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Westend Verlag

Ebook Edition

Edward Russell,
Lord Russell of Liverpool

Geißel der Menschheit

Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen

Westend Verlag

Titel der englischen Originalausgabe
The Scourge of the Swastika: A Short History of Nazi War Crimes
© Lord Russell of Liverpool
Deutsche Originalfassung von Roswitha Czollek, überarbeitet von Emil Fadel

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ISBN 978-3-86489-782-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Einleitung von Moshe Zuckermann
Vorwort zur westdeutschen Ausgabe
Prolog
I Die Instrumente der Hitlertyrannei
II Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen
III Kriegsverbrechen auf Hoher See
IV Misshandlung und Ermordung der Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet
ITALIENER!
V Zwangsarbeit
VI Konzentrationslager
Auschwitz
Belsen
Buchenwald
Dachau
Neuengamme
Ravensbrück
VII Die »Endlösung der Judenfrage«
Epilog
Anhang
Namensregister
Anmerkungen

Anmerkungen

Kapitel I: Die Instrumente der Hitlertyrannei

1 Siehe Kapitel II.

2 Vgl. Odette von Jerrard Tickell, sowie The Natzweiler Trial.

3 Siehe Kapitel II.

4 Der »Stahlhelm« wurde erstmalig im Jahre 1920 als Vereinigung ehemaliger Kriegsteilnehmer gegründet. Diese chauvinistisch-militärisch eingestellte Organisation bekämpfte ebenso wie die Nazipartei die Weimarer Republik. Prominente Nazis wie Göring waren Mitglieder beider Organisationen. Der »Stahlhelm« ging später in der SA auf. (Anmerkung des Verlages.)

5 Aus einer Rede, die Raeder 1939 zum »Heldengedenktag« hielt. Um welche Freiheit es ging, erläuterte er an einer anderen Stelle dieser Rede, als er von der »Freiheit zur Wiederbewaffnung« sprach.

Kapitel II: Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen

1 Dieses Verbrechen ist allgemein als das »Massaker von Paradis« bekannt. Knochlein wurde 1948 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt.

2 Empfänger des Befehls waren das Oberkommando der drei Wehrmachtsteile, der Oberbefehlshaber in Norwegen, der Oberbefehlshaber Südost, das Oberkommando West, das Oberkommando Süd, das Oberkommando der 20. Gebirgsjägerdivision, das Afrikakorps, der Reichsführer SS und Chef der Sicherheitspolizei.

3 Im folgenden SAS genannt.

4 Eine der Ausnahmen bildete Nordafrika, da Erwin Rommel sich strickt weigerte, den Befehl auszuführen, und den betreffenden Brief verbrannte.

5 Falkenhorst musste sich 1946 vor einem britischen Militärgericht in Braunschweig für die Ausführung des Kommandobefehls verantworten. Er wurde im Sinne von acht Anklagepunkten für schuldig befunden, die seinem Kommando unterstellten Kräfte veranlasst zu haben, alliierten Soldaten, Matrosen und Fliegern, die an Kommandountemehmen teilgenommen hatten, kein Pardon zu gewähren und sie nach der Gefangennahme zu töten. Weiter wurde ihm nachgewiesen, dass er den Tod einer großen Anzahl alliierter Kriegsgefangener verursachte, indem er sie dem SD zur Hinrichtung übergab. Das Gericht verurteilte ihn zum Tode, aber der damalige Oberbefehlshaber der britischen Zone Deutschlands, Luftmarschall Sir Sholto Douglas, wandelte das Urteil in lebenslängliche Haft um. Am 13. Juli 1953 wurde Falkenhorst aus der Strafanstalt Werl entlassen.

6 General Gallenkamp, Oberst Köstlin, Hauptmann Schönig und andere wurden 1946 wegen ihrer Beteiligung an der Tötung dieser Kriegs gefangenen vor ein britisches Militärgericht in Deutschland gestellt und alle für schuldig befunden. Gallenkamp wurde zum Tode durch Erhängen verurteilt, aber zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Köstlin wurde zu lebenslänglicher und Schönig zu fünf Jahren Haft verurteilt.

7 Robert Wagner wurde 1946 von dem ständigen französischen Militärgericht in Straßburg wegen der Ermordung alliierter Flieger und wegen zahlreicher anderer Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt.

8 Wobei das K für »Kugel« stand, in Bezug auf den Kugelerlass.

9 Die Politische Abteilung war für die sogenannten politischen Häftlinge zuständig.

10 Siehe Anhang.

11 Diese und andere wörtlich zitierte Auszüge aus dem Kommissarbefehl sind aus dem Englischen zurückübersetzt.

12 Siehe Kapitel IV.

13 Rückübersetzung aus dem Englischen.

Kapitel III: Kriegsverbrechen auf Hoher See

1 Diese kurze Darstellung der Rechtslage in Bezug auf die Versenkung feindlicher Handelsschiffe in Kriegszeiten gründet sich auf ein Memorandum des britischen Außenministeriums vom 8. Oktober 1940.

2 Als das Londoner Flottenabkommen am 31. Dezember 1936 ablief, blieb Artikel 22 auf Grund von Artikel 23 für alle Partner verbindlich. Trotzdem unterzeichneten die Vereinigten Staaten und Großbritannien (einschließlich der britischen Dominien und Indiens) am 6. November 1936 in London ein Protokoll, in das die Bestimmungen von Artikel 22 wörtlich übernommen wurden. Es war vorgesehen, weiteren Staaten die Möglichkeit des Beitritts zu geben. Deutschland schloss sich dem Protokoll 1936 und die Sowjetunion 1937 an.

3 Rückübersetzung aus dem Englischen.

4 Das Tagebuch wurde bei seiner Gefangennahme in seinem Besitz gefunden. Der hier angeführte Text ist eine Rückübersetzung aus dem Englischen.

5 Anfangs verhielten sich allerdings einige deutsche U-Boot-Kommandanten ganz anders. In einem Falle hatte die Besatzung eines britischen Fischkutters den Befehl erhalten, das Rettungsboot flottzumachen, weil ihr Schiff versenkt werden sollte. Als der Kommandant sah, in welchem Zustand sich das Boot befand, sagte er: »Dreizehn Leute in diesem Boot. Wie kann man ein Schiff mit so einem Boot auf See schicken. Ihr Engländer taugt nichts!« Der Kapitän des Fischkutters erhielt dann den Befehl, mit seiner Mannschaft wieder an Bord zu gehen und schleunigst einen Heimathafen anzulaufen. »Mit den besten Wünschen des Kommandanten« überreichte man ihm eine Flasche Korn.

6 Das Flottenprotokoll von 1936 sah, wie erinnerlich, vor, dass die Rettungsboote nicht als sicherer Ort gelten, sofern die Sicherheit der Passagiere und der Besatzung nicht unter den bestehenden See- und Wetterverhältnissen durch die Nähe von Land oder durch die Anwesenheit eines anderen Schiffes, das sie an Bord nehmen kann, gewährleistet ist.

7 Korvettenkapitän Heinz Möhle wurde im Oktober 1946 in Hamburg von einem britischen Militärgericht für schuldig befunden, diese Befehle an seine U-Boot-Kommandanten weitergegeben zu haben, und zu fünf Jahren Haft verurteilt.

8 Siehe oben.

9 Über diese Rede wurde der ehemalige Oberfähnrich zur See Peter Josef Heisig im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge vernommen.

10 Der Kommandant und vier Angehörige seiner Mannschaft mussten sich im Oktober 1945 vor einem britischen Militärgericht in Hamburg dafür verantworten, dass Angehörige der Besatzung der »Peleus« durch Schüsse und Handgranaten getötet worden waren. Alle wurden im Sinne der Anklage für schuldig befunden. Der Kommandant und drei andere Angeklagte wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt.

11 Diese Schilderung ist einer eidesstattlichen Erklärung entnommen, die James MacAlister am 21. Dezember 1945 vor einem Notar in Edinburgh abgab.

Kapitel IV: Misshandlung und Ermordung der Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet

1 Pucheu wurde 1944 von einem französischen Militärgericht in Algier zum Tode verurteilt und anschließend hingerichtet.

2 Es überrascht daher wenig, dass die Genfer Konvention von 1949 in ihrem dritten Artikel Geiselnahmen jedweder Art verbietet.

3 Das heißt, in die Gaskammern von Treblinka.

4 Siehe Kapitel V und VI.

5 Jeder deutsche Soldat wusste, dass das verboten war. In seinem SoIdbuch standen die »10 Gebote für die Kriegführung des deutschen Soldaten«. Das fünfte Gebot lautete: »Dum-Dum-Geschosse sind verboten, Geschosse dürfen auch nicht in solche umgestaltet werden.« (Siehe Anhang.)

6 Das war vor dem Massaker von Oradour-sur-Glane. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie nahmen die Greueltaten einen noch viel größeren Umfang an.

7 Die Miliz wurde von der Vichy-Regierung zum Zwecke der Kollaboration mit dem SD und der Gestapo aufgestellt.

8 Diese Aussage ist den amtlichen Akten über das Verbrechen von Oradour entnommen; sie wurde inzwischen auch in einer offiziellen Publikation, Crimes ennemis en France (Verbrechen des Feindes in Frankreich), veröffentlicht.

9 Diese Aussage ist ebenfalls in Crimes ennemis en France nachzulesen.

10 Es waren in der Tat Zündschnüre.

11 Rückübersetzung aus dem Englischen.

12 Mackensen wurde am 6. Mai 1947 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt, aber wenige Monate darauf zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Am 2. Oktober 1952 wurde er aus der Strafanstalt Werl entlassen.

13 Kesselring wurde in allen Punkten für schuldig befunden und zum Tode durch Erschießen verurteilt; das Urteil wurde jedoch in lebenslängliches Gefängnis umgewandelt, und 1953 wurde Kesselring »auf dem Gnadenwege« freigelassen. Nach seiner Freilassung war er lange Zeit der Bundesführer des »Stahlhelm«.

14 Rückübersetzung aus dem Englischen.

15 Wladyslaw Pietras machte seine Aussagen vor der Zentralen Kommission zur Untersuchung deutscher Kriegsverbrechen in Polen. Sie wurden in dem amtlichen Bericht der Kommission, Deutsche Verbrechen in Polen, Band I, Warschau 1946, veröffentlicht.

16 Der weitere Teil des Augenzeugenberichts ist zu grauenhaft für eine Widergabe.

17 Oberst Prokowski stellte als Vertreter der sowjetischen Anklagebehörde im Nürnberger Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher zu dieser Frage fest: »Hitler verzerrte bewusst die Tatsachen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Sowjetunion alle Verpflichtungen auf sich genommen hatte, die sich aus den Haager Konventionen ergaben. Selbst im Strafrecht der Sowjetunion werden die Rechte der Kriegsgefangenen, und zwar im Einklang mit den Normen des Völkerrechts, unter Schutz genommen.« [Anm. des Verlags]

18 In einer Note an die Regierung der Niederlande hat die Sowjetunion am 7. März 1955 noch einmal ausdrücklich bekräftigt, dass sie die von Russland ratifizierten Haager Konventionen und Deklarationen anerkennt. [Anm. des Verlags]

19 Die sogenannten »Freiwilligenverbände«, auch »Freikorps«, die sich größtenteils aus Offizieren und Unteroffizieren zusammensetzten, wurden von der Regierung Ebert-Scheidemann während der Revolution von 1918 ins Leben gerufen. Sie führten einen brutalen Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterschaft und versuchten, durch militärische Unterdrückung die Politik des deutschen Imperialismus in Osteuropa fortzusetzen. [Anm. des Verlags]

20 Dieser Bericht über einige der Greueltaten, die im Lager von Janow begangen wurden, ist den Aussagen eines Augenzeugen namens Manusewitsch entnommen, der einem Sonderkommando von Häftlingen zur Verbrennung der in diesem Lager Ermordeten angehörte. Siehe auch das Protokoll des 59. Verhandlungstages im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Donnerstag, den 14. Februar 1946.

Kapitel V: Zwangsarbeit

1 General von Falkenhausen wurde am 27. November 1945 von der französischen Sektion zur Untersuchung von Kriegsverbrechen vernommen.

2 Die »Organisation Todt« war ein Zwangsarbeits-Battallion, das in den besetzten Gebieten eingesetzt wurde, beispielsweise beim Anlegen von militärischen Transportstrecken oder dem Bau des Atlantikwalls. Benannt nach ihrem Gründer Fritz Todt wurde die Organisation nach dessen Tod von Albert Speer weitergeführt.

3 Diese von Marschall Pétain nach dem Waffenstillstand ins Leben gerufene Jugendorganisation war bis zu einem gewissen Grade nach dem Muster der Hitlerjugend aufgebaut. Ihr Marschlied enthielt den Refrain: »Maréchal, nous voilà.«

4 Feldmarschall von Rundstedt war einer der führenden deutschen Armeegeneräle der alten Schule. Er leitete später die Ardennenoffensive vom Dezember 1944, die Deutschlands letzter Gegenschlag war. 1949 sollte er als Kriegsverbrecher abgeurteilt werden, das Verfahren wurde jedoch eingestellt, da er von einer Sonderärztekommission für prozessunfähig erklärt worden war.

5 Siehe Kapitel VI.

6 Dr. Korbel und die Oberschwester wurden von einem britischen Kriegsverbrechergericht für schuldig befunden und verurteilt. Korbel erhielt die Todesstrafe.

Kapitel VI: Konzentrationslager

1 Das »Amt Vier« des Reichssicherheitshauptamtes war für alle Gestapoangelegenheiten zuständig. Sein Leiter war damals der schon erwähnte Obergruppenführer Müller.

2 Pohl wurde im November 1947 in Nürnberg zum Tode verurteilt, aber erst im Juni 1951 hingerichtet. Zuvor hatte ihm der Vatikan telegrafisch den apostolischen Segen erteilt, nachdem er in der Strafanstalt Landsberg in die katholische Kirche eingetreten war. [Anm. des Verlags]

3 Die Kapos waren für die einzelnen Arbeitskommandos verantwortlich. Sie behandelten die Gefangenen mit großer Brutalität und waren sehr gefürchtet.

4 Hier schienen dem Autor nicht alle Informationen vorgelegen zu haben, der schwarze Winkel stand vielmehr im Allgemeinen für »Asoziale«, also Menschen, die laut Ansicht der Nazis nicht in die Gesellschaft passten … Prostituierte und Lesben gehörten sicherlich dazu, aber auch Landstreicher, Arbeitslose, gegen Kriegsende auch vermehrt Menschen, die nach Ansicht der Gestapo und SS nicht hart genug arbeiteten. Vgl. bspw.Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager von Wolf Oschlies. [Anm. des Verlags]

5 Auch in anderen Fällen wandte man zu diesem Zweck tödliche Spritzen an. Auf diese Weise ermordeten die Nazis im Konzentrationslager Natzweiler im Elsass am 06. Juli 1944 vier weibliche Angehörige des britischen Dienstes für Sonderunternehmen (SOE), die mit dem Fallschirm über Frankreich abgesetzt worden waren, um Verbindung zur französischen Widerstandsbewegung aufzunehmen, und dabei in Gefangenschaft gerieten.

6 Deutsche Verbrechen in Polen, Band I.

7 Der Verfasser hat diese Schrumpfköpfe selbst gesehen. (Siehe Abb.)

8 Aus der Einleitung des amtlichen Informationsmaterials, das während des Prozesses herausgegeben wurde.

9 Eidesstattliche Erklärung Dr. Blahas vom 9. Januar 1946 in Nürnberg.

10 Aus einem Brief, den Himmler am 16. November 1944 an den SS-General Pohl schrieb.

11 Jauchs rechte Hand, Anm. des Verlags

12 Als »Quislinge« bezeichnete man die norwegischen Kollaborateure, Namensgeber war der norwegische Politiker Vidkun Quisling, der von 1942 bis 1945 Ministerpräsident der von den Deutschen eingesetzten Marionettenregierung war. [Anm. des Verlags]

13 Odette Sansom wurde im Auftrag des britischen Dienstes für Sonderunternehmen (SOE) mit dem Fallschirm über Frankreich abgesetzt. Nach ihrer Verhaftung wurde sie von der Gestapo gefoltert. Da man trotzdem keine Aussagen von ihr erpressen konnte, brachte man sie nach Ravensbrück. In Anerkennung ihrer Verdienste wurde ihr später das Georgskreuz verliehen.

14 Beide waren als Angehörige des »Women’s Transport Service« durch den SOE als Funker über Frankreich abgesetzt worden. Sie wurden von den Deutschen verhaftet, und nachdem sie von der Gestapo verhört und gefoltert worden waren, kamen sie nach Ravensbrück, wo sie schließlich auf die übliche Art, das heißt durch Genickschuss hingerichtet wurden.

Kapitel VII: Die »Endlösung der Judenfrage«

1 Dieser »Jude« war eine Rauchwolke, die man auf dem Foto so retuschiert hatte, dass sie dem Gesicht eines Juden glich.

2 Bericht des RSHA an Hitler vom 2. Oktober 1941.

3 Zeugenaussagen von Dem Bach-Zelewskis vom 7. Januar 1946.

4 Ein weiteres euphemistisches Synonym für Vernichtung.

Einleitung von Moshe Zuckermann

Im Prolog zu seinem 1956 auf Deutsch erschienenen Buch Geißel der Menschheit schreibt Lord Russell of Liverpool: »Während des zweiten Weltkrieges […] wurden von deutscher Seite Kriegsverbrechen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß begangen. Sie waren Bestandteil der nazistischen Konzeption des totalen Krieges und wurden auf Grund eines vorher ausgearbeiteten und vereinbarten Planes verübt, dessen Ziel es war, die Einwohner der überfallenen und besetzten Gebiete zu terrorisieren und auszubeuten und alle die Menschen zu vernichten, die den deutschen Eroberern und der Naziherrschaft besonders feindlich gesinnt waren.«

Mit Bezug auf die in den Nürnberger Prozessen angeklagten Hauptkriegsverbrecher im deutschen Generalstab und Oberkommando zitiert Lord Russell das gefällte Urteil, in welchem es unter anderem heißt, diese Männer seien »in großem Maße verantwortlich gewesen für die Leiden und Nöte, die über Millionen Männer, Frauen und Kinder gekommen sind. Sie sind ein Schandfleck für das ehrenhafte Waffenhandwerk geworden. Ohne ihre militärische Führung wären die Angriffsgelüste Hitlers und seiner Nazikumpane akademisch und ohne Folgen geblieben […], sie waren eine rücksichtslose militärische Kaste […]. Viele dieser Männer haben mit dem Soldateneid des Gehorsams gegenüber militärischen Befehlen ihren Spott getrieben. Wenn es ihrer Verteidigung zweckdienlich ist, so sagen sie, sie hatten zu gehorchen; hält man ihnen Hitlers brutale Verbrechen vor, deren allgemeine Kenntnis ihnen nachgewiesen wurde, so sagen sie, sie hätten den Gehorsam verweigert. Die Wahrheit ist, dass sie an allen diesen Verbrechen rege teilgenommen haben oder in schweigender Zustimmung verharrten, wenn vor ihren Augen größer angelegte und empörende Verbrechen begangen wurden, als die Welt je zu sehen das Unglück hatte.«

Es hätten viele andere Textstellen herangezogen werden können, aber schon diese beiden aus dem Prolog mögen als paradigmatisch für Lord Russells gesamtes Werk angesehen werden. Es fällt zunächst auf, dass der Autor das Präzedenzlose der deutschen Kriegsverbrechen, zugleich aber auch ihren unglaublichen Umfang ins Auge fasst. Dieser Punkt muss hervorgehoben werden, denn sosehr sich der Diskurs auf die deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg in der Forschung späterer Jahre gemeinhin auf den an den europäischen Juden verbrochenen Holocaust und seine Einzigartigkeit fokussierte, darf nicht übersehen werden, dass die Untaten der Nazis mehr umfassten, als die Monstrosität des Holocausts. Lord Russell befasst sich zunächst mit den institutionellen Apparaten der Nazi-Tyrannei, ihren Strukturen und Funktionen (etwa denen der SS, der Gestapo und der Wehrmacht), um dann ihre Praxis und Wirkmächtigkeit bei der Verübung unterschiedlicher Kategorien von Kriegsverbrechen kenntnisreich anzuvisieren. Erörtert werden Verbrechen, die an Kriegsgefangenen, aber auch bei Vorfällen auf hoher See begangen wurden; gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Verbrechen wie auch die Schrecken der Zwangs­arbeit und der Konzentrationslager; Ereignisse wie die Massaker von Lidice und Malmedy sowie die Zerstörung des Warschauer Ghettos. Dargestellt und analysiert werden auch die von der deutschen Bevölkerung verübten Lynchmorde an Gefangenen der alliierten Luftwaffe; der Tod von vier Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen und schlimmste, von einzelnen deutschen Offizieren begangene Verbrechen.

Es erhebt sich freilich die Frage, welche aktuelle Relevanz dieses Unterfangen heute noch haben kann. Man mag einwenden, dies alles sei ja schon längst bekannt, die Forschung habe doch bereits den größten Teil dieser Verbrechen, ihrer Mechanismen, Abläufe und Ideologie zutage gefördert. Was kann man schon, so besehen, einer Schrift abgewinnen, die vor über sechzig Jahren publiziert worden ist? Nun, für den kundigen Fachmann mag die erneute Veröffentlichung dieses Buches in der Tat überflüssig sein. Es ist allerdings anzunehmen, dass er dieses bedeutende Werk aus der Vergangenheit ohnehin schon gekannt hat. Gleichwohl muss hervorgehoben werden, dass Lord Russells Buch nicht (nur) für die Fachwelt geschrieben worden war; es erhob durchaus den Anspruch, einem breiten Publikum zu unterbreiten, welch verbrecherischen Schrecken und unvorstellbares Grauen das Naziregime verursacht und generiert hat. Nicht von ungefähr avancierte das unter dem Originaltitel The Scourge of the Swastika 1954 in London veröffentlichte Werk zum Bestseller in Großbritannien, so auch die zwei Jahre später vorgelegte deutsche Übersetzung in beiden deutschen Staaten. Das Buch wurde zudem in andere Sprachen übertragen und mit Erfolg in vielen Ländern publiziert.

Wenn es also um die breite Öffentlichkeit geht, ist die Wiederveröffentlichung dieses Klassikers ganz und gar nicht überflüssig. Denn in populären Sphären sedimentiert sich kulturelles, mithin historisches Wissen gemeinhin kodiert. Selbst gebildete Rezipienten bewahren Gelesenes und Angeeignetes als kodierte Schlagworte, Slogans oder Parolen, die zwar stets abrufbar sein mögen, aber mit zunehmender Distanz zum Zeitpunkt der Aneignung immer mehr verblassen beziehungsweise sich eben zum Code verhärten oder gar versteinern. Man kennt als elementar Gebildeter »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, die Namen Ludwig XVI., Robespierre, Danton und Napoleon, wohl auch Bastille, Guillotine, Terror und Tricolore als Begriffsmatrix der Französischen Revolution, kann vermutlich einiges mit ihnen assoziieren, aber damit hat es sich auch schon für gewöhnlich. Sehr oft wird die spärliche Rezeption zudem ideologisch befrachtet – die Französische Revolution ist dann nur Gewaltherrschaft oder nur Freiheitskampf. Zur Erörterung der dialektischen Beziehung von Freiheit und Gewalt reicht es nicht mehr. Nimmt man noch Jan und Aleida Assmanns Konzept des kommunikativen Gedächtnisses hinzu, demzufolge das kollektive Gedächtnis innerhalb von ein bis zwei Generationen verblasst oder gar erlischt, lässt sich behaupten, dass das, was ehedem den mündlich-aktuellen Diskurs der Großelterngenration ausmachte, beim Diskurs der Enkelgeneration weitgehend in Vergessenheit gerät. Im Fall der Nazigeneration dürfte sich der Vergessensakt der Enkelgeneration noch eklatanter ausnehmen, nicht zuletzt, weil er sich einem Verdrängungsakt der großelterlichen Generation anschloss. Diese Verdrängung zeitigte nicht zuletzt den Stellenwert, den die Wehrmacht im deutschen kollektiven Gedächtnis über Jahrzehnte einnahm. Bis zur Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung unter Jan Philipp Reemtsma von 1995 bis 1999 und dann korrigiert von 2001 bis 2004 war die Wehrmacht als kriegerische Gewaltinstitution einigermaßen tabuisiert. Erst die Widerstände gegen die Ausstellung in Teilen der allgemeinen Öffentlichkeit machten klar, wie wenig im Grunde bei der Auseinandersetzung mit den Naziverbrechen bereits abgehakt und ad acta gelegt werden konnte. Gerade unter diesem Gesichtspunkt, und ja, auch aufgrund der zunehmenden Geschichtsverdrossenheit und des Verlangens nach dem »Schlussstrich«, das den Neonazismus in der politischen Sphäre Deutschlands mit all seinen sozialen und ideologischen Ableitungen salonfähig zu machen vermochte und immer noch vermag, ist die Neuauflage von Lord Russells Geißel der Menschheit höchst zeitgemäß.

Aber es gibt einen weiteren Aspekt, warum die erneute Veröffentlichung des Buches mehr als willkommen ist. Als Gesandter der Britischen Rheinarmee gehörte der gelernte Anwalt Lord Russell zu den wichtigsten Rechtsberatern während der Kriegsverbrechertribunale nach dem Zweiten Weltkrieg. Nun erfährt man aber aus den biographischen Notizen zu seiner Person, dass er wegen der Veröffentlichung seines Buches im Jahre 1954 von seinem Regierungsposten zurücktrat beziehungsweise zurücktreten musste. Der »offizielle« Grund dafür war die Anschuldigung, Lord Russell habe seine Position missbraucht, um persönlichen Profit aus den von ihm untersuchten Kriegsverbrechen zu schlagen. Als aber der Daily Express Auszüge aus dem Buch veröffentlichte, schimmerte ein anderer möglicher Grund durch. Die Auszüge wurden nämlich unter der Überschrift »Das Buch, das sie verbieten wollten« publiziert. Warum sollte man die Veröffentlichung eines Buches mit dem Untertitel Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen in Großbritannien verbieten wollen? Einen Hinweis auf die Beantwortung dieser Frage erhält man aus einer weiteren biographischen Notiz zu Lord Russell und seinem Werk: »Das Buch wurde 2008 in den USA neu aufgelegt und mit einem Vorwort von Alistair Horne versehen. Dieser war 1954 Auslandskorrespondent des Daily Telegraph in Deutschland und hatte die ursprüngliche Veröffentlichung scharf kritisiert, weil sie einem Antigermanismus Vorschub leistete, der die internationale politische Wiedereingliederung Adenauers Bundesrepublik Deutschland behindern konnte und Angst vor dem Aufbau deutscher Streitkräfte im international kontrollierten Rahmen der NATO schürte. In der neuen Ausgabe verschiebt Horne den Fokus der Rezension weg von der Einmaligkeit deutscher Übel auf die Dimension des Bösen, zu dem der Mensch überhaupt fähig ist.«

Um dies vertieft zu erörtern kann man von der Frage ausgehen, wie es dazu kam, dass das Land der Täter, welches Auschwitz verbrochen hatte, und das Land der Opfer, das sich als Zufluchtsstätte aller verfolgten Juden der Welt verstand, ganze sieben Jahre nach der Befreiung von Auschwitz zum kontroversen Tauschvertrag der sogenannten Wiedergutmachungsabkommen von 1952 gelangten. Mit Moral hatte dies nur in einem zynischen ideologischen Sinne etwas zu tun. Denn was auf der Tagesordnung stand, war die im Rahmen des ausgebrochenen Kalten Krieges zu befestigende Neuordnung der Welt und die mit dieser neuen Weltteilung einhergehende Ortsbestimmung Deutschlands, welches es freilich alsbald zweifach geben sollte. Einzig aus diesem geopolitischen Zusammenhang ist zu erklären, dass nicht Henry Morgenthaus Vision, Deutschland zum Agrarland degenerieren zu lassen, sondern George C. Marshalls Plan, dem westlich besetzten Deutschland wirtschaftlich wieder zum Aufschwung zu verhelfen, Gehör und Aufnahme fand. Die westdeutsche Republik sollte als Bastion des Westens gegen den expandierenden Kommunismus errichtet und gestärkt werden. Mit dieser Funktionalisierung Deutschlands im Kontext der Konsolidierung des globalen Blocksystems ging allerdings einher, dass das jüngst erst als Naziregime zusammengebrochene Deutschland wieder als geläuterte Nation in die »Völkergemeinschaft« aufgenommen werden musste, was – abgesehen von diversen »Entnazifizierungsmaßnahmen« und anderen äußeren Purifizierungspraktiken – nicht zuletzt auch mit dem staatsoffiziellen Willen zur »Wiedergutmachung« der Verbrechen an den Juden demonstriert werden sollte. Der gerade zu jenem Zeitpunkt gegründete Judenstaat bot sich dafür wie von selbst an. Abgesehen von den privaten »Entschädigungen«, konnte an ihm das Verlorene abbezahlt werden. Und Israel? Wie reagierte das Land, das aus der Shoah entstanden war? Nun, Israel konnte das Geld nur zu gut gebrauchen. Eine bald schon einsetzende Masseneinwanderung (vor allem aus den orientalischen Ländern), die Notwendigkeit, schnellstmöglich eine Infrastruktur für das zivile Leben zu schaffen, nicht minder aber auch der Bedrohung durch die feindlichen arabischen Nachbarländer mit der Bildung einer schlagkräftigen Armee zu begegnen, steigerten Israels objektive Abhängigkeit von massivem Kapitalimport zur akuten Krise. Die Wirkung auf die politische Handlungsfähigkeit des Landes, das um seine schiere Existenzfähigkeit kämpfte, war katastrophal. So gesehen ist es nachvollziehbar, dass Ben-Gurion pure Zweckrationalität walten ließ und sich weder von den emphatischen Demonstrationen gegen die Abkommen aufseiten der rechten Revisionisten der israelischen Politlandschaft, Begins Cherut-Partei, noch von den lautstarken Protesten der sozialistischen Zionisten und antizionistischen Kommunisten beirren ließ. Die Finanzierung des zionistischen Staatsprojekts musste für ihn, Gründer und führenden Staatsmann Israels jener Jahre und pragmatischen Führer einer aktivistischen politischen Tradition, den absoluten Vorrang vor jedweder moralischen Erwägung wahren. Um seine Politik durchzusetzen und seine Gegner abzuwehren, war er sogar bereit, die alte BRD als ein »anderes Deutschland« zu apostrophieren.

Nur verständlich also, dass man sich beidseitig auf den Handel einließ: Deutschland zahlte, und Israel ließ sich bezahlen. In der spezifischen Konstellation jener Tage war besagte Instrumentalisierung von Vergangenem für ein Gegenwärtiges, das sich dem jüngst Geschehenen zu entschlagen suchte, realpolitisch vielleicht eine unumgehbare Notwendigkeit. Und es ist in diesem geopolitischen Kontext der Nachkriegszeit, dass man den Versuch, Lord Russells Buch zu verhindern, begreifen muss.

Denn dass sich Alistair Horne 1954 gegen einen »Antigermanismus« verwahren zu sollen meinte, hatte ja nichts mit einer wie auch immer zu denkenden Deutschlandliebe zu tun. Was sollte es schon an Deutschland, an Westdeutschland zumal, ein Jahrzehnt nach Auschwitz zu lieben geben? Nein, es ging um Realpolitik, beziehungsweise, um Realpolitik in der infolge des Zweiten Weltkriegs entstandenen geopolitischen Situation. Die Angst vor dem Kommunismus, mithin die Bedrohung, die für den Westen vom sich im Zuge des Kalten Krieges zunehmend konsolidierenden Blocksystems ausging, war es, die es opportun erscheinen ließ, ein notwendiges, bahnbrechendes Buch wie Geißel der Menschheit verbieten zu wollen. Da man Deutschland für die Neuaufstellung des neuen globalen Machtverhältnisses brauchte, durften keine (absolut nachvollziehbaren) antideutschen Ressentiments zugelassen werden. Lord Russells Buch konnte man da nicht gebrauchen.

Und darin ist der zweite wesentliche Grund für die Angemessenheit einer neuerlichen Veröffentlichung dieses Buches zu sehen. Denn nicht nur handelt es sich um ein epochales Werk, das sehr frühzeitig leistete, was zum Paradigma der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit gerinnen sollte. Darüber hinaus lehrt uns der Kontext seiner Entstehung, mithin der realpolitisch motivierte Versuch seiner (freilich erfolglos gebliebenen) Unterdrückung, auch etwas über das Problem der ideologischen Instrumentalisierung von Geschichte und die durch machtlogische, heteronome Interessen herausgeforderte Wahrhaftigkeit. Die Neuauflage von Lord Russells Geißel der Menschheit ist, so besehen, auch eine geschichts- und ideologiekritische Bestrebung.

I Die Instrumente der Hitlertyrannei

Unmittelbar nach seinem Machtantritt begann Hitler, mit der Nazipartei den gemeinsamen Plan, die gemeinsame Verschwörung zu verwirklichen, deren Ziele bereits in Mein Kampf dargelegt worden waren und die durch Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreicht werden sollten. Der organisatorische Rahmen dieser Verschwörung war die Nazipartei; das Führerkorps bildete gleichsam den zivilen Befehlsweg, auf dem der Hauptplan in die Tat umgesetzt wurde. Jedes seiner Mitglieder wurde jährlich neu vereidigt: »Ich schwöre Adolf Hitler unverbrüchliche Treue. Ich schwöre ihm und den Führern, die er mir bestimmt, unbedingten Gehorsam.«

Vom »Führer« ausgehend, ergoss sich der Strom der Nazidoktrin über Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und Blockwarte in jedes Heim. Der Gauleiter war für den Gau, der Kreisleiter für den Kreis und der Blockwart für etwa fünfzig Haushalte verantwortlich. Jeder dieser Funktionäre hatte auf seiner Ebene einen Stab von Mitarbeitern, die das Leben der Bürger von allen Seiten her beeinflussten: auf dem Gebiet der Erziehung, der Propaganda, der Presse, des Finanzwesens und der Justiz.

Unmittelbar nach Hitler kamen die Reichsleiter: Rosenberg, von Schirach, Frick, Bormann, Frank, Ley, Goebbels und Himmler. Jeder war dem Führer für ein bestimmtes Gebiet der Nazipolitik unmittelbar verantwortlich. Sie führten die Anweisungen ihres Führers aus. Es galt als ihre Hauptaufgabe, »dem Führer in der Partei immer ein scharf geschliffenes Schwert zu erhalten«. Sie befassten sich mit der allgemeinen Politik, nicht mit Einzelheiten der Verwaltung. Der Bedeutung nach folgten an nächster Stelle die Verwaltungsfunktionäre, über die einmal gesagt wurde, dass jeder von ihnen ein kleiner Cäsar war.

Deutschland war in Gaue aufgeteilt worden, an deren Spitze jeweils ein Gauleiter stand, der dem Führer für sein Gebiet unmittelbar verantwortlich war. Der Gau war weiter unterteilt in Kreise, Ortsgruppen, Zellen und Blocks. So konnte der Nazifunktionär auf alle Gebiete des Lebens Einfluss nehmen; und der kleinste Cäsar – der Blockwart – war der größte Tyrann von allen. Er war es, der jeden Haushalt bespitzelte; er war es, der in jeder Familie einen Zuträger hatte; auf seiner Ebene bekam jeder einzelne die ganze Wucht der Nazipropaganda zu spüren.

Dem Parteihandbuch zufolge war es die Pflicht des Blockwarts, »die Verbreiter schädigender Gerüchte feststellen zu lassen« und seinen Vorgesetzten zu melden.

Der Blockwart muss nicht nur ein Prediger und Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung gegenüber den seiner politischen Betreuung anvertrauten Volks- und Parteigenossen sein, sondern er muss auch dahin wirken, dass seinem Blockbereich angehörende Parteigenossen praktische Mitarbeit leisten […].

Außerdem hatte der Blockwart über jeden Haushalt eine Akte zu führen. In der Person des Blockwarts stand jedem kleinen Deutschen sein Führer von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und es gab eine halbe Million von ihnen. So hielt Hitler das ganze Reich am Zügel.

Wie im Frieden, so war es auch im Kriege. Es gab einen Gauleiter in Holland und einen Gauleiter im Elsass; Polen, die baltischen Staaten, die sogenannten Ostgebiete, sie alle hatten ihren Gauleiter, und die Erfahrungen, die man in den Anfängen des Nazismus im eigenen Land gemacht hatte, wurden nun im Ausland verwertet. Dasselbe System, das die Deutschen unter den Willen des Führers gezwungen hatte, sollte dazu dienen, die Völker der Länder, die von seinen Armeen überfallen worden waren und unter deutscher Besatzung standen, gleichfalls zu unterjochen.

Es gab zweifellos viele Deutsche, die niemals glühende Nazis waren. Sie betrachteten Hitler als einen gemeinen Emporkömmling und seine Spießgesellen als üble Schläger. Aber von diesen Deutschen gehörte keiner der SS an, die den Kern des Nazismus bildete und deren Mitglieder ausnahmslos fanatische Jünger ihres Führers waren, die keine andere Bindung gegenüber Gott oder den Menschen kannten.

Zu Beginn des Prozesses gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg erschien in den Spalten einer Lokalzeitung der Bericht eines Journalisten über den Besuch eines Lagers, in dem SS-Angehörige interniert waren. Alle hatten ihm nur die eine Frage gestellt: »Was haben wir denn anderes getan als unsere Pflicht?« Wenn man die Mittäterschaft bei mehreren Millionen Morden und die Anstiftung dazu als Pflichterfüllung bezeichnen kann, dann hatten sie darüber hinaus tatsächlich kaum etwas anderes getan.

Dieses Buch enthält Kapitel über die Vernichtung der Juden, die Versklavung und Verschleppung von Arbeitern aus den besetzten Gebieten, die Erschießung von Geiseln, die Massenhinrichtung von Zivilisten sowie die Ermordung und Misshandlung von alliierten Kriegsgefangenen. Bei all diesen Verbrechen spielten die SS, der SD und die Gestapo eine führende Rolle. Im Frieden waren diese Organisationen von den Naziführern mit der »Unschädlichmachung« (ein euphemistisches Synonym für Ermordung) jeder Opposition betraut worden. Im Krieg sollten sie jeden Widerstand gegen die deutsche Besatzung brechen. Die Ähnlichkeit der Methoden, die zur Verwirklichung dieser Ziele angewandt wurden, gewährleistete, dass der normale Dienst dieser Organisationen im Frieden gleichzeitig ihre Ausbildung für den Krieg darstellte. Durch Verfolgung, Terror, Folterungen und die allgegenwärtige Drohung des Konzentrationslagers hatten sie in Deutschland Hitlers Herrschaft gesichert. Im Kriegsfalle sollten sie mit den gleichen, jetzt ausgiebig erprobten und vervollkommneten Mitteln die Einwohner der von den deutschen Truppen überfallenen und besetzten Länder niederhalten.

Im Jahre 1929, vier Jahre vor Hitlers Machtantritt, war Heinrich Himmler zum »Reichsführer SS« ernannt worden; er übernahm damals den Befehl über die Schutzstaffeln, die zu jenem Zeitpunkt nur 280 Mitglieder zählten, und ging daran, diese Truppe zu einer privaten Armee und Polizei auszubauen, in die nur zuverlässige und fanatische Anhänger des Führers aufgenommen wurden. Als Hitler Reichskanzler wurde, hatte die SS eine Stärke von 52 000 Mann erreicht. Als ihre Aufgabe wurde es bezeichnet, den Führer und die innere Sicherheit des Reiches zu schützen, und Himmler ließ niemanden im Zweifel über die Methoden, mit denen man vorzugehen beabsichtigte:

Wir werden unablässig unsere Aufgabe, die Garanten der Sicherheit Deutschlands im Innern zu sein, erfüllen, ebenso wie die deutsche Wehrmacht die Sicherung der Ehre, der Größe und des Friedens des Reiches nach außen garantiert. Wir werden dafür sorgen, dass niemals mehr in Deutschland, dem Herzen Europas, von innen oder durch Emissäre von außen her die jüdisch-bolschewistische Revolution der Untermenschen entfacht werden kann. Unbarmherzig werden wir für all diese Kräfte, deren Existenz und Treiben wir kennen, am Tage auch nur des geringsten Versuchs, sei er heute, sei er in Jahrzehnten oder in Jahrhunderten, ein gnadenloses Richtschwert sein.

Ein gnadenloses Schwert waren sie zweifellos, aber sie kannten weder Ehre noch Gerechtigkeit.

Für solche Aufgaben brauchte man eine hochorganisierte Streitmacht, und so wurde die aus zwölf Hauptämtern bestehende Oberste Führung der SS gebildet. Der Kern der SS, die Allgemeine SS, war der Stamm, von dem sich die übrigen Organisationen abzweigten. Sie war nach militärischen Gesichtspunkten aufgebaut und gliederte sich in Oberabschnitte, Abschnitte, Standarten und andere untere Formationen bis hinunter zu den Scharen. Bei Kriegsausbruch zählte sie in ihren Reihen 240 000 Schurken übelster Sorte. Ihre Mitglieder waren in der Regel nicht auf bestimmte Aufgaben spezialisiert; sie wurden zu jeder Art von SS-Dienst herangezogen und waren, um einen Ausdruck aus dem Militärwesen zu benutzen, die gemeinen Soldaten der Schutzstaffeln. Es war eine ihrer abscheulichen Aufgaben, das Personal für die Konzentrationslager zu stellen, und fast alle Wachmannschaften dieser Lager kamen aus den Reihen der Allgemeinen SS.

Der Bedeutung nach folgte an nächster Stelle der Sicherheitsdienst, der später im ganzen besetzten Europa ebenso wie im Reich selbst unter den gefürchteten Initialen SD bekannt wurde. Ursprünglich nur der Geheimdienst der SS, erlangte er, nachdem Hitler zum Reichskanzler gemacht worden war, immer größere Bedeutung, und 1939 war er eine der Hauptabteilungen des RSHA. Sein Chef, Reinhard Heydrich, hatte ihn inzwischen zu einem weitverzweigten Spionagesystem ausgebaut, das mit Argusaugen das Privatleben jedes deutschen Bürgers überwachte und zum alleinigen Spionage- und Gegenspionageorgan der Nazipartei wurde.

Drei Jahre nach Hitlers Machtantritt wurde Himmler unter Beibehaltung seiner Funktion als Reichsführer SS zum Chef der Polizei im Innenministerium ernannt, und damit begann die Reorgani­sation der deutschen Polizei. Sie wurde in zwei verschiedene Zweige aufgegliedert: die uniformierte Polizei oder Ordnungspolizei (Orpo) und die Sicherheitspolizei (Sipo), die 1939 mit dem SD unter der Leitung des RSHA zusammengefasst wurde.

Die Geheime Staatspolizei oder Gestapo, wie sie allgemein hieß, war eine staatliche Organisation. Sie wurde 1933 in Preußen durch Göring ins Leben gerufen. Sie war eine politische Polizei. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Polizei befasste sie sich nicht mit der Verhütung und Aufdeckung von Verbrechen, sondern mit der Unterdrückung jedes unabhängigen politischen Denkens und jeder individuellen politischen Überzeugung. Ihre Aufgabe war es, jede Opposition gegen das Hitlerregime zunichte zu machen.

Schließlich war das System der Unterdrückung völlig ausgebaut; in der Mitte dieses Spinnennetzes saß Himmler, umgeben von seiner SS, und dahinter reckte sich drohend der Schatten der Konzentrationslager. So wurde Deutschland »ganz und gar vom Nationalsozialismus ergriffen«, wie sich Hitler 1938 in einer Reichstagsrede ausdrückte. So wurde die Nation mobilisiert. Und zu welchem Zweck? Für die Aggression, für die Eroberung, für die Weltherrschaft, für den totalen Krieg. Und der Krieg kam – mit Invasionen und Erfolgen, bis zwei Drittel Europas den deutschen Stiefel im Nacken hatten. Und die SS, der SD und die Gestapo waren zur Stelle, damit es so bliebe. Die Maschine der Nazityrannei war gut geschmiert. Jahre zuvor mit Sorgfalt und Geschick entworfen und konstruiert, war sie schon in Friedenszeiten praktisch erprobt worden. Nun sollte ihre große Stunde kommen!

Bei ihrem Vorstoß auf feindliches Territorium wurden die deutschen Armeen von sogenannten Einsatzgruppen der Sipo und des SD begleitet, die eigens zu diesem Zweck gebildet worden waren und von Gestapo- und Kripoangehörigen im Range von SS-Offizieren befehligt wurden. Die Mannschaften der Einsatzgruppen waren Angehörige der Waffen-SS und der Orpo. Ihre Einheiten wurden den Armeegruppen und Armeen zugeteilt und operierten gewöhnlich in der Etappe. Sie standen zwar unter dem taktischen Befehl des Armeebefehlshabers, erhielten ihre Sonderaufgaben jedoch vom RSHA, dem sie direkt verantwortlich waren. Wenn diese Sonderaufgaben erfüllt waren und die Kampfhandlungen weiter vorrückten, erhielt das Besatzungsregime eine weniger provisorische Basis. Die Einsatzgruppen wurden zu Standquartieren der Sipo und des SD mit eigenen Zuständigkeitsbereichen. Sie hatten unter dem Militärbefehlshaber des besetzten Gebietes, aber unabhängig von ihm, ihren eigenen Befehlsweg mit direkter Verbindung zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD. In den von deutschen Truppen besetzten Ländern war das ausführende Organ gewöhnlich die Gestapo, die eine viel breitere Organisation darstellte als der SD oder die Kripo. Von 1943 bis 1945 hatte sie rund 50 000 Mitglieder, während die Kripo und der SD nur 15 000 bzw. 3 000 zählten. Die Initialen SD dienten gewöhnlich im deutschen Spionage- und Polizeidienst offiziell und inoffiziell gleichzeitig als Bezeichnung für die Sipo und den SD, und in diesem Sinne werden sie auch in den weiteren Kapiteln dieses Buches verwendet. In den besetzten Ländern trugen die Gestapoangehörigen, wenn sie nicht in Zivil arbeiteten, im Allgemeinen den schwarzen Uniformrock der SS mit dem Abzeichen des SD.

Vom Anfang bis zum Ende des Krieges waren die SS-Leute Spezialisten für »Schweinereien«, und nicht zufällig wurden gerade sie damit betraut, den Auftakt zur Invasion Polens zu geben. Alles war sorgfältig für den Überfall vorbereitet. Am 22. August 1939 machte Hitler in einer Rede vor seinen Oberbefehlshabern auf dem Obersalzberg folgende Ausführungen:

Die Vernichtung Polens steht im Vordergrund. Das Ziel ist die Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht das Erreichen einer bestimmten Linie. Ich werde einen propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig ob er glaubhaft ist. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht […]. Ich habe nur Angst, dass mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt […]. Der Weg für den Soldaten ist frei, nachdem ich die politischen Vorbereitungen getroffen habe.

Und zu diesem Zweck inszenierten die Nazis mit Hilfe der SS Grenzzwischenfälle. Einer von ihnen war der Überfall auf den Sender Gleiwitz an der polnischen Grenze. Durch diese Aktion, die als »Unternehmen Himmler« bekannt war, sollte der Anschein erweckt werden, als sei von polnischer Seite ein Überfall auf den Sender verübt worden. Reinhard Heydrich sagte bei der Instruktion des SD-Beamten, der die Aktion ausführen sollte: »Ein handfester Beweis für polnische Angriffe ist für die Auslandspresse und für die deutsche Propaganda nötig.«

Fünf oder sechs SD-Leute sollten den Rundfunksender angreifen und lange genug besetzt halten, dass ein Polnisch sprechender Deutscher aus ihrer Begleitung eine Rede in polnischer Sprache halten konnte. Darin sollte gesagt werden, dass jetzt die Zeit für einen Konflikt zwischen Deutschland und Polen gekommen sei; alle Polen müssten sich zusammenschließen und jeden Deutschen niedermachen, der ihnen Widerstand leiste. Nach Erhalt dieser Instruktionen begab sich der Einsatzleiter nach Gleiwitz, wo er auf das Stichwort von Heydrich warten sollte. Bei dieser Gelegenheit suchte er Heinrich Müller auf, den Chef des Amtes IV des RSHA, der sich zu der Zeit im gleichen Bezirk aufhielt und der ihm von einem weiteren geplanten Grenzzwischenfall berichtete. Diesmal sollten Angriffe polnischer Soldaten auf deutsche Truppen vorgetäuscht werden. Die Gestapo wollte für dieses Unternehmen eine Anzahl verurteilter Krimineller zur Verfügung stellen, die in polnischer Uniform tot auf dem Schauplatz der Handlung Zurückbleiben sollten, nachdem man ihnen zuvor tödlich wirkende Spritzen verabreicht und mit Gewehren Schusswunden beigebracht hätte. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, als seien diese »Polen« bei einem Angriff auf deutsche Truppen gefallen. Einen dieser Strohmänner, die in allen Korrespondenzen mit dem Deckwort »Konserven« bezeichnet wurden, wollte die Gestapo auch für das Gleiwitzunternehmen zur Verfügung stellen.

Der Zwischenfall von Gleiwitz ereignete sich am Abend vor der deutschen Invasion Polens; er wurde von dem SS-Führer des Stoßtrupps folgendermaßen beschrieben:

Am Mittag des 31. August 1939 bekam ich von Heydrich per Telefon das Schlüsselwort, dass der Anschlag um acht Uhr abends desselben Tages zu erfolgen habe. Heydrich sagte: »Um diesen Anschlag auszuführen, melden Sie sich bei Müller wegen der ›Konserven‹.« Ich tat dies und wies Müller an, den Mann in der Nähe der Radiostation abzuliefern. Ich […] ließ ihn am Eingang der Station hinlegen. Er war am Leben, aber nicht bei Bewusstsein. Wir nahmen die Radiostation wie befohlen, hielten eine drei oder vier Minuten lange Rede über einen Notsender, feuerten einige Pistolenschüsse ab und verließen den Platz.

Und wie die SS den Vorhang zur Invasion Polens aufgezogen hatte, so sollte sie ihn am Schluss der Vorstellung auch fallen lassen. Im April 1945 arbeitete Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner Pläne für die Zerstörung der Konzentrationslager und die Beseitigung ­all ihrer Insassen aus. Alle Beweise für das Ausrottungsprogramm sollten vernichtet werden. Diese Pläne, die unter den Deckworten »Wolke A-1« und »Feuerwolke« bekannt waren, kamen niemals zur Ausführung. Das Drama endete, ehe der Vorhang fallen konnte.

Der SD und die Gestapo waren gemeinsam für den Massenmord an Millionen unschuldiger Zivilisten in den besetzten Gebieten und für die Folterung und Misshandlung von Tausenden weiterer Menschen verantwortlich. »Nacht-und-Nebel«-Gefangene, Geiseln, alliierte Soldaten, Seeleute und Flieger, die an Stoßtruppkommandos teilgenommen hatten – sie alle wurden dem SD zur »Sonderbehandlung« übergeben.1 Durch das System der Einsatzgruppen waren der SD und die Gestapo auch für die Ermordung von zahllosen Juden im Rahmen des »Endlösungs«-Programms verantwortlich.

In einem späteren Kapitel dieses Buches findet sich ein Bericht über das Blutbad, das diese Gruppen in der Ukraine und auf der Krim unter Obergruppenführer Ohlendorf anrichteten, zu dessen Aussagen einer der Anwälte der Vereinigten Staaten von Amerika im Nürnberger Prozess sagte:

Die Menschheit wird nicht sobald seine ekelerregende Schilderung der verderbten Totschläger vergessen, denen sich selber der Magen umdrehte bei dem entsetzlichen Anblick, der sich ihnen beim Öffnen der Türen dieser Todes wagen am Rand der Gräber bot. Das waren die Männer, die mit der Zigarette im Mund am Rand von Panzergräben saßen und ihren nackten Opfern mit automatischen Waffen kaltblütig ins Genick schossen. Das waren die Männer, die ihren eigenen Leichenzählungen zufolge rund zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder ermordeten. Das waren die Männer des SD.

Sie gingen in ihren Methoden manchmal so weit, dass es selbst Leuten wie dem Generalkommissar für Weißruthenien zu viel war. Nachdem der SD auf Litauen losgelassen worden war, wandte sich dieser Kommissar über den Gauleiter von Riga schriftlich an Rosenberg, der damals Reichsminister für die besetzten Ostgebiete war, und wies, fast noch in entschuldigendem Ton, darauf hin, dass das Verhalten des SD »beinahe an Sadismus grenze«. Nach den Einzelheiten seines Berichtes zu urteilen, dürfte das jedoch noch eine beschönigende Bezeichnung gewesen sein.