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Marcus Gieske

Verblichen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Blattschuss

 

Guido sah sich um, die Sonne ließ die Bäume rings um die Lichtung auf der er stand in allen herbstlichen Farben leuchten. Er war gern im Wald, besonders an Tagen wie diesem. Der einzige Wermutstropfen der ihm immer wieder das gute Gefühl das er in der freien Natur stets empfand zunichte machen konnte, war das Töten. Nein, er mochte es ganz und gar nicht. Leider war es aber unumgänglich wenn man die Natur vor Schaden bewahren wollte. Guido öffnete den obersten Knopf seines Lodenmantels, rückte seinen Hut gerade und machte sich daran den Hochstand zu erklimmen. Er hatte sich gerade niedergelassen, als ein noch relativ junges Reh witternd auf der Lichtung erschien. Guido griff nach seinem Jagdgewehr und starrte angespannt durch das Zielfernrohr. Sofort war er fasziniert von der Schönheit des Tieres und der Anmut seiner Bewegungen. Er betrachtete die großen Augen und glaubte, es würde zu ihm hoch sehen. Plötzlich drehte es den Kopf, lauschte kurz und floh mit großen Sprüngen zurück in den schützenden Wald. Guido ließ abrupt die Flinte sinken. „Alles Gute“ dachte er noch, dann erhob er sich schulterte sein Gewehr und stieg die Leiter hinunter. Er stapfte entschlossen auf eine Fichtenschonung zu. Sonst war er nie so lange allein, Jäger begegneten sich doch ständig im Forst. Heute schien er der Einzige zu sein der auf der Jagd war. Am Ende der Schonung gelangte Guido auf einen breiten Waldweg. Er war gerade dabei die Hoffnung noch Jemanden zu treffen aufzugeben, als er ein sich rasch näherndes Motorengeräusch vernahm. „Hoffentlich sind es nicht bloß ein paar Waldarbeiter“ ging es ihm durch den Kopf. Dann sah er den Land Rover um eine Wegbiegung direkt auf ihn zukommen. Keine Waldarbeiter, der Wagen hatte das typische Jagd-grün. Der Land Rover stoppte am Wegrand genau neben Guido. Ein Mann im grünen Mantel, mit Hut und Gummistiefeln rutschte schnaufend vom Fahrersitz des Geländewagens. Er war klein und dick und sah nicht so aus als könnte er sich stundenlang durchs Dickicht kämpfen. „Der hat bestimmt schon reichlich an seinem Flachmann genippt“ dachte Guido, als er die rötliche Gesichtsfarbe des Dicken bemerkte. Der Mann grinste, „Tag auch“ presste er hervor ohne die Lippen sichtbar zu bewegen. „Auch noch nichts geschossen?“ fragte er jovial, während er im Zeitlupentempo seine Waffe aus dem Auto holte. Guido grinste ebenfalls als er antwortete „Noch nicht, aber ich bin mir sicher das ich heute noch ein Stück erlege.“ Der Langsame lachte „Das ist die richtige Einstellung. Ich hab nur eine fette Sau angeschweißt, ist dann aber abgehauen.“ Guido zog die Augenbrauen hoch „So was ist mir noch nie passiert. Bei mir gibt es nur Blattschuss.“ „Klappt auch bei Dir nicht immer. Aber trotzdem Waidmanns Heil!“ grölte der Dicke und drehte Guido den Rücken zu, um in Richtung der Fichtenschonung davon zu watscheln. „Waidmanns Dank!“ rief Guido, riss blitzschnell sein Gewehr von der Schulter entsicherte es und schoss. Der Knall hallte infernalisch laut durch die Stille des Waldes. Der Mann gab ein dumpfes Röcheln von sich, ehe er wie ein gefällter Baum auf den weichen Waldboden schlug. „Ich sag es doch, immer Blattschuss“ murmelte Guido vor sich hin und machte sich daran seine Patronenhülse zu suchen. Nachdem er sie gefunden und eingesteckt hatte, sah er auf seine Uhr. Es war schon fünf und er musste sich beeilen um nicht zu spät zur Versammlung des Tierschutzvereins zu kommen. Schließlich stand heute die Wahl des neuen Vorsitzenden an......

Und es war so gut wie sicher das man ihn wählen würde.

 

 

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