorgten bei mir für eine Gänsehaut.

Wir verzichten hier auf den Abdruck des Liedtextes, weil es heutzutage immer schwieriger wird, Texte abzudrucken, ohne dafür zahlen zu müssen, weisen aber darauf hin, dass der Songtext im Internet einfach zu finden ist.

Ich wünsche den Lesern viele schön-schaurige Momente mit diesem Buch.

 

Willkommen im Hotel California!

 

Marianne Labisch

 

 

Das Gitarrensolo von »Hotel California« zählt zu den besten aller Zeiten und der Text des Songs hat bis heute nichts von seiner rätselhaften Magie eingebüßt. »Hotel California« gehört zu den mythischen Orten der Rockmusik, und das, obwohl es dieses Hotel nicht gab, es ein Produkt der Fantasie der Band »The Eagles« war.

So wie die Storys dieser Anthologie Fantasie sind. Angeregt vom Lied erzählen die Autorinnen und Autoren, was im Hotel California geschehen sein könnte, in ihrem ganz eigenen Hotel California. An jenem Ort, der losgelöst von Raum und Zeit in einer Melodie immer weiter existiert. Ein Song, der fasziniert, der Ängste auslöst, Erinnerungen provoziert und Sehnsüchte weckt. Ein Song, der auch zum Soundtrack meines Lebens gehört.

 

Gerd Scherm

 


Gerd Scherm: Hotel California Soundtrack

oder

Du kannst die Musik in deinem Kopf nicht ausschalten

 

 

Intro & Soul

 

Hüte dich vor den Nächten!

In ihnen triumphieren die Erinnerungen

und die Schatten beginnen zu tanzen.

Musikfetzen in deinem Ohr

reißen dich aus deiner vertrauten Welt,

du Blatt im Wind,

du verklingender Ton,

du Schemen im Spiegel

deiner Seele.

 


Anke Höhl-Kayser: Soul

 

 

Der Gast war noch nicht lange hier. Er hatte gestern bei ihr eingecheckt und seine erste Nacht im Hotel verbracht. Der silbrige Schleier vor seinen Augen war schon da. Bei manchen dauerte es Tage. Andere waren empfänglicher dafür. Dieser hier besonders. Sie war zufrieden.

Er stand vor der Rezeption und hatte jenen selbstverlorenen Ausdruck auf dem Gesicht, den sie so liebte.

»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte sie. Professionell. Jede andere Bezeichnung für ihr Können wäre eine Beleidigung gewesen. Sie hob die Augen ein wenig, um im Deckenspiegel über der Rezeption ihr Lächeln zu überprüfen. Es blendete, sendete Reflexionen wie die Mittagssonne über dem Meer.

Sie sah es in seinen silbrigen Augen gespiegelt. Perfekt.

Unbeholfen lächelte er zurück, er fasste sich an die Schläfen. Natürlich hatte er Kopfschmerzen, das hatten sie alle. Nach der ersten Nacht. Und sie wussten nicht, dass diese Kopfschmerzen mit jeder Nacht schlimmer wurden. Sie hätte es erklären können, aber niemand hatte sie jemals danach gefragt.

Irgendwann störten die Kopfschmerzen nicht mehr. Man merkte gar nicht, dass man welche hatte.

»Ja – äh –« Er schien vergessen zu haben, warum er sich an sie wandte. Sie sah ihr Gesicht in seinen Augen: ein ebenmäßiges Oval, sehr hell, die keck-verspielte Nase, geheimnisvolle Augen, die die Farbe wechselten wie das Meer im Sonnenlicht. Ihr Lächeln auf den Lippen, mit diesem Satinschimmer. Die Grübchen, die sich in den Wangen bildeten, sobald sie ihre Mundwinkel nur wenige Millimeter hob. Sie spürte, dass er sie unbedingt küssen wollte. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen und lächelte ihn an, und er begann zu schielen. Sein Mund stand offen.

»Habe ich Sie das schon gefragt? Ich glaube – ich habe vorhin schon hier gestanden –«

Zu viel. Sie ließ das Lächeln verlöschen, und er fing sich wieder. Er stotterte: »Es tut mir leid, dass ich Sie damit behelligen muss. Aber ich – ich habe vergangene Nacht nicht gut geschlafen. Es war – ein – ein fürchterlicher Lärm draußen auf dem Korridor.«

Er befeuchtete seine trockenen Lippen mit einer kindlich rosafarbenen Zungenspitze.

»Menschen, draußen auf dem Flur. Sie haben geschrien und gejohlt. Ich habe aus der Tür geschaut, nur einen Moment, und sie hatten Messer – und dann hat jemand um Hilfe gerufen. Ich weiß nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, ich weiß nicht, ob es überhaupt ein Mensch war, das macht mir Angst –«

Er holte tief Luft, er hatte seinen Atem verbraucht.

»Habe ich Sie das schon gefragt? Ich glaube – ich habe vorhin schon hier gestanden –«

Sie lächelte wieder, nur ein ganz kleines Bisschen, sodass ihre Lippen nicht mehr als einen Schimmer ihrer weißen Zähne enthüllten. Sein Blick, eben noch voller Panik, verschleierte sich.

Natürlich wusste sie Bescheid. Natürlich würde sie es ihm nicht sagen. Jeder Gast machte diese Erfahrung selbst.

Er war schnell, bald würde er beim Fest dabei sein. Sein Messer lag schon bereit, sie war selbstverständlich wie immer auf alles vorbereitet.

»Ich entschuldige mich herzlich für Ihre Unannehmlichkeiten«, sagte sie, immer noch lächelnd, und hielt ihre Augen geradewegs auf seinen Mund gerichtet, »manchmal feiern unsere Gäste bis spät in die Nacht hinein, und manchmal geraten sie ein wenig außer Kontrolle. Ich verspreche Ihnen: Sie werden in der kommenden Nacht viel besser schlafen.«

Er nickte. Seine Augen waren silbrig.

»Danke«, murmelte er. Als er sich umwandte, stolperte er über seine eigenen Füße.

Sie betrachtete sich im Deckenspiegel über dem Rezeptionstresen. Perfekt. Ihr Strahlen, umrahmt von weichen, goldblonden Locken. Die Haut mit einem samtenen Schimmer. Kein Make-up, kein Lidstrich, kein Lippenstift. Sie lächelte ihrem Geheimnis zu. Sie hatte sie, jene Klarheit, die Menschen in einem bestimmten Alter umgab, ausgelöst von der Gewissheit um die Unendlichkeit. Alle wollten sich diese Klarheit bewahren, und doch verblasste sie früher oder später. Nur bei ihr hielt sie – ewig.

Jeder Gast, jeder, nicht nur die männlichen, verspürte beim Anblick ihrer Lippen den Wunsch, einen Hauch dieser Unendlichkeit für sich zu gewinnen. Sie sah die bewundernden Blicke im Vorübergehen auf sich gerichtet und hätte beinahe gelacht. Sie gestattete sich einen Moment der Zerstreuung, in dem sie sich ausmalte, wie sie jedem von ihnen ihr Geheimnis enthüllte. Was für ein köstlicher Gedanke.

Ihre Augen wechselten wieder die Farbe, während sie in den Spiegel schaute. Von Hellgrau zu Sommerhimmelblau. Sie lächelte sich selber zu.

Draußen vom Pool drang laute Rockmusik zu ihr. Sie warf einen Blick durch die Halle zum Panoramafenster. Sie wusste schon, wer den Lärm machte, noch bevor sie die Feiernden sah.

Party people.

Auch sie waren gestern auf dem Fest gewesen. Sie unterdrückte den Anflug von Hochmut nicht – dachte das Mädchen da draußen wirklich, es sei hübsch? Dieses junge Ding, mit seinen blondierten Haaren, dem Rougegeschmier auf den Wangen und dem Lächeln wie aus Plastik? Sie schaute dem Mädchen eine Weile zu, wie es tanzte, mit seinen rot lackierten Zehennägeln und den Kettchen an den Fußgelenken, sah die schwingenden Hüften, sah die gierigen Blicke der jungen Männer, die für den Moment nichts anderes wollten, als dem Mädchen eine Hand auf die Schulter zu legen, sein Handtuch zu halten – für den Moment. Bald würden sie mehr wollen.

Das Mädchen konnte damit nicht umgehen. Das konnte keins dieser Mädchen. Es gab keine Ausnahmen. Früher oder später war es so weit. Sie waren alle gleich – eins wie das andere. Das Mädchen würde zum Meister gehen, mitsamt seiner gierigen jungen Männer. Dorthin, wohin schließlich jeder ging, wenn er lange genug vergeblich den Weg nach draußen gesucht hatte. Und das war gut so.

Befriedigt strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht und beobachtete ein junges Paar, das gedankenverloren Hand in Hand durch die Lobby schritt, als suche es etwas und habe vergessen, was das war. Sie wusste es. Als die beiden der Tür zu nahe kamen, schenkte sie ihnen ein Lächeln. Sie sah ihr eigenes Strahlen auf den jungen Gesichtern gespiegelt – sie brauchten nichts mehr als das. Sie setzten sich weit weg von der Tür auf eine der saffianledernen Sitzgruppen und blätterten müßig in Zeitschriften.

 

»Hallo! Sie da! Miss!«

Wie hatte ihr das passieren können? Sie war einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen. Der Tonfall jagte ihr ein Kribbeln über die Wirbelsäule. Ihr Atem beschleunigte sich. Sie spürte warme Feuchtigkeit auf ihrer Stirn.

Sie zwang sich zur Ruhe. Keine Zeit mehr für den Blick in den Spiegel. Vor dem Tresen stand ein Mann. Er hatte das magische Alter schon hinter sich. Mit der Erkenntnis von Endlichkeit hatten sich Falten in seine Haut eingegraben, man sah sie unter den Augen und in den Mundwinkeln. Dort, in den Mundwinkeln, hatte sich auch bereits der Zynismus eingenistet. Der Mann war gefährlich.

Er hatte schütteres Haar und einen Bauchansatz. Sie mochte seinen Gesichtsausdruck noch weniger als seinen Tonfall: Jenes arrogante Augenbrauenhochziehen, mit dem sich hier manche am Anfang ihres Besuchs aufspielten, zum Glück hielt das nie lange an. Sie verabscheute seinen selbstgefälligen Glauben an die Berechtigung seiner Existenz.

Seine Augen waren hellbraun, mit goldenen Sprenkeln um die Pupille, und sie waren klar.

»Sagen Sie mal«, sprach er sie an. Wieder mit diesem Tonfall. Sarkasmus kräuselte seine Lippen. Erneut lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Sie fixierte ihn, er unterbrach sich für einen Moment lang, dann fing er sich wieder.

Er starrte zurück.

»Sind Sie eigentlich immer im Dienst?«, wollte er wissen. Seine Neugierde bohrte sich wie Nadeln in ihre Haut.

Er grinste und sah dabei aus wie ein Mörder.

Sie wünschte sich, er würde den Mund halten. Wenn sie ihn nur zum Schweigen bringen könnte. Sie sah in das Fach mit den Messern – seins hatte sie noch nicht bereitgelegt. Sie begriff nicht, wie ihr das hatte passieren können.

»Ich meine, Sie stehen hier den ganzen Tag am Tresen«, fuhr er fort. »Ich beobachte das seit fünf Tagen. Wie machen Sie das, sechzehn Stunden am Stück? Das kann doch nicht normal sein. Müssen Sie nicht auch mal essen und Pause machen? Irgendwas stimmt hier nicht.«

Was hatte er gesagt? Wie lange war er schon hier? Fünf Tage?

Das war unmöglich. Sie versuchte sich hektisch an den Tag zu erinnern, an dem er eingecheckt hatte. Es fiel ihr nicht ein. Sie konnte sich nicht an seine Augen und die Spiegelung ihres Gesichtes darin erinnern. Sie musste sich zwingen, ruhig zu atmen. Sie fixierte ihn wieder, diesmal härter, aber er hielt ihrem Blick stand. Sie begann zu lächeln, die erste, zweite und schließlich sogar die dritte Stufe, aber er reagierte nicht. Er lächelte nicht zurück, und seine Augen blieben kalt.

Ihr brach der Schweiß aus.

»Haben Sie manchmal Kopfschmerzen?«, fragte sie ihn.

Er sah nur eine Sekunde lang irritiert aus.

»Ja, anfangs«, antwortete er. »Aber dann nicht mehr. Das ist auch gut so, denn bei mir wirken Medikamente nicht. Wissen Sie, ich bin resistent dagegen. Schmerztabletten kann ich vergessen. War schon immer so. Ich kann auch Alkohol trinken, soviel ich will, und werde trotzdem nicht betrunken. Das ist manchmal echt desillusionierend, immer nüchtern sein zu müssen.«

Er schlug mit der Hand auf den Tresen, zwei Millimeter neben der Hotelglocke – er hatte den Knopf nicht berührt, unausdenkbar, was geschehen wäre –, und lachte gellend.

Ihr Trommelfell drohte zu zerspringen. Sie wollte ihn anschreien, dass er endlich still sein solle, dass er endlich seinen dummen Mund halten solle, sie wollte die Hände um seinen Hals legen und ihn schütteln –

Andere Gäste wurden aufmerksam. Augenpaare schauten herüber, wie Scheinwerfer, groß, wach und leuchtend, keine silbrigen Schleier mehr.

Sie musste Ruhe bewahren.

Sie rang sich ein Lächeln ab.

Sie sah sich um, sah in die Scheinwerferaugen. Sie wusste, dass sie es bereuen würde, aber ihr blieb keine Wahl.

»Das tut mir leid für Sie«, sagte sie und drückte die Hotelglocke.

Der Ton war hell und rein wie ein brandneuer Tag. Er klang auf, umwob sie und den Mann wie feine weiße Spinnweben, schwebte durch die Halle. Sie sah die Gäste aufblicken und dem Ton nachlauschen, die meisten lächelten geistesabwesend. Die Scheinwerferaugen waren fort. Nur silbriges Leuchten in den Blicken.

Der Mann starrte sie an. Er war völlig reglos.

Sie beobachtete die Uhr an der Wand: Die Zeiger drehten sich zurück.

Noch ein Stück. Gut. Sie drückte erneut den Klingelknopf. Diesmal klang der Ton anders, eine Nuance tiefer. Sie wusste aber, dass nur sie imstande war, den Unterschied wahrzunehmen.

Die Uhr lief los.

 

»Hallo! Sie da! Miss!«

Sie war vorbereitet.

Sie lächelte schon, noch bevor er seine Augen in ihre senken konnte. Er war irritiert. Kein Problem, sie war professionell, auch bei Härtefällen.

Er mochte gegen Alkohol und Drogen immun sein. Aber es gab etwas, wogegen niemand immun war.

Sie legte ihren Zeigefinger auf seine Hand, die gefährlich nah an der Klingel positioniert war. Er schaute sie an, er war verwirrt, viel stärker als beim ersten Mal.

»Fünf Tage sind Sie jetzt schon hier«, sagte sie leise. »Und immer noch traurig. Nicht wahr?«

Er senkte den Blick. Endlich. War da der Anflug eines Silberschleiers?

»Es hat alles keinen Sinn«, murmelte er. »Ich wollte hier zur Ruhe kommen, aber ich kann sie nicht vergessen. Es geht einfach nicht.«

Sie rieb mit dem Zeigefingernagel über eine bläulich hervortretende Ader auf seinem Handrücken. Er starrte ihre Nägel an, wie sich das Licht der Lampen darin spiegelte.

»Sie irren sich«, erwiderte sie ruhig. Sie war in ihrem Element. »Schauen Sie nur einmal.«

Sie lenkte seinen Blick durch das Panoramafenster auf das tanzende Mädchen. Es bedurfte nur eines Tropfens ihrer Konzentration, dass das Mädchen herübersah und ihr Lächeln erwiderte.

»Es ist Zeit zum Tanzen«, sagte sie zu dem Mann. Er schaute sie an, und sie sah ihr Lächeln wie einen Sonnenaufgang auf seinem Gesicht gespiegelt. Seine Augen waren silbern.

»Oh – ja – das würde ich gern«, murmelte er. »Ja, ich habe so lange nicht mehr getanzt.«

Er wandte sich ab und ging nach draußen. Das Mädchen leckte sich die Lippen, als es ihn sah, wahrscheinlich zählte es – wieder einer mehr, eine gute Bilanz – und winkte ihn mit albernen Kleinmädchengesten zu sich.

Sie hätte erleichtert sein müssen, aber sie fühlte, dass es dazu keinen Grund gab. Es war zu knapp gewesen.

Sie hatte Angst gehabt, sie hatte geschwitzt. Sie war müde, und hinter ihren Schläfen zog ein Sturm auf.

Sie musste wissen, ob es Spuren hinterlassen hatte.

Sie schaute mit dem geübten leichten Augenaufschlag hinauf in den Deckenspiegel.

 

Der Schrei ließ sich nur dadurch ersticken, dass sie beide Hände vor den Mund presste.

Sie sah sich hektisch um: Noch hatte niemand etwas bemerkt.

Sie schaute wieder in den Spiegel, in der verzweifelten Hoffnung, sich beim ersten Mal geirrt zu haben.

Nein, die Wahrheit war unbarmherzig und barst in ihre Hoffnung wie eine Faust in einen Spiegel.

Die Makellosigkeit war fort. Das Leuchten war erloschen. Falten um die Mundpartie, dunkle Augenringe. Die Haut wie Pergament.

Sie versuchte, sich selbst im Spiegel zuzulächeln: Es war nichts weiter als eine Grimasse.

Sie spürte etwas Warmes auf ihren Wangen, und erst als ihre Finger es berührten, erkannte sie, dass es Tränen waren.

Die Gäste in der Lobby saßen da, mit ihren silbrigen Blicken, und tranken ihren Pink Champagne on Ice. Sie wandte sich zum Hauptschalter um und kippte den Hebel. Sein sattes Klacken jagte ihr einen Schauer der Erleichterung über den Rücken. Das Lampenlicht in der Lobby erlosch. Einige Gäste sahen auf, aber nur kurz, und niemand schaute sie an.

Draußen färbte sich das Licht golden: Der Nachmittag war gekommen. Der Himmel bereitete schon seine Abendzeremonie vor.

Es wurde dunkel in der Lobby.

Die Gäste erhoben sich nach und nach, sie gingen auf ihre Zimmer, sie mussten sich vorbereiten für die Nacht.

Die draußen tanzten. Nun, nicht mehr lange.

Sie wartete.

 

Der Himmel im Westen war noch hell, in einem verwaschenen Blau mit hellroten Streifen dazwischen, wie ein verschmiertes T-Shirt.

Sie sah die Scheinwerfer näherkommen.

Sie griff unter den Tresen und holte die Kerze hervor, zündete sie mit einem Schnippen der Finger an.

Sie ging ihm entgegen. Sie war nicht bereit, aber sie konnte ihn sich nicht entgehen lassen.

Er passte perfekt.

Er war Anfang zwanzig. Er hatte ein hübsches makelloses Gesicht und einen abwesenden Blick. Sie mochte diesen Blick. Er wirkte müde, und er musterte sie mit einer Mischung aus Erleichterung und Entsetzen.

»Haben Sie einen Stromausfall?«, erkundigte er sich. Seine Augen sogen sich an ihrem Körper fest.

Sie nickte wortlos, während er seinen Rucksack vom Beifahrersitz hob und schulterte.

Ja, er passte. Sie musste ihn haben.

Sie beleuchtete mit der Kerze seinen Weg, zeigte ihm die Stufe an der Eingangstür, damit er nicht stolperte.

Sie spürte seine Blicke, wie sie an ihrer Figur entlangglitten. Unsichtbare Finger strichen über ihr Gesicht, den Hals hinunter, hinterließen Wärme.

Mit sicheren Schritten umrundete sie den Rezeptionstresen.

Sie stellte die Kerze in einen Halter und holte das Buch unter dem Tresen hervor.

»Oh«, lachte der neue Gast, »bei Ihnen scheint wohl die Zeit stehen geblieben zu sein. Von Internet und Textverarbeitung noch nichts gehört?«

Sie sah ihn an und versuchte ein Lächeln. Es spiegelte sich noch nicht wieder, sie war noch nicht so weit.

»Stromausfall«, erwiderte sie trocken.

Er lachte erneut, versuchte sie einzubeziehen.

»Ach ja, völlig vergessen!« Er schlug sich vor die Stirn. »Okay, dann machen wir es eben auf die altmodische Art und Weise.«

Sie hörte Schritte auf der Treppe. Die Gäste kamen wieder herunter: Es war bald Zeit für das Festmahl. Sie musste sich beeilen.

Sie trug seinen Namen und seine Anschrift in das Buch ein und bat ihn zu unterschreiben. Als sie den Zimmerschlüssel vom Schlüsselbrett nahm, sah sie, wie er nach oben schaute. Keine Ahnung, was ihn dazu veranlasst hatte, wahrscheinlich die Reflexion der Kerze im Metall des Schlüssels.

Ihre Augen trafen sich im Spiegel.

Seine Kinnlade fiel herab.

Er starrte, und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, kleine Tropfen, die ihm über die Wangen liefen und im Ausschnitt seines Hemdes versickerten, er röchelte, versuchte etwas zu sagen, vergeblich.

Er hatte sie gesehen.

Sie streckte die Hand nach der Klingel aus und zog sie wieder zurück, denn sie sah die Spiegelung in seinen Augen: verschwimmende Konturen. Nebel, beinahe durchsichtig, eine leichte Fluoreszenz.

Er schaute ihr in die Augen, und Speichel tropfte ihm aus dem Mund, als er brüllte: »Was bist du? Was bist du für ein Ding? Ich will hier raus!«

Er riss die Seite aus dem Gästebuch, auf der er gerade unterschrieben hatte, zerknüllte sie und warf sie nach ihr. Sie ging durch sie hindurch, fiel hinter ihr zu Boden. Er schrie.

Sie sah die anderen, die heruntergekommen waren, um am Festmahl teilzunehmen. Der Meister wartete, und ausgerechnet sie hielt sie auf. Einige hatten schon die Messer in der Hand, sie dachten an das Biest. Keine gute Zeit für ihre Demaskierung.

Die silbernen Schleier waren fort.

Münder öffneten sich wie schwarze Türen, um das Geheimnis zu enthüllen.

Sie sah sich selbst im Deckenspiegel. Nun gab es nichts mehr zu verbergen.

Der Gast packte seinen Rucksack, die Knöchel an seiner Hand traten weiß hervor. Er drehte sich um, wandte sich zur Flucht. Lief los.

Er hatte die Tür fast erreicht.

Es gab nur eine Rettung. Die Hotelglocke.

Aber ihre Hand glitt durch den Knopf hindurch. Der Ton erklang schwach, und er war zweistimmig, seltsam dissonant. Der Zeiger der Uhr drehte sich widerwillig, und er stoppte viel zu früh.

»Stromausfall«, hörte sie sich sagen, und dann sein Lachen, aber es klang nicht echt. Als sie ihn ansah, war da schon das Entsetzen auf seinem Gesicht. Er lief schneller als beim ersten Mal, sein Fuß erreichte die Schwelle –

Sie kämpfte die Panik nieder und drückte die Klingel erneut. Diesmal entlockte sie dem Metall ein klagendes Wimmern.

Die Zeiger der Uhr quietschten laut und stoppten. Die Gäste kamen die Treppe hinunter auf sie zu, mit offenen Mündern und Scheinwerferaugen, und sie hatten die Messer auf sie gerichtet.

»Nein, nein«, schrie sie, »ihr irrt euch, ich bin es nicht, ich nicht –«

 

Die Hotelglocke machte ein blechernes Geräusch. Sie spürte nicht einmal die Berührung des Knopfes an ihrer Hand. Die Menschen mit den Messern hielten nur den Bruchteil einer Sekunde inne.

»Du bist ein Geist«, sagte der Gast mit schwerer Zunge.

Unwillkürlich schaute sie in den Spiegel.

»Wenn du so willst«, murmelte sie. »Für dich sieht es vermutlich so aus. Die Wahrheit ist eine andere, wenn ich sie dir sage, wirst du sie entweder nicht verstehen oder sie wird dich umbringen.«

Er rannte.

»Alles, was ich bin, bin ich durch euch, und ihr seid es durch mich«, schrie sie ihm nach, auf einmal wie von Sinnen, mit überschnappender Stimme. »Eine perfekte Symbiose. Ihr gebt mir eure Klarheit, und ich gebe euch das Vergessen und das Schweben.«

Das Bild im Spiegel über ihr zerfaserte. Sie hätte ihm das nicht sagen dürfen, es war nur, weil sie so müde und so verzweifelt war. Sie musste ihn haben. Wenn er ging, war alles vorbei.

Sie löste sich auf. Der Nebel begann sich zu verflüchtigen, wurde zu grauem Rauch. Der Schemen ihrer Hand an der Klingel fluoreszierte.

Er ließ den Rucksack fallen, die Hand an der Drehtür, sie blockierte nicht, sondern schwang herum –

Sie konnte jetzt nicht aufgeben.

Diesmal traf sie das Messing der Hotelglocke präziser. Der Ton war schrill, aber laut, und die Uhrzeiger bewegten sich rascher.

 

»Von Internet und Textverarbeitung noch nichts gehört?«, fragte der Gast. »Okay, dann machen wir es eben auf die altmodische Art und Weise.«

Er unterschrieb, drehte das Buch sorgfältig zu ihr herum und gab ihr den Stift zurück. Sie nahm den Schlüssel vom Schlüsselbrett und umschloss ihn vollständig mit ihrer Hand. Keine Reflexionen. Sie vermied den Blick in den Spiegel.

Er sah sie an und lächelte. Sein Blick war abwesend.

»Danke«, sagte er, »ich bin sehr müde. Ich merke schon, wie ich Kopfschmerzen bekomme.«

Er nahm den Rucksack, wandte sich um und ging die Treppe hinauf, während die anderen Gäste ihn passieren ließen.

Der Zeiger der Uhr in der Lobby sprang um. Die Uhr schlug: zwölfmal.

Der Nachtportier stand vor ihr.

Der Blick aus seinen schwarzen Augen umfasste sie, und er nickte ihr zu.

»Hallo, Soul«, sagte er.

»Er hat eingecheckt«, murmelte sie. Sie war schwach und den Tränen nah.

Er nickte. Für einen Augenblick lang dachte sie, er wolle sie trösten.

»Natürlich«, antwortete er stattdessen. »Nun, es ist hier wie überall anders auch. Ein Hotel lebt von seinen Gästen.«

Ein Lichtstrahl berührte ihr Gesicht, traf sie ins Auge, blendete sie für einen Moment.

Draußen ging die Sonne über dem Pool auf.

Sie schaute nach oben, in den Spiegel. Sie war makellos. Sie lächelte: eine Explosion von Licht.

Bereit für einen weiteren Tag.

 


Was gewchah im Hotel California?

 


Jesse

 

Aufbrechen oder bleiben?

Der Flirt mit der Welt

Drehst du dich oder soll ich mich drehen?

Halt an, ich will aussteigen

oder weiter, immer weiter?

Manchmal sind wir in Augen versunken,

obwohl unser Gegenüber

längst nicht mehr da ist.

Es ist gut, Lieder zu haben,

die uns sagen, wer wir sind.

 

 


Nadine Muriel: Jesses Reise

 

 

»Aha, nach Kreta willst du also … Und Marokko! Indien! Katmandu!« Der Typ am Steuer spie die Worte regelrecht aus. Unwillkürlich kauerte sich Jesse auf dem Beifahrersitz zusammen. Sofort jagte eine Schmerzwelle durch seinen Rücken.

»Bist wohl auch einer von diesen langhaarigen Krawallbrüdern aus San Francisco! Ein Hosentaschenrevoluzzer, der seinen Kumpels auf dem Campus große Vorträge über den Weltfrieden hält, aber zu dämlich ist, beim Kacken das Klo zu treffen. Kennt man doch, das Pack!«

Jesse umklammerte seine Umhängetasche, die außer seinem Portemonnaie, seinem Tagebuch, der »5th Dimension«-Platte von den Byrds und drei Gramm Marihuana auch eine zerlesene Ausgabe von Kerouacs »On the Road« enthielt.

»Ich bin kein Student, sondern Dentaltechniker«, murmelte er. »Und ich schätze, Ihr Haar ist mindestens drei Zentimeter länger als meins.« Etwas Geistreicheres fiel Jesse nicht ein. Er polierte seine Brille. Cool bleiben. In ein paar Wochen würde er, gestählt durch unvorstellbare Abenteuer, mit wettergegerbter Haut, bärenhaften Pranken und einem dröhnenden Lachen neben solchen Typen an der Theke stehen und souverän, wie der Lizard King, Witze über die Toilettenkenntnisse von Berkeley-Studenten reißen.

»Ein Dentaltechniker auf großer Fahrt!« Der Mann lachte knatternd. »Lass mich raten: Du hast grad deinen Musterungsbescheid bekommen. Und jetzt hast du Schiss, dass die Dschungelratten in Vietnam dir die Löckchen anknabbern? Willst lieber hirnlos Spaß haben, als deine gottverdammte Pflicht für dein Land zu erfüllen?«

»Quatsch! Natürlich möchte ich unterwegs Erfahrungen sammeln, mich erproben, mit dem Leben ringen – aber ohne dabei unschuldige Menschen zu töten.« Jesses Stimme erstarb. Verdammt, warum klangen die Worte plötzlich nicht mehr halb so eindrucksvoll wie gestern Nacht, als er sie der kleinen Rothaarigen aus Minnies Bar ins Ohr geraunt hatte?

Jesse wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihm war speiübel.

Endlich war die Höllenfahrt überstanden. Benommen wankte Jesse durch eine palmengesäumte Allee auf das Hotel California zu, dessen Erker und Türmchen im Licht des Sonnenuntergangs violett wie ein Bluterguss schimmerten.

»Bis Crowley’s Lot kann ich dich mitnehmen. Kannst am Hafen pennen, wenn du heute keine Mitfahrgelegenheit mehr Richtung Tijuana kriegst. Oder ich schmeiß dich kurz vorher bei diesem komischen Hotel raus«, hatte der Fahrer Jesse erklärt.

Jesse hatte nicht lange gezögert. Übernachtungen in Hafen- und Eisenbahnschuppen, in ausgeschlachteten Lkw-Wracks und auf Parkbänken hatte er seit seinem Aufbruch vor drei Wochen zur Genüge erlebt. Selbst die vergangene Nacht im Bett der rothaarigen Kellnerin aus Minnies Bar war keine Erholung gewesen, sondern ein brachiales Rodeo. Ach, verdammt! Wenn man behaglich auf der Couch lag und in Reiseberichten schwelgte, klang immer alles so grandios. Nie wäre er beim Lesen auf den Gedanken gekommen, dass pöbelnde Holzfäller, im Rucksack ausgelaufene Rotweinflaschen, nymphomanische Bardamen, Flöhe im Schlafsack und eine verlorene Ersatzbrille kein wundervolles Abenteuer waren, sondern eine Aneinanderreihung von qualvollen Widrigkeiten, die sich irgendwann zum Unerträglichen summierten. Jesse kratzte einen Fleck von seiner Schlaghose, wechselte den Koffer von der rechten Hand in die linke und trat ins Innere des Hotels.

»Ich möchte eine Nacht bleiben«, murmelte Jesse. Der Portier mit den mandelförmigen Augen nickte. Jesses Blick fiel durch die psychedelisch gemusterten Plüschvorhänge auf einen von Kerzen beleuchteten Swimmingpool. »Oder nein, zwei. Oder …«

»Warum formst du vorab schon deine Reise? Nimmst du dir damit nicht die Chance, dich von deiner Reise formen zu lassen?«, ertönte eine Stimme. Jesse wirbelte herum. Hinter ihm stand eine Frau mit honigfarbenem Haar. Ihre Augen schimmerten dunkel und geheimnisvoll wie ein Septembermorgen. Überwältigt starrte Jesse die fremde Schönheit an, die sich vollkommen lautlos herangeschlichen hatte.

Die Standuhr tickte. Ein Mädchen mit fischbauchbleicher Haut saß an einem Tisch und mischte Karten. An einem Flipper, der im hinteren Teil des Raumes stand, klopften ein paar bärtige Typen in fransenbesetzten Lederjacken einander auf den Rücken.

»Bea meint damit, dass du keineswegs jetzt schon die Dauer deines Aufenthalts festlegen musst.« Der Portier neigte den Kopf. »Du bleibst, solange dir danach ist. Auschecken kannst du jederzeit.«

Einer der Jungs am Flipper brüllte auf.

Das blasse Mädchen zog eine Karte.

Wenige Sekunden später stolperte Jesse eine Wendeltreppe hinauf, in der einen Hand seinen Koffer, in der anderen eine Karte, die das Mädchen ihm im Vorbeigehen gereicht hatte. Sie zeigte einen bärtigen, auf einen Stock gestützten Greis, der eine Laterne in der Hand hielt. »Der Eremit« stand in verschnörkelten Buchstaben über dem Bild.

Ein verbarrikadierter Notausgang. Drehtüren.

Von irgendwoher ertönten Stimmen, so gespenstisch hohl und kristallsüß, dass sie aus einer anderen Sphäre zu stammen schienen. Ein Schauer jagte über Jesses Rücken. Morgen früh würde er sofort aus diesem Irrenhaus abhauen!

»Echt, Jesse, du stehst auf die Byrds? Wie schade, dass du Charly verpasst hast. Der war zusammen mit Gene Clark bei den Pfadfindern. Hat er zumindest behauptet.« Lou drehte sich auf ihrer Sonnenliege auf den Bauch und griff nach dem breitkrempigen Strohhut, der neben ihr lag. Ihre Armreifen klirrten.

Der Geruch nach Burritos, Räucherstäbchen und Sonnenöl hing schwer in der Luft. Lichtreflexe tanzten auf dem Wasser des Swimmingpools. Das Mosaik in Form eines Kraken, das den Boden des Innenhofs bedeckte, schillerte wie eine Fata Morgana. Irgendwo spielte jemand Gitarre.

»Charly? Das war doch dieser Freak, der unsterblich in Goldie verknallt war, oder?«, fragte die mollige Sheila.

Lou kicherte. »Na, nun übertreib mal nicht …«.

Später schlenderten Jesse, Sheila und Lou durch die üppige Anlage des Hotel California. Kiesbestreute Wege schlängelten sich wie ein Labyrinth durch Sträucher mit tropischen Blüten. Siebenblättrige Pflanzen wucherten. Pilze moderten aus dem Unterholz empor. Unentwegt raschelte es im Gestrüpp. Schlingpflanzen legten sich gleich Tentakeln um Jesses Knöchel. Wendeltreppen führten zu Terrassen mit grotesken Kalk- und Lavaskulpturen. Auf einer davon hockte ein Typ mit Koteletten und spielte Gitarre. Das Mädchen mit der fischbauchbleichen Haut saß reglos im Lotussitz.

Sheila und Lou plauderten. Es ging um andere Hotelgäste, um die Beatles, die seit diesem Jahr keine Konzerte mehr gaben, um ein Auflaufrezept, das sie sich vor ihrer Abreise unbedingt von Bea, der Inhaberin des Hotel California geben lassen wollten, und natürlich um ihre Reisepläne.

»Nächsten Monat bin ich in Peru.« Sheila strahlte. »Peru, wo die Schamanen tanzen und die Peyotekakteen fünf Meter hoch werden.« Sie zündete sich eine Zigarette an und reichte die Schachtel an Jesse weiter.

Lou hingegen zog es nach Paris. Sie lernte sogar Französisch, erzählte sie.

»Schwierig?«, fragte Jesse.