Schriften aus dem Familienarchiv Andresen 6
Herausgegeben von Dirk Meier

Theodor Andresen um 1920

„Der Boden, aus dem die üppige Pflanze Phantasie
emporwächst, ist das Erlebnis“
Theodor Andresen

Theodor Andresen

Das bunte Buch

Erzählungen und Gedichte

Herausgegeben von Dirk Meier

INHALTSVERZEICHNIS

VORRBEMERKUNGEN

Von Dirk Meier

AUS DEM FAMILIENARCHIV ANDRESEN

Die alte taube Tante

„Kalt ist´s und Stürme sausen für und für,
O, Herr Direktor! Bitte eine Tür!“

„Man kann eine sehr oberflächliche Bildung
und doch einen recht gründlichen Kater haben!“

Die Baronesse von H.

Mutter und Sohn

Eine erste Fahrradtour

Der Nummern-Zettel

Eine Zugreise zu einem Schulfreund

Katheder-Karikaturen

Kriegsbriefe

Rechne mit deinem Leben ab

Das Telegramm

REISEBESCHREIBUNGEN

Eine Fahrt durch Marsch und Geest

In den Hüttener Bergen

Aus einem Ferientagebuch

ERZÄHLUNGEN

Der Alkoholiker

Der Bettler

Johann Friedrich Stubenhocker

Eine traurige Geschichte

Peter Leopold Einsiedel

Johannes Strauch

Der Schädel

Das Interview

Mein erstes Flug-Erlebnis

REFLEXIONEN

Der einsame Weg

Der Sturm

Im Tannenwald

Tief in der Nacht

Ein Traum

Ein Begräbnis

Menschenkenntnis

Ferdinand Doppelmann

Gedanken

Kosmische Lieder

Kleine Weisheiten

Im Schlosspark von Gravenstein

Spruchweisheit

MÄRCHEN

Ein Märchen

Die beiden Turmhähne

Die sieben Schreibtischgesellen

Die Wipfelhüpfer

Die Wurzelschlüpfer

GEDICHTE

An den Frühling

Frühlingslied

Das Bäumlein

Treulos

Meine Sehnsucht ziehet weit

Den Hüttener Bergen

Ein kleines Lied vom Winde

Ein kleines Lied vom Frühling

Schwarzdrossel

Der einsame Baum

Wo meine Eltern ruhen

AUTOREN

VORBEMERKUNGEN

von Dirk Meier

Theodor Andresen (1894-1949). Foto: Archiv Andresen

Im Familienarchiv Andresen befinden sich mehrere Erzählungen meines Großvaters Theodor Andresen, der 1894 in Ulsnis an der Schlei geboren wurde und 1949 in Flensburg verstarb. Die für dieses Buch aus der Reihe „Schriften aus dem Familienarchiv Andresen“ zusammengestellten Erzählungen, Reflexionen, Märchen und Gedichte stammen aus seinen Manuskripten „Das bunte Buch“ von 1929, „Das Buch Allerlei“ von 1929 und „Aus meinem Familienarchiv“. In der Einleitung „Das Bunte Buch“ schrieb er:

„Dieses Buch hat schon, ehe darin geschrieben wird, eine besondere Geschichte vor sich, ich meine nicht die seiner Entstehung in der Buchbinderei – das wäre keine besondere Geschichte, da jedes Buch diesen Weg macht, nein, es handelt sich hier um ganz etwas anderes und das ging so zu:

Gekauft wurde dieses Buch von dem Lehrer a.D. Franz Andresen zu Flensburg im großen Jahre des Kriegsausbruchs [1914] zu dem Zweck, später darin die Kriegserlebnisse seines bereits seit Kriegsbeginn im Felde stehenden ältesten Sohnes, des Leutnants der Reserve beim Infanterie-Regt. von Manstein No. 84 Nikolaus Andresen, aufzuschreiben.

Der, für den dies Buch erworben worden war, fand schon im September 1915 vor dem Feinde den Tod und liegt tief drinnen im Polenlande im schwarzen Erdreich begraben. Der Vater fand nicht mehr die Kraft, seinen tiefen Schmerz, über diesen Verlust zu überwinden, um dem Sohn durch dieses Buch ein Denkmal aufzurichten. Nur der jüngste Sohn, der Schreiber dieses, wollte diesem schönen Buch damals die Weihe geben und entwarf und zeichnete jenes Lied hinein, das man auf dem zweiten Blatt findet.

Darauf wurde das Buch vom Vater sorgsam verschlossen gehalten. Sollte er vielleicht doch daran gedacht haben, einmal, wenn die Stunde es ihnen eingab, die schönen weißen Blätter mit seiner sauberen Handschrift zu füllen? Wer kann das sagen, denn nun deckt auch ihn die Mutter Erde und niemals mehr wird er seine Hand auf diese Blätter legen.

Nun aber bin ich geblieben, und ich wage es, dieses Buch zu beginnen. Aber es soll nicht von dem furchtbaren Ernst des Krieges erzählen, der nun vorüber – nein, eher soll es von den Früchten des Friedens reden, von Menschenleben, von seinen frohen und ernsten Stunden, von der Liebe soll es künden, die durch die Welt zieht und wie ein ewiger Frühling, von der Jugend, die keine Sorgen kennt, von der Gegenwart, die große Hoffnungen in sich trägt, von allem Schönen und Großen, das hier auf Erden ist, nur nicht vom Krieg, denn sein Name erfüllt meine Seele mit Hass – und hier ist kein Raum für den Hass, sondern nur für die Liebe.

Das bunte Buch hab ich es genannt. Bunt soll es sein wie das Leben, das da in vollen Farben schimmert, wenn man es genau betrachtet. Das heißt nicht, dass es ein lustiges Buch sein soll und zum oberflächlichen Vergnügen geschrieben sei, nein ein buntes, ein frohes Buch – und wer es liest, der muss es recht verstehen. O, ich weiß es wohl, so ist es auch im Sinne meines toten Bruders geschrieben, der auch den Krieg hasste vom ersten Kanonenschuss an.

Wie war es doch, als ihn kurz nach Kriegsausbruch einen Brief ins Feld schickte, in dem ich von meinen Wanderfahrten durch die herrliche Natur schrieb – schrieb er da nicht: das war der erste schöne Brief, den ich hier draußen erhielt, kein Wort vom Krieg fand ich darin, alles nur von der Heimat, von der schönen Heimat mit den grünen Wäldern und den goldenen Feldern, mit dem blauen Wasser und dem herrlichen Himmel, unter dem die weißen Wolken so selig, so friedlich dahinziehen.

Wohlan, mein buntes Buch!“

Theodor Andresen hasste den Krieg und fand daher erst in den 1930er Jahren die Kraft, seine Kriegserlebnisse als auch die seines älteren Bruders Nikoloaus Andresen niederzuschreiben als Mahnung für die nachfolgenden Generationen.

„Das bunte Buch“ und „Das Buch Allerlei“ beinhalten neben eigenen Erlebnissen und Reiseschilderungen auch Geschichten über „Sonderlinge“. Wie schrieb er doch im „Buch Allerlei“ 1929:

„Wenn es mich immer wieder auf Neue treibt, über Sonderlinge zu schreiben, so ist das in meiner Art begründet, auf den Boden ihres Wesens zu gelangen, um daraus eine Erklärung ihr gewissen Eigenart zu finden. Dabei gewinne ich mehr und mehr die Erkenntnis, dass es eigentlich normale Menschen nicht gibt – dieses Adjektiv so verstanden, dass es eine Norm nicht gibt, worauf man einen Menschen in heutiger Zeit gern einzuzwängen sich bemüht. Jeder Mensch ist eben ein Sonderling – ein Besonderer – ein Individuum, dass es in der Wiederholung nicht gibt.“

Der Blick von Theodor Andresen auf die Welt war im höchsten Maße individualistisch, er zeichnete, dichtete und reflektierte, so schrieb er einleitend im „Buch Allerlei“:

„Der Boden, aus dem die üppige Pflanze Phantasie emporwächst, ist das Erlebnis.“