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Stefan Lüddemann

Blockbuster

Besichtigung eines Ausstellungsformats

Für Françoise
sowie
Fritz, Gisela, Maurice, Paule

Einleitung: Blockbuster – ein Ausstellungsformat und seine Konjunktur

Blockbuster: Dieses Schlagwort hat die Kunstszene nicht nur erreicht, das mit dieser Vokabel bezeichnete Format nimmt im Kunstgeschehen auch längst einen prominenten Platz ein. Blockbuster-Ausstellungen präsentieren die wertvollsten Bilder wie Showstars, sie stützen ihre Sogwirkung mit professionell gelenktem Marketing ab, sichern ihre Etats durch Zuwendungen potenter Sponsoren, ziehen ein Millionenpublikum in ihren Bann. Diese Megaformate1 unter den Kunstausstellungen beeindrucken als Kulturevents von atemberaubender Strahlkraft. Zugleich ziehen sie Kritik auf sich. Die Einwände: Blockbuster machen aus der Kunst eine Ware für den Kulturtourismus, sie verwandeln Museen in Eventzonen, verfälschen Ausstellungen zu Argumenten im Standortmarketing, verengen die Wahrnehmung von Kunstgeschichte auf die immer gleichen Stars der klassischen Moderne. Blockbuster bieten Kunst als bloße Kulinarik, verflachen sie zum Warenangebot. »Bei populären Ausstellungen kommt man sich allzu oft wie am Wühltisch eines Kaufhauses vor«,2 hieß es schon vor Jahren kritisch im Feuilleton.

Gegen solch abwertende Einschätzung steht der sichtbare Erfolg der Blockbuster, der Kunst und Museen für das große Publikum erschlossen und so ganz neu ins Spiel gebracht hat. Die Publikumsausstellungen zeigen, dass eine Kunst von breitem Interesse sein kann, die zuvor als Angelegenheit weniger Kenner angesehen wurde. Mitten in der Pop- und Massenkultur begeistern sich viele Menschen für einzigartige Kunstwerke, deren besondere Ausstrahlung sie im Museum genießen wollen. Genau das machen die großen Publikumsausstellungen möglich. Dass sie das besondere Erlebnis versprechen und zugleich den Besucherstau produzieren, die Exklusivität der Kunst herausstellen und sich zugleich mit großen Shops teilweise in Verkaufsareale verwandeln, gehört zu den Widersprüchen des Formats. Prominente Kunstexperten sind sich ohnehin nicht einig, wenn nach den Schwergewichten unter den Ausstellungen gefragt wird. »Bei Blockbustern geht es nur um Quote, wie im Fernsehen«, stöhnt Manfred Schneckenburger, Leiter der Documenta 6 (1977) und 8 (1987). Sein Kollege Jan Hoet, Leiter der Documenta 9 (1992), hält dagegen: »Wie kommt man zur Kunst? Durch Großausstellungen.«3 Vielleicht liegt gerade in solchen Kontrasten eine Erklärung für die Dynamik des Blockbusters. Seit Jahren schreibt er mit seinen verschiedenen Ausprägungen eine durchschlagende Erfolgsgeschichte der Kunst. Allein das rechtfertigt ein Interesse, das über kulturkritische Besserwisserei hinausgeht.

Als Staubsauger der vor allem medial organisierten Aufmerksamkeit beansprucht der Blockbuster allerdings auch eine durch nichts beeinträchtigte Geltung. Die beste Kunst, die größten Etats, die meisten Besucher: Dieses Ausstellungsformat funktioniert nur als Superlativ; seine Erscheinungsform vereint kompakte Präsenz mit unwiderstehlicher Dynamik, es bezieht Kraft aus einer scheinbar durch nichts irritierten Selbstbezüglichkeit. Blockbuster ziehen den Diskurs ebenso auf sich wie erhebliche Erwartungen – gerade die der Kulturpolitik, die die Megaausstellungen der Kunst als Kraftturbinen für das Standortmarketing entdeckt hat.

Blockbuster fordern Platz in den Museen – etwa den von Schausammlungen, die für die Dauer einer großen Publikumsausstellung weichen müssen, damit installiert werden kann, was dem Format entspricht: nicht allein die obligatorische Folge von Meisterwerken der Kunst, sondern auch ein vergrößertes Entree, Garderoben mit hinreichendem Fassungsvermögen, Ausleihstationen für Audioguides, Treffpunkte, an denen sich Gruppen sammeln, Cafés, Räume mit Filmpräsentationen, der eigens für den Anlass erweiterte Museumsshop. Blockbuster sind schon in ihrer äußeren Anmutung immer mehr als bloße Kunstausstellungen – sie beeindrucken als perfekt organisierte Dienstleistungsunternehmen mit einer Kunstausstellung in ihrem Zentrum.

Sie beziehen ihre Energie allerdings auch zusätzlich aus mehreren, seit Jahren andauernden Trends, die Kunst in das Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit gebracht haben. Erstens sind einstige Avantgarden längst als klassische Moderne kanonisiert. Was vormals als Provokation verstörte, setzt einen neuen Standard, auch des Geschmacks. Künstler und ihre Werke sind zu Stars avanciert. Zweitens hat der seit Jahren laufende Museumsboom nicht nur zu immer neuen Gründungen von Kunstmuseen geführt. Museumsbauten sind im Zeichen einer Label-Architektur selbst zu Aufregern geworden.4 Drittens sorgen Rekorderlöse bei Kunstauktionen für Aufsehen. Vor allem Werke von Künstlern, die für Großausstellungen der Kunst erste Wahl sind, stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses.

Kunstkanon, Starkünstler, Museumsbauten, Rekordauktionen: Auf diese Stichworte reduziert, zeichnet sich eine Struktur ab, die einem Ausstellungsformat wie dem Blockbuster immer neue Energien zuführt – und sie umgekehrt auch von ihm wiederum bezieht. Dieses Kunstgeschehen entfaltet vor allem beträchtliche mediale Wirkung und ist damit für Sponsoren interessant. Mit ihren Geldmitteln fördern sie Blockbuster nicht nur, Sponsoren ermöglichen diese Großprojekte oft überhaupt erst. Kein Wunder: Blockbuster machen weit reichende Kommunikation möglich, sie erschließen ein für Sponsoren wichtiges Zielpublikum, vermitteln eine Aura der Kostbarkeit und des Prestiges, von medialem Glanz ganz zu schweigen. Mit diesem Format funktioniert der monetäre wie der symbolische Werte- und Krafttausch auf effiziente Weise.

Der Blockbuster kommt nicht allein kompakt daher, er besitzt auch die Tendenz zur rückhaltlosen Expansion. Wer heute über Kunstausstellungen spricht, scheint vorrangig dieses Format zu meinen. Andere Formen der Kunstpräsentation haben Mühe, sich gegen die ganz großen Formate zu behaupten. Gerade die als Dauerausstellungen präsentierten Sammlungen der Museen wirken für viele Besucher im Vergleich nicht aufregend genug. Und die zeitgenössische Kunst kann nicht mit der überzeitlich anmutenden Bedeutung für sich werben, die gerade die klassische Moderne als beliebtestes Thema der Blockbuster gegenwärtig geradezu selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen darf. Was also bleibt außer dem uneingeschränkten Lob des Blockbusters?

Natürlich steckt in dieser Frage ein Signal des Protests. Dieser Protest richtet sich zunächst gegen die dem Blockbuster eingeschriebene Tendenz, die Frage nach seiner Berechtigung mit der schieren Präsenz seiner imposanten Erscheinung zur Seite zu schieben. Die großen Publikumsausstellungen in der Kunst sind geradezu im Übermaß gegenwärtig und erscheinen im gleichen Augenblick seltsam undurchschaubar. Es scheint, als blende ihr Glanz den analysierenden Blick, als verschlucke der Chor der Stimmen einmütiger Zustimmung jede Frage nach dem, was den Blockbuster eigentlich ausmacht, worin das Geheimnis seiner durchschlagenden Wirkung liegt. Genau diese Wirkung, die sich vor allem in den bekannten Publikumserfolgen niederschlägt, verbietet inzwischen jedes bloß kulturkritische Lamento über die angeblich nur flachen, bloß auf Sensation und Marketing ausgerichteten Blockbuster-Ausstellungen.

Eine »Schonzeit für Bilder« forderte in diesem Kontext bereits 1998 die Kunstkritikerin Dorothee Müller und stellte die Frage, ob die Kunstwerke nicht vor den Blicken der Ignoranten geschützt werden müssten.5 Zwei Jahre zuvor hatte der Satiriker Robert Gernhardt verlangt, Besucher von Großausstellungen hätten, gleichsam als Zugangsberechtigung, zuerst einen »Kunstfreundschein« zu machen – etwa durch den »Besuch heimatlicher Sammlungen« und sich so als wahre Interessenten auszuweisen.6 Gernhardt entwickelte diese Anregung aus dem Entsetzen über das Erlebnis der Vermeer-Schau in Den Haag. Dort war er seinerzeit – ganz traumatisierter Enthusiast – vor den geliebten Bildern nicht allein, sondern fand sich im Besucherstau wieder. Solche Statements können heute als nur allzu präzise Prognose bewundert oder als naserümpfende Geringschätzung des Ausstellungspublikums abgelehnt werden. Der fortdauernde Erfolg der Blockbuster-Ausstellungen erzwingt ganz unabhängig von solchen Einschätzungen die Frage nach Stellenwert, Struktur, Funktionsweise und Wirkungsmächtigkeit des Formats. Darauf soll in diesem Buch geantwortet werden, und zwar in folgenden Schritten:

Zunächst fragen wir nach der Bedeutung des Wortes → Blockbuster. Dabei tritt ein seltsamer Befund zutage: Blockbuster wird so manches genannt, die große Publikumsausstellung der Kunst trägt jedoch erst seit kurzer Zeit diese Bezeichnung.

Sodann verschaffen wir uns einen ersten → Überblick. Wir schauen auf Ausstellungen, die in den letzten Jahren zu großen Publikumsausstellungen der Kunst avancierten, tragen Daten und Zahlen zusammen. Das Resultat: Der Blockbuster ist längst zum gängigen Kunstformat geworden.

In einem nächsten Schritt gliedern wir die Vielzahl der Beispiele mit einer → ersten Typologie. Wichtige Beispiele zeigen, welche Formen der Blockbuster annehmen kann. Gespräche mit den Machern hinter den Erfolgsausstellungen zeigen, wie sehr diese sich in ihren Profilen und Philosophien unterscheiden können.

Schließlich folgt eine → zweite Typologie. Sie bezieht sich nicht auf konkrete Beispiele, sondern versucht vielmehr, wesentliche Elemente zu analysieren, die zu jedem Blockbuster gehören. Von Kunst bis Marketing reicht der Bogen der unterschiedlichen Erfolgsfaktoren des Formats.

Sodann wenden wir uns den Wirkungen der Blockbuster zu und fragen nach der → Perspektive der Besucher. Die finden ihr Vergnügen an einer Kunstausstellung als geschlossener Erlebniswelt, sie genießen die vielfältigen Anlässe zur Kommunikation und zum gemeinschaftlichen Erlebnis, das der Blockbuster bietet. Dies alles gilt es ernst zu nehmen – als Leistung der Großausstellungen jenseits bloßer Kulturwirtschaft.

Im → letzten Kapitel wird gefragt, welche Trends der Blockbuster in Gang gebracht oder zumindest nachhaltig befördert hat. Die großen Publikumsformate verändern das Museum als Institution, den Stellenwert der Kunst und die Erwartungen der Kulturpolitik. Dies wird abschließend in den Blick genommen.

Die Darstellung bezieht sich – aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit – vor allem auf Beispiele aus dem deutschen Sprachraum. Die angeführten Beispiele für Blockbuster-Ausstellungen sind insofern nichts anderes als eben Beispiele – instruktiv, aber nicht ausschließlich repräsentativ für die Spezies der alle Maßstäbe sprengenden Großausstellungen. Auch wenn historische Großausstellungen und kulturgeschichtliche Präsentationen immer wieder zu Blockbustern avanciert sind, so konzentriert sich diese Darstellung doch ganz auf das Segment der Kunstausstellungen.

Definition: Blockbuster – das Wort und seine Bedeutungen

»Blockbuster«: Der Begriff hat im deutschen Sprachraum eine bislang kurze, aber von bezeichnend durchschlagendem Erfolg gekennzeichnete Karriere erlebt. 1998 taucht der Begriff erstmals in einem Lexikon der Trendwörter auf,7 2010 wird das Wort dann schon von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) unter die häufigsten Anglizismen eingereiht, die Deutsche verwenden.8 »Blockbuster: sehr erfolgreicher Kinofilm«, heißt es bei der dpa in lapidarer Kürze. Den »durchschlagenden Erfolg« macht auch das bereits genannte Trendwörterbuch9 zum zentralen Kriterium des Begriffs und knüpft ihn gleichfalls an das Kino. »Bezeichnung für einen Film, der extrem viel Geld einspielt oder von dem man erwartet, dass er es tun wird (nachdem er extrem viel Geld gekostet hat).«10 Aus der Sicht von Filmexperten bemisst sich der Blockbuster am Einsatz großer Budgets und an den Kennzeichen des Investments, das mit Zukunftsprojektionen operiert und hohe Risiken eingeht, um einen Erfolg zu erzielen.

Der Begriff ist damit auf Kultur und Wirtschaft in gleicher Weise bezogen und an das zentrale Kriterium einer unwiderstehlichen Dynamik gekoppelt. Diese Dynamik ist nicht nur im ökonomischen Sinn zu verstehen, sie kennzeichnet auch die Fähigkeit des Wortes, ähnliche Erscheinungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu bezeichnen. 1994 wird – vom Münchener Sender Pro 7 – zum ersten Mal ein Fernsehfilm als »Blockbuster« bezeichnet und so als Ereignis von hoher Anziehungs- und Überzeugungskraft ausgewiesen. In diesen Jahren kommt es auch zur Übertragung des Begriffs auf den Kunstbereich. Daniel Birnbaum, der 2009 die Kunstausstellung der Biennale von Venedig verantworten sollte, spricht im Jahr 2000 schon von der »Blockbuster-Kultur«11 – und das in einem aufschlussreichen Begriffsgefüge. Er verknüpft Besucherzahlen, Event, Festival und Museumsneubau, um diese »Blockbuster-Kultur« zu beschreiben. Birnbaum verbindet mit diesem Bedeutungskomplex die Vorstellung von Turbulenz und Elan, die den Kunstbereich erfasst haben. Nicht ohne Grund geht es in seinem Artikel um grundsätzliche Wandlungen des Rollenverständnisses in der Museumswelt. Dabei war der Begriff »Blockbuster« offenbar erst in diesen Jahren für die Kunstwelt adaptiert worden. Jean-Christophe Ammann, seinerzeit Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK), verweist zur Erläuterung des Begriffs noch 2006 auf den erfolgreichen Kinofilm, benennt aber zugleich ein sichtbares Indiz, das die Verbindung zur Kunst- und Museumswelt herstellt: »lange Zuschauerschlangen um den Häuserblock herum«.12 Die Kriterien für das schlechthin unüberbietbare Erfolgsformat sind nicht zu übersehen, zugleich aber auch von vornherein mit dem Stigma der Oberflächlichkeit verbunden. Liegt darin der Grund dafür, dass das Wort »Blockbuster« zwar auch in der Kunstwelt längst ganz selbstverständlich verwendet, aber kaum einmal näher reflektiert wird? Die Kunstwissenschaft hat sich mit diesem Format bislang jedenfalls nicht näher beschäftigt.13

Schauen wir nicht allein auf die bereits genannten Befunde, sondern gehen wir noch einen Schritt zurück, um den Bedeutungsumfang der Vokabel »Blockbuster« richtig zu verstehen. Blockbuster ist ein martialisch klingendes Wort – nicht nur im Kontext der Kultur oder gar der Künste. Dass dieses Wort die akustische Qualität eines Knalls aufweist, ist dabei nicht einmal ein phonetischer Zufall. 1984 zitiert John Russell in der International Herald Tribune die Worterklärung des Random House Dictionary.14 Danach bezeichnet »Blockbuster« im Englischen zunächst eine hochexplosive und obendrein schwere Fliegerbombe, geschaffen für ein möglichst großes Ausmaß der Zerstörung. »Block« kann dabei auf die kompakte Form der Bombe ebenso bezogen werden wie auf das, was sie zerstören soll: den Häuserblock, der unter dem enormen Druck der Explosion der Luftmine bersten soll. »Buster« steht im Englischen für den richtigen Kerl, auch den »Alles-Zerstörer«.15 Beide Wortbestandteile haben also mit Kraft und Zerstörung zu tun. Ihre Kopplung wird durch das doppelte »B« auch klanglich zu einem wuchtigen Wort. Der »Blockbuster« klingt wie das, was er meint: maximale Durchschlagskraft. Und schlägt nicht auch manche Blockbuster-Ausstellung in die Kunst- und Kulturszene regelrecht wie ein Sprengkörper ein?

In einem figurativen Sinn überträgt sich das Wort nahtlos auf Kulturformate von hoher Durchsetzungskraft. Danach steht der »Blockbuster« zunächst einmal schlicht für einen Verkaufsknüller. Und das in vielen Bereichen: vom Kino über die Kunst bis hin zum Buchmarkt. Mit der Schrecken erregenden Definition des Wortes als Bombe hat diese Bedeutung immerhin den Aspekt des größtmöglichen Effekts gemeinsam. »Blockbuster« erscheint unmittelbar als Bezeichnung einer extremen Effizienz, als Inbegriff maximalen Wirkungsgrads.

Das Wort finden wir als Bezeichnung für Beststeller auf dem Buchmarkt. Oder als Bezeichnung für ein Medikament, das pro Jahr einen Umsatz von mindestens einer Milliarde Dollar erzielt.16 Auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen erscheint die Vokabel »Blockbuster« ganz geläufig in diesem Sinn. Definitionsfragen stellen sich in diesem Kontext also kaum, da eine objektiv zu benennende Zahl schon ausreicht, um von einem »Blockbuster« sprechen zu können.

Wichtiger als die Verwendung des Wortes in der Verlagsbranche oder in der pharmazeutischen Industrie, ist sein Erscheinen im Filmgeschäft. Von dorther entfaltet der »Blockbuster« seinen Vorbildcharakter für die Kultur- und Kunstwelt. Ob der ästhetische Code des globalen Massengeschmacks, das hohe Marketingbudget oder der Fortsetzungscharakter und die immensen Erlöse: Die Kinoindustrie hat das Profil des Kultur-Blockbusters mit scharfen Konturen versehen. Alle anderen Bereiche der Kunst und Kultur leiten ihre Verwendung des Begriffs von diesem Vorbild ab.

In der Welt des Kinos bezeichnet Blockbuster, wenig überraschend, den Erfolgsfilm. Filme wie Steven Spielbergs Der weiße Hai (1974), Star Wars oder die Batman-Filme der Warner Bros. Studios (1989–1997) gehören in diesen Bereich,17 ebenso wie James Camerons Megaseller Titanic (1997), der von dem 3-D-Abenteuer Avatar übertroffen wurde – übrigens wieder von Cameron verantwortet. Spielbergs Der weiße Hai wird jedenfalls immer wieder genannt, wenn es um den ersten Blockbuster-Film geht. Der Blockbuster-Film liefert deshalb aufschlussreiche Vergleiche, weil er als Parallelphänomen der Blockbuster-Ausstellungen erscheint. Diese kommen nämlich gleichfalls in den 1970er-Jahren auf, erinnert sei hier nur an Klaus Gallwitz’ Salvador-Dalí-Präsentation 1971 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden oder an Werner Hofmanns Ausstellung mit Werken Caspar David Friedrichs 1974 in der Hamburger Kunsthalle, eine Ausstellung, die nicht allein als Wiederentdeckung des großen Malers der Romantik, sondern auch durch die für damalige Zeiten immense, sich um das Museum herum legende Besucherschlange legendär wurde. Später sorgen historische Großausstellungen zu Beginn der 1980er-Jahre für ein verstärktes Einsetzen der Großausstellungswelle.18 Der Megafilm zeichnet vor, was auch für die Ausstellungen größten Formats Standard werden sollte: Die Verwendung erheblicher Teile des Budgets für das Marketing und nachfolgend eine Marketingstrategie, die das Erscheinen des Produkts als Ziel- und Endpunkt eines Prozesses platziert, in dessen Verlauf bei den Adressaten maximale Erwartungshaltungen erzeugt werden. Der Blockbuster definiert sich somit nicht allein als Extremwert des Einsatzes künstlerischer wie finanzieller Mittel. Er muss auch als Dynamik einer ausgefeilten Dramaturgie verstanden werden, die ein entscheidendes Ziel anvisiert: Die Konzentration maximaler Nachfrage auf ein einziges – entschiedener formuliert – auf ein solitäres Produkt. Dem Erfolg des Blockbusters entzieht sich nichts und niemand. In diesem Punkt sammelt sich der Bedeutungsgehalt des Wortes immer wieder wie in einem Brennspiegel – militärischer Gehalt inbegriffen.