Elemente

des Lebens

 

Meine Erde

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Impressum:

 

© KarinaVerlag, Wien

www.karinaverlag.at

Texte: Die AutorInnen im KarinaVerlag
Covergestaltung: Karina Pfolz Lektorat und Layout: Bruno Moebius

 

© 2019, Karina Verlag, Vienna, Austria,

Auslieferung:

ISBN: 978-3-…-…..

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Eine blassblaue Scheibe

Bruno Moebius

 

Mein Rücken schmerzt beim Hinabklettern, doch ich schaffe die wenigen Stufen der Leiter und setze meinen rechten Fuß zuerst auf den Boden, dann den linken. Nach den Tagen der Schwerelosigkeit fühlt es sich kaum anders an als daheim, doch als ich den ersten Schritt mache, hebe ich vom Boden ab und komme gut einen Meter entfernt auf.

Der Rücken meldet sich. Ich muss mir das Steißbein geprellt haben, so tief spüre ich den Stich. Wie würde sich das erst bei normaler Schwerkraft anfühlen?

So ist das also, denke ich. Beinahe wie beim Training an den Gummiseilen, die ein Siebentel der Erdgravitation vortäuschen sollten, und doch anders, weil mich jetzt nichts nach oben zieht, sondern weniger als gewohnt nach unten.

Immerhin weiß ich, wie ich mich bewegen muss: vorsichtig.

Ohne das dunkle Visier am Helm wäre ich geblendet. Keine Atmosphäre, die Licht schluckt. Und ohne Kühlung im Anzug hielte ich es wohl keine Minute lang aus. Death Valley mal zwei, denke ich. Gut, dass die Sonne nicht im Zenit steht; da wäre der Boden unter meinen Füßen hundertdreißig Grad heiß. Der Rücken meines Anzugs ebenfalls.

Wie heiß ist es jetzt?

Nein, ich mag es gar nicht wissen.

Ich mache ein paar Schritte weg vom Lander, drehe mich um.

Es sieht nicht gut aus. Gar nicht gut.

Zwei Beine sind völlig eingeknickt, ein drittes halb.

Der Adler ist gelandet, habe ich ins Mikro gebrüllt, weil ich noch den Nachklang des Knalls vom Aufprall in den Ohren hatte.

Keine Antwort.

Also habe ich noch einmal gebrüllt.

Erneut keine Antwort.

Vielleicht konnten sie ja mich hören. Vielleicht war nur an meinem Empfänger etwas kaputt gegangen, nicht am Sender.

Ich drehe mich zur anderen Seite.

Da hängt sie, die alte Mutter Erde.

Eine bläulich-bräunlich gemaserte Scheibe, fingerbreit über dem Horizont und größer, viel größer als erwartet. Ja, der vierfache Durchmesser des Mondes, das weiß man doch, aber wenn man sie dann direkt vor Augen hat, diese Scheibe …

Zugleich mit der Ehrfurcht vor dem Anblick beschleicht mich Enttäuschung. Blass, sehr blass sieht sie aus, die Erde. Kein Vergleich zu den Bildern, die man kennt, die sie klar und kontrastreich zeigen, auf denen man die Kontinente, Ozeane und Wolkengebilde erkennt, sogar Wirbelstürme und Flächenbrände, die Rauchfahnen des einen oder anderen Vulkans …

Viermal so groß wie der Vollmond, doch ohne scharfe Konturen, weil die Lufthülle einen Teil des Sonnenlichts reflektiert, denke ich. Hätte der Mond zusätzlich eine vergleichbare Lufthülle, wäre die Erde gerade noch zu sehen. Es juckt mich, mein Visier hochzuklappen. Vielleicht wäre das aber genau verkehrt – davon mal abgesehen, dass es gar nicht beweglich ist; im Helm integriert.

Ich wende mich wieder dem Lander zu. Schlimm sieht er aus. So, wie er dasteht, schief und wackelig, kriege ich den niemals wieder hoch, denke ich. An einen Senkrechtstart ist jedenfalls nicht zu denken. Ob es in diesem Winkel funktionieren könnte? Fünfundvierzig Grad, grob geschätzt. Die Jungs in Houston könnten mir das ausrechnen, aber ich kann sie ja nicht hören.

Ich muss sehen, ob ich die Funkanlage reparieren kann. Ja, super. Ich bin Pilot, kein Techniker. Der, vielmehr die, hängt oben in der Kapsel in ihrem Sitzgurt. Tot. Ruhe in Frieden, Lizzy.

Egal. Ich muss da wieder hinein. Muss Sauerstoff sparen. Wer weiß, wie lange ich hier festhänge.

Ich klettere die schiefe Leiter nach oben in die Luftschleuse. Tut gut, den Helm abzunehmen. Lizzys Kopf ist zum Bullauge gedreht, als hätte ihr letzter Blick der Erde gegolten, die da draußen wie festgenagelt fingerbreit über dem Horizont schwebt.

Die erste Frau auf dem Mond.

Endlich.

Und jetzt das!

Ich schäle mich aus dem Anzug. Muss mich besser bewegen können, wenn ich an den Armaturen herumfummle.

Adler an Houston, sage ich, lasse dann den grünen Knopf los.

Nichts. Na ja, ein paar Sekunden würde es schon dauern, bis ich Antwort bekäme, aber sie kommt nicht.

Wo das Bordwerkzeug untergebracht ist, weiß ich. Ich hole es heraus und greife mir einen Schraubendreher. Er passt. Ich löse die beiden Schrauben zu beiden Seiten des grünen Knopfes und das Panel klappt auf. Von der Rückseite des Knopfes führen zwei Drähte nach innen. Ein blauer und ein schwarzer. Mehr gibt es hier nicht zu sehen.

Ich leuchte mit der Stablampe hinein. Nichts. Die Drähte verschwinden irgendwo im Bauch hinter den Armaturen. Wenn ich nicht irre, führen sie nach links. Also schraube ich das Panel links von diesem ab. Vorne dran ist der Höhenmesser. Hinten drei Drähte, schwarz, blau und rot. Auch die verschwinden irgendwo dahinter. Sonst ist auch hier nichts zu sehen.

Liz hätte gewusst, wo man suchen muss, und wenn jemand etwas hätte reparieren können, dann sie, aber sie starrt aus dem Bullauge.

Ich überlege.

Für den Fall, dass mich Houston hören kann, sollte ich eine Statusmeldung absetzen. Also sammle ich die Fakten zusammen, drücke auf den Knopf und rattere alles herunter, was mir eingefallen ist, sage auch, dass ich nichts hören kann.

Mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Ich kann doch nicht sämtliche Armaturen abbauen, um dann womöglich festzustellen, dass ich ohnehin nichts reparieren kann.

Antwort kommt selbstverständlich keine.

Was macht eigentlich Frank dort oben? Der saust in der Umlaufbahn dahin und sollte mich doch auch hören, wenn die Kommunikation wenigstens in dieser Richtung funktioniert. Aber ich kann ihn ebenso wenig hören wie Houston. Oder niemand hört mich. Alles ist möglich …

Wie haben die das vor fünfzig Jahren bloß geschafft?

Die damalige Technik war doch ein Witz gegen das, was wir heute haben, denke ich. Irgendwo hinter diesen mit Absicht altmodisch anmutenden Panels stecken modernste Computermodule, Chips und Prozessoren. Man will doch nichts riskieren, haben sie gemeint, auch wenn zum Jubiläum von außen alles so aussehen soll wie damals.

Sogar die alte Saturn V haben sie nachgebaut. Blieb ihnen auch nichts anderes übrig, denn in diesem halben Jahrzehnt haben sie keine vergleichbare Rakete konstruiert. War ja nicht nötig. Und der Nachbau hat bestens funktioniert. Hat einen ordentlichen Schub produziert, der mir die Augen in die Höhlen und die Zunge in den Hals gedrückt hat. Wären wir nicht schon Tage zuvor auf Menüs aus der Tube umgestiegen, hätten wir uns spätestens zehn Sekunden nach dem Start angeschissen.

Na ja, auch wenn mich niemand hören kann, so weiß Houston doch, dass etwas schiefgegangen ist. Oder gerade deswegen. Davon abgesehen ist der Lander mit allem, was an Ortungsgeräten zu haben ist, ausgestattet. Irgendeines dieser Teile wird ja wohl noch funktionieren.

Aber was bringt mir das?

Okay, sie wissen, wo ich bin. Also, dass ich ziemlich genau da bin, wo ich sein sollte. Aber es gibt keinen Plan B, keine zweite Saturn V. Sie können nicht einfach losfliegen und mich abholen.

Selbst wenn ich es schaffen sollte, aus dieser Schräglage abzuheben, ohne auf der Mondoberfläche aufzupäppeln und nach einigen wilden Salti zu zerschellen, käme ich vielleicht in die Höhe der Umlaufbahn, aber was dann?

Funktioniert die Navigation noch? Oder sind die Instrumente auch hinüber? Wie finde ich Frank oder wie findet er mich? Und wie kann ich ohne Kommunikation richtig andocken, falls wir einander finden?

Nun ja, wenn ich wieder nach Hause möchte, muss ich es versuchen, das ist klar. Hierbleiben und abwarten bringt gar nichts.

Zu viel nachdenken bringt auch nichts.

Ich steige also wieder in meinen Anzug, stülpe den Helm über und gehe in die Luftschleuse.

Macht so viele Fotos, wie ihr könnt, hat Houston gesagt. Dann mache ich eben Fotos für zwei, denke ich.

Die klobige Hasselblad hat ein digitales Innenleben. Angeblich kann ich damit mehr als tausend Aufnahmen machen. Auf gut Glück, sozusagen, denn Sucher hat sie keinen, genau wie damals neunundsechzig. Dafür hat sie einen Einstellhebel, den ich auch mit dem Handschuh bedienen kann. Vorprogrammiert für die üblichen Mondfotos wie anno dazumal, zweite Position mit Vollautomatik, die dritte speziell für Aufnahmen von der Erde, was auch immer die Elektronik der Kamera dabei einstellt.

Jede Stunde eine Aufnahme von der Erde, hieß es. Nun, das werde ich alleine nicht schaffen. Ich muss ja schließlich auch mal schlafen. Zu zweit wäre es kein Problem gewesen, aber Lizzy … nun ja, sie fällt leider aus.

Ich mache sicherheitshalber fünf Aufnahmen von der Erde. Dann fällt mir ein, dass ich auf die Uhr sehen sollte. Ganz stilecht trage ich eine Omega Speedmaster über dem Ärmel des Raumanzugs. Es ist sieben Uhr dreizehn. Also werde ich die nächsten Aufnahmen um acht Uhr zehn machen.

Bis dahin muss ich mir die Zeit irgendwie vertreiben. Warum sollte ich nicht einen kleinen Spaziergang unternehmen? Houston hat zwar ausdrücklich angeordnet, dass wir uns nicht weiter als zwanzig Schritte vom Lander entfernen dürfen, doch erstens leuchtet mir das nicht ein, zweitens spielt es kaum eine Rolle, ob ich hier auf der Mondoberfläche oder im Lander am Sauerstoffmangel verrecke. Früher oder später ist es so weit, denke ich.

Müde bin ich längst noch nicht. Auf dem Flug habe ich erstaunlich viel und lange geschlafen, ebenso wie Liz und Frank. Nun, was hätten wir auch großartig tun sollen, außer aus dem Bullauge zu schauen – und da ließ sich die Verkleidung, die beim Start logischerweise geschlossen sein musste, nicht öffnen, bis wir beinahe schon auf der Umlaufbahn waren, gerade rechtzeitig zum Abkoppeln. Die erste Panne, aber die hat uns nicht zu denken gegeben.

Ich mache ein paar Aufnahmen von den Hügeln rings um den Lander. Sie sind so hoch, dass ich nicht darüber hinweg schauen kann. Macht nichts, denke ich. Dahinter ist auch nur Mond, genau wie hier. Wozu also etwas riskieren? Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ich heil zur Erde zurückkehren würde, gering ist, will ich doch nicht draufgehen, nur weil ich mir beim Klettern einen Riss im Anzug einfange.

Also fotografiere ich den Lander von allen Seiten. Dann ist die Stunde um und es sind wieder Aufnahmen von der Erde an der Reihe. Sie hat sich gedreht, das ist zu erkennen. Wenn ich nicht irre, zeigt sie mir gerade den Pazifik und an den Rändern der Scheibe die Westküste der USA und auf der anderen Seite China, Korea und Japan. Sieht aber alles ziemlich bewölkt aus. Wirklich erkennen kann ich nichts.

ö