Auflage 2 / April 2018

Assira- Verlag Offenbach

Cover: Andrea Mohamed Hamroune

Coverbild: Gingitta Ortein- Ausgang ;-)

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7528-6411-3

Vorwort

Gingitta, der Ort des Ausnahmezustandes. In Gingitta gibt es besondere Regeln und Lebensumstände, die dörflich geprägt sind und auch sonst... Das, was woanders geht, klappt hier noch lange nicht. Selbst, wenn es um das Ortsschild geht, haben wir eine andere Regelung, was die Rechtschreibung angeht. Im Arabischen gibt es den Buchstaben q ( ). Mit zwei Punkten ist der Buchstabe normal geschrieben, schreibt man den Buchstaben q, arabisch aber mit drei Punkten, ist er immer noch richtig geschrieben. Man befindet sich jedoch im Bereich der Sonderregelung, um den Buchstaben wirklich als g auszusprechen.

Gingitta besteht aus einer langen Straße, an der ungefähr 25 Häuser, innerhalb von einem halben Kilometer am Straßenrand drapiert sind. Manchmal stehen Häuser nebeneinander und bilden eine Minisiedlung, etwas weiter steht ein Haus ganz alleine in der Walachei.

Es gibt einen Arzt, eine Moschee und eine Grundschule. In einer Kurve, kurz vor Ortseingang oder Ortsausgang, je nachdem von wo man kommt, gibt es einen kleinen Einkaufsladen (Hanut) und ein Cafe`. Manche Leute verkaufen an dieser Stelle Gemüse aus dem Garten oder Obst.

Genau da, wo der Hanut ist, geht der Weg runter zu dem Haus meines Schwiegervaters. Dieser Hanut ist übrigens der Hanut meines Schwagers.

Das Schild „Vorsicht Huppel“ auf dem Cover hinten ist kein Fake. Dieses Schild gibt es tatsächlich und es soll den Autofahrer vor einer Asphalterhebung mitten auf der Straße warnen. Wenn man nicht aufpasst und unaufmerksam ist, kann es ganz gewaltig scheppern. Es gibt in den Ortschaften zwar Geschwindigkeitsbegrenzungen, die mit Schildern auch angezeigt werden, jedoch gibt es niemanden, der die Einhaltung kontrolliert. Es gibt auch keine Blitzer. Aber dafür gibt es Huppel.

Algerien, Gingitta und sonst
noch was

Es ist immer das Gleiche. Mein Mann packt Klamotten zusammen, für die man gefühlt eher zwei Autos braucht als eins. Ob da noch Leute mit rein müssen, ins Auto, hat keine Relevanz. Hauptsache ER und sein Mist. Ich habe fünf Kinder, noch nicht gepackt, aber trotzdem ist das Auto bereits verplant. Rücksicht und ER? Ausgeschlossen.

Er ist so dermaßen rücksichtslos und ihm ist es sowas von egal, ob wir Platz haben für uns und unser Gepäck, dass ich, wenn ich Bedarf für uns anmelde, bereits ein schlechtes Gewissen bekomme. Wir haben einen Ford SMAX und auf dem Dach einen Dachträger. Insgesamt sind wir sieben Personen, hinten bleibt, da alle Sitzplätze belegt sind, nur ein bisschen Platz für Gepäck. Selbst diesen Platz nimmt er in Beschlag. „Eure Sachen kommen als letztes ins Auto. Ich weiß, was ich tue!“ So dokumentiert er seine Exzentrik. Ich fühle mich wie ein Opfer. Ich bin nicht seine Frau, er hat keine Kinder. Es geht nur ums Geld. Wie immer. Es geht darum, die Reise rezufinanzieren und mit Null wieder nach Hause zu kommen. Als ob man sich nicht Geld sparen kann und in Algerien was Schönes kaufen. Naja. Kaufen und etwas in Algerien, ist auch wieder so eine Sache.

Ich habe eine kleine Tochter, die noch einen Kindersitz braucht. Auf dem Boden, da wo meine kleine Tochter sitzt, bei ihrem Sitz, ist Gepäck verstaut: Die Tasche für das Schiff. Bei mir vorne, beim Beifahrersitz, im Fussbereich, ist unser Proviant für die Reise in einer Kühltasche verstaut. Ich habe sehr wenig Platz. Überall an den Seiten im Auto sind kleine Wasserflaschen verteilt. Griffbereit, sodass jeder, der Durst hat, trinken kann, wann er will. Ich habe immer eine solche Angst und fühle mich unwohl, aber am Ende geht doch alles gut. Der Mist von meinem Mann und unser Gepäck, alles ist irgendwo ins Auto gequetscht. Jeder hat einen Sitzplatz und kleine Kissen zum Kuscheln, wenn man schlafen will, haben wir auch mit. Mein Mann kommt wieder als letztes ins Auto.

Der Boss, der Checker, kontrolliert die Wohnung noch mal und zieht überall den Stecker. Außer vom Kühlschrank. Es geht los.

„Bismillah“

Vor uns liegen ca. 1014 km bis Marseille von Offenbach aus. Ich weiß nicht warum, aber mein Mann fährt den ganzen Weg alleine, obwohl wir uns abwechseln könnten. Soll er mal. Wenn er denkt, es ist schlau, so eine Strecke alleine zu fahren, dann los. Ich kann auch daneben sitzen, Handy spielen, Internet gucken und mir die Welt anschauen. Ich bin zufrieden. Wozu soll ich mir Stress machen, wenn mein Mann drauf besteht, alleine zu fahren?

Wir haben auch ein Navi dabei. Jedes Mal wenn das Navi meinem Mann den Weg dirigiert, fragt er: „Was hat sie gesagt?“ Ist schon cool, so ein Navi. Nur wenn man nicht versteht, was die Frau sagt und selbst wenn man die Frau versteht, aber nicht darauf hört und trotzdem alles besser weiß, nützt da garnichts was. Wir haben uns aber trotz der Geringschätzung meines Mannes gegenüber dem Navi nicht verfahren. Mein Mann weiß mit und ohne Navi, wie der Weg geht. Ich kenne den Grund des Zweifels aber nicht. Verunsichert mich jetzt das Navi oder mein Mann?

Manchmal machen wir auf einer Raststätte Pause. Ich und die Kinder machen Pause, um unsere Knochen wieder in Form zu bringen und um etwas zu essen. Mein Mann macht Pause, um sich vom Fahren zu erholen und auch um etwas zu essen. Er, der Boss, der Checker, hat es verstanden!!! Frauen könnten Autofahren, wenn der Mann es denn zulässt. Ich weiß nicht, ob Frau und Autofahren etwas mit Emanzipation zu tun hat und Frau und nicht Autofahren, etwas mit Diskriminierung. Ich denke, so quer über dem Daumen ist es egal, wer den Esel reitet, wenn der Esel es denn aushält!!! Mich scheint der Esel nicht auszuhalten, oder mein Mann.

Aber wie auch immer. Ich chill und guck mir die Welt an. Soll er doch fahren. Wen juckt`s??

Es wird immer später und daher auch langsam dunkel. So gegen 4 Uhr morgens sind wir in Marseille angekommen. Mein Mann sucht ein Hotel um diese Uhrzeit. Die Uhrzeit ist nicht alleine das Problem, sondern auch der fehlende Parkplatz auf einem eingezäunten Grundstück und um diese Uhrzeit sind auch sämtliche Hotels ausgebucht. Es heißt, es wäre ein Konzert in der Stadt. Wir haben kein Glück, ein Hotel zu finden und parken daher am Kai. Wir versuchen etwas zur Ruhe zu kommen und schlafen alle.

Als es etwas heller wird, fahren wir vor eine Moschee. Mein Mann geht zum Frühgebet dort rein und betet nicht nur das Fajrgebet, sondern auch alle anderen Gebete, die er während der langen Fahrt verpasst hat, nach. Es dauert also bis er wieder kommt. Von der Moschee aus beobachtet uns ein Mann, wie wir im Auto sitzen und schlafen. Er bittet uns alle in die Moschee zu kommen, gibt uns zu trinken und etwas zu essen. Ich finde das sehr nett und fühle mich mit meinen Kindern sehr gut aufgehoben in der Moschee. Ich kann mit meiner ältesten Tochter auch das Frühgebet dort beten. Nur, etwas ist merkwürdig. Normal sollte der Teppich Richtung Qibla ausgerichtet sein. In der Moschee ist der Teppich aber in Schönform dem Raum angepasst. Ich kann von oben in den Gebetsraum der Männer schauen und da liegt der Teppich anders. Das Mihrab, da wo der Imam vorbetet und die Qibla ist, kann ich nicht sehen vom Gebetsraum der Frauen aus. Ich finde das irgendwie eine gute Idee (?). Wenn ich jetzt rein spekulativ davon ausgehe, dass Männer grundsätzlich Recht haben und alles richtig machen, trotz erheblichen Zweifel, hab ich in der Moschee nicht Richtung Qibla gebetet, sondern sonst wohin. Aber Allahu alam. Spekulation ist Spekulation.

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