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Originalcopyright © 2019 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autorin: Nicole Mahne

Illustrationen: Kai Schüttler

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-96594-050-5

Alle Rechte vorbehalten.

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Inhalt

Der Schwimmbrillenmann

Jil Superstar

Pirat vermisst!

Die aus der 19

Tatverdächtige Nr. 1

Tatverdächtige Nr. 2

Ein dicker Hund!

Kasper und Räuber

Glücksfall mit Stubenhocker

Onkel aus Amerika

Der Schatz hat die Katz

Verräterische Orchideen

Zimmer mit Aussicht

Zwei auf einen Streich

Der Schwimmbrillenmann

Ich bin Mia. Ich gehe in die dritte Klasse. Aber im Mo­­ment habe ich Ferien. Prima, oder? Ich sitze auf meinem Cityroller und beobachte von hier unten aus unsere Straße. An der Lenkstange vorbei sehe ich jemanden aus der 19 kommen. Einen Mann. Er schaut die Straße hoch und runter. Und wieder hoch und runter. Dann entdeckt er mich. Er schaut so lange zu mir rüber, dass ich mich umblicke, ob hinter mir vielleicht etwas Spannendes passiert. Aber da ist nur die Hecke von der Blitzblank. Vielleicht weiß er nicht, dass sich das nicht gehört, diese Anstarrerei. Weil er aus der 19 kommt, meine ich. Die aus der 19 sind nämlich schräge Vögel. Das sagen alle, die in unserer Straße wohnen. Während ich noch über die Benimmsache nachdenke, setzt er sich in Bewegung. Er überquert die Straße und geht auf dem Bürgersteig genau auf mich zu. Bei mir angekommen, hält er an.

„Kennst du Moskau?“

„Hä?“, antworte ich nur und springe auf die Füße. Er ist klein. Auf meinen alten Dosenstelzen bin ich be­stimmt genauso groß wie er. Und das Beste ist, er trägt eine Schwimmbrille. Echt wahr. So eine kleine durch­­­­sichtige, die mit einem Gummiband hinter dem Kopf ge­­­halten wird.

„Kennst du New York? Paris? Berlin?“, fragt der Schwimm­­­­brillenmann weiter.

„Aus dem Fernsehen bestimmt“, sage ich. „Im Fern­sehen habe ich schon fast alles gesehen.“

„Mit dem Bus!“, sagt er. „Mit dem Flugzeug!“, entscheidet er dann.

„Mit dem UFO?“, frage ich nach.

Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Mit dem UFO.“

„Was hast du denn da um den Hals hängen?“

„Löffel.“ Der Schwimmbrillenmann dreht ihn in der Hand hin und her. Ein Suppenlöffel. Er hat oben am Stiel ein kleines Loch. Durch das ist die Kette gezogen.

„Praktisch“, stelle ich fest.

„Für Joghurt“, sagt der Schwimmbrillenmann.

„Aha. Und warum trägst du eine Schwimmbrille? Es regnet nicht mal …“

Der Schwimmbrillenmann schiebt die Schwimmbrille hoch auf seine Stirn. Er hat runde braune Augen, mit denen er mich neugierig mustert.

„Ich heiße Mia. Und du?“

„Hund auf Englisch?“, will er wissen.

„Das ist doch einfach: dog.“

„Katze auf Englisch?“

„Cat. Du kannst mich noch mehr Wörter fragen, ich kenne schon alle Farben: red, yellow, green, blue …“

„Pirat“, sagt der Schwimmbrillenmann.

„Auf Englisch? Das hatten wir noch nicht.“

„Pirat“, wiederholt der Schwimmbrillenmann.

„Habe ich doch gesagt. Das hatten wir noch nicht.“ Das ist blöd, so ein schweres Wort zu fragen.

Ich zeige auf unser Haus. „Ich wohne da drüben. Mit meiner Mama zusammen.“

Es ist das kleinste in der Straße und das schönste, denn überall blüht es bei uns. Mama liebt wilde Blu­men­beete. Es muss kreuz und quer wachsen, dann ist sie glücklich. Und sie hasst Rasen, der aussieht wie frisch gewaschen und gebügelt, wo nichts absteht und alles picobello ist. Das wiederum findet Frau Blank, unsere Nachbarin am tollsten. Mama und ich nennen sie Blitzblank, weil in ihrem Garten alle Grashalme gleich lang sind und kein Blatt rumliegt.

„Frau Blitzblank fängt das Laub in der Luft auf, bevor es auf den Boden segeln kann“, sagt Mama. Das ist wirklich wahr. Bei der Blitzblank muss alles seine Ordnung haben. Klar, dass meine Mama und die Blitzblank sich nicht ausstehen können, oder?

Der Schwimmbrillenmann zeigt auf die 19.

„Willst du zurück?“

Der Schwimmbrillenmann nickt und macht sich auf den Weg.

„Ich bring dich noch.“ Ich fahre mit dem Cityroller neben ihm her. „Ich bin übrigens Detektivin. Wenn du mal was rauskriegen musst … Ich kann das ziemlich gut.“

Der Schwimmbrillenmann scheint erst einmal kein Interesse zu haben. Ihm gefällt dafür die bunte Hupe an meinem Lenker. Er drückt sie wieder und wieder.

„Macht mir nichts, dass du komisch bist“, sage ich dem Schwimmbrillenmann. „Ich bin nämlich to-le-rant.“

Der Schwimmbrillenmann hupt noch einmal und geht dann knapp vor mir her über die Straße.

„Warte“, rufe ich ihm nach. Doch zu spät. Der Schwimmbrillenmann hält auf die 19 zu und geht am Haus vorbei nach hinten in den Garten.

Jil Superstar

Meine Freundin Jil wurde über Nacht von einer faust­dicken Mücke direkt in die Gehirnwindungen gestochen. Seitdem will sie berühmt werden, ein Superstar! Sie trägt jetzt eine blaue Glitzerjacke mit einem gelben Glitzerstern auf dem Rücken. Außerdem flechtet sie ihre Haare zu hässlichen Fliegenbeinen, die ihr in alle Richtungen vom Kopf abstehen.

Seitdem Jil Superstar werden will, übt sie stunden­lang blödsinnige Tanz­­­­­be­­we­gungen ein. Dazu gibt sie mit­­­leiderregende Laute von sich. Ge­­­sangsübung nennt sie es. Klingt allerdings eher so, als hätte sie grässliche Schmerzen. Die Sicherungen sind mir raus­geknallt, als Jil behauptet hat, Detektivin wäre kein richtiger Beruf, sondern ein Spiel für Kleinkinder. Aus dem Alter wäre sie raus. Ihre Haare würden bereits fetten. Das käme von den Hor-mo-nen. Die kriegt man als Jugendlicher. Aber ich hätte wahrscheinlich noch keine Hormone, sonst würde ich keine albernen Detektivspiele mehr machen. Daraufhin habe ich ihr gesagt, ihre Stimme erinnere mich an eine alte Kreissäge. Überhaupt, wenn sie ein Superstar wäre, würde ich an dem Verstand der Menschheit zweifeln. Und Hormone hätte ich auch mehr als genug.

Das ist genau zehn Tage her. Seitdem herrscht Funk­stille. Früher waren wir jede freie Minute zusammen. Sogar auf dem Klo, weil es immer was zu bereden gibt. Zum Beispiel das Neuste von Marlon. Marlon ist der süßeste Junge an unserer Schule. Er riecht schon wie ein richtiger Mann, weil er Rasierwasser benutzt. Das ist ziemlich cool. Alle Mädchen sind verknallt in Marlon. Jil und ich haben ihn manchmal ausspioniert. Wenn er bei sich zuhause im Garten war, haben wir uns durch die Büsche gezwängt und sind auf allen vieren bis an den Gartenzaun gekrochen. Mit meinem Fernglas konnten wir ihn so groß sehen, dass Jil meinte, sie könne sogar seine Sommersprossen zählen. Einmal haben wir heimlich beobachtet, wie Marlon sich einen gigantisch großen giftgrünen Popel aus der Nase gezogen hat. Echt wahr. Durch das Fernglas sah der Popel so riesig aus wie die Berge in Österreich. Nur in Giftgrün halt und ohne Bäume drauf und ohne Seilbahn mit Gondel. Marlon hat sich den Popel genüsslich von allen Seiten angesehen. Dann hat er ihn, jetzt kommt’s, als Ganzes weggemampft. Jil und ich haben uns vor Lachen fast in die Hose gemacht. Seitdem will ich ihn nicht mehr küssen, weil ich mir vorstelle, davon klebt noch was an seinen Zähnen. Voll ekelig, oder? Aber Jil will immer noch. Sie sagt, sie würde ihn auch mit Popelzähnen nehmen, weil seine Augen so schön sind. Ich denke lieber nicht mehr an Jil, sonst muss ich doch noch heulen, weil ich sie vermisse.

Ich sehe Mama beim Nähen zu. Sie ist Schneiderin. Mit zwei Freundinnen zusammen hat sie einen eigenen Laden. Der schönste Platz auf der Welt. Es gibt eine ganze Wand mit bunten Knöpfen und Bändern. Um die einzeln anzuschauen, braucht man mindestens einen Tag. Und dann kann man schon wieder von vorne anfangen. Ich bettle Mama um einen Hund an, während sie eine Hose kürzt. Irgendwann wird sie es nicht mehr aushalten und Ja sagen. Das ist mein Plan. Gut, oder?

„Nein“, sagt Mama. Ich probiere es morgen wieder. Denn das Wichtigste ist, Geduld zu haben. Mit Geduld kommt man an sein Ziel, sagt Klaus immer. Er zieht dann den Bauch ein und verschränkt die Arme vor der Brust, damit seine Worte bedeutungsvoll wirken. Klaus ist mein Papa. Mama sagt, Klaus baut nur Luftschlösser. Wenn man sie betritt, seine Schlösser, dann fällt man gehörig auf die Nase. Ich mag Luftschlösser. Sie sind schließlich zum Träumen gedacht und nicht zum Reingehen.

Pirat vermisst!

Am nächsten Tag liege ich auf der Lauer nach dem Schwimmbrillenmann. Ich postiere mich in unserer Einfahrt, genau neben der Hecke von der Blitzblank. Von hier aus habe ich die ganze Straße im Blick. Während ich warte, mache ich die Bekanntschaft mit einem Cocker Spaniel, dessen Bauch fast bis auf den Boden hängt, so moppelig ist er. Er beschnuppert mich aufgeregt, weil er wohl auf ein Leckerli hofft. Später kommt ein junger Rauhaardackel vorbei, der vor Aufregung am liebsten in alle Richtungen gleichzeitig rennen würde. Die beiden Hunde pinkeln an die Hecke von der Blitzblank, beide an die gleiche Stelle. Hunde sind einfach toll. Ich will unbedingt einen.

Da ist er, der Schwimmbrillenmann. Als er mich erblickt, hebt er seinen Zeigefinger hoch. Ich halte meinen zur Begrüßung auch in die Höhe. Unsere Finger sind wie zwei Antennen, die sich anfunken. Ich schnappe meinen Cityroller und fahre zu ihm.

„Ich habe schon auf dich gewartet“, begrüße ich ihn. „Wo ist denn deine Schwimmbrille geblieben?“

Der Schwimmbrillenmann kramt in seinen Jacken­taschen und zieht sie daraus hervor. Er setzt sie auf.

„Schick“, sage ich. „Guck mal, ich habe auch eine.“ Ich zeige auf meinen Lenker, an dem sie baumelt. Meine ist knallorange. Ich ziehe meine auch über. Jetzt stehen wir beide voreinander mit unseren Schwimmbrillen im Gesicht. Urkomisch, echt.

„Ich kann kaum was sehen dadurch. Dass du die immer tragen kannst … Nimmst du die auch mit ins Wasser? Kannst du tauchen?“

„Badewanne“, antwortet der Schwimmbrillenmann.

Ich nehme die Schwimmbrille ab und sehe, dass er mich angrinst.

Plötzlich geht die Tür der 19 auf. Ein Typ kommt raus. Er hat eine Glatze und einen schmalen Bart, der ihm bis auf die Brust reicht. Das schwarze T-Shirt spannt über seinem dicken Bauch. Auf dem Oberarm hat er einen düster dreinblickenden Adler tätowiert.

„Alles klar?“, fragt er den Schwimmbrillenmann. Dann schaut er mich an.

Der Glatzkopf sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus.

„Wer bist du denn?“, will er wissen.

„Mia“, antworte ich leise.

„Ich bin Holger.“ Er lässt mich nicht aus den Augen. Ein echt schräger Vogel mit einem echt gruseligen Vogel auf dem Arm. Dann grinst er plötzlich breit über das ganze Gesicht wie die Katze in Alice im Wunderland.

„Ich sehe etwas gefährlich aus, bin aber ganz harmlos“, sagt er und zwinkert mir zu.

„Ich bin auch harmlos“, sage ich, weil ich etwas durcheinander bin.

Holger lacht und streicht über seinen langen Bart. „Da bin ich ja beruhigt.“

Der Schwimmbrillenmann zieht mich am Ärmel hinter sich her zum Haus. Er will mir etwas auf dem Klingelschild zeigen.

„Rippel“, lese ich laut den Namen vor, auf den er mit dem Finger tippt. „Bist du das?“

Er nickt.

Plötzlich erscheint eine Gestalt an der Haustür. Sie steht ganz gebückt, ich gucke direkt auf einen dunkelbraunen Haarscheitel.

„Pirat?“, fragt es von da unten.

„Was?“, antworte ich irritiert.

Der krumme Mann richtet sich mit einem Ruck auf und schaut mich neugierig an. Er hat dichte schwarze Augenbrauen, die sich in einem Bogen nach oben schwingen.

„Pirat ist mein Kater“, erklärt er. Dann schnappt er zurück wie ein Taschenmesser.

„Jemand hat Pirat geklaut“, murmelt er von da unten weiter.

„Geklaut?“, frage ich neugierig.

„Ja.“ Der Krumme macht sich wieder lang, um mich besser ansehen zu können. „Jemand hat ihn gestohlen …“

„Aber Herr Schlottmeier“, unterbricht Holger ihn. „Warum sollte jemand Ihre Katze klauen?“

„Ich würde gerne helfen“, sage ich dem krummen Mann. „Ich bin eine prima Spürnase und ich kenne mich verdammt gut aus mit Katzen.“

Herr Schlottmeier sieht mich dankbar an. Holger muss schon wieder lachen, wobei ich nicht weiß, was so komisch ist. Schließlich ist eine Katze verschwunden! Dann muss ich schnell nach Hause. Mama steht schon auf dem Bürgersteig und winkt in meine Richtung.

„Tschüss“, rufe ich noch, bevor ich mich mit meinem Cityroller auf den Weg mache. „Ich kümmere mich um die verschwundene Katze, versprochen!“

„Was hattest du bei der 19 zu suchen?“, fragt mich Mama später.

„Ein Kater wird vermisst. Vielleicht Diebstahl“, erkläre ich ihr knapp.