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DJ Jamison

 

Bettmanieren

Hearts & Health Band 2

 

Aus dem Englischen von Florentina Hellmas

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2020

http://www.deadsoft.de

 

© the author

Titel der Originalausgabe: Bedside Manner, Hearts & Health 2

 

Übersetzung: Florentina Hellmas

 

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Neon Shot – shutterstock.com

 

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-354-7

ISBN 978-3-96089-355-4 (epub)

Inhalt

Dr Paul Johnston kann den Blick dieser dunklen Augen nicht aus seinem Kopf bekommen. Und der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein … Das Letzte, was er gebrauchen kann, ist, sich in einen seiner Patienten zu verlieben. Nicht ausgerechnet jetzt, wo er aufgrund einer offiziellen Untersuchung wegen angeblicher sexueller Zudringlichkeit beurlaubt wurde.

Paul ist sicher, nichts falsch gemacht zu haben, trotzdem zerrt die Beschuldigung an seinen Nerven. Sein Job ist in Gefahr und der einzige Mann, den er haben will, ist außerhalb seiner Reichweite.

Zane Kavanaugh ist im Ausnahmezustand und der einzige Mann, der den Sturm, der in ihm tobt, beruhigen kann, ist Dr. Paul Johnston. Gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen, versucht Zane auf die Beine zu kommen, sich von dem Schock zu erholen, der ihn überhaupt erst ins Krankenhaus gebracht hat: ein tätlicher Übergriff seines Stiefvaters.

Gibt es einen richtigen Zeitpunkt, um sich zu verlieben? Und werden Zane und Paul den perfekten Augenblick verpassen? Oder sich trotz des Altersunterschieds aufeinander einlassen?

 

Kapitel 1

 

Es gab nichts, was Paul an diesem Patienten hätte anziehend finden können. Nicht seine Gesichtszüge, denn sie wurden durch massive Schwellungen und Blutergüsse verdeckt. Über seiner Augenbraue und an seinem Mundwinkel bildeten Nähte grobe Linien. Auch nicht sein Körper. Der war ein formloser Klumpen unter einem Krankenhauskittel und einer Decke. Als er abgedeckt wurde, war er ein Gegenstand, keine Person. Etwas, das auf innere Verletzungen untersucht werden musste. Um zu beurteilen, ob sich unter diesem Stiefelabdruck der Größe 45 mehr verbarg als ein paar gebrochene Rippen. Er war jung, und es stimmte, dass Paul eine Schwäche für junge Männer hatte. Er hasste das an sich. Es machte ihn zu einem Widerling und er wollte nicht der perverse alte Mann sein. Nicht, dass er ein alter Mann war, aber immerhin schon etwas älter. Paul stellte sich vor, dass der Patient einen geschmeidigen Körper und den perfekt gerundeten Arsch eines fitten Mannes in seinen besten Jahren hatte, aber er wusste es nicht. Der Typ hatte sich noch nicht vorgebeugt, wenn Paul nach ihm sah. Er schlief meistens flach auf dem Rücken oder starrte ausdruckslos den Fernseher an, verloren in einer Wolke aus Schmerzmitteln. Aber seine Augen hatten etwas Besonderes an sich. Er hatte dunkle, intensive Augen. Im Moment waren sie einfach nur traurig und Paul konnte ihm das nicht verdenken. Die Geschichte des Patienten verursachte bei Paul Übelkeit. Der eigene Stiefvater des Jungen war auf ihn losgegangen, weil er schwul war. Es machte Paul wütend auf die Eltern des jungen Mannes. Wütend auf die Gesellschaft. Wütend auf sich selbst. Warum passierte dieser Scheiß immer noch? Warum hatte Paul sich so lange vor seiner eigenen Wahrheit gedrückt? Er hatte den Weg des Feiglings gewählt und gewartet, bis er praktisch keine Familie mehr hatte, die ihn hätte meiden können, bevor er zugegeben hatte, dass er schwul war. Unterdessen zahlten mutige junge Menschen wie dieser Patient den Preis für die Intoleranz, die auf der Welt noch immer existierte.

Paul hatte neununddreißig Jahre alt werden müssen, um sich nicht mehr im Schrank zu verstecken. Doch Krankenpfleger Ben Griggs, der Mitte zwanzig sein musste, war geoutet und stolz. Bei ihm sah das auch verdammt gut aus. Gut genug, dass Paul endlich den Mut gehabt hatte, seine Frau um die Scheidung zu bitten. Er war auf Ben Griggs schon seit einer Ewigkeit scharf gewesen, aber so sehr er Ben auch gewollt hatte, noch mehr wünschte er sich dessen Freiheit, er selbst sein zu können. Dennoch war er zu feige gewesen, um seiner Frau den wahren Grund zu nennen. Paul war schwul, hatte es seit mehr als einem Jahrzehnt gewusst, und wahrscheinlich viel länger, wenn er seine Verdrängung genauer unter die Lupe nahm, um den schwachen Schimmer der Selbsterkenntnis zu finden, die immer schon da gewesen war. Seine konservative Familie hätte es nicht verstanden, aber das war keine Entschuldigung dafür, Meredith da mit hineinzuziehen. Auch wenn sie ihn belogen hatte und fremdgegangen war. Wahrscheinlich war das auch seine Schuld. Welche Frau würde einen schwulen Mann nicht betrügen, der Sex vermied, wann immer es ging? Nein, er hatte ihr nicht gesagt, dass er schwul war. Er hatte betont, dass sie ihn nicht lieben würde. Tatsächlich war das einer der Gründe, vielleicht sogar der wichtigste. Allerdings hatten die wütenden Anschuldigungen und Beleidigungen, die sie ihm während ihrer katastrophalen Auseinandersetzung an den Kopf geworfen hatte, ziemlich deutlich gemacht, dass sie eine Ahnung hatte, dass er nicht hetero war.

Während also das Aussehen dieses Patienten nicht sehr ansprechend war, gab es dennoch viel zu bewundern. Paul ertappte sich dabei, wie er wieder in diese dunklen, schmerzerfüllten Augen starrte, während er die Verletzungen des Patienten begutachtete. Er machte auch Umwege in den dritten Stock, um in das Zimmer des Patienten zu schauen, nachdem der junge Mann zur Beobachtung in die Krankenstation verlegt worden war und nicht mehr in Pauls Zuständigkeit als Notarzt fiel. Dieses Interesse war etwas, das er nicht verfolgen sollte. Nicht verfolgen durfte. Zane war ein Patient und völlig tabu, während er sich innerhalb des Krankenhauses aufhielt. Manche Mitarbeiter warfen Paul immer noch abfällige Blicke zu, seit er den Versuch unternommen hatte, Ben, der ein beliebter Krankenpfleger der Notaufnahme war, anzubaggern. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie viel schlimmer es wäre, wenn seine Faszination für Zane falsch interpretiert würde.

Paul hasste es, dass er so schwach war. Dass er so leicht von einem hübschen Gesicht angezogen wurde – oder in diesem Fall von einem traurigen.

Aber auch nach der Entlassung des Patienten konnte Paul nicht anders. Er dachte oft an Zane.

Kapitel 2

 

Zwei Wochen später …

 

Zane fühlte sich ausgeschlossen, als er die beiden Männer auf dem Vordersitz des verlängerten Pick-up-Trucks beobachtete. Bens Finger strichen über Gages kurze Nackenhaare und alle paar Minuten lehnte er sich rüber, um einen Kuss auf dessen Wange, sein Kinn und einmal, obwohl Gage am Steuer saß, auf seine Lippen zu drücken. Zane war froh, dass er nicht sehen konnte, was Bens andere Hand tat.

Ben und Gage befanden sich in jener ekelhaften Phase des Verliebtseins, in der sie das Bedürfnis verspürten, ihren Gefühlen alle zwei Minuten Ausdruck zu verleihen. Was für Zane eine gute Erinnerung daran war, warum er sich in diesem Pick-up befand und trotz des mulmigen Gefühls in seinem Bauch im Begriff war, aus Gages Gästezimmer auszuziehen. Er war nicht nervös, weil er mit seinem Freund Xavier zusammenziehen wollte. Der Krankenpflegeschüler war cool und ebenfalls schwul, sodass es keine größeren Konflikte geben sollte. Und zuzusehen, wie sein Collegeprofessor mit seinem Freund turtelte, war nicht das, was er sich unter einem guten Leben vorstellte. Es war Zeit, zu gehen. Aus Gage musste wieder Mr. Evans werden und Zane musste einer in einem Meer von Studenten sein, so wie es gewesen war, bevor Zanes Vater ihn aus dem Haus geworfen und der Mann seiner Mutter ihn danach krankenhausreif geschlagen hatte, weil der das Schwulsein aus ihm hatte herausprügeln wollen. So, wie es gewesen war, bevor Mr. Evans ihm sein Zuhause als sicheren Hafen angeboten hatte und viel mehr als ein Lehrer für ihn geworden war. Nicht, dass er und Gage jemals wieder wie Fremde sein würden. Vor dem Zwischenfall war Gage Evans ein sympathischer Zuhörer gewesen, als Zane mit seinem Coming-out gekämpft hatte. Nun betrachtete er ihn als einen lebenslangen Freund. Aber trotzdem wäre ein Freund mit … etwas mehr Distanz besser.

Der wahre Grund, warum er gegen aufsteigende Übelkeit ankämpfte, war aber nicht der Umzug. Es war der Prozess, der erforderlich war, um ihm das Ausziehen zu ermöglichen. Besonders, da er Sachen aus dem Haus seines Vaters holen musste. Er war seit Wochen nicht mehr dort gewesen.

„Bist du bereit?“, fragte Ben, als Gage den Pick-up in die Einfahrt vor einem bescheidenen Ziegelbau lenkte.

„So bereit, wie es irgendwie geht.“

Es war ein typisches Einfamilienhaus: drei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und ein Keller, der in Kansas während der Tornadozeit unerlässlich war. Der Vorgarten war gepflegt, obwohl Zane mit einem Hauch von Zufriedenheit feststellte, dass die Sträucher geschnitten gehörten und das Gras einen Zentimeter zu hoch war. Die Gartenarbeit war immer seine Aufgabe gewesen und es sah so aus, als würde sein alter Herr nachlassen.

Schwul oder nicht, ich war für etwas nützlich.

Das Haus war hässlich. Die Ziegel waren von einer blassen, gelblichen Farbe, nicht wie die ansprechenderen Schattierungen in kräftigem Rot oder auch die hellgrauen Steine, die den anderen Häusern in der Straße mehr Ausdruck gaben. Zane hatte noch nie viel darüber nachgedacht. Wenn er in die Einfahrt eingebogen war, hatte er normalerweise an zu Hause gedacht. An sein Schlafzimmer mit seinem Computer, seiner Spielkonsole und seinem Bücherregal mit Science-Fiction-Romanen, oder sogar daran, was es zum Abendessen geben würde. Als Zane nun das Haus seines Vaters betrachtete, sah er hässliche Ziegelsteine und wuchernde Sträucher. Es war nur mehr eine leere Hülle dessen, was es für ihn bedeutet hatte. Es war kein Zuhause mehr.

„Dein Vater ist nicht hier“, sagte Gage, der wahrscheinlich bemerkt hatte, dass es Zane nicht gut ging. „Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, dass er nicht da sein würde, obwohl er sich Sorgen um dich gemacht hat. Der Angriff auf dich hat ihm einen ordentlichen Schreck eingejagt.“

Zane schnaubte ungerührt vom Gerede über die Gefühle seines Vaters. Er hatte seine eigenen Gefühle, um die er sich kümmern musste, und die ließen seine Brust schon jetzt eng werden, ohne dass noch jemand im Spiel war. Er war vor Wochen nach einem Schreiduell mit seinem Vater von zu Hause weggegangen. Der Mann hatte ihn nicht geschlagen, nicht wie der Versager von Ehemann seiner Mutter. Aber seine Weigerung, Zane zu akzeptieren, schmerzte viel mehr. Er konnte sich noch an den angewiderten und schockierten Ausdruck seines Vaters erinnern, als er sich zum ersten Mal geoutet hatte.

Du bist nicht schwul, hatte er mit einem nervösen Lachen gesagt. Woher hast du solche Ideen? Es gibt Leute, die sich tatsächlich mit diesem Problem herumschlagen müssen. Es ist nicht lustig, darüber Witze zu machen.

Ich mache keine Witze, hatte Zane gesagt. Ich mag Männer. Das war schon immer so.

Nein, hatte sein Vater erwidert und den Kopf geschüttelt, als wollte er seine Weigerung unterstreichen. Du bist nicht schwul. Mein Sohn ist nicht schwul.

Zane hatte gespürt, wie sich seine Frustration gesteigert hatte. Sag mir nicht, was ich bin, als ob ich es nicht wüsste! Es tut mir leid, dass es dir nicht gefällt, aber ich bin schwul. Du wirst dich damit auseinandersetzen müssen.

Das Gesicht seines Vaters war rot angelaufen. Überraschung und Verwirrung hatten sich in Wut verwandelt. Du hörst mir nicht zu, Zane. Solange du unter meinem Dach lebst und auf meine Kosten zur Schule gehst, wirst du nicht so sein. Es ist mir egal, durch welche Phase du gerade zu gehen glaubst. Ich werde diesen Mist in meinem Haus nicht dulden.

Zane hatte die Hände gehoben. Es ist keine verdammte Phase!

Sein Vater hatte mit einem zitternden Finger auf ihn gezeigt. Diese Diskussion ist beendet. Du kennst meinen Standpunkt.

Zane hatte es aufgegeben, seinen Vater in jener Nacht überzeugen zu wollen. Wäre er klug gewesen, hätte er einfach keine schlafenden Hunde geweckt. Stattdessen war er eine Woche später nach einem bösen Streit aus dem Haus gestürmt, nur mit einer Reisetasche voll Kleidung, einem Rucksack mit Büchern und seinem Laptop. Er war eine Weile bei Xavier untergekommen, aber dann hatte sein Freund angefangen, einen neuen Lover zu treffen, und das war keine Option mehr gewesen. Schließlich hatte Zane keine andere Wahl gehabt, als zu seiner Mutter zu gehen. Er war nach den Erlebnissen mit seinem Vater vorsichtig, aber seine Mutter war immer die liberalere von beiden gewesen. Sie hatte einen offen schwulen Cousin und es schien sie nie zu stören. Zu schade, dass ihr neuer Mann, Isaac, während seines Coming-out-Gesprächs betrunken hereingestolpert war. Isaac hatte einige hässliche homophobe Beleidigungen vom Stapel gelassen und Zane hatte unüberlegt mit ein paar eigenen kreativen Beleidigungen reagiert. Er war noch nie der Typ gewesen, der den Mund halten konnte, auch nicht, wenn er sich auf dünnem Eis bewegte. Selbst dann nicht, wenn er es mit einem betrunkenen, wütenden Mann zu tun hatte, der hundert Pfund mehr wog als er. Er konnte sich kaum an die Prügel erinnern. Nur an ein Aufblitzen von Fäusten und an schwere Arbeitsstiefel. An einen Nebel aus Schmerzen und den Anblick eines Baseballschlägers in Isaacs Händen. Er erinnerte sich nicht einmal daran, aus dem Haus gestolpert und auf der Straße zusammengebrochen zu sein oder den Notruf gewählt zu haben, aber anscheinend hatte er beides getan. Das war auch gut so, denn seine Mutter hatte ihn dort liegen lassen. Zusammengeschlagen und blutend. Ihren eigenen Sohn.

„Kommst du, Zane?“, fragte Ben und klang besorgt.

Er musste abgedriftet sein. Zane stieg aus dem Truck und schloss sich den beiden Männern an, die über Nacht zu seiner einzigen Unterstützung geworden waren. Er bewegte sich langsam und vorsichtig mit seinen gebrochenen Rippen und dem gebrochenen Arm. Er hatte zwei Wochen Zeit gehabt, um den Nebel der Schmerzmittel loszuwerden und mit seinen Verletzungen klarzukommen, aber er fühlte sich immer noch wund und zerbrechlich.

„Ihr Jungs hättet das nicht tun müssen, wisst ihr? Ich kann meinen Kram selbst transportieren.

Ben legte einen Arm um seine Schultern. „Du steckst immer noch im Heilungsprozess.“

Der Mann war vielleicht nicht im Dienst, aber Zane hatte bemerkt, dass sein innerer Krankenpfleger immer präsent war. Ben war der geborene Pfleger und Betreuer. Zanes blaue Flecken waren verschwunden, doch wenn er sie genau betrachtete, waren sie noch schwach sichtbar. Und er begutachtete sie täglich im Spiegel. Die Schwellung war zurückgegangen und das Purpurrot war zu einem kränklich grünen, dann gelben Farbton und schließlich nur noch zu einem Schatten auf seiner natürlichen Hautfarbe geworden. Seine Haut sah ein wenig fleckig aus, aber nur aus der Nähe. Das war ein gewisser Trost. Es gab nicht viel, was er gegen die gebrochenen Rippen oder den gebrochenen Arm, der in einer Schiene und einer Schlinge steckte, tun konnte. Er war einfach verdammt froh, dass er keinen Gips gebraucht hatte.

„Du lehnst dich einfach zurück und lässt es ruhig angehen“, sagte Ben. „Ich habe Helfer, die aus dem Krankenhaus kommen, also mach dir keine Sorgen um uns.“

Zane fühlte ein kleines Aufflackern von Schuldgefühlen. Er hätte ein paar seiner Studienfreunde als Hilfe engagieren können, aber er wich so ziemlich jedem aus, außer Xavier, der nach ihm gesehen und angeboten hatte, eine Wohnung mit ihm zu teilen, falls er eine Unterkunft bräuchte. Er verkraftete es nicht, den Leuten alles noch mal erzählen zu müssen, also zog er sich im Moment zurück.

„Sollte ein netter Anblick sein“, fügte Ben mit einem verspielten Grinsen hinzu. Er wollte Zane aufheitern, aber es war Gages beleidigter Ausdruck, der ihn am meisten amüsierte.

Zane lächelte, aber er lachte nicht. Seine Rippen schmerzten immer noch, wenn er lachte, hustete oder nieste. Nur eines davon konnte er kontrollieren, also tat er das auch, obwohl er befürchtete, dass bis zu seiner vollständigen Heilung von seinem Sinn für Humor nicht mehr viel übrig sein könnte.

Als sie auf die Veranda traten, sah Zane einen ziemlich mitgenommenen alten Kombi, aus dem ein kräftiger, robuster Kerl und ein Teenager mit den gleichen rotbraunen Haaren und braunen Augen ausstiegen; offensichtlich Vater und Sohn.

Zane drehte sich um, um die Tür zu öffnen. „Wir brauchen nicht so viel Hilfe“, sagte er, als er seinen Schlüssel ins Schloss steckte. „Es sind nur die Sachen aus meinem Zimmer zu packen.“

„Eigentlich hat dein Vater gesagt, wir sollen auch Möbel aus dem Wohnzimmer für dich mitnehmen, da du nun in eine eigene Wohnung ziehst.“

Zane wusste nicht, was er davon halten sollte. Er entschied, dass es nicht schaden konnte, Dinge zu nehmen, die er gratis bekommen konnte. Auch wenn ein Teil von ihm seinem Vater sagen wollte, er solle sie sich dorthin schieben, wo die Sonne nicht scheint. Sein neuer Mitbewohner würde aber wahrscheinlich lieber auf einer Couch sitzen als auf Zanes Stolz, also widersprach er nicht.

Hinter ihm atmete Gage scharf ein. „Was macht der hier?“

Da war ein eifersüchtiger Unterton in seiner Stimme, der Zanes Neugierde weckte. Er sah über die Schulter und entdeckte ein weiteres Auto, diesmal einen Porsche Cabrio.

„Er hat gehört, wie ich Ian gefragt habe, und ich konnte nicht nein sagen“, erklärte Ben. „Er war immerhin Zanes Notarzt.“

Das erregte Zanes Aufmerksamkeit und sein Blick wanderte zurück zu dem Auto und dem großen, schlanken Mann daneben. Dieser hatte ein ruhiges, beherrschtes Auftreten. Daran erinnerte Zane sich. Als man ihn in die Notaufnahme gebracht hatte, war der Arzt die Ruhe in seinem persönlichen Sturm aus Schmerzen und Tränen gewesen.

„Ich will hoffen, dass er nicht hier ist, weil er sich für dich interessiert.“

Zane dachte, Gage würde mit Ben sprechen. Das hätte Sinn ergeben. Aber dann wurde ihm klar, dass Ben nach vorne gegangen war, um ihre anderen Helfer zu begrüßen, und Gage beobachtete eindeutig, wie Zane reagierte. Er schnaubte. „Mann, jetzt hättest du mich fast zum Lachen gebracht. Erinnerst du dich nicht, was für eine Horrorshow mein Gesicht war, als ich in der Notaufnahme war?“ Die Idee, dass sich jemand davon angezogen fühlen könnte, war lächerlich.

Gage runzelte die Stirn, aber bevor er noch etwas sagen konnte, hatte der Arzt die Veranda erreicht. Freundliche Augen hinter einer dünn gerahmten Brille blickten direkt zu Zane.

Sein Lächeln war so echt, dass Zanes Herz zu flattern begann.

Vielen Dank, Gage, dachte er. Bring mich nur auf gute Ideen.

„Zane, du siehst viel besser aus“, sagte der Arzt herzlich.

„Ich schätze, Sie haben mir dabei geholfen. Also, danke, Doktor …“ Er konnte sich beim besten Willen nicht an den Namen des Mannes erinnern. In dieser Nacht war mehr als ein Arzt da gewesen und in den folgenden zwei Tagen war er auf die Station verlegt worden, wo es unzählige Schwestern und Pfleger gab.

„Johnston“, ergänzte der Arzt und Zanes schlechtes Gedächtnis schien ihm nichts auszumachen. „Du kannst mich aber Paul nennen. Ich bin heute nicht dein Arzt.“

Zane grinste. „Aber was ist, wenn ich stolpere und mir einen Knöchel verstauche?“ Er deutete auf Gage. „Oder wenn dieser alte Kerl strauchelt und mich schubst, wenn er versucht, meinen massiven Eichenschreibtisch zu tragen?“

Gage warf ihm einen düsteren Blick zu, aber Paul lachte. Sein Lachen, nur ein Kichern, erwärmte Zane von innen und außen.

„Nun, ich schätze, kleine Verletzungen kann ich versorgen.“

„Gut zu wissen“, sagte er und ging wieder zur Tür zurück. „Dann können wir ja reingehen.“

 

***

 

Zane führte seinen Trupp Helfer durch das Haus und fühlte sich dabei nicht wohl in seiner Haut. Es war seltsam, wieder hier zu sein. Die Dinge zu sehen, die ihm einst so vertraut und nun nicht mehr Teil seines Lebens waren, brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er ging durchs Wohnzimmer, als er die erste Haftnotiz am Couchtisch entdeckte. Für Zane stand darauf. Keine persönliche Nachricht, keine weiteren Details. Er erkannte die Handschrift seines Vaters. Als er sich im Raum umsah, bemerkte er ein weiteres Zettelchen auf dem Schaukelstuhl in der Ecke. Das war sein Lieblingsplatz gewesen, an dem er gerne mit seinem Vater gesessen hatte, wenn sie sich spätabends unterhalten hatten. Sein Vater bevorzugte immer den Fernsehstuhl, aber Zane war rastlos und voller Energie. Mit den Füßen zu wippen, um vorwärts und rückwärts zu schaukeln, hatte geholfen, ihn zu beruhigen. Es war auch der Ort, an dem er sich erstmals geoutet hatte.

Und das lief ja toll.

Er eilte durch das Esszimmer, sah dort aber keine Notizen. In der Küche hielt er mit großen Augen inne. Viele kleine gelbe Fähnchen flatterten im Wind, der durch das offene Fenster über der Spüle kam. Ein Satz ungleicher Teller. Vier Trinkgläser. Der Toaster. Er machte jeden Morgen Toast, es war sein Frühstück für unterwegs. Sein Vater wusste das, aber es erschien ihm falsch, den Toaster zu nehmen. Er war schließlich nicht der Einzige, der Toast mochte. Er blinzelte und ließ all die kleinen Notizen auf sich wirken. Alle mit der gleichen Beschriftung: Für Zane

„Das ist seine Art zu sagen, dass er dich liebt“, murmelte Ben neben ihm.

Zane blinzelte wieder, um sich an die Beleuchtung anzupassen. Nicht, weil Tränen in seinen Augen brannten. Auf keinen Fall.

Ben klopfte ihm auf den Rücken und Zane wich vor der Berührung zurück. Er blickte kurz auf den Rest der Männer, die sich in das Haus seines Vaters drängten. Der kräftige Typ und sein jugendlicher Sohn waren im Wohnzimmer. Gage und der Doktor starrten einander an, als würden sie einen Wettbewerb abhalten, wer zuerst wegsah. Ben war voll und ganz auf ihn konzentriert. Zane wusste, dass Ben der fürsorgliche Typ war, aber er konnte nicht damit umgehen, ständig beobachtet zu werden. Er erstickte unter all der verdammten Anteilnahme, die ihm entgegengebracht wurde. Jetzt bekam er sie sogar schon von seinem Vater. Denn Max Kavanaugh hätte Zane all dieses Zeug nie überlassen, wäre er nicht zusammengeschlagen worden. Er hatte sich geweigert, Zanes Sexualität zu akzeptieren, und ihn ausdrücklich ermutigt, das Haus zu verlassen, wenn er mit den Gefühlen seines Vaters in dieser Angelegenheit nicht einverstanden war. Und er hatte in den folgenden Tagen nicht einmal versucht, sich zu entschuldigen. Also, was hatte sich geändert, außer dass Zane verletzt worden war?

„Ich gehe in mein Schlafzimmer. Ich werde ein paar Sachen packen.“ Er drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten. Er hörte Bens Stimme hinter sich.

„Ja, wir werden uns einfach um dieses Zeug kümmern und dann …“

Zane ging weiter, sah nach vorne und war sich bewusst, dass er sich wie ein Arsch benahm. Gage würde ihm wahrscheinlich später den Kopf abreißen, weil er seinen Freund so schlecht behandelt hatte, aber Zane konnte diese großen braunen Augen nicht eine Minute länger ertragen. Er würde sonst verdammt noch mal zusammenbrechen. Hier zu sein und nicht nur seine Sachen zu packen, sondern auch die seines Vaters, als wäre es eine Art Scheidung, war schon demütigend genug.

Im Schlafzimmer angekommen, sank er aufs Bett und atmete tief durch. Für eine Minute schienen sich die Wände, die immer noch mit Postern von Bands und Covern aus dem alternativen Magazin, das er in der Highschool gemacht hatte, dekoriert waren, um ihn herum zu drehen. Die gestylten Boybands hätten seinem Vater vielleicht einen Hinweis geben können, aber die Baseballutensilien an der Wand, ein signiertes Poster der Kansas City Royals, eines von Alex Gordon sowie Gordon Jersey und ein paar Ticketstummel aus Spielen, an denen er teilgenommen hatte, halfen, die eigentliche Bedeutung zu verwässern. Ein Klischee vielleicht, aber wahr. Sein Vater wusste, dass er Baseball liebte, aber er konnte nicht wissen, dass Zane auch Baseballspieler liebte. Diese Baseballhose, die lange Beine und knackige Ärsche betonte, die schlanken, aber muskulösen Körper der Athleten. Was gab es daran nicht zu mögen?

Er schloss die Augen und zählte von zehn rückwärts. Dann noch mal. Als seine Atmung sich beruhigt hatte, blinzelte er vorsichtig und öffnete die Augen. Alles blieb an Ort und Stelle. Sein Rechner auf einem kleinen, gläsernen Schreibtisch in der Ecke. Das mit Science-Fiction-Romanen überfüllte Bücherregal aus der verrückten Lesephase, die er als Mittelschüler durchlebt hatte, als er gerade alle seine Freunde gehasst hatte. Die Kleidung, die jede freie Fläche bedeckte: über seinem Schreibtischstuhl drapiert, auf seiner Kommode gestapelt, über den Boden verstreut.

Okay. Du kannst das schaffen, Zane. Es ist kein Ende, es ist ein Anfang. Ein Neuanfang. Das ist genau das, was du brauchst.

Er stand vom Bett auf, ging los und holte sein Gepäck aus dem Schrank. Er konnte genauso gut das Kofferset benutzen, das er zum Schulabschluss bekommen hatte, mit einem kleinen Witz seines Vaters darüber, dass er bald ausziehen würde. Nun, er hatte es danach noch zwei Jahre zu Hause ausgehalten. Das war immerhin etwas.

Kapitel 3

 

Hierherzukommen, war ein Fehler, dachte Paul, als Bens Freund ihm einen düsteren Blick zuwarf.

Schon wieder. Der süße Krankenpfleger musste ihm von Pauls gescheitertem Versuch erzählt haben, ein Date anzubahnen. Paul fühlte sich deswegen unbehaglich. Nicht, dass er etwas Schreckliches getan hätte. Es war einfach irgendwie … ein jämmerlicher Versuch gewesen. Eine Erfahrung, die leider nicht ganz neu für ihn war. Ben war monatelang Gegenstand von Pauls Fantasien gewesen, aber er hatte nie zum Ausdruck gebracht, dass er sich zu ihm hingezogen fühlte. Bei ihrer ersten Begegnung war Paul verheiratet gewesen. Dann, sobald er sich von seiner Frau getrennt und gedacht hatte, er hätte den Mut, sein Interesse zu zeigen, war Ben mit jemandem zusammen. Paul hatte gewartet, bis er hörte, dass Ben mit seinem Freund Schluss gemacht hatte, bevor er ihn um ein Date bat. Zugegeben, er hatte noch am selben Tag gefragt, an dem das Gerücht, Ben wäre wieder Single, die Runde gemacht hatte. Etwas geschmacklos. Und er hatte sich Ben zwischen zwei Patienten bei der Arbeit genähert. Wahrscheinlich hätte er warten sollen, bis sie in der Pause waren. Dennoch hatte er abgewartet, bis Ben Single war. Das sollte doch etwas wert sein, oder? Nicht Gages spöttischem Ausdruck nach zu urteilen. Um es noch schlimmer zu machen, wirkte Ben auch nicht allzu glücklich, ihn hier zu sehen. Er musste für eine Minute flüchten, Luft holen und herausfinden, was er als Nächstes tun sollte.

Warum bin ich noch mal hierhergekommen?

Ein Paar dunkler, unruhiger Augen tauchte in seiner Erinnerung auf.

Oh, richtig. Meine Besessenheit von einem Patienten, dem ich nie offiziell vorgestellt wurde.

Paul bekam Zane nicht aus dem Kopf, aber vielleicht könnte er weitergehen, wenn er sich vergewissert hatte, dass es Zane gut ging, dass er mit allem, was ihm passiert war, fertig würde. Er musste sich auf die Arbeit konzentrieren und aufhören, an junge Patienten in Schwierigkeiten zu denken.

Paul schlüpfte aus dem Wohnzimmer und machte sich auf den Weg zur Rückseite des Hauses. Eine Toilettenpause würde ihm ein paar Minuten Ruhe verschaffen.

Ben hatte ihn aufgefordert, Pfleger Ian dabei zu helfen, Möbel zum Lkw zu bringen. Aber es gab zwei Probleme: Ian hatte seinen Sohn dabei, also brauchte er keinen Dritten, um die Sachen zu tragen; und wie sich herausstellte, war Ians Sohn um einiges stärker als Paul.

Ein Geräusch auf der linken Seite erregte Pauls Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und bemerkte, dass die Tür einen Spaltbreit offen war. Er blinzelte und konnte eine Bewegung im Inneren erkennen, aber mehr auch nicht. „Klopf, klopf“, sagte er leise, legte eine Hand auf die Tür und drückte sie auf.

Gerade als das Zimmer in seinem Blickfeld war, sah er Zane rückwärts aus dem Schrank stolpern. Er fluchte laut und in einer Weise, die Paul sofort verriet, dass er Schmerzen hatte. In seinen Armen hielt er einen ausgebeulten Koffer voll mit Papieren. In beiden Armen. Die Schlinge, die seinen gebrochenen Arm hielt, baumelte lose an seinen Rippen.

Paul eilte zu ihm und stellte sich dicht hinter Zane, um ihn aufzufangen, als er rückwärts stolperte. Zanes Rücken traf Pauls Brust mit einem Schlag und Paul hob die Arme, um das Gewicht des Koffers zu tragen, was unangenehm war, denn jetzt hielt er Zane mit seinem Körper umklammert. Den Koffer so zu halten, war unbequem, aber zum Glück war er nicht schwer.

Zu seiner Überraschung lehnte Zane sich an ihn. Er seufzte erleichtert und ließ den Kopf nach hinten gegen Pauls Schulter fallen. Sein warmer Körper drückte gegen Pauls gesamte Vorderseite. Wenn er nicht bald aus dieser Situation herauskam, würde er sie beide in Verlegenheit bringen. Seitdem er sich dazu entschlossen hatte, sich scheiden zu lassen, hatte sich sein Körper wie ein hormonverrückter Teenager verhalten. Er war endlich frei, das zu bekommen, was er wollte. Was er brauchte. Und doch hielt ihn etwas zurück. Wahrscheinlich seine Fixierung auf Männer, die zu jung für ihn waren.

„Tut mir leid, Ben“, murmelte Zane. „Sag Gage, dass deine Tugend sicher ist. Ich bekomme in diesem Zustand nicht mal einen Ständer.“

„Medizinisch gesehen ist das einfach nicht wahr“, sagte Paul.

Zane zuckte in seinen Armen nach vorne, aber er kam nicht weit. Er war zwischen dem Koffer und Pauls Körper gefangen.

„Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe kommen“, sagte Paul leise und wusste, dass Zane ihn hören konnte, weil er mit den Lippen nahe an Zanes Ohr war. Es war eine fast intime Position, abgesehen von dem unangenehmen Gewicht des Koffers und der unbequemen Haltung, in der Paul gezwungen war, seine Arme auf beiden Seiten von Zane auszustrecken. Der Junge war nicht mager. Seine Schultern waren breit genug, um Paul an seine Grenzen zu bringen. „Du warst dabei, dir wehzutun“, fügte Paul hinzu.

„Ist schon okay“, sagte Zane. „Ich dachte, Sie seien Ben, sonst hätte ich mich nicht an Sie gelehnt.“ Er kicherte nervös. „Wenn ich so darüber nachdenke, hätte ich das auch bei ihm nicht machen sollen.“

„Ja, ich war auch schon das Ziel von Gages bösem Blick. Knie dich hin.“

„Wie bitte?“

Paul errötete bei dem schockierten Tonfall der Frage. Natürlich klang das völlig daneben. Was zum Teufel war los mit ihm? Er räusperte sich ein paarmal, um Zeit zu schinden. „Nein, nein“, sagte er. „Ich kann diesen Koffer über deinen Kopf heben und zurücktreten. Aber es wäre einfacher, wenn du dich ein wenig ducken würdest. Das sollte nicht besonders schmerzhaft sein …“ Er brach ab. Zane setzte seine Worte bereits in die Tat um und ging in die Hocke. Sein Körper glitt an Pauls Kleidung entlang. Er drückt gegen seinen Schwanz, der zum Glück nicht hart war. Der Kontakt jagte einen Schauder durch seine Wirbelsäule und Paul beeilte sich, ihre Körper zu trennen. Er hob die Arme, machte einen kurzen Schritt zurück und sie waren frei. Sein Schwanz war ein wenig enttäuscht, aber Paul war erleichtert. Er wollte nicht, dass sich ein anderer Mann in seiner Gegenwart unwohl fühlte oder zu den Gründen beitrug, aus denen Gage und Ben ihn nicht mochten.

Ja, mein übereifriger Schwanz, du hast Pause, bis du lernst, verantwortungsvoller zu sein. Du bist kein verdammter Teenager.

Paul legte den Koffer auf das Bett und erhaschte einen Blick auf etwas, das wie Dutzende von Ausgaben einer Zeitung aussah. Er ging näher heran und erkannte, dass es sich um eine Highschool-Zeitung handelte, und bei mehr als einem Exemplar stand Zanes Name unter der Überschrift der Titelstory. Er drehte sich um, mit einer Frage über Zanes Schreibambitionen auf den Lippen, aber der Ausdruck von Schmerz auf dem Gesicht des Jungen, der sich gerade aufrichtete, brachte ihn aus dem Konzept.

„Hast du dir wehgetan?“, fragte er besorgt.

Zane schüttelte den Kopf, aber er war blass und hatte die Lippen zusammengepresst. Er drückte seinen Arm gegen die Brust, der immer noch außerhalb der Schlinge war.

Paul trat vor und dirigierte Zanes Arm sanft zurück in die Schiene. Sie war eher wie eine Spange, nicht wie ein Gips, und aus der Schlinge geschlüpft zu sein, war nicht das Ende der Welt. Aber dieser Bewegungsumfang und vor allem die Belastung seines Armes waren noch nicht gut. Seine Rippen hatten sich wahrscheinlich auch beschwert. „Ich hoffe, ich muss dir nicht sagen, dass das eine schlechte Idee ist. Bist du okay?“, fragte er und sah von Zanes Arm auf.

Ihre Blicke trafen sich und Paul konnte seinen Blick nicht von diesen dunklen Augen abwenden. Augen, die so viel älter waren als Zanes Gesicht. Nun, da die Blutergüsse und Schwellungen zurückgegangen waren, hatte Paul gute Gründe, sich zu seinem Patienten hingezogen zu fühlen. Zanes Gesichtszüge waren ausgeprägt, maskulin. Dennoch hatten sie auch eine Jungenhaftigkeit, die Paul daran erinnerte, dass er noch so jung war. Alles in seinem Gesicht schien Pauls Aufmerksamkeit speziell zu seinen rosigen Lippen zu lenken. Rosa und verlockend schnellte Zanes Zunge heraus, um seine Lippen zu befeuchten, und Paul bemerkte, dass er ihn anstarrte.

„Mir geht es gut“, sagte Zane. „Ich werde das definitiv nicht noch einmal tun.“

„Gut“, murmelte Paul, obwohl er keine Ahnung hatte, was er da sagte. Worüber hatten sie gesprochen? Er hatte den Faden verloren, als seine Augen auf Zanes Mund gerichtet waren.

Hör mit dieser perversen Nummer auf, befahl er sich.

Zane öffnete die Lippen, als er Luft holte, und Paul trat rasch einen Schritt zurück. Allerdings nicht schnell genug. Ein Geräusch an der Tür veranlasste sie beide, den Kopf zu drehen.

Gage stand mit einem mürrischen Blick in der Tür. „Ich glaube, wir haben hier alles im Griff, Doktor Johnston. Ich bin mir sicher, Zane weiß es zu schätzen, dass Sie vorbeigekommen sind, aber wir nehmen an, dass Sie wahrscheinlich noch andere Dinge zu tun haben.“

Paul sah unsicher von Gage zu Zane.

Zane runzelte die Stirn. „Sei kein Arschloch, Gage.“

„Mister Evans“, korrigierte der.

Zane verdrehte die Augen. „Ich werde dich wie meinen Lehrer behandeln, wenn du dich wie ein Erwachsener benimmst.“

„Zane“, sagte er mit strenger Stimme.

„Es ist okay, ich werde gehen“, beschwichtigte Paul, denn er wollte keine Spannungen zwischen Zane und den Jungs verursachen, die sich um ihn kümmerten. Er konnte aber nicht anders, als zu fragen: „Aber es geht dir wirklich gut?“

„Warum interessiert Sie das?“, fragte Gage unverblümt.

„Gage, hör auf damit“, unterbrach Ben ihn vom Flur aus.

Gage murmelte etwas und folgte Ben, dann waren Zane und Paul wieder allein.

Zane verzog das Gesicht. „Tut mir leid, er ist sehr beschützend.“

„Das kann ich verstehen.“

„Ich glaube, er versucht, Dad zu spielen“, sagte Zane. „Ich werde ihm das klarmachen. Aber er hat recht. Warum interessiert Sie das? Sie müssen viele Patienten haben.“

Paul zuckte mit den Schultern und sah von Zane weg. Er fühlte sich nicht wohl dabei, diesen dunklen Augen zu begegnen, und außerdem wollte er nicht riskieren, wieder in diesen Blick zurückgezogen zu werden. Er könnte sonst etwas völlig Idiotisches tun, wie zu versuchen, den Jungen zu küssen, und er hatte bereits genug dumme Dinge getan. „Du hast mich nicht mehr losgelassen“, sagte er und blickte aus dem Fenster auf den grünen Rasen und zu dem hell türkisfarbenen Himmel eines frühen Junitages. „Ich weiß, dass du wahrscheinlich kein Mitgefühl willst.“

„So ist es.“

Paul drehte sich endlich zu ihm zurück. „Das ist es auch nicht wirklich. Du hast mich beeindruckt. Und ich war … neugierig.“

„Neugierig?“

„Wie es dir geht. Wie du unter der Schwellung und den blauen Flecken aussiehst. Ich weiß nicht.“ Paul merkte, dass er rot wurde. „Es ist nur … Es tut mir leid, wenn ich irgendwelche Probleme mit Gage verursacht habe.“

Zane winkte ab. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen.“

„Okay.“

Zane lächelte und in seinen Wangen bildeten sich Grübchen. Verdammt, er war einfach bezaubernd. Wie ein süßer Welpe, von dem man wusste, dass man ihn nicht mit nach Hause nehmen sollte. Aber wie könnte man widerstehen?

„Also, was denken Sie?“ Zane zeigte mit dem Finger auf sein Gesicht. „Über den Mann unter den blauen Flecken, meine ich.“

„Das ist alles gut verheilt.“

Zane hob eine Augenbraue und Paul begriff, was er wissen wollte. Was er gemeint hatte, als er nach seinem Gesicht gefragt hatte.

Seine Wangen wurden heiß und Paul sah weg. „Du bist sehr attraktiv.“

Zane lachte und Paul schämte sich noch mehr. Wahrscheinlich amüsierte sich der Junge blendend über ihn. „Entspannen Sie sich, Doc“, sagte Zane. „Ich werde Gage nicht rufen, damit er Ihnen in den Hintern tritt. Ich bin froh, dass Ihnen mein Gesicht gefällt.“

„Warum?“ Paul blickte überrascht zu Zane, der ihn mit einem schelmischen Lächeln musterte.

„Wie wäre es, wenn Sie mir Ihre Nummer geben? Dann finden Sie es vielleicht heraus.“

Pauls Herz hämmerte in seiner Brust. Zane konnte sich unmöglich für ihn interessieren, oder? Er hatte sich so sehr an die Ablehnung gewöhnt, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte.

Während er stumm dastand, fischte Zane ein Handy aus seiner Hosentasche, öffnete den Bildschirm und gab es Paul. „Hier. Tippen Sie Ihre Nummer ein.“

Paul tat es und hielt Zane das Handy hin. Er beobachtete, wie Zane etwas schrieb, und sein eigenes Handy klingelte in seiner Tasche. Er zog es heraus und sah, dass Zane ihm eine kurze Nachricht geschickt hatte: Hier ist Zane. Jetzt haben Sie auch meine Nummer.

Er sah auf und bemerkte, dass Zane lächelte und die Grübchen besonders ausgeprägt waren.

„Danke, Paul. Mir gefällt dein Gesicht auch.“

Kapitel 4

 

Zanes neuer Mitbewohner wartete mit Pizza, als sie in der Wohnung ankamen. Zane fühlte sich wie ein Arsch, als er sich auf Xaviers Computerstuhl in der Ecke fallen ließ, während Gage, Ben sowie Ian und sein Sohn Liam die ganze Arbeit machten, aber er war erledigt. Er war seit seiner Verletzung nicht mehr so viel auf den Beinen gewesen und sein Körper musste sich erst auf mehr körperliche Aktivität einstellen.

„Alter, ich dachte, du hast keine Möbel“, sagte Xavier und klang erfreut, als Ian und Liam mit dem alten Sofa aus dem Wohnzimmer seines Vaters hereinkamen. Es hatte ein paar Flecken und es gab eine lästige Feder, die einem in den Hintern pikste, wenn man nicht darauf achtete, wo man sich hinsetzte, aber es war trotzdem bequem. „Ich hätte dir beim Umzug helfen können.“

„Keine Sorge. Mein Vater hat mich ein paar zusätzliche Sachen mitnehmen lassen.“

„Wirklich?“, fragte Xavier und in dem einen Wort schwang Neugier über viel mehr als das Sofa mit.

Zane schüttelte den Kopf. „Ich will nicht darüber reden.“

Sein Mitbewohner reichte ihm einen Pappteller mit einer Scheibe Peperoni und Wurstpizza und ließ das Thema fallen. Das war eine Sache, die er an Xavier mochte: Er wusste, wann er lockerlassen musste.

„X und Z, was?“, sagte Gage. „Wo ist Y?“

„Witzig“, sagte Zane matt. Er wollte Gage nicht bestärken, indem er zugab, dass er Xavier manchmal wirklich bei seinem Spitznamen X rief. Sein Name war einfach zu lang, um ihn dauernd zu sagen.

Ben lachte schnaubend. „Er hat einen tollen Vaterhumor.“

„Hey!“, protestierte Gage und ließ fast sein Ende der Kommode fallen. „Du nennst mich alt? Nachdem du gestern Abend im Bett gesagt hast, dass ich …“

„Kein Wort mehr!“, unterbrach Ben.