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Der Autor

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Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. Tilman Wetterling: Studium der Chemie und Medizin in Göttingen, 1986 Arzt für Neurologie und Psychiatrie, 1987–1997 Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie der Med. Universität zu Lübeck, 1991 Habilitation für das Fach Psychiatrie mit einer Arbeit zur »Differentialdiagnose dementieller Abbauprozesse«. 1997 apl. Professor für Psychiatrie (Med. Universität zu Lübeck).

1997–2003 Leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt/M.

2003–2016 Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Kaulsdorf, Berlin.

2005–2017 apl. Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, Berlin.

Arbeitsgebiete:

 

•  Neuropsychiatrische Erkrankungen, insbesondere Demenz und Delir einschl. rechtlicher Aspekte

•  Multimorbidität

•  Alkoholerkrankung einschl. rechtlicher Aspekte

•  Nebenwirkungen von Psychopharmaka

www.prof-wetterling.de

Tilman Wetterling

Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen

Ein Leitfaden zur Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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2., überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-037914-5

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-037915-2

epub:    ISBN 978-3-17-037916-9

mobi:    ISBN 978-3-17-037917-6

Vorwort

 

 

 

Das Recht, selbst bestimmen zu können, ist ein Grundrecht in modernen Demokratien. Voraussetzung dafür ist ein eigener freier Wille, mit dem man entscheiden kann,

•  was man (im Rahmen der Gesetze) tun will, z. B. Geschäfte tätigen, Verträge zu schließen, etc. (Geschäftsfähigkeit)

•  was man aus seinem Besitz wem bei seinem Tode hinterlassen will (Testierfähigkeit).

Die Frage, ob die Fähigkeit zu einer freien Willensbestimmung gegeben ist, ist nicht nur eine philosophische und politische, sondern auch eine medizinische. Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, v. a. des Gehirns, die die freie Selbstbestimmung einschränken. Davon sind besonders ältere Menschen betroffen.

In Deutschland verändert sich die Altersstruktur seit über 60 Jahren deutlich, sodass es immer mehr hochbetagte Menschen gibt. Diese leiden häufig unter typischen Alterserkrankungen, u. a. unter kognitiven und auch psychischen Störungen. Daher stellt sich oft die Frage, ob die Geschäftsfähigkeit noch gegeben ist. Viele Hochbetagte haben im Laufe ihres Lebens ein erhebliches Vermögen erworben. Wenn sie erst spät ein Testament verfassen, ergibt sich mitunter die Frage, ob sie noch testierfähig waren.

Bei entsprechenden Auseinandersetzungen vor Gericht werden nicht selten psychiatrische Gutachten angefordert. Die zivilrechtliche Beurteilung der Geschäfts- und Testierfähigkeit unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von einer forensischen Begutachtung strafrechtlicher Fragen. Da die zivilrechtliche Begutachtung oft posthum erfolgen muss, wird sie allgemein als sehr schwierig angesehen. In meiner mehr als 25-jährigen Praxis als Gutachter haben mich besonders die enorme Ausdauer und die Energie, die in langjährige Erbschaftsstreitigkeiten durch alle Gerichtsinstanzen investiert werden, nachdenklich gemacht. Ich habe Erbschaftsprozesse erlebt, die bis zu 19 Jahre andauerten und trotz des zwischenzeitlichen Todes der direkten Erben erbittert weiter geführt wurden. Dies zeigt, dass es beim Erben um ein elementares Bedürfnis von Menschen geht.

Auch hat mich immer wieder erschreckt, mit welchen Erwartungen von Prozessbeteiligten und insbesondere privaten Auftraggebern Gutachten verbunden sind. Viele wünschen sich eine Art Schiedsrichter, der mit seiner Fachautorität endlich der »Gegenseite« einmal sagt, wer wirklich Recht hat. Diese Erwartungen kann ein Gutachten nicht erfüllen, weil es um die Beurteilung der Fähigkeiten einer Person (Erblasser) geht. Gutachten sollen v. a. dem Gericht eine Grundlage für seine Entscheidung bieten.

Von einem Gutachter wird erwartet, dass er bei seiner Beurteilung sorgfältig vorgeht und möglichst alle Gesichtspunkte berücksichtigt. Da es in Deutschland bisher keine ausführliche Publikation zu diesem Themenkomplex gab, habe ich mich entschlossen, aufbauend auf meiner langjährigen Erfahrung als Gutachter und Neuropsychiater die wichtigsten Gesichtspunkte in einem Buch darzustellen. Dabei habe ich versucht, die unterschiedlichen juristischen und medizinischen Denkweisen (vorwiegend induktiv aus der Rechtsphilosophie vs. deduktiv aus empirischen Daten) zu berücksichtigen und, so dies möglich ist, zusammenzuführen.

Der Autor möchte dem Kohlhammer-Verlag danken für die Bereitschaft, dieses Buch zu veröffentlichen. Ganz besonders möchte ich mich bei Herrn Dr. Poensgen und Frau Bach bedanken, die dieses Buchprojekt ausdauernd unterstützt haben.

 

Berlin, Januar 2016
T. Wetterling

Vorwort zur 2., aktualisierten Auflage

 

 

 

Bei der Überarbeitung des Textes wurden v. a. neuere medizinische Erkenntnisse sowie neue Gerichtsurteile berücksichtigt. Soweit schon bekannt, wurden die neuen Kriterien/ Definitionen der ICD-11 (WHO 2019) angegeben. Da hiervon noch keine autorisierte Übersetzung vorlag, stammen die Übersetzungen vom Verfasser.

Der Autor möchte dem Kohlhammer-Verlag und insbesondere Herrn Dr. Poensgen sowie Frau Dr. Rapp und Frau Brutler dafür danken, dass sie die neu überarbeitete Auflage des Buches ermöglicht haben.

 

Berlin, Dezember 2019
T. Wetterling

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort
  2. Vorwort zur 2., aktualisierten Auflage
  3. Praktische Hinweise
  4. Abkürzungsverzeichnis
  5. 1 Gesellschaftliche Aspekte
  6. 1.1 Demografische Entwicklung (alternde Gesellschaft)
  7. 1.2 Zunahme alterstypischer Erkrankungen
  8. 1.3 Vererbte Vermögenswerte
  9. 1.4 Psychodynamik
  10. 2 Geschäftsfähigkeit
  11. 2.1 Juristische Voraussetzungen
  12. 2.1.1 Relative/partielle Geschäftsunfähigkeit
  13. 2.2 Rechtsprechung
  14. 2.2.1 Beweislast
  15. 2.2.2 Kriterien für Geschäftsfähigkeit
  16. 2.3 Prozessfähigkeit
  17. 2.4 Deliktfähigkeit
  18. 2.5 Ehefähigkeit
  19. 2.6 Versicherungsvertragsgesetz
  20. 2.6.1 Rechtsprechung
  21. 3 Testierfähigkeit
  22. 3.1 Juristische Voraussetzungen
  23. 3.2 Rechtsprechung
  24. 3.2.1 Beweislast
  25. 3.3 Spezielle Aspekte
  26. 3.3.1 Partielle Testierfähigkeit
  27. 3.3.2 Testament eines Betreuten
  28. 3.4 Inhalt des Testaments
  29. 4 Freier und natürlicher Wille
  30. 4.1 Philosophische und neurowissenschaftliche Aspekte
  31. 4.2 Rechtsprechung
  32. 4.3 Prozess der Willensbestimmung
  33. 4.3.1 Informationsaufnahme
  34. 4.3.2 Speicherung und Abruf von Informationen
  35. 4.3.3 Informationsverarbeitung und Urteilsbildung
  36. 4.3.4 Willensbildung und -umsetzung
  37. 4.4 Natürlicher Wille
  38. 4.5 Mutmaßlicher Wille
  39. 5 Krankhafte Störung der Geistestätigkeit
  40. 5.1 Amnestisches Syndrom
  41. 5.1.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  42. 5.1.2 Differenzialdiagnose
  43. 5.1.3 Ursachen
  44. 5.1.4 Verlauf
  45. 5.1.5 Gutachterliche Beurteilung
  46. 5.2 Demenzielles Syndrom
  47. 5.2.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  48. 5.2.2 Differenzialdiagnose
  49. 5.2.3 Ursachen
  50. 5.2.4 Verlauf
  51. 5.2.5 Gutachterliche Beurteilung
  52. 5.3 Depressives Syndrom
  53. 5.3.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  54. 5.3.2 Differenzialdiagnose
  55. 5.3.3 Ursachen
  56. 5.3.4 Verlauf
  57. 5.3.5 Gutachterliche Beurteilung
  58. 5.4 Manisches und bipolar affektives Syndrom
  59. 5.4.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  60. 5.4.2 Differenzialdiagnose
  61. 5.4.3 Ursachen
  62. 5.4.4 Verlauf
  63. 5.4.5 Gutachterliche Beurteilung
  64. 5.5 Persönlichkeitsveränderungen
  65. 5.5.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  66. 5.5.2 Differenzialdiagnose
  67. 5.5.3 Ursachen
  68. 5.5.4 Verlauf
  69. 5.5.5 Gutachterliche Beurteilung
  70. 5.6 Schizophrenes Syndrom und andere Wahnerkrankungen
  71. 5.6.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  72. 5.6.2 Differenzialdiagnose
  73. 5.6.3 Ursachen
  74. 5.6.4 Verlauf
  75. 5.6.5 Gutachterliche Beurteilung
  76. 5.7 Suchterkrankungen (Gebrauch psychotroper Substanzen)
  77. 5.7.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  78. 5.7.2 Differenzialdiagnose
  79. 5.7.3 Ursachen
  80. 5.7.4 Verlauf
  81. 5.7.5 Gutachterliche Beurteilung
  82. 5.8 Sonstige Erkrankungen
  83. 5.8.1 Autismus
  84. 5.8.2 Enzephalopathien
  85. 5.8.3 Epilepsie
  86. 5.8.4 Infektionen des zentralen Nervensystems
  87. 5.8.5 Multiple Sklerose
  88. 5.8.6 Parkinson-Syndrom
  89. 5.8.7 Schädel-Hirn-Traumen (Kopfverletzungen)
  90. 5.8.8 Vaskulär bedingte Enzephalopathie
  91. 5.8.9 Tumoren des Zentralnervensystems
  92. 5.9 Wirkungen von Arzneimitteln (Medikamenten)
  93. 5.9.1 Wirkungen von Medikamenten auf Hirnfunktionen
  94. 5.9.2 Polypharmazie (Multimedikation)
  95. 5.9.3 Gutachterliche Beurteilung
  96. 5.10 Psychiatrische Komorbidität
  97. 5.10.1 Ursachen
  98. 5.10.2 Verlauf
  99. 5.10.3 Gutachterliche Beurteilung
  100. 5.11 Multimorbidität
  101. 5.11.1 Beispiele für Multimorbidität
  102. 5.11.2 Verlauf
  103. 5.11.3 Gutachterliche Beurteilung
  104. 6 Geistesschwäche (Intelligenzminderung)
  105. 6.1 Psychopathologische und neuropsychologische Symptome
  106. 6.2 Differenzialdiagnose
  107. 6.3 Ursachen
  108. 6.4 Verlauf
  109. 6.5 Gutachterliche Beurteilung
  110. 6.5.1 Geschäftsfähigkeit
  111. 6.5.2 Testierfähigkeit
  112. 7 Bewusstseinsstörung
  113. 7.1 Quantitative Bewusstseinsstörungen
  114. 7.1.1 Psychopathologische und neuropsychologische Symptome
  115. 7.1.2 Differenzialdiagnose
  116. 7.1.3 Ursachen
  117. 7.1.4 Verlauf
  118. 7.1.5 Gutachterliche Beurteilung
  119. 7.2 Qualitative Bewusstseinsstörungen (Delir/ Verwirrtheitszustand)
  120. 7.2.1 Neuropsychologische und psychopathologische Symptome
  121. 7.2.2 Differenzialdiagnose
  122. 7.2.3 Ursachen
  123. 7.2.4 Verlauf
  124. 7.2.5 Gutachterliche Beurteilung
  125. 8 Empirische Untersuchungsergebnisse
  126. 8.1 Neuropsychologische Untersuchungen
  127. 8.1.1 Wahrnehmungsstörungen
  128. 8.1.2 Gedächtnisstörungen
  129. 8.1.3 Störungen der exekutiven Funktionen
  130. 8.1.4 Entscheidungsfindung (Decision-Making)
  131. 8.2 Standardisierte Erfassung von komplexen Fähigkeiten
  132. 8.3 Vergleich der Angaben von Betroffenen und Informanten
  133. 8.3.1 Angaben zu Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL)
  134. 8.3.2 Angaben zu Hirnfunktionsstörungen
  135. 8.4 Zusammenhänge zwischen verschiedenen Hirnfunktionsstörungen
  136. 9 Neuropsychiatrische Begutachtung
  137. 9.1 Prozedere
  138. 9.1.1 Anforderung eines Gutachtens durch ein Gericht
  139. 9.1.2 Anforderung eines Gutachtens durch Privatpersonen
  140. 9.1.3 Sachverständiger
  141. 9.1.4 Ärztliche Atteste
  142. 9.2 Anforderungen an Sachverständigengutachten
  143. 9.3 Methodik der Begutachtung
  144. 9.3.1 Abfassung eines Gutachtens
  145. 9.4 Auswertung von Aussagen und Unterlagen
  146. 9.4.1 Ärztliche Unterlagen/Angaben
  147. 9.4.2 Vorgutachten
  148. 9.4.3 Pflegedokumentation (Pflegeberichte)
  149. 9.4.4 Dokumente des zu Begutachtenden
  150. 9.4.5 Testergebnisse
  151. 9.4.6 Neuroradiologische Befunde
  152. 9.5 Zeugenangaben/-aussagen
  153. 9.5.1 Rechtsprechung
  154. 9.5.2 Inhalt der Angaben bzw. Aussagen
  155. 9.5.3 Beobachtungen (direkte Wahrnehmungen)
  156. 9.5.4 Einschätzungen bzw. Schlussfolgerungen
  157. 9.5.5 Unterschiedliche Beobachtungszeitpunkte
  158. 9.5.6 Beobachtungssituation
  159. 9.5.7 Bewertung von Zeugenaussagen
  160. 9.6 Gutachtenerstellung
  161. 9.6.1 Gutachten zur Geschäfts(un)fähigkeit
  162. 9.6.2 Gutachten zur Testier(un)fähigkeit
  163. 9.6.3 Gutachten bei Selbsttötung (Suizid)
  164. 10 Anhaltspunkte für die Beurteilung
  165. 10.1 Psychopathologie
  166. 10.1.1 Wahrnehmungsstörungen, Sinnestäuschungen und Ich-Störungen
  167. 10.1.2 Aufmerksamkeits-, Bewusstseins- und Vigilanzstörungen
  168. 10.1.3 Orientierungsstörungen
  169. 10.1.4 Gedächtnisstörungen
  170. 10.1.5 Formale Denkstörungen
  171. 10.1.6 Inhaltliche Denkstörungen (Wahn)
  172. 10.1.7 Störungen der Affektivität
  173. 10.1.8 Störungen des Antriebs und der Psychomotorik
  174. 10.1.9 Andere psychopathologische Symptome (Verhaltensauffälligkeiten)
  175. 10.1.10 Psychopathometrische Skalen
  176. 10.2 Neuropsychologische und andere Störungen
  177. 10.2.1 Sprachstörungen
  178. 10.2.2 Störung der Exekutivfunktionen (Planung und Handlungssteuerung)
  179. 10.2.3 Beeinträchtigungen der Aktivitäten des täglichen Lebens (ATLs)
  180. 10.2.4 Neuropsychologische und andere Testverfahren
  181. 10.3 Verlaufsaspekte
  182. 10.3.1 Differenzierung strukturelle Schädigung – funktionale Störung
  183. 10.3.2 Verlaufsformen
  184. 10.3.3 Kurzzeitige Besserung (luzides Intervall)
  185. 10.4 Andere Aspekte (Einfluss Dritter, Kontinuität des Willens etc.)
  186. 10.4.1 Einfluss Dritter
  187. 10.4.2 Kontinuität des Willens
  188. 10.4.3 Impulsivität
  189. 10.4.4 Fehlende Krankheitseinsicht
  190. 10.4.5 Gesamteindruck (Gesamtpersönlichkeit)
  191. 11 Abschließende Bemerkungen
  192. Literatur
  193. Stichwortverzeichnis

Praktische Hinweise

 

 

 

In diesem Buch werden viele Hinweise auf die Rechtsprechung in Deutschland gemacht. Da Kommentare zur Rechtsprechung meist nur Juristen zugänglich bzw. geläufig sind, wurden diese nur in Einzelfällen zitiert. Hauptsächlich wurde auf Gerichtsurteile verwiesen. Diese sind zu einem großen Teil im Internet frei zugänglich (z. B. über http://www.dejure.org).

Bei den Verweisen auf die medizinische Fachliteratur wurde ebenfalls versucht, frei im Internet zugängliche Literatur auszuwählen. Von den meisten medizinischen Arbeiten finden sich in PubMed (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pub med) kurze Zusammenfassungen (Abstracts) bzw. in PMC (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc) die vollständigen Artikel.

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

AG

Amtsgericht

ATL

Aktivitäten des täglichen Lebens (engl.: Activities of daily living = ADL) (Körperhygiene, Haushalt führen etc.)

BayObBLG

Bayerisches Oberstes Landgericht (inzwischen aufgelöst)

BGH

Bundesgerichtshof

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

cCT

Craniale Computertomografie

DSM

Diagnostic and Statistical Manual, verschiedene Versionen

fMRT

Funktionelle Magnetresonanztomografie

ICD-10

International Classification of Diseases, Chapter V (WHO 1991)

ICF

International Classification of Functioning, Disability and Health (WHO 2005; deutsch: http://www.dimdi.de/static/de/index.html)

IQ

Intelligenzquotient

KG

Kammergericht (Berlin) (http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/)

LG

Landgericht

MCI

Mild Cognitive Impairment = leichte kognitive Störung

MMST

Mini-Mentalstatus-Test (Folstein et al. 1975)

MRT

Magnetresonanztomografie

MS

Multiple Sklerose

PMC

PubMed Public Medicine = Medline

OLG

Oberlandesgericht

UAW

Unerwünschte Arzneimittelwirkung

SHT

Schädel-Hirn-Trauma

WMH

White Matter Hypodensities = neuroradiologischer Befund von Marklager-Veränderungen

ZPO

Zivilprozessordnung (http://www.zivilprozessordnung-zpo.de/)

1          Gesellschaftliche Aspekte

 

 

 

In den letzten Jahrzehnten sind in der Bundesrepublik Deutschland einige gesamt-gesellschaftlich wichtige Entwicklungen zu verzeichnen, die sich allen Prognosen nach fortsetzen werden, u. a.:

•  Die Bevölkerung wird immer älter, d. h. das Durchschnittsalter steigt, und daher

•  Zunahme der alterstypischen Erkrankungen und der Multimorbidität.

•  Aufgrund der geringen Geburtenrate und der neuen Formen des Zusammenlebens haben viele Menschen keine direkten Nachkommen mehr.

•  Immer mehr ältere Menschen haben ein beträchtliches Vermögen erworben und dieses dann im Falle ihres Todes zu vererben.

 

1.1       Demografische Entwicklung (alternde Gesellschaft)

 

Die mittlere Lebenserwartung hat in Deutschland in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen (Destatis 2011). Das mittlere Sterbealter betrug 2013 81,8 Jahre für Frauen und 74,5 Jahre für Männer (Destatis 2015a). Aufgrund der gestiegenen Lebensdauer und der geringen Geburtenrate (Destatis 2012) in den letzten Jahrzehnten ist der Anteil der über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland stark von 1,0 % (1950) auf 6,2 % (2017) gewachsen, und diese Entwicklung wird weiter anhalten (Destatis 2009, 2015b).

 

1.2       Zunahme alterstypischer Erkrankungen

 

Infolge der demografischen Entwicklung mit einer steigenden Zahl an älteren Menschen wächst auch die Zahl derer, die an Alterserkrankungen, insbesondere Herz-Kreislauf- und Krebs- sowie neuropsychiatrischen Erkrankungen leiden. Deren Häufigkeit steigt mit dem Lebensalter deutlich an. Menschen im höheren Lebensalter leiden sehr oft an mehreren Erkrankungen gleichzeitig (Multimorbidität) (image Kap. 5.11). Nach einer Schätzung leiden in Deutschland etwa 165.000 Menschen an einer akuten neuropsychiatrischen Erkrankung, die mit einer schweren Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten einhergehen kann (Wetterling 2002, S. 11). Deutlich höher liegen die Zahlen für Menschen mit chronischen neuropsychiatrischen Erkrankungen. Eine Reihe von Studien zeigen, dass insbesondere das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Demenz zu erkranken, sehr hoch ist. Es wird auf über 20 % geschätzt (Lobo et al. 2011; Fishman 2017; Seshadri und Wolf 2007). Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Etwa 20 % aller Menschen erleiden während ihres Lebens einen Schlaganfall (Seshadri und Wolf 2007). Also ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil der Menschen in hohem Lebensalter aufgrund einer Schädigung des Gehirns an einer organisch bedingten Störung der kognitiven Fähigkeiten leidet.

Über 2 % der Deutschen leiden nach Schätzungen an einer Schizophrenie oder einer wahnhaften Störung und 6 % an einer Depression (Jacobi et al. 2014). Da diese Erkrankungen ebenso wie schwere Formen anderer psychiatrischer Erkrankungen zu einer Einschränkung der freien Willensbildung führen können, ist der Kreis derjenigen, bei denen eine Geschäfts- oder Testierfähigkeit zu diskutieren ist, groß. Falls diese Fähigkeiten nicht mehr gegeben sind, ist für bestimmte Aufgabengebiete die Einrichtung einer Betreuung erforderlich (Wetterling 2018a). Die Zahl der rechtlichen Betreuungen (nach § 1906ff. BGB) ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Zahl der betreuten Personen in Deutschland betrug Ende 2013 knapp 1,3 Millionen (= etwa 1,6 % der Gesamtbevölkerung) (Bundesanzeiger 2017).

 

1.3       Vererbte Vermögenswerte

 

Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW 2017) werden in Deutschland in den nächsten Jahren jährlich bis zu 400 Mrd. Euro vererbt. Das entspricht etwa 6 % des gesamten Geldvermögens aller privaten Haushalte. Nach einer Studie der Deutschen Bank (2018) beschäftigen sich 60 % der Deutschen ungern mit dem Thema Erbschaft. Über dieses Thema wird auch wenig kommuniziert. Aber sowohl den zukünftigen Erben als auch den Erblassern ist es besonders wichtig, dass es keinen Streit um das Erbe gibt. Gleichwohl hatten nur 39 % der potentiellen Erblasser ein Testament gemacht. Bei 19 % der Erbschaften kam es in den letzten Jahren zu Streitigkeiten.

Häufigster Anlass für Streit ist, dass sich einzelne Erben benachteiligt fühlen (image Kap. 1.4). In juristischen Auseinandersetzungen wird oft die Testierfähigkeit des Erblassers angezweifelt.

 

1.4       Psychodynamik

 

Die Geschäftsfähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben. Sie wird in der Regel als gegeben vorausgesetzt. Eine Geschäftsunfähigkeit wird nur dann behauptet, wenn der Betreffende sich massiv übervorteilt oder getäuscht fühlt. In entsprechenden Fällen wird versucht, durch diese Behauptung den meist finanziellen Schaden wieder gut zu machen bzw. zu begrenzen. Die Betreffenden berufen sich in solchen Fällen auf einen »Ausnahmezustand«, in dem sie sich vorübergehend befunden haben. Mitunter wird auch ein »Rauschzustand« (z. B. Kaufrausch) angegeben. Das wesentliche Motiv für juristische Auseinandersetzungen ist in diesen Fällen meist die Scham, auf einen anderen »hereingefallen« zu sein. Aus dieser Scham und auch Schuldgefühlen kann sich Wut entwickeln, wenn der Betreffende sich nicht mit den aus seiner Sicht gerechtfertigten Ansprüchen durchsetzen kann. Die Geschäftsfähigkeit wird bei älteren Menschen von Dritten v. a. beim Abschluss von Verträgen, insbesondere Erbverträgen (mit kompliziertem Inhalt), angezweifelt.

Um ein Erbe wird oft mit einer enormen Verbissenheit und Ausdauer gestritten, nicht selten über mehrere Gerichtsinstanzen. Dem Autor sind Gerichtsverfahren bekannt, die bis zu fast 20 Jahre nach dem Tode des Erblassers andauerten, auch nachdem die unmittelbaren Erben zwischenzeitlich verstorben waren. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Erbstreitigkeiten bis hin zu Königsmorden und Ermordung von anderen potenziellen Erben (Familienangehörigen) geführt haben. Aufgrund von Erbstreitigkeiten kam es zu mehreren »Erbfolgekriegen« in Europa. Mitunter bekämpfen sich die potenziellen Erben so lange, bis nach den Kosten für die Anwälte, Gerichte und Gutachter kaum noch ein nennenswerter Betrag übrig bleibt. Die Triebfeder für diese erbitterten Streitigkeiten, die dazu führen können, dass nahe Verwandte, z. B. Geschwister, nie mehr miteinander sprechen und »auf ewig« verfeindet sind, müssen also neben der reinen Gier nach Erlangung des Erbes (Geld, Immobilien etc.) noch weitere sein.

Oft brechen durch einen Erbfall lang andauernde, im Untergrund schwelende Familienkonflikte wieder auf und gewinnen im Verlauf der Erbstreitigkeiten eine teils fatale Dynamik. Mitunter wird sogar bestritten, dass eine leibliche Verwandtschaft zum Erblasser besteht und ein DNA-Test gefordert. Einzelne Erben, die sich von dem Erblasser ihr Leben lang nicht richtig gewürdigt oder gar gegenüber anderen, z. B. Geschwistern, zurückgesetzt fühlen, können sich damit getröstet haben, dass sie am Ende doch noch ihren »gerechten« Anteil an dem Erbe bekommen. Wenn der Erblasser sie aber (wie schon zu Lebzeiten) nicht genügend berücksichtigt hat, kommen tiefgründige Gefühle wie Neid und Hass auf den (scheinbar) Bevorteilten zum Ausbruch. Diese Emotionen können so stark sein, dass sie den Betreffenden »gefangen« nehmen und es zu einem Lebensinhalt von ihm wird, am Ende doch endlich »Recht« zu bekommen.

In entsprechenden Fällen (z. B. bei Erbverträgen) kann sich der Hass auch gegen den Erblasser richten und dazu führen, dass danach getrachtet wird, ihn zu diskreditieren und durch entsprechende Angaben seine Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Besonders in Fällen, in denen ein Erbe den Erblasser bei schwerer Krankheit oder kurz vor seinem Tode dazu bringt, ein Testament zu seinen Gunsten zu verfassen oder Sonderregelungen zu seinen Gunsten (z. B. Schenkungen, Schließen eines Erbvertrags, Wohnrecht etc.) zu vereinbaren, entsteht Streit, vor allem dann, wenn es vorher andere testamentarische Regelungen gab. Dies führt oft dazu, dass der Benachteiligte sich übervorteilt oder gar betrogen fühlt. Nicht selten kommt es in solchen Fällen schon zu Lebzeiten des Erblassers zu ersten juristischen Auseinandersetzungen (z. B. Hausverbot, gegenseitige Betrugsvorwürfe mit Strafanzeigen etc.). In diesem Zusammenhang wird oft versucht, eine rechtliche Betreuung einzuleiten mit dem Ziel, anderen potenziellen Erben den Zugang zu dem Erbe zu erschweren oder unmöglich zu machen.

Die Anregung einer Betreuung (nach § 1896 BGB) ist von potenziellen Erben mitunter auch deswegen erwünscht, um »amtlich« feststellen zu lassen, dass der Erblasser geschäftsunfähig ist. Dabei wird oft argumentiert, dass andere potenzielle Erben den Erblasser massiv beeinflussen und/oder ihn vom Antragsteller abschirmen. Die Anregung einer Betreuung kann dazu führen, dass der Erblasser sich in seinen Rechten eingeschränkt sieht und dann die »Gegenseite« begünstigt. So kann der ganze Ablauf der Erbauseinandersetzungen eine neue Dynamik gewinnen. In der Zeit, in der das Erbscheinverfahren bei Gericht läuft, versuchen potenzielle Erben nicht selten, sich ihren Teil an dem Erbe zu »sichern«, indem sie sich Gegenstände aus dem Erbe (z. B. Schmuck, Antiquitäten etc.) aneignen, ohne dass sie dazu eine Berechtigung haben. Solche »Sicherungsmaßnahmen« verschärfen oft schon schwelende Konflikte zwischen den potenziellen Erben. Streit entsteht auch, wenn leibliche Erben nur ihren Pflichtteil bekommen und das Haupterbe an eine (familienfremde) Person fällt, die den Erblasser in seinen letzten Lebensjahren betreut hat. In entsprechenden Fällen ist dann oft von Erbschleicherei die Rede.

Auch Ärzte, Juristen/Notare und Gerichte sowie Gutachter können einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu der Dynamik von Erbauseinandersetzungen liefern. Als Beispiele sind zu nennen:

•  Ausstellung eines Attests durch den Hausarzt, in dem er dem Erblasser eine Demenz oder gar eine Geschäfts-/Testierunfähigkeit bescheinigt, ohne die Voraussetzungen hierfür genau geprüft zu haben

•  Notare, die Testamente beglaubigen, ohne nach den wesentlichen Punkten gefragt zu haben, nämlich ob der Erblasser sich Gedanken (»Für und Wider«) zu allen möglichen Erben gemacht hat und warum er sich für die im Testament festgelegte Regelung entschieden hat

•  Rechtsanwälte, die sich benachteiligt fühlenden Erben in Aussicht stellen, dass der Betreffende in der nächsten Instanz bestimmt Recht bekommen wird, ohne dass wesentliche neue Anhaltspunkte vorgelegt werden können

•  Gerichte, die lange Zeit brauchen, um die Verfahren zu bearbeiten. Hierdurch können Erben, die größere Geldbeträge möglicherweise schon »verplant« haben, ungeduldig werden und daher weitere Schritte von ihren Anwälten verlangen.

•  Gutachter, die ohne ausreichende Anknüpfungspunkte und ungenügende Berücksichtigung der medizinisch denkbaren Alternativen (Differenzialdiagnose etc.) zu ihren Beurteilungen gelangen und so die Basis für eine neue Runde der Erbauseinandersetzungen vor Gericht legen

•  Privat-Gutachter, die nur aufbauend auf den ihnen von ihrem Auftraggeber überlassenen (aber oft nicht vollständigen) Unterlagen zu einer Beurteilung in dessen Sinn kommen, z. B. indem sie dessen Bewertungen ungeprüft übernehmen

Diese Beispiele zeigen, dass an den Erbstreitigkeiten nicht direkt beteiligte Personen durchaus einen wesentlichen Beitrag zu deren Dynamik und auch zur Vehemenz der Auseinandersetzung leisten können. Daher sollten sich alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass die »Motivation« zu langen Erbstreitigkeiten vor allem auf sehr elementare menschliche Gefühle wie Gier, Neid und Hass sowie das Gefühl der Übervorteilung zurückzuführen ist. Als zusätzliches Moment kommen, je länger die Auseinandersetzungen andauern, noch Ungeduld sowie das Gefühl, endlich Recht bekommen zu müssen, hinzu. In diesem emotionalen Spannungsfeld und in dem für sie kaum durchschaubaren juristischen Verfahren werden häufig von potenziellen Erben hohe Erwartungen an die Fachleute (Juristen, Gutachter) gestellt. Die hohen Erwartungen kann ein psychiatrisches Gutachten oft nicht erfüllen, weil es im Wesentlichen um die Beurteilung der Fähigkeiten einer Person (Erblasser) geht und nicht – wie von potenziellen Erben oft erwartet wird – auch um eine Bewertung der Handlungen Dritter im Zusammenhang mit der Testamentserrichtung. Dies führt oft zur Enttäuschung bei den potenziellen Erben und veranlasst diese, neue Gutachten zu fordern und weiter zu prozessieren.

Bei der Betrachtung der psychodynamischen Gesichtspunkte ist aber auch wichtig, die Sichtweise des Erblassers zu betrachten. Für ihn kann es eine ganze Reihe von Gründen geben, die ihn veranlassen, jemanden bei dem Erbe nicht zu berücksichtigen bzw. ihm nur den Pflichtanteil zukommen zu lassen, u. a.:

•  Enttäuschung über die Lebensweise des potenziellen Erben, z. B. entgegen den Wertevorstellungen des Erblassers

•  Rechtsstreitigkeiten mit dem Betreffenden

•  Ungenügende Unterstützung im Alter, z. B. statt der erwünschten persönlichen Hilfe die Empfehlung, in ein Heim zu ziehen, oder sogar Veranlassung einer Heimunterbringung durch einen potenziellen Erben

•  Fehlender Kontakt (zerrüttete Familienverhältnisse, »Patchwork«-Familien)

•  Berücksichtigung von Lebenspartnern

•  Stiftung für ein ihn bedeutsames Anliegen (karitative Zwecke, Tier- oder Umweltschutz, Forschung für bestimmte Erkrankungen, etc.)

•  Und, vor allem wenn Pflegebedürftigkeit besteht, die Absicht, durch eine Einsetzung als Erben oder durch Erbvertrag die lebenslange Pflege durch den Betreffenden zu sichern.

Bei großen Vermögen, insbesondere Firmen, Bauernhöfen etc. kann auch der Gesichtspunkt eine wesentliche Rolle spielen, dass möglichst »alles in einer Hand bleibt.« Auch kann bei einem Erblasser der Wunsch aufkommen, am Lebensende bei denjenigen, von denen er glaubt, sie zeitlebens zu streng oder ungerecht behandelt zu haben, eine Art Wiedergutmachung zu leisten und sie in seinem Testament besonders großzügig zu berücksichtigen.

2          Geschäftsfähigkeit

 

 

 

2.1       Juristische Voraussetzungen

 

Die Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit eines Menschen (jur. einer natürlichen Person), rechtlich bedeutsame Handlungen vorzunehmen, insbesondere wirksame Rechtsgeschäfte (z. B. Kauf eines Gegenstandes, Abschließen eines Vertrages etc.) vorzunehmen. Sie ist die entscheidende Voraussetzung, um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen finden sich in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

Grundsätzlich ist jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland nach Vollendung des 7. Lebensjahres geschäftsfähig (§ 104 Abs. 1 BGB). Aber erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres besteht eine volle Geschäftsfähigkeit, zwischen dem 7. und dem 17. Lebensjahr besteht eine beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 107 BGB).

Die Geschäftsunfähigkeit stellt also eine Ausnahme dar, die gesetzlich in § 104 Abs. 2 BGB bzw. § 105 Abs. 2 BGB geregelt ist.

§ 104 Abs. 2 BGB – dauerhafte Geschäftsunfähigkeit

Geschäftsunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen sind grundsätzlich nichtig. Ein Geschäftsunfähiger kann wirksam nur durch seinen gesetzlichen Vertreter handeln (z. B. Eltern für ihre Kinder, bei Erwachsenen gesetzlicher Betreuer). Ausnahmen sind in § 105a BGB (Geschäfte des täglichen Lebens) geregelt.

§ 105 Abs. 2 BGB – vorübergehende Geschäftsunfähigkeit

Nichtig ist eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird.

Beschränkt geschäftsfähig sind gemäß Personen zwischen dem 7. und 18. Lebensjahr (Minderjährige). Ihnen gleichgestellt sind gemäß § 1903 BGB Betreute, die einem Einwilligungsvorbehalt unterliegen.

Einige Gesetze nehmen Bezug auf die Geschäftsfähigkeit oder enthalten ähnliche Regelungen:

•  Deliktfähigkeit (gemäß § 827 BGB) (image Kap. 2.3)

•  Ehefähigkeit bzw. Ehemündigkeit (gemäß §§ 1303, 1304, 1314 Abs. 2 Nr. 1 BGB)

•  Prozessfähigkeit (gemäß § 52 ZPO) (image Kap. 2.4)

•  Testierfähigkeit (gemäß §§ 2064, 2229, 2247, 2275 BGB) (image Kap. 3)

•  Gesetz zur Einwilligung in ärztliche Maßnahmen (§ 630d BGB)

•  § 161 des Versicherungsvertragsgesetz (VVG) (image Kap. 2.5).

2.1.1     Relative/partielle Geschäftsunfähigkeit

Vielfach wird diskutiert, ob es Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit gibt, z. B. auf bestimmte Bereiche oder Angelegenheiten (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit). Nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 14.07.1953 – V ZR 97/52; BGH, Urteil v. 19.06.1970 – IV ZR 83/69; BGH, Urteil v. 18.05.2001 – V ZR 126/00) betrifft ein Ausschluss der freien Willensbestimmung seiner Natur nach regelmäßig die ganze Persönlichkeit und wird abgesehen von Sonderfällen nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt bleiben. Daher wurde in den Urteilen die Möglichkeit einer partiellen Geschäftsfähigkeit abgelehnt.

Eine bei besonders schwierigen Rechtsgeschäften eingeschränkte Geschäftsunfähigkeit (sogenannte abgestufte oder relative Geschäftsunfähigkeit) wird von der Rechtsprechung nicht anerkannt (BGH, Urteil v. 14.07.1953 – V ZR 97/52; BGH, Urteil v. 23.10.1975 – II ZR 109/74; vergleichbarer Tenor: BayObLG, Urteil v. 19.06.1986 – BReg. 3 Z 165/85; BayObLG, Urteil v. 24.11.1988 – BReg. 3 Z 149/88; BayObLG Urteil v. 05.12.1991- BReg 3 Z 182/91).

Hinsichtlich komplexer (Rechts-)Geschäfte ist auf das BGH, Urteil v. 19.06.1970, IV ZR 83/69 zu verweisen: Eine Person, die in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen, deren intellektuelle Fähigkeiten aber nicht ausreichen, um bestimmte schwierige rechtliche Beziehungen verstandesmäßig zu erfassen, ist deswegen noch nicht geschäftsunfähig. Es muss ihr vielmehr überlassen bleiben, auf welche Weise sie mit besonderen Lagen fertig werden will. Wenn sie sich dem Rat einer dritten Person fügt, so ist dies aufgrund einer vernünftigen freien Willensentschließung geschehen, sie steht dann auch insoweit nicht unter einem ihre eigene Willensfreiheit ausschließenden Einfluss eines anderen.

Sonderfälle: Die Geschäftsfähigkeit kann wegen Vorliegens einer geistigen Störung für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten (etwa denjenigen, die mit einem Eheprozess zusammenhängen) ausgeschlossen sein (Stichwort: Querulantenwahn) (BGH, Urteil v. 24.09.1955 – IV ZR 162/54).

Das Bundesverfassungsgericht sieht eine partielle Geschäftsfähigkeit im Falle einer Eheschließung als möglich an, wenn der Betreffende in einem psychiatrischen Gutachten für befähigt gehalten wird, im Rahmen einer natürlichen Willensbildung dezidiert Wünsche zu äußern und auf die Erfüllung von Bedürfnissen hinzuwirken (BVerfG, Beschluss v. 18.12.2002, 1 BvL 14/02). Auch bei der Erstellung einer Patientenvollmacht wird vom OLG München (Beschluss v. 05.06.2009 – 33 Wx 278/08) eine hierauf bezogene partielle Geschäftsfähigkeit als möglich angesehen, wenn durch den Betroffenen bewusst und in freier Willensentschließung eine Vertrauensperson bevollmächtigt wurde, auch wenn nicht auszuschließende leichtere kognitive Defizite zu Bedenken gegen die Wirksamkeit anderweitiger Willenserklärungen Anlass geben können.

 

2.2       Rechtsprechung

 

2.2.1     Beweislast

BGH, Urteil v. 20.06.1984 – IVa ZR 206/82

Störungen der Geistestätigkeit, die gemäß § 104, Abs. 2 oder § 105 BGB, Abs. 2 zur Geschäftsunfähigkeit führen, sind Ausnahmeerscheinungen und derjenige, der sich auf solche Störungen beruft, muss Tatsachen darlegen, aus denen sich Anhaltspunkte hierfür ergeben. (Vergleichbarer Tenor: KG, Beschluss v. 7.9.1999–1 W 4291/98; OLG Jena, Beschluss v. 04.05.2005 – 9 W 612/04). Jemand ist so lange als geschäftsfähig anzusehen, als nicht seine Geschäftsunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichts nachgewiesen wird (BayObLG, Beschluss v. 18.05.1993 – 1Z BR 7/93; OLG Frankfurt/M., Urteil v. 05.09.1995 – 20 W 107/94; OLG Düsseldorf, Urteil v. 06.03.1998 – 7 U 210/95).

2.2.2     Kriterien für Geschäftsfähigkeit

BGH, Urteil v. 14.7.1953 – V ZR 97/52

(Gleicher Tenor: BGH, Urteil v. 19.06.1970 – IV ZR 83/69; Reichsgericht Urteil v. 19.01.1922 – Rep.VI. 585/21, RGZ 103, 399)

Nach § 104 Nr. 2 BGB sind für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht so sehr die Fähigkeiten des Verstandes ausschlaggebend als die Freiheit des Willensentschlusses. Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt oder die Willenserklärung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird. Ein solcher Ausschluss der freien Willensbestimmung wird seiner Natur nach regelmäßig die ganze Persönlichkeit ergreifen und abgesehen von den oben erwähnten Sonderfällen nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt bleiben. Eine auf besonders schwierige Geschäfte beschränkte Geschäftsunfähigkeit kann daher grundsätzlich nicht anerkannt werden.

BGH, Urteil v. 20.06.1984 – IVa ZR 206/82

Geschäftsunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden (nicht nur vorübergehenden) Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Demgemäß kommt es neben einer Störung der Geistestätigkeit vornehmlich darauf an, ob der Erblasser imstande war, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Ausschlaggebend sind dabei weniger die Fähigkeiten des Verstandes als vielmehr die Freiheit des Willensentschlusses. Abzustellen ist daher darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich war oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Erblasser fremden Einflüssen unterlag.

Es reicht für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit nicht aus, wenn ein Betreffender die wirtschaftliche Tragweite vermögensrechtlicher Entscheidungen nicht voll zu ermessen vermag oder ob eine Willensentscheidung in einem sinngesetzlichen Zusammenhang noch normal motiviert ist. Wer unklug und kurzsichtig handelt, muss deshalb noch nicht geschäftsunfähig sein (vgl. BayObLG, Beschluss v. 24.11.1988 – BReg. 3 Z 149/88).

 

2.3       Prozessfähigkeit

 

Nach § 52 ZPO ist eine Person insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann, d. h. also geschäftsfähig ist. Wer sich auf eine Prozessunfähigkeit beruft, muss entsprechende Tatsachen darlegen, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben (vgl. BGH, 24.09.1955 – IV ZR 162/54; BGH, Urteil v. 10.10.1985 – IX ZR 73/85). Die Prozessfähigkeit kann wegen Vorliegens einer geistigen Störung für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten (etwa diejenigen, die mit einem Eheprozess zusammenhängen, ausgeschlossen sein) (Stichwort: Querulantenwahn) (vgl. BGH, 24.09.1955 – IV ZR 162/54).

 

2.4       Deliktfähigkeit

 

§ 827 BGB – Ausschluss und Minderung der Verantwortlichkeit

Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.

 

2.5       Ehefähigkeit

 

Gemäß § 1304 BGB kann, wer geschäftsunfähig ist, eine Ehe nicht eingehen. Es handelt sich um einen Unterfall der Geschäftsfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 11.4.2012, XII ZR 99/10), bei dem es darauf ankommt, ob der Eheschließende in der Lage ist, das Wesen der Ehe zu begreifen und insoweit eine freie Willensentscheidung zu treffen. Die Geschäftsfähigkeit i. S. d. § 1304 BGB ist unter Berücksichtigung der in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Eheschließungsfreiheit als Ehegeschäftsfähigkeit zu beurteilen und ggf. wird eine diesbezügliche partielle Geschäftsfähigkeit bejaht (vgl. BVerfG, Beschluss v. 18.12.2002 – 1 BvL 14/02).

 

2.6       Versicherungsvertragsgesetz

 

Im Fall einer Selbsttötung (Suizid) wird in dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) eine freie Willensbildung als Bedingung für die Leistungspflicht des Versicherers angeführt.

§ 161 VVG – Selbsttötung

(1) Bei einer Versicherung für den Todesfall ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person sich vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Versicherungsvertrags vorsätzlich selbst getötet hat. Dies gilt nicht, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.

2.6.1     Rechtsprechung

Die Beweislast für das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit zum Zeitpunkt des Suizids hat der Anspruchsteller (BGH, Urteil v. 13.10.1993 – IV ZR 220/92, VersR 1994). Die Rechtsprechung bezieht sich in entsprechenden Fällen auf die im BGH, Urteil v. 20.06.1984, IVa ZR 206/82 festgelegten Grundsätze für eine Geschäftsunfähigkeit (LG Bonn, Beschluss v. 12.11.2004 – Az. 9 O 447/04). Dabei können als krankhafte Störung der Geistestätigkeit alle Störungen der Verstandestätigkeit sowie des Willens, des Gefühls und des Trieblebens in Betracht kommen, ohne dass die Manifestation einer Geisteskrankheit erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil v. 27.11.1959 – 4 StR 394/59; OLG Karlsruhe, Urteil v. 20.02.2003 – 12 U 205/02; OLG Stuttgart, Urteil v. 27.06.1988 – 5 U 259/87). Auch eine Alkoholintoxikation bzw. eine Mischintoxikation ist zu berücksichtigen (BGH, Urteil v. 19.11.1985 – IVa ZR 40/84; ähnlich OLG Köln, Urteil v. 21.02.2001 – 5 U 127/00).

Allein die Tatsache, dass ein Selbstmörder »nicht normal« ist, reicht für den Nachweis der Unzurechnungsfähigkeit nicht aus. Es lässt sich nicht von vornherein sagen, dass jeder, der sich das Leben nimmt, krankhaft in seiner Geistestätigkeit gestört gewesen sein muss (OLG Karlsruhe, Urteil v. 09.03.1977 – 12 W 17/77). Der Umstand, dass die Tat unerklärlich erscheint, reicht für die Annahme einer Störung der Geistestätigkeit nicht aus. Auch das Fehlen eines bestimmten und ausreichenden Beweggrundes für die Tat kann für sich genommen einen Ausschluss der Steuerungsfähigkeit nicht begründen (vgl. OLG Köln, 21.02.2001 – 5 U 127/00).

3          Testierfähigkeit

 

 

 

Das Erbrecht und die Testierfreiheit gründen auf dem Grundgesetz (Art. 14 Abs. 1 Satz 1). Die Testierfähigkeit ist Voraussetzung, um ein Testament wirksam errichten, ändern oder aufheben zu können. Die Testierfähigkeit ist eine Unterform der Geschäftsfähigkeit und von dieser zu unterscheiden (vgl. BayObLG, Urteil v. 28.05.1993 – 1 Z BR 7/93; BayObLG, Urteil v. 06.03.1996 – 1 Z BR 199/95; BayObLG, Urteil v. 06.04.2001 – 1 Z BR 123/00).

 

3.1       Juristische Voraussetzungen

 

Die juristischen Voraussetzungen der Testierfähigkeit werden in § 2229 BGB geregelt, dabei wird von dem Grundsatz ausgegangen, dass jeder Mensch mit Vollendung des 16. Lebensjahrs testierfähig ist. Nicht testierfähig ist nach § 2229 Abs. 4 BGB, wer

•  wegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit (image Kap. 5),

•  wegen einer Geistesschwäche (image Kap. 6) oder

•  wegen einer Bewusstseinsstörung (image Kap. 7)

nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

 

3.2       Rechtsprechung

 

Es gilt der Grundsatz, dass eine Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet. Daher ist ein Erblasser so lange als testierfähig anzusehen, als nicht seine Testierunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichts nachgewiesen wird (BayObLG, Urteil v. 18.12.1991 – BReg 1 Z 45/91; OLG Frankfurt/M, Urteil v. 05.09.1995 – 20 W 107/94; OLG Frankfurt/M, Urteil. v. 19.02.1997 – 20 W 409/94). Ohne konkrete Anhaltspunkte braucht das Nachlassgericht von möglichen Erben geäußerten Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers nicht nachzugehen (OLG Frankfurt/M, Urteil v. 13.03.2003 – 20 W 339/01).

3.2.1     Beweislast

Die Beweislast hat derjenige, der die Testierfähigkeit anzweifelt. D. h. derjenige, der die Testierfähigkeit anzweifelt, muss den Beweis antreten, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Erstellung des Testaments nicht mehr in der Lage dazu war (KG, Urteil v. 07.09.1999 – 1 W 4291/98; OLG Jena, Urteil v. 04.05.2005 – 9 W 612/04; OLG Frankfurt/M, Urteil. v. 19.02.1997 – 20 W 409/94). Die Beweislast der Echtheit des Testaments hat derjenige, der Ansprüche aus dem Testament ableitet (OLG Köln, Urteil v. 12.12.2003 – 2 WX 25/03). Bei Zweifeln an der Echtheit des Testaments oder bei Nachträgen zum Testament ist ein Schriftsachverständiger hinzuzuziehen (BayObLG, Urteil v. 28.05.1993 – 1 Z BR 7/93; BayObLG, Urteil v. 02.10.2002 – 1 Z BR 68/02).

Wenn die Testierunfähigkeit trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht von Amts wegen festgestellt werden kann, so hat derjenige, der die Feststellungslast hat (d. h. die Testierunfähigkeit annimmt) im Erbscheinverfahren die daran geknüpften Nachteile zu tragen (OLG Jena, Urteil v. 04.05.2005 – 9 W 612/04). Wenn das Testament nicht datiert und auch nicht aufgrund sonstiger Umstände datierbar ist, trifft die Feststellungslast denjenigen, der Rechte hieraus für sich in Anspruch nimmt, wenn feststeht, dass der Erblasser zu irgendeinem Zeitpunkt während des in Betracht kommenden Zeitraums der Testamentserrichtung testierunfähig war (OLG Jena, Urteil v. 04.05.2005 – 9 W 612/04). Wenn die Testierunfähigkeit des Erblassers zu irgendeinem Zeitpunkt feststeht, aber nicht klar ist, wann er das Testament errichtet hat, so ist dieses nach § 2247 V BGB als unwirksam anzusehen (BayObLG, 11.4.1996 – 1 Z BR 163/95).

Das Interesse des Erblassers, nicht schon zu Lebzeiten über die Verteilung seines Nachlasses Rechenschaft geben und sich von seinem potenziellen Erben mit Prozessen überhäufen lassen zu müssen, geht vor. Daher kann ein möglicher Erbe erst nach dem Tode des Erblassers die angebliche Testierunfähigkeit rechtlich prüfen lassen (OLG Frankfurt/M, Urteil v. 30.01.1997 – 20 W 21/97).

 

3.3       Spezielle Aspekte

 

3.3.1     Partielle Testierfähigkeit

Eine sogenannte partielle Testierunfähigkeit wird von der Rechtsprechung verneint. D. h. die Möglichkeit, dass die Fähigkeit, ein Testament zu verfassen, auf einige Teilbereiche begrenzt ist, wird von Juristen nicht anerkannt. Es gibt also keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz (BayObLG, Urteil v. 31.01.1991 – BReg 1 a Z 37/90).

3.3.2     Testament eines Betreuten

Für die Beurteilung der Testierfähigkeit von unter Betreuung stehenden Personen gelten die gleichen Grundsätze, denn ein Betreuer hat keinen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Testamentserrichtung (§ 1903 Abs. 2 BGB). Wenn in einem fachärztlichen Attest (z. B. Betreuungsgutachten) die Testierfähigkeit bei einem Betreuten nicht zweifelsfrei verneint wird, so ist davon auszugehen, dass die Testierfähigkeit vorliegt (OLG München, Urteil v. 31.10.2014 – 34 Wx 293/14). Wenn eine Betreuung nach der Abfassung eines Testaments durch ein Vormundschaftsgericht aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens eingerichtet wird, kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht geschlossen werden, dass der Erblasser bereits im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht mehr testierfähig war (OLG Celle, Urteil v. 11.03.2003 – 6 W 16/03).

 

3.4       Inhalt des Testaments

 

Nachträgliche Zusätze unter ein (notariell beglaubigtes) Testament sind nur gültig, wenn sie am Schluss unterschrieben sind (OLG München, Beschluss v. 13.09.2011 – 31 Wx 298/11).