LITERARISCHES
BIERGEFLÜSTER

Inhaltsverzeichnis

Jänner

Wechsel

Teenagerlogik

Hopfengold

Dumm gelaufen

Februar

Herr der Fliegen

Blasiussegen

Gelber Schnee

Bierdoping

März

Der Birkensaft

Stammtisch

Idiotentest

Geschmacksverstärker

Der Märzenbecher

April

Spider

Zölibat

Wühlmaustheorien

Karambolage

Mai

Die Fliege

Muttertag

Marillenknödel

Juni

Bierkultur

Erdbeer-Bier-Bowle

Waldeslust

Der Antrag

Juli

Im Stau

Bierfreundschaft

Keine Lust

Freibier

August

Whirlpool

Europa in vier Bieren

Rien ne va plus

Fotoshooting

September

Bauernherbst

Das Ende

Affenschande

Schule zwischen Sein und Schein

Kobe-Rinder

Oktober

Obdachlos

Verführung

Das Lied

Die gelbe Revolution

November

Herbstbockbier

Biergeist

Prüfung

Messerwerfer

Dezember

Lied und Leid

Ein Wunder

Silvesterabend

Vergeigt und zugetragen

Jänner

Wechsel

Die goldgelbe Pilsuhr schlägt die elfte Stunde. Unerbittlich geht das alte Jahr zur Neige. Bald wird es seinem Nachfolger Platz machen müssen. Der greise Prinzipal der Pfefferburger Igelbrauerei, Hinrich Keiner, weiß, dass auch ihm die Stunde schlägt und dass auch er nach Jahren uneingeschränkter Dominanz einem Jüngeren Platz machen wird müssen. Keiner braut besser, hat es jahrelang geheißen, und eine Zeit lang sogar: Keiner braut besser als Keiner. Damit ist es nun für ihn vorbei. Es ist alles bereit. Er nimmt seinen ältesten Sohn Bierfried feierlich an der Hand und steigt mit ihm hinunter in das hell erleuchtete Kellergewölbe. Am Fuß der engen Treppe beginnt das Spalier der 72 Ehrenjungfrauen, die nur mit Gerstenröckchen bekleidet sind und die frische Hopfenblüten im Haar tragen. Aus den Lautsprechern ertönt wie von Bierfried gewünscht Let it Beer von den Beertles. Gemeinsam mit seinem Vater schreitet er die Ehrenformation ab, an deren Ende sie der Braumeister erwartet. Er reicht Vater und Sohn die erste Kostprobe aus dem frisch angeschlagenen Fass mit dem Neujahrsbock. Sie trinken nicht aus gewöhnlichen Gefäßen, sondern, wie es die Tradition will, aus den abgedichteten Totenschädeln des Großvaters und des Urgroßvaters. Nach dem ersten Schluck nickt Hinrich gewichtig. Der Braumeister, Wilhelm Schüttelbier mit Namen, schlägt die familieneigene Folio-Ausgabe des historischen Braufahrplans auf und stellt Bierfried auf die Probe. Bier oder nicht Bier, deklamiert der Braumeister und Bierfried antwortet, wie es der Brauch verlangt, mit: Das ist keine Frage. Den ersten Teil der Prüfung hat er bestanden. Als Zweites muss Bierfried 72 Seidel Vollbier allein austrinken. Diese Aufgabe stellt ihn vor keinerlei Probleme, er hat jahrelang geübt. Als er triumphierend das letzte Seidel hebt, ertönt aus den Lautsprechern Freude heller Hopfentrunken von Ludwig van Bierhumpen. Es ist vollbracht. Hinrich unterschreibt vor den Augen des Braumeisters mit Schwarzbiertinte die Abdankungsurkunde. Er hebt zum letzten Mal das goldene Maischezepter und tritt zur Seite, um seinem Sohn für immer Platz zu machen.

Die Pilsuhr schlägt die zwölfte Stunde. Die 72 Ehrenjungfrauen lassen gleichzeitig ihre Gerstenröckchen fallen und schreiten auf den neuen Prinzipal zu. Bierfried beschleicht eine leise Ahnung, dass ihm die eigentliche Prüfung noch bevorsteht.

Teenagerlogik

Silvester war endlich vorbei. Auf Feuerwerk hatte er ganz bewusst verzichtet, da die vor einem Jahr selbst gebastelte Rakete mit reichlich Schwarzpulver zwar bestens gestartet war, aber leider in der Höhe von ungefähr zehn Metern bereits explodierte. Zwei zerborstene Fensterscheiben im zweiten Stock und eine relativ aufgebrachte Nachbarschaft waren die Folge. Nichtsdestotrotz wollte er im neuen Jahr wieder etwas selbst machen. Selber Bierbrauen fand er weniger spannend, aber.. Da riss ihn der SMS-Alarm aus seinen Gedanken. Eine Lawine war um 17.30 abgegangen und hatte eine Siebzehnjährige verschüttet. Er wollte bei der Bergrettung schon aufhören, genau solche Einsätze gingen ihm sehr zu Herzen. Im Tal standen sechs geschockte Teenager, die gemeinsam mit ihr nach dem Besuch der Schirmbar an der Mittelstation ins Tal gefahren waren. Sie hatten eine Strecke abseits der Piste genommen, um sich nicht durch Pistengeräte zu gefährden, trotz Lawinenwarnstufe 4, Teenagerlogik. Erst im Tal bemerkten sie, dass ausgerechnet Julia fehlte, die ihr Mobiltelefon im Hotel vergaß. Alle hatten noch eine Flasche Bier in der Hand, das sie gemeinsam im Tal trinken wollten. Die Retter machten sich samt Hunden auf den Weg. Es handelte sich um eine mittelgroße Lawine. Bereits zehn Minuten nach Eintreffen am Einsatzort hatten sie eine gleiche Bierflasche gefunden. Sie versuchten nun noch schneller voranzukommen. Nach über drei Stunden wurde der Einsatz aber ergebnislos abgebrochen. Die im Tal befindlichen sechs Teenager wurden von einem Kriseninterventionsteam betreut. Für unseren mutigen Helfer und Bastler war es der letzte Einsatz, zu viele Tote. Er hatte spontan die Idee, ein Lawinenmodell zu bauen, deren Auslösung am Ende mehrere Bierflaschen mit Eis kühlen sollte und keine Toten zur Folge hatte.

In der großen Apres-Ski-Disco küsste eine Siebzehnjährige im Tal in der Zwischenzeit einen wirklich feschen Burschen, der sie auf ein Bier eingeladen hatte, nachdem sie ihres bei der späten Abfahrt verloren hatte und ihre Freunde wohl schon heimgegangen waren. Teenagerlogik. Nach einer Stunde durchfuhr sie dann doch noch eine Lawine, aber Gottseidank der anderen Art.

Hopfengold

Es war einmal im Jahr 1817. Nicht nur in Salzburg ging die Zeit zuvor als Jahr ohne Sommer ein. Viele Familien litten Hunger. Einige wenige hatten noch zu essen. Zwei Männer aus unterschiedlichen Bauernfamilien machten sich auf den Weg, um Brennholz zu sammeln. Einer der Männer hatte zwar bereits mehr als genug Heizmaterial, aber wer sollte schon wissen, wie viele Jahre noch ohne Sommer vergehen würden. Beim anderen warteten bereits leicht unterkühlte Kinder und eine Frau zuhause, die trotz der prekären Lage keinen Kummer hatte. Als sie tief im Wald waren, hörten sie eine Stimme aus einer Grube, die wohl Jäger angelegt hatten. Der reichere Mann wollte bereits weitergehen, sollten sie sich doch selber helfen. Aber der Ärmere blieb sofort stehen und bot Hilfe an. Als der andere Mann sah, dass von den beiden keine Gefahr ausging, beugte auch er sich über die Grube. Er sah zwei Gnome, einer war klein, der andere groß. Sie kamen von selbst nicht mehr heraus und so beugte sich der ärmere Mann zu ihnen hinunter und der andere hielt ihn an den Beinen fest. Die Gnome waren im Nu befreit und bedankten sich herzlich. Als sie sich freundlich verabschieden, meinten sie, sie sollen doch in der Grube nachschauen, dort würde sich noch ein kleines Dankeschön befinden. Der reichere Mann sprang sofort in die Grube und fand fünf Goldnuggets und eine Bierflasche. Der ärmere Mann half ihm heraus und frage ihn, was er denn gefunden hätte. Er antwortete: „Eine Flasche Bier. Du kannst sie gerne haben, ich trinke sowieso kaum Bier“. Der ärmere Mann war froh, so konnte er zumindest am Abend ein gutes Getränk genießen. Als der reiche Mann zu Hause angekommen war, wartete bereits seine Frau und machte ihm Vorwürfe, wo er denn so lange gewesen sei. Er lächelte siegessicher und deutete auf seine ausgebeulte Jackentasche. Er öffnete sie theatralisch und gewährte ihr einen Blick.

Ob er denn nun völlig übergeschnappt sei, er war wohl wieder in der Gaststätte und betrank sich sinnlos. Steine, nichts als Steine, waren in der Jackentasche, kein Gold, nicht einmal Goldstaub war noch vorhanden. Der ärmere Mann kam nur wenige Zeit später zuhause an. Seine Frau und seine Kinder erwarteten ihn freudig. Ja, er hatte Brennholz dabei und so konnten sie für ein wenig Wärme sorgen. Er bat seine Frau um zwei Gläser und teilte das Bier gleichmäßig auf. Sie tranken es zügig aus, es war von vorzüglicher Qualität, kraftvoll und aromatisch. Sie wollten bereits ins Bett gehen und so räumte er die leere Flasche weg. Zu seiner absoluten Verwunderung war diese jedoch wieder voll. So schenkte er nochmals ein und auch diesmal war das Bier eine Wucht, während die Flasche sich nicht zu leeren schien und immer wieder voll bis zum Rand war. Nur kurz darauf eröffneten sie einen Gastbetrieb, in dem die ganze Familie fleißig mitarbeitete. Nach kurzer Zeit sprach sich die besondere Bierqualität herum und sie kamen schnell zu beachtlichem Reichtum. Armen Menschen schenkten sie an einem Tisch das Bier ohne Bezahlung aus, was wohl auch ein Grund dafür war, dass die Flasche nicht versiegte. Selbst die teilweise lüsternen Abende und die pure Lebensfreude in der Gaststätte taten dem Wunder keinen Abbruch, auch seine Frau konnte über die eine oder andere Geselligkeit kulant hinwegsehen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so trinken und feiern sie hoffentlich noch heute.

Dumm gelaufen

Im Jänner 1779 ging Kapitän James Cook zum zweiten Mal vor Hawaii vor Anker, diesmal an der Hauptinsel selbst. Er wollte mit den sympathischen Einheimischen ordentlich Bruderschaft trinken. Zu einem Fest zu Ehren des Gottes Lono steuerte er ein volles Fass Bier bei. Die Ureinwohner fuhren sofort auf das für sie neue Getränk ab und verehrten auch Cook wie einen Gott. Sie fragten ihn berauscht, ob er noch mehr von dem köstlichen Gerstensaft dabei hätte. Cook willigte ein, seine Vorräte, die sich auf der HMS Resolution befanden, mit ihnen zu teilen. Er ließ die Hälfte der Fässer an Land schaffen. Die Einheimischen, die schnell ordentlich einen sitzen hatten, forderten das ganze Bier. Cook lehnte ab. Was sich noch auf dem Schiff befände, entgegnete er, sei nicht ihr Bier. Als die Wilden ihn daraufhin mit ihren charakteristischen Tänzen bedrängten, ließ er auch die Fässer, die schon am Strand standen, wieder aufs Schiff bringen. Es gibt kein Bier auf Hawaii, sagte er zu den Einheimischen, und als sie ihn blöd anglotzten, setzte er hinzu, und nur vom Hula-Hula geht der Durst nicht weg. Erst als sie ihm mit den giftigen Geschossen aus ihren Blasrohren für immer das Licht ausbliesen, merkte Cook leider zu spät, dass er ein wenig überzogen hatte.