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Robert Rabenalt, geb. in Berlin, Studium der Musikwissenschaft und Musiktheorie in Berlin, Lehrtätigkeit im Bereich Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, daneben Tätigkeit als Komponist für Ensembles und Film, Lehrbeauftragter für Musik- und Tondramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg und als Mitherausgeber der Onlinezeitschrift Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung. Weitere Tätigkeit als Mitherausgeber, Autor von Artikeln, Lexikonbeiträgen, Leiter und Organisator von Workshops, Fachtagungen im Bereich Musiktheorie, Filmmusik und zur Didaktik im Spannungsfeld künstlerisch-wissenschaftlicher Arbeit sowie Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen und im Rahmen von Erasmus+ (Lissabon). 2019 Promotion an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

 

Print ISBN 978-3-86916-785-5
E-ISBN 978-3-96707-102-3

 

Umschlagabbildung: LE VIOLON ROUGE (DIE ROTE VIOLINE, CAN/USA/I/GB/AT 1998, R. François Girard, M. John Corigliano). Screenshot DVD (125 Min.) Concorde, München, 1999

 

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

 

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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2020
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Inhalt

Einleitung

Vorhaben, Prämissen und Methodik

Medientechnische Hinweise

Danksagung

Teil I
Grundlagen und interdisziplinäre Umgebung

1. Dramaturgie und Musik

1.1 Dramaturgie

1.1.1 Begriffsbestimmung Dramaturgie

1.1.2 Filmdramaturgie

1.1.3 Explizite Dramaturgie

1.1.4 Implizite Dramaturgie

1.1.5 Narratologie, narration und Filmdramaturgie

1.1.6 Die »Fabel« (mythos, story)

1.1.7 Das Fabel-Sujet-Begriffspaar

1.2 Musikästhetische Perspektiven auf Musik und Erzählen

1.2.1 »Absolute« und autonome Musik als musikalische Poesie

1.2.2 Programmmusik oder Ideenkunstwerk?

1.2.3 Narrative Metaphern und Formmodelle für Musik

1.3 Zusammenfassung Kapitel 1

2. Ästhetik und Affekt

2.1 Filmästhetische Überlegungen zur Einheit von Klang und Bild

2.1.1 Die äußeren Bedingungen zur Wahrnehmung der auditiven Schicht

2.1.2 Prozessualität und Räumlichkeit von Bild und Musik

2.1.3 Filmische Montage

2.1.4 Rezeptionsästhetische Modellvorstellungen zu Musik im Film

2.2 Einfühlung und Distanz

2.2.1 Brechts Kritik der Einfühlung

2.2.2 Strategien der Subjektivierung

2.2.3 Ernste und komische Effekte der Verfremdung

2.3 Filmmusik und Emotion

2.3.1 Thesen zur emotiven Wirkung von Filmmusik

2.3.2 Musik, Affekt und musikalischer Gestus

2.3.3 »Psychische Erholung« durch fiktive Lösungen

2.3.4 Einfühlung und Kontemplation als doppelte Basis der Affekte

2.3.5 Mitaffekt und Eigenaffekt

2.4 Zusammenfassung Kapitel 2

3. Musikdramaturgie und Film

3.1 Praxisorientierte und theoretische Ansätze

3.2 Abgrenzung zur Musiktheater-Dramaturgie

3.3 Zusammenfassung konkreter Aspekte der Musikdramaturgie im Film

Teil II
Methoden und Anwendung der musikdramaturgischen Analyse

4. Filmmusik und Analyse

4.1. Vorüberlegungen zum Themenbereich Filmmusik und Analyse

4.2 Kritik der Modelle und Kataloge filmmusikalischer Funktionen

4.3 Möglichkeiten und Grenzen der musikalischen Analyse von Filmmusik

4.3.1 Filmmusikalische Topologien

4.3.2 Musikalischer Ausdruck des Filmthemas und Einfluss auf narrative Strukturelemente

4.3.3 Grenzen der musikalischen Analyse

4.4 Fabelzusammenhang der Filmmusik

4.4.1 Definition Fabelzusammenhang der Filmmusik

4.4.2 Thesen zum Fabelzusammenhang der Filmmusik

4.4.3 Aristotelische Fabel und geschlossene Form

4.4.4 Heldenreise

4.4.5 Analytische Fabel

4.4.6 Episierende Fabel

4.4.7 Offene (dedramatisierte, sujetlose, episodische) Fabeltypen

4.5 Sujetbezug der Filmmusik

4.5.1 Thesen zum Sujetbezug der Filmmusik

4.5.2 Sujetbezug und narrative Funktionen

4.5.3 Das Zusammenwirken von Sujetbezug und Fabelzusammenhang

4.6 Die dramaturgische Dimension von Musik-Bild-Kopplungen

4.6.1 Klangperspektive

4.6.2 Extension

4.6.3 Synchrese

4.6.4 valeur ajoutée

4.6.5 Audiovisueller Kontrapunkt (»Kontrastierende Vertikalmontage« nach Eisenstein)

4.6.6 Sich bestätigende Beziehungen (Affirmation)

4.6.7 Sich ergänzende Beziehungen (»Dramaturgischer Kontrapunkt« nach Adorno / Eisler)

4.6.8 Filmmusikalisches Leitmotiv

4.6.9 Affirmation und Kontrapunkt als dramaturgisch vermittelte Beziehungen

4.7 Die auditiven Gestaltungs- und Wahrnehmungsebenen

4.7.1 Instrumentarium zur Analyse der auditiven Schicht

4.7.2 Erste und zweite auditive Ebene als kategoriales Gerüst

4.7.3 Mittelbarer auditiver Darstellungs- und Wahrnehmungsraum (mittelbare Ebene)

4.7.4 Modell der auditiven Ebenen

4.8 Zusammenfassung Kapitel 4

5. Zusammenfassung und Ausblick

6. Anhang

6.1 Verzeichnis der Filme

6.2 Verzeichnis der Abbildungen und Noten

6.3 Verzeichnis der Personen

6.4 Verzeichnis der Musikstücke und literarischen Werke

6.5 Internetquellen

6.6 Literaturverzeichnis

6.7 Glossar

Einleitung

Vorhaben, Prämissen und Methodik

Das Vorhandensein einer Musikdramaturgie im Film sollte zunächst begründet werden, weil Musik im Film nicht zwangsläufig vorhanden sein muss, um einen Film wirkungsvoll, inhaltlich und ästhetisch wertvoll zu gestalten. Musik ist nicht selten ein Auslöser und Anstoß von Filmen, Begleiter bei der Arbeit am Film oder gewohntes Beiwerk. Entgegen zahlloser Filmbeispiele, in denen nicht nur viel, sondern auch virtuos und kunstvoll Musik eingesetzt wird, ist es dennoch möglich, Filme ohne Musik – zumindest ohne hinzumontierte, nicht durch die gezeigte Szene begründete Musik – zu erschaffen. Doch schon hier beginnt eines der viel diskutierten Probleme der Musikdramaturgie im Film: Ist die gezeigte Musik lediglich in solchen Einstellungen zu hören, wo sie auch zu sehen ist? Wird Musik in der Szene nicht immer ein Kommentar, eine Vertiefung oder eine Interpretationshilfe sein wie externe Musik, z. B. wenn wir durch Montage gleichzeitig die Reaktionen auf das Erklingen der Musik sehen? Wenn uns diese Musik auch weiter in die folgende Szene begleitet, bedeutet sie dann nicht mehr, als nur die Ausstattung der Szene zu bereichern oder Übergänge fließend wirken zu lassen?

Die Musikdramaturgie im Film beschäftigt sich sowohl mit Musik, die in vielerlei Form Teil der Handlung sein kann, als auch mit der Zuordnung von Musik zu einem filmisch organisierten Handlungsablauf. Als analoger Begriff zur Musikdramaturgie des Musiktheaters taugt der Begriff aufgrund mediumspezifischer und ästhetischer Unterschiede zwischen Film und Oper nicht ohne Weiteres, vor allem aber, weil Film keine im eigentlichen Sinne musikalische Gattung ist. Gemeinsamkeiten zwischen den sich in der Zeit entfaltenden Kunstformen Musik und Film erlauben aber, filmische Anordnungen durchaus als »musikalisch« zu bezeichnen, z. B. in Fragen des Rhythmus und Timings oder der Komposition und Anordnung der Ebenen und Teile. Wenn Filmdramaturgie die für die Gattung des narrativen Films kaum zu überschätzende Bedeutung der Bilder und das darstellende Spiel der Figuren ordnet, dann wird sie diese Ordnungskraft auch auf die hinzugefügte Musik übertragen. Eine unmittelbar führende Rolle nimmt Musik dabei selten ein.

Dennoch scheint der Einfluss von Musik auf Dramaturgie und Filmwirkung enorm zu sein. In der vorliegenden Studie wird der Frage nachgegangen, wie vielfältig und wie konkret Musik als dramaturgisches Mittel zum Einsatz kommt und wie Musik die Filmform und die Filmwirkung beeinflusst. Unter Wirkung wird dabei nicht eine messbare physiologische oder psychologische Wirkung, sondern die Erlebnisqualität (Unterhaltung, Anregung) verstanden, die ein in Dramaturgie enthaltener Aspekt ist. Unter der Vorgabe, die bestmögliche Wirkung zu erreichen, organisiert Dramaturgie als Werkzeug der Konstruktion und Reflexion Struktur und Inhalt und setzt als zugleich praxisbezogene Disziplin Thema und filmische Präsentation einer Geschichte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Aufführungsarten um.

Ziel dieser Untersuchung ist es, die oft benannte, aber selten ausführlich behandelte, zeitgemäße Bedeutung der Dramaturgie für die Gestaltung, den Einsatz und die Wirkung der Filmmusik konkret und systematisch darzustellen. Es soll untersucht werden, wie Musik eigene Wirkungsmechanismen und Merkmale zugunsten einer Geschichte und ihrer filmischen Präsentation einbringt und mit Hinblick auf die kognitive und emotionale Anteilnahme eines anvisierten, idealen Publikums eingesetzt wird. Es sollen neue Thesen für die genannten Bereiche entwickelt und Musikdramaturgie als essenzieller Bestandteil einer Filmmusiktheorie ausgebaut werden. Hierfür wird ein zum Teil neues terminologisches und kategoriales Modell zur Beschreibung und Analyse von Filmmusik zur Diskussion gestellt.

Als Prämissen für dieses Vorhaben, die in der Arbeit an geeigneter Stelle näher erläutert werden, gelten folgende Punkte:

Aus den Zielen und Prämissen ergibt sich, dass Dramaturgie als Methode zum Einsatz kommt, d. h. als Instrument der Reflexion, Analyse und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und des kreativen Durchdenkens von Phänomenen des darstellenden Erzählens und der Filmmusik. In der Filmmusikforschung ist Dramaturgie noch nicht systematisch als Methode genutzt worden, obwohl sie – von bestimmten kommerziellen Erwägungen abgesehen – die wohl wichtigste Instanz darstellt, vor der sich alle zum Einsatz kommenden Mittel im Film, darunter die Filmmusik, direkt oder indirekt rechtfertigen können und meist auch müssen. Ziel dieser Studie ist es daher auch, Dramaturgie als wissenschaftliches Werkzeug zur Annäherung an künstlerische, sich in der Zeit entfaltende, multimediale Werke zu erschließen.

Konkrete Fragen, die die Untersuchung leiten, sind:

Daraus ergibt sich, dass ein interdisziplinärer Ansatz notwendig ist, um die grundlegenden und breit gefächerten dramaturgischen Aspekte der Gestaltung und Wirkung von Filmmusik zu untersuchen. Die Gliederung des Buches und der Umfang der einzelnen Kapitel nimmt darauf Rücksicht. Vonseiten der beteiligten wissenschaftlichen und künstlerischen Disziplinen Theater, Literatur, Musik (Theorie und Komposition), Musikwissenschaft, Film und Filmtheorie existiert keine universell anerkannte Definition von Dramaturgie. Auffällig in den zahlreich vorliegenden Veröffentlichungen zu Filmmusik ist eine Diskrepanz zwischen dem durchaus vorhandenen Bewusstsein von der Bedeutung der Dramaturgie für die Filmmusik einerseits und andererseits dem nicht selten eingeengten oder ungenauen Blick darauf, was Dramaturgie genau sei. Die Begriffsbestimmung steht daher am Anfang der Betrachtungen und ersetzt eine noch häufig anzutreffende reduzierte Auffassung, nach der Dramaturgie lediglich den Handlungsaufbau oder einen nicht näher definierten Spannungsaufbau betrifft, manchmal nur Worthülse für die Ansammlung von Strukturmustern ist oder allein das In-Szene-Setzen meint und überdies implizite, nicht offensichtliche Dramaturgieanteile vernachlässigt.

Die Untersuchungen zur Musikästhetik, Filmästhetik, Kunst- und Emotionspsychologie werden auf jene Aspekte eingegrenzt, die für die dramaturgische Bedeutung von Filmmusik und ihre Rezeption wichtig erscheinen. Somit kann zwar keine als vollständig geltende Ästhetik der Filmmusik entwickelt werden, jedoch steht diese mehr als in anderen Veröffentlichungen zur Filmmusik am Anfang der Betrachtungen, und im Verlauf treten wesentliche Merkmale einer Ästhetik der Filmmusik hervor. Querverbindungen zwischen den Disziplinen und die für Filmmusik spezifisch geltenden Bedingungen bei der Filmherstellung und Aufführung führen die unterschiedlichen Perspektiven immer wieder zusammen, sodass auch hier die Frage nach der dramaturgischen Bedeutung von Filmmusik ins Zentrum gerückt werden kann. Die kritische Reflexion des Vokabulars und eine Aufstellung der konkreten Aspekte der Musikdramaturgie im Film bilden die Grundlage für das letzte Kapitel. Dort werden konkrete Thesen zur Theorie der dramaturgischen Einbindung von Musik sowie das Instrumentarium zur musikdramaturgischen Analyse präsentiert und mit zahlreichen Beispielen untermauert.

Wenn Begriffe und Zusammenhänge von Grund auf neu überdacht werden, ist meist auch eine Kritik an der Terminologie oder ihrem Gebrauch die Folge. Diese Kritik richtet sich aber nicht an Personen, die mit solcher Terminologie arbeiten. Erkenntnisse oder neue Begriffe sollen zum Weiterdenken anregen und stehen im besten Fall auch für hier nicht diskutierte Gegebenheiten, Gattungen und Formen zur Verfügung.

Der Korpus der Studie erwächst aus Filmen, die entweder durch ihr ästhetisches Konzept, ihre Dramaturgie und Erzählstruktur, ihre musikalischen Mittel und kommunikativen Codes oder aufgrund ihrer unterstellten Publikumswirksamkeit tief greifende Erkenntnisse zum Forschungsschwerpunkt erwarten lassen. Das gewählte Spektrum zeigt neben der dramaturgischen Dimension filmmusikalischer Arbeit auch, wie Musik für unterschiedliche Erzählformen eingesetzt wird bzw. wie sie diese beeinflusst, sowie die filmspezifischen Erscheinungsweisen von Musik im Film. Es handelt sich um exemplarisch gewählte Filme, die durch ihren Musikeinsatz prägend waren oder noch sind, unabhängig davon, ob die Filme zu ihrer Zeit oder heute massenwirksam geworden sind oder eher in Kreisen von Filmschaffenden, an Filmhochschulen, von der Filmkritik oder Filmwissenschaft diskutiert wurden. Manche Beispiele können für die Regel stehen, andere für die Ausnahme. Meistens zeigen die Beispiele die vielfältigen Möglichkeiten der musikdramaturgischen Arbeit im Film. Diese Methodik erlaubt es, anders als bei einer an Genres, einzelnen Personen, Epochen oder Markterfolg orientierten Studie, dem Anspruch nach einem umfassenden Spektrum musikdramaturgischer Konzepte und Wirkungsweisen der Filmmusik gerecht zu werden.

Medientechnische Hinweise

Die angegebenen Zeiten der Filmausschnitte von untersuchten Beispielen sind kein Timecode. Dazu fehlt nicht nur die letzte Angabe (frame), sondern auch eine einheitliche Grundlage für die unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Videoformate. Die meisten Quellen haben keinen eingeschriebenen Timecode. Die meisten physischen und nativen Player geben nur berechnete Werte (gewissermaßen Schätzungen) zur Laufzeit bzw. Position an und keine absoluten, nicht zu löschenden Zuordnungen zu jedem einzelnen Frame wie bei einem Timecode. Die angegebenen Zeiten sind daher nur ungefähre Werte, erhalten in dieser Form bestehend aus Stunden: Minuten: Sekunden aber eine Übersichtlichkeit, z. B. 1:26:50 (h:mm:ss) im Gegensatz zum Timecode 01:26:50:24 (h:mm:ss:frame). Bei Abweichungen der in den Analysen angegebenen Zeiten von mehr als ein bis zwei Minuten (am Ende eines ca. zweistündigen Films sogar von bis zu zehn Minuten) liegt der Grund in den unterschiedlichen Standards von 24 oder 25 Bildern/Sekunde, d. h. der Unterschied zwischen schneller laufender DVD und Kinofilm bzw. Streamingdiensten. Dieser Unterschied kann sich auch bei höheren frame-Raten moderner Videoformate bemerkbar machen, die diese Standards rekonstruieren. Je nach Format, Gerät und Software müssen beim Abspielen der Filme Abweichungen in Kauf genommen werden, selbst bei einer identischen Quelle und besonders bei unterschiedlichen Editionen. Vor diesem Hintergrund wurde auf eine sekundengenaue Angabe verzichtet und zumeist in Fünf-Sekunden-Schritten »gerundet«.

Die durch unterschiedliche Bild- und Tonformate entstehenden Unterschiede der Tonhöhen ergeben das Problem, dass Filmmusik auf DVDs und vergleichbaren Formaten annähernd eine kleine Sekunde höher erklingt, als sie komponiert, notiert und aufgenommen wurde. Ein Musikstück in a-Moll erklingt dann in b-Moll, C-Dur klingt als Cis-Dur oder Des-Dur. Die hier vorliegenden Transkriptionen wurden durch den Autor vorgenommen und gleichen diese Differenz in der Regel aus. Mitunter ist aber nicht eindeutig zu bestimmten, in welcher Tonart eine im jeweiligen Videoformat klingende Musik steht oder komponiert wurde. Dieser Sachverhalt kann hier vernachlässigt werden, zumal im Arbeitsprozess musikalisch oder technisch nicht selten und für Außenstehende kaum nachzuprüfen transponiert wird und der Schwerpunkt hier nicht auf der Analyse von originalem Notenmaterial liegt.

Danksagung

Für ihre wertvolle Hilfe durch Gespräche, Anmerkungen, generelle und spezielle Hinweise oder sonstige Unterstützung danke ich den folgenden Personen (in alphabetischer Reihenfolge) sehr: Prof. Jens Becker, Ornella Calvano, Franziska Döhler, Prof. Dr. Hartmut Fladt, Stephanie Hörnes, Dr.in Anna Igielska, Prof. Dr. Georg Maas, Dr. Dieter Merlin, Prof. Peter Rabenalt, Pascal Rudolph, Prof. Dr.in Monika Suckfüll, Prof. Dr.in Kristin Wardetzky, Prof. Dr. Peter Wuss, Rita Ziller.

Besonderer Dank gilt dem Team der Hochschulbibliothek und Mediathek der Filmuniversität »Konrad Wolf« Potsdam-Babelsberg, darunter ganz besonders für ihre engagierte Hilfe: Uwe Figge, Kirsten Otto und Susanne Reiser.

Unschätzbar wertvoll war und ist der Austausch mit den Studierenden der Filmuniversität »Konrad Wolf« Potsdam-Babelsberg, insbesondere aus den Studiengängen »Sound«, »Sound for picture«, »Drehbuch/Dramaturgie« und »Filmmusik«. Dieses Buch habe ich auch (wie es sinngemäß Arnold Schönberg einmal ausdrückte) von ihnen gelernt.

3. Musikdramaturgie und Film

In diesem Kapitel soll eine Definition von Musikdramaturgie im Film erarbeitet und erläutert werden, die die Aspekte der in Kapitel 1 und 2 diskutierten Phänomene so umfassend wie möglich berücksichtigt und weiter konkretisiert. Untersuchungen, Konzepte und Verfahren zum dramaturgisch begründeten Einsatz von Musik im Film, die der Komplexität des Themengebiets gerecht werden sollen, benötigen einen entsprechenden theoretischen Unterbau, bevor im II. Teil des Buches Methoden und Instrumente sowie die Anwendung der musikdramaturgischen Analyse erläutert und dargestellt werden. Dieser Zwischenschritt erfolgt auch mit Hinblick auf die im Schrifttum zur Filmmusik vertretenen sehr unterschiedlichen Auffassungen davon, was Musikdramaturgie im Film ist.

Nicht nur in der Fachliteratur ist zwar fast durchgehend von dramaturgischen Funktionen der Filmmusik die Rede, doch es finden sich keine systematischen Untersuchungen oder Ansätze, die auf die Vielfalt der heute anzutreffenden Erzählformen angewendet werden könnten. Hier soll eine entsprechend differenzierte Musikdramaturgie im Film eine Alternative aufzeigen.

3.1 Praxisorientierte und theoretische Ansätze

»Alle die Grundgesetze der Musik, in der Menschenseele zu unterst verankert, das An- und Abschwellen der Gefühlslinie, das Treiben und Gehemmtsein, der Gegensatz mit all seinen vielen Unterschattierungen, all das ist in seiner wortlosen psychischen Basierung dem Film wie der Musik gemeinsam.« (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 16)

Mit der Klangschicht erhält der narrative Film einen den visuellen Raum ergänzenden auditiven Eigenschaftsraum mit eigens zu bestimmender dramaturgischer Bedeutung. Mit der Differenzierung in eine dem imaginativen Handlungsraum zuzuordnende und eine davon abzugrenzende Ebene differenziert sich auch dieser Eigenschaftsraum weiter. Es ist jedoch zu bedenken, dass über viele Jahrzehnte im Kino schon aus technischen Gründen diese beiden auditiven Ebenen nie trennscharf zu unterscheiden waren und so Filmsprache, Stil, Produktion und Rezeption geprägt wurden. Auch wäre der Vorgang der Beiordnung und Montage aus filmpraktischer bzw. handwerklicher Sicht nicht nur für die externe, sondern auch für die in der gezeigten Aktion zu hörende, interne Musik gültig. Diese handlungsinterne Musik wird in der Regel zwar einer konkreten Quelle im imaginativen Handlungsraum (in der storyworld) zugeordnet (source music). Doch ist sie zugleich ein Mittel der allgegenwärtigen Montage und kann sich von der verursachenden Quelle als ursprüngliche oder alleinige Bedeutung lösen. Genauso wie beigeordnete, externe Musik nicht nur ein Kommentar ist, sondern indirekt der Ausstattung und Illustration dienen kann, ist interne, handlungsbedingte Musik nicht nur eine klangliche Variante von Ausstattung, sondern kann Teil eines dramaturgisch notwendigen oder zumindest gewollten Kommentars sein. In diesen Fällen wären Filmmusik und ihre Dramaturgie ein spezifischer Teil der Filmform. Neben einer Tondramaturgie wäre dann auch eine Musikdramaturgie nachweisbar, wenngleich der narrative Film grundsätzlich auch ohne Musik auskommen kann.

So fließen in das gewachsene rezeptionsästhetische Verständnis zu den beiden auditiven Ebenen innerhalb des den visuellen Raum ergänzenden auditiven Eigenschaftsraumes drei eigentlich widersprüchliche medienspezifische Erfahrungen ein:

Daher erfüllt die Musik- und Tongestaltung offenbar weiterhin tradierte rezeptionsästhetische Vereinbarungen, auch wenn nun technisch gesehen Änderungen möglich wären. So gilt z. B. weiterhin, dass Dialoge bis auf wenige Ausnahmen aus dem Center-Lautsprecher zu hören sind, Filmmusik und szenische Musik mit lokalisierbaren Quellen im imaginativen Handlungsraum (source music) im Stereobild erklingen, aber kaum im surround. Abweichungen davon werden nach wie vor als poetisch kodierte Gestaltungsmittel für bestimmte Sonderfälle erkennbar, z. B. psychisch-mentale Ausnahmesituationen oder Tod.178

Eine Abweichung von gelernten Standards der Musik- und Tongestaltung wird auch als narrativ begründete Irritation in Bezug auf die Einheit von Raum und Zeit verstanden – zumindest außerhalb der grundsätzlich diese Verabredungen infrage stellenden Filme z. B. von Jean Luc Godard und in einer gänzlich anderen Ästhetik z. B. des asiatischen Kinos. Filmmusik im surround wie z. B. in DAS PARFÜMDIE GESCHICHTE EINES MÖRDERS (D/F/SP/USA 2006, R. Tom Tykwer, M. Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer),179 wo das Phänomen allerdings nicht konsequent angewendet wird, kann als eine Übersetzung der ätherischen Qualität des Duftes gelten und ist seltene Ausnahme und Beleg für Versuche, neues Potenzial aus der Differenzierung des Klangraumes im Kino zu ziehen. Simulation und Authentieeffekt sind zunächst nur Ausgangspunkt für die Unterscheidung interner und externer auditiver Gestaltungsebenen. Letztlich bestimmen dramaturgische Beweggründe die Abgrenzungen, Trennschärfe und Übergänge zwischen den auditiven Ebenen oder die Position von Filmmusik in einem ambivalent bleibenden »Ort«.

Neben einigen älteren Veröffentlichungen zur Musikdramaturgie180 zeigen auch aktuelle Veröffentlichungen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die dramaturgische Bedeutung der Filmmusik.181 Andere Arbeiten behandeln Phänomene der Musikdramaturgie im Film unter speziellen Gesichtspunkten (z. B. Genreuntersuchungen, Zeichencharakter der Filmmusik, Personalstile) bzw. begnügen sich mit verhältnismäßig kurzen Kapiteln zur Musikdramaturgie182 oder vertreten einen aus der hier eingenommenen Perspektive zu sehr eingeschränkten oder nicht näher konkretisierten Dramaturgiebegriff. Die Zeichenhaftigkeit des Films, insbesondere des Filmbildes, bringt zwar spezifische Fragestellungen mit sich, die aber aus Sicht der Musikdramaturgie durch semiotische Theorieansätze der Filmmusik nicht vertieft werden können.183

Die Auffassungen darüber, worin genau die dramaturgische Bedeutung von Filmmusik besteht, gehen weit auseinander und enthalten gelegentlich die Gleichsetzung (oder Verwechslung) von »dramatisch« und »dramaturgisch«.184 In englischsprachigen oder osteuropäischen Veröffentlichungen ist Dramaturgie und dramaturgisches Denken weniger an die entsprechende Vokabel gebunden und spielt dennoch als Theorie eine Rolle.185

Die Auffassung, dass nur begleitende, externe Filmmusik dramaturgische Funktion habe, ist auf Bemerkungen von Béla Balázs zurückzuführen, die bereits Zofia Lissa übernimmt und die kontinuierlich in der Fachliteratur fortgeschrieben wurden, darunter Schneider (Schneider 1986/1990) im deutschsprachigen Raum.

Béla Balázs unterscheidet zwischen Musik als »Gegenstand des Konflikts« bzw. »Grundlage des Drehbuchs« und »dramaturgischer Musik« zur Charakterisierung der Figuren bzw. für den »Unterton der Handlung«, wie Lissa bereits zusammen fasst (Lissa 1965, S. 109). Balázs’ Begriff von der »dramaturgischen Musik« für die nicht dem Handlungsraum zuzuordnende Musik ist insofern problematisch, da er suggeriert, dass die szenisch in der Handlung erklingende Musik keine dramaturgische Bedeutung hätte. Wie Balázs aber selbst sagt, kann sogar der zentrale Konflikt durch die handlungsbedingte Musik (als »Gegenstand des Konfliktes« oder »Grundlage des Drehbuches«) etabliert oder zugespitzt werden. Auch die von den Figuren ausgeführte, abgespielte und gehörte Musik ist ein dramaturgisches Werkzeug in den Händen der Filmschaffenden. Auch diese Musik hat einen Gestus, der in Beziehung zur Handlung steht, und sie kann auf Grundlage ihrer musikalischen (oder bei Songs auch ihrer textlichen Mittel) für die Dramaturgie wichtige Zusammenhänge herstellen.

Wie die beigeordnete, begleitende Filmmusik kann die in der dargestellten Handlung präsentierte Musik für innere und äußere Konflikte stehen oder einen tieferen Bezug zur Handlungskomposition haben. All dies wirkt über eine Ausstattungsfunktion als »musikalisches Requisit« (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 18) hinaus.

Beispiele: In HÖSTSONATEN (HERBSTSONATE, S 1978, R. Ingmar Bergman), MONSIEUR HIRE (DIE VERLOBUNG DES MONSIEUR HIRE, F 1989, R. Patrice Leconte), THE PIANO (DAS PIANO, NZ/AUS/F 1992, R. Jane Campion), DEATH AND THE MAIDEN (DER TOD UND DAS MÄDCHEN, USA/F/GB 1994 R. Roman Polanski) wird der Konflikt mithilfe der handlungsbedingten Musik auf der ersten, internen auditiven Ebene erzählt und hat zugleich einen größeren Bezug zur Handlungskomposition bzw. Fabel. Interne, handlungsbedingte Musik exponiert oder etabliert den Konflikt, vertieft ihn in seiner Bedeutung für die Geschichte, charakterisiert oder motiviert die Figuren auf eigene Weise, die sich von der von außen beigeordneten Musik qualitativ unterscheidet, auch wenn das Ziel das gleiche ist: der innere Zusammenhalt der filmischen Erzählung. Diese interne Musik beeinflusst aber auch Art und Gestaltung der begleitenden, externen Musik, z. B. in: CASABLANCA (USA 1942, R. Michael Curtiz, M. Max Steiner), LA STRADA (Das Lied der Straße, I 1954 R. Federico Fellini, M. Nino Rota), APOCALYPSE NOW (USA 1976–79 R. Francis Ford Coppola), TAXI DRIVER (USA 1976, R. Martin Scorsese), SOSTIENE PEREIRA (ERKLÄRT PEREIRA, I/F/P 1995 R. Roberto Faenza, M. Ennio Morricone), HIGH FIDELITY (USA/GB 2000, R. Stephen Frears) oder MATCH POINT (USA/GB 2005 R. Woody Allen)186.

Als roter Faden zieht sich durch das Handbuch von Becce / Erdmann / Brav eine Argumentation, welche die Rolle des Filmkomponisten als dramaturgisch beurteilende Person betont. Diese sei in der Lage und verantwortlich dafür, dass nicht Kompilation, sondern – wegen der komplexer werdenden Erzählformen – zunehmend Komposition der geeignete Weg sei, um der auch zu Stummfilmzeiten schon audiovisuellen Kunstform Film zur ästhetischen Reife zu verhelfen (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 6ff.). Sie trennen daraufhin die Kapitel des theoretischen Teils ihres Handbuches in generelle Überlegungen zu Ästhetik und Kunstform sowie Gebrauchsform des Films (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 1–35), zur Musikdramaturgie (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 36–57) und Methodik der kompilatorischen Illustration andererseits (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 58–70). Der dramaturgisch urteilende Komponist soll befähigt werden, Film in seinem ästhetischen Wesen zu verstehen und darauf aufbauend das dramaturgisch Wesentliche durch Musik zu stärken.

Im Kapitel 10 »Zur Musikdramaturgie im Film« bezeichnen die Autoren die Musikdramaturgie immerhin als »Hauptfrage« (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 36). Sie führen grundlegende Begriffe ein, z. B. »Expression« (interpretierende bzw. ausdeutende Beiordnung) und »Incidenz« als aktiver Teil der Handlung und assoziative Verbindung zu »Zeit, Ort und Gelegenheit« (Erdmann, Becce und Brav 1927, S. 41). Sie thematisieren die Unterstützung der Handlungseinheit (Handlungskomposition, Fabel) durch Musik, ihren Gegensatz zu inneren oder äußeren Handlungen und konkrete Phänomene und Techniken wie Leitmotive, Bewegung, Dynamik, Stimmung, Musikwechsel, das Nebeneinander zweier Handlungen, Geräuschmusik, komische Musik u. a.

Nach Veröffentlichung des Handbuchs von Erdmann / Becce / Brav (Erdmann, Becce und Brav 1927) erschien mit Adornos / Eislers Buch (Adorno und Eisler 1944/2006) die zweite größere Abhandlung zur Filmmusik, in der die Dramaturgie der Filmmusik umfassender besprochen wird.187 Die essenziellen Aspekte der Musikdramaturgie im Film, die Adorno / Eisler benennen, sind:

Zofia Lissas »Ästhetik der Filmmusik« (Lissa 1965) hinterfragt innerhalb ihres aufgefächerten Funktionsspektrums der Filmmusik mit insgesamt 18 Unterpunkten deren dramaturgische Bedeutung und stellt ein theoretisch wie analytisch weitgehend überzeugendes Modell der Klangschichten im Film vor. Denn Lissa betont die Notwendigkeit der Systematisierung der dramaturgischen Funktionen der Filmmusik und stellt nach ihrer Sichtung der damals vorliegenden Literatur fest:

»Die Lektüre all dieser zuweilen höchst interessanten und ein kühnes Denken beweisenden Ausführungen lässt eine synthetische Arbeit um so notwendiger erscheinen, die einerseits von einer bestimmten ästhetischen und erkenntnistheoretischen Konzeption, von theoretischen Grundgedanken über Filmkunst als Ganzes ausgeht und andererseits, hierauf aufbauend, eine Systematisierung der dramaturgischen Funktionen der Musik im Film durchführt, und, gestützt auf langjährige Beobachtungen und Analysen, eine gewisse Ordnung in die ungewöhnlich reichhaltigen und mannigfaltigen Erscheinungen ihres Funktionierens innerhalb der Ganzheit des Filmwerkes bringt (wobei unter ›Ganzheit der Filmwerkes‹ das Ergebnis des Zusammenwirkens aller Elemente eines Filmwerkes in ihrem gegenseitigen Verhältnis zueinander und das Ergebnis der Aufnahme durch das perzipierende Subjekt verstanden wird).« (Lissa 1965, S. 15)

Diese Beschreibung rechtfertigt die Anwendung des Begriffs »Musikdramaturgie« für den Film ausdrücklich: als Systematisierung von Funktionen von Filmmusik unter Berücksichtigung ihrer dramaturgischen Bedeutung, darunter auch die Frage, wie Musik von den Rezipierenden in der Gesamtheit des Films verstanden wird. Von »Musikdramaturgie« im Film spricht Lissa wahrscheinlich nur deshalb nicht, weil für sie als Musikwissenschaftlerin mit dem Begriff traditionell sicherlich der Einsatz von Musik im Musiktheater gemeint ist, aber auch, weil Probleme der Übersetzung ihres Textes ins Deutsche berücksichtig werden müssen.

Kurt Weills Auffassungen zur Musikdramaturgie im Film, die im Gegensatz zu denen von Lissa und anderen selten zitiert werden, beruhen auf folgenden Kerngedanken:

»wie sehr eine Partitur hilft, eine Filmhandlung zu ›erwärmen‹, die emotionale Wirkung zu erhöhen, Schwächen der Handlung oder des Spiels in einzelnen Szenen zu überdecken und Episoden zusammenzuhalten, die ohne die Brücke der Musik ganz ohne Verbindung schienen. Sie [die Filmproduzenten] wissen, daß eine gute Melodie das Publikum bewegen wird, wo es Wort und Spiel allein nicht gelingt.« (Weill 1946/2000, S. 171)

»eine ziemlich objektive Haltung gegenüber der Handlung des Films, und manchmal erzeugten sie [die Komponisten] eine Art kontrapunktischen Effekt, indem sie die Musik in einer Stimmung schrieben, die der Stimmung der Szene entgegengesetzt war.« (Weill 1946/2000, S. 176)

Weill wendet sich generell – wie schon Busoni für das Musiktheater – gegen musikalische Illustration, um stattdessen »die ›innere Stimme‹ der Charaktere auszudrücken« (Weill 1946/2000, S. 178).

»[…] ein Illustrieren paßt sich nur scheinbar dem Geschehen an. In Wirklichkeit zerreißt es den Film. Die Musik darf nicht mit literarischen Mitteln arbeiten. […] Die wertvollste Stützung des Films seitens der Musik sehe ich jedenfalls in der blinden Kraft eines nach musikalischen Gesetzen geformten Ausdeutens des filmischen Vorgangs.« (Weill 1927/2000, S. 437)

Das Wichtigste, um die Filmeinheit von der Musik her zu erreichen, sieht Weill darin, »dass sie den inneren Höhepunkt des Films erfasst, der durchaus nicht mit dem äußeren Höhepunkt des Filmgeschehens zusammenfallen muss« (Weill 1927/2000, S. 438). Im selben Interview gibt er auch zu bedenken, »daß durch Steigerung der äußeren Ausdrucksmittel keineswegs die Intensität des Kunstwerkes gesteigert wird« (Weill 1927/2000, S. 438).

Rainer Fabich gibt in einem Kapitel zur Musikdramaturgie (Fabich 1993, S. 56ff.) einen Überblick über Theorien zu den dramaturgischen Aufgaben der Filmmusik. Er zitiert auch Kurt Weill, dessen erhellende Gedanken zur Musikdramaturgie sonst kaum zur Kenntnis genommen wurden. Er führt aus, wie Weill die Ästhetik seines Lehrers Busoni weiterführt und berücksichtigt die unterschiedlichen Möglichkeiten der Filmmusik im Kontext der Montage. Sein Modell der Relation von Bild und Musik für unterschiedliche Montageformen wird allerdings von der Polarität von synchronen und asynchronen Beziehungen beschränkt, die auf Kracauer zurückgehen (Kracauer 1960/dt. 1964). Das Modell wird damit dem umfassenden filmischen Prinzip der Montage nicht gerecht und berührt nur Teilaspekte der Musikdramaturgie.

Jessica Merten (Merten 2001, S. 43 f.) übernimmt zwar den aus der hier eingenommen Perspektive als verkürzt zu bezeichnenden Dramaturgie-Begriff, den Kloppenburg vertritt (Kloppenburg 1986, S. 47), schreibt aber zum Begriff der Musikdramaturgie anschlussfähig. Sie sieht Filmästhetik und Musikdramaturgie aufeinander bezogen:

»Der Begriff der Musikdramaturgie deutet auf die Ästhetik der Filmmusik. Gegenstand der Musikdramaturgie im Film, [sic] sind – wie im Falle der filmischen Dramaturgie – die Regeln für die äußere Bauform und die Gesetzmäßigkeiten der inneren Struktur der Musik und ihr Verhältnis zur Gesamtform des Films. Das Musikanlegen ist die eigentliche Schule der Musikdramaturgie im Film. An keinem anderen Element des Films läßt sich so handgreiflich ausprobieren, welche Veränderungen im Bild und in der Handlung geschehen, wenn man Musik beispielsweise um eine halbe Sekunde vorrückt oder den Musikeinsatz um zwei Sekunden verzögert, wenn man an eine Filmstelle völlig unterschiedliche Musiken zur Auswahl legt. Aber auch Gestaltungselemente wie Kameraperspektive, Kameraführung oder Beleuchtung sind von subtiler emotionaler Wirkung im Film.« (Merten 2001, S. 45)

Obwohl Norbert Jürgen Schneider in seinem »Handbuch Filmmusik« (Schneider 1986/1990) im Untertitel und in den Überschriften zu den Kapiteln V und VI den Begriff Musikdramaturgie verwendet, lässt sich aus den Erörterungen nur eine allgemein bleibende bzw. pragmatisch bleibende Bedeutung von Dramaturgie und Musikdramaturgie herauslesen. Musikdramaturgie im Film steht laut Schneider für ein allgemeines, in gewissem Maße sowohl theoretisch als auch intuitiv begründbares Vorgehen beim Konzipieren und Komponieren von Filmmusik, was auch in einer späteren Veröffentlichung nicht grundsätzlich anders dargestellt wird (Schneider 1997). Schneider weist darauf hin, dass Filmmusik immer zu den anderen Ebenen des Films in Beziehung steht. Seine Auswahl und Beschreibung dieser Ebenen ist an pragmatischen Aspekten der Filmmusikkomposition orientiert: »Bildinhalte, Bildbewegung, Farben, Helligkeitswerte, Bildgestaltung (Kamera / Schnitt), schauspielerischer Ausdruck (Mimik, Gestik), Dialog, Geräusche und Atmosphären« (Schneider 1997/2005, S. 63). Schneider vernachlässigt allerdings ein zentrales dramaturgisches Kriterium: die durch Musik erzeugte oder verdeutlichte Verknüpfung von Figur, Konflikt und Handlung. Hier seine zwar stimmige, aber doch allgemein und verkürzend bleibende Definition von Dramaturgie und Musikdramaturgie:

»Dramaturgie (vom griechischen: ›ein Drama ins Werk setzen‹) ist das Wissen um Wesen und Form des Dramas, zugleich auch die Umsetzung dieses Wissens in eine sinnlich-konkrete Gestalt. Musikdramaturgie kann nur ein Teil der allgemeinen Dramaturgie des Films sein: sie beschreibt die Verflechtung von Musik mit den Erfordernissen des Dramas, – der Story, der Geschichte. Musikdramaturgie ist die übergeordnete Gestaltungsweise von Musik im Film: von sich aus tendiert Filmmusik zur bloßen Reihungsform, da sie vornehmlich der Vergegenwärtigung des dramatischen oder lyrischen Moments dient. Filmmusikalische Sinnzusammenhänge müssen sich weniger aus der materialen Beschaffenheit der Musik ergeben, sondern aus der dramaturgischen Richtigkeit, d. h. Stimmigkeit jedes Musikeinsatzes und seiner Form zum Stand der Geschichte.« (Schneider 1986/1990, S. 63)

Konkretisiert wird sein Konzept durch wahrnehmungspsychologische Beobachtungen und Formen der Zuordnung von Bild und Musik. So trage Filmmusik maßgeblich dazu bei, dass der Film eine »innere Wirklichkeit« erhält (Schneider 1986/1990, S. 75); Filmmusik könne man als »selbständige und kommentierende Schicht im Film belassen« oder »dramaturgisch so einsetzen, daß sie ganz mit den Personen oder Objekten bzw. Situationen im Film verwoben scheint« (Schneider 1986/1990, S. 76).

Schneiders sechs »Grundsätze« der Musikdramaturgie im neuen deutschen Film geben weitere Anhaltspunkte zum Verständnis darüber, was Musikdramaturgie nach seinem Verständnis ist. Sie enthalten die Fragen

Die unterschiedlichen dramaturgischen Einflussbereiche von Musik befinden sich in Schneiders Theorie auf einer Skala zwischen den Polen »völlig bild- und handlungsintegrierter« Musik mit einheitlichen audiovisuellem Ausdruck und Gehalt und »völlig unabhängiger« oder im Ausdruck »gegenläufiger« Musik, die er ähnlich wie zunächst Pauli (Pauli 1976) »kommentierend« und »kontrapunktisch« nennt (Schneider 1986/1990, S. 89). In seiner Zusammenschau bisheriger Systematiken von Musik-Bild-Zuordnungen, darunter die von Erdmann / Becce / Brav (Erdmann, Becce und Brav 1927), Lissa (Lissa 1965), Thiel (Thiel 1981) und Pauli (Pauli 1981), sind einige Verkürzungen enthalten. Paulis kritische Revision seines eigenen, von ihm selbst als zu eng angesehenen ersten Modells von 1976 kennt Schneider zwar, greift dennoch, wie bis heute auch andere Autorinnen, auf die dreistufige Anordnung zurück (Schneider 1986/1990, S. 79): Filmmusik könne »paraphrasierend«, »polarisierend« oder »kontrapunktierend« sein. Zu Schneiders Musikdramaturgie-Begriff gehören außerdem noch die Aspekte »musikalisches Klischee« und »Semantisierung« (Schneider 1986/1990, S. 83 f.) sowie die Funktionalität von Filmmusik. Eine Auflistung, für die Schneider keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, nennt 20 Funktionen der Filmmusik (Schneider 1986/1990, S. 90 f.).

Obwohl Hans-Christian Schmidt (Schmidt 1982) selten mit dem Wort Musikdramaturgie arbeitet, zeigt er anschaulich und umfassend wesentliche Aspekte der Musikdramaturgie im Film auf. Musikalische Komposition, Dramaturgie des Films, filmpraktische und filmästhetische Erwägungen sowie musikästhetische Aspekte gehen in nahezu gleichberechtigten Anteilen in seine Untersuchungen zur Filmmusik ein.

Auch Peter Rabenalt (Rabenalt 2005) verwendet in seinem Buch über Filmmusik das Wort Musikdramaturgie nicht im Titel oder in den Kapitelüberschriften. Dennoch befassen sich die einzelnen Abschnitte jeweils mit bestimmten dramaturgischen Phänomenen, die durch Filmmusik beeinflusst oder erzeugt werden. Hierbei steht die Frage nach der Bedeutung der Musik für die Handlungseinheit (Fabel) immer wieder im Zentrum. Die Ausführungen zeigen eine konsequente Erörterung aus filmästhetischer Sicht, d. h. inwieweit Musik im filmgeschichtlich gewachsenen, audiovisuellen Kontext funktioniert und unterschiedliche Erzähltraditionen zu unterschiedlichen filmmusikalischen Lösungen kommen. Peter Rabenalt benennt wesentliche Aspekte, aber auch Missverständnisse der Musikdramaturgie im Film:

»Die meisten Versuche, Formen und Funktionen von Filmmusik zu systematisieren, leiden unter der, zumindest für den Spielfilm, falschen Prämisse, von Beziehungen der Musik zum ›Bild‹ auszugehen. Das lag vielleicht zur Zeit des Stummfilms noch nahe. Wirkliche, also dramaturgische Funktionalität lässt sich jedoch nur in der Erstellung der Musik zu dem, was abgebildet wird, zur Fabel, den Figuren und ihren in Handlungen ausgetragenen oder zutage tretenden Konflikten erkennen und sinnvoll beschreiben.

[…] Beherrscht die Musik den Tonraum, so kann sie die Raum und Zeit konstituierenden Regeln der Bildmontage ebenso außer Kraft setzen wie die Authentizität stiftenden Eigenschaften der fotografischen Abbildungen. Sie dominiert dann mit dem ihr eigenen ästhetischen Raum-Zeit-Gefühl über den besonderen Realitätsbezug des Filmmediums. Innerhalb eines dementsprechenden dramaturgischen Zusammenhangs entstehen in glücklichen Momenten dadurch Formen des Zusammenwirkens von Film und Musik mit eigener, nur im Kino möglicher Aura.« (Rabenalt 2005, S. 96f.)

Die englischsprachige Fachliteratur hat aufgrund der schon im Kapitel 1.1.5 (»Narratologie, narration und Filmdramaturgie«) dargelegten Gründe einen etwas anderen Zugang zur Thematik. Dort wird die dramaturgische Bedeutung von Filmmusik unter den Begriffen narration bzw. narrative behandelt, die Ähnlichkeit, aber auch entscheidende Unterschiede mit der Bedeutung des deutschen Vokabulars haben.

Ein methodisches, aber auch wissenschaftstheoretisches Problem der Filmmusikforschung besteht darin, dass Thesen zur Wirkung von Filmmusik, die empirischen Studien zugrunde liegen, bisher nicht der Komplexität des Gegenstandes gerecht werden. Filmästhetisch und erzähltheoretisch nicht fundierte Thesen können nach meiner Auffassung nicht als Grundlage für Studien herangezogen werden, um filmmusikalische Theorien zu belegen oder sie zu widerlegen. In ihrer Schlussbetrachtung beschreibt Claudia Bullerjahn dennoch ein darauf beruhendes Modell zur Wirkungsweise der Filmmusik. Ihre Ausführungen werden immer wieder zitiert, wodurch sich das methodische Problem jedoch fortschreibt:

»Thesen zur Wirkung von Filmmusik aus Filmmusikveröffentlichungen mit theoretischem und Analyseschwerpunkt werden integriert und mit gegebenenfalls vorliegenden Ergebnissen aus der Wirkungsforschung be- oder widerlegt.« (Bullerjahn 2001, S. 298)