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Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Die Autorin

Der Illustrator

Kapitel 1

Ich ziehe am Busgriff und kriege zu viel.

»Opa«, rufe ich über den Hof. »Die Tür klemmt schon wieder!«

Aber Opa antwortet nicht. Und ich kann ihn nirgends sehen, und das ist schlecht, denn wenn wir nicht in einer Minute losfahren, kommen wir zu spät zum Bahnhof.

»Opa!«, schreie ich. »Jetzt komm endlich!!«

Ich ruckle am Griff, doch der rührt sich nicht, und zwar keinen Millimeter.

»Lass mich mal«, sagt Marie. Marie ist meine kleine Schwester und leider kann sie gar nichts. Das Problem ist aber, dass sie denkt, dass sie alles kann, und deshalb drängelt sie sich jetzt an mir vorbei und grapscht nach dem Metall. Und dann reißt sie am Griff, als wäre sie nicht ganz normal.

»Ey«, rufe ich. »Bist du verrückt? Das kann kaputtgehen!«

Opas Bus ist nämlich uralt und ganz schön rostig und deshalb ziemlich empfindlich. Also jetzt nicht so empfindlich wie das Auto von Papa, das darf man noch nicht mal berühren, weil sonst Fingerabdrücke auf den Lack kommen, und Papa will, dass immer alles picobello ist. Opas Bus ist eher so schrottig-empfindlich.

Vielleicht könnten wir die Tür mit einem Schraubenzieher aufkriegen, aber der liegt leider auf dem Armaturenbrett hinter der Scheibe, und das ist schlecht. Daneben sehe ich auch noch eine leere Kekspackung, Opas Wackel-Elvis, eine Bürste mit langen grauen Haaren drin und ziemlich viele Tabakkrümel, aber die Sachen kann man alle sowieso nicht brauchen, um eine Autotür zu reparieren.

»Ich. Bin. Ein. King. Ich. Krieg. Das. Auf«, schnauft Marie und reißt am Griff und hopst dazu im Takt.

»Nee, ist klar«, antworte ich. »Eher King Kong, würde ich sagen.«

King Kong ist so ein richtig hässlicher Monsteraffe aus einem Film. Moritz und ich haben den mal heimlich geguckt, als ich bei ihm übernachtet habe. Eigentlich ist der erst ab zwölf. Aber das bin ich ja fast, und deshalb war der für mich auch nicht sehr gruselig.

Also nicht zu gruselig, meine ich. Ich bin nachts nur einmal kurz aufgewacht und dachte, dass im Regal vielleicht ein Riesenaffe sitzt und mich anstarrt. Aber dann waren das zum Glück nur Lego-Kisten, und das ist ja eigentlich auch klar, denn in echt gibt es gar keine Monsteraffen, die Frauen entführen. Obwohl, irgendwie auch ein bisschen schade. King Kong könnte sonst gerne mal vorbeikommen und Marie für ein paar Wochen ausleihen. Dann würden die beiden schön zusammen im Wald leben und ich hätte endlich meine Ruhe.

»Ich! Bin! King! Kong! King! Kong!«, brüllt Marie jetzt und reißt so fest am Griff, dass ihr ganzer Arm schlackert.

»Marie!«, rufe ich. »Pass auf! Das geht ka…«

Gerade als ich »… putt!« schreien will, kracht es so laut, dass mir fast die Ohren wegfliegen, und Marie schleudert nach hinten.

Sie knallt gegen meine Brust und ich klammere mich an ihrem Arm fest, und das ist leider nicht die beste Idee, denn jetzt rumsen wir beide hin und liegen wie so bekloppte Maikäfer auf dem Boden.

Also mein Rücken liegt auf dem Boden oder besser gesagt auf einer gefrorenen Pfütze und Maries Rücken liegt auf meinem Bauch, und über ihrer Schulter sehe ich nichts, nur ihren Wollhandschuh, und der reckt sich hoch in den blauen Himmel und umklammert dabei immer noch den rostigen Türgriff. Leider.

»Na toll«, zische ich. »Super gemacht.«

»Upsi«, murmelt Marie. Sie setzt sich auf und dreht den Griff hin und her. »Das kann man ganz leicht wieder reparieren.«

»Ja klar«, antworte ich. »Vielleicht mit Kleberknete, oder wie?«

Kleberknete haben wir zu Nikolaus gekriegt.

»Damit könnt ihr ganz toll Bilder an euren Zimmerwänden anbringen, und das hinterlässt keine Spuren«, hat Mama gesagt und gestrahlt.

Und seitdem macht Marie ALLES mit Kleberknete fest. Sie hat damit sogar innen in Mamas Koffer ein Überraschungsbild geklebt, das sie erst auf Mallorca finden sollte. Da sind die nämlich gerade, also Mama und Papa, meine ich.

»Nee«, murmelt Marie und starrt auf den Griff. »Ich glaub, das hält nicht.«

Wie doof ist das denn! Ich schlage mir mit der Hand an die Stirn und da sehe ich Opa. Er pfeift und zieht die Haustür hinter sich zu und dann streicht er sich ein paar graue Strähnen hinter das rechte Ohr und klemmt die Haare mit einer selbst gedrehten Zigarette fest.

Kapitel 2

»Opa!«, ruft Marie und winkt ganz hektisch mit dem rostigen Griff. »Du musst noch abschließen!«

Opa bleibt stehen und dreht sich zur Haustür.

»Wieso?«, antwortet er dann. »Die ist doch zu!«,

»Ja, aber du musst die mit dem Schlüssel doppelt abschließen, sonst können ganz leicht Einbrecher kommen!«, ruft Marie und macht ein schlaues Gesicht.

»Ach so«, sagt Opa und kratzt sich am Kopf. »Aber was sollen die denn hier? Obwohl, wenn die Hunger haben, könnten sie sich natürlich ein Käsebrötchen schmieren. Und wenn wir nicht abschließen, bleibt wenigstens die Tür heile.«

Also, wenn Papa das hören würde, würde er durchdrehen, das weiß ich genau.

Er dreht überhaupt ziemlich oft durch, wenn Opa was sagt, dabei ist Opa ja sein Vater. Aber Opa kichert dann immer nur und antwortet: »Che, altes Gesicht, jetzt mach dich mal locker.« Und dann kriegt Papa erst richtig zu viel, weil er seinen Namen nämlich hasst und immer will, dass alle Jens zu ihm sagen.

Aber zum Glück hört Papa jetzt nichts, weil er auf Mallorca am Strand sitzt. Oder besser gesagt: am Flughafen. Eigentlich wollten Mama und er schon am 22. Dezember wiederkommen, also gestern, aber dann gab es irgendwelche Probleme, und jetzt sitzen sie fest und kommen erst morgen.

Marie hat deshalb sogar geweint, weil wir sonst am Abend vor Weihnachten immer zusammen den Weihnachtsbaum schmücken. Aber das können wir ja trotzdem, nur ohne Mama und Papa eben. Wir bereiten einfach alles mit Opa zusammen vor und Heiligabend sind Mama und Papa wieder da.

»Apropos Tür«, sagt Opa jetzt. Er zieht eine Augenbraue hoch und zeigt auf den Griff in Maries Hand. »Was ist das denn eigentlich?«

»Äähh, ja«, sagt Marie und guckt so ganz unschuldig, ungefähr wie ein zartes Lamm. Opa zieht jetzt auch noch die andere Augenbraue nach oben.

»Sorry, Opa«, sagt Marie und schrumpelt ihre Nase so zusammen wie ein Meerschweinchen. »Das war nicht mit Absicht. Und irgendwie war der Griff sowieso schon kaputt.«

»Ich hab ihr gleich gesagt, dass sie nicht so an der Tür reißen darf!«, rufe ich.

»Weil du immer alles weißt, oder wie?«, zischt Marie und streckt mir auch noch die Zunge raus, und ganz ehrlich: Jetzt guckt sie wie eine Eins-a-Schlange.

»Und du siehst aus wie ein Schlangen-Lamm-Schwein«, sage ich und schiebe das Kinn nach vorne.

»Opa!«, jammert Marie. »Jonas beleidigt mich!«

»Man könnte auch Schlammschwein sagen«, rufe ich, und dazu haue ich ihr auf die Schulter, denn das war ein ganz schön guter Witz, finde ich.

Aber Marie wird jetzt richtig sauer, das kann ich sehen. Sie schnaubt und zieht die Augenbrauen zusammen und fast scharrt sie sogar mit den Füßen, und deshalb stelle ich mich schnell hinter Opa, weil vielleicht rammt sie mir sonst ihren Kopf in den Bauch.

»Stooopp«, ruft Opa und hebt beide Hände in die Luft. »Kinder, bitte, nicht streiten!«

»Opa«, antwortet Marie. »Aber Jonas hat Schlammschwein zu mir gesagt!!«

»Das darf er nicht«, antwortet Opa mit ganz ruhiger tiefer Stimme und vor seinem Mund steigen kleine Atemwolken auf. »Keine Beleidigungen, hörst du, Jonas?«

»Hmm«, sage ich.

»Jonas muss Entschuldigung sagen!«, schreit Marie.

Opa guckt mich an.

»’schuldigung«, sage ich.

»Sehr gut«, murmelt Opa und nickt dabei und guckt ein bisschen wie der Weihnachtsmann. »Ich fass mal zusammen: Also du«, dabei zeigt er mit seiner Zigarette auf Marie, »wolltest ein Problem mit der Bustür lösen.« Dann dreht er sich zu mir und tippt mit seinem Zeigefinger an meine Brust. »Und du wolltest, dass nichts kaputtgeht. Richtig?«

Marie und ich nicken.

»Ja, und wo ist dann bitte das Problem?«, ruft Opa und breitet die Arme aus. »Ihr wolltet also beide etwas Gutes! Hat eben nur nicht geklappt.«

Ich gucke ihn an. »Opa«, sage ich. »Die Tür ist kaputt.«

»Tja«, antwortet Opa und dreht sich zum Bus. »Dann müssen wir jetzt wohl alle drüben einsteigen.« Und damit dreht er sich auf dem Absatz um und geht einfach auf die andere Seite des Autos.

Marie quetscht sich am Lenkrad vorbei und rutscht rüber bis ans Fenster. Opas Bus hat vorne so eine Art Bank, und wir dürfen immer neben ihm sitzen, auch während der Fahrt, und das ist natürlich super.

Ich setze mich in die Mitte und dann stellen Marie und ich die Beine auf den Tisch, und das ist richtig gemütlich. Also Opa hat natürlich keinen echten Tisch im Fußraum. Da steht eine Kiste Bier und obendrauf liegt ein himmelblaues Halstuch mit Peace-Zeichen als Tischdecke. Den Tisch braucht er zum Beispiel, wenn er auf Festivals geht und dann im Bus übernachtet.

»Opa«, frage ich und gucke ihn von der Seite an. »Kannst du dir vielleicht einen Pferdeschwanz machen?«

Irgendwie will ich gerne, dass Opa ordentlich aussieht, wenn wir Lucky vom Bahnhof abholen. Also Lucky kennt Opa ja und weiß, dass er sich nicht so gerne kämmt, aber trotzdem.

»Joaa«, murmelt Opa. Er dreht den Schlüssel im Schloss und legt den Gang ein und dabei rumst und quietscht es ganz schön laut im Motor.

»Weil sonst denken vielleicht alle, du bist ein Penner!«, rufe ich in den Krach, und ZACK bremst Opa, und zwar so, dass Marie und ich nach vorne rutschen und fast mit dem Po neben der Bierkiste klemmen.

»Wie meinst du das denn?«, fragt Opa und guckt mir ins Gesicht und irgendwie ist seine Stirn ganz runzelig. Ich kriege einen Schreck, ich wollte Opa ja nicht beleidigen.

»Sorry«, sage ich und rutsche mit dem Po wieder auf den Sitz. »Du siehst natürlich nicht in echt aus wie ein Penner. Aber gekämmt finde ich deine Haare irgendwie schöner.«

»Ich auch!«, kräht Marie. »Ich kann dir auch eine Frisur machen!« Also das fehlt mir jetzt gerade noch, dass Marie anfängt, Opa einen französischen Zopf oder so was zu flechten. Oder am besten wieder so eine komische Antennenfrisur, mit ganz vielen abstehenden Pferdeschwänzen.

»Marie«, sage ich. »Opa soll nicht aussehen wie ein Penner und auch nicht wie ein Idiot.«

»Jonas«, wiederholt Opa. »Wie meinst du das mit dem Penner?«

Ich weiß überhaupt nicht, was er meint. Ich habe doch schon Entschuldigung gesagt, und eigentlich ärgert er sich nie über Sachen, und wenn doch, dann nur ganz kurz.

»Na ja«, murmle ich. »Die Leute denken sonst vielleicht, du bist ein Penner und säufst und hängst immer nur auf der Straße rum.«

»Die Leute sind mir piepegal«, sagt Opa. »Und Obdachlose pennen nicht mehr als andere Menschen, merk dir das. Die hätten vermutlich auch gerne einen Job und eine Wohnung und ein ganz normales Leben. Alles klar, Kumpel?«

Ich nicke, aber ehrlich gesagt verstehe ich Opas Problem nicht so richtig. Ist doch egal, wenn ich Penner sage, das hört doch keiner. Also außer Opa. Und Marie natürlich.

Kapitel 3

Zum Glück finden wir sofort einen Parkplatz. Es ist jetzt schon 15 : 23 Uhr und um 15 : 25 Uhr kommt Lucky an. Sie würde es wahrscheinlich nicht schlimm finden, wenn wir zu spät kommen, aber trotzdem.