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©Paul Riedel, München 2016

Printed in Germany

Umschlag: © Paul Riedel, München 2016

Lektorat: Michael von Sehlen

Erste Auflage 2016

Zweite Auflage 2018

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek

verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2018 Paul Riedel

Herstellung und Verlag

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752802146

Paul Riedel

Geboren am 27. Mai 1960 in der brasilianischen Stadt Sao Paulo als Paulo Sergio Riedel, nutzt er den Namen seines Urgroßvaters als Künstlernamen.

Er beendete 2010 eine erfolgreiche Karriere in der IT- und Datenbanken-Branche und widmet sich seitdem seiner bildenden Kunst und Literatur.

Zwischen 2007 und 2011 absolvierte er eine Ausbildung als Psychotherapeut nach dem Heilpraktikergesetz, was seine Kenntnisse der menschlichen Psyche vertieft hat.

Seine Muttersprache Portugiesisch prägt seine Romane durch ihren reichen Wortschatz, genau wie sein Interesse für die Antike mit ihrem Reichtum an literarischen Formen seinen Stil beeinflusst.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Teil meiner Ausbildung in der Kunst waren das Theater und die Dramaturgie. Einige meine Freunde oder Klienten fragen, warum ich nicht mich auf eine Karriere konzentriert habe oder warum ich in der Kunst so viele Nebenfächer belegt habe.

Meine Antwort auf diese Frage ist im Grunde einfach, wenn auch etwas umfangreicher.

In einer sich immerwährend verändernden Welt sind Karriereplanungen, die über zwanzig Jahren halten, ein Vorzug, den nur wenige im Leben genießen. Ich erkannte bereits im Jahr 1974, als ich einen Berufseignungstest machte, dass das Leben von Menschen in der Antike oder im Mittelalter, die unsere Bildung geprägt haben, viel reichhaltiger war als das, was mir mein damaliges Ausbildungsangebot eröffnete.

Leonardo da Vinci war Ingenieur, Astronom, Künstler, Architekt, Maschinenbauer und Erfinder, neben anderen Berufen, die er erfolgreich ausgeübt hat. Viele Philosophen aus der Antike waren Astronomen, Mathematiker und obendrein sogar Ärzte. Warum sollte ich mich mit einem einzigen Beruf zufrieden geben? Auch in der Kunst gab es neun Musen im Olymp ‒ wozu nur einer davon huldigen?

Zugegeben, in meinem Alter schaffen es nur sehr wenige, Terpsichore, die Tanzfreudige, zu würdigen.

In Anbetracht einer kurzen Lebensdauer von vielleicht achtzig Jahren wollte ich das Maximum erreichen, auch wenn das, was ich erreichen werde, sicherlich nur einen Teil des Wissens ausmacht, das dieser Globus uns anbietet.

Die Welt des Kinos war für mich immer interessant, aber wegen meines starken brasilianischen Akzents habe ich in Deutschland nicht den Zugang zu Theater und Kino gefunden.

Jedoch nutze ich heute nach dem Abschluss meiner IT-Karriere einen Teil meiner Ausbildung in meinem YouTube-Kanal oder in meinen Beiträgen als Blogger.

Das Leben geschieht auf einer Bühne namens Welt und den Applaus werden wir nur nach dem Tod ernten, wenn doch nichts mehr zu hören ist. Darum geht es hier in dieser Geschichte.

Und nun: „Film ab!“

Set positionieren

In ländlichen Orten in Bayern hat man das Gefühl, als wäre die Zeit stehen geblieben und die Welt trotz der Zeitungsschlagzeilen noch sorgenfrei. Einige Menschen suchen dort Erholung, andere Ruhe und wieder andere wollen nur ein ruhiges Leben, mit einem oder mehreren Hunden und eventuell einer Katze und gutem Wetter.

Meine Tante Erika zog nach Unterammergau, weil sie dort frei leben wollte. Ich erfuhr zu spät, welche Freiheit sie suchte, aber ich hoffe, sie hat sie gefunden.

Ich verbrachte einige meiner Urlaube dort und half im Garten, spielte mit den Hunden meiner Tante. Vor ungefähr sechs Jahren starb der alte und nach ihm kamen Pauli und Rosa, die ich aus dem Social Network kenne. Meine Tante postete fast täglich Fotos von den Abenteuern der beiden Terrier.

Ich fuhr von meinem Büro nach Hause und ich konnte vor Stolz kaum an mich halten. Ich hatte gerade eine Ehrung für meine Leistungen in der Leitung des Vertriebs bekommen, weil wir unerwartet hohe Verkaufszahlen erreicht hatten, und der Firmeninhaber hatte mir außer einer Prämie einen Pokal überreicht. In den kommenden Monaten konnte ich sogar mit einer Ernennung zum kommissarischen Geschäftsführer rechnen.

Im April war das Wetter in Bayern wild wie sonst und meine Haare waren vom Wind zersaust, als ich zu Hause ankam. Kurz nachdem ich die Tür aufgemacht hatte, klingelte das Telefon.

„Opperhausen“, sprach ich meinen Namen aus. Ich muss sagen, dass der Namen wohlklingender ist als der Ort mit dem gleichen Namen. Ich hatte einmal dieses kleine Dorf in Niedersachsen mit einer Fotogruppe besucht, um den Ort kennen zu lernen, aus dem ich vermutlich stamme.

„Winterer“, antwortete ein Mann in bestimmt fortgeschrittenem Alter. Ich konnte den Namen nicht einordnen und hörte nur weiter zu. Als er dies bemerkte, setzte er fort.

„Udo, ich bin der Nachbar Ihrer Tante Erika.“ Welcher Nachbar?, fragte ich mich. Ich sprach nie mit den Freunden und Nachbarn meiner Tante, oder zumindest nicht, seit ich aus meiner Studenten-WG ausgezogen war.

„Ach“, tat ich so, als würde ich ihn kennen. Bei solchen älteren Menschen vom Land muss man etwas warten, bis sie auf dem Punkt kommen. Er wusste offensichtlich, wer ich bin.

„Erika ist hingefallen.“

„Oh mein Gott! Wie schlimm ist es gewesen?“

Der Mann brach in Tränen aus und ich spürte einen Kloß im Hals, da ich aus dieser Reaktion schloss, dass es etwas Schlimmeres war.

Zugegeben, meine Tante war ein netter Mensch, aber so nah standen wir uns nicht mehr und ich fragte mich, wie ich reagieren sollte.

„Sie ist nicht mehr.“ Er konnte nicht mehr sprechen und legte auf.

Ich war mehr von seiner Reaktion ergriffen als von der Tatsache, dass meine Tante nicht mehr lebte.

Noch hatte ich meine Tasche um die Schulter gehängt und mein Laptop stand noch in der Tasche zwischen meinen Füßen.

„Ruhe“, sagte ich zu mir selbst. Erst musste ich ankommen und mir überlegen, was man in solchen Momenten macht.

Zuerst setzte ich meinen Pokal auf meine Regale und schaute, dass er gut sichtbar war. Lichteinfall und Beleuchtung wurden getestet und nach fast einer halben Stunde fand ich den gewünschten Platz.

Meine Mutter war leider bereits vor einigen Jahren verstorben. Sie war die älteste Schwester meiner Tante. Sie hatten sich vor vielen Jahren, kurz nachdem ich wegen meines Jobs ausgezogen war, sehr gestritten. Worum es ging, war mir zwar nicht bekannt und ich wusste das Thema immer zu vermeiden. Das einzige Mal, dass ich doch nachfragte, lief meine Mutter so rot an, als würde ihr Kopf anschließend explodieren. Begleitet von barschen Beschimpfungen und Enterbungsdrohungen kam ihr Ausbruch über mich und sie knallte die Tür zu ihrem Schlafzimmer, wo sie anschließend die ganz Nacht hindurch weinte.

Zur Zeit des Streits bin ich aus der WG, in der mein Cousin Lukas und ich lebten, ausgezogen. Ich hatte einen Job bekommen und deshalb war ein Umzug unvermeidlich.

Na ja. Was die für Probleme untereinander hatten, interessierte mich auch nicht. Martha, die andere Schwester, hatte ich auch seit langem nicht mehr kontaktiert, aber offensichtlich war jetzt ein passender Zeitpunkt.

Meine Familie war nach und nach auseinandergebrochen und mir kam der selbstkritische Gedanke, dass ich mich sogar angesichts eines Todesfalls zuerst um ein wertloses Dekorstück und nicht um meine Tante kümmerte.

Ich schaltete meinen Laptop in meinem Wohnzimmer an und goss mir einen Assamtee ein. Der Appetit war mir vergangen. Solche Nachrichten sind etwas, womit ich nie gerne konfrontiert wurde, und so wusste ich auch nicht besser damit umzugehen.

Ich rief das Telefonbuch in meinem Browser auf und suchte nach den Namen meiner Tante.

Martha … Martha … ach ja, da kam die Erinnerung zurück: Santini. Sie hatte einen super lustigen Typ geheiratet, Italiener, sehr gebildet und sportlicher als ich. Sie waren die Eltern des Cousins, mit dem ich zusammengewohnt hatte.

Ich musste Martha Santini mehrmals anrufen. Erst beim vierten Versuch war meine Tante am Apparat.

„Santini.“

„Hallo, Tante Martha, Udo hier“, sagte ich, als würden wir uns täglich beim Frühstück sehen. Zum Teil schämte ich mich, sie seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr besucht zu haben, aber ich war so sehr im Beruf eingebunden, dass kaum Zeit für Familie und Freunde übrigblieb.

„Junge. Ich hatte beinah vergessen, dass ich einen Neffen habe.“

Sie war wie immer mehr als ehrlich.

„Hi Tante. Ja, ich gebe zu, ich habe mich etwas verdünnisiert. Keine Zeit, zu viel Arbeit, immer noch keine Freundin. Ich glaube, mich will keine und dazu muss ich dir was erzählen.

„Was denn, Bub? Alte Menschen brauchen keine Neuigkeiten. Wenn Nachrichten kommen, ist meistens einer gestorben. Heiraten will keiner mehr.“ Leider hatte sie mit ihrer Vorahnung Recht.

„Hat Tante Erikas Nachbar bei dir angerufen?“

„Nein. Deine Tante und ich telefonieren meistens nur einmal im Monat. Ist was passiert?“

Ich blickte zum Fenster und nach unten in die dunkle Straße und sah, wie der Wind herabgefallene Blätter vom letzten Herbst vor sich hertrieb.

„Ich weiß noch nichts Genaueres, aber scheinbar ist Tante Erika was passiert.“ Ich konnte mich ohrfeigen für diese ausweichende Darstellung der Tatsachen, aber ich war noch betroffen vom Anruf davor.

„Ah.“ Es folgte eine recht lange Pause.

„Sie ist schon älter, das kann mal vorkommen. Ich werde hinfahren“, setzte ich fort, um die Leere des Gesprächs zu beenden.

Ich denke, Tante Martha hat das, was ich sagte, nicht ganz gefallen. Etwas ungeschickt oder unglücklich formuliert war es wirklich, da Tante Martha nur zwei Jahren älter als Tante Erika war.

„Nicht jeder Mensch, der älter ist, muss so schnell sterben, nicht wahr?“ Die Watsche hatte ich verdient.

„Kannst du mich und Arno mitnehmen? Wir fahren kein Auto mehr und mit der Bahn sind wir Stunden unterwegs.“ Diese Chance, mich reinzuwaschen, durfte ich nicht verpassen.

„Klar, Tante. Wie geht’s Arno denn?“

„Ich glaube, er wird uns alle überleben. Ich rufe gleich Ada und Lukas an, aber sie wohnen sehr weit weg, daher wird es bestimmt etwas dauern, bis sie ankommen.“