Volker Groh

Im Bann der
Pharaonin - Der
Weg zur Macht

1. Kapitel

Zornig durchwühlte sie die Schränke und warf wahllos Klamotten in ihren Koffer, nein, in unseren Koffer. Dieses Behältnis für Kleidung sah schon sehr viel von der Welt, ertrug viel Leid durch Bedienstete von Flughäfen und manche Schramme zeugte von Reisen in ferne Länder. Sollte sie ihn meinetwegen nehmen. Für meine Zwecke reichte ein einfacher Rucksack.

Nachdem ich ihr meine Pläne für den nächsten Urlaub erklärt hatte, rastete meine Frau aus. Viel Raum für Erholung und Spaß plante ich dabei nicht ein. Mit glänzenden Augen malte ich ihr Bilder von Grabkammern, die ich zu erforschen gedächte, und unbekannten Tempeln. Bis ihr der Kragen platzte.

»Ich ertrage das nicht länger! Von früh bis spät Mumien, Pharaonen und Hieroglyphen. Ägypten hier, Theben da. Sieh dich doch in unserer Wohnung um. Alles voller Statuen, Papyri und Bücher. Nein, ich nehme mir eine Auszeit. Am Anfang fand ich es ja noch interessant und spannend und ich liebte dich für deinen Spleen. Inzwischen finde ich deinen Fetischismus nur noch zum Kotzen! Und wenn dir etwas an mir liegt, lässt du mich ohne Szene gehen. Bis ich zurückkehre, wenn ich denn zurückkehre, kannst du ja mit deiner Hatschepsut schlafen! Ich wünsche dir viel Vergnügen. Genieß deinen Urlaub, aber ohne mich! Du kannst ja mittlerweile die doppelte Staatsbürgerschaft in Ägypten beantragen!«

»Aber Melli, wir können doch über alles reden«, wagte ich zaghaft einzuwenden. Vielleicht gelang es mir, die Situation zu entschärfen. »Ein letztes Mal, Melli. Es muss sein! Und nächstes Jahr …« Sie unterbrach mich zornig.

»Nein, Peter!«, schrie sie zurück. »Die Zeit der Diskussionen und Zugeständnisse ist endgültig vorbei. Ich habe die Schnauze gestrichen voll! Ägypten oder ich, du hast die Wahl!«

»Und nenn mich nie wieder Melli!«, fügte sie zischend hinzu. Sie duldete keinen Widerspruch. Schon so oft drohte sie, mich zu verlassen und immer gelang es mir, sie mit Liebesschwüren, Candle Light Dinner und gutem Sex von einer letzten Reise nach Ägypten zu überzeugen. Heute würde sie mir nicht mehr glauben! Einen letzten Versuch war es mir aber wert. Ich liebte sie und es sollte nicht so zu Ende gehen.

»Das kannst du doch nicht machen. Ist es denn wirklich so schlimm mit mir, so unerträglich? Andere Männer gehen saufen, oder zum Fußball, oder fremd. All dem bin ich abhold. Gönne mir doch mein Hobby. Bitte!«

Melanie erhörte mein Flehen nicht. Sie blieb kalt.

»Hobby?«, kreischte sie hysterisch auf. »Wenn ich wiederkommen soll, in einem halben Jahr vielleicht, dann will ich hier nichts mehr von Ägypten sehen! Nicht einmal mehr einen Bildband. Noch gestern schwärmtest du von Erholung, Hamam und abends schön ausgehen. Wir wollten im Sonnenuntergang sitzen und danach guten und entspannten Sex haben. Und heute …?«

Scheppernd fiel die Tür ins Schloss.

Niedergeschlagen ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und hielt meinen brummenden Schädel. Natürlich würde sie mich nicht dauerhaft verlassen. Mein Blick schweifte nachdenklich durch den Raum. An den Wänden hingen verschiedene Papyri. Dazwischen ein gerahmtes Puzzle, 2000 Teile, mit einem klassischen Motiv von Karnak. Uschebtis, von denen mir die Verkäufer gestenreich die Echtheit versicherten, und andere Andenken von meinen vielen Reisen in das Land am Nil füllten das Zimmer. Teilweise schmuggelte ich sie unter Einsatz meines Lebens aus dem Land. Hätte der Zoll mich gefasst, wäre für lange Jahre ein stinkendes Loch, zusammen mit ägyptischen Halsabschneidern mein Zuhause geworden. Meine kleine Sammlung erfüllte mich mit Stolz und den würde ich mir von Melanie nicht nehmen lassen! Wenn der Fernseher nicht wäre, könnte man an ein Antiquariat in Kairo denken.

Unser Verhältnis war nicht mehr das Beste. Seit unserer Hochzeit vor gut zwei Jahren ging es stetig bergab. Dennoch liebte ich Melanie. Ehrlich gesagt, hatte sie auch Recht. Ich übertrieb es mit meinem Wahn. Das Land der Pharaonen schlug mich in seinen Bann. Zehn Jahre zählte ich damals, als es begann und mich meine Eltern das erste Mal mit nach Kairo nahmen. Staunend stand ich vor den Pyramiden und beeindruckt vor den Mumien im Ägyptischen Museum. Ich infizierte mich mit einer Krankheit, gegen die es kein Heilmittel gab und gibt. Sie nannte sich Ägyptomanie und dieser Seuche fielen schon sehr viele Menschen zum Opfer. Folgerichtig studierte ich Archäologie und Ägyptologie und las die Hieroglyphen inzwischen fließend. Mehr als einen Lehrstuhl brachte es mir aber nicht ein. Wohl trat man an mich mit der Bitte heran, eine Ausgrabung in Deutschland zu leiten, aber ich konnte dem nichts abgewinnen. Hier einen zerbrochenen Krug, dort eine Münze oder einen Nagel von einer römischen Sandale – nein, das würde mich keineswegs erfüllen.

Ich ging zur Bar und goss mir ein Wasserglas voll Wodka.

Wie jedes Jahr wollten wir nach Ägypten in den Urlaub fliegen. Meine Frau hatte sich längst damit abgefunden und gab ihren anfänglichen Widerstand rasch auf. Sie fügte sich, wenn auch widerwillig, in das Unvermeidliche. Das Fass zum Überlaufen brachte das Angebot eines Schwarzhändlers im Darknet, der mir doch tatsächlich eine echte Mumie anbot. Der Preis derselben war für meine Verhältnisse horrend. Dennoch wollte, ja musste ich sie haben. Ich sprach mit meiner Frau darüber und als Ergebnis dieses Gesprächs saß ich hier und soff Schnaps.

Die Mumie konnte ich getrost vergessen. Sie wäre der Tod unserer Ehe und meine Frau war mir alles andere als gleichgültig. Hier in Deutschland liebte ich die Konstanz in meinem Leben. Morgens in die Uni und den desinteressierten Studenten die Archäologie schmackhaft machen. Danach nach Hause und in meine Ruhe. Zu früheren Zeiten hätten sich die Dozenten nach getaner Arbeit den seidenen Morgenrock übergezogen, sich in den Ohrensessel gesetzt und eine Pfeife geraucht. Ich besaß weder einen Ohrensessel noch einen Ulmer, dafür aber Melanie. Sie war die treueste Konstante und ein Tag ohne sie brachte mich aus dem Gleichgewicht.

Wehmütig dachte ich zurück an den Beginn mit Melanie. Ich sah sie das erste Mal in einer Vorlesung und fing sofort Feuer. Der Dozent erging sich in der Beschreibung des Baues der Pyramiden. Seine längst überholte und widerlegte Version beleidigte meine Intelligenz und machte alle wissenden Hörer im Saal gähnen. Seine »Rampen - Theorie« winkte jeder ernsthafte Ägyptologe durch, da zum Bau einer solchen Rampe von drei Kilometern Länge mehr Material benötigt wurde als für die Pyramide selbst. Ganz zu schweigen von den logistischen Schwierigkeiten. Ich blickte mich gelangweilt um und sah sie! Ein paar Plätze neben mir saß ein aufregendes Mädchen, das dem Dozenten an den Lippen hing. Blondes langes Haar umrahmte ein schmales Gesicht, welches große, neugierige Augen dominierten. Süchtig machte mich vor allem ihr tiefes Dekolleté im enganliegenden schwarzen Shirt. Die Wölbungen ihrer zarten Brüste hoben und senkten sich verführerisch und strapazierten die Fantasien eines jeden vernunftbegabten Mannes. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf und plötzlich fanden sich unsere Blicke. Die Kleine studierte sicher noch, während ich nur interessehalber hier saß. Am nächsten Tag kam sie überraschend in der Uni auf mich zu. Ihr Name wäre Melanie und sie hätte von einem Archäologen gehört, der seine Träume verwirklichen wollte und noch dazu unverschämt gut aussah. Dabei zwinkerte sie mit einem Auge. Freudig erregt nahm ich zur Kenntnis, dass die Kleine sich über mich informiert hatte und Interesse an meiner Person hegte.

Einen solchen Mann würde ich nicht kennen, antwortete ich. Aber was wolle eine solche Traumfrau wie sie von einem verstaubten Archäologen? So ging es weiter mit dem Flirt, bis wir endlich nach unzähligen Treffen in Cafés auf den Punkt kamen.

Melanie studierte Germanistik, aber sie interessierte sich anfangs wirklich richtig für Ägyptologie. Doch ihr Interesse ließ nach dem sechsten Urlaub hintereinander in Ägypten merklich nach. Sie wurde immer unleidlicher und sprach offen von einem Kind. Auch ich war dem nicht abgeneigt, aber es sollte nicht sein. Warum auch immer? Sie gab natürlich mir die Schuld und die Spannungen zwischen uns beiden wurden zunehmend größer. Trotzdem rafften wir uns immer wieder zusammen, eben, weil wir uns liebten. Der Kulminationspunkt war nun anscheinend erreicht und ich fand es eigentlich gut so. Ein halbes Jahr Beziehungspause würde unsere Liebe wieder auffrischen und einen Neubeginn ermöglichen. So hoffte ich jedenfalls.

Versonnen betrachtete ich ein Bild vom Tempel des Amun - Re in Karnak. David Roberts malte es 1830, als er sich 11 Monate in Ägypten aufhielt. Er malte das Land mit seinen Sehenswürdigkeiten so, wie er es vorfand. Halb von Sande zugeweht und mit einer unglaublichen Romantik. Wie oft wünschte ich mir, ihn auf seiner Reise hätte begleiten können. Die Einzelheiten verschwammen vor meinen Augen. Ich war kurz davor, mich ins Koma zu saufen. Aber den Eingangspylonen erkannte ich noch und in mir reifte ein Entschluss. Was sprach eigentlich dagegen, allein nach Luxor zu reisen? Losgelöst von den Fesseln einer ständig nörgelnden Frau und frei in meinen Entscheidungen. Ich würde es diesem undankbaren Weib zeigen! Meine Entdeckungen würden mich berühmt machen und Melanie müsste kleinlaut zugeben, dass sie sich im Unrecht befand, als sie mich als kleinen Spinner bezeichnete!

Und wenn ich Hatschepsut treffen sollte, würde ich sie auch ficken!

2. Kapitel

Der Linienflug mit Egypt Air bot viel Zeit zum Nachdenken. Und worüber dachte ich wohl nach? Richtig! Mein Ziel in Luxor war klar definiert und ich fest entschlossen, ein kleines Geheimnis in Karnak zu lüften.

Was wusste ich über den Tempel des Amun - Re?

Er galt mit ca. 30 Hektar als der größte Ägyptens. Im Mittleren Reich begann Sesostris I. mit dem Bau des ersten Tempels, nachdem Amun zum Hauptgott erhoben wurde. Auch für die Gattin des Amun, der Göttin Mut, und für ihren gemeinsamen Sohn Chons wurden Tempel errichtet. Gemeinhin nahm man an, dass diese drei die Einzigen dort verehrten Götter wären. Zumindest offiziell verschwieg man etwas. Und genau dieses »Etwas« zog mich wieder nach Luxor.

Abwesend und nachdenklich blickte ich aus dem Fenster, unter dem das Mittelmeer vorüberzog. Einzelne weiße Streifen zeugten von regem Schiffsverkehr. Auf dem Platz neben mir saß eine bildhübsche Ägypterin und zwang meine Gedanken in eine andere Richtung. Ihr zweifellos schwarzes Haar verbarg sie unter einem bunt geblümten Kopftuch. Ansonsten kleidete sie sich sehr modisch – europäisch. Eben in hautengen Klamotten, Shirt und Jeans wirkten wie aufgesprüht. Verstohlen betrachtete ich ihre vollen Brüste in dem engen Shirt. Wie alle weiblichen Wesen bemerkte sie meine bewundernden und begehrlichen Blicke und schenkte mir ein nachsichtiges Lächeln. Ihr Gesicht war makellos und die leicht gebogene Nase gab ihr ein aristokratisches Aussehen. Aufrecht und stolz widmete sich die Traumfrau wieder dem billigen Film auf dem Monitor über uns. Was würde ich dafür geben, diese Frau in den hauchdünnen und durchsichtigen Kleidern der alten Ägypter zu sehen? Ich erkannte keinen Ring an ihrer zierlichen, schmalen Hand. War die Gute nun ledig oder trugen Muslime keine Eheringe? Im Moment würde ich meine bessere Hälfte gern gegen zwei Viertel von ihrem Format tauschen. Das schwarze Land am Nil brachte noch immer die schönsten Frauen der Welt hervor. Leider zollten viele Frauen dem Islam Tribut und verbargen ihre Schönheit unter schwarzem Tuch. Auf dem dritten Platz saß ein Mütterchen. Sicher ihre Oma.

Doch zurück zu diesem »Etwas«. Während unseres letzten Urlaubs in Luxor verliefen wir uns im steinernen Wirrwarr des Karnak-Tempels. Völlig erschöpft und durstig ließen wir uns am Rande des Areals auf einem Stein nieder. Ich checkte die Lage und kam zum Schluss, dass wir uns sehr weit nördlich und fast schon außerhalb der Tempelanlage befinden mussten. Pauschaltouristen schleppte man jedenfalls nicht in diese Gegend. Meine Frau jammerte neben mir und verfluchte ihr Schicksal, mit mir verheiratet zu sein. Ich vertröstete sie mit einem liebevollen Kuss und blickte mich um. Ein paar fast verdorrte, staubige Palmen standen einsam herum. Links hatte jemand ein paar erhaltenswerte Steine mit Hieroglyphen aufgeschichtet. Sie wurden von trockenem Gras überwuchert. Mir fiel die fast unheimliche Stille an diesem Ort auf. Der stetig wehende Wind aus nördlicher Richtung ließ kleinere Sandteufel tanzen. Und plötzlich sah ich ihn. Halb verborgen zwischen Feigenbäumen stand ein Tempel. Nicht mehr als ein besserer Kiosk, aber noch sehr gut erhalten, obwohl er sichtlich vernachlässigt wurde und scheinbar von der Zeit und den Archäologen vergessen. Noch etwas fiel mir ins Auge. Der Trampelpfad des Wachpersonals machte einen verdächtig großen Bogen um das Bauwerk, obwohl die gerade Strecke am Tempel vorbei eine bedeutende Abkürzung darstellte.

Nun stellte sich mir natürlich die Frage, warum ein solches Gebäude in einem solch guten Zustand vergessen wird? In meinem Rucksack trug ich immer ein Opernglas bei mir. Einfach dem pragmatischen Umstand geschuldet, damit Objekte, deren Besuch sich aus meiner Sicht nicht lohnte, trotzdem kurz aus der Ferne betrachten zu können. Selbiges Glas brachte ich nun aus der unergründlichen Tiefe meines Sackes zutage, nicht ohne meiner stöhnenden Frau noch eine Flasche warmes Wasser in die Hand zu drücken.

Was ich dann sah, verwunderte mich, gelinde gesagt. An den Wänden des Tempels erkannte ich Thot in vielen erhabenen Reliefs. Der ibisköpfige Gott der Wissenschaft und Schreiber, der Magie, des Mondes und der Weisheit machte mich nachdenklich. Denn er gehörte nicht hierher! Nicht nach Karnak! Hier wurden ausschließlich Amun, Mut und Chons verehrt.

Ehe ich meine Gedanken weiterspinnen konnte, traten zwei weiß gekleidete Polizisten auf den Plan. Schon von weitem gestikulierten sie wild und zupften unruhig an ihren Maschinenpistolen herum.

Was wir hier zu suchen hätten, fragten sie. Und wie wären wir überhaupt hierhergekommen? Dieser Teil des Tempels wäre für jedermann streng verboten, und das gelte vor allem für Touristen. Ihre Aufregung ließ mich natürlich aufhorchen. Hier gab es nichts als den zugewachsenen Tempel. Warum also machten sie so ein Aufheben? Für mich war sofort klar, dass der Tempel ein Geheimnis barg.

Natürlich erklärte ich ihnen, dass wir uns schlicht verlaufen hätten und niemand uns hinderte, das Gebiet zu betreten. Als Reaktion zerrten sie uns hoch und führten uns auf verschlungenen Wegen durch das Steinlabyrinth zum Ausgang. Später wusste ich nicht mehr zu sagen, wie wir überhaupt zu diesem rätselhaften Tempel gekommen waren.

Wie dem auch sei. Ein ganzes Jahr lang las ich sämtliche Publikationen und schaute diverse Dokumentationen über Karnak. Keiner schien ihn je gesehen zu haben, er existierte schlicht und ergreifend nicht für die Öffentlichkeit! Diesen Tempel fand ich auf keiner Karte und in keiner Beschreibung wieder und mein Ziel war klar umrissen. Ich musste mehr über das kleine Rätsel erfahren. Natürlich lag es im Bereich des Möglichen, dass das Gebäude einfach nur zu unbedeutend war. Dennoch musste ich es wissen. Nur deshalb flog ich in diesem Jahr wieder nach Luxor. Und insgeheim dankte ich meiner Frau, dass sie mich verlassen hatte. Sie band mir nun nicht mehr die Hände und verlangte ständig Erholung und Sex. Männer können grausam sein! Melli war mir ein Klotz am Bein bei meiner Suche nach dem Unbekannten und ich ließ es sie ungerechterweise oft spüren. Mit der Zeit fraß sich Wut und Hass in ihr Herz, so wie sich der Wurm des Nils in die Lungen der unbedarft badenden Kinder bohrte. Aber sie zürnte nicht mir, sondern gab dem Land der Pharaonen die Schuld.

Doch was suchte ich eigentlich, und warum? Mich erfüllte der Entdeckergeist des neunzehnten Jahrhunderts. Drauflos graben und hoffen auf den großen Wurf. Nur hatte ich es ungemein schwerer. Die Archäologenschwemme seit Napoleon grub Ägypten um. Satelliten umkreisen die Erde auf der Suche nach Schätzen. Alles Findenswerte schien gefunden. Hoffnung machte mir nur der von mir allseits verachtete Zahi Hawass, der behauptete, bisher wären nur etwa ein Viertel der Schätze gefunden worden und unter dem Sand der ewigen Wüste längen noch viele Gräber, Pyramiden, Bauwerke und andere Geheimnisse. Leider besaß ich unbedeutender Wicht keine Genehmigung zum Graben und kein Geld, um Beamte längerfristig zu »schmieren«. Ich begehrte nicht Ruhm und Ehre, auch wenn ich natürlich nicht nein sagen würde. Ich wollte einfach etwas finden, dass vor mir noch keiner fand. Und jetzt hatte ich einen Fixpunkt, ein Ziel.

Vor mich hindösend, fiel ich in einen unruhigen Schlaf, hatte dafür aber einen schönen Traum mit einer Frau. Nein, ich träumte nicht von meiner Angetrauten. Kein Mann träumt von seiner eigenen Ehefrau! Es sei denn, er litt unter Alpträumen. Hatschepsut erschien mir und forderte mich in ihr Gemach. Die Pharaonin trug auffällig die Züge meiner Platznachbarin. Mein Zögern, ihr zu folgen, deutete sie als Ungehorsam. Zwei nubische Leibwächter ergriffen mich auf ihr Geheiß und rissen mir die Klamotten vom Leib. Ich schrie um mein Leben und plötzlich stand Nofretete vor mir. Ich erkannte sie an ihrem schmalen Gesicht und der seltsamen Kopfbedeckung. Hatschepsut räkelte sich derweil auf dem goldenen Bett zwischen seidigen Kopfkissen. Ein weiterer nubischer Sklave erschien und verkündete, dass wir uns für den Landeanflug anschnallen sollten.

Verwirrt erwachte ich und suchte nach der Schnalle meines Gurtes. Die Schöne neben mir kämpfte mit ähnlichen Problemen und unsere Hände trafen sich zwischen den Sitzen. Verschämt lächelte sie mich an. Mein Gott, war das Mädel süß!

Die Landung verlief reibungslos und erfreulicherweise klatschte keiner dem Piloten Beifall. Wie ein Schlag mit dem Hammer traf mich die Hitze, als ich ausstieg. Unbarmherzig brannte der Planet auf Mensch und Tier wie schon seit Jahrtausenden. Hier also begann mein kleines Abenteuer. Für vierzehn Tage wandelte ich wieder auf den Spuren Belzonis, Drovettis und Carters. Ich, ein kleiner verrückter Spinner, der vom großen Wurf träumte und den die Wirklichkeit nach kurzer Zeit wieder ins kalte Deutschland führen würde.

Die Halle des kleinen Flughafens war mehr oder weniger verwaist, denn die Chartermaschinen der großen Reiseagenturen landeten morgens oder abends.

Es war ja nicht so, dass ich mir große Hoffnungen machte, aber als meine schöne Nachbarin von einem stämmigen Ägypter umarmt wurde, stieg ein Hauch von Eifersucht und Enttäuschung in mir hoch. Mich jedenfalls erwartete Hassan, der mit erhobenen Armen auf mich zu stürmte. Er nannte mich »mein deutscher Freund« und umarmte mich. Unsere Freundschaft beschränkte sich ausschließlich auf mein Geld. Das wussten wir beide. Dennoch empfand ich gewisse Sympathien für ihn und vor allem für seine Frau. Hassan war mittleren Alters, mit dem verwitterten Gesicht eines Beutelabschneiders. Seine gedrungene Gestalt ließ ihn laufen wie ein Bär, wie ein betrunkener Bär, und seine verschossene Galabia schlotterte um seine kurzen Beine. Ein Frauenschwarm war er nicht. Aber hilfsbereit und zuvorkommend. Doch, man konnte ihn schon in gewisser Weise einen Freund nennen. Diese Attribute erklärten aber nicht seine hübsche Frau. Schon oft nahmen wir seine Gastfreundschaft in Anspruch. Eigentlich immer, wenn wir in Luxor Urlaub machten. Und Haifa verhehlte nie ihr Interesse an mir, dem reichen Europäer aus Deutschland. Einzig meine Frau störte unser Techtelmechtel. Hassan nahm unser Flirten mit Wohlwollen zur Kenntnis, sicherte es ihm doch die Buchung seiner nicht gerade fürstlichen Räume im nächsten Jahr. Für die Einwohner Nordafrikas galten alle Urlauber aus dem fernen Kontinent als finanziell solvent. Und ich sicherte ihm außerdem zusätzliche Einnahmen, da ich seine Beziehungen gegen ein entsprechendes Bakschisch in Anspruch nehmen musste, wollte ich etwas Extravagantes sehen. Er kannte alle! Vom Grabräuber bis zu den grabenden Archäologen und im Nachhinein beglückwünschte ich mich, dass ich mich bei meinem ersten Besuch hier in Luxor in seinem Haus einquartierte. Damals wollte ich neben den »offiziellen« Sehenswürdigkeiten etwas Ausgefallenes sehen. Für mich stellte es die Hölle dar, mit klimatisierten Bussen durch die Gegend gefahren zu werden, um nur das zu sehen, was man mir zu sehen erlaubte. Ich versuchte, ihm meine Wünsche nahezubringen. Hassan lächelte nur, ohne mich einer Antwort zu würdigen. Zunächst nahm ich an, er verstand mich schlicht und ergreifend nicht. Dann verstand ICH und schob ihm ein Bündel Scheine über den Tisch. Das Vermögen verschwand sehr schnell und er nickte endlich.

Am nächsten Tag brachte er mich mit Mohamed ar Rasul zusammen, einem Nachfahren des legendären Grabräubers Ali Abd ar Rasul. Selbiger führte mich durch Al-Qurna, oder einfach nur Kurna genannt. Er zeigte mir Gräber, kroch mit mir durch abenteuerliche Gänge und wusste viel zu erzählen. Abends saßen wir vor seinem Haus und ließen bei einem Minztee alte Zeiten aufleben. Mit besonderem Stolz erzählte er, dass sein Großvater Howard Carter den entscheidenden Tipp gegeben hätte, wo das Grab des Kind-Pharaos Tut anch Amun zu finden wäre. Fotoalben, Dokumente und Artefakte, die kein Mensch kannte, machten mich zum Mitwisser der Geheimnisse einer alten Grabräuberdynastie.

Meine Frau freundete sich derweil mit Haifa an und beide klammerten mich für die Zeit ihrer Freundschaft in ihren Gesprächen und Eifersüchteleien aus. Ein Zweckbündnis sozusagen, denn Melanie entging das Interesse Haifas an mir natürlich nicht.

Wie dem auch sei. Hassan begrüßte mich also und führte mich zu seinem Seelenverkäufer von Auto. Ein letzter schmachtender Blick auf meine hübsche Nachbarin, dann stieg ich ein. Nach nur vier Versuchen gab das Gefährt ein Lebenszeichen von sich und ab ging es Richtung Luxor. Eine Stadt mit knapp 500.000 Einwohnern und damit die größte Stadt Oberägyptens. Einst Schaltzentrale der Macht, lebte sie nur noch von der Erinnerung an alte Tage. Sie beherbergte das größte Freilichtmuseum der Welt. Nämlich sich selbst. Abertausende Touristen besuchten jedes Jahr die »Stadt der Paläste«, schwitzten in tiefen Gräbern und verfluchten den Sand der Sahara, den ihnen der stetig wehende Nordwind ins Gesicht blies. Als wahre Plage erwiesen sich jedoch die Einheimischen. Ständig umschwirrte eine Traube von Händlern, Kameltreibern und Ausfluganbietern die Touristen wie eine Wolke Moskitos, und so manchen Willigen schreckten sie damit vor einer möglichen Rückkehr im nächsten Jahr ab.

Eselkarren, beladen mit Melonen, Minzteebündeln oder Käfigen voller gackernder Hühner, strebten zu den Märkten der Innenstadt. Ich liebte dieses orientalische Tohuwabohu! Hassan redete unentwegt mit seinem gutturalen Akzent Deutsch auf mich ein. Er verriet mir nie, wo er Deutsch lernte. Wir bogen in die Corniche ein und in der Ferne, am Westufer des Nil begrüßte mich Dair el Bahari, der Tempel der Hatschepsut. Ja, hier fühlte ich mich wohl. In einem früheren Leben war ich ein Pharao! Oder wenigstens ein höherstehender Beamter.

3. Kapitel

Haifa begrüßte mich mehr als überschwänglich. Sofort fragte sie nach Melanie und ich sprach mein ehrliches Bedauern aus, dass sie verhindert in Deutschland geblieben wäre. Dabei kniff ich ein Auge zu. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie schlang ihre Arme um meinen Hals. Volle Lippen näherten sich den meinen, doch zum Glück siegte die Vernunft.

Haifas Beziehung zu Hassan war mir schleierhaft. Er musste doch bemerkt haben, dass seine Frau mir mehr als Freundschaft antrug. Hassan lächelte nur dümmlich. Seine Frau gab nicht die übliche unnahbare und zurückhaltende Islami. Zwar trug sie traditionell ein blau – weiß gestreiftes Kopftuch und einen Kaftan, aber sonst machte sie keinen Hehl aus ihrer Weltoffenheit. Hassan verschwand in einem Nebenzimmer und Haifa führte mich in mein Gemach.

»Es ist schön, dich wieder hier zu wissen«, hauchte sie und legte wie nebenbei ihre Hände auf meinen Oberkörper. Durch den dünnen Stoff meines T-Shirts fühlte ich die Wärme und Weiche ihrer hennabemalten Finger und fast hätte ich sie an mich gezogen.

»Du bist immer noch die schönste Frau unter Allahs Sonne!«

»Alter Schmeichler! Wie kannst du nur so schamlos lügen? Wenn du etwas benötigst oder irgendwelche Wünsche hast, so lass es mich wissen. Übrigens, nur so nebenbei: Mein Mann ist morgen und übermorgen geschäftlich unterwegs.«

Nun war es an ihr, ein Auge zu schließen.

Umgehend entschwand sie und ließ mich mit meinen Gedanken allein.

Ich legte mich auf das knochenharte Doppelbett und blickte mich um. Das einzige Gästezimmer des Hauses befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Der Putz blätterte ab, die Steckdose hing an ihren Kabeln und durch einen Riss in der Wand erblickte ich den Innenhof. Seit meinem letzten Aufenthalt hier hatte sich nichts verändert. Eigentlich eine Zumutung für europäische Gäste und ich fragte mich, warum ich mir das immer wieder antat. Waren es Hassans Beziehungen oder die Gesellschaft von Haifa? Ich rollte mich auf die Seite und im gleichmäßigen Quietschen des Deckenventilators döste ich weg.

Jemand massierte meine Schultern und ich gab mich eine Weile dem wohligen Gefühl hin. Im Halbschlaf genoss ich die sanften Berührungen zärtlicher Hände. Plötzlich wurde mir bewusst, wer mich da mit geschmeidigen Fingern bearbeitete.

»Haifa! Das solltest du nicht tun. Sonst kann ich für nichts garantieren.«

Sie saß neben mir auf dem Bettrand und blickte mich mit ihren schwarzen Augen tief an. Doppeldeutig sagte sie:

»Du musst lockerer werden.«

»Ich bin verheiratet und du eine verführerische Frau. Und auch du lebst mit einem Mann.«

»Deine Frau ist nicht hier und meinen Mann interessiert es wenig, was ich so treibe. Gehen wir essen. Es ist schon spät.«

Sie wirkte plötzlich abweisend, fast schon enttäuscht.

Am Tisch fragte Hassan:

»Was hast du vor in diesem Urlaub? Womit kann ich dir helfen?«

Ich tunkte ein Stück Fladenbrot in das unvermeidliche Fuul. Anfangs schmeckten die Saubohnen noch exotisch und sättigend, aber schnell wurde das Zeug einem ungewohnten Esser widerlich. Während ich überlegend aß, ging gedanklich der Schalk mit mir durch. Ich werde deine Alte vierzehn Tage lang pimpern und dann verschwinde ich wieder, dachte ich mit Vergnügen. Unwillkürlich blickte ich lächelnd zu Haifa. Die musste ähnliche Gedanken gehegt haben, denn verlegen senkte sie ihren Kopf.

Verschwörerisch beugte ich mich zu Hassan über den Tisch:

»Was weißt du über den Tempel des Thot in Karnak?«

Hassan zuckte zusammen. Dann überlegte er eine Weile.

»Es gibt in Karnak keinen solchen Tempel. Das solltest du eigentlich wissen.«

»Komm schon, Hassan. Wir wissen beide, dass es diesen Tempel gibt!«

»In Karnak wurden nur Amun, seine Gemahlin Mut und ihr Sohn Chons angebetet. Alles andere wäre Blasphemie gewesen.«

Hassan sagte das in einem Brustton der Überzeugung, dass es mir ein Lächeln entlockte.

»Ooooch, mein Guter. Warum macht ihr ein solches Geheimnis daraus? Überhaupt! Wie kommt es, dass dieser kleine Tempel nirgends verzeichnet ist? Er ist zweifelsohne Thot geweiht. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Also verkaufe mich bitte nicht für dumm!«

»Was auch immer du gesehen hast, Peter!«, schrie er aufgebracht. »Thot wurde in Hermopolis verehrt und nicht in Karnak! Und ihm wurde mit Sicherheit kein Tempel errichtet!«

Hassan war inzwischen rot angelaufen. Das Thema bereitete ihm sichtlich Unbehagen. Er verschwieg mir etwas. Was war so schlimm daran, mir zu sagen, dass dieser Tempel zwar fehl am Platze war, aber dennoch existierte? Ich sah ihn durchdringend an:

»Warum belügst du mich?«

»Sag es ihm!«, mischte sich nun Haifa ein.

Resignierend hob er seine Schultern und stöhnte auf:

»Also gut. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Ja, der Tempel existiert. Aber nicht für die Öffentlichkeit! Denn er ist verflucht! Und ich kann dich nur warnen. Versuche nicht die Götter!«

Ich wollte nicht glauben, was ich da hörte. So kannte ich ihn nicht. Die pure Angst stand ihm plötzlich ins Gesicht geschrieben. Dann fuhr er mit seinen Warnungen fort:

»Zolle den alten Göttern Respekt, besonders Thot. Der Tempel wird streng bewacht und solange sich ihm keiner nähert, geschieht auch nichts. In seiner Nähe aber ist es nicht geheuer.«

»Bestimmt hast du Beweise für deine lächerlichen Ängste«, forderte ich ihn heraus. Für Verschwörungstheorien hatte ich schon immer Interesse und Ägypten erwies sich als El Dorado für Mysterienjäger.

Hassan bog seinen Oberkörper nach vorn und blickte sich ängstlich nach möglichen Zuhörern um. Er sah aber nur seine Frau, die spöttisch ihren hübschen Mund verzog. Sie hielt ihren Mann für einen armseligen Wicht. Nie wurde ihr gespaltenes Verhältnis deutlicher als in diesem Augenblick. Hassan verlegte sich aufs Flüstern:

»Vor einigen Tagen fand man ein Mädchen ohnmächtig im Tempeleingang. Die Polizei ging davon aus, dass sie sich nur verlaufen hatte und einfach nur dehydriert war, also zu wenig getrunken hatte. Man flößte ihr Wasser ein und langsam kam sie zu sich. Sie sprach unverständlich, aber nach Altägyptisch klingend. Nun sind Ägyptologen keine Seltenheit in Luxor und schnell fand sich einer. Er verstand ihren Dialekt, wenn auch nur sehr grob und nur wenige Worte. Zwar hatte auch der gute Mann Mühe, sie zu verstehen, aber das Wichtigste hörte er heraus. Und nun höre und staune. Ihr Name wäre Merit und sie die Tochter des Wesirs Senenmut und der Dame Nofret!«

Hassan brach unverständlicherweise ab. Oder er wusste nicht mehr. Was er erzählte, war mehr als interessant. Und vor allem konnte es nachvollzogen werden, denn es geschah erst vor kurzer Zeit. Zusätzlich hing die Geschichte mit »meinem« Tempel zusammen.

»Erzähle mir mehr, Hassan!«, forderte ich ihn erregt auf. »Was sagt die Presse zu dem Vorfall?«

Er hob bedauernd die Hände:

»Ich weiß nicht mehr. Was ich dir erzählte, erfuhr ich nur beiläufig von einem befreundeten Polizisten. Das Mädchen wurde in ein Hospital gebracht. Und Presse? Guter Mann! Täglich verschwinden hier Leute, ebenso viele tauchen auf. Das interessiert hier wirklich niemanden und gibt nichts her. Zumal es sich offensichtlich um ein stark gestörtes Mädchen handelt.«

»Ich möchte mit dem Mädchen reden. Wo brachte man es hin?«

»Also gut. Du gibst ja doch keine Ruhe. Es ist im Luxor Medical Center. Aber du rennst sehenden Auges in dein Verderben.«

»Sagte nicht euer Mohamed: Wenn Gott beschließt, dass ein Mensch an einem bestimmten Ort sterben soll, gibt er ihm einen Grund, dorthin zu gehen? Wenn an der Geschichte etwas Wahres ist, habe ich den triftigen Grund. Die etablierte Wissenschaft hält es nicht für nötig, das Geheimnis des Tempels zu erforschen, also tue ich es!«

Hassan erklärte mir den Weg. Weit bis zu dem Center war es nicht. Ich würde es leicht finden. Auf meine Frage nach einer Begleitung reagierte er ärgerlich. Es ginge ihn nichts an und außerdem müsse er zwei Tage geschäftlich nach Assuan. Ich brauchte aber einen Dolmetscher. Mein Arabisch ließ immer noch zu wünschen übrig. Schließlich erklärte sich Haifa bereit, mich zu begleiten.