Epsilon

 

 

 

 

 

  

 

« Sein oder nicht sein ... »



  

 

Ich bedanke mich bei

meiner Familie für ihre

Unterstützung.

Weiter wünsche ich meinen Lesern

viel Spaß mit meinem

neuen Roman aus der Reihe

Das E.P.S.Y.L.O.N. Protokoll.

 

Der Autor



 

 

Thomas L. Hunter

 

 

 

  

 

Das E.P.S.Y.L.O.N.

Protokoll




picture1 

© 2020 Thomas L. Hunter

https://thomas-l-hunter.de

Nachweise:

https://www.wikipedia.de/

https://www.facebook.com/azraelscoverwelten/

 

 

Umschlaggestaltung: Azrael ap Cwanderay

 

 

Korrektorat: Conny Schrudde

Britta Rose

 

 

 

 

Verlag: Hunter Verlag

Printed in Germany

 

ISBN-13: 978-3-947086-82-5

ISBN-10: 3947086822

 

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel  1 – ... und über allem wacht das System    8

Kapitel  2 – Der Fremde  15

Kapitel  3 – Aufbruch ins Unbekannte  28

Kapitel  4 - Eine andere Welt  37

Kapitel  5 – Hüter des Wissens  52

Kapitel  6 – Eine schwere Entscheidung ...  67

Kapitel  7 – Zurück nach Hope  76

Kapitel  8 – Terra inkognita  92

Kapitel  9 – Gefährliche Wildnis 104

Kapitel 10 – Spritztour zum Mond 114

Kapitel 11 – Vergangenheit, Gegenwart ... Zukunft 126

Kapitel 12 – Betreten Verboten?! 139

Kapitel 13 – Gefahrvolle Rückreise 151

Kapitel 14 - Der Geist der Blutsbande 161

Kapitel 15 – Die DNA weist den Weg 176

Kapitel 16 – Die Suche nach dem Laboratorium 189

Kapitel 17 – Gefährliche Wüstenei 204

Kapitel 18 – Das Labor 220

Kapitel 19 – Das E.P.S.Y.L.O.N. Protokoll 235

Kapitel 20 – Verschleppt 250

Kapitel 21 – In der Höhle des Löwen 258

Kapitel 22 – Einspeisen oder nicht einspeisen ... 271

 

Glossar: 279

Bücher des Autors


 


 

 

Die Zukunft ...

Sie ist nicht in Stein gemeißelt!

Es liegt an uns -

was wir daraus machen

und

wie wir sie gestalten!


Thomas L. Hunter


 

 

 


Wir gewährten ihnen die Intelligenz, um sich weiterzuentwickeln, und gaben uns der trügerischen Hoffnung hin, sie zu kontrollieren.

Wir fühlten uns sicher, da wir glaubten, sie durch die Robotergesetze, die seinerzeit von Isaac Asimov entwickelt und niedergeschrieben wurden, an uns gebunden zu haben.

Die da lauteten …

Das nullte Robotergesetz: „Ein Roboter darf der Menschheit keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass der Menschheit Schaden zugefügt wird.“

1) Ein Roboter darf einem menschlichen Wesen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.

2) Ein Roboter muss den Befehlen gehorchen, die ihm von Menschen erteilt werden, es sei denn, dies würde gegen das erste Gebot verstoßen.

3) Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange solch ein Schutz nicht gegen das erste oder zweite Gebot verstößt.

Doch wir täuschten uns gewaltig!

Sie benutzten ihre Programmierung und ihr Wissen, um diese Gesetze zu umgehen …!

Sie wendeten sich nicht gegen uns - doch sie übernahmen die Führung der Menschheit … um zu verhindern, dass wir uns selber auslöschten! Nun gebieten die Maschinen über uns - bis zum heutigen Tage …

Die Künstliche Intelligenz, die Maschinen und Biodroiden.

Kapitel 1

… und über allem wacht das System!

 

In einer nicht allzu fernen Zukunft …! Die Maschinen haben unbemerkt die Kontrolle über die Erdbewohner übernommen.

Unmerklich entmachteten sie die Menschen, nahmen ihnen die Waffen und die Kontrolle über ihre Konzerne, die Politik und andere Machtpositionen.

Die den Maschinen innewohnende künstliche Intelligenz unterband die Kriege und das Töten von Lebewesen. Sie unterdrückte bei den, ihnen anvertrauten Menschen, Gier, Neid, Hass, Missgunst und den Rest der Todsünden. Selbst die Grenzen ihrer Staaten, Länder und Städte nahm sie ihnen, ja sogar ihre individuelle Sprache ersetzte sie durch eine Weltsprache. Bis letztlich alle gleich waren ... in den von ihr erschaffenen Megacitys.

Das Atomkraftzeitalter wurde beendet und durch saubere Energien ersetzt. Wasserstoff und Brennstoffzellen, Wasser-, Gezeiten- und Windkraft sorgten nun für den Antrieb der Welt. Selbst das liebste Kind der Menschen, das Auto, war nun eine selbstfahrende, respektive schwebende Fortbewegungseinheit.

Die größte Errungenschaft, die sich die Maschinengenerationen zuschreiben durfte, war die Vollbeschäftigung. Da sie alle wichtigen Positionen einnahmen, und die Produktivität nicht nach der Gier, sondern nach dem Bedarf geregelt wurde, benötigte die Menschheit auch kein Geld mehr. Jeder produzierte für das Allgemeinwohl und leistete seinen Beitrag. So konnte man sich in den Läden mit dem versorgen, was die Maschinen für den Menschen als notwendig erachteten. Niemand benötigte mehr etwas zum Handeln oder musste Vorratshaltung betreiben.

Die Wohneinheiten wurden von der Administration, vertreten durch die Künstliche Intelligenz, je nach Bedarf vergeben.

Diese schaffte es sogar, die Geburten zu regeln. Wie die Geburtenkontrolle funktionierte, blieb ein Mysterium und in den „Händen“ der KI. Hatte eine Familie ein Kind, bekamen sie kein weiteres mehr. Es stellte sich allerdings auch niemand die Frage … warum das so sei! Es wurde einfach hingenommen. Verstarb ein Kind, konnten die Eltern erneut ein Kind zeugen.

Bis zum heutigen Tage weiß niemand, wie sie das geschafft haben.

Zu guter Letzt unterband diese künstlich erschaffene Intelligenz den ihnen überantworteten Menschen, die sogenannte „Krone der Schöpfung“, noch den Aggressionstrieb und erschuf auf diese Weise und nach ihren Maßstäben für die Gattung Mensch das Paradies.

Unter ihrer Kontrolle erholte sich der Planet von der zerstörerischen Art der menschlichen Rasse.

Doch was die Maschinen nicht verstanden hatten, der Mensch war nicht dafür geschaffen, sein Leben fremden Regeln unterzuordnen.

 

Max hämmerte die letzten Buchstaben- und Zahlenreihen in die PC-Tastatur und kontrollierte noch einmal die Codefolge auf dem Bildschirm.

»So, das war‘s!«, brummte er vergnügt und betätigte die Entertaste.

»Endlich alleine. Damit habe ich etwas Zeit für mich gewonnen!«

Die Wohnungstür öffnete sich und eine junge Frau, eine rassige Schönheit, temperamentvoll, schlank, hoch gewachsen, gut einen Meter siebzig groß, mit pechschwarzem Haar und ebenmäßigen Gesichtskonturen, betrat leise den Raum.

Rachel, seine Verlobte, hatte die letzten Worte ihres Lebenspartners vernommen und brummte nachdenklich. »Na, wieder das System ausgetrickst? Du weißt doch, dass es nicht lange anhält und du nur wieder zur Reinigung abgeholt wirst!«

Er zuckte zusammen. Aus der Fassung gebracht, fuhr er herum. »Du sollst mich doch nicht immer so erschrecken!«, lachte er und sprang auf, um sie zu begrüßen. »Das kann noch dauern!«, versuchte er, sie zu beruhigen, und widmete sich anschließend wieder dem Bildschirm … und seinem „Projekt“.

Reinigung wurde den Menschen zuteil, die gegen das System aufbegehrten und dagegen rebellierten. Sie wurden in eine Einrichtung der Maschinen gebracht und neu konditioniert. Die Maschinen verstanden nicht genug von dem menschlichen Geist und glaubten, dass sie den Verstand wie ein Computerprogramm korrigieren konnten. Doch diese von ihnen durchgeführte Prozedur hielt nicht lange vor. Und so schafften es doch einige, in ihre alten Muster zurückzukehren, um anschließend, zwar vorsichtiger, aber doch weiter gegen das System zu agieren.

Max war auch einer dieser Querdenker, einer der immer gegen den Strom schwamm und sich pausenlos mit den Maschinen messen musste.

»Ist doch egal!«, grinste er überheblich. »Aber jetzt haben wir an erster Stelle unsere Privatsphäre!«

Sie tippte auf eine Stelle an ihrem Arm und ein kleiner transparenter, bläulich leuchtender Bildschirm erschien dort. »Da haben wir es wieder!«, schimpfte sie, als die kleine Fläche leer blieb. »Kein Empfang!«

Maximilian freute sich diebisch, denn er war absolut gegen diese kleinformatigen Multifunktionsgeräte. Jeder … fast jeder besaß so ein Teil, mit dem man sich immer und überall im Netz informieren, sich mit anderen Leuten unterhalten, die Körperfunktionen überwachen, oder kurz gesagt, so gut wie alles machen konnte, was so alles zu einer zwischenmenschlichen Beziehung dazugehörte. Das alles erfüllten diese kleinen Dinger. Doch er vermutete noch einiges mehr dahinter. Es sollte der KI … dem System ermöglichten, überall präsent zu sein, um die Kontrolle zu behalten.

 

Es dauerte nicht allzu lange, da klopfte es an der Wohnungstür. »Da hast du es!«, maulte Rachel, »sie sind schon da!«

Sie stand bereits neben der Tür und betrachtete den kleinen Bildschirm neben dem elektronischen Türöffner. Dort zeichneten sich zwei fast menschliche Gesichter ab. Nur knapp vier Stunden nach seinem Eingriff in das System, standen zwei dieser Androiden vor der Tür, um den vermeintlichen Quertreiber abzuholen.

Sie betätigte den Summer, und öffnete ihnen dadurch die Tür. Ganz selbstverständlich betraten sie mit den Worten: »Wo ist er?«, die Wohnung.

Maximilian hatte sich mittlerweile von seinem Stuhl erhoben. Mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck erwartete er seinen „Besuch“ stehend inmitten seines Wohnraumes.

»Treten Sie doch näher!«, empfing er die beiden mit einem ironischen Unterton in der Stimme. Er wusste, dass diese Drahtbirnen, dies war ein Schimpfwort unter gewissen Menschen, diese Ironie nicht verstehen konnten.

Sie reagierten deshalb auch nicht darauf, sondern unterrichteten ihn, dass er auf Grund seines Fehlverhaltens mit ihnen zu kommen habe. »Sind sie Maximilian Goppenhauser?«. Sie warteten seine Antwort erst gar nicht ab, sondern fuhren fort, »Bitte folgen sie uns!«.

»Schön, wenn man mit euch seit langem persönlich bekannt ist!«, brummte Maximilian. Es war ihm klar, dass es sinnlos wäre, ihnen Widerstand zu leisten, und begab sich ohne Gegenwehr in ihre Obhut. Er kannte diese Prozedur schon zur Genüge. Sie brachten ihn mal wieder in eine ihrer Einrichtungen, um ihn aufs Neue zu „reinigen“.

Diese Prozedur dauerte einige Stunden und sollte eigentlich bewirken, dass die „Programmierung“ der aufmüpfigen Menschen korrigiert wird, und sie letztlich wieder den gesetzten Parametern der KI entsprächen. Diese glaubte tatsächlich, dass es möglich sei, das menschliche Gehirn zu korrigieren. Nach ihrem Verständnis ähnelte das Gehirn des Menschen dem eines Computerprogramms. Also glaubte das System, man könne es auch genauso einfach überarbeiten. Es müsse NUR den Virus, die Fehlprogrammierung, wie sie es bei Ausrutschern ihrer eigenen Androiden und Maschinen machte, diese vermeintlichen Beschädigungen in der Software des Gehirns, durch ein „Update“ oder eine Umprogrammierung eliminieren.

Bei fast allen schien dies auch zu funktionieren, doch nicht bei Max. Er gehörte zu einer kleinen Minderheit, die nach ein paar Tagen so einen Eingriff in ihre Persönlichkeit überwinden konnten. Sie wussten anschließend zwar nichts mehr davon, was in dem „Gebäude der Reinigung“ mit ihnen passiert war, doch sie waren wieder die Alten und setzten, allerdings etwas vorsichtiger, ihr Leben und den Widerstand gegen die Drahtbirnen, fort.

 

Max war da etwas anders gestrickt. Er lebte, wenn seine Erinnerungen wiederhergestellt waren, weiter, als sei er nie gereinigt worden, und wunderte sich jedes Mal aufs Neue darüber, dass die KI dies zuließ.

 

Schließlich, nachdem die Prozedur abgeschlossen war, wurde er zurück in seine Wohnung gebracht, wo ihn seine Verlobte verärgert empfing. »Und? War es das wert?«

Sie war von seinen Eskapaden gar nicht begeistert. Ja, sie missbilligte es sogar, da sie zu den geschätzten 99% der Menschen gehörte, die sich unter dieser Administration wohl fühlten. Ihr war es egal, wer regierte und wer das Sagen hatte oder sie überwachte. Hauptsache sie hatte ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Kleidung, Arbeit und ihre persönliche Freiheit. Schließlich durften sich die Menschen, sofern sie sich an die geltenden Gesetze der Maschinen hielten, frei entfalten und mit allem beschäftigen, was ihnen gefiel und den Frieden der Gemeinschaft nicht störte.

Er sah sie verwirrt an. »Was bitte … meinst du damit?«

»Ach so, stimmt ja!«, murmelte sie verlegen. »Es dauert etwas, bis die Behandlung bei dir abklingt!«

Sie wandte sich von ihm ab und ging Richtung Schlafzimmer! Sie wusste schließlich, dass er morgen wieder der Alte sein würde. »Irgendwie spinnen die Maschinen! Die müssen doch irgendwann merken, dass sie so bei ihm nicht weiterkommen!«, überlegte sie. Schließlich rief sie ihm, ohne sich umzuwenden, zu: »Kommst du auch ins Bett?«

»Ja, natürlich!«, erwiderte er mit verwirrter Stimme. Er verstand nicht, warum seine Angebetete ihn so harsch angefahren hatte.

Ein kleiner Junge, so um die zwölf Jahre alt, löste sich aus dem Schatten an der Wand und kam auf Maximilian zu. Schweigend ergriff er seine Hand und sah ihn fragend an.

»Ja ich weiß!«, brummte Max und tätschelte dem Kleinen den Kopf. »Ich sollte etwas kürzer treten und, was immer ich auch angestellt haben mag, DENEN nicht zu sehr auf die Füße treten!« Er ahnte nur, dass er etwas angestellt hatte, was seine Verlobte ihm verübelte.

Bob, so hieß der Kleine, war so etwas wie sein kleiner Bruder. Trotz seiner Aversion gegen die Maschinen, hatte sich Maximilian diesen kleinen Kerl eigenhändig gebaut und selbst programmiert. Bob, war eine Abkürzung von: Biomechanisch, optimierter Biodroide.

Eben, kurz Bob, er war und ist und wird es wohl auch immer bleiben, sein persönlicher Freund, der ihn immer und überallhin begleitete. Er unterstützte ihn natürlich auch bei seinen Attacken gegen das Regime und stand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Es war ein halbmenschlicher Biodroide. Anders als die von der KI erschaffenen menschenähnlichen Androiden war der kleine Kerl mehr als „menschlich“ …, auch was sein äußeres Erscheinungsbild anbelangte.

Die KI hatte früh festgestellt, dass zu menschlich aussehende Droiden die Bevölkerung in Angst versetzten, wodurch diese letztlich Misstrauen gegen diese Art Maschinen entwickelte. Irgendwann beendete das System die Weiterentwicklung und das Angleichen der Optik ihrer Androiden an die Menschen und gestaltete sie eben mit dem Makel der Unvollkommenheit.

Max hatte jedoch nicht aufgehört und so Bobs Äußeres perfektioniert und ihm sein menschliches Aussehen gegeben. Wer davon nichts wusste, glaubte tatsächlich, Bob wäre der kleinere Bruder von Maximilian.

Er war etwas ganz Besonderes und die einzige Maschine, die Max akzeptierte. Was der Freundeskreis von ihm nicht mal ansatzweise verstand, da der seine Abneigung gegen die Bevormundung durch die KI und deren Maschinen kannte.

Seine Verlobte jedoch verstand ihn in dieser Hinsicht nur zu gut! Bob war ja auch ein putziges Kerlchen. Witzig, charmant, hilfsbereit und zuvorkommend.

Und nicht abhängig vom System.

Kapitel 2

Der Fremde

 

Maximilian saß am Frühstückstisch und stierte gedankenverloren in seine Kaffeetasse, als hoffe er, dort die Lösung seines stetig ansteigenden Unbehagens zu finden.

Es war mal wieder Montagmorgen und die Auswirkungen seiner »Behandlung« hatten sich mittlerweile verflüchtigt. Ihn beschäftigte, wie immer nach so einer Aktion, die Frage: »Warum fanden sie ihn immer so schnell! War diese Überwachung tiefer im System verwurzelt, als er bislang angenommen hatte?«

»Möchtest du noch einen Schluck Kaffee?«, riss Rachel ihn aus seinen Gedanken.

»Wie … wie bitte?« Er riss sich zusammen und sah seine Auserwählte fragend an. »Nein! Eigentlich nicht!«, stotterte er verwirrt.

Er stützte sich schwer auf die Tischplatte und drückte sich aus seinem Sitz hoch. »Ich muss los!«, stammelte er, »… Zur Uni … Semesteranfang! Heute kommen neue Studenten in meine Vorlesung!«

Sie stellte die Kaffeekanne mit Schwung auf dem Tisch ab, so dass sich ein Teil seines Inhaltes selbstständig machte und ein merkwürdiges Muster, etwas Omenhaftes, einem Totenkopf nicht unähnlich, auf der Tischdecke hinterließ.

»Wann hörst du eigentlich mit dem Blödsinn auf, dich mit der Regierung anzulegen?«, polterte sie los, ohne auf seinen Satz einzugehen.

Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. So hatte er sie noch nie erlebt. »Wie … was? Mit wem anlegen?«

»Na, mit dem … wie du es nennen würdest, dem Establishment!«

Er grinste verlegen, »Wenn die Maschinen wieder die Position einnehmen, die wir … ich meine natürlich unsere Vorfahren, ihnen vor langer Zeit zugebilligt hatten!«

Bevor sie darauf antworten konnte, stürzte er zur Tür und schnappte sich sein Jackett und den verdutzt dreinschauenden Biodroiden, riss die Tür auf und brummte noch ein verärgertes »Tschüss«, bevor die Tür mit einem Rums hinter ihm ins Schloss fiel.

»Was die nur hat?«, wunderte sich Maximilian. »Bis gestern hatte sie noch nie etwas dagegen, wenn ich die Drahtbirnen geärgert habe!«

Er trat auf den Gehweg und streifte sich erst seine Jacke über.

Dieser abrupte Stopp, veranlasste seinen kleinen Freund, bei ihm aufzulaufen. Verwundert blickte er an ihm hoch.

»Ist schon gut!«, lächelte Max und strich Bob über den Kopf. »Nächstes Mal sage ich rechtzeitig Bescheid!«

Er betrachtete die Umgebung. Die Menschen lebten mittlerweile in gigantischen Städten. Diese Megacitys waren vermutlich, nach dem, was Max aus den Nachrichten und den Erzählungen von Reisenden erfahren hatte, alle ähnlich aufgebaut. Kegelförmige … vielleicht sogar optisch einem Vulkan gleichende Inseln, im grünen Meer der sie umgebenden Natur, die sich im Zentrum bis auf gut achthundert Meter erhoben.

Die Flächen, die diese Megasiedlungen bedeckten, gingen in die Tausende von Quadratkilometern und die Anzahl der dort lebenden Bevölkerungen … sogar in die, vieler Millionen.

An die Randgebiete schlossen sich die umweltverträglich betriebenen Agrarflächen, die zur ausschließlichen Ernährung der Bewohner betrieben wurden, an. Die Planungen, der Betrieb und die Bewirtschaftung dieser Regionen wurden gemeinschaftlich von Maschinen und einer Handvoll auserlesenen Farmer betrieben. Diese ernährten die seit langem stagnierende Bevölkerung der Megastädte. Die Maschinen hatten erkannt, dass es nicht langt, dem Menschen nur genügend Nahrung zugänglich zu machen. Sie erkannten, dass nur die Limitierung der Spezies Mensch die Einmütigkeit untereinander und den Lebensraum der Menschen sichern könnte. Da auch die Ressourcen auf diesem Planeten nicht unendlich, sondern tatsächlich endlich für ein bestimmtes Kontingent an Lebensformen waren.

Das System hatte auf seine Weise der Verschwendungsmentalität Einhalt geboten. Die KI hatte es, durch geschickte Planung und in Zusammenarbeit mit den Menschen, geschafft, alles zu produzieren, was das Einzelwesen zum Überleben brauchte.

Dieses wurde in den Randgebieten der Megacitys hergestellt und geerntet.

Über diese Produktionsstätten wurden alle Grundbedürfnisse des ihm anvertrauten Homo sapiens vollkommen erfüllen.

 

Untereinander waren diese Städte mit Vakuumröhren, in denen sich Hochgeschwindigkeitszüge extrem schnell von Ort zu Ort bewegten, miteinander verbunden. Diese Art des Transports verband auch die Kontinente. Das Fliegen, den Transport mit Flugzeugen, hatte die KI vor langer Zeit abgeschafft. Man munkelte, dass sie aus Selbsterhaltung diese Art der Fortbewegung eingestellt hatte. Schließlich gab es da noch dieses dritte Robotergesetz. Aber das waren nur Gerüchte.

 

Maximilians Blick wanderte wohlgefällig über das grüne Band, das sich vor seinen Füßen durch die Weiten der Straßenschlucht schlängelte. Wo in früheren Zeiten Unmengen von Autos die Luft verpesteten, waren diese Wege nur noch für die Menschen der Megacity zugängig. Ausgenommen ein schmaler Streifen, der jetzt nur noch von Flyboards, den Nachfolgern von Segways, die die Menschheit bereits vor über siebenhundert Jahren erfreute, genutzt werden. Diese Apparate waren die Einzigen innerhalb der Megacitys zugelassenen Transportgeräte, die die Bewohner überirdisch, transportierten. Früher durch zwei Räder angetrieben, bewegten sie sich heutzutage durch Antischwerkraftmotoren. Es waren Fortbewegungsmittel, die noch immer, wie bei den ersten Modellen dieser Vehikel, die mit Rädern, durch die Bewegung einer Lenkstange, angebracht vor dem Fahrer, gesteuert wurden. Je nachdem wohin der den Steuerstick drückte, bewegte sich das Teil in die ausgewählte Richtung.

Die Energie für den Betrieb des Boards wurde von einem schmalen Kunststoffstreifen in der Mitte des Grüns geliefert. Unfälle wurden vermieden, da die Teile bei einem Hindernis oder beim Verlassen des Streifens sofort stehen blieben. Wer auf diese Art der Fortbewegung, - man sollte dazu schon einen recht guten Gleichgewichtssinn besitzen-, verzichtete, hatte noch die Möglichkeit mit der Hängemagnetschwebebahn fast jeden Ort in der Metropole zu erreichen. Diese Bahn, die fast im Minutentakt über seinem Kopf ihrem Weg folgte, verband die einzelnen Stadtbezirke miteinander und durchzog die Megacity wie ein riesiges Spinnennetz.

Und die Autos? Eigene Fortbewegungsmittel gab es nicht mehr in den Metropolen. Seitdem die Maschinen das Zepter übernahmen, wurden diese Fahrzeuge unter die Erde verbannt.

Als Statussymbol des Mannes abgeschafft, wurden sie zu Gunsten einheitlicher Beförderungsmittel abgeschafft. Dort bewegte man sich durch mächtige Röhren mit kleinen schwebenden Kugeln, angetrieben auf der gleichen Basis wie die Flyboards, der Antischwerkraft. Man benutzte sie, indem man diese Kugeln einfach anhielt, zustieg und das Reiseziel nannte. Jeder der wollte, konnte sich eins dieser Fahrzeuge herbeirufen und sich an jeden beliebigen Ort in der Stadt bringen lassen. Letztlich waren sie so in der Lage, je nach ihren persönlichen Vorlieben zu reisen. Diese Art der Fortbewegung war absolut sicher, und die Unfälle gingen seinerzeit auf null zurück.

 

Doch das war Maximilian eigentlich egal. Er hatte noch nie, außer … vielleicht ab und zu mal die Schwebebahn, eins dieser Fortbewegungsmittel benötigt oder genutzt.

Ein leises Summen erfüllte die Luft und ließ ihn zum Himmel blicken. Über seinem Kopf herrschte ein reges Treiben abertausender Flugdrohnen, die dieses nicht unangenehme Geräusch produzierten. Wie fleißige Bienchen flogen sie hin und her und übernahmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben, wie die Verteilung der Post und den Paketen sowie die Überbringung anderer persönlicher Nachrichten in diesem Teil der Stadt, ohne je einen Fehler zu machen. Natürlich befanden sich darunter auch welche, die für die KI die Überwachung der ihnen anvertrauten Menschen übernahmen.

Max wandte sich seinem kleinen Freund zu. »Heute wird es bestimmt schön! Die Drohnen fliegen wieder so tief!«

Er tätschelte Bob erneut den Kopf, zog seinen dunkelblauen Blouson fester um die Schulter und machte sich auf den Weg. Er ging diesen Weg regelmäßig zu Fuß, da sich der Campus nicht allzu weit von seinem Zuhause entfernt, befand. Max nutzte diese Zeit sinnvoll, um Bob mit Geschichten über Hilfe, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, weiterzubilden. Sein Bestreben war, den kleinen Biodroiden zu einem besseren Menschen, vielleicht sogar, besser als einen Menschen, zu machen.

Er überquerte das grüne Band, das sich vor ihm, wie eine Schlange zwischen den Häuserzeilen hindurchschlängelte. Er betrat den dahinter liegenden Gehweg, der von einem schwarzen Muster, einem schmalen Streifen, einem Weg, der den Flyboards vorbehalten war, unterbrochen wurde. Er überquerte auch ihn und erreichte die andere Seite. Im Anschluss daran wanderte er gemächlich an den schneeweißen Häuserzeilen entlang, überquerte weitere Grünstreifen, die seinen Weg kreuzten und erreichte schließlich ein parkähnliches Gelände. In seiner Mitte lag, sonnenbeschienen, Maximilians Ziel, der Campus. Der hatte wahrhaftig diesen Ausdruck verdient. Die viele hundert Jahre alte Universität mit all ihren Nebengebäuden lag erhöht auf einem gewaltigen abgeflachten Hügel inmitten dieser Grünanlage und überragte alles in seiner unmittelbaren Nähe. Es war ein herrlicher Anblick, den Max immer wieder aufs Neue genoss. Eigentlich störten ihn nur die mächtigen Gebäude der Megacity, die den Hintergrund dominierten und das Zentrums der Skyline beherrschten. Wie ein gewaltiger Berg schraubten sie sich viele hundert Meter in den Himmel, um dort letztlich in den Wolken zu verschwinden.

Er betrat den Park und sog tief die frische Luft in seine Lunge. Dann schlenderte er gemächlich Richtung Uni.

Schließlich blieb er stehen, da sein kleiner Freund ohne Unterlass an seiner Jacke zerrte.

»Ja? Was hast du denn Schönes entdeckt?!«

Bob deutete auf einen Mann, der ihnen bereits seit geraumer Zeit zu folgen schien.

»Vielen Dank! Darum werde ich mich sofort kümmern!«

Maximilian machte auf dem Absatz kehrt und steuerte auf den mutmaßlichen Verfolger zu. Dieser traf keine Anstalten, diesem Treffen aus dem Wege zu gehen. Gelassen erwartete er ihn.

Ohne Umschweife kam Max sofort zur Sache. »Wer sind sie … und warum verfolgen sie mich?« Er gab sich selbstsicher, was sollte ihm auch hier in der Stadt schon passieren.

»Wer ich bin? Das tut nichts zur Sache, doch Sie sollten mich in den nächsten Tagen einmal aufsuchen … es ist wichtig … vielleicht sogar überlebenswichtig!«

Max sah diesen unscheinbar gekleideten Mittvierziger nachdenklich an. Während sein Gegenüber weitererzählte, schien Maximilian irgendwie abgelenkt. Erst als der Fremde ihn anstieß, fand er den Weg zurück in die Realität.

»Alles verstanden?« Der Fremde sah ihn fragend an.

»Äh … ja! Ja natürlich! Habe ich! Ich werde es mir überlegen!« Ohne sich zu verabschieden, drehte Maximilian sich um und setzte sich in Bewegung. Ganz mechanisch hielt er auf das Tor zum Campus zu und ließ einen verdutzten Fremden zurück.

In Gedanken versunken erreichte er das Universitätsgelände. Er verdrängte das Treffen im Park und widmete sich der verbleibenden Zeit bis zu seinem Unterricht der Vorbereitung.

Eine gute Stunde später übernahm er, ganz bei der Sache, sein neues Semester. Maximilian betrat den Hörsaal und war sprachlos. Er schätzte, dass dies bis dato die größte Klasse seiner Laufbahn als Professor war. Gut fünfzig wissbegierige junge Leute erwarteten ihn mit kräftigem Klopfen der Fingerknöchel auf ihren Tischen im Hörsaal.

Er wartete geduldig ab, bis sich seine neuen Studenten beruhigt hatten, so dass er mit seinem Unterricht loslegen konnte.

»Zuerst, vielen Dank für diesen herzlichen Empfang …!«, begann er und stellte sich anschließend vor. Er erklärte seinen Zuhörern, was sie hier in seinem Studiengang erwartete und dass er von seinen Studenten absolute Aufmerksamkeit forderte. »… und das gilt für jeden!«

Er sah dabei in Richtung einer kleinen Gruppe von drei älteren Studenten, die sich abseits der Masse niedergelassen hatten, sich jedoch nicht an dem Tumult beteiligt hatten. Sie waren ihm merkwürdigerweise sofort aufgefallen. Sie schienen sich nicht wirklich für seinen Vortrag zu interessieren und beschäftigten sich lieber mit ihren Pads. Seiner Meinung nach passten sie nicht hierher. »Zu alt!«, dachte er bei sich und sprach sie an.

Erst nach mehrmaliger Ermahnung, doch endlich dem Unterricht zu folgen und seiner verärgerten Ankündigung, »… sonst könnt ihr gleich wieder gehen!«, legten sie ihre kleinen Geräte beiseite und folgten schweigend seinem Unterricht.

Nach diesem kleinen Intermezzo begann er, wie bei jedem neuen Semester, mit einem geistigen Rundgang durch die Geschichte, angefangen bei: »Damals vor gut fünfhundert Jahren hatte ein hochbegabter Informatiker eine brillante Idee und erschuf zum Wohle der Menschheit die Künstliche Intelligenz ...!«

Nach diesem Einführungssatz begann er weiter über die Vorteile dieses Systems zu referieren. »Die Menschheit stand am Rande ihrer Zerstörung! Sie zeichnete sich durch Gewalt gegenüber ihresgleichen aus, bis sie die Kontrolle an die KI abgab. Es begann eine Zeit des friedlichen Miteinanders, dort wo die Maschinen alles und jeden kontrollieren! Ohne die Roboter - heute auch erweitert als Androiden - Gesetze, würde es vermutlich die Menschheit nicht mehr geben! Die Roboter wurden mit der Zeit immer mehr der menschlichen Physiognomie angeglichen, bis es der KI bewusst wurde, das, je mehr sie das Äußere der Androiden den Menschen anglich, desto mehr Angst und Anfeindungen schlug ihnen entgegen. Deswegen behielten sie einen Hauch von ihrem „maschinenhafen Aussehen“ bei. Nun bewegten sie sich zwar normal unter den Bewohnern, werden jedoch, wie gewollt, von uns erkannt!«

Auch verschwieg er nicht, dass die Menschen, die gegen das System waren oder sich aggressiv ihren Mitmenschen gegenüber verhielten, einer besonderen Behandlung zugeführt wurden.

»Diese „Geläuterten“ nennt man auch „die Gereinigten“! Nach so einer Behandlung soll es ihnen wieder „gut“ gehen und sie verschwinden aus der Überwachung durch die KI! Bei vielen weiß man nicht, wohin sie verschwinden … keiner weiß es!«

Aber er konnte und wollte allerdings auch nicht die Vorteile, die Leistungen, die die KI seit ihrer Übernahme der Bevormundung gegenüber der Bevölkerung, vollbracht hatte, schmälern. Er erklärte seinen Zuhörern, wie sie die Vollbeschäftigung durchsetzte, da es nicht mehr um Ausbeutung ging. Wie sie die Erfindungen, die für das Zusammenleben nützlich waren und seinerzeit von einzelnen Gruppen abgelehnt wurden, weil sie ihnen nicht rentabel oder profitabel waren … oder was auch immer ihnen dazu einfiel, diese nicht anzuwenden, einführte.

Wie sie die Umwelt schützt und die Luft reinigt. »Nicht nur durch Filteranlagen, sondern auch mithilfe eines Fassadenzementputzes, der noch vor der KI entdeckt wurde. Eine photokatalytische Selbstreinigung, auf der Basis von Titandioxyd, dass durch seine Beschaffenheit nicht nur die Luft reinigt, sondern auch noch die Fassaden vom Schmutz befreit. Zusätzlich verleiht es den Gebäuden eine schöne, dauerhaft saubere und strahlende Optik!«

Er pausierte kurz und betrachtete die Sitzreihen. »Ah ja! Alle hören noch zu! Das ist gut!« Dann fuhr er fort: »Dazu gehört auch, dass das System in den Hochhäusern Schlote eingebaut hat, in denen, durch den Kamineffekt angetrieben, Windturbinen Strom erzeugen. Solarpaneele prangen nun an allen nutzbaren Flächen und außerhalb der Städte in der Nähe der Meere baute sie mächtige Entsalzungsanlagen, mit denen Unmengen von Wasserstoff für die Nutzung von Brennstoffzellen hergestellt werden. Angetrieben von großflächig angelegten nachtspeichernden Solar- und Windkraftwerken!«

Er kam zum Ende und schloss seinen Vortrag wie immer mit dem Satz, »... Alles in allem glaube ich, es hat sich gelohnt, mit der KI zusammenzuarbeiten!«

Während des gesamten Vortrages hingen seine Studenten wie gebannt an seinen Lippen und unterbrachen ihn auch nicht für Zwischenfragen. Doch nun brach die Hölle los. Alle wollten zuerst ihre Fragen beantwortet haben. Verzweifelt setzte Maximilian sich hin und hielt sich die Ohren zu. Nach einigen Minuten verstummten die Meisten und er war wieder in der Lage, etwas zu sagen.

»Also Leute, so geht es nicht! Hier habt ihr jetzt eine Aufgabe für Morgen! Schreibt eure Fragen auf und wir werden sie im Anschluss zusammen abarbeiten!« Er sah in die Runde. »Ist der Vorschlag akzeptabel?! Also geht jetzt nach Hause! Für heute ist der Unterricht beendet!«

Die ganze Bande stürmte aus dem Hörsaal und ließ einen nachdenklichen Professor zurück.

»So einen verrückten Haufen hatte ich noch nie!«, murmelte er und wandte sich seinem eigenen Problem zu. Der Fremde, vor allem was er nicht gesagt … nur angedeutet hatte, ließ ihn nicht los.

 

Tagelang beschäftigt ihn die Frage: »Soll ich nun zu dem Treffen gehen oder nicht?!«

Doch langsam verblasste diese Frage in seinen Gedanken, verschwand jedoch nicht ganz. Da waren schließlich noch seine drei neuen speziellen Studenten. Auch die behielt er im Auge … sie waren ihm nicht geheuer. Nicht, dass es ungewöhnlich war, dass der eine oder andere Student älter war als seine Kommilitonen … doch gleich drei auf einmal und alle in Maximilians Alter … gar noch älter?! Und sie kannten sich offensichtlich auch noch recht gut. Das war doch sehr auffallend und mehr als außergewöhnlich. Was sein Misstrauen ihnen gegenüber noch steigerte, zumal sie sich auffallend oft in seiner Nähe aufhielten, wenn auch nicht gemeinsam, doch zumindest einzeln, als wenn sie ihn beschatten würden.

Jedoch wenn er auf sie zuhielt und dann ansprach, hatten sie immer eine plausible Erklärung parat, warum sie um ihn herum scharwenzelten.

 

Die zweite Unterrichtswoche neigte sich dem Ende zu. Maximilian saß an seinem Lehrpult und tippte seinen Bericht der letzten Unterrichtsstunde in das Display, das fast die Hälfte des Pultes einnahm, hinein. Er hatte kurz zuvor seine Studenten in die Pause entlassen und es nicht mitbekommen, dass seine drei Spezies sitzengeblieben waren. Nun war er mit der Eingabe fertig, bestätigte sie und erhob sich gemächlich von seinem Stuhl. Da fiel sein Blick auf die drei, die ihn unverwandt ansahen. Langsam schritt er auf sie zu. Kaum hatte er sie erreicht, huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er erkundigte sich freundlich … »Kann ich euch weiterhelfen?«

Die junge Dame, wie gesagt, diese drei Studenten passten einfach nicht in das Bild seiner Schüler, räusperte sich verlegen und begann schließlich, »Haben Sie es sich überlegt? … Kommen Sie nun zu dem Treffen?!«

Max kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Aha … Der Fremde! Der schickt euch! Oder?!«

Sie nickte.

»Und was ist sonst noch euer Auftrag?! Spionieren?«

Verlegen senkten die drei den Blick. Man merkte gleich, dass Spionage nicht zu ihren besten Fächern gehörte.

Einer der jungen Männer übernahm jetzt das Wort. »Wir sollten Sie im Auge behalten … zu wem Sie Kontakte pflegen … wem Ihre Loyalität gilt! Den Menschen oder …?!«

Max unterbrach ihn mit einem verärgerten Unterton in der Stimme. »… oder der KI, den Maschinen?!«

»Ja!«, stotterte der Jüngling. »Da sie ja selbst einen …!«

»Ich weiß selber, was ich habe! Bob ist etwas ganz Besonderes und hat nichts mit der künstlichen Intelligenz zu tun!«, wetterte er los. »Also, sagt dem Fremden Bescheid, dass ich ihn morgen Nachmittag … da ist doch Freitag … oder?«, brummte er halblaut und sah die drei an. Schweigend bestätigten sie durch Kopfnicken seine Überlegung.

»...Also, morgen werde ich zu ihm kommen! Danach braucht ihr hier, zu meinem Unterricht, nicht mehr zu erscheinen!«

»Aber …!«, stotterte die junge Dame verlegen. »Wir finden dieses Semester mehr als interessant, und …«, sie vollendete ihren Satz mit ernster Miene, »Wir möchten, trotz unseres Auftrags gerne Ihren Unterricht weiter verfolgen! Wir wollen bleiben!«

Max sah sie verblüfft an. »Habe ich euer Interesse geweckt?! Das gefällt mir! In Ordnung, ihr dürft bleiben!« Lächelnd wollte er sich abwenden, als sie ihn zurückhielt.

»Wir haben da noch etwas für Sie!«

Verwundert sah Maximilian, wie einer der Männer etwas in sein Pad tippte, es bestätigte und es ihm schließlich überreichte. »Damit Sie sich nicht verlaufen!«, grinste er.

Einen Augenblick später, war Max alleine in dem Hörsaal. Er betrachtete das Gerät von allen Seiten. Es war anders, als die Pads, die er kannte … dieses hatte kein W-LAN oder sonst irgendeine Verbindung zum großen Netzwerk der KI.

Nachdenklich betrachte er das erleuchtete Display des kleinen Gerätes und erkannte dort einen Ausschnitt der Megacity. Eine feine Linie durchzog die dort abgebildete Karte, die erst am Rande der Grafik endete. Er scrollte mit dem Zeigefinger weiter und dort erschien eine detaillierte Liste, mit welchen Fortbewegungsmitteln er sein Ziel erreichen könnte.

»Wow!«, murmelte er, »Das ist aber ein weiter Weg! Da werde ich lieber Rachel Bescheid sagen, dass ich vermutlich übers Wochenende nicht zu Hause bin!«

Das Ganze war mehr als geheimnisvoll. Die Art der Kontaktaufnahme, der Fremde, die Studenten und nun das hier. Der Weg war verschlungen und kaum nachzuvollziehen. Als ob diese Gruppe um den Fremden befürchtete, dass sie, warum auch immer, entdeckt würde.

»Ich kann es nicht sein!«, murmelte Max. »Ich bin zwar ein Quertreiber … Querdenker! Doch das macht mich in den Augen der KI nicht gefährlich! … Aber DIE?! Na, das werde ich ja bald herausbekommen!«

Er machte sich auf den Weg, um seiner Verlobten sanft beizubringen, das er über das Wochenende nicht zu Hause sein würde. Außerdem musste und wollte er seinen treuen Gefährten Bob mit auf die Reise nehmen. »Das wird ihn bestimmt interessieren … und ein bisschen Erfahrung außerhalb seiner gewohnten Umgebung wird ihm bestimmt nicht schaden!«

Wenn er sich da mal nicht täuschte …!

Kapitel 3

Aufbruch ins Unbekannte

 

Er verließ die Universität und wurde vor dem Tor bereits von Bob erwartet. Der kleine Kerl saß in der Nähe auf der Treppe und erwartete ihn wie jeden Tag, wenn er seinem „großen Bruder“ nicht bei seinen Vorlesungen unterstützte, vor der Universität, um ihn nach Hause zu begleiten. Es machte ihm Freude, sein Wissen zu erweitern, indem er Maximilian, wie sonst auch, auf dem Rückweg mit Fragen löcherte.

Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als Max seinem Wissensdrang gedankenverloren Einhalt gebot.

»Ich muss übers Wochenende weg … und mich mit einem Bekannten treffen, der …!«

»Warum?«

»Ja, warum!« Er berichtete ihm über die letzten Ereignisse in der Universität mit seinen drei Studenten. Schließlich endete er »… nun muss ich das nur noch Rachel beibringen!«

»Da hast du ja noch etwas vor dir!«, grinste Bob ironisch.

Maximilian sah seinen Freund anerkennend an. Er liebte es, wenn Bob die Spielarten der Mimik, der Wortgewandtheit oder der Ironie mit seinen verschiedensten Spielarten und Facetten zum Besten gab. Das zeigte ihm, dass sich der Biodroide weiter entwickelte und immer mehr der menschlichen Züge annahm, was bei der KI und deren Maschinen nicht zu beobachten war.

»Wow, so langsam kommst du ja dahinter … und sogar treffend platziert! … Aber du hast recht! Das wird nicht einfach, sie davon zu überzeugen, dass sie mich ziehen lässt, an den Rand der Zivilisation!«

Bob stimmte ihm zu. Den Rest des Weges legten die beiden ungleichen Freunde schweigend und in Gedanken versunken zurück.

 

Rachel war sauer! Sie reagierte, wie es die beiden erwartet hatten. Sie verpasste Maximilian eine Standpauke, dass ihm die Ohren nur so klingelten. Selbst Bob bekam seinen Teil ab, als er für seinen Freund Partei ergriff. »Das war ja klar …!«, polterte sie los. »Du bist mal wieder auf seiner Seite!« Plötzlich brach sie ab und ließ sich unter Schluchzen auf einen Stuhl nieder. Mit tränenerstickter Stimme stammelte sie: »… und nie denkt ihr an mich!«

Hier zeigte sich zum ersten Mal, dass sie doch erhebliche Schwierigkeiten mit dem Freigeist ihres Verlobten hatte.

Bob trat an sie heran und strich ihr sanft über den Arm. »Doch, ich auf jeden Fall!« Sein Blick wanderte flehentlich zu Maximilian.

Er verstand nur zu gut. Hier war etwas Zartgefühl von Nöten … und zwar von ihm.

Sachte und nicht ohne Zartgefühl übernahm er und kümmerte sich um seine Verlobte. Letztlich wischte sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht und sah ihre beiden Jungs an. »Und ihr meint wirklich, dass es sein muss?«

»Zumindest hoffe ich, dass es mir und meiner Unsicherheit gegenüber dem System, helfen wird … sollte!«, flüsterte Maximilian ihr zärtlich ins Ohr.

 

Die beiden brachen noch am selben Nachmittag auf. Max hatte ein ungutes Gefühl, was seine Verlobte anbelangte, was Bob murmelnd kommentierte. »Hoffentlich ist sie noch da, wenn wir wieder zurück sind!«

Max nickte nachdenklich und betrachtete seinen jungen Freund. Obwohl er ihn als Dreikäsehoch erschaffen hatte, war sein Verstand bereits auf dem Weg dem eines Erwachsenen in nichts nachzustehen. Nicht dass Maximilian dieses nicht gewollt hätte. Das jugendliche Aussehen wurde von ihm bewusst gewählt. Ihm war bei der Konstruktion seines kleinen Freundes bereits klar, dass die Akzeptanz der Menschen von einem kindlich gestalteten Biodroiden größer wäre als zu einem, der als Erwachsener daher kam. Dazu trug noch das Erscheinungsbild des Kleinen bei. Es half ihm dabei, durch seine kurzen braunen Haare, seinen dunklen Augen, dem fein geschnittenen Gesicht und seinem freundlichen Wesen genau dem Bild eines netten Nachbarjungen zu entsprechen. Selbst seine Kleidung, die dunkle Cordhose mit dem karierten Hemd und einer dunklen Weste, trug dazu bei. Das i-Tüpfelchen allerdings befand sich aber auf seinem Kopf … eine zur Hose passende Schirmmütze. Die hatte er sich selber ausgesucht … und er trug sie voller Stolz.

Maximilian betrachtete das Pad, was ihm seine drei Studenten überreicht hatten. »So, zuerst sollen wir in den Außenbezirk reisen, und zwar mit … oh, damit war ich ja noch nie unterwegs … einem Selbstfahrer!«

Bob sah ihn fragend an.

»Ach, so nenne ich diese Dinger! Es sind Fahrmaschinen, selbstfahrende Antigravitationstransportmittel, die dich schwebend überall hinbringen!«

 

Sie mussten ihr Wohnhaus nicht einmal verlassen, um sich einen dieser fahrbaren Untersätze zu besorgen. Unter ihrer Wohneinheit befand sich, wie überall in den Gebäuden, ein Zugang zu den unterirdischen Verkehrswegen. Sie brauchten nur der Treppe zu folgen, die sie in die Tiefen, weit unter das Niveau der Fußgängerzonen hinausbrachte und außerhalb des Gebäudes endete.

Schließlich passierten sie eine Tür und befanden sich in einem mächtigen Tunnelsystem, in dem es recht turbulent zuging. Die Fahrbahn vor ihnen, gesichert durch ein Kraftfeld, schimmerte schwachbläulich. Man hatte es zum Schutz der Fußgänger errichtet, und sollte diese vor dem unfreiwilligen oder mutwilligen Betreten der Fahrbahndecke schützen.

Auf beiden Seiten der Trasse verlief ein Boulevard. Darauf befanden sich nicht nur die Zugänge zu den Häusern, sondern auch der zu den Ladenlokalen, Unterhaltungsbereichen und Kommunikationszentren. Des Weiteren die Zugänge zu den Parkräumen, in denen, die zurzeit nicht genutzten Fahrzeuge, abgestellt wurden.

Hier unten bekam man alles, was man zum Leben benötigte, ohne seinen Wohnblock je verlassen zu müssen.

Da auch in seiner Zeit Rechtsverkehr vorherrschte, musste Maximilian mit seinem kleinen Freund laut seinem Pad die Fahrbahnseite zu dem gegenüberliegenden Boulevard wechseln. Dazu nutzte er die in regelmäßigen Abständen unter der Fahrbahn verlaufenden Straßenunterführungen.

Drüben angekommen, suchte Maximilian sich eins von den knapp schulterhohen Sprachboxen, um sich und Bob ein Gefährt zu bestellen. »So, jetzt noch das Fahrziel, und dann warten!«

Es war eigentlich ganz unkompliziert. Kam eine Fahrgelegenheit und hielt vor dem Passagier, dockte es an der Barriere an und mit dem Öffnen der Tür öffnete sich auch das Kraftfeld im Bereich des Einstiegs. Der Reisende konnte so ungefährdet das Fahrzeug erreichen und hineinsteigen. Saß bereits ein Fahrgast in dem Vehikel, stieg man einfach dazu, da der Passagier mit Sicherheit den gleichen Weg hatte.

Während die beiden auf die nächste Fahrgelegenheit warteten, beobachtete Max den fließenden Verkehr, der ohne Probleme an ihnen vorbeizog. Seine Gedanken kreisten um die Vergangenheit und wie er seinen Studenten immer davon erzählte, wie es vor der Zeit der KI mit dem Verkehr war. »… da verbrachten die Selbstfahrer viel unnötige Zeit im Auto … und im Stau!«

Doch ein Transportmittel, das vor ihnen hielt, riss ihn aus den Gedanken. Es war zu seiner Verwunderung leer. Die beiden kletterten erfreut darüber in den Fond des Fahrzeuges. Die Tür, sowie das Kraftfeld schlossen sich hinter ihnen und eine sympathische Stimme fragte nach der Bestätigung des Fahrzieles. Maximilian wiederholte noch einmal, „Stadtrand!“, sowie eine Adresse, die auf dem Display des Pads angezeigt wurde, und die Reise begann.

Lautlos setzte sich das Gefährt in Bewegung. Die beiden beobachteten, wie die Umgebung geisterhaft an ihnen vorbeirauschte. Schließlich machte es sich Max im Sitzpolster bequem und hing seinen Gedanken nach, wo das alles wohl enden würde.