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Impressum

1. Auflage

© by Edition Weltenschreiber 2020

Imprint Wiesengrund Verlag

www.edition-weltenschreiber.de

www.wiesengrund-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Katharina Platz

Korrektorat: Alexandra Fauth-Nothdurft

Cover Artist: Michał Gonciarek & MvT-Art

Printed in Germany

ISBN Print: 978-3-944879-86-4

ISBN E-Book: 978-3-944879-87-1

Seelenprisma Historia

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Winged Immortals

Inferno 1683: Flügel der Vergeltung

Jan Corvin Schneyder

Für M., J. und J.

Capitula

Wir berichten aus dem Jahr 1683 n. Chr. Die Monate oder Tage des Geschehens sind hinter den Kapiteltiteln vermerkt. Die Symbole kennzeichnen die Kapitelzugehörigkeit zum entsprechenden Strang der Aufzeichnungen: Schattenlichtung [~] sowie Wojna demonów [*].

* Praefatio - September -

1 ~ Die Kreise im Forst -Juni -

2 * Der Adler in der Abendsonne - Mai -

3 ~ Herr Doorn - Juni -

4 ~ Thanndorf - Juni -

5 * Fünf Todeswünsche - Mai -

6 ~ Zur ewigen Quelle - Juni -

7 ~ Fleisch - Juni -

8 * Kolorowski - Mai bis Juli -

9 * Vom Schrank aufs Dach - 6. Juli -

10 ~ Wallis’ Bibliothek - Juni -

11 ~ Lektüre - Juni -

12 * Freiwillig in die Falle - 7. Juli -

13 ~ Am Bach entlang - Juni -

14 ~ Corentins Keller - Juni -

15 * Blutgasse - 11. Juli -

16 ~ Jednorożec - Juni -

17 * Pein - 17. Juli -

18 ~ Totgeglaubt - Juli -

19 * Unerwartete Nachrichten - Juli -

20 ~ Geflügelte Unsterbliche - Juli -

21 * Leid - August -

22 ~ Blutlichtung - Juli -

23 ~ Auf der Jagd - Juli bis September -

24 * Vergeltung - 11. September -

25 * Der Morgen auf dem Kahlenberg - 12. September -

26 * Feuer, Stahl und Flügel - 12. September -

27 * Der Sohn - 12. September -

Epilogus - 1684 -

*

Praefatio

- September -

Wärt nicht ihr, die Seelenträger,
Aufbegehren, Trotz und Qual,
würden selbst die Toten reger,
letzter Tanz im großen Saal –
ist die Rettung nie erstanden
und verblutet sind die Landen
.

– Aus den letzten Balladen der Aroner

Niemand wird kommen. Sie schreien um Hilfe. Zehntausend Seelen. Wir schreien. Nur zwei Seelen. Wie oft schon ist das Fleisch von den Knochen mir gebrannt?

»Ich will endlich sterben, verstehst du das?«

Die rothaarige Frau blickte an sich hinunter. Sie war nackt auf ein Metallgestell geschnallt worden. Zahllose Schnittwunden und Verbrennungen zeugten vom letzten Besuch der Folterknechte.

Wieder erklang von draußen Kanonendonner, dann detonierten schwere Sprengladungen. Todesschreie hallten herüber. Der Gestank der Verwesung hing über dem Land, der letzte Hahn hatte schon vor Wochen gekräht. Die Menschen mussten alles gegessen haben, um nicht zu verhungern. Ob sie schon an ihren Toten nagten?

Die etwas jüngere und kleinere Frau hatte keine Kraft mehr, der Freundin zu widersprechen. Sie wollte es auch nicht. »Ich habe dir gesagt, ich kann dich sterben lassen. Du wolltest nicht.«

Die Rothaarige schüttelte den Kopf.

Glocken erklangen. Riefen sie das letzte Aufgebot zusammen? War der Tag des Untergangs gekommen?

»Wir haben alle versagt«, sagte die hellblonde, kleine Frau. Sie lag bäuchlings nackt auf einem Metallgestell. Unter ihr vermischte sich Lehm mit ihrem Blut zu einer bordeauxroten, von Dreckschlieren durchzogenen Masse. »Auch jene von uns, die nicht hier sind.«

»Gerade die!«, maulte die Rothaarige. »Wir hätten hier nicht landen sollen, aber die sollten doch etwas vorbereiten und längst hier sein! Wo sind sie? Verfluchte, verpisste, verschissene Drecksscheiße noch mal! Wo sind sie? Bevor ich sterbe, bringe ich die noch um!«

Das war ein unsinniger Wunsch, eine ganz und gar unsinnige Drohung, aber die unbändige Wut musste heraus.

Die kleine Frau hatte große, tiefe blaue Augen, doch die Zeit der Pein hatte sie getrübt und matt werden lassen. Das goldene Herz, die Fröhlichkeit … alles lag im Nebel des Schmerzes.

»Es muss ihnen etwas dazwischengekommen sein, das weißt du genau. Es muss etwas Schreckliches sein, sonst wäre das nicht passiert. Vielleicht sehen wir sie nie wieder, so oder so.«

Die Rothaarige wollte dazu nichts sagen. So stark sie auch war, nun mischten sich Mutlosigkeit und Trauer in ihren Zorn.

So endet es also. Es war eine lange Reise. Was für ein beschissenes Finale! Ein bisschen Magie, ein bisschen mehr glorreiches Gemetzel wäre schön gewesen. Alles war nur Hass und Dreck. Das ist genau die Welt, die sie erschaffen wollen. Hass und Dreck. Und wir haben nicht genug dagegen getan, bevor es zu spät war.

»Wir haben verloren«, sagte sie schließlich und wunderte sich, wie hemmungslos ihr Tränen über die Wangen liefen. »Nach all der Zeit haben wir verloren. Den neuen Krieg, den alten Krieg, den inneren Krieg, unsere Würde, unsere Stärke, unseren Trotz. Wir haben alles verloren. Alles.«

Die blonde Frau stimmte innerlich zu. Sie spürte, wie etwas in ihr endgültig wurde, wie sie etwas losließ, das sie sehr lange verkrampft festgehalten hatte. Es war wohl wirklich vorbei. Die Schlacht dort draußen stand vor ihrem schrecklichen Ende, und sie beide waren durch den Feind gebrochen worden.

Wieso läuten die Glocken noch immer? Ihr Rufen quält mich.

1

~

Die Kreise im Forst

- Juni -

Dahin ging aller Glanz, außer jenem der Nacht, der stets wandelte am Abgrund. Wenn wir uns nicht vermehren, vergehen wir – und es ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob es nicht besser für die Welt wäre, wenn wir verschwänden.

– Aus den Nachtglanz-Annalen

Die Stämme brachen nicht, aber sie lagen schwer im Wind wie nasse Wäsche auf der Leine.

Wind konnte so belebend sein, aber bei unzureichender Kleidung war er ein Ärgernis, selbst wenn man nicht ernsthaft befürchten musste, an einer Lungenentzündung zu sterben.

Sie hatte kein Pferd. Sie ritt fast nie.

Die äußerlich junge Frau ging durch das Unwetter.

Der Wald schwächte den Sturm bis zum Boden ab, doch der Regen hatte den Farn in die Erde gedrückt.

Grünbrauner Matsch ließ jeden Schritt zur Rutschpartie werden.

Ihre Wadenmuskulatur war nicht unweiblich proportioniert, aber es waren harte Muskeln. Sie war seit Jahren beinah ununterbrochen unterwegs. Zu Fuß. Weil sie es so wollte. Sie hatte nichts gegen Pferde, hätte sich auch durchaus eines leisten können, aber sie wollte es nicht.

Pferde waren zwar nicht ausschließlich ein Zeichen für Reichtum, aber Menschen, die zu Fuß gingen, galten als mittellos, als einfach, und daher waren sie im Allgemeinen zu vernachlässigen.

Sie schätzte das.

Sie wollte vernachlässigt werden.

Sie schätzte weder das Interesse reicher oder kluger Leute noch jenes von balzbereiten Männchen. Sie dachte gern in tierischen Kategorien, wenn es um Männer ging. Es gab ohne Frage hervorragende Männer da draußen, doch die meisten hatten viel zu viel Interesse an Geschlechtsverkehr. Wenn sie wenig oder kein Interesse daran hatten, dann entweder weil sie zu alt waren und ihr Körper ihnen den Dienst verweigerte oder weil sie asketisch lebten, oder auch weil sie tatsächlich vergeben und treu zugleich waren. Letzteres war ein seltenes Phänomen. Alle anderen Männer kamen ihr wie Hirsche auf der Suche nach einer willigen Herde von Hirschkühen vor.

Robika selbst hatte kein ausgeprägtes Empfinden in Sachen Lust und Leidenschaft. Sicher, ihr Körper funktionierte so wie der jeder anderen Frau auch, und sie hatte sich auch schon unsittlich berührt, ohne es gänzlich unangenehm zu finden, aber mehr kam momentan nicht infrage. Merkwürdig und fragwürdig, wie viel Aufmerksamkeit ein Großteil der Menschheit dieser tierischen Laune schenkte, fand sie. Es war doch letztlich ein Grunzen, ein Quieken, ein Schwitzen und Hampeln, beendet durch den widerwärtigen Austausch von Körperflüssigkeiten aus inneren Organen des Unterkörpers. Es war, als drücke man auf ein Insekt mit hartem Panzer, woraufhin ihm der Hinterleib platzte.

Sekret.

Totes, schleimiges Sekret.

Robika hielt inne und stützte sich an den Stamm einer Eibe.

Sie brauchte einen Moment. Die Wadenmuskulatur war in Ordnung, aber die Oberschenkel waren so hart geworden, dass sie zwischen den Schritten kaum noch die Anspannung zu lösen vermochte. Sollten die Muskeln endgültig verkrampfen und streiken, müsste Robika hier ein Nachtquartier aufschlagen. Sicher gab es irgendeine halbwegs trockene Stelle, wenn man lange genug danach suchte, aber sie wäre eben nur halbwegs trocken. Im Schlaf würde man dennoch nass und nasser werden, letztlich auch kalt und steif. Auch jemand wie Robika war vor Erkältungen nicht gefeit. Was sollte sie mit Fieber und Schnupfen anfangen? Das bremste sie nur aus. Solange sie ging oder stand, schützte sie der lange Kapuzenmantel, der mit Wachs beschichtet war, davor, Wasser auf der Haut zu spüren. Nasse Waden oder Hände waren für ihr Körpergefühl unbedeutend. Solange nur Brust, Rücken und Bauch, aber auch das Gesäß, die Haare und die Schultern trocken blieben, war Regen nur ein kühler Wisch quer über die Nase. Zu ignorieren.

Robika berührte noch immer die Eibe und schloss die Augen. Das feuchte Holz fühlte sich gut an, obwohl die Rinde zwischen den Fingern weich wurde und abfiel, wenn man sie zusammenschob. Die Eibe würde morgen noch stehen, egal wie die Nacht verlief.

Auch Robika würde morgen noch stehen, egal wie die Nacht verlief.

Sie war stark, und sie wusste das. Sie war zäh, flink und Schmerzen gegenüber nicht allzu empfänglich. Dazu hatte sie Fähigkeiten, die jene vieler Normalsterblichen überstiegen, auch wenn sie manchmal tagelang kaum daran dachte. Sie wollte niemand sein, der oft Gebrauch davon machte. Es war eher für Notfälle da, nicht um sich die Hose zu trocknen. Eine Schwachstelle jedoch hatte Robika.

Mindestens diese eine.

So kalt und abgeklärt sie auch zu sein schien, war es mehr ein innerer Zwang als ein wirklicher Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Sie wollte frigide sein, aber sie war es nicht. Ihre Gedanken, ihr Herz und manchmal auch ihr Körper schrien nach Liebe, aber Robika wollte davon nichts wissen. Sie wollte nicht zu sehr vertrauen, sie wollte nichts zu niedlich oder zu liebenswert finden, sie wollte sich keine Kinder wünschen, sie wollte nicht lieben, aber all das ruhte unter einer dünnen Schicht aus Seelenglas. Es war wohl eher Eis als Glas.

Schweren Herzens ließ sie die Eibe los und ging weiter. Es war immer bedauerlich, einen Baum loszulassen. Die Berührung gab einem so viel Gewissheit, Sicherheit und Trost, fand Robika.

Auf der nächsten Wurzel rutschte ihr rechter Fuß weg und sie fiel auf die Knie.

Der Boden war schlammig und kühl.

Robika fand es ärgerlich, dass die Knie der Hose nun feucht waren, aber diese Stellen waren in nassem Zustand noch zu ertragen.

Kein Weltuntergang.

Wann würde dieser Wald enden? Es sollte doch gar nicht so weit sein zum nächsten Dorf. Dennoch war es, als wäre sie völlig allein in der Welt, und zwar schon den ganzen Tag über. Am Morgen hatte sie das letzte Haus gesehen, davor einen Imker, der seiner Arbeit nachging, doch seitdem nichts als Baumreihen und Kleingetier. Wie schön die Welt doch ohne Menschen war, aber auch einsam und bedrohlich. Robika war den Menschen mehr zugetan als abgeneigt.

Die Dämmerung setzte ein. Es war dem Vorankommen im Wald nicht zuträglich, wenn man kaum noch auf Sicht gehen konnte. Immerhin ließ der Regen ein wenig nach.

Robika nahm die Kapuze vom Kopf und strich sich übers kurze, dunkelbraune Haar. Es war kaum schulterlang und lockig. Wenn es feucht war wie jetzt, schlugen die Locken wilde Kapriolen.

Sie trug blaue Hosen, die knapp unterhalb der Knie endeten, dazu ein weißes Hemd und darüber eine schwarze Weste, die mit drei silbernen Knöpfen geschlossen war. Sie sah ein wenig aus wie ein Zimmermann. Nicht selten wurde Robika für einen jungen Mann gehalten. Es störte sie nicht. Kleider und Röcke waren auf Reisen höchst unpraktisch.

Robika war, für das was sie war, noch sehr jung. Ihre Geburt als Mensch lag nicht einmal siebzig Jahre zurück. Sie musste noch so viel lernen, das wusste sie. Äußerlich sah sie aus wie eine Dreißigjährige, und sie fühlte sich auch nicht älter.

Ein Eichelhäher ließ seinen warnenden Ruf hören. Das war ungewöhnlich bei Wind, Regen und einsetzender Dunkelheit.

Robika blieb stehen und sah sich um.

Auch Eichelhäher irrten sich. Außerdem warnten sie auch vor umherschleichenden Füchsen. Dennoch würde Robika nicht leichtfertig ihre Umgebung und die darin lebenden Geschöpfe ignorieren. Ihr Blick wanderte über im Halblicht liegende Stämme, Wurzeln und Farne. Sie sah nichts Bedrohliches.

In diesem Teil der Welt war eigentlich nicht mit schrecklichen Überraschungen zu rechnen. Es war ein Gebiet, das durch und durch in Menschenhand lag, abgeschieden und uninteressant für jene, die keine Menschen waren. Ohnehin würde jeder Mensch Berichte über diese anderen Wesen als Hirngespinste und als Märchen abtun. Auch aus der alten, längst vergangenen Zeit sollte hier nichts hausen. Freilich konnten sich überall Abkömmlinge herumtreiben, aber in der Regel hielten sie sich in der Nähe von Macht und Wohlstand auf, oder zumindest an gut zu verteidigenden, abgelegenen Orten, die als Trutzburg zu gebrauchen waren. Warum sollte ein Abkömmling allein durch den schlammigen Wald irren?

Robika atmete tief durch. Es war immer noch nichts zu sehen. Empfand sie Angst? Warum nur? Sie tadelte sich dafür. Sie empfand zu häufig Furcht, während sie doch eigentlich kühl und besonnen auftrat. Die Angst sah man ihr nicht an, aber sie hockte in ihrer Brust wie eine fette Spinne im Netz.

War es die Angst um ihr Leben? Robika bezweifelte es. Sie fürchtete nicht, einen unerwarteten Angriff nicht zu überleben, sondern sie fürchtete einfach das Unerwartete. Eine Überraschung brachte alle Pläne durcheinander und bedeutete Kontrollverlust. Das mochte sie nicht.

Sie ging weiter und setzte die Kapuze wieder auf. Fortan hörte sie ihren eigenen Atem. Zuvor hatte sie nicht darauf geachtet, doch nun war er wie ein Ohrwurm. Ihr Herzschlag trug den Rhythmus zu diesem Lied bei. Die Freude an den Bäumen und am Leben spendenden Wasser war verflogen. Robika musste sich ablenken. Sie wollte nicht ängstlich in jedes Dickicht starren. Es würde dunkler werden. Es würde Nacht werden. Beinahe juckte es sie in den Fingern, für Licht zu sorgen, aber das wäre völlig unnötig gewesen. Und falls doch etwas da draußen war, würde sie es dadurch nur umso mehr auf sich aufmerksam machen.

Schon wieder habe ich daran gedacht. Ein unerklärliches Phänomen, eine Bedrohung, ein Diener der Finsternis. Warum sollte er sich für mich interessieren, wie könnte er mich gefunden haben, und wozu? Es ist Unsinn.

Ihr Herzschlag wurde ohne vernünftigen Grund so heftig, dass Robika stehen bleiben musste. Ein wenig Schwindel stieg in ihr auf, auch ein Hauch von Übelkeit.

Wie lange habe ich nichts gegessen?

Sie nahm ihre Ledertasche vom Rücken und kramte einen schrumpeligen Apfel sowie ein Stück Dörrfleisch hervor. Sie musste essen wie jeder normale Mensch.

Während sie bewusst abwechselnd in den Apfel und das Trockenfleisch biss – die Abwechslung machte aus dem Obst etwas halbwegs Herzhaftes und aus dem öden und zähen Fleisch etwas halbwegs Saftiges –, ging sie rückwärts. Sie hatte eine Stelle entdeckt, an der drei Bäume so nah beieinander wuchsen, dass nichts zwischen ihren Stämmen hindurchpassen konnte, das größer als ein Kaninchen war. Es war eine kleine Wand aus Holz, sicher zehn Meter hoch.

Als sie die drei Stämme erreichte, lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen und ließ sich langsam auf den Boden sinken. Sie schwang den Mantel unter ihren Po, damit sie nicht im Nassen saß.

Es gelang. Es war eine sehr schöne Stelle, und sofort setzte Müdigkeit in den Beinen ein, die so bleiern war, dass ein erneutes Aufstehen unmöglich schien.

Vielleicht muss ich gar nicht mehr aufstehen. Es wird eh dunkel, und wohin soll ich noch gelangen? Es kam bisher kein Dorf, warum sollte in der nächsten Stunde eines kommen? Vielleicht ist es hier ja doch völlig sicher wie fast immer in jedem Wald der Welt. Warum sollte …

Holz knackte.

Das tat es natürlich immer, wenn ein Sturm durch einen Wald jagte, aber es war ein anderes Knacken gewesen.

Robika blieb still sitzen.

Was immer es war, es würde sie doch gar nicht bemerken, wie sie da so klein und beinah unsichtbar am Fuße einiger Baumstämme hockte. Wenn sie sich nur einfach nicht bewegte, müsste es gut gehen.

Aber was eigentlich? Was soll gut gehen?

Wieder knackte Holz, doch das Geräusch hatte sich verändert.

Es war nicht das ächzende Geräusch sich im Wind biegender Stämme oder brechender Äste. Es war eher mit dem Reiben von nassem Leder über Holz zu vergleichen. Robika konnte sich nicht erklären, was solch ein Geräusch verursachen könnte.

Das Herz meldete sich und übertönte den Atem. Es schlug so heftig in Robikas Brust, dass ihr der unsinnige Gedanke kam, jemand könnte sie aufgrund des Herzklopfens aufspüren.

Jemand oder etwas? Ein Jemand wäre mir lieber als ein Etwas. Oder doch nur ein Bär? Gibt es hier Bären? Vermutlich schon. Warum sollte es keine geben? Warum aber schläft der Eichelhäher nun? Oder ist er tot?

Robika ärgerte sich über diesen Gedanken. Er war ebenso unwahrscheinlich wie kontraproduktiv.

Sie begann, an ihrer Ausrüstung und Kleidung zu nesteln. Die Tasche und die Stiefel waren aus weichem Wildleder. Lediglich der Gürtel hatte eine eher glatte und feste Oberfläche. Er war das Einzige an ihr, das hätte quietschen können.

Was kann dieses Geräusch verursachen? Glatt polierte, feste Stiefel. Zaumzeug. Ein Sattel. Ja, ein Sattel!

Sie horchte intensiv nach irgendwelchen Geräuschen, die auf ein Pferd hindeuten mochten. Es gab keine. Das wäre ihr ja sonst auch vorher schon aufgefallen, ärgerte sie sich.

Minuten vergingen. Nichts quietschte und nichts bewegte sich. Zumindest nichts Intelligentes.

Robika stand wieder auf. Die Oberschenkel schmerzten. Sie brannten regelrecht. Sie wollte aber nicht mehr hierbleiben. Nun nicht mehr.

Düsternis lag über dem Wald, doch die Nacht war noch nicht gekommen.

Robika stapfte los, doch hinter der nächsten Baumgruppe, am Rand einer kleinen Lichtung, blieb sie stehen. Der Waldboden war an dieser Stelle nicht von Wurzeln durchzogen, also auch nicht gefestigt. Der Regen hatte für reichlich Schlamm gesorgt. Bis zu den Knien einzusinken, klang für Robika nicht erstrebenswert. Ganz langsam machte sie einige Schritte vorwärts, doch mit jedem Schritt wurde der Boden unter den Stiefelsohlen weicher und feuchter. Die Schuhe schmatzten im Matsch.

Also besser nicht quer über die Lichtung, sondern am Rand entlang. Dort stehen Bäume und …

Robika hatte die Mitte der Lichtung noch längst nicht erreicht, da gerieten die Bäume zu ihrer Linken in merkwürdige Betriebsamkeit.

Sie waren etwa zehn Meter von ihr entfernt, eher dünne Stämme statt alter Riesen, aber sie hätten sich trotzdem nicht plötzlich in unterschiedliche Richtungen auseinanderbiegen dürfen. Es war, als fahre ein Wind in sie, der aus allen vier Himmelsrichtungen gleichzeitig kam. Der eine Baum neigte sich nach links, der daneben nach rechts, der dahinter nach hinten. Absonderliche Geräusche gab es jedoch nicht zu hören.

Robika stand erstarrt da und bestaunte den Tanz des feuchten Holzes. Schnelle Blicke in alle Richtungen zeigten ihr, dass nur diese eine Stelle betroffen war.

Es frisst mich auf. Ich erstarre. Ich sterbe. Eiseskälte. Es ist nicht real. Ich bin müde. Es herrscht ein Sturm über der Welt. Niemand ist da draußen. Niemand außer mir. Und ich könnte alles um mich her erleuchten, schmelzen, zerteilen, verbrennen. Ich brauche keine Angst zu haben! Ich …

Robika rannte los. Natürlich rannte sie nicht nach links, sondern nach rechts zu den weitgehend unbeweglichen Bäumen. Der Schlamm spritzte an ihr hoch. Sie spürte, wie ihre Hose an den Oberschenkeln nass wurde. Sie bekam einzelne Schlammspritzer ins Gesicht. Einer ging ihr ins Auge, ließ sie fluchen und ihn eilig fortwischen. Sie atmete so hektisch, dass ihr schwindelig wurde.

Dann endete der Schlamm und sie erreichte den Waldrand, stützte sich keuchend an einem Baum ab und sah sich mit weit aufgerissenen Augen nach dem Tanz der Bäume um. Sie erwartete beinah, ein schreckliches Monstrum auf sich zurasen zu sehen, doch da war nichts. Auch die Bäume bewegten sich wieder genau wie sie sollten. Alle neigten sich brav in die gleiche Richtung, die intensiv spürbarer Wind ihnen vorgab.

Der Regen nahm zu. Robika war die Kapuze vom Kopf gerutscht, doch sie dachte gar nicht daran, ihre Sicht zur Seite hin einzuengen, indem sie diese wieder aufsetzte. Das Regenwasser wusch ihr die Schlammspritzer aus dem Gesicht, aber in den halb geöffneten Mantel ergoss sich ein ungebremster Schauer auf alles, was bislang noch einigermaßen trocken geblieben war. Robikas Haare waren bald so nass, als hätte sie einen Eimer Wasser darüber entleert. Sie stand einfach da und starrte quer über die Lichtung.

Herz und Atem spielten einen feurigen Marsch.

Das muss aufhören. So wird die Nacht, die kommt, niemals enden.

Quietschendes Knirschen erklang, und dem Gefühl nach war es nur vier oder fünf Meter von Robikas Gesicht entfernt.

Irgendwo hinter den Bäumen.

Panisch stolperte sie rückwärts auf die Lichtung, rutschte aus und fiel in die grünbraune Matschmasse. Die Kälte der Moorpackung stieg ihr sofort über das Becken bis ins Mark hinauf.

Sie zitterte, kämpfte sich aber sofort wieder auf die Beine. Das Knirschen war nicht mehr zu hören, aber dort lauerte etwas.

In Sprungweite. Komm schon! Spring! Greif mich an!

Robika ging nun nur noch sehr langsam rückwärts, um nicht wieder zu stürzen. Von wo die nächste Merkwürdigkeit ausgehen würde, war nicht zu erahnen.

Der Schlamm umarmte erst ihre Fußgelenke, dann ihre Unterschenkel bis fast zu den Knien. Das war ungewöhnlich. So weich sollte Waldboden dann doch nicht werden, fand sie, aber es war kein übergroßes Problem für sie. Die Wildlederstiefel waren so fest um ihre Füße geschnürt, dass sie zwar voll Wasser liefen und schmatzten, aber nicht abrutschten. Sie würde sie nicht verlieren. Alles ließ sich später trocknen und reinigen. Alles würde wieder gut werden. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. Schließlich war ihr ja noch gar nichts zugestoßen.

Alles nur Phantasie? Aber das ist nicht typisch für mich. Ich habe nicht viel mit Halluzinationen zu kämpfen. Ich bin eigentlich ziemlich nüchtern und vernünftig. Und ich bin nicht abgrundtief müde. Ich bilde mir das nicht ein! Oder war der Baumtanz einfach nur eine Windhose, und war das Quietschen nicht einfach nur nasses Holz auf anderem nassen Holz, getrieben vom Sturm?

Sie erreichte die Mitte der Lichtung und blieb stehen. Der Himmel, den sie von dort aus klar erkennen konnte, war in tiefstes Dunkelgrau getaucht. Bald würde die Schwärze folgen. Die ersten, weil hellsten, Sterne kündeten von den bevorstehenden Liedern der Nacht.

Robika sah sich um. Nichts quietschte, nichts tanzte.

Und dieser verfluchte Eichelhäher schläft einfach nur!

Selbst in Gedanken fluchte sie eher selten, aber hier gestand sie es sich zu. Sie hatte sich offenbar von Wetterkapriolen derart blenden lassen, dass sie nun völlig durchnässt und mit Dreck besudelt wie eine kindische Närrin im Regen stand. Wie froh sie war, dass niemand sie so sah.

Dann sah sie etwas Kleines, Schwarzes.

Es beschrieb Kreise.

Es war recht schnell, wie eine Schwalbe vielleicht, und es flog am Rand der Bäume entlang. Es umkreiste die Lichtung, und damit auch Robika.

Robika kniff die Augen zusammen. Regenwasser lief ihr von der Stirn ins Gesicht. War das ein Vogel oder eine Fledermaus?

Warum beschrieb es Kreise im Forst? Bei diesem Wetter gab es keine Falter, Motten oder Mücken, die hätten gejagt werden können. Robika betrachtete das Ding und fühlte sich nicht davon bedroht. Es war sehr klein, eben wie eine Fledermaus, aber es flog anders. Es flog recht gerade und zielstrebig, etwa so wie ein Falke bei seinem Sturzflug. Was mochte das sein? Es war völlig geräuschlos, musste aber doch ein Vogel sein.

Schließlich landete es.

Damit verschwand es aus Robikas Sichtfeld. Es saß hinter irgendwelchen Farnen im Dunkel. Der Himmel verlor sein letztes Grau.

Nun bereitete ihr das Ding doch Unbehagen. Sie wusste nicht mehr, wo es war. Was konnte es vorhaben? Schlich es sich an sie heran?

Auch Kleinigkeiten können tödlich sein, aber das ist doch ein Vogel! Was für ein Vogel könnte mich bitte umbringen?

Robika seufzte.

Wie wäre es mal mit einem etwas hoffnungsvolleren Gedanken?

Das schwarze Ding tauchte vorerst nicht wieder auf.

Robikas Füße wurden allmählich zu Eisklumpen, dazu hielten die Oberschenkel die Anstrengungen des Matschwanderns nicht mehr aus. Sie wusste, sie musste dort verschwinden. Einfach geradeaus lag der Weg, der grob in Richtung Dorf führen sollte. Zumindest war dort auf der Karte ein Dorf eingezeichnet gewesen. Hinter jenem Wald sollten Weiden, Felder und ein sanft abfallendes Gras- und Hügelland auf sie warten. Das klang in diesem Moment geradezu paradiesisch.

Robika ging vorwärts. Die nächsten Schritte brachten noch keine Besserung, aber dann wurde der Schlamm flacher, der Boden allmählich fester. Schon waren die Baumreihen wieder direkt vor ihrer Nase. Die Lichtung schien anfangs eine angenehme Abwechslung gewesen zu sein, doch dann war alles schiefgegangen. Robika fand den dunklen Wald beinahe wieder einladend. Sie stolperte zwischen die Bäume. Nichts tanzte, nichts quietschte.

Sie fand eine Eibe.

Dem Himmel sei Dank, eine Eibe!

Sie lehnte sich an den Stamm und warf einen Blick über die Schulter.

Da war es wieder, das schwarze Ding, und flog seine Kreise. Als würde es bemerken, dass Robika zusah, beendete es jedoch bald darauf den Flug und landete wieder. Dieses Mal landete es genau an jener Stelle, an der Robika vor Kurzem die Lichtung erstmals betreten hatte.

Was soll das sein? Magie? Von wem? Wozu? Nur allzu selten geschehen Dinge völlig grundlos. Passiert das hier jeden Abend oder hat es etwas mit mir zu tun?

Robika bemerkte erst jetzt, dass ihr Atem und ihr Herz keine wilde Musik mehr spielten. Sie waren zur Ruhe gekommen.

Wann habe ich mich entschieden, keine Angst mehr zu haben? Ich kann mich nicht erinnern.

Sie ignorierte die Kälte, die Nässe, den Schlamm am Körper, und sie ignorierte auch ihre Beine, als sie lief. Sie lief nun, statt zu gehen. Sie wollte rasch Abstand zu diesem Ort gewinnen und redete sich ein, es habe nichts mit ihr zu tun. Diese Lichtung würde sie fortan unbedingt meiden, nie mehr hierherkommen, wenn möglich.

Robika sah nicht mehr, wie das schwarze Ding erneut Kreise zog. Auch sah sie den rötlichen Schimmer und den aufbrechenden Boden nicht.

Zwei Lebewesen erschienen auf der Lichtung. Robikas Geruch lag ihnen schwer und süß in der Nase. Der Mond trat hervor und ergoss seine silbernen Wellen über glänzendes Metall und schwarzes Fell. Im Zentrum dunkler Pupillen glühte roter Schimmer. Noch fehlte die Kraft zu einem schnellen Ritt. Auch die Orientierung fiel schwer, doch in wenigen Stunden würden die Sinne gänzlich wiederhergestellt sein.

Dann würde die Jagd beginnen.

2

*

Der Adler in der Abendsonne

- Mai-

Alle, alle sind uns weggestorben. Immer und immer wieder das gleiche Lied. Auch die besten, die selbstlosesten, die liebsten, die klügsten, die fabelhaftesten, kreativsten, nachdenklichsten, fröhlichsten, barmherzigsten und anständigsten Frauen und Männer verlassen uns nach viel zu kurzer Zeit. Aber ich werde mich an sie erinnern, an die Besten der Besten auf ewig, und ich wähne sie im Himmel, in den ich ihnen eines Tages nachzufolgen hoffe, auch wenn ich nicht bin wie sie. All das Leid, all der Schmerz, all der Tod – ich will daran glauben, dass nichts umsonst geschieht.

– Aus den Aufzeichnungen des Trifemischen Prismas

Der Gastraum war weder besonders schön noch sauber. Die Fenster waren bunt, einige gesprungen. Schmieriger Dreck verhinderte den Einfall einer ausreichenden Menge von Tageslicht. Wenn die Sonne schien, saßen die Gäste in einem Prisma aus Fett und Staub.

Runa kaute gelangweilt auf einem zähen, kalten Stück Räucherschinken. Die junge Frau mit den burschikos kurzen strohblonden Haaren erweckte den Anschein, als dürfe sie noch gar nicht allein in einem Gasthaus sitzen, doch sie hatte schon in zigtausenden Gasthäusern gesessen.

Ihr gegenüber saß Miko. Der groß gewachsene, schlanke Mann hatte sich rasiert, wie beinahe jeden Tag, und sah aus wie ein Dreißigjähriger. Vor ihm stand ein Humpen Bier, den er weitestgehend ignorierte, und das sollte schon etwas heißen. Die dunkel gefärbte Brille, eine exotische Neuheit, verbarg seine Augen vor Runa, aber die verzogenen Mundwinkel, die unordentlichen, dunkelblonden Haare und die hängenden Schultern ließen keine Zweifel an seiner Stimmung aufkommen. Er war müde oder hatte Kopfschmerzen, wahrscheinlich beides zugleich.

Runa sah auf die Wanduhr über der Eingangstür der Schankstube. Die Uhr war alt und verstaubt, aber ihr mechanisches Innenleben funktionierte noch. Das Gasthaus musste gute Zeiten gesehen haben, in denen die Anschaffung einer Uhr Sinn ergeben hatte. Inzwischen wirkte sie wie ein deplatziertes Relikt. Niemand in diesen Räumlichkeiten hatte Verabredungen einzuhalten. Es war eine Absteige für Verlorene, für Säufer und Scharlatane.

Runa und Miko jedoch hatten tatsächlich einen Termin. Er war bereits überfällig. Sie warteten auf zwei Kompagnons. Die Verabredung war zwar schon vor Wochen getroffen worden, der Zeitpunkt war aber sehr präzise festgelegt worden. Für gewöhnlich hielten die beiden Frauen, auf die sie warteten, ihre Versprechen. Also vor allem eine von ihnen. Bei der anderen wäre die Überraschung über eine erhebliche Verspätung kleiner ausgefallen.

Runa drehte sich nicht zum ersten Mal um und sah durch die bunten Fenster hinaus auf die Kopfsteinpflastergasse. Die Mittagsstunde war nah, die Uhr zeigte zwanzig Minuten vor zwölf.

»Und wenn sie gar nicht kommen?«, fragte Runa.

Miko rührte sich nicht, atmete nur schwer. Die Frage nervte ihn, aber Runa fand, dass man nicht einfach schweigsam bis zum Abend dort herumsitzen sollte. Überhaupt nervte Miko in letzter Zeit vieles, wenn nicht alles. Das machte es Runa nicht leicht, ihn zu mögen. Da er nicht antwortete, nahm sie seinen Bierkrug und trank selbst einen Schluck. Das Brauerzeugnis war nicht besonders hochwertig. Sie schüttelte sich. Das Bier schäumte stark in ihrer Speiseröhre, und das folgende geräuschvolle Aufstoßen war eine Mischung aus Schinkenmief und Alkoholodem. Sie zog ihre zierliche Nase kraus.

Miko veranlasste das wenig damenhafte Geräusch zum Heben des Kopfes. Seine Sonnenbrillenaugen sahen Runa an. Nach einem langen ausdruckslosen Moment verzog sich einer seiner Mundwinkel in Richtung eines zarten Lächelns.

Das beruhigte Runa.

»Also lebst du noch. Immerhin.«

Er nickte.

»Nicht so laut wie du, aber ja, ich lebe noch.«

Sie überging es.

»Also? Was machen wir, wenn sie nicht kommen?«

Er seufzte und setzte sich aufrecht hin. Dann griff er nach dem Bierkrug und trank selbst einen großen Schluck.

»Was wohl? Wir warten mindestens drei weitere Tage.«

Das hörte Runa nicht gern.

»Aber Elea kommt nie zu spät! Außer sie wird entführt, betäubt oder sonst irgendwas, aber das glaube ich dieses Mal eigentlich nicht.«

»Wieso?«, wollte Miko wissen und stopfte sich eine Pfeife. »Wieso sollte sie nicht in Probleme geraten sein?«

»Aber sie ist mit Mina unterwegs. Hat man Mina dabei, gerät man in Probleme, aber doch nicht in Gefangenschaft.«

»Vielleicht wurden sie getrennt«, erwiderte er ruhig und zündete das Kraut an.

Runa schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.

Miko beobachtete ihre Augen. Sie waren groß, tief und sehr, sehr blau. Jetzt waren sie so. So hatte er Runas Augen einst kennengelernt. Sie konnten sich jedoch verändern, wenn Runa in extreme Stimmungen geriet. Ein wenig Ungeduld und Gereiztheit reichte dazu freilich noch nicht aus. Runa sah durch und durch menschlich aus, ganz im Gegensatz zu ihm. Er musste die Sonnenbrille tragen, um andere Menschen nicht in Hysterie zu versetzen. Mikos Augen waren bunt und facettenreich wie Kirchenfenster, Regenbogen-Mosaike von enormer Strahlkraft. Die meisten Menschen, die ihrer ansichtig wurden, bekreuzigten sich und hielten ihn für einen Dämon, manche auch für einen Engel. Er war nichts von beidem. Unsterblich ja, aber kein Monster oder Magier. Er hatte zwei, drei besondere Fähigkeiten, die ihm im Alltag aber wenig nützten. Seine ursprünglich grünen Augen hatten sich vor ewig langer Zeit in diese prismatischen Muster verwandelt, ohne dass er dazu etwas beigetragen hätte. Er war das Prisma, ein Auserwählter, laut Prophezeiung der wichtigste und stärkste der Auserwählten. Runa, Elea und Mina waren die anderen drei. Zu viert bildeten sie seit Menschengedenken und darüber hinaus das prismatisch-trifemische Kollegium, doch kaum jemand wusste davon. Einige Feinde und der Vatikan waren einigermaßen im Bilde, aber sonst hatten sie durch zyklische Namens- und Standortwechsel eine dauerhafte, bleibende Erinnerung der Menschen an sie ausgeschlossen.

»Ich hau ab«, sagte Runa und stand auf.

Die Wirtin, die hinter der Theke Gläser polierte, nahm davon nicht mal Notiz. Sie kannte die beiden schon. Wenn einer ging, zahlte der andere. Sie machte sich keine Sorgen.

»Wohin gehst du?«, fragte Miko mit einer Spur von Unzufriedenheit in der Stimme.

»In die Kirche«, sagte Runa tonlos.

»Jetzt?«

»Wieso nicht?«

»Mittags ist doch keine Messe.«

»Ich will nur beten, nichts weiter.«

»In welche Kirche?«

»Erzkathedrale, wieso?«

»Weil ich dich dort werde abholen müssen.«

Miko stand auf und nahm die Sonnenbrille ab. Die Wirtin war gerade in der Küche verschwunden, außerdem stand er mit dem Rücken zur Theke. Nur Runa konnte seine Augen sehen. Sie beeindruckten sie nicht mehr, aber dennoch nahm sie sich fast jedes Mal einen kurzen Moment, um sie zu betrachten. Sie waren einfach zu erstaunlich.

»Geh nicht, Runa.«

»Wieso nicht?«

»Lass mich nicht allein hier. Es ist öde.«

Sie lachte.

»Das ist es auch zu zweit. Bei deiner Laune! Entweder bist du knurrig und still oder du redest zu viel. Entscheide dich, normal zu sein, und ich bin gern bei dir.«

Nur zu gern, nur allzu gern, so nah wie möglich. Besser nicht. Nicht schon wieder. Blödmann! Sei weiter ungenießbar! Ist besser so für mich.

Er ging auf sie zu und ergriff ihre Hände. Instinktiv wollte sie sich dagegen wehren, doch sie tat es nicht, sondern genoss die Berührung und sah ihm weiter fest in die Augen.

»Wir könnten …«, begann er.

Da krachte die Gaststubentür lautstark an die Wand.

»Hier kommt die Kavallerie!«, schrie eine rothaarige, vollbusige Frau und trat einen Stuhl um.

Die Wirtin kam hektisch aus der Küche geeilt, beruhigte sich aber schnell wieder, als sie sah, dass es kein Überfall war.

»Euren besten Wein!«, schrie Mina in ihre Richtung und sprang Miko in die Arme.

Die zurückgetretene Runa atmete flach. Sie hatte sich erschrocken. Außerdem … was hatte Miko gerade vorgehabt?

Das war ja wohl ziemlich eindeutig. Oder doch nicht?

Eine weitere Person kam so elegant in den Raum, als würde sie schweben. Elea trug ein weißes Kleid, und ihr blasses Gesicht war wie aus Porzellan. Nur ein zartes Lächeln verriet ihre Wiedersehensfreude. Mina herzte gerade Runa, als Elea vor Miko trat. Er bemerkte, dass ihr Körper ein leichtes, silbernes Strahlen aussandte. Ihre Emotionen ließen die Unterdrückung dieses Nebeneffektes schwanken.

»Ich grüße dich, Plus M«, sagte sie und reichte Miko die rechte Hand. Er musterte ihren perfekt geflochtenen dunkelblonden Haarkranz. Wenn sie nicht gerade kämpfen musste oder von Feinden gequält wurde, wirkte sie stets wie aus dem Ei gepellt.

Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie.

»Schön dich zu sehen, E.«

Es war förmlich, aber voller Sympathie.

Elea war, gelinde gesagt, nicht gerade ein herzlich-leidenschaftlicher Mensch. Runa ließ es sich dennoch nicht nehmen, sie zu umarmen. Elea erwiderte die Umarmung schüchtern.

Mina ließ sich krachend auf der Eckbank nieder und sah sich im Raum um.

»Öde Bude, Leute. Gibt’s in ganz Gnesen nix Heißeres?«

»Es wird bald heiß genug werden«, erwiderte Elea unfroh und setzte sich ebenfalls.

Die anderen beiden taten es ihr nach.

»Wo sind sie?«, fragte Runa.

»Sie dürften übermorgen in Belgrad eintreffen«, antwortete Mina. Sie war nun etwas sachlicher, nahm aber begeistert grinsend den Wein entgegen, den die Wirtin anreichte. Noch bevor sich die anderen etwas davon eingeschenkt hatten, kippte Mina schon den ersten Becher hinunter und rülpste.

»Stimmen die Zahlen?«, fragte Miko.

Mina nickte und trank weiter.

Elea sah Miko und Runa ernst an.

»Ja und nein. Es sind noch mehr.«

Nun tranken auch Miko und Runa.

Mira ließ ihren Becher auf den Tisch scheppern. Wein lief ihr übers Kinn.

»Knapp zweihunderttausend.«

»Gott steh uns bei!«, entfuhr es Runa.

Mira nickte energisch.

»Das sollte er. Wenn er es nicht tut, wird die Welt sich ändern, und zwar radikal.«

An kaum einem Ort konnte man deutlicher spüren, was Polen war. Gnesen, in polnischer Sprache Gniezno, war eine der ältesten Städte dieser stolzen Nation. Der Name bedeutete »Das Nest«. Der Stadtgründer, Herzog Lech, baute einst seine erste Burg auf dem Lech-Hügel über der Stadt. Über ihm hatte ein weißer Adler sein Nest gebaut, und davon ließ er sich leiten. Der Raubvogel fand sich nicht nur im Wappen der Stadt, sondern auch im Wappen des ganzen Reiches. Die Königliche Republik Polen-Litauen blickte auf eine lange Ära von Macht und Wohlstand zurück. In den vergangenen Jahrzehnten jedoch war Polen durch Niederlagen gegen Schweden und Russland geschwächt worden. Dennoch war es noch immer ein bedeutsamer, großer Staat mit allerlei Eigenarten, die man im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in Frankreich, England oder Spanien so nicht vorfand.

Miko saß in der kirchlichen Bibliothek der Erzkathedrale und las eine Stadtchronik. Sie war in lateinischer Sprache verfasst, was ihn ein wenig wunderte. Es machte aber keinen Unterschied. Für ihn und die drei anderen Auserwählten gab es keine fremde Sprache. Sie hatten genug Zeit gehabt, jede Sprache der Welt zu lernen, und jeder von ihnen war in beinahe jedem Land der Welt gewesen. Sicher entstanden ab und an neue Sprachen, die sie noch nicht perfekt beherrschten, allein weil sie sich in manchen Teilen der Welt mangels Aufgaben selten aufhielten, aber sie konnten sich überall verständlich machen. Polnisch sprachen sie alle vier auf sehr gutem Niveau. Miko hätte es problemlos lesen können, aber er liebte Latein und war von der schon sehr alten Chronik in seinen Händen durchaus angetan. Das Papier und die Bindung waren von hervorragender Qualität, alles war natürlich handschriftlich verfasst. Seit etwa zweihundert Jahren nahm die pure Anzahl von Schriftstücken jährlich in enormem Maße zu, dem Buchdruck sei Dank, aber diese Chronik war vor Jahrhunderten begonnen und immer wieder fortgesetzt worden. Mit manchen Handschriften hatte Miko kleinere Probleme. Viele Mönche waren nicht sonderlich talentiert, andere schon alt und zittrig gewesen.

Obwohl eine wahr gewordene Legende sein Leben in seltsame Bahnen gelenkt hatte, mochte Miko nach wie vor die Lektüre von Legenden. Die von der Stadtgründung Gnesens hatte zudem keine negativen Nachwirkungen gehabt. Herzog Lech, nicht nur Stadtgründer, sondern legendärer Urvater des polnischen Staates, hatte noch zwei Brüder: Čech, den Urvater des tschechischen Staates, und Rus, den Urvater des russischen Staates. Die ursprünglich zusammenlebenden Brüder hatten eines Tages beschlossen, in die Weite zu ziehen.

Čech siedelte im Süden, Rus im Osten, Lech im Norden.

Als Lech also auf den Hügel bei Gnesen gelangte, sah er jenen weißen Adler, der in der roten Abendsonne über ihm thronte. Die polnische Flagge war geboren, und das Reich gleich dazu.

Miko sah auf und zum Fenster hinaus. Er dachte über die Geschichte des Landes nach.

Das Rot ist die Abendsonne? Das war es mal. Es wird Blut sein. Sehr viel Blut.

»Was gefunden?«, fragte Mina und biss in einen Apfel. Der Fruchtsaft sprühte über den Tisch.

»Pass doch auf!«, murrte Miko und wischte die Tropfen von den Seiten der Chronik. Die Apfelsäure hinterließ dunkle Pünktchen, die möglicherweise erhalten bleiben würden.

»Toll, ein Zeugnis für die Ewigkeit. Rotzgöre frisst Apfel wie eine Sau«, knurrte er.

Er mochte es nicht, wenn Bücher verknickt oder beschmutzt wurden. Zumindest, wenn es nicht sein musste. Ein Buch, das in der Schlacht von Nutzen war, durfte Schlamm und Blut davontragen, aber Essen darauf zu verschmieren, mochte Miko ganz und gar nicht.

Mina überging seine Anfeindung und schob geräuschvoll einen Stuhl neben seinen. Dann legte sie die Füße auf die Tischkante.

»Reg dich ab, du Lustgreis!«

Miko schüttelte den Kopf. Als ihre natürlichen Alterungsprozesse eingefroren wurden, waren er und Mina etwa gleich alt gewesen. Dennoch hatte sie es sich zur Masche gemacht, ihn manchmal wie einen deutlich älteren Herrn zu behandeln. Vielleicht war er ein wenig mehr gereift als sie, dachte er, aber das konnte ja wohl nicht schlecht sein.

»Also hast du nun was gefunden oder nicht, Bücherwurm?«, fragte Mina, dann beugte sie sich vor und las selbst ein paar Worte in der Chronik. »Was ist das denn? Uralter Unsinn aus der Märchenkiste. Ich dachte, du suchst was zum aktuellen Problem!«

»Wer eine Nation nicht kennt, wird beim Herrscher kaum etwas erreichen«, wehrte er sich. »Ich kann ja schlecht zum König gehen und ihm was von der Rettung der Christenheit ans Ohr quatschen. Die Habsburger waren nun wirklich nicht immer eine große Hilfe, und andere Christen wie die Russen und die Schweden haben hier alles kaputtgeschlagen. Dass die Religion oder die Konfession allein zu Handlung inspiriert, ist längst Geschichte.«

»Falls es je so war«, sagte Mina und ließ erneut Apfelsaft sprühen.

Miko bekam etwas davon ins Auge und fluchte.

Der junge klösterliche Schreiber Wiktor, der Miko inzwischen ganz gut kannte, kam hinzu. Er war ein gut aussehender Bursche um die achtzehn Jahre, und müsste er keine Tonsur tragen, hätte er eine großartige, brünette Frisur. Seine Haare glänzten und machten einen kraftvollen, gesunden Eindruck. Wiktor war schlank, aber durchaus muskulös. Mina musterte ihn interessiert, beinahe schon lüstern. Miko bemerkte es und stieß sie genervt in die Seite.

»Kann ich Euch noch etwas bringen, Herr von Faunstadt?«, fragte Wiktor und musterte Mina. Eine vollbusige Frau mit tomatenroten Haaren, die ihre dreckigen Reitstiefel lässig auf den Tisch legte, sah er hier vermutlich auch eher selten. Zudem trug sie einen skandalös kurzen Rock, der über den Knöcheln endete!

Miko war unter anderem Nachnamen geboren worden, und später war ihm ein neuer Name zugeflogen. Er hatte ihn nicht gern aufgegeben, aber der Name war für die Öffentlichkeit verbrannt. Er hatte ihn zu häufig geführt, und man würde in gebildeten Kreisen stutzen, dass der Nachfahre dieser Linie exakt so aussah wie der Vorfahre. Ein Name durfte sich nicht durch Jahrhunderte oder Jahrtausende der Geschichte ziehen. Der Menschheit hätte es nichts gebracht, von unsterblichen Auserwählten zu wissen, denen sie eh nicht im großen Stil vertraut oder geholfen hätte. Miko bemühte sich, wenigstens ähnliche Namen zu verwenden. Faunstadt klang ähnlich wie der vorherige Name Taunstatt. Beide Freiherren-Geschlechter gab es nicht, doch das Gute war, dass kaum ein Vertreter des Adels zugeben wollte, noch nie davon gehört zu haben. Freiherrenschaften waren ja oft auch sehr klein, von daher ließ es sich als Vertreter des niederen Adels insgesamt ganz gut leben. Mikos Barvermögen ließ alle, mit denen er zu tun hatte, auch gern daran glauben – ein Übriges taten die Sprachgewandtheit und allgemeine Bildung. Er spielte die Rolle meist überzeugend, weil sie auch seiner Persönlichkeit entsprach. Wenn man ihn fragte, wo Faunstadt sei, gab er jeweils der Situation und dem Ort angemessene Antworten. Von Baden über Bayern bis hoch nach Brandenburg hatte er Faunstadt schon überall und nirgends existieren lassen.

Miko sah Wiktor an. Er hatte ihm bereits eine schöne Spende zukommen lassen, um hier in Ruhe lesen zu können.

»Hast du alles Geld deinem Orden vermacht?«, fragte er.

Wiktor lächelte. »Das meiste.«

Miko mochte, dass Wiktor nicht heuchelte oder log. Und er mochte, dass dieser Junge noch private Interessen hatte, nicht gänzlich in seiner Berufung aufgegangen war.

Mina mischte sich ein.

»Wofür brauchst du denn eigenes Geld?«

Es hatte nicht kritisch geklungen, nur neugierig.

Als Wiktor zögerte, nahm sie die Stiefel von der Tischkante und räusperte sich.

»Entschuldige, wie unhöflich. Mein Name ist Mina de Pricciosa, Kaufmannstochter aus der Toskana. Ich bin mit Herrn von Faunstadt seit Längerem verbandelt.«

»Bekannt!«, korrigierte Miko bestimmt.

»Befreundet wenigstens?«, fragte sie grinsend.

Miko nickte schicksalsergeben.

Auch Wiktor nickte.

»Ich lasse es dem Husarenregiment zukommen, Frau de Pricciosa. Ich unterstütze die Armee.«

»Ah, ein militanter Mönch«, sagte sie und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, was die Brüste noch weiter nach oben hob und noch straffer erscheinen ließ. Das lederverstärkte Oberteil platzte beinahe aus den Nähten.

Miko wusste, dass sie das wahrscheinlich absichtlich tat, um den jungen Mann in Erregung zu versetzen. Mina hatte große Freude an allen sexuellen Dingen.

Wiktor ließ sich nichts anmerken.

»Wieso ist die Armee denn auf Spenden angewiesen?«, fragte Mina.

Miko übernahm die Antwort: »Die meisten Mitglieder der Husaren, der Hussaria, kommen aus höheren Ständen. Sie müssen für beinahe ihre gesamte Ausrüstung selbst aufkommen.«

»Nur die Kopia, ihre Lanze, wird vom Staat finanziert«, ergänzte Wiktor.

Mina kniff die Augen zusammen.

»Aber Pferde und Rüstungen, und vor allem Säbel, sind doch schweineteuer!«

Miko nickte.

»Reiche Adelige und so viele Helfer, die sie mitfinanzieren wollen. Das ist kein Infanteriehaufen.«

»Elite, hm?«, fragte Mina.

Wiktor nickte heftig.

»Stets siegreich. Gegen feindliche Übermacht. Die Flügel sind ihnen von den Engeln Gottes verliehen worden.«

»Flügel?«, fragte Mina irritiert.

Von draußen drangen Geräusche durchs Fenster. Vielfaches Hufklappern schwoll an. Miko und Wiktor gingen hin und sahen hinaus.

»Sieh sie dir an!«, forderte Miko.

Mina trat neben die beiden Männer und sah hinaus. Sie waren hier etwa fünfzehn Meter über der Straße. Eine Abordnung von etwa zwanzig Reitern kam vom südlichen Stadttor her und ritt in Richtung der Kommandantur.

Sie hatten wirklich Flügel.

»Engelsmenschen?«, fragte Mina perplex. »Aber … woher wissen die von …?«

Miko winkte ab. »Unsinn.«

Rechts vorne an den Satteln waren monströs lange Lanzen aus Holz angebunden. Es gab dort offenbar eine Halterung, die das beeindruckende Gerät hielt.

Die meisten der Reiter hatten an der linken Sattelseite Pfeil und Bogen angebunden, an den Hüften trugen sie allesamt Säbel. Die Husaren trugen Armschienen und Helme mit Nasenschutz, dazu Plattenpanzer. Das war eine ganz und gar schwere Kavallerie, wie es nur noch wenige auf der Welt gab.

Auf den Rücken trugen sie Flügel aus weißen Adlerfedern. Soweit Mina sehen konnte, waren sie mit Metallbügeln am Rückenpanzer befestigt und reichten bis über den Kopf der Reiter.

»Wozu soll das gut sein, außer dass es absolut großartig aussieht?«, fragte die nun plötzlich begeisterte Mina. Sie hatte ein Faible für Uniformen und Waffen.

Wiktor kannte sich am besten aus.

»Wenn sie im Kampf schnell reiten, dann verursacht der durch die Federn rauschende Wind ein Rascheln und Rauschen wie von tausend Adlerschwingen. Die eigenen Pferde sind darauf abgerichtet, aber feindliche Tiere verfallen mitunter in Panik, wenn sie es hören.«

»Aber sind die nicht total unpraktisch beim Kämpfen?«, fragte Mina.

Miko schüttelte den Kopf. Er hatte die Hussaria schon im Kampf erlebt.

»Ganz im Gegenteil. Nach hinten schlägt man ohnehin nicht. Natürlich dreht man sich auch mal im Sattel herum, aber deswegen sind die Federn inzwischen oft direkt an den Rückenpanzern. Manchmal werden sie auch am Sattel getragen und können ihnen unter Umständen in die Quere kommen. Aber sie schützen auch den Rücken. Nicht wenige feindliche Hiebe bleiben in den Federn und den Metallbügeln hängen oder werden zumindest abgelenkt.«

Wiktor wollte noch etwas ergänzen: »Und wenn sie im Südosten gegen Tataren kämpfen, können die ihre Wurfschlingen nicht über ihre Köpfe werfen.«