Peter Osterwalder

Geschlossene Kreise
in der Führung

Weil beim Führen Verbindlichkeit zählt

Inhalt:

Einleitung

Einige Grundgedanken über Führung

Das Prinzip des geschlossenen Kreises

Aufträge erteilen – und nachhaltig verfolgen

Rückmeldungen an Kunden - verlässlich und zeitnah

Die Unternehmenskultur verändern – mit Konsequenz zum Erfolg

Strategische Themen erfolgreich umsetzen - Stäbe und Linie gemeinsam

Schulungen und Coachings – keine Massnahme ohne Diagnose

Neue Instrumente einführen - die Gunst der Stunde

Teamentwicklung ernstgemeint – nicht als Alibi

Change-Management - Drive und Besonnenheit

Führen heisst fordern - Fokus und Abgrenzung

Entscheidungen treffen - Mut und Vorsicht

Gesprächsführung mit Mehrwert - verständlich und verbindlich

Vermutungen überprüfen - Fakten versus Annahmen

Prozesse analysieren - Licht am Ende des Tunnels

Eigene Zukunftspläne - Ruhe und Geduld

Selbstführung - Achtung vor sich selbst

Kollegiales Lernen – Vielfalt der Perspektiven

Was hat das Ganze mit Leadership 4.0 zu tun?

Epilog

Dank

Literatur

Einleitung

Diesem Buch liegen über 30 Jahre Erfahrung zugrunde, in denen ich als Vorgesetzter in verschiedenen grossen Unternehmen und später als selbständiger Unternehmensberater und Coach in der Schweiz und im Ausland tätig war. In dieser Zeit habe ich viele spannende Menschen kennengelernt und konnte mit ihnen in unzähligen Projekten und Mandaten selbst viel lernen und auch weitergeben.

Viele verschiedene Erfahrungen und Erkenntnisse in der Unternehmensführung, im Projektmanagement und in der Mitarbeiterführung sind in die Auswahl der Themen dieses Buches eingeflossen.

Ein Thema, das mich über all die Jahre hinweg immer wieder beschäftigte, ist die Verbindlichkeit. Sie ist ein hohes Gut in der Führung, steht sie doch für verantwortliches Denken und Handeln. Bei der Reflexion dieses Themas ist schliesslich das Bild von geschlossenen und offenen Kreisen entstanden. Geschlossen ist ein Kreis mit Bezug auf irgendein Thema dann, wenn das betreffende Thema abgeschlossen ist bzw. sich in einer erfolgreichen Umsetzung befindet. Offen ist ein Kreis dann, wenn das besagte Thema aus irgendeinem Grunde in der Schwebe ist. Das Bild des geschlossenen Kreises zeigte sich in unterschiedlichsten Beratungssituationen als hilfreich und unterstützend.

Nach einer kurzen Einleitung über Führung werden in diesem Buch verschiedene Themen und Situationen aus der Unternehmens- und Mitarbeiterführung beschrieben, immer mit Blick auf das Prinzip des geschlossenen Kreises.

Die Auswahl der verschiedenen Themen fusst einerseits auf den Erfahrungen in meiner Consultingarbeit, andererseits erhielt ich viele Anregungen aus dem integrierten Unternehmenskonzept, wie zum Beispiel im St. Galler Management-Modell1. Zudem habe ich den Blick immer wieder auf die Struktur der Balanced Scorecard gerichtet2 mit den Perspektiven Vision und Strategie, Finanzwirtschaft, Kunden und Markt, Prozesse und Abläufe, Lernen und Entwicklung.

Dieses Buch richtet sich an Leser und Leserinnen, die über Führung vor dem Hintergrund von Verbindlichkeit und Verantwortung nachdenken möchten. In jedem Kapitel finden sich Hinweise für mögliche3 Vorgehensweisen zu verschiedenen Themen.

Wirklich lernen über Führung kann man nur, wenn man eigene Erfahrungen reflektiert und hieraus Schlussfolgerungen für das künftige Handeln und Verhalten zieht. Die Meister in der Führung fallen nicht vom Himmel, zum Glück nicht. Aus diesem Grunde finden sich am Schluss eines jeden Kapitels Reflexionsfragen.

1 Rüegg-Stürm, Grand.

2 Kaplan, Norton.

3 Mögliche Vorgehensweisen deshalb, weil ein bestimmtes Vorgehen in einem bestimmten Kontext funktioniert, in einem anderen überhaupt nicht.

Einige Grundgedanken über Führung

Führung ist Einflussnahme

Es gibt viele verschiedene Definitionen von Führung. Was aber in vielen und z.T. auch unterschiedlichen Definitionsversuchen immer wieder zum Ausdruck kommt, ist die Einflussnahme der Vorgesetzten auf die Mitarbeitenden. Führung ist «eine soziale Einflussnahme» 4, damit vereinbarte Aufträge, Projekte und Ziele in die erfolgreiche Umsetzung gebracht werden. 5 Die Vorgesetzten übernehmen mit ihren Mitarbeitenden zusammen die Verantwortung, dass die Umsetzung eines Projektes oder eines Auftrags selbst bei Hindernissen und Schwierigkeiten erfolgreich ist.6 Führung hat also ganz klar mit Verbindlichkeit zu tun.

Vertrauen und Kontrolle - eine Polarität

Welche Rolle spielt das Thema Vertrauen? Die Einflussnahme des Vorgesetzten auf seine Mitarbeitenden führt im Extremfall dazu, dass der Vorgesetzte seine Mitarbeitenden zu eng führt, indem er immer wieder kontrolliert. Die verschiedenen Konzepte und Publikationen über Empowerment in der Führung bringen aber zum Ausdruck, dass man die Mitarbeitenden ja gerade dadurch motiviert, dass man sie laufen lässt, ihnen Raum für Gestaltung und Kreativität gibt und dafür sorgt, dass sie über die nötigen Fähigkeiten und Voraussetzungen verfügen.7 Man liest und hört in diesem Zusammenhang oft den Satz: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Die spiegelverkehrte Aussage trifft in unserem Zusammenhang ebenfalls zu: «Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.» 8 Ich habe das Thema Vertrauen und Kontrolle in vielen Coaching- und Beratungsgesprächen mit meinen Kunden und Kundinnen bearbeitet und diskutiert. Es gibt einerseits Führungskräfte, die sehr stark auf Kontrolle und Einflussnahme setzen. Es gibt aber auch viele Führungskräfte, für die es wichtig ist, ihre Mitarbeitenden einmal laufen zu lassen. Meiner Erfahrung nach ist bei diesem Thema nicht das Eine richtig und das Andere falsch. Man sollte diesbezüglich vielmehr in Polaritäten denken und handeln. Man findet immer wieder Mitarbeitende, die sich durch ihren hohen Grad an Verantwortungsgefühl und Selbständigkeit prädestinieren, sie mit ihrem ganzen Potenzial machen zu lassen, weil man einfach das Vertrauen hat, dass das Ganze funktioniert.

Luhmann spricht über die Notwendigkeit eines Grundvertrauens im sozialen Leben. «Vertrauen im weitesten Sinne eines Zutrauens zu eigenen Erwartungen ist ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens. Der Mensch hat zwar in vielen Situationen die Wahl, ob er in bestimmten Hinsichten Vertrauen schenken will oder nicht. Ohne jegliches Vertrauen aber könnte er morgens sein Bett nicht verlassen. Unbestimmte Angst, lähmendes Entsetzen befielen ihn. Nicht einmal ein bestimmtes Misstrauen könnte er formulieren und zur Grundlage defensiver Vorkehrungen machen; denn das würde voraussetzen, dass er in anderen Hinsichten vertraut. Alles wäre möglich. Solch eine unvermittelte Konfrontierung mit der äussersten Komplexität der Welt hält kein Mensch aus.» 9

Vertrauen ist also nach Luhmann eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die soziale Komplexität reduziert werden kann. Ohne jegliches Vertrauen wäre die Zusammenarbeit der Menschen in einer Organisation letztlich und in aller Konsequenz gar nicht möglich.

Es gibt aber auch bestimmte Konstellationen, in denen es besser ist, seine Mitarbeitenden mit einer gewissen Kontrolle zu begleiten und den entsprechenden Prozess enger zu führen, weil zum Beispiel der betreffende Auftrag für einen Mitarbeiter etwas ganz Neues ist und ihm deshalb die nötige Sicherheit fehlt. Ich habe leider immer wieder Führungskräfte erlebt, die einfach wegschauen, sich um die Umsetzung in keiner Weise kümmern und die Mitarbeitenden im Ungewissen lassen. «Vertrauen wird auch nicht selten von defensiven Führungskräften als Etikett missbraucht. Sie schauen nicht hin, handeln nicht, führen nicht und ummanteln diese Passivität mit Vertrauen in die Mitarbeiter. Vertrauen heisst auf keinen Fall Rückzug und Passivität.» 10

Ausrichtung auf Wertschöpfung und auf Leistungsaufträge

Vorgesetzte haben letztlich die Verantwortung, Aufgaben, Projekte und Strategien erfolgreich umzusetzen. Wenn die Umsetzung in Gefahr ist, müssen sie intervenieren, ganz im Sinne der sozialen Einflussnahme. Dies ergibt sich aus dem Zweck eines jeden Unternehmens beziehungsweise jeder Organisation. «Den zentralen Gestaltungsfokus (…) bildet organisationale Wertschöpfung, z.B. Produkte, Dienstleistungen oder ganz allgemein Wirkungen, denen in der existenzrelevanten Umwelt einer Organisation Wert beigemessen wird. Diese Wertschöpfung ist immer wieder aufs Neue in einem offenen, abgestimmten Zusammenspiel einer Organisation und ihrer Umwelt zu entwickeln und zu erbringen.» 11 Dasselbe gilt sinngemäss auch für Verwaltungsorganisationen mit Bezug auf die Umsetzung der jeweiligen Leistungs- und Dienstleistungsaufträge.

Führung ist ein komplexes und dynamisches Phänomen

Es ist wichtig, Führung als komplexes und dynamisches Phänomen zu verstehen. Man kann über Führung lesen und sich in Lehrgängen entsprechendes Wissen aneignen. Der eigentliche Lehrmeister ist aber das Leben, indem man als Vorgesetzter handelt und kommuniziert und hierbei lernt, was funktioniert und was nicht. Führung ist immer Kommunikation. Die Organisationen mit ihren Menschen verändern sich immer wieder aufgrund neuer Anforderungen in Markt und Umwelt. Somit ergibt sich eine mehr oder weniger starke Dynamik, sodass man sich immer wieder auf neue und veränderte Kontexte einstellen muss. Jede Organisation hat immer einen Einfluss auf die einzelne Führungskraft. Andererseits beeinflusst auch die jeweilige Führungskraft die Organisation durch ihr Verhalten und ihre Performance. Dies ist ein wechselseitiger Prozess, der immer wieder von neuem entsteht. Aus diesem Grunde gibt es kein Rezept, wie man richtig oder wie man falsch führt. Man kann Hinweise geben über bestimmte Methoden, die sich schon oft bewährt haben. Das eigentliche Gelingen kann sich aber erst durch das praktische Ausprobieren erweisen. Der Schlüssel für eigenes Lernen über Führung liegt dann in der Reflexion von selbst erlebten Prozessen, für sich allein, in einem Einzelcoaching oder im aktiven Austausch mit anderen Kollegen und Kolleginnen.12

4 Steiger, Lippmann, Band I, S. 38.

5 «Zentraler Faktor der Personalführung bildet die zwischenmenschliche Zusammenarbeit und das zielgerichtete personale Leiten von Mitarbeitenden zum nachhaltigen Unternehmenserfolg.», Hollenstein, S. 17.

6 «Leadership defines what the future should look like, aligns people with that vision, and inspires them to make it happen despite the obstacles.», Kotter, 2012, S. 25 (Hervorhebung von mir).

7 Siehe hierzu zum Beispiel Sprenger, «Das Prinzip Selbstverantwortung» oder «Vertrauen führt».

8 Doris Aebi, Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. NZZ, Kolumne, 16. Dezember 2017. Die Autorin beschreibt Voraussetzungen, damit in Unternehmen vor dem Hintergrund der Digitalisierung eine Kultur des Vertrauens entwickelt werden kann.

9 Luhmann, 2014, S. 1.

10 Sprenger, Vertrauen führt, S. 79.

11 Rüegg-Stürm, Grand, S. 36f. - Vergleiche in diesem Zusammenhang Ulrichs «Konzept der Unternehmung als zweckorientiertes soziales System» - zitiert nach Rüegg-Stürm, Grand, S. 42.

12 Siehe unten, im Kapitel über das Kollegiale Lernen.

Das Prinzip des geschlossenen Kreises

Geschlossene Kreise schaffen Klarheit und Verbindlichkeit

Das Bild des offenen bzw. geschlossenen Kreises ist eine einfache, aber eindrückliche Veranschaulichung, um über die verbindliche Umsetzung von Massnahmen und Themen nachdenken zu können. Wer will schon nicht geschlossene Kreise! Wenn eine Sache erledigt und abgearbeitet ist, ist der Kreis geschlossen. Das Ziel wurde erreicht. Wenn ein Thema jedoch in Vergessenheit gerät, bleibt der Kreis offen. In Bezug auf die Führung der Mitarbeitenden, mit der oben beschriebenen sozialen Einflussnahme der Vorgesetzten, gilt es immer geschlossene Kreise zu schaffen.13

Die Form eines Kreises ergibt sich aus der Bewegung eines Zirkels. Bleiben wir kurz bei diesem Instrument:

Bei bestimmten Themen und Fragen kann es sehr wichtig sein, dass man in der bereits laufenden Bearbeitung, zum Beispiel bei stark verändertem Kontext, innehält und - bildlich gesprochen - den Zirkel wieder etwas zurückdreht. Statt stur in eine angedachte Richtung zu gehen, ist jetzt prozessorientiertes Vorgehen gefragt. Drei Bewegungen mit dem Zirkel nach vorne und unter Umständen wieder fünf oder auch zwei Bewegungen zurück.

Im Extremfall kann auch eine Situation eintreten, dass man von einem ursprünglichen Vorhaben vollständig abrückt, das Projekt aufgibt und - um bei unserem Bild zu bleiben - den Zirkel ganz zurückzieht und beiseitelegt.

Umsetzung wann immer möglich

Das Allerwichtigste in meiner Beratungs- und Führungspraxis war mir die verbindliche Umsetzung von Massnahmen, die sich aus einer Strategieentwicklung oder einem Führungscoaching mit meinen Kunden ergeben haben. Mit Hilfe verschiedener Methoden und Ansätzen können viele Themen sehr erfolgreich analysiert und weiterentwickelt werden. Was aber letztlich zählt, sind konkrete Massnahmen im Führungsalltag, mit klaren Terminen und Verantwortlichkeiten.

In zahlreichen Coaching- und Beratungsgesprächen, die ich meistens auf Geschäftsleitungsebene führte, gab es immer wieder indifferente Situationen, d.h. das betreffende Thema war nicht mehr präsent und die Umsetzung fehlte. Ich pflegte in solchen Situationen meinen Kunden zu sagen: «Dann haben wir hier ganz klar einen offenen Kreis. Warum ist dies so? Was steht jetzt an, damit dieser Kreis geschlossen werden kann?»

13 Einen besonderen Impuls für das Bild des geschlossenen und offenen Kreises gaben mir u.a. der bekannte Führungs- oder Managementkreislauf «Ziele setzen/Planen/Umsetzen/Kontrollieren» und der im japanischen Management gängige Deming-Zirkel mit den vier Quadranten «Plan/Do/Check/Act»; siehe Deming.