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Kerstin Friedrich

Spielregeln
für Game Changer

Den Teamgeist entfesseln
durch radikale Transparenz und
Gamifizierung

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Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »Spielregeln für Game Changer« von Kerstin Friedrich, ©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86936-961-7
eISBN 978-3-95623-912-0

Lektorat: Anke Schild, Hamburg

Copyright © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

www.gabal-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1. Systeme ändern statt an Menschen schrauben

Das Potenzial

Das »Geheimnis« vor unserer Nase

Ohne Ergebnis kein Erfolgserlebnis

2. Der Weg in die Sackgasse

Kompliziert versus komplex

Wie Menschen wirklich ticken

Negative Glaubenssätze aufgeben

3. The Great Game of Business – zwei Praxisbeispiele aus den USA

Jack Stack und The Great Game of Business

Das coolste Unternehmen in den USA

4. Systeme ändern durch Transparenz und Verbundenheit – die universelle Gewinnformel

Veränderungen beim Militär

Veränderungen in der Automobilindustrie

Wie Selbstorganisation funktioniert

5. Aufgaben gamifizieren und Teamgeist aktivieren

Das Scoreboard

Ein Vertriebsspiel

Die Kultur ändern

Regeln gelten für alle

Elemente der Team-Challenge

6. Fokus auf den größten Engpass

Definition: Was macht die Erfolgszahl aus?

Exkurs: Führen über Ziele

Die Erfolgszahl ermitteln

Die richtigen Treiber: der Grundstoff für Team-Challenges

Team-Challenges und Erfolgszahl: Beispiele aus der Praxis

7. Unternehmertraining für alle

Die Welt der Finanzsprache

Warum alle den Nettogewinn kennen sollten – ein Praxisbericht

Glaubenssätze und Unternehmenskultur

Scoreboard-Management, Finanztraining und mentale Modelle

Formate für das Finanztraining

Übungen zum Thema Finanzen

Umgang mit Verweigerern

8. Scoreboard-Management – der Fitnesstracker fürs Unternehmen

Das Scoreboard und die Kennzahlen

Kommunikation über Huddles

Verwandte Konzepte: Balanced Scorecard und OKR

Transparenz – und ihre Grenzen

9. Scoreboard-Management in der Praxis

Arbeit an einer Kennzahl: Autohaus Südbeck

Große Huddles in dezentralen Teams: Infinitas GmbH

Jedes Team huddelt anders: Markenagentur Kaapke

»Es geht um beides: Menschen und Geld« – ein Interview mit Timo Kaapke

10. Vom Mitarbeiter zum Mitunternehmer

Gewinnbeteiligung

Strategie und Innovation – alle bringen Ideen ein

11. Führung und Scoreboard-Management

Erfolgsmodell mit Verfallsdatum

Führung oder Leitung?

Und nun?

Anhang

Anmerkungen

Literaturtipps und Quellen

Register

Die Autorin

Vorwort

Fußballweltmeisterschaft 2010. Ghana ist kurz davor, Geschichte zu schreiben: Wenn es gelingt, in der letzten Minute der Verlängerung noch ein Tor gegen Uruguay zu schießen, sind sie als erste afrikanische Mannschaft Afrikas für ein WM-Viertelfinale qualifiziert. Im Strafraum von Uruguay ist die Hölle los. Der Ball kommt im Getümmel irgendwie zu dem Ghanaer Stephen Appiah, der ihn mit dem Knie Richtung Tor bugsiert. Der Torwart ist geschlagen. Doch auf der Torlinie steht Luis Suarez, der berüchtigte »Beißer«. Er wehrt den Ball mit voller Absicht mit beiden Händen ab – Foul. Den folgenden Elfer für Ghana hält der Torwart. Das Elfmeterschießen gewinnt Uruguay. Ghana fährt nach Hause.

Ähnliche Szenen spielen sich Tag für Tag in jedem anderen Mannschaftsspiel ab: Ein Team von hoch motivierten Individuen gibt alles dafür, das Ziel zu erreichen. Auch ohne Anweisungen weiß jeder, was er zu tun hat. Blitzschnell wird reagiert. Ohne großes Trara werden Rollen gewechselt und Aufgaben für andere übernommen. Der Traum eines jeden Vorgesetzten: Wenn doch nur mein Team genauso motiviert und zielstrebig zur Sache ginge! Wenn doch nur jeder seine eigenen Befindlichkeiten für das große Ganze hintanstellen würde! So ist es kein Wunder, dass Bücher und Vorträge von großen Fußballlehrern Hochkonjunktur haben: Wenn wir motivieren lernen wie Klopp, Guardiola und Co., kann es vielleicht auch in meinem Betrieb so laufen wie auf dem Fußballplatz.

Die Wahrheit lautet: Wir können von Trainern gar nichts lernen. Zumindest so lange nicht, bis völlig einfache und offensichtliche Voraussetzungen erfüllt sind, ohne die übrigens auch das motivierteste Fußballteam genauso blind und unmotiviert seine Arbeit tun würde wie 80 Prozent aller Mitarbeiter in Unternehmen weltweit.

Was wir wirklich vom Sport für die Unternehmensführung lernen können, hat absolut nichts mit Motivationsmethoden zu tun. Es ist kinderleicht zu verstehen. Es braucht aber eine ordentliche Portion Mut und viel Konsequenz in der Umsetzung. Auf den nächsten Seiten erfährst du, wie das geht.

Kerstin Friedrich

KAPITEL 1

Systeme ändern statt an Menschen schrauben

Viele Führungskräfte träumen von einer Unternehmenskultur, in der sich alle für den Erfolg des Unternehmens einsetzen und daran auch noch Freude haben. Viele glauben, dass sie dafür nur die »richtigen« Leute brauchen. Die gute Nachricht ist: Diese »Richtigen« sind schon da. Damit sich diese voll entfalten können, muss man aber zunächst das System und die Spielregeln ändern – das Verhalten ändert sich automatisch.

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Hallo und danke, dass du dieses Buch aufgeschlagen hast. Du bist hier genau richtig, wenn du das vage oder sichere Gefühl hast, dass sich an eurem Führungssystem und an der Unternehmenskultur dringend etwas ändern muss. Möglicherweise ärgerst du dich über einen oder mehrere der folgenden Punkte:

Du weißt, dass viel mehr in deinen Leuten steckt, als aktuell zum Tragen kommt – du weißt aber nicht, wie du sie motivieren sollst, dieses Potenzial für das Unternehmen zu aktivieren.

Du ärgerst dich über Verhaltensweisen, die mit deinen Werten nicht übereinstimmen.

Trotz Wachstum bleiben die Renditen mehr oder weniger unbefriedigend.

Du weißt nicht wirklich, wie du künftig die richtigen Leute an Bord bekommen sollst.

Dein Unternehmen wächst immer weiter, und du fragst dich, wie ihr euch mit einem Minimum an Bürokratie organisieren könnt.

Du hast den Eindruck, dass sich bei einigen Leuten, die einmal sehr motiviert ihren Job angetreten haben, langsam eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität breitmacht.

Du hast die Nase voll davon, die ganze Verantwortung allein zu tragen.

Möglicherweise hast du auch schon über folgende Maßnahmen nachgedacht bzw. sie mit mehr oder weniger Erfolg im Unternehmen umgesetzt:

Du denkst, dass die Ursache bei dir und deinen Führungsqualitäten liegt; du planst deshalb, Seminare zum Thema Führung und Motivation zu besuchen oder einen Coach zu konsultieren.

Du überlegst, wie du die Demotivierten geschickt loswirst und wie du künftig nur noch mit den Besten arbeiten kannst.

Du hast eine Agentur engagiert, die aus deinem Unternehmen eine coole Arbeitgebermarke machen soll.

Du hast dich mit Systemen wie Holacracy beschäftigt – du fürchtest aber, dass es dann zu viel Palaver auf Kosten der Produktivität gibt.

Du bist begeistert von Büchern über Agilität und Selbstorganisation, hast aber keine Ahnung, wie du das im eigenen Unternehmen einführen sollst.

Ich habe jetzt eine gute Nachricht für dich: Du kannst ab sofort damit aufhören, an dir und deinen Leuten herumzuschrauben. Stattdessen ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass alle das große Spiel der Unternehmensführung verstehen und wissen, wie sie es gewinnen können. Anders ausgedrückt: Du musst das System ändern – nicht die Spieler.

Tatsache ist: Praktisch alle Mitarbeiter haben (oder hatten) ein großes Interesse daran, mit ihrer Energie und ihren Talenten zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. Wir haben es jedoch geschafft, ihnen dieses Interesse systematisch auszutreiben. Die Art und Weise, wie wir heute unsere Zusammenarbeit organisieren, widerspricht grundlegenden psychischen Bedürfnissen. Zu diesen Bedürfnissen gehören allen voran solche nach Anerkennung, Wertschätzung, Erfolg und Gemeinschaft. Es bedarf nur weniger, aber radikaler Umbaumaßnahmen, um die gemeinsame Arbeit motivierender, erfolgreicher, profitabler und sinnvoller zu machen.

Stell dir vor, du spielst in einer Fußballmannschaft, in der keiner weiß, wie es gerade steht. In der niemand weiß, ob es jetzt sinnvoller ist, eher den Angriff oder die Verteidigung zu stärken, oder ob aktuell eine Änderung des Spielsystems geboten ist. Jeder weiß nur, dass er selbst gerade einen guten Job gemacht hat: einen guten Pass gespielt, einen Torschuss des Gegners pariert oder in letzter Sekunde den gegnerischen Stürmer vom Ball getrennt. Ob und wie sich diese Einzelaktion auf das Spiel der anderen und auf das Gesamtergebnis auswirkt, weiß niemand. Eine vollkommen absurde Vorstellung: Weder würde sich irgendein Spieler dauerhaft für Fußball begeistern, noch würde ein einziger Zuschauer Geld dafür bezahlen, einem müden und planlosen Hin-und-her-Gekicke zuzuschauen.

Wenn in einer Mannschaft die Sehkraft nur bis zum nächsten Mitspieler reicht und wenn niemand weiß, wie es eigentlich steht, ergibt es wenig Sinn, an der Kondition und der Technik der Spieler zu arbeiten. Genauso wenig sinnvoll ist es, einen Motivationstrainer zu engagieren, der den Spielern mit Feuerlauf und Mentaltraining beibringt, über ihre Grenzen zu gehen. Das Einzige, was hilft: Die Spieler müssen sehen können. Sie müssen das gesamte Spiel überblicken, den Spielstand kennen und die Regeln verstehen. Sie müssen auf einen Blick erkennen, welche Folgen das eigene Handeln auf das Ergebnis hat. Dann werden alle das tun, was sie immer tun wollen: ein gutes Spiel abliefern.

Heute agiert in fast allen Unternehmen eine Mannschaft mit Spielern, die schwer sehbehindert sind, die absolut keine Ahnung haben, wie es steht, und die nicht wissen, ob sie gerade dazu beitragen, dass das Team gewinnt oder verliert. So kann beispielsweise eine Vertriebsmitarbeiterin stolz und glücklich sein, dass sie einen großen Auftrag an Land gezogen hat – ob dieser aber das Unternehmen am Ende mehr Geld kostet, als er einbringt, weiß sie nicht. Es fehlt an der wichtigsten Motivationsquelle: dem Wissen um die eigene Wirksamkeit.

Das Potenzial

Praktisch jede Organisation verschenkt ein riesiges Erfolgs- und Ertragspotenzial. Erstens das Potenzial, das durch Demotivation verloren geht. Zweitens das Potenzial an hervorragenden Ideen, das in jedem Mitarbeiter schlummert und für das es keine systematische Förderung gibt.

Angeblich verlieren wir einen dreistelligen Milliardenbetrag in deutschen Unternehmen (Zahlen von 2018) aufgrund mangelnder Motivation der Mitarbeiter.1 Meine Hypothese lautet: Dieser Mangel an Motivation resultiert nicht aus Unlust an der Arbeit, sondern weil die Menschen nicht erfahren, was ihre Arbeit bewirkt. Anders ausgedrückt: Es fehlt ihnen schlicht und einfach an Erfolgserlebnissen. Wir wissen aber schon lange, dass solche positiven Rückkopplungen das A und O der Motivation bilden: Wir tendieren dazu, Dinge zu tun, die uns gute Gefühle vermitteln, und vermeiden Dinge, die Unlust verursachen und auf lange Sicht nicht zu Erfolgen (= positiven Rückkopplungen) führen. Man schaue sich nur den seit Jahrzehnten boomenden Markt für Browser- und Konsolenspiele an; diese Spiele beziehen ihr Erfolgs- und Suchtpotenzial aus der schlichten Tatsache, dass wir einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Handlung (Aktion) und Wirkung (Reaktion) erleben. Dabei werden auch über lange Zeit die miesesten Misserfolge ausgehalten, wenn am Ende eine große Belohnung winkt – etwa der Aufstieg in ein neues Level, Ruhm und Ehre für eine bessere Ranglistenposition oder andere positive Effekte.

Kaum zu beziffern ist das Potenzial, das in den Köpfen der Mitarbeiter schlummert: Ideen, wie man Produkte und Dienstleistungen und / oder Prozesse verbessert. In den Produktionshallen der Konzerne hat man das Potenzial, das in fehlerhaften Prozessen liegt, im Zuge der KVP-Bewegung (»KVP« steht für »kontinuierlicher Verbesserungsprozess«) zum Großteil schon gehoben. Im Handwerk und in den Büros liegt dieses Potenzial noch weitgehend brach. Bei Innovationen wird praktisch gar nicht versucht, die kollektive Intelligenz anzuzapfen. Innovationen werden bei den Spezialisten in Forschung und Entwicklung verortet; allen anderen traut man nicht wirklich zu, etwas zur Zukunft des Unternehmens beizutragen.

Die meisten Führungskräfte werden sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass ihre Leute sich ebenso begeistert an ihren Arbeitsplatz begeben, wie sie sich am Abend vor ihre Spielekonsole setzen oder im Verein trainieren. Man kann sich aber durchaus die Frage stellen, welche Rahmenbedingungen wir in der Arbeitsumgebung setzen können, damit sich die schleichende Demotivation und Unlust in mehr Freude am Erfolg verwandeln.

Das »Geheimnis« vor unserer Nase

Sehr einfache, nahezu banale Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Fußballmatch sein ganzes Spiel- und Spaßpotenzial entfalten kann. Und davon können wir einiges auf die Arbeitsorganisation übertragen. Wir glauben häufig, dass wir von erfolgreichen Sportteams etwas über Teamgeist oder Siegeswillen lernen können oder dass wir fachliches oder motivationspsychologisches Geheimwissen aus der Trickkiste herausragender Trainer und Führungspersönlichkeiten dafür brauchen. Alles das schadet nicht – aber es löst nicht einmal ansatzweise die Motivationsprobleme in Unternehmen. Die Lösung dafür ist ausgesprochen banal und sie liegt wie viele sogenannte »Geheimnisse« direkt vor unserer Nase. Sie liegt nicht in Persönlichkeitseigenschaften oder Spezialwissen, sondern in den systemischen Rahmenbedingungen. Noch einmal: Das Herumschrauben an Menschen ist sinnlos. Stattdessen müssen wir an den Systemen arbeiten.

Welche Grundvoraussetzungen müssen nun erfüllt sein? Hier zwei essenzielle Bedingungen: Beim Fußball kennen alle Spieler ihre Rolle und beherrschen sie auch. Heißt: Jeder Mitarbeiter muss für seine Rolle und Aufgaben qualifiziert sein und sie kennen. Das ist die leichteste Übung. Darüber hinaus müssen alle Spieler die Spielregeln kennen. Hier geht das Problem los: Im eigenen Bereich weiß man dank Arbeitsplatzbeschreibung und Flurfunk in der Regel recht gut, was zu tun ist und was nicht. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Fast niemand weiß, was er oder sie tun muss, um das Spiel zu gewinnen. Im Fußball ist das relativ einfach. Die kritische Erfolgskennzahl lautet: Wir müssen ein Tor mehr schießen als der Gegner. Steht es in der Nachspielzeit 0:0, wird das Team automatisch anders – nämlich aggressiver – spielen, als wenn es nach 70 Minuten 4:0 vorne liegt. Doch wie sieht diese kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen aus? Tatsächlich können selbst Unternehmenslenker diese Frage nicht spontan beantworten. Sie ist auch nicht pauschal zu beantworten, denn je nach Geschäftsmodell, Wertschöpfungsprozess und aktueller Lage des Unternehmens kann sie anders ausfallen.

Die kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen ist »eine operationale oder finanzielle Kennzahl, die den zentralen Erfolgstreiber oder eine zentrale Verletzbarkeit repräsentiert«2. Sie kann die Leistungsfähigkeit und langfristige Sicherheit des Unternehmens gefährden, wenn sie nicht überwacht und korrigiert wird (mehr dazu im 9. Kapitel über »Scoreboard-Management in der Praxis«). Die Spielregel, dass derjenige siegt, der ein Tor mehr als der Gegner schießt, versetzt eine Fußballmannschaft in Verbindung mit der Kenntnis des Spielstandes in die Lage, selbstorganisiert und spontan sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Doch wie sieht das in Unternehmen aus? Angenommen, die kritische Zahl ist der Cashflow – etwa weil das Unternehmen munter wächst und die Kreditlinie langsam erschöpft ist. Das Team sieht nur, dass neue Mitarbeiter eingestellt und neue Kunden gewonnen werden. Kein Grund also, sich Sorgen zu machen und das Verhalten zu ändern. Bei den wenigen Eingeweihten sieht das anders aus: Sie haben ordentlich Stress. Da aber niemand über die prekäre Lage reden will oder kann, liegt eine merkwürdige, nicht greifbare Spannung über dem ganzen System. Würde jetzt der Cashflow täglich öffentlich unter Beobachtung gestellt, ganz so wie auf der großen Toranzeige im Stadion – und wäre jedem klar, was man generell und konkret tun kann, um ihn zu beeinflussen –, so würde sich automatisch und ohne großartige Appelle das Verhalten ändern. Und etwas anderes, extrem Wichtiges würde passieren: Die meisten Mitarbeiter würden sich darüber unterhalten, was man tun könnte, um an der Situation etwas zu verändern. Sie würden Ideen produzieren. Dieser »Besserwisser-Effekt« ist uns mehr oder weniger angeboren. Sobald wir irgendwo ein Problem sehen, das uns berührt, überlegen wir sofort, wie man es lösen könnte – auch wenn wir dafür keinen Auftrag und keine Qualifikation haben.

Würde man nun die Ideen des gesamten Teams zum Thema »Cashflow verbessern« einholen und diese auch umsetzen, gäbe es sehr rasch zwei bemerkenswerte Effekte: Der kritische Engpass wird weniger kritisch, und das Team macht die Erfahrung, dass es wirksam ist. In den meisten Organisationen aber agieren Führungskräfte wie Blindenführer: Sie lassen ihre Mitarbeiter über die Folgen ihres Handelns im Dunkeln und wundern sich dann, dass zu wenig Dynamik im Team zu spüren ist.

Alle Spieler müssen wissen, wie das Spiel steht. Anders ausgedrückt: Man braucht Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse. Die kritischen Engpässe brauchen Öffentlichkeit und einen Bezug zum täglichen Handeln. Solange die Zahlen als etwas betrachtet werden, das »die da oben« erzeugen, und solange diese Zahlen in einer langweiligen Excel-Tabelle auf einem Server schlafen, können sie weder steuern noch aktivieren. Können wir keinen Bezug zu unserem täglichen Handeln herstellen, bleibt die Steuerungskraft von Kennzahlen aus.3 Man stelle sich vor, man setzte Sebastian Vettel das Ziel, »möglichst viel Gewinn für Ferrari rauszuholen«. Eine absurde Vorstellung. Das Ziel ist idealerweise an einen hohen »Kundennutzen« gebunden, also in diesem Fall: Formel-1-Rennen zu gewinnen. Je besser das gelingt, desto höher die Chance auf einen ebenso attraktiven Gewinn für Ferrari, das mit jedem Sieg seine Marke pflegt und in der Folge einen Rekordgewinn von fast 70 000 Euro pro verkauftem Fahrzeug einfährt.4

Ohne Ergebnis kein Erfolgserlebnis

Allgemeine Lustlosigkeit zieht sich wie eine Seuche durch viele Unternehmen. Nach den allgemein bekannten Gallup-Umfragen gehen nur 15 Prozent aller Menschen täglich motiviert an ihren Arbeitsplatz (Stand 2018). Fragt man nach den Ursachen, bekommt man sehr häufig die Antwort, dass es zu wenig Wertschätzung für gut geleistete Arbeit gebe. Das gilt sowohl für individuelle als auch für Teamleistungen. Das Problem ist umso verbreiteter, je größer das Unternehmen ist. Am Anfang, wenn noch jeder jeden kennt und man direkt miteinander kommuniziert, werden Erfolge und Misserfolge direkt erlebbar. Wird das Unternehmen dann größer, ziehen sich die Spezialisten in ihre eigenen Abteilungen (man könnte auch sagen: Wagenburgen) zurück. Dabei geht der Blick auf das große Ganze und damit auf Ergebnisse und Erfolge verloren. Wir sehen gerade mal den eigenen Beitrag, aber nicht mehr die Leistungen der Kollegen. In Sportsprache ausgedrückt: Wir sehen, dass wir selbst einen guten Pass gespielt oder ein Tor verhindert haben; wie jedoch die anderen spielen und wie der Spielstand aktuell ist, sehen wir nicht mehr. Dort, wo man keine Erfolge sieht, können auch keine gefeiert werden.

Anders ausgedrückt: Gute Leistung ist nicht transparent – genauso wenig wie schlechte. Weil zentrale Rückkopplungsmechanismen fehlen, fehlt es auch an zentralen Motivatoren. Wenn sich niemand für das interessiert, was wir erreicht haben, verfallen viele in einen Dienst-nach-Vorschrift-Modus und wurschteln vor sich hin. Bei Vorgesetzten verfestigt sich so schnell der Eindruck, dass »die Leute« zu wenig Initiative zeigen. Und dann beginnt die endlose Suche nach Motivationsmethoden, besseren Führungskräften, neuen Anreizsystemen und so weiter und so fort. Einen großen Teil (oder all das) kann man sich sparen, wenn eine wichtige systemische Grundvoraussetzung erfüllt wird: Transparenz hinsichtlich Kopplung von Verhalten und Ergebnis.

In diesem Buch kannst du erfahren, wie du durch einfache Veränderungen der Rahmenbedingungen in deinem Unternehmen

die natürliche Motivation deines Teams freilegst und in produktive Bahnen lenkst,

dafür sorgst, dass alle guten Ideen einen Platz finden, auf dem sie gesehen und gehört werden,

ein Fitnesstracker installiert wird, der allen Beteiligten zu jeder Zeit zeigt, wie gut oder schlecht es dem Unternehmen auf vielen Ebenen geht,

den Aufwand für Management und Führung drastisch reduzierst,

die Profitabilität deutlich steigerst,

ein System installierst, das für jede Menge Anerkennung und Wertschätzung sorgt.

Im nächsten Kapitel erfährst du, wie wir es überhaupt »geschafft« haben, weltweit ein demotivierendes Führungssystem zu etablieren, und warum wir das dringend ändern müssen. Wenn du gleich wissen willst, wie du Transparenz in deinem Unternehmen herstellst, lies direkt Kapitel 4 (»Systeme ändern durch Transparenz und Verbundenheit – die universelle Gewinnerformel«).

KAPITEL 2

Der Weg in die Sackgasse

Wenn man Menschen für bequeme Egoisten hält, muss man Systeme von Anreizen und Sanktionen einsetzen. Deprimierenderweise erzeugen wir aber gerade damit die Haltung, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Der Mensch ist in seinem Wesenskern ein Sozialwesen, das auf positive soziale Resonanz angewiesen ist. Wir brauchen weder Druck noch Kontrollen, um gute Arbeit zu leisten; wir wollen von Natur aus erfolgreich sein und als Team gewinnen.

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Unsere Art, Unternehmen zu organisieren und zu führen, ist aus einem sehr wichtigen Grund ein Auslaufmodell: Dieses Modell ist von Anfang an nicht dafür konzipiert worden, dass Menschen ihre Talente im Team optimal entfalten, sondern um ein Maximum an Produktivität zu erzeugen. Das war über viele Jahrhunderte auch sinnvoll, musste doch die Versorgung der Menschen mit knappen Gütern gewährleistet werden. Es schien nicht besonders wichtig zu sein, ob dieses Modell auch dazu führte, dass grundlegende Bedürfnisse der arbeitenden Menschen erfüllt wurden. Vielmehr reichte es, dass sie sich mithilfe der (ungeliebten) Arbeit möglichst viele Konsumwünsche erfüllen konnten.

Das Ziel der maximalen Produktivität ist in einigen Landstrichen der Erde – unter anderem in Mitteleuropa – so gut wie erfüllt. Nichts bringt dies besser auf den Punkt als der schöne Satz: »Früher haben wir Hungrige satt gemacht, heute müssen wir Satte hungrig machen.« Es war noch vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellbar, dass alle physischen Bedürfnisse nach Essen und Bekleidung zu derart günstigen Preisen erfüllbar sind. Zumindest in den sogenannten entwickelten Industrienationen sehen wir auf praktisch allen Konsumgütermärkten ein brutales Überangebot. Kaum ein Unternehmen ist heute vor dem internationalen Wettbewerb geschützt. Und um dem zu entkommen, stehen sie unter einem noch nie da gewesenen Innovationsdruck: Entweder müssen sie noch attraktivere Produkte oder Dienstleistungen entwickeln oder sie müssen ihre Prozesse immer mehr optimieren, um im Preiswettbewerb mithalten zu können.

Für diese Innovationen braucht man vor allem eines: fähige und motivierte Mitarbeiter. Und eine Struktur, in der diese Mitarbeiter ihre Ideen optimal im Rahmen marktfähiger Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse zum Leben erwecken können. Hier gehen die Probleme weiter: Diese hoch qualifizierten Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt schwer zu bekommen, und wenn es sie gibt, stellen sie mittlerweile andere Ansprüche als noch ihre Eltern und Großeltern. Die berühmte Generation Y traut sich heute, neben Gehalt, guten Arbeitsbedingungen und einem lebensfreundlichen Betriebsklima auch nach Sinn in ihrem Tun zu verlangen. Hat man diese innovativen Menschen denn an Bord, so brauchen sie Arbeitsbedingungen, unter denen Kreativität und Innovationskraft blühen können. Spätestens jetzt wird es für viele Unternehmen eng. Die Organisationen sind nämlich eher darauf angelegt, mit hoher Effizienz Routinetätigkeiten zu erledigen. »Erfinden« und »Produzieren« haben wir seit mehr als 100 Jahren auch wissenschaftlich fein säuberlich voneinander getrennt. Frederick Taylor, der eigentlich angetreten war, um die Arbeitsbedingungen in Fabriken zu verbessern, betrieb die Spezialisierung und Optimierung in der Produktion bis zur Perfektion. Mit seinem Shopfloor-Management legte er den Grundstein für enorme Produktivitätssteigerungen und brachte die amerikanische Industrie zum Blühen. Von nun an durften die Arbeiter mit dem Segen der Wissenschaft ihr Gehirn getrost zu Hause lassen und einfach nur Dienst nach Vorschrift machen.

In Zeiten hoher struktureller Arbeitslosigkeit mussten sich Arbeitgeber keine besonders großen Gedanken machen, wie sie fähige Mitarbeiter anziehen und – noch wichtiger – wie sie diesen dann Arbeitsbedingungen bieten können, unter denen sie gern an ihren Arbeitsplatz gehen, um dort ihr Bestes zu geben. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust und die Hoffnung, über mehr Konsum das Glück zu finden, reichten aus, damit Menschen sich anstrengten. Das hat sich mittlerweile geändert. Fragte man vor 20 Jahren, was die Unternehmen zum Wachstum brauchen, lautete die Antwort: mehr zahlungskräftige Kunden. Heute lautet die Antwort: mehr fähige Mitarbeiter, mit denen wir das erschaffen, was zahlungskräftige Kunden anlockt. Die wichtigste Überlebensfrage lautet also nicht mehr: »Mit welcher Strategie schlage ich die Konkurrenz?« – das ist nicht besonders schwierig herauszufinden –, sondern: »Wie bekomme und fördere ich die Mitarbeiter, mit denen ich diese Strategien entwickeln und vor allem auch umsetzen kann?«

Das Finden und Binden der besten Mitarbeiter ist zur wichtigsten unternehmerischen Aufgabe geworden. Denn ohne diese gelingt weder die Strategieentwicklung noch die -umsetzung. Habe ich gute Leute um mich versammelt, lösen sich alle anderen Probleme wesentlich leichter. Denn wenn sich das Team mit all seiner Intelligenz und Erfahrung bedingungslos und voll Freude für die Zukunft des Unternehmens einsetzt, kann ich auch als Unternehmer und Führungskraft meine ganze Kraft entwickeln. Ich muss meine Zeit nicht mehr mit Motivationsversuchen und Kontrollen verbringen. Meine Sorgen um operative Engpässe nehmen ab, weil sich entweder andere darum kümmern oder weil sie gar nicht erst entstehen. Und meine ureigene unternehmerische Aufgabe, nämlich an der Zukunft des Unternehmens zu arbeiten, brauche ich nicht mehr allein zu erledigen, sondern tue das gemeinsam im Team.

Kompliziert versus komplex

Warum brauchen wir heute mehr denn je fähige Mitarbeiter? Weil wir es häufiger als früher mit komplexen Aufgaben und Herausforderungen zu tun haben. Dazu ein kleiner Ausflug in die Systemtheorie: Dort kennt man zwei Arten von Problemen, nämlich komplizierte (»blaue Aufgaben«) und komplexe (»rote Aufgaben«).5 Komplizierte Systeme laufen immer wieder gleich ab, ihre Teile wirken immer wieder gleich zusammen, sie sind von außen beobachtbar und steuerbar. Sie bergen keinerlei Überraschungen. Ein kompliziertes Problem ist allein durch Wissen zu lösen. Beispiel: Wenn meine Waschmaschine kaputt ist, ist das für mich ein kompliziertes Problem, da ich absolut keine Ahnung habe, wie Waschmaschinen funktionieren (egal, ob von AEG, Bosch, Siemens oder Miele). Für den Miele-Servicetechniker dagegen ist eine kaputte Miele-Waschmaschine kein Problem, sondern eine Banalität: kurze Fehlerdiagnose, Ersatzteil montiert, fertig. Kompliziertheit entsteht also durch einen Mangel an Wissen. Bei blauen Problemen stehen die Fragen »Wie geht es?« und »Wer weiß das?« im Vordergrund. »Blau« sind zum Beispiel alle Maschinen und genau standardisierbaren Prozesse. Mit dem nötigen Wissen werden komplizierte Probleme trivial und damit sofort lösbar und zu entscheiden.

Für das Funktionieren einer Organisation ist es erforderlich, dass für alle blauen Aufgaben und Probleme die richtigen Fachleute verfügbar sind und dass deren Fachwissen ausreichend dokumentiert ist. Dann ist es mehr oder weniger problemlos in der Organisation multiplizierbar. Alle komplizierten Probleme können theoretisch von Algorithmen, Maschinen und Robotern erledigt werden. Hierarchische Führungsstrukturen aus der Zeit der Industrialisierung vertragen sich prima mit blauen Aufgaben, in denen Vorgabe und Kontrolle notwendig sind. Die blaue Welt ist die der Checklisten, Prozessbeschreibungen und ISOs, der Null-Fehler-Toleranz und Perfektionierung.

Komplexe (rote) Systeme hingegen sind prinzipiell unberechenbar. Das Zusammenwirken ihrer Teile ist dynamisch; es folgt keinen festen Regeln. Komplexität ist das Maß an Überraschungen, mit denen man rechnen muss. Typischerweise sind alle Systeme »rot«, in denen unberechenbare Naturkräfte oder der zuweilen unberechenbare Mensch eine Rolle für das Gelingen spielen. Bisher sind einzig Menschen in der Lage, rote Probleme zu lösen, denn diese brauchen Ideen und Kreativität. Rote Probleme kann man nicht der Reihe nach systematisch abarbeiten. Sie brauchen Könner, die sehr schnell experimentieren und schnell die richtigen Schlüsse aus den Ergebnissen ziehen können. Bei roten Problemen steht also die Frage »Wer kann es schaffen?« im Vordergrund. Rote Probleme werden typischerweise in Projekten organisiert. Kommunikation und Kreativität spielen eine außerordentlich wichtige Rolle. Die Entscheidungen werden häufig im Team gefällt. Die notwendigen Ideen entstehen in einer Mischung aus individueller und kollektiver Arbeit. Sie erfordern den Rückzug und die Stille ebenso wie den Austausch und die gegenseitige Anregung. In dem Maße, wie Unternehmen unter Innovationsdruck stehen, steigt der Anteil roter Aufgaben.

Leider werden wir in unserem Schulsystem durch und durch auf die blaue Welt vorbereitet. Es stecken keine wirklichen Überraschungen in den Schulbüchern und Lösungsheften, denn es werden ausschließlich Fragen gestellt, deren Antworten zweifelsfrei feststehen. Auch das Experimentieren und das Fehlermachen werden eher nicht gefördert, vielmehr führen Fehler meist unweigerlich zu schlechten Noten. Das Kooperieren darf man ab und an im Projektunterricht üben. Typischerweise lernt man da, dass es immer einen hoch motivierten, fähigen Idioten gibt, der die Arbeit für den Rest der Gruppe erledigt. Ansonsten wird jede Form intelligenter Kooperation – etwa das Abschreiben – streng geahndet. Nicht gerade die perfekten Voraussetzungen, um später im Berufsleben gemeinsam mit einer Gruppe von Menschen zu experimentieren und (zu Lernzwecken) zu scheitern.

Fazit: Wir brauchen neue Formen der Arbeitsorganisation, weil sich komplexe Aufgaben und schnelles Reagieren schlecht mit hierarchischen Strukturen vertragen.

Das wahre Elend der Managementlehre liegt indes an der Wurzel einer jeden sozialwissenschaftlichen Theorie und Weltanschauung: dem Menschenbild. Im Theoriegebäude der Ökonomie agiert der Mensch (der Homo oeconomicus) als gefühlsamputierte, egozentrische Witzfigur. Der wichtigste Protagonist (der Unternehmer / das Unternehmen) hat zum obersten Daseinszweck das Schaufeln von Gewinnen. Der Antagonist kennt nur einen einzigen Lebenszweck: das Konsumieren von Gütern und Dienstleistungen bis zur Sättigungsgrenze. Diese ist bei einzelnen Gütern schnell erreicht (der Grenznutzen des fünften Biers in Folge ist in aller Regel negativ), in Gänze jedoch sind die Bedürfnisse unendlich. Ob irgendjemand durch das eigene Streben nach Befriedigung zu Schaden kommt, interessiert den Modell-Konsumenten nicht. Auch hat er keinerlei relevante Bedürfnisse nach Dingen, die nicht von Knappheit regiert werden. Luft und Liebe, die Nahrung der Verliebten, kommen im Marktmodell nicht vor.

Das Menschenbild, das der Managementlehre – und auch unserem Bildungssystem (!) – zugrunde liegt, stammt aus der psychologischen Forschung des 19. Jahrhunderts und basiert auf den Theorien der Evolutionspsychologie und der Soziobiologie. Diesen zufolge ist der Mensch so wie jedes andere tierische Wesen in erster Linie auf Selbst- und Arterhalt programmiert. Grob vereinfacht ausgedrückt dienen alle Anstrengungen dazu, möglichst attraktiv für potenzielle Sexualpartner zu werden und dann ordentlich für die Nachkommen zu sorgen. Demnach strengen wir uns nur um der eigenen Vermehrung und des eigenen Vorteils willen an und gehen darüber hinaus den Weg des geringsten Widerstands.

Auf den ersten Blick ein Modell von bestechender Logik. Man braucht sich nur anzuschauen, welchen Aufwand wir betreiben, um in den Unternehmenshierarchien nach oben zu steigen, und wie viel Geld wir für demonstrativen Konsum ausgeben: Guccitasche, Manolo Blahniks, Rolex und Porsche sind demnach nichts anderes als Rangabzeichen im Kampf um die passenden Vermehrungspartner.

Wenn wir glauben, der Mensch sei nur von Eigennutz getrieben, müssen wir zwangsläufig mit Vorgaben und Anreizen arbeiten, um ein gewünschtes Verhalten zu erzeugen. Schauen wir ins Bildungssystem: Wenn wir meinen, dass Kinder nicht von Natur aus Lust auf Lernen und Entwicklung haben, müssen wir die deprimierenden Dressursysteme installieren, die wir an praktisch jeder Schule vorfinden. Die Kinder werden in einen festen Lernplan gepresst, müssen dort den Lernstoff abarbeiten wie Fabrikarbeiter und werden durch ein perfides Angstsystem von Schulnoten und »Sitzenbleiben« dazu »motiviert«, das zu tun, was man von ihnen erwartet. So oder ähnlich geht es dann in den Unternehmen weiter: Stellenbeschreibungen, Zielvorgaben, Kontroll- und Beurteilungssysteme sollen dafür sorgen, dass Menschen das tun, was wir von ihnen erwarten.

Deprimierenderweise erzeugen wir aber gerade damit die Haltung, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Denn wenn wir Menschen behandeln wie bequeme Egoisten, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sie sich genau so verhalten. Dass es in vielen Unternehmen eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität gibt, ist eine logische Folge der vielen Vorschriften und Misstrauenssysteme. Der Autor Reinhard K. Sprenger hat schon vor 30 Jahren in seinem wegweisenden Buch Mythos Motivation offengelegt, dass variable, von der Leistung abhängige Gehälter (wie Umsatzprämien im Verkauf) eine unausgesprochene Misstrauenserklärung sind. Sie sagen schließlich nichts anderes aus als: »Wenn ich dir ein angemessenes Fixgehalt gebe, machst du weniger, als du zu leisten imstande bist.«

Es ist klar, dass wir mit einem negativen, reduktionistischen Menschenbild keine Unternehmensstruktur (und daraus resultierend eine Unternehmenskultur) aufbauen können, die auf gegenseitigem Vertrauen, Transparenz und Selbstorganisation aufbaut.

Wie Menschen wirklich ticken

Mittlerweile wissen wir – insbesondere durch neuere Forschung der Positiven Psychologie und der Neurobiologie – dass wir das Menschenbild der Soziobiologie gehörig erweitern müssen. Natürlich ist der Wunsch, uns fortzupflanzen und für unsere Liebsten zu sorgen, ein riesiger Motivator. Und, ja, für Männer ist es nach wie vor vorteilhaft, auf der sozialen Leiter möglichst weit oben zu stehen, denn das verspricht den Frauen, denen so etwas wichtig ist, ein hohes Maß an Sicherheit und Status. Umgekehrt dreht sich das Leben von vielen Frauen um gutes Aussehen, da auch dies von den männlichen Alphatieren belohnt wird – im Amerikanischen spricht man sehr schön von den sogenannten Trophy Wifes. Aber das ist natürlich nicht alles! Über Fortpflanzung und Sozialstatus hinaus schlummert in jedem Menschen der Wunsch, Teil von etwas Größerem zu sein und das eigene Talent zum Nutzen anderer zu entfalten. Wir wollen Dinge tun, die Sinn ergeben und auf die wir stolz sind. Und wir alle haben den großen Wunsch, Anerkennung und Wertschätzung für gute Leistung zu bekommen. Der Mensch ist ein Sozialwesen durch und durch, das dringend auf positive soziale Resonanz angewiesen ist. Wir brauchen weder Druck noch Kontrollen, um gute Arbeit zu leisten; wir wollen von Natur aus erfolgreich sein und als Team gewinnen. Das tradierte Menschenbild des habgierigen Egoisten gehört auf den Müll der Geschichte, und damit die Systeme von Kommando und Kontrolle, die wir jahrhundertelang gepflegt haben. Alles, was wir tun müssen, ist, das neue Menschenbild annehmen und uns fragen, wie wir Arbeit organisieren müssen, damit dort menschliche Grundbedürfnisse nach Entfaltung, Wirkung, Erfolg, Anerkennung und Wertschätzung erfüllt werden.

Das Unternehmen von gestern wurde um die Frage herum konstruiert, wie wir ein Maximum an Kapitalproduktivität erzeugen. Die Unternehmen von morgen werden um die Frage herum konstruiert, wie Menschen ihr Potenzial bestmöglich im Dienste des Nutzens für andere6 entfalten können.

Negative Glaubenssätze aufgeben

Dieser Wandel wird umso besser gelingen, je erfolgreicher wir unsere alten, negativen Programmierungen und Erfahrungen durch Überzeugungen ersetzen wie »Alle Menschen im Unternehmen geben ihr Bestes, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt und die Voraussetzungen dafür schafft«. Auch wenn du im Moment noch in einer Kultur lebst, in der Misstrauen und Kontrolle an der Tagesordnung sind, halte es zumindest für möglich, dass es auch anders gehen kann. Frage dich einmal, woher diese Programmierungen stammen: Meist haben wir sie kritiklos aus Büchern, von Lehrern, Eltern oder Vorgesetzten übernommen. Um es mit Niels Pfläging auszudrücken: Transformationsarbeit bedeutet Arbeit an Glaubenssätzen. Wir werden im weiteren Verlauf dieses Buches immer wieder darauf zurückkommen.

Befreie dich am besten auch gleich von der Vorstellung, dass Erfolg etwas mit Kampf und Krieg zu tun hat. Die gesamte Managersprache wimmelt von Kriegsmetaphorik: »Kampf um Marktanteile«, »Kundenfront«, »Rekrutierung« und Ähnliches. Bewaffnet und trainiert wird der Verkäufer mit Psychomethoden, Einwandbehandlung und Abschlusstechniken. Dahinter steckt der falsch verstandene Darwinismus des »survival of the fittest« und des »struggle for survival«: Im Überlebenskampf siegt der Stärkste und der am besten Bewaffnete. Begleitet wird dieses Missverständnis vom linear-statischen »Kuchendenken«: Der Markt ist wie eine große Torte, von der sich viele Mitbewerber ein möglichst großes Stück abschneiden wollen. Wer sich jetzt am schnellsten und mit den besten Messern bewaffnet in den Kampf stürzt, ergattert das größte Stück. Dass man sich ganz ohne Kampf mit ein bisschen Kreativität und Tatkraft einen eigenen Kuchen backen kann, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. So ist es denn kein Wunder, dass normale Menschen »die Wirtschaft« nicht als einen Ort der Erfüllung und der Selbstentfaltung verstehen, sondern als notwendiges Übel. Unternehmen zu führen hat nichts mit Krieg zu tun – dafür sehr viel mit Teamsport und Wettbewerb. Oder um es mit den Worten des genialen US-Unternehmers Jack Stack auszudrücken: Die Managementlehre ist weder eine Kunst noch eine Wissenschaft, sondern ein spielerischer Wettbewerb, bei dem ziemlich viel auf dem Spiel steht.

KAPITEL 3

The Great Game of Business – zwei Praxisbeispiele aus den USA

Wenn sich Mitarbeiter wie Mitunternehmer verhalten sollen, brauchen sie Zugang zu wichtigen Informationen und Verständnis für die Zusammenhänge im Geschäftsmodell. Und sie brauchen so viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum wie ein Unternehmer. An zwei Praxisbeispielen erfährst du in diesem Kapitel, wie man alle Mitarbeiter befähigt, unternehmerisch zu denken und zu handeln.

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In diesem Buch stelle ich dir eine Methode vor, mit der du spielerisch leicht das tradierte Managementsystem in ein System von Transparenz, Teamgeist, Kreativität und Freude am Ergebnis verwandelst. Sie ändert Kultur und Ergebnisse allein durch die Veränderung der Rahmenbedingungen. Du wirst in deinem Unternehmen die gleichen Qualitäten erzeugen, die im Mannschaftssport selbstverständlich sind und die es überhaupt erst ermöglichen, Freude am Spiel zu haben: Spielverständnis, Transparenz und eine unmittelbare Rückkopplung von eigenem Handeln und dem Gesamtergebnis. Vor allem wirst du dadurch deinem Team zu dem verhelfen, was unser aller Lebenselixier ist: zu Erfolgserlebnissen auf vielen Ebenen. Diese Methode ist aus dem entstanden, was wir über viele Jahre von ungewöhnlichen Unternehmern gelernt und hier in Deutschland mit beherzten Pionieren praktisch erprobt haben. Zwei dieser Unternehmer und ihre Organisationen waren dafür maßgeblich: Jack Stack von SRC und Ari Weinzweig von Zingerman’s.

Jack Stack und The Great Game of Business

Jack Stack ist eines der größten und kreativsten Genies der Managementlehre. Er hat – genau wie viele andere großartige Unternehmer und Vordenker – nie eine Business-School von innen gesehen. Stack ist der Erfinder von »The Great Game of Business« (GGOB), einem genial einfachen und erfolgreichen System für Organisationsentwicklung. GGOB wurde in den 80er-Jahren rein aus der Unternehmenspraxis heraus entwickelt. Jack Stack hatte damals mit elf Kollegen im Rahmen eines Management-Buy-outs die Springfield Renewal Company (SRC) von der angeschlagenen Muttergesellschaft International Harvester erworben. SRC war spezialisiert auf die Aufarbeitung von großen Dieselaggregaten.

Vom Start an war das Unternehmen praktisch pleite: SRC hatte neben International Harvester noch einen zweiten Kunden, mit dem es 40 Prozent seines Umsatzes machte. Dieser Kunde war nach dem Buyout abgesprungen, weil er das Unternehmen selbst hatte übernehmen wollen. Stack versammelte alle Mitarbeiter in der Fabrikhalle um sich, schilderte offen die Lage, benannte genau, wie viele Hunderttausend