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Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2020

 

Für die Originalausgabe:

© 2015 by A.M. Arthur

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The World As He Sees It«

Published by Arrangement with A.M. Arthur

 

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

 

ISBN-13: 978-3-95823-801-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Gabe führt ein Doppelleben: Als Gabriel Henson arbeitet er in mehreren Jobs, um seine alkoholkranke Mutter zu unterstützen. Als Tony Ryder ist er ein Internet-Pornostar. Eines Nachts hilft er in einem Club Tristan, der gerade eine Panikattacke erleidet, und zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine E-Mail-Freundschaft, aus der durchaus mehr werden könnte. Gabe findet schnell heraus, dass Tristan sein Leben seit einem schlimmen Unfall nur noch in 30-Minuten-Abschnitten wahrnimmt. Als Tristan die Möglichkeit erhält, durch eine klinische Studie sein Langzeitgedächtnis wiederzuerlangen, zögert er keine Sekunde. Denn eine echte Zukunft mit Gabe ist ihm jedes Risiko wert…


 

Lieber Leser,

 

dieses Buch ist für alle, die sich so sehr in Tristan verliebt haben wie ich. Die Idee, ein Buch aus der Perspektive eines jungen Mannes zu schreiben, der Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis hat, war beängstigend, um es so auszudrücken.

Ich war nicht ganz sicher, ob ich es schaffen würde, also habe ich zuerst mit Gabe angefangen.

Schließlich hat sich Tristan gemeldet und seine Stimme war endlich da, um seine Geschichte zu erzählen und sein Happy End zu finden. Er wollte sich nicht mit weniger zufriedengeben.

 

Ich hoffe, du genießt diese ungewöhnliche Liebesgeschichte.

 

In Liebe

 

A.M. Arthur

 


 

Kapitel 1

 

 

Gabe Henson pulte das Etikett von seiner Flasche Samuel Adams Lager und war mehr daran interessiert, das quadratische Stück Papier in einem Stück abzuziehen, als die fast volle Flasche auszutrinken. Die pulsierende Musik des Clubs schien weit weg und nicht so durchdringend wie üblich zu sein. Er ignorierte die Schar an gut aussehenden Tänzern hinter sich und blockte die gelegentlichen Versuche eines Unbekannten ab, ihm einen Drink zu spendieren. Die Stammgäste kannten ihn und wussten, wann sie ihn verdammt noch mal in Ruhe lassen sollten.

Wie jetzt.

Er war nicht ins Big Dick's gekommen, um jemanden aufzureißen. Sein Boss mochte es lieber, wenn seine Models ein paar Tage vor einer Szene keinen Sex hatten, und bei Gabe war es morgen so weit. Er war nur ins Big Dick's gekommen, umgeben von anderen schwulen Männern, damit er nicht zu Hause mit seiner Mutter saß und sich über die kommende Szene den Kopf zerbrach.

Und trotzdem hatte sich diese besondere Angst wegen eines anderen Vorfalls zurückgezogen, der gerade einmal eine Stunde alt war. Er konnte das Bild des verängstigten, goldhaarigen Jungen einfach nicht loswerden, der in einer Ecke des Pausenraums gekauert und nichts wahrgenommen hatte außer den Namen eines Freundes, der wusste, wie man ihm helfen konnte. Obwohl Junge nicht wirklich nett war. Er war mindestens einundzwanzig, wenn er es reingeschafft hatte. Bear hatte seit Eröffnung der Bar keinen gefälschten Ausweis durchgelassen.

Tristan.

Der Name passte nicht. Da dachte man sofort an einen langhaarigen Brad Pitt, der auf einem Pferd ritt und Julia Orman verführte. Der Tristan von heute Abend erinnerte ihn eher an Alex Pettyfer, aber ungefähr sieben Kilo leichter und mit zerzausterem und leicht blonderem Haar. Ganz zu schweigen von der gesunden Portion Angst in seinen Augen. Augen, die von etwas heimgesucht wurden, das Gabe nichts anging, Tristan aber laut seinem Freund sein Kurzzeitgedächtnis gekostet hatte.

Gabe konnte sich nicht vorstellen, mit einer so entkräftenden Verfassung zu leben. Welche Verzweiflung hatte Tristan allein in die Bar geschickt, wenn er doch wusste, dass er früher oder später vergessen würde, wo oder warum er dort war?

Und warum zur Hölle kann ich nicht aufhören, an ihn zu denken?

Er hatte sowohl Tristan als auch dem Freund – Joel? Nein, Noel – kostenlose Drinks angeboten, bezweifelte aber, dass sie es annehmen würden.

»Was ist los, Bürschchen?«, fragte Pax, während er Eis in einen Shaker gab. »Wer hat dir denn in die Suppe gespuckt?«

»Lass mich in Ruhe«, erwiderte Gabe ohne Wut in der Stimme. Pax war seit über vier Jahren Barkeeper im Big Dick's und sie hatten sich immer verstanden, trotz Pax' rätselhafter Angewohnheit, einmal im Monat seine Haarfarbe zu wechseln. Letzten Monat hatte er es wie ein Stinktier gemacht und sich für schwarz und weiß entschieden. Diesen Monat waren seine Haare kobaltblau.

Pax kicherte über einer Flasche Tequila. »Da macht jemand eine Trockenphase durch.«

»Ich brauche keine Einzelheiten deines Privatlebens, danke.«

»Oh, Bürschchen, ich meine nicht mich.«

Gabe verdrehte die Augen. Er machte keine Trockenphase durch – nicht wirklich. In den letzten acht Monaten hatte er ziemlich regelmäßig Sex. Es war nur nicht die Art Sex, die er haben wollte – der echte, der nicht in einem Porno stattfand. Selbst seine gelegentlichen Aufrisse zählten nicht, weil er sich anschließend so von seinem Partner getrennt fühlte wie nach einer Szene.

Nicht, dass er seinen Job nicht mochte oder bereute. Er mochte Sex. Er mochte es, Sex zu haben, und dafür bezahlt zu werden, war ein Bonus. Selbst Porno-Sex konnte seine eigenen Ebenen der Intimität haben. Einer der Typen, mit denen er regelmäßig Szenen drehte, war sein bester Freund. Aber letztendlich war diese Intimität nicht real. Sie wärmte ihn nachts nicht. Sie ging nicht mit ihm nach einem Film Kaffee trinken. Sie verwandelte sich nicht in eine tatsächliche, auf Vertrauen basierende Beziehung.

Und vielleicht war genau das der Punkt.

»Am anderen Ende der Bar sitzt ein heißer Blonder«, sagte Pax, während er den Drink schüttelte. »Ich glaube nicht, dass er ein Stammkunde ist, wenn du nach Frischfleisch suchst.«

»Ich bin heute Abend nicht auf der Suche, danke.« Gabe pulte noch ein paar Zentimeter des feuchten Etiketts von der Glasflasche ab. Fast fertig.

»Wenn du das sagst.«

Pax ging, um die Drinks auszuschenken, und wurde beinahe augenblicklich von Gabes Dad abgelöst. Die weiße, paillettenbesetzte Weste reflektierte das Licht über die gesamte Bar und Gabe versuchte, die Augen nicht zu sehr zuzukneifen. Er liebte es, dass sich sein Adoptivvater mit seiner Sexualität und seinem Aussehen so wohlfühlte, um etwas so Hässliches wie Pailletten zu tragen, die von Richard Simmons inspiriert waren, aber das hielt Gabes Fantasien nicht auf, sie alle auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen.

»Warum bist du denn so angespannt, Kleiner?«, fragte Dad.

Ihn anzulügen, war schwerer als bei Pax. »Ich denke an diesen Tristan.«

»Ja, der Junge hat wirklich Riesenpech. Zumindest hat er einen Freund, der auf ihn aufpasst.«

»Richtig.« Ein weiterer Teil des Etiketts löste sich. Dann noch einer. Da sich Gabe des Blicks auf sich bewusst war, sah er auf. Dad hatte sich nicht bewegt oder seine Aufmerksamkeit anderweitig ausgerichtet. »Was?«

»Nicht.«

Vor Verärgerung juckte seine Kopfhaut. »Nicht was? Es ist nicht illegal, Bieretiketten abzupulen.«

»Das hab ich nicht gemeint und das weißt du auch. Lass diesen Tristan sein, er ist nicht dein Problem.«

»Ich mache ihn nicht zu meinem Problem.«

Dad beugte sich vor, sodass er die Stimme senken konnte. Um Familienangelegenheiten und so was privat zu halten. »Dass du hier mit diesem Gesichtsausdruck rumhängst, bedeutet, dass du über ihn nachdenkst. Du willst ihm helfen, nicht wahr?«

»Ich kenne ihn nicht mal.«

»Tja, aber ich kenne dich, Gabriel.«

»Und das heißt was?«

»Das heißt, dass du deiner Mutter nicht helfen kannst, also suchst du nach anderen Personen, bei denen es geht.«

Gabes Hand zuckte, riss das Etikett ab und die letzte Ecke blieb hängen. Da er nun wütend war, knüllte er das ruinierte Etikett zusammen und warf es auf den Tresen. »Ich will keinen Vortrag über Debbie, okay? Lass es.«

Dad hob gespielt ergeben die Hände. »Ich will dir keinen Vortrag halten. Du hast dir all meine Vorträge angehört, Kleiner. Ich wünschte mir nur, dass du mir manchmal zugehört hättest, das ist alles. Wir beide tun das.«

Wir beinhaltete Richards Partner und Gabes biologischen Vater Bernard Bear Henson. Er war Gabes ganzes Leben lang Bear gewesen und würde es immer sein, obwohl er theoretisch Dad sein sollte. Dad hatte eine ebenso große Vergangenheit mit Gabes Mutter Debbie wie Bear und sie beide verstanden die Last, die Gabe weiterhin trug. Gabe konnte sie nicht aufgeben. Sie hatte sonst niemanden.

»Ich höre dir zu, Dad. Ich höre euch beide, wenn ihr redet, und dann treffe ich meine eigenen Entscheidungen. Habt ihr mich nicht dazu erzogen? Damit ich selbstständig denke?«

Dad brummte frustriert. »Du bist eine Nervensäge, weißt du das?«

»Dazu habt ihr mich auch erzogen.«

Er grinste. »Verdammt richtig. Wirst du dieses Bier jetzt trinken oder wartest du, dass die Kohlensäure rausgeht?«

»Es ist wahrscheinlich schon schal, aber ich verstehe, was du meinst.«

»Gut. Es ist Freitag. Eigentlich ist schon Samstag, aber halten wir uns nicht mit Einzelheiten auf. Geh und amüsier dich.«

»Danke.«

Gabe drehte seinen Hocker herum, damit er die tanzenden Körper beobachten konnte, während er an seinem warmen, leicht abgestandenen Bier nippte. Er sollte sich in der Nacht vor einem Dreh wirklich nicht gehen lassen. Bier blähte ihn nicht mehr so auf wie früher, vor allem, wenn er nur eins trank, aber er musste vor der Kamera ausnahmslos perfekt aussehen.

Das Bier war eher eine Requisite als alles andere. Als er sich das letzte Mal ein wenig hatte gehen lassen, ließ er zu, dass sich seine Begleitung bis zu einem Blackout betrunken hatte. Shane schien ein anständiger Kerl mit einer Pechsträhne zu sein; verzweifelt darauf bedacht, ein wenig lockerer zu werden, und das hatte er getan. Die Dämonen, die Gabe in Shanes betrunkenem Blick gesehen hatte, waren der einzige Grund, warum Gabe entschied, ihm zu verzeihen, dass er sich wie ein Arschloch verhalten hatte, weil er in Gabes Bett aufgewacht war. Sein Kater war so heftig gewesen, dass er Gabe beschuldigt hatte, mit ihm geschlafen und dann deswegen gelogen zu haben.

Das hatte Gabe stinksauer gemacht. Vielleicht hatten sie zwei Mal für Geld vor der Kamera gefickt, aber Shane – oder Colby, wie sein Künstlername war – kannte ihn verdammt noch mal nicht. Er hatte kein Recht, Gabe zu verurteilen. Gabe musste einen Typ nicht sturzbetrunken machen, um flachgelegt zu werden, und er hatte sich seit über zwei Jahren nicht mehr mit einem Aufriss betrunken. Er hatte seine Lektion gelernt.

Und Shane/Colby konnte sich verdammt noch mal aus seinem Leben verpissen.

Warum zur Hölle hatte Gabe also zugestimmt, morgen für ihn Bottom zu sein?

Aus dem üblichen Grund, aus dem er Risiken einging: Geld. Sie würden viele Downloads bekommen, wenn ein Top vom Typ harter Kerl wie Tony endlich in den Arsch gefickt wurde.

Er hatte sich die ganze Woche über mit den Fingern und einem Plug gedehnt, aber er war trotzdem noch verdammt nervös. Das einzige Mal in seinem Leben, als er Bottom gewesen war, war eine schmerzhafte Katastrophe gewesen – wahrscheinlich war das für zwei betrunkene und unerfahrene Fünfzehnjährige nicht ungewöhnlich.

Ein Wust aus struppigen, goldbraunen Haaren am anderen Ende der Tanzfläche erregte seine Aufmerksamkeit. Gabe setzte sich gerader hin und streckte sich, um das Gesicht des Mannes zu erkennen. Sein Puls raste. Sicher konnte es nicht – nein. Das Gesicht stimmte nicht. Markant und gebräunt.

Du bist ein Idiot. Tristan kommt nicht zurück und er wird es heute Nacht definitiv nicht tun.

Gabe warf einen Blick auf seine Uhr. Zwei Uhr morgens. Die letzte Runde wurde sowieso um Viertel vor drei eingeläutet und er musste früh für seinen Zehn-Uhr-Termin aufstehen. So sehr er den chaotischen Frieden im Big Dick's auch vorzog, war es an der Zeit, nach Hause zu gehen.

 

 

Die unverschlossene Haustür überraschte ihn nicht mehr, hatte ihm seinen Instinkt geschärft, sein Zuhause langsam und vorsichtig zu betreten. Sich zuerst nach offenen Schränken oder umgedrehten Couchkissen umzusehen. Nach neuen Schäden, die nicht durch betrunkenen Zorn entstanden waren und vielleicht auf einen Einbrecher hindeuteten. Debbie dachte nicht an die kleinen Dinge, wie die Haustür abzuschließen oder die Klospülung zu betätigen.

Er betete für den Tag, an dem sie den Weg zum nächsten Spirituosenladen vergaß.

Das Wohnzimmer sah nicht anders aus, als er es vor acht Stunden verlassen hatte. Ein Berg Wäsche auf der Couch. Pizzakartons auf dem Couchtisch, der bereits unter Debbies Magazinen ächzte. Die vertrauten Gerüche von Zigarettenqualm und saurem Wein vermischten sich mit etwas Fettigem und Altem. Er schloss die Haustür ab, ehe er dem Geruch in die Küche folgt. Ein halbes Dutzend Essensschachteln lagen auf dem Küchentisch und ein Teil des Inhalts verteilte sich auf dem alten Metall. Ein paar schwarze Fliegen summten um die Sauerei herum.

»Fantastisch«, sagte Gabe in Richtung Decke. Ihr Zimmer war über ihm, aber sie war wahrscheinlich betrunken genug, um bis morgen Nachmittag zu schlafen. Sie bestellte immer Lo Mein, wenn sie die bewusste Entscheidung traf, sich ins Delirium zu trinken. Irgendetwas hatte sie heute Abend aufgeregt und er würde alles darüber erfahren, wenn er morgen von seinem Dreh nach Hause kam.

Der Mülleimer quoll über. Er zog den Beutel heraus und knotete ihn zu. Die Schachteln stopfte er in einen anderen Beutel, ebenso wie den Rotweinkarton auf der Anrichte. Er war halb voll und er würde sich dafür morgen etwas anhören müssen, aber es war ihm egal. Heute Abend war es ihm wirklich scheißegal. Er schleppte die Müllbeutel zur Hintertür hinaus und stopfte sie in die Mülltonnen neben der Treppe. Anschließend verbrachte er die nächsten zehn Minuten damit, die schwarzen Fliegen mit einer Plastikfliegenklatsche zu erschlagen.

Er hasste Fliegen.

Nach einer schnellen Runde Raumerfrischer schaltete er die Lichter aus und ging nach oben. Debbies Zimmer lag hinter der ersten Tür und sie stand weit offen. Er warf einen Blick hinein, weil die Nachttischlampe eingeschaltet war. Das Bett war zerwühlt und die Laken lagen auf dem Boden, aber Debbie war nicht zu sehen.

Die Wut übertraf seine Sorge. Es war spät, er war erschöpft und musste sich mit ihr herumschlagen, wo auch immer sie heute Nacht zusammengebrochen war.

Sein Zimmer stand außer Frage. Er schloss die Tür ab, wenn er nicht zu Hause war – nicht nur, damit sie seine Pornosammlung nicht fand und sich die Augen verbrannte, sondern weil er ihr einfach nicht traute. Er vertraute nicht darauf, dass sie die Armbanduhr von Burberry nicht klauen würde, die er sich vom Gehalt seiner ersten Szene gekauft hatte, und sie für Geld für Alkohol verscheuern würde. Er vertraute ihr keine seiner Sachen an, weshalb er sie wegschloss, wenn er nicht im Haus war.

Am Ende des Flurs stand die Badezimmertür leicht offen. Er schaltete das Licht ein. Debbie schlief auf dem Boden, eingehüllt in einen gelben Bademantel. Mit dem Fuß klappte er den Toilettendeckel herunter und betätigte die Spülung, um die Beweise ihres Abendessens und der Trinkerei zu beseitigen. Sie hatte sich nicht auf den Boden oder sich selbst erbrochen – Glück, für das er wahnsinnig dankbar war.

So sehr er sie auch da liegen lassen wollte, er musste am nächsten Morgen duschen und das würde nicht passieren, wenn seine Mutter bewusstlos auf dem Linoleum lag. In diesen Momenten dankte Gabe dem Universum, dass er die Statur seines Vaters geerbt hatte. Mit seinen einen Meter siebenundachtzig und den fünfundneunzig Kilogramm konnte er ihren nur einen Meter sechzig kleinen und federleichten Körper ohne Anstrengung oder Stress hochheben.

Diese Frau konnte keine sechs Packungen Nudeln in einer Woche essen. Was für eine Geldverschwendung.

Sie regte sich auf dem kurzen Weg in ihr Zimmer nicht, auch nicht, als er sie ablegte. Es dauerte eine Minute, bis er die Decken geordnet hatte. Er versicherte sich, dass auf jeder Bettseite ein Mülleimer stand, schaltete das Licht aus und schloss die Tür.

Alles wie immer in Debbie Harpers Haus.

Irgendwo in seinem Hinterkopf lächelte Bear ihn traurig an und sagte: Es ist nicht dein Job, Gabriel. Es ist nicht dein Job.

Gabe widersprach dem nicht. Aber er wusste auch nicht, wie er aufhören sollte.

Was sollte er sonst mit seinem Leben anfangen, wenn er sich nicht um seine alkoholkranke Mutter kümmerte?

 

***

 

Er musste Colby zugutehalten, dass er so sanft wie möglich war. Es war eine quälende Entscheidung für Gabe gewesen, das erste Mal seit seinem fünfzehnten Lebensjahr Bottom zu sein, aber der Zahltag für das erste Mal während eines Dreiers Bottom zu sein, war ein entscheidender Faktor gewesen. Chet war sogar so gnädig gewesen, ihm die Entscheidung zu überlassen, wer ihn toppen sollte. Obwohl Gabe gut mit seinem anderen Drehpartner Jon Boomer Buchanan befreundet war, war Boomer manchmal ein ungeschickter Top.

Colby – es fiel ihm immer noch schwer, ihn während der Arbeit nicht mit seinem richtigen Namen anzusprechen – war ein anständiger Typ, der Pornos drehte, als würde ihm jemand eine Waffe an den Kopf halten. Seine Geschichte faszinierte Gabe, aber er hatte nie gefragt. Heute war sowieso Colbys letzter Dreh gewesen, also war es egal. Falls Colby/Shane ins Big Dick's käme, um dort als Tänzer zu arbeiten, würde sich Gabe bemühen.

Gabe hatte sich heute Morgen unter der Dusche lange vorbereitet. Colby hatte ihn beim Dreh selbst viel vorbereitet und Boomer hatte ihn eine Weile gerimmt, was sich fantastisch angefühlt hatte. Die tatsächliche Penetration hatte wehgetan, war aber nicht unerträglich gewesen und Gabe war sogar gekommen. Chet war glücklich mit dem Material, also hakte Gabe es als Sieg ab und floh in die oberen Duschen, um sich zu waschen.

Jon würde ihn später anrufen, um sich zu vergewissern, dass er mit dem Verlauf zufrieden war, weil er nun mal ein guter Kerl war. Sie trainierten regelmäßig miteinander und obwohl sie mehr als ein halbes Dutzend Szenen gefilmt hatten, gab es überhaupt keine Romantik zwischen ihnen. Und das war für Gabe in Ordnung. Es gefiel ihm, einen Freund zu haben, der sich seine verrückten Familienprobleme anhörte, ihn nicht verurteilte und als Gegenleistung für seine Zeit und Aufmerksamkeit keinen Sex erwartete.

Nach einer kurzen Dusche, um sich den Schweiß und die Körperflüssigkeiten des Tages abzuwaschen, schlüpfte er in eine Laufhose und ein T-Shirt aus seiner Tasche. Sein Handy blinkte ihn an. Sechs verpasste Anrufe, alle von Debbie. Keine Nachrichten. Gabe funkelte sein Handy an und wollte, dass seine plötzlich aufwallende Wut jeden einzelnen Anruf löschte. Als es nicht passierte, benutzte er seinen Finger.

Gelöscht.

Chet wartete mit einem Scheck in der Hand vor der aufgebauten Haustür am Set. »Ausgezeichnete Arbeit, mein Junge, sehr guter Film. Hier ist der Vorschuss, den du wolltest.«

Gabe zögerte, den Scheck anzunehmen. Chet war eine Ausnahme in der Porno-Industrie, weil er seine Models auf eine von zwei Arten bezahlte. Zuerst gab es Bargeld im Voraus – keine Tantieme –, was Standard in der Branche war und die schnelle Art, Geld zu verdienen, die Menschen wie Colby normalerweise annahmen. Gabe war eher der Tantiemen-Typ, was normalerweise bedeutete, dass er im Voraus kein Geld bekam, aber dank der Downloads verdiente er sich einen anständigen Prozentsatz zurück. Debbies neueste Nummer mit dem ungesicherten Darlehen hatte dafür gesorgt, dass sich Gabe dazu herablassen musste, Chet um einen Vorschuss für das heutige Video zu bitten.

»Das weiß ich zu schätzen, Chet.« Gabe steckte das Stück Papier in seine Tasche.

»Wenn es bei dir eng wird, kann ich dich öfter als zweimal im Monat einplanen.«

»Ich denk drüber nach.« Er bekam von seinen früheren Filmen monatlich regelmäßig Geld, aber seine Kollektion aufzustocken, würde die Kommastelle vielleicht um eine weitere Stelle verschieben. »Ruf mich an, wenn du mich wieder brauchst.«

»Geh es langsam an, Tony.«

Gabe atmete tief ein, als er das Haus verließ, und stieß den Atem auf dem Weg zu seinem Auto lang gezogen aus. Es war sein Ritual, um Tony abzulegen, den Typ, der ans Set gekommen war und seinen Job gemacht hatte, indem er wie ein Profi gefickt hatte. Und das alles mit einem Lächeln. Sicher, Gabe genoss es. Regelmäßiger Sex ohne den üblichen Ballast und immer, immer sicher. Alle Models waren auf Geschlechtskrankheiten getestet und bei Mean Green Boys fickte niemand ohne Kondom.

Vor zwei Jahren hatte sich Gabe einen ziemlich ekligen Fall von oralem Tripper von einem Aufriss eingefangen, dem er erst einen geblasen und ihn dann gefickt hatte. Trotz Richards Status hatte Gabe dieser Vorfall endlich für die Gefahren von zwanglosem Sex sensibilisiert und er hatte es eine Weile gelassen. Eines Nachmittags hatte er Jon im Fitnessstudio getroffen und nachdem sich ihre Wege in einem Monat öfter gekreuzt hatten, hatten sie angefangen, regelmäßig miteinander zu trainieren. Gabe genoss die Freundschaft und hatte erfahren, dass Jon penibel genau darauf achtete, Infektionen zu vermeiden.

Eines Tages, nachdem sie gemeinsam geduscht hatten, hatte Jon Witze darüber gemacht, dass Gabe mit einem solchen Schwanz Pornos drehen sollte. Gabe hatte darüber gelacht, selbst als Jon weitergemacht hatte, über die Vorteile von gutem, regelmäßigem Sex mit sehr kleinem Risiko zu reden. Ein paar Tage später hatte Gabe einen Anruf bekommen für ein Vorstellungsgespräch als Darsteller mit Chet Green. Es lief gut, Chet hatte ihn mit Dollarzeichen in den Augen angesehen, und das war's dann. Einen Vertrag bei Mean Green Boys zu unterschreiben, war ein Kinderspiel gewesen – außerdem brauchte er das Geld, das er als Kellner nicht verdienen würde.

Die Fahrt vom Firmensitz in Camp Hill über den Susquehanna auf dem Capital Beltway und nach Norden zu seinem Haus in der Harris Street dauerte ungefähr zwanzig Minuten. Er versuchte, den Verkehr und die anderen Fahrer zu ignorieren, versuchte zu ignorieren, was auch immer seine Mutter so dringend wollte, dass sie ihn sechs Mal angerufen hatte, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er kurbelte die Fenster herunter und konzentrierte sich auf den Juliwind und den feuchten, öligen Geruch der Stadt.

Als er vor dem alternden, blauen Haus parkte, war er ziemlich ins Schwitzen geraten. Er musste sich um den Vorgarten kümmern. Er würde das auf seine gedankliche Liste für den Nachmittag setzen. Körperliche Anstrengung würde ihm helfen, das leichte Unwohlsein in seinem Hintern zu vergessen.

Im Haus zerbrach etwas, bevor er überhaupt den Schlüssel ins Schloss stecken konnte. Der Knauf drehte sich, was ihm verriet, dass sie mindestens einmal draußen gewesen sein musste, seit er zum Dreh gefahren war, weil er die Tür immer abschloss. Ihr Keller war voll von alten QVC-Paketen aus der Zeit, ehe er Debbie alle Kreditkarten entrissen hatte, und sie wohnten nicht gerade im besten Teil der Stadt.

Er betrat das Chaos. Das komplette Gegenteil der relativen Ordnung von gestern Abend. Die Kissen lagen nicht mehr auf dem Sofa, die Magazine waren auf dem Boden verstreut. Ein Esszimmerstuhl lag auf der Seite. DVDs und Bücher lagen kreuz und quer auf dem Teppich vor dem Fernseher. Von der Tür aus konnte er den Ursprung des betäubenden Geräuschs nicht ausmachen.

»Mom?«

Debbie stürmte aus dem unteren Badezimmer. Ihr Bademantel flatterte wie ein Cape hinter ihr und ihre roten Haare lagen wie eine ausgefranste Duschhaube um ihren Kopf. Sie stach mit einem Finger in die Luft, während sie wie ein schnaubender Bulle auf ihn zuflog. »Wo ist er? Wo hast du ihn hingetan?«

Gabe hob die Hände und trat einen Schritt zur Seite. »Wo hab ich was hingetan?«

»Meinen Ehering! Du hast ihn mir abgenommen, als ich geschlafen habe, und ihn irgendwo versteckt. Wo ist er?« Saurer Weinatem schlug ihm ins Gesicht. Er überragte seine Mutter um beinahe dreißig Zentimeter, aber es gelang ihr trotzdem irgendwie, größer auszusehen als er. Herrischer, genauso wie damals, als er ein Kind gewesen war und sie ihn geschlagen hatte.

»Ich hab deinen Ring nicht genommen«, sagte Gabe. »Du hast ihn verpfändet, als ich dreizehn war, und mich damals genauso beschuldigt, ihn gestohlen zu haben, wie jetzt.«

»Ich hatte den Ring letzte Nacht.«

Er hasste diese Morgen. Vom Kater gefütterte Schimpftiraden über Vorfälle, die Jahre zurücklagen und ihrer Meinung nach Gabes Schuld waren. Der Ehering war vor mehr als zehn Jahren nach einem besonders hässlichen Streit zwischen Debbie und Bear verschwunden und sie hatte sie beide beschuldigt, ihn genommen zu haben. Bear hatte den Ring schließlich zu einem Pfandleihhaus zurückverfolgt, dessen Besitzer geschworen hatte, dass Debbie ihn ihm selbst verkauft hatte.

Gedächtnisverlust war eine der lustigen Nebenwirkungen von exzessivem Alkoholmissbrauch.

»Du hast den Ring schon seit zehn Jahren nicht mehr«, sagte Gabe. »Alles, was gestern Abend passiert ist, ist, dass ich dich vom Badezimmerboden aufgehoben und deinen betrunkenen Arsch ins Bett gebracht habe.«

Ihre Hand schoss nach vorn, schnell wie immer, und knallte heiß über seine Wange. Sein Kopf bewegte sich nicht, weil sie diese Kraft nicht mehr hatte, aber der Schlag tat weh. Sie versuchte es erneut und er packte ihr Handgelenk, als seine Wut aufflammte. Er drückte zu, bis sie wimmerte, und dann ließ er sie los.

Ihre großen, grünen Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Kinn zitterte. Mit einem lang gezogenen Heulen floh sie ins Wohnzimmer. Ihre Schritte donnerten nach oben, ehe ihre Schlafzimmertür zugeschlagen wurde.

Gabe rieb sich seine noch immer stechende Wange. Dann fing er an, ihr Chaos aufzuräumen.

Schon wieder.

 


 

Kapitel 2

 

 

Big Dick's. Big Dick's. Big Dick's. Big dicks. Große. Schwänze. Große – warum denke ich an große Schwänze?

Tristan Lavelle sah blinzelnd aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Szenerie, die sowohl vertraut als auch neu war. Er fuhr nicht, was gut so war. Er war schon lange kein Auto mehr gefahren. Seit dem Unfall. Der Unfall war der Grund, warum er sich nicht erinnern konnte, warum er an… etwas gedacht hatte. Schwänze?

Aber es war kein Unfall gewesen. Es war einfach leichter und machte weniger wütend, wenn man es als Unfall bezeichnete und nicht als das, was es gewesen war. Oder was man ihm darüber gesagt hatte, weil er sich auch daran nicht erinnern konnte.

Noel fuhr. Noel war sein allerbester Freund und sie hingen regelmäßig miteinander rum, obwohl sie nicht mal mehr zusammenwohnten. Das College war vorbei. Er und Noel lebten nicht mehr mit Billy und Chris zusammen, aber sie besuchten ihn auch manchmal. Zumindest war er sich ziemlich sicher, dass es so war.

Er musterte Noels Profil und hoffte, dass ihm etwas einfallen würde. Eine Vertrautheit mit der Situation oder zumindest mit etwas, das er anhatte. Sein Kurzzeitgedächtnis existierte praktisch nicht, aber er wusste, dass er hin und wieder vertraute Momente hatte. Größtenteils bei Menschen und jetzt auch bei einigen Orten. Es passierte häufig mit Noel und oft an… diesem Ort, an dem er wohnte, der nicht Noel und Billy und Chris gehörte.

Benfield. Ja. Er wusste das. Größtenteils alte Menschen. Nicht viele wie er.

Noels Kleidung kam ihm seltsam vor. Noel war Polizist und trug nicht seine Uniform. Als er zu Besuch kam – Tristan konnte sich nicht erinnern, war sich aber ziemlich sicher –, hatte er keine eng anliegende schwarze Jeans und ein dunkelgrünes, ärmelloses T-Shirt getragen. Party-Outfit.

Tristan sah an sich selbst hinunter. Dunkelblaue Jeans. Nicht wirklich eng, aber keines seiner Kleidungsstücke passte ihm wirklich. Auf seinem schwarzen T-Shirt stand Küss mich, ich bin süß. Billy hatte es ihm zum neunzehnten Geburtstag geschenkt.

Abendzeit. Party-Outfit. Sie gingen aus.

Sein Notizbuch lag offen auf seinem Schoß. Tristan wollte es noch nicht zu Hilfe nehmen. Er wollte versuchen, es selbst zu schaffen, ohne die umfangreichen Notizen, die er sich wahrscheinlich gemacht hatte. Seit dem Unfall hielt er sein Leben in einem nie enden wollenden Strom aus Spiralnotizblöcken fest. Notizblöcke und Klebezettel, die alle Wände in seinem Schlafzimmer bedeckten. Kalender und Erinnerungen auf seinem Laptop, damit er alles machen konnte, angefangen bei der Einnahme seiner Medizin bis hin zum Frühstück.

Ich bin vollkommen kaputt, aber alle versuchen, mich wieder zu reparieren.

Vor allem Noel. Noel war in dieser Nacht da gewesen. Noel war auch verletzt worden. Tristans Familie hatte ihn abgeschrieben, weil er schwul war, aber Noel war immer da gewesen.

»Kannst du die Klimaanlage ein bisschen hochdrehen, Babe? Es ist heiß hier hinten.«

Tristan zuckte bei der Stimme zusammen, die ihm sowohl unbekannt als auch wie ein Déjà-vu vorkam. Er und Noel waren nicht allein. In letzter Zeit waren sie häufig nicht allein, weil Noel mit jemandem zusammen war.

Denk nach. Denk nach. Denk nach. Ich weiß das.

Noel drückte auf den Knöpfen der Klimaanlage an der Konsole herum. »Besser?«

»Ja, danke.«

Noel fuhr vom Highway ab und in die hell erleuchtete Stadt hinein. Harrisburg. Sie waren hier aufs College gegangen. Er kannte die Stadt und liebte es, wenn sie zu Besuch waren. Er brauchte keine Erinnerungen an Ausflüge, um in seinem Herzen zu wissen, dass er diese Stadt liebte. Die Museen und den Fluss und City Island und alles daran.

Er warf einen Blick auf die Person, die hinter Noel saß. Dunkle Haare und Augen. Super süß. Fester Freund. Tristan hatte bestimmte Teile seines Notizbuchs auswendig gelernt und versucht, sich Einzelheiten über diesen Kerl einzuprägen. Name. Job. Familienstatus. So viele kleine Dinge, die sich sein verletztes Hirn nicht merken konnte. Spezifische Einzelheiten, die für immer verloren und nutzlos zu Papier gebracht waren.

Aber er kannte den Mann. Er spürte die Vertrautheit in seinem Herzen, nicht in seinem Kopf. Außerdem wusste Tristan, dass kürzlich etwas Schreckliches mit ihm passiert war.

Frag nicht. Lies das Notizbuch.

 

8. August – Fahre mit Noel und Shane ins Big Dick's. Verspätete Geburtstagsfeier. Haben Geburtstag letzte Woche verpasst, weil Shanes Bruder gestorben ist. Sei heute Abend einfühlsam. Shane. Big Dick's. Geburtstag.

 

Oh. Ach was.

Er hatte Shanes Bruder nie getroffen – selbst ohne in seinem Notizbuch nachzusehen, spürte Tristan die Wahrheit in seinem Herzen. Aber Tristans eigener Bruder war in der Highschool gestorben und er kannte einen Teil dieses Schmerzes. Seiner war nicht der gleiche wie Shanes. Kein Verlust glich dem anderen. Jeder trauerte anders. Er war froh, dass Shane Noel hatte.

»Ich hab gesagt, dass es mir leidtut, richtig?«, fragte Tristan, bevor sein gesunder Menschenverstand die Worte stoppen konnte.

Shane starrte ihn an und zog die Brauen zusammen. »Was denn?«

»Wegen deinem Bruder. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern und ich weiß nicht, ob ich dich seit der Beerdigung gesehen habe und falls ich es nicht gesagt habe, dann tut es mir sehr leid für deinen Verlust.« Dank des Wortschwalls fühlte er sich wie ein Idiot und als hätte er das alles vielleicht schon einmal gesagt.

Wenn ja, erwähnte Shane es nicht. Er lächelte, aber seine Augen blieben traurig. »Danke, Tristan.«

»Ich wünschte, ich hätte ihn kennengelernt.«

»Alle mochten ihn, also bin ich sicher, dass es bei dir genauso gewesen wäre.«

Etwas in Shanes Stimme ließ ihn die Unterhaltung abbrechen. Sie wollten wegen Tristans Geburtstag ins Big Dick's fahren. Nur glückliche Gedanken. Und Shane brauchte die Erinnerung wahrscheinlich nicht. Er lebte jeden Tag mit dem Schmerz. Heute Nacht musste er für ein paar Stunden vergessen.

Vergessen. Ha ha.

Tristan konzentrierte sich auf die abendlichen Straßen und erhaschte hin und wieder einen Blick auf etwas, das er von früher kannte. Ein Ausgangsschild. Ein Restaurant. Eine viel befahrene Kreuzung. Seine Konzentration rutschte ab und er warf zur Erinnerung einen Blick auf den Notizbucheintrag.

Er war zwanzig gewesen, als der Unfall passiert war, also war er noch nie zuvor im Big Dick's gewesen. Laut den Gerüchten war der Türsteher ein Experte darin, gefälschte Ausweise zu erkennen, also hatten er und Noel sich nie die Mühe gemacht, es zu versuchen. Und er war nicht in der Stimmung, Hunderte von handgeschriebenen Seiten durchzublättern, um die Antwort zu finden. »War ich schon mal im Big Dick's?«, fragte er Noel.

»Einmal«, erwiderte Noel. Er wand sich und schien sich mit der Frage unwohl zu fühlen.

Das machte Tristan nervös. »Was ist passiert?«

»Vor ungefähr zwei Monaten hast du entschieden, dass du allein ins Big Dick's wolltest, um dir zu beweisen, dass du es kannst.«

Tristan ließ die Stirn in seine Handfläche fallen. Selbst an seinen besten Tagen war er impulsiv. Seine Erinnerungsprobleme verschlimmerten den Stress nur noch, den er seinen Freunden mit diesen Impulsen aussetzte. »Ich bin durchgedreht, nicht wahr?«

»Ein bisschen. Du hast dein Notizbuch verloren und kanntest niemanden. Der Besitzer hat mich angerufen und ich hab dich abgeholt. Dir ist nichts passiert, Tris.«

Ich wette, dass ich flachgelegt werden wollte.

Tristan musste nicht in seinen Notizen nachsehen, um zu wissen, dass er vor dem Unfall das letzte Mal Sex gehabt hatte. Drei Jahre waren eine verdammt lange Trockenphase. Nicht, dass er sich wirklich an die Trockenphase erinnern konnte. Aber natürlich spürte er das Vergehen der Zeit. Er konnte Noel ansehen und erkannte, wie er sich verändert hatte, und wusste, dass ihre Collegezeit weit zurücklag. Allerdings würde es eine Weile dauern, bis er wusste, wie lange es genau her war.

Irgendwie wusste er instinktiv, dass es drei Jahre waren. Funktionierte hier sein Déjà-vu-Sinn?

Also ja, Trockenphase. Andererseits, wer würde mit einem Typen schlafen wollen, der nach der Hälfte des Akts wahrscheinlich vergaß, was sie taten, und total durchdrehte? Niemand.

Verlierer.

Zumindest kann ich eine Weile tanzen, ohne zu vergessen. Und Noel wird da sein. Ich bin sicher.

Noel war sein Maßstab. Das musste in keinem Notizbuch stehen. Oder zu wissen, dass seine Eltern nicht da waren. Noel war in allem seine einzige Konstante gewesen. Tristan würde ohne ihn nicht funktionieren.

»Ich muss mich schrecklich gefühlt haben, weil ich dich mitten in der Nacht den ganzen Weg nach Harrisburg geschleift habe«, sagte Tristan. »Du wohnst nicht mehr hier.«

Noel nickte und seine Wangen röteten sich, wie es immer passierte, wenn er sich an etwas erinnerte, was er nicht mochte. »Du hast dich schrecklich gefühlt. Aber es hat mir nichts ausgemacht.«

»Ja, richtig. Du solltest nicht meinen Babysitter spielen müssen. Und ich hätte nicht allein ausgehen sollen.« Tristan dachte darüber nach, in seinem Notizbuch zu blättern, um herauszufinden, ob besagte Nacht hier drin zu finden war. Um seine Gedanken zu ergründen. Allerdings wusste er, was es war, weil er sich die meiste Zeit so fühlte.

Einsam. Geil. Verängstigt.

Er hatte sein kaputtes Gehirn satt. Er wollte verzweifelt wieder ganz sein.

Alles davon. Die ganze Zeit.

»Falls ich heute Abend eine Szene mache, möchte ich mich im Voraus entschuldigen.«

Noel drückte sein Knie. »Ich habe die Besitzer gestern Abend angerufen. Sie haben sich an dich erinnert und wissen, dass wir kommen. Ihre Mitarbeiter wissen es.«

Demütigung ließ sein Gesicht heiß glühen. »Scheiße, Noel, wirklich?«

»Ich hab es nicht getan, um dich zu blamieren. Ich hab es getan, um dich zu beschützen. Es ist eigentlich etwas Gutes, wenn andere Menschen von deiner Behinderung wissen.«

Dunkle Augen blitzten in seinen Gedanken auf. Sie gehörten niemand Bestimmtem. Er sah sie gelegentlich und aus keinem besonderen Grund. Freundliche, dunkle Augen. Ein warmes Lächeln.

»Hab ich in letzter Zeit neue Freunde gefunden?«, fragte Tristan.

»Freunde? Nein.« Noel nahm die Ausfahrt zu einem anderen Stadtteil. »Ich meine, du hast neue Leute kennengelernt, wenn wir ausgehen. Du hast ein paar Leute in Stratton kennengelernt.«

»Okay.«

Noel stellte das Auto in einem Parkhaus ab, in dem man pro Stunde bezahlte, und nicht auf der Straße. Tristan warf einen weiteren Blick in sein Notizbuch, um sich noch einmal zu versichern, dann schrieb er sich mit einem dicken Filzstift Noel, Shane und tanzen auf beide Handrücken. Er würde etwas albern aussehen, aber es würde helfen.

Die späte Stunde half nicht gegen die glühende Augusthitze und Tristan kam beim Laufen ganz schön ins Schwitzen. Shane und Noel sahen in ihrem Club-Outfit verdammt sexy aus und noch sexyer, wenn sie nebeneinander gingen. Er freute sich für Noel. Er freute sich, dass sein bester Freund verliebt war und sich amüsierte.

Außerdem war er lächerlich und wahnsinnig eifersüchtig.

Er hielt sich an diese lächerliche, wahnsinnige Eifersucht, weil die Straßen mit Menschen allen Alters vollgestopft waren, die in und aus den verschiedenen Restaurants und Clubs strömten. Sie bogen in eine ruhigere Seitenstraße ein, die eher eine Gasse war. Eine Industrietür ohne Schild oder ein Erkennungszeichen wurde von einem großen, stämmigen Mann mit einer schwarzen Lederweste bewacht.

»Hey, Officer Carlson«, sagte der Türsteher. Die tiefe Stimme passte zu seinem massigen Körper. »Schön, Sie wiederzusehen.«

»Hi, Mr. Henson«, sagte Noel.

»Bear, Sohn. Alle nennen mich Bear.«

»Richtig. Das ist mein Freund Tristan Lavelle.«

»Ein wahres Vergnügen.«

Tristan schüttelte Bears Hand und war von seinem sanften Griff überrascht. »Hi.« Er sah Shane an, den es überhaupt nicht zu nerven schien, ausgeschlossen zu werden. »Ähm, das ist Shane. Noels Freund.«

Bear grinste. »Ja, das wusste ich schon.«

»Ach ja?« Er griff nach einem Notizbuch, das er nicht hatte, und sah dann Noel fragend an.

»Shane tanzt einmal die Woche hier«, sagte Noel. »Er hat den Job über Bears Sohn Gabe bekommen.«

»Oh.« Er machte sich nicht die Mühe zu fragen, ob man ihm das bereits gesagt hatte. Wahrscheinlich. Jede einzelne Information, die auch nur ein klein wenig wichtig für sein Leben war, hatte man ihm mindestens, oh, achtzehn Mal erzählt. Minimum.

»Amüsiert euch, Jungs«, sagte Bear. »Die erste Runde geht aufs Haus.«

»Danke«, erwiderte Tristan.

Noel zog an der Tür und der entfernte Bass wurde nun zu einem Dröhnen in Tristans Brust. Die Einrichtung des Clubs war offen und dunkel. Es gab eine hohe Decke, die mit roten und blauen Lichterketten dekoriert war. Stroboskopisches Licht zuckte über die Tanzfläche, die den größten Teil des Clubs auszumachen schien. An der rechten Seite stand eine kleine, u-förmige Bar. Im hinteren Teil gab es etwas, das wie erhöhte Plattformen aussah. Zwei heiße Typen in roten, sehr kurzen Shorts wirbelten gemeinsam darauf herum.

Ist das die Art Tanz, die Shane macht? Scheiße.

Wahrscheinlich war er da oben noch zwanzig Mal heißer.

Jemand schob sich an ihnen vorbei und erinnerte Tristan daran, sich vorwärtszubewegen. Noel schob sie direkt auf die Bar zu. Tristan konnte wegen seiner Antidepressiva und den Medikamenten gegen die Angstzustände keinen Alkohol trinken und Noel war der Fahrer, also war Shane der Einzige, der viel trinken konnte.

Glücklicher Mistkerl.

Nicht, dass Tristan seine alkoholfreie Nacht betrauern würde. Männer. Überall um ihn herum, ein Meer aus heißen Männern. Unendlich viele Augenweiden. Jedes Alter, jede Größe, jedes Gewicht, jede Form und jede nur erdenkliche Form von Körperbehaarung. Er sah sich um und sabberte gedanklich wegen all dieses Fleischs. Die Luft roch nach Alkohol und Schweiß und Sex und lieber Gott, von all dem wurde ihm schwindlig.

Noel schob sie näher an die Bar heran. Ein Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und einer pinken Paillettenweste lächelte sie so breit an, dass seine Zähne zu sehen waren. »Noel und Freunde«, sagte er. »Richard Brightman, freut mich, dich offiziell kennenzulernen, Tristan.«

»Hallo«, sagte Tristan. Offiziell kennenzulernen deutete an, dass sie schon mal miteinander zu tun hatten, aber bei dem Namen klingelte es nicht.

»Ich bin Bears Ehemann. Uns gehört der Laden.«

»Oh. Es ist toll hier. Ich bin ziemlich sicher, dass es mein erstes Mal ist. Es gefällt mir.«

Noel zuckte zusammen.

Okay, das war falsch. Wann war ich schon mal hier?

»Also, was trinken wir heute Abend?«, fragte Richard. »Die erste Runde geht aufs Haus. Samuel Adams für dich, Shane?«

»Ja, danke«, erwiderte Shane.

Richard weiß das, weil Shane hier arbeitet.

»Ich nehme einen Wodka Tonic«, sagte Noel. »Tris?«

»Eine alkoholfreie Margarita«, sagte Tristan. Er liebte Margaritas und obwohl ein alkoholfreier nicht so gut war wie der mit Patrón, durfte er es nicht mit seinen Medikamenten mischen.

»Kommt sofort«, sagte Richard.

Die Musik wechselte zu einem schnelleren, schärferen Beat. Tristans Hüften kreisten in winzigen Bewegungen und sein Instinkt brachte seine Liebe zum Tanzen im Club hervor. Seine Liebe dazu, mit einem anderen Kerl zu tanzen; sich windende Körper und kreisende Hüften. Arme und Beine. Schweiß und schwerer Atem.

Wundervolle Erregung machte sich in seinem Bauch breit und erhitzte bereits jetzt sein Blut. Vielleicht wurde er heute Abend nicht flachgelegt, aber verdammt, er würde sich etwas amüsieren.

»Hey, ihr Jungs habt es geschafft«, sagte eine sexy, sinnliche Stimme.

Tristan sah über die Schulter, um herauszufinden, mit wem die Stimme gesprochen hatte, doch er starrte direkt in zwei freundliche, dunkle Augen. Freundliche, dunkle Augen, die zu einem atemberaubend gut aussehenden Gesicht gehörten. Schwarze Haare. Gebräunte Haut. Groß und gut gebaut. Ein wandelnder feuchter Traum, der ihn anlächelte, als wären sie alte Freunde.

Heilige Scheiße, er ist umwerfend.

»Hey, Gabe«, sagte Shane.

Gabe.

Der Blick dieser freundlichen, dunklen Augen löste sich nicht von ihm und Tristan konnte nicht wegsehen. Gabe war ein Fremder und trotzdem irgendwie vertraut.

Seine Augen. Die Augen, die ich sehe. Wir sind uns begegnet.

»Wir kennen uns«, sagte Tristan, ehe er noch einmal darüber nachdenken konnte.

Gabes Augenbrauen zuckten. »Ja, tun wir. Erinnerst du dich daran?«

»Ich erinnere mich an deine Augen.«

»Du erinnerst dich an meine Augen?« Er klang nicht überrascht oder befremdet. Eher zufrieden, dass dieses Detail tatsächlich hängen geblieben war.

Es machte Tristan verdammt glücklich. »Das ist seltsam, richtig? Ich erinnere mich an deine Augen, aber ich kann nicht sagen, was ich heute zum Abendessen hatte.«

»Ich nehme an, dass ich Eindruck hinterlassen habe.«

»Es ist leicht zu erkennen, warum.« Scheiße, ja. Tristan flirtete. Heißer Typ. Trockenperiode. Er war ausgegangen, um Spaß zu haben. »Ich nehme an, dass wir uns hier begegnet sind?«

»Ja, sind wir.« Gabe sah zu Noel, der die Geschichte anscheinend kannte, weil er Gabe zunickte. »Vor ungefähr zwei Monaten. Du bist allein in den Club gekommen.«

Das Grauen kroch langsam in ihm heran. »Wie schlimm hab ich mich blamiert?«

»Nicht sehr. Sobald mein Dad Noel angerufen und er alles erklärt hatte, war es in Ordnung. Ich bin froh, dass ich hier war, um zu helfen.«

Er ließ eine Menge Einzelheiten aus, an die sich Tristan in einer halben Stunde nicht mehr erinnern würde, und er war sich nicht ganz sicher, ob er sie hören musste. Wahrscheinlich zum zweiten, dritten oder zehnten Mal. Anstatt das Thema zu vertiefen, nahm er einen tiefen Schluck von seiner Margarita, genoss das Prickeln der Limette und das Salz auf seiner Zunge. Dann sah er Gabe in die Augen und fragte: »Willst du tanzen?«

Gabe grinste sofort und es blendete ihn. »Definitiv.«

Tristan stürzte den Rest seines Drinks hinunter, ehe er das Glas auf die Bar stellte. Er schnappte sich Gabes Hand und führte ihn in das Meer aus den sich bewegenden Körpern. Arme und Hüften stießen ihn an und glitten über ihn hinweg. Die Musik durchdrang ihn und legte den Beat fest, als er sich zu Gabe umdrehte, der sich bereits bewegte. Ein weißes T-Shirt schmiegte sich an ein wahrscheinlich perfektes Sixpack. Die schwarze Jeans umschmeichelte seinen Hintern und betonte das hübsche Paket zwischen seinen Beinen.

So verdammt heiß.

Und fürs Erste gehörte er ihm, also ließ Tristan Gabes Hand los, schloss die Augen und tanzte.

 

***

 

Noel Carlson stützte sich mit einem Arm auf dem Tresen ab, während er den anderen um die Taille seines Freundes legte. Er und Shane beobachteten, wie Tristan auf der Tanzfläche zum Leben erwachte.

Big Dick's

Noel hatte die tränenreiche Bemerkung mehr als einmal gehört und es tat jedes Mal weh. Er wusste, dass Tristan unglücklich darüber war, in dem betreuten Wohnheim zu leben und von älteren Menschen umgeben zu sein. Er wusste nicht, wie er ihm helfen sollte, außer den kleinen Schritten wie dem Ausgehen heute Abend.

»Er sieht glücklich aus«, sagte Shane.

»Ich weiß.«

Tristan wand sich zum Rhythmus des Lieds und schlängelte hin und wieder seinen Arm um Gabes Schultern oder seine Taille. Gabe war ein paar Zentimeter größer als er und solide fünfzehn Kilo Muskelmasse mehr. Tristan war einen Meter achtzig groß, aber verdammt dürr, weil er aus Versehen regelmäßig Mahlzeiten ausließ und Noel damit auf die Palme brachte. Er hatte mehr als einmal mit dem Personal in Benfield darüber gesprochen und erst kürzlich hatte er mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn sie nicht dafür sorgten, dass sich anständig um Tristan gekümmert wurde.

Noel hatte diese Art Macht, auch wenn er es Tristan nie sagen würde. Denn aufgrund von Tristans geistigem Zustand hatten seine Eltern die Handlungsvollmacht und zahlten für all seine medizinischen Ausgaben. Letzte Woche hatte ein Anwalt für Justin Lavelle Dokumente überbracht, die Noel die Vollmacht über Tristan gaben. Seine Eltern würden weiter für sein Zimmer und die Ausgaben in Benfield aufkommen, aber sie wollten nicht länger über seine Fürsorge informiert werden oder dafür verantwortlich sein.

Nachdem Noel zehn Minuten damit verbracht hatte, seine Wut bei Shane abzulassen, hatte er die Papiere unterschrieben. Zumindest hatte jemand, der Tristan aufrichtig liebte, die Kontrolle über seine Gesundheit und Zukunft.

Er hatte nur noch nicht herausgefunden, wie er es Tristan sagen sollte. Es war nur ein weiterer Grund für Tristan, sich für eine riesige Enttäuschung für seine Eltern zu halten.

Tristans Tanz wankte. Er sah sich mit leicht geweiteten Augen um, ehe er auf seine Hände starrte. Gabe sagte etwas. Tristan lächelte und alles war wieder normal.

Gedächtnisfehler.

»Es ist irgendwie seltsam«, sagte Noel und schrie Shane praktisch ins Ohr, um über die Musik gehört zu werden.

»Was ist seltsam?«

»Dass Tristan da draußen mit einem Porno-Star tanzt.«

Shane verschluckte sich so heftig an seinem Bier, dass Noel eine Serviette von der Theke nehmen musste, damit er sich die Nase putzen konnte. »Arschloch.«

Noel lachte. »Ich schwöre, dass ich nicht versucht habe, dich umzubringen.«

»Ja, richtig.« Er beugte sich vor und sein Atem kitzelte Noels Ohr. »In ein paar Minuten bist du auch da draußen und tanzt mit einem Porno-Star, weißt du?«

»Ehemaliger Porno-Star.«

»Pedant.«

Shane hatte vor ein paar Monaten Internet-Pornos gedreht, um einen riesigen Schuldenberg abzubauen, der durch medizinische Ausgaben entstanden war, und um die Last von seinem kränklichen Bruder Jason zu nehmen. Die Pornos hatten an Shanes Seele gezehrt und ihn und Noel beinahe voneinander ferngehalten. Aber letztendlich waren die Schulden bezahlt und Shane war frei. Er hatte sogar einen Job als Tänzer im Big Dick's bekommen. Dank seiner Verbindung zu Gabe am Set. Das Einzige, was es nicht getan hatte, war, Jasons Leben zu retten. Er war an einem schweren Herzinfarkt gestorben, als Noel und Shane einen Geburtstagskuchen für Tristan gemacht hatten.

Einige Tage waren schwerer als andere, aber Shane setzte die Teile wieder zusammen und Noel würde alles tun, um es für ihn leichter zu machen.

»Das Wort ehemaliger ist für die Bezeichnung sehr wichtig«, sagte Noel. »Es bedeutet, dass egal, was früher passiert ist, du jetzt ganz mir gehörst.«

Shanes sanftes Lächeln war mehr wert als hundert ausgesprochene Ich liebe dich. »Ja, das bin ich. Lass uns tanzen, Officer.«

Noel trank seinen Wodka Tonic aus, ehe er zu Shane und den Tanzenden stieß. Er hatte Shane tanzen sehen. Er würde diesen Club nicht ohne Ständer verlassen.