Über das Buch

Verzicht und Verbote? Oder Verantwortung und Solidarität? — Die philosophischen Fragen der Klimadebatte fundiert beantwortet.

Wollen wir die Erwärmung der Atmosphäre aufhalten, müssen wir unsere Art zu leben verändern. Doch damit stellen sich grundsätzliche Fragen: Welche Einschränkungen sind in einer freien Gesellschaft zulässig? Haben nicht auch arme Länder einen Anspruch auf Wohlstand? Warum reden wir nicht über Atomkraft oder Bevölkerungspolitik? Bernward Gesang greift als Philosoph in die Klimadebatte ein. Dabei kommen Irrtümer und Widersprüche ans Licht, die echte Veränderungen verhindern. Dürfen wir wirklich kein Fleisch mehr essen? Muss nicht deutlich mehr Geld in den Entwicklungsländern investiert werden? Die philosophische Reflexion führt zurück zu den Fragen der Alltagspolitik — und liefert Antworten.

Bernward Gesang

Mit kühlem Kopf

Vom Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte

Carl Hanser Verlag

Inhalt

Vorbemerkung, aus gegebenem Anlass

Einleitung: Um was es geht

1  Die Mächte der Finsternis

2  Der Plan des Buches

3  Technik als Messias der Moderne

4  Warum wir nicht handeln: Dummheit, Egoismus, Pfadabhängigkeit und Sorge um Freiheit

5  Utilitarismus — Was ist das?

6  Es geht um viel! Die wichtigsten Thesen

Kapitel 1: Die große Transformation

1  Die Saga von der großen Transformation: Zwei Lagerfeuer

2  Einmal Herkules reicht

3  Muss Herkules wirklich zwei Aufgaben bewältigen?

4  Zwei Wege zur großen Transformation — Die wichtigsten Thesen

Kapitel 2: Was kann ich tun?

1  Schnitzelfasten gegen den Klimawandel?

2  Shoppen für eine bessere Welt

3  Bringt ein Tropfen mehr das Fass zum Überlaufen?

4  Die Doktrin vom großen Unterschied

5  Wie kann ich am besten helfen?

6  Politische Pflichten — Wenigstens wählen gehen

7  Politische Pflichten — Kanzler werden!

8  Investieren in eine bessere Welt

9  Die Folterinstrumente der ethischen Investoren

10  Über Unparteilichkeit und Überforderung

11  Spenden- und Engagementpflicht

12  Ein Portfolio zum Abschluss

13  Was kann ich tun? Die wichtigsten Thesen

Kapitel 3: Der starke Staat

1  Wo bleiben die Unternehmen?

2  Haben Staaten und Individuen dieselben Pflichten?

3  Was es heißt, ein Vorreiter zu sein

4  Politikversagen: Industriebüttel statt starke Staaten

5  Keine Helden: Die Politiker

6  Keine Helden: Die Bürger

7  Volksentscheide, Basisdemokratie: Der Held der Zukunft — das Volk?

8  Was könnte unsere Demokratie einnehmen, um zukunftsfähig zu werden?

9  Der Retter: Ein Zukunftsanwalt?

10  Keine Experimente!

11  Die Rolle von Unternehmen und Staaten — Die wichtigsten Thesen

Kapitel 4: Tabus ade!

1  Worum es geht

2  Bioenergie — Mehr Klimaschutz oder Wachstumsmotor?

3  Genfood — Kassenschlager für Konzerne oder Waffe gegen den Hunger in der Welt?

4  Wer trägt Kosten und Risiken? CCS, das den Staat nichts kostet

5  Der absolute Wahnsinn? Geoengineering — Fakten

6  Der absolute Wahnsinn? Geoengineering — Forschung

7  Sind unsere Schlafzimmer wirklich Privatsache?

8  Das Recht auf Fortpflanzung

9  Bevölkerungspolitik bei uns!

10  Soziale Gerechtigkeit oder Klimaschutz?

11  Ist soziale Gerechtigkeit gerecht?

12  Gegen Tabus — Die wichtigsten Thesen

Kapitel 5: Ausblick

1  Schatten

2  Licht

Literatur

Für Joy Grenouille

Der Witz ist die letzte Waffe des Wehrlosen.

Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten

Vorbemerkung, aus gegebenem Anlass

Die Corona-Krise kam scheinbar aus dem Nichts und liegt wie Blei über der gesamten Weltgesellschaft. Schlagbäume fielen um Länder und um Häuser, Wohnungen und Familien. Mit Gewalt wurde man auf seine Privatheit und Verletzlichkeit zurückgeworfen, jede Ablenkung fiel der Kontaktsperre zum Opfer. Jeder Einzelne erfuhr plötzlich Neues über sich selbst: erlebte sich auf einmal als Teil einer Risikogruppe, wurde abwechselnd von ernsthaften Befürchtungen und irrationalen Ängsten geschüttelt, musste die vertraute Arbeitsroutine in einer Woche neu erfinden. Und das alles vor einer Kulisse, die ein glänzender Frühling in ein sonniges Licht von Unwirklichkeit tauchte, aber dieses gleißende Licht kündete zugleich davon, dass eine zu oft verdrängte Gefahr nicht schlummert.

Ganz besonders überraschte, dass die ewig vorwärtsstürmende Welt offenbar auch an- und innehalten kann. Stillstand! Stille! An sich erst einmal paradiesisch! Für Corona konnten wir die rollenden Räder anhalten. Aber gleich drängte sich die Frage auf: War das verhältnismäßig? Oder anders: Würde man sich nicht wünschen, dass bei noch dramatischeren Krisen möglich wäre, was bei Corona anscheinend wie am Schnürchen lief, nämlich entschlossen in die Taschen zu greifen? Die Idee, all die gigantischen Hilfen für die Wirtschaft mit ökologischen Zielen zu verbinden und sie als Teil eines »Green New Deal« zu verstehen, hätte eigentlich nahegelegen, aber kam nur zögerlich ans Tageslicht. Bleibt zu hoffen, dass der Glaube an wissenschaftliche Prognosen durch Corona nicht leidet, denn was man über ein neues Virus weiß und was man seit Jahrzehnten an solider Forschung in Klimaprognostik investiert, ist nicht vergleichbar.

Zum ersten Mal in ihrer Amtszeit wandte sich die Bundeskanzlerin in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung und erklärte Corona zur größten Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Angela Merkel irrte sich. Sie hat immer noch nicht verstanden, was wirklich auf dem Spiel steht. Der Klimawandel ist die größte Herausforderung in der Geschichte der Menschheit.

Das gilt einmal, wenn man sich auf das Ausmaß möglicher Schäden konzentriert: Die Klimakrise bedroht Milliarden von Menschenleben, löst Flüchtlingsströme und wirtschaftliche Verwerfungen aus, die unsere Vorstellungskraft übersteigen und die kein Rettungsschirm wird auffangen können.

Das gilt auch für die Zeiträume, die mögliche Rettungsmaßnahmen in Anspruch nehmen: Wir müssen Jahrzehnte vorher reagieren, um überhaupt Effekte auf das Klima erwarten zu können. Das ist viel schwieriger, als einfach nur zwei Meter Abstand vom nächsten potenziellen Virenherd zu halten. Wir sind Weltmeister im Verdrängen, das macht rechtzeitige Reaktionen schwieriger. So ging kein Aufschrei durch die Welt, als in China jene Märkte wieder öffneten, auf denen von der Fledermaus immer wieder Viren auf Menschen übergehen, weil diese alle Grenzen überschreiten und sich respektlos in geschlossene Lebensräume anderer Spezies einmischen. Mit so gestrickten Menschen ist Klimaschutz kein Kinderspiel.

Und das gilt vor allem, wenn man die Komplexität der Gegenmaßnahmen vergleicht: Corona kann man bekämpfen, indem man Abstand hält und sich die Hände wäscht. Den Klimawandel kann man nur bekämpfen, indem man seine ganze Lebensweise und das wirtschaftliche und politische Leben insgesamt prüft und ändert. Das ist angesichts eines unsichtbaren Feindes, den wir erst durch bewusstes Vorstellen und systematische Fantasie zum Leben bringen müssen, eine riesige Herausforderung.

Daher müssen wir weiter über den Klimawandel reden und mit kühlem Kopf erkennen, wo die Prioritäten liegen, bei aller verständlichen Existenzangst.

Einleitung

Um was es geht

1  Die Mächte der Finsternis

Der Club of Rome*1 warnt uns seit Jahrzehnten davor, dass wir auf eine ökologische Katastrophe zulaufen, und findet inzwischen auch Unterstützung durch den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Wie in einem Fantasy-Roman beginnt die Geschichte von der ruinierten Umwelt mit der schrecklichen Übermacht des Bösen, anders als in diesen Erzählungen aber nicht in dunklen Höhlen, sondern in Glashochhäusern, die von Krawattenträgern bevölkert sind. Hier fallen die Entscheidungen über unser Wirtschaften und seine Abgründe. Dabei denkt man spontan an zwei Bereiche, von denen das Unglück der Erde seinen Ausgang nimmt: globale Armut und ökologischer Raubbau an zukünftigen Generationen. Ein dritter Bereich fällt allen ein, die nicht nur ein Herz, sondern auch einen Kopf für Tiere haben: unsere Tierhaltung. Wenn Tiere Rechte haben, treten wir diese mit Füßen, genauso wie wir es lange Zeit mit den Rechten von Sklaven gemacht haben.

Allerdings halten sich Fragmente der Klimaskepsis hartnäckig in den Hinterköpfen, obwohl man derzeit allerorten über Indizien für den Klimawandel stolpert. Ein paar elementare skeptische Thesen und Erwiderungen darauf, hier noch einmal in Kurzfassung (ausführlicher und mit Belegliteratur in Gesang 2011, 1. Kapitel; aktualisiert in Rahmstorf und Schellenhuber 2018):

  1. Erderwärmungen gab es immer wieder: Richtig ist, dass es gegen Ende des Perms vor 290 bis 245 Millionen Jahren erdgeschichtlich zuletzt so warm war, wie es dank Klimawandel in Zukunft zu werden droht. Dort ereignete sich die größte Massenauslöschung von Spezies in der Erdgeschichte, die über 90 Prozent aller Arten betraf. Obwohl sich Menschen schützen können, gibt es bislang keine Antwort auf die Frage, wie circa 10 Milliarden Menschen, die zum großen Teil an Küsten leben und die ernährt werden wollen, in der Hitze der Zukunft bestehen können.

  2. Vom Jahr 1000 bis 1800 ist keine wesentliche CO2-Veränderung messbar gewesen, aber es gab größere Klimaschwankungen (Warmzeit im Mittelalter): Richtig ist, dass kein Wissenschaftler die Erwärmung ausschließlich auf Klimagase zurückführt und dass nur globale Klimaveränderungen durch globale Antriebe (CO2) erklärt werden können. Die Warmzeit wurde jedoch in Europa beobachtet.

  3. Die Sonnenaktivität ist primär für die Erderwärmung zuständig, nicht der menschliche CO2-Ausstoß: Richtig ist, dass niemand einen Anteil der Sonne am Klimawandel leugnet, aber der IPCC setzt einen Beitrag von 0,5 Grad für anthropogene Treibhausgase im 20. Jahrhundert an. Die Sonne kann den Anstieg der Temperaturen in den letzten 40 Jahren nicht erklären.

  4. Das Klimasystem ist chaotisch, und man kann nicht prognostizieren, was bestimmte heutige Entwicklungen in vielen Jahrzehnten zur Folge haben: Richtig ist, der IPCC sieht die Probleme von Klimaprognosen sehr wohl. Es geht lediglich um das Abschätzen möglicher Alternativen. Dabei haben sich die Modelle des IPCC für die Berechnung vergangener Zustände sehr gut bewährt.

  5. Die Folgen der Erderwärmung sind nicht gravierend: Richtig ist, nur begrenzte Erwärmungen werden bezüglich positiver Folgen diskutiert, und die zusätzliche Erwärmung auf bis zu 3 Grad zu begrenzen setzt bereits eine energische Klimapolitik voraus.

Seit Jahrzehnten versucht der Club of Rome uns mit seinen Kassandrarufen aufzuwecken (Meadows et al. 1972; v. Weizsäcker et al. 2017). In vielen Bücherregalen der Achtundsechziger stehen noch heute seine Berichte, wenn sie nicht auf dem Flohmarkt verhökert worden sind. Inzwischen wissen wir, dass einige dieser Berichte die Ressourcenknappheit dramatisierten, aber unterschätzt haben, wie knapp die Senken sind, also die Kapazitäten der Erde, Schadstoffe aufzunehmen (korrigiert in: Steffen et al. 2015). Allerdings bleibt die generelle Aussage gültig: Ungehemmtes Wachstum führt uns in eine beispiellose Krise. Durch den Klimawandel benachteiligen wir vorrangig auf der Südhalbkugel massiv zukünftige und auch gegenwärtige Generationen, ja wir verspielen ihre Existenzbedingungen. Zwar gibt es einige Philosophen, die meinen, dass Personen, die noch gar nicht existieren, auch keine Rechte haben. Aber auch wenn wir nicht wissen, welche Personen in Zukunft existieren werden, so wissen wir doch, dass irgendwelche Personen existieren werden. Diese haben vom Beginn ihrer Existenz an Rechte (im Sinne von Interessen, die mit Priorität zu schützen sind), wobei jetzt schon verunmöglicht werden kann, dass sie erfüllt werden. Zukünftige Personen haben vielleicht kein Recht, in Existenz zu kommen, sie werden jedoch jedenfalls Rechte haben, sobald sie existieren (Meyer 2018, 83ff.). Wenn ich heute leichtsinnig ein offenes Messer liegen lasse und sich nicht zufällig morgen, sondern erst in 100 Jahren jemand daran verletzt, wird meine Verantwortung durch den zeitlichen Abstand nicht geringer. Wir haben also Verpflichtungen gegenüber zukünftigen Generationen, und wir verletzen diese, so jedenfalls die Ansicht des IPPC (Pachauri 2014).

Wie groß diese Verpflichtungen sind, kann man philosophisch austüfteln. Was gebietet der Wert der Gerechtigkeit? Sollen alle Menschen ein »gutes Leben« führen können, dürfen wir unseren Nachfahren den Planeten schlechter hinterlassen, als wir ihn vorgefunden haben? Aber das alles ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Für solche Fragen ist es schon zu spät, jetzt können wir gerade noch entscheiden, ob in Zukunft überhaupt Menschen leben werden und ob deren Grundbedürfnisse erfüllt werden können. Der Klimawandel ist die Speerspitze dieser Bedrohung zukünftiger Generationen. Wie in einem Fantasy-Roman geht es ums Ganze, um Sein oder Nichtsein. Darin unterscheiden sich die gegenwärtigen Bedrohungen von allen in der Vergangenheit.

Inwiefern ist aber wirklich »das Ganze« betroffen, wessen Überleben ist bedroht? Die erste Antwort: das Überleben von jedem von uns. Schon heute sterben auch bei uns frühzeitig viele (vor allem ältere) Menschen an Hitzewellen im Sommer (im Sommer 2018 geschätzt 10.000 in Deutschland, Focus 2018). Tropenkrankheiten stehen an unseren Türen Schlange, samt der fiesen Mücken zu ihrer Übertragung. Corona könnte dagegen nur eine Fingerübung gewesen sein, die uns kurz unsere Verletzlichkeit demonstriert hat. Die zweite Antwort: Das Überleben unserer Kinder ist bedroht, umso mehr, wenn sie im globalen Süden leben. Die Klimakatastrophen werden in den nächsten Jahrzehnten immer weiter zunehmen, Schutz wird immer aufwendiger, verschlingt immer mehr Lebensqualität und ist selbst für Reiche nicht sicher möglich. Arme müssen naturgemäß als Erste bluten. Die dritte Antwort: Das Überleben vieler unserer Enkel und vieler weiterer Menschen in ferner Zukunft ist gefährdet. Für Menschen, die zwischen 2050 und 2200 leben werden, wird es jedenfalls noch schwieriger als heute. Bis dahin nimmt die Klimagaskonzentration in der Atmosphäre noch zu, gleichgültig, was wir heute tun, weil sich Klimagase nur langsam abbauen. Die vierte Antwort: Im schlimmsten Fall könnte es so weit kommen, dass sich die Klimaerwärmung selbst durch Rückkopplungsprozesse unaufhaltsam aufschaukelt, etwa wenn tauendes Eis immer weniger Sonneneinstrahlung reflektiert, was die Meere erwärmt und wiederum mehr Eis zum Tauen bringt (siehe unter Kapitel 2, Abschnitt 1; Friedlingstein et al. 2014). Dann könnte eventuell die gesamte Menschheit zur Disposition stehen (Lynas 2008), zumal wenn wir globale und vielleicht atomare Verteilungskämpfe um immer knapper werdende Ressourcen wie Wasser miteinberechnen.

Das Armutsproblem verschärft die ökologische Krise schon jetzt und begrenzt unseren Handlungsspielraum. Derzeit leiden laut UN 821 Millionen Menschen an Hunger, was rund 11 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger, etwa 3040 Millionen Menschen pro Jahr. Jedes vierte Kind ist chronisch unterernährt (Wikipedia, Welthunger). Meinungen, dass Armut eigentlich nichts mit unserer globalen Wirtschaftsordnung, sondern allein mit in armen Ländern hausgemachten Problemen wie Korruption, Machtmissbrauch und Misswirtschaft zu tun habe, dienen vorrangig der Entschuldigung von reichen Besitzstandswahrern. Globale Armut ist ein komplexes Phänomen, das mit vielen Ursachen zu tun hat (vgl. BUND et al. 1998, 386428).

Die Weltmarktpreise für Lebensmittel und die globalisierte Wirtschaft verursachen ganz maßgeblich die Hungerkrise; die Mentalität von »Menschen in der Südsee«, wie Immanuel Kant es nennt, ist gewiss nicht schuld. Der Philosoph, der Königsberg nie verlassen hat, wusste zu berichten, dass diese Menschen, allein auf Müßiggang und Genuss bedacht, ihre Talente rosten lassen (Kant 1983, GMS, BA 55). Keineswegs stehen wir kurz vor der Lösung des Armutsproblems, wie uns die Presse und mancher Politiker*2 glauben machen wollen. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten Erfolge erzielt, die wird der Klimawandel aber wieder zunichtemachen. Dürren, Stürme und Überschwemmungen werden nicht nur Ernten vernichten, sondern die Böden im Süden*3 dauerhaft unfruchtbar machen, was dort Hungersnöte zur Folge haben wird. Und Hungersnöte gehören wiederum als Schreckenskulisse in den guten Fantasy-Plot.

Ich wähle in diesem Buch bewusst die Analogie zu Fantasy-Romanen, denn neben tatsächlichen Ähnlichkeiten und allerlei ironischen Späßen haben diese Geschichten einen großen Vorteil gegenüber etwa der aktuellen Politik und Zeitgeschichte. Sie können auf ein festes Muster des Ereignisverlaufs zurückgreifen, wie wir es brauchen, um uns mit Zielen zu identifizieren (Rorty 1998, 151). Jeder weiß sofort, worauf eine Fantasy-Geschichte hinausläuft, nämlich auf die Erlösung in Gestalt einer geheilten Welt. In der Realität weiß man leider gar nicht mehr, was die wertvollen Ziele sind (Klimaschutz, Wirtschaftswachstum, Digitalisierung und so weiter), dementsprechend kann man die Menschen auch nur noch schwer begeistern, sich auf den Weg dahin zu machen. Im Kampf um Mittelerde herrschen noch Klarheit und Einfachheit, ebenso wie im ewigen Ringen zwischen dunkler und heller Seite der Macht. Diese Klarheit brauchen wir, wenn wir begeistert in die Schlacht um die Sicherung unserer Lebensgrundlagen ziehen sollen. Denn letztlich sind Menschen eben doch einfach gestrickt.

2  Der Plan des Buches

Also finden wir eine Welt in höchster Not vor, wie von Fantasy-Autoren verlangt. Die Frage drängt sich auf, wie sie wieder ein grünes blühendes Auenland, also friedlich und lebensfreundlich wird, und das auch noch nachhaltig. Ein bombastischeres Wortungetüm dafür lautet: große Transformation. Die Welt muss in einen nachhaltigen Zustand überführt werden, das meint große Transformation. Ein ganzes Arsenal an Waffen kann man zu diesem Zweck ergreifen. Welche sind aussichtsreich? Und welche soll der einzelne Mensch, das einzelne Unternehmen und der einzelne Staat führen, welche Schlachten schlagen? Einfach bei allem mitmachen, was möglich ist, das geht nicht. Also nur beim Aussichtsreichen mitmachen? Aber manches ist nur aussichtsreich für bestimmte Akteure, etwa für Staaten. Auf diesen Wegen sollten der Einzelne und das einzelne Unternehmen wohl nicht wandeln. Auf welchen aber dann?

Im Folgenden werde ich mich einem der zwei meistdiskutierten Wege zur großen Transformation, dem des »Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« (WBGU), anschließen. Dabei will ich die vom WBGU gemachten Vorschläge besonders da, wo sie nur angedeutet werden, mit eigenen Gedanken vertiefen und vor allen Dingen durch Warnungen vor Transformationsfallen ergänzen. Transformationsfallen sind Irrwege der Transformation, die sie letztlich verhindern, oder Einsichten, die man zu schnell verdrängt. Diese Fallen beruhen meist auf Tabus in der öffentlichen Diskussion. Es darf nicht bezweifelt werden, dass die direkte Verringerung des ökologischen Fußabdrucks des Individuums der beste Weg ist, um als Einzelner zum Klimaschutz beizutragen. Es darf nicht bezweifelt werden, dass unsere Demokratien ohne eingreifende Veränderung in der Lage sind, die Attacken des Klimawandels zu parieren. Es wird ein Denkverbot über verschiedene Techniken wie die grüne Gentechnik verhängt. Ebenso darf man nicht (allzu laut) über den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Klimawandel nachdenken, denn solche Gedanken stammen aus schwarzbraunen Hinterzimmern des 19. Jahrhunderts. Zu guter Letzt darf man nicht bezweifeln, dass Klimaschutzmaßnahmen des Teufels sind, wenn sie irgendwie zulasten von Hartz-IV-Empfängern gehen könnten. Solche Tabus liefern jenen die Argumente, die behaupten, der Klimaschutz werde — speziell in Deutschland — zur Ersatzreligion. Religionen neigen dazu, Tabus aufzubauen und deren Bruch zu bestrafen, indem alte Begriffe wie Schuld und Sünde wiederauferstehen. Aber überall, wo die Religion wiederaufersteht, sollte auch die Aufklärung die Friedhöfe räumen. Und überall, wo man nach Aufklärung ruft, braucht es den kühlen Kopf der Philosophie. In der heutigen Situation kann eine tabulose Betrachtung aus der Distanz hilfreich sein. Die Philosophie kann neue Perspektiven eröffnen, wenn sie sich nicht im Elfenbeinturm einmauert, sondern sich als angewandte Ethik mit den empirischen Wissenschaften berät. Damit wird sie interdisziplinär, und wie jede Interdisziplinarität setzt sie sich dem Vorwurf aus zu dilettieren, denn man muss sich auf fremdes Territorium vorwagen (Vollmer 2010, 68). Aber da muss man »Inkompetenzbewältigungskompetenz«, bezogen auf andere und auf sich selbst, entwickeln. Nur bei seinem Leisten zu bleiben reicht einfach nicht mehr. Stellt man nur die philosophische Seite dar und hofft darauf, dass andere das Bild vervollständigen, kann man lange warten. Andere Wissenschaftler verstehen die philosophische Darstellung nicht oder meiden Fremdes per se. Nur Lösungen, die aus allen Perspektiven plausibel sind, haben Chancen, umgesetzt zu werden. Es nützt daher nichts, sich auf die Grenzen seiner Disziplin zu berufen (jüngst etwa Meyer 2018, 206), man braucht schon auch den Mut zur Blamage, denn niemand kennt sich überall aus. Gleichwohl sollte man (schon aus Eigeninteresse) das Risiko dazu gering halten, indem man das Gespräch mit den Experten sucht.

Im Rest der Einleitung werde ich weiter nachzeichnen, worum es geht und warum wir angesichts einer solchen Bedrohung einfach nicht aktiv werden. Zudem will ich kurz die Methode, sprich die normative Ethik des Utilitarismus, erläutern, die ich im Buch zugrunde lege.

Im 1. Kapitel will ich den Weg des WBGU genauer darstellen, vom Weg des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie abgrenzen und meine Entscheidung für den Weg des WBGU begründen. Der WBGU konzentriert sich auf die Klimawende, das Wuppertal Institut strebt eine sofortige Reform unseres ganzen ökologischen Fußabdruckes an. Beide Studien sehen die von ihnen geforderten Reformen als »Herkulesaufgabe(n)« an. Fragt sich nur, wie viel Herkules stemmen kann beziehungsweise wann wir ihn überfordern. Mit der Klimawende tun wir uns leider schon schwer genug. Das spricht dafür, sich so weit wie möglich auf sie zu konzentrieren.

Transformationsfalle: Versuche nicht, alles richtig zu machen und jeden Aspekt gleichermaßen zu berücksichtigen. Perfektion ist zwar wichtig, jedoch befinden wir uns heute in einer Notlage, unser alleiniges Ziel ist es erst einmal, nicht unterzugehen.

Im 2. Kapitel geht es um die vom WBGU angesprochenen individuellen Beiträge zur Klimawende. Leider versagen die Staaten, die für diese Wende eigentlich zuständig wären. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, werden individuelle Beiträge gefordert. Was können Individuen aber am sinnvollsten beitragen? Die Mehrheit glaubt, die Individuen sollten am besten ihre persönliche Emissionsbilanz direkt verbessern, indem sie ihre Autoschlüssel wegwerfen und auf den Grillabend verzichten. Es gibt jedoch bessere Vorschläge. Der Klimaschutz stellt uns vor eine riesige kollektive Aufgabe, bei der unklar ist, ob der winzig kleine Beitrag des Einzelnen überhaupt etwas bewirkt (Gesang 2017 b). Zudem ist eine Umstellung des persönlichen Emissionsverhaltens in Industrienationen sehr teuer, man bekommt wenig Klimaschutz für sein Geld beziehungsweise seinen Verzicht auf Wohlergehen. Deshalb muss man für den Einzelnen eine Aufgabe finden, bei der jeder Beitrag sicher Gutes bewirkt. Außerdem sollte man die Motivation zum Helfen der Menschen nicht überfordern. Eine direkte substanzielle Verkleinerung des ökologischen Fußabdruckes verlangt einen völlig neuen, spartanischen Lebensstil. Armen Bewohnern des Regenwaldes können wir stattdessen durch Spenden ermöglichen, ihr Auskommen zu finden, ohne den Wald zu zerstören oder ihn Großbetrieben auszuliefern.*4 Es fällt uns leichter, das zu finanzieren, als unser Privatleben umzustellen. So bekämpft man mit Geld Armut und tut etwas für Menschenrechte, Klima, Bodenqualität, Wasserversorgung und Artenschutz. Jeder dabei nicht veruntreute Euro unterstützt einen konkreten Menschen und geht nicht in der Masse verloren. Nebenbei ist es derzeit wesentlich billiger, CO2 im Süden als im hochtechnisierten Norden zu vermeiden (vgl. Weimann 2009, 64f.). Man bekommt mehr Klimaschutz für denselben Einsatz und kann, wenn man hier seinen Beitrag leistet, sein Auto vorerst noch weiterfahren, bis neue Technologien zum Beispiel die klimaneutrale Mobilität sichern. Es bringt nichts, Spenden und Verhaltensumstellung zu fordern, denn wenn man zu viel auf einmal fordert, sinkt erfahrungsgemäß das Engagement. Daher sollten wir zuerst das tun, was die meisten Emissionen vermeidet, und dieses lieber mit voller Kraft als halbherzig. Allerdings hilft uns diese indirekte Strategie nur eine begrenzte Zeit lang: Wenn es effizienter wird, in Industrieländern als in Entwicklungsländern zu investieren, hat diese Brückenstrategie ausgedient. Insgesamt soll es darum gehen, wie das Individuum den größtmöglichen Unterschied auf dem Weg zu einer besseren Welt machen kann, es geht um die Doktrin vom großen Unterschied. Diese Strategie soll im weiteren Verlauf begründet werden.

Transformationsfalle: Verschwende nicht das kostbare und erschöpfbare Engagement von Individuen, indem sie sich verzetteln und kaum einen Unterschied machen können.

Im 3. Kapitel soll nach einem Abstecher zu den Unternehmen der Staat im Vordergrund stehen. Haben Individuen und Staaten dieselben Pflichten? Nein, weil Staaten auch auf der politischen Bühne stehen und daher Vorreiter sein sollten, die Allianzen schmieden und Technologien fördern müssen. Den Vorreiterstatus will ich gegen einige Ökonomen verteidigen, denen die FDP im Halbschlaf lauscht, also immer dann Sätze nachplappert, wenn sie ins Programm passen. Allerdings geht es nicht darum, eine konkrete Liste mit staatlichen Maßnahmen für den Weg zur Transformation zu verfassen. Hier sind die besten Wege stadtbekannt oder wirklich nur von Experten etwa des WBGU zu beurteilen. Es geht vielmehr darum, die Pflichten des Staates erst einmal zu definieren und »Bedingungen der Möglichkeit« zu untersuchen, damit der Staat diese Rolle ausfüllen kann. Heute sind unsere westlichen Demokratien institutionell falsch aufgestellt. Politiker werden belohnt, indem sie wiedergewählt werden, und das geschieht meist, wenn sie vier Jahre die Interessen ihrer Klientel bedienen. Zukünftige Generationen können nicht wählen und gegenwärtige Politiker weder belohnen noch strafen. Also gibt es Anreize, dass die Gegenwart Aufgaben zulasten der Zukunft verschiebt. Um die riesigen Probleme der Transformation zu lösen, müssen wir unsere Institutionen erst umbauen, ehe wir effiziente Schritte von ihnen erwarten können. Die weit verbreitete Überzeugung, dass mehr Bürgerbeteiligung diese Probleme lösen könne, teile ich nicht. Mehr Beteiligung sorgt für vieles, aber vorrangig für weniger Windräder in der Nähe meiner Hängematte. Vorschläge, wie es anders laufen könnte, finden sich in dem vom WBGU vorgelegten Reformmodell für unsere Demokratie, das die Stichworte »Zukunftskammern« und »Parlamentssitze für die Zukunft« liefert. Ich will die Fehler im Strickmuster unserer heutigen Demokratie darlegen und neue demokratisch legitimierte Institutionen anregen. Brauchen wir einen Zukunftsanwalt mit Vetorecht für die Rechte zukünftiger Generationen? So etwas gab es bis zum Jahr 2012 im verlorenen Paradies Ungarn, bevor dieses Land von der dunklen Seite der Macht verführt wurde.

Transformationsfalle: Ohne Vorreiterstaaten, neue Institutionen und einen Umbau der politischen Systeme ist eine große Transformation nur schwer möglich.

Im 4. Kapitel soll an einige unpopuläre und vernachlässigte Technologien und Denkweisen erinnert werden, die der WBGU oft nur antippt. Ich will auf generelle blinde Punkte hinweisen, etwa wo man sich bei der irrtümlichen Bewertung von Alternativen verrannt hat, hinter der sich ein normatives Problem verbirgt. Bioenergie aus Biomasse lehnt das Umweltbundesamt (UBA) etwa derzeit ab, während der WBGU früher schon einmal ein positives Gutachten dazu erstellt hat. Zu einigen dahinter liegenden Motiven kann ich als Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Stellung nehmen.

Beim Einsatz grüner Gentechnik werden von Gegnern massive Gesundheitsschäden befürchtet. Sie könnte aber auch angesichts immer schwererer klimatischer Verhältnisse für gute Ernten und für einen weniger ausgeprägten Flächennutzungskonflikt zwischen dem Anbau von Nahrungsmitteln und Energiepflanzen sorgen. Allerdings droht die Gefahr, hier nur weitere Gewinne für eine zentralisierte Landwirtschaft zu ermöglichen, da Gentechnik die Höfe von Kleinbauern unter Druck setzt. Bayer und Monsanto lassen grüßen, Vorkämpfer des Lichts stellt man sich anders vor. Ich will eine Trennlinie formulieren, ab der man von grüner Gentechnik Gebrauch machen und vor deren Erreichen man dies tunlichst vermeiden sollte: Grüne Gentechnik gegen den Hunger auf der Welt: ja. Grüne Gentechnik zur Profitmaximierung: nein. Konkreter gesagt: Vitaminreis: eher ja. Erdbeeren in Norwegen: eher nein.

Der WBGU erwähnt Carbon Capture and Storage (CCS) als zu erforschende Technologie. CCS, also das Abspalten und Einlagern von Kohlenstoff aus Kohle beziehungsweise Biomasse (BECCS) im Erdboden, könnte wertvolle Beiträge zur Transformation leisten. Das zu behaupten erfordert aber einigen Mut. Eigentlich sieht CCS wie ein geschlagenes Heer auf dem Rückzug aus. Nichts bei seiner Erprobung läuft glatt. Ein ungewöhnlicher Weg, den M. Allen aus Oxford verteidigt, kann das Erscheinungsbild gleichwohl aufpolieren. Allen schwört auf die Erfindungskraft unserer Ingenieure: Wenn die Politik ihnen und den Firmen, die sie anstellen, CCS vorschreibt, würden sie das schaffen. Die Wirtschaft soll Risiken und Kosten dieser Technik voll tragen. Beerdigen wir einen Teil des CO2-Problems, indem wir das lästige Gas in der Erde verstauen! Wenn es aber doch nicht klappt, soll es die Bürger nichts kosten.

CCS könnte man auch unter Geoengineering fassen. Das sind Techniken, die auf kontinentaler oder globaler Ebene beispielsweise Klimagase aus der Atmosphäre herausholen, ihre Wirkung verzögern oder die Sonnenstrahlung so manipulieren sollen, dass sie nicht mehr voll auf die Erde trifft. Spiegel im Weltall wären so eine Option. Ob das nun Wahnsinn oder ein Hoffnungsträger ist: Philosophen wie S. Gardiner haben hier argumentiert, dass man so etwas vielleicht nicht einmal erforschen sollte (Gardiner 2011; 2014). Wo Philosophen eventuell schon Schaden anrichten, indem man sich an ihnen orientiert, müssen Philosophen das korrigieren. Daher mein Einsatz für dieses Thema.

Ein weiteres »heißes Eisen« sind die Fragen der Bevölkerungspolitik. Der Gedanke drängt sich auf: Wenn unsere Welt »voll« ist (v. Weizsäcker et al. 2017) und jeder weitere Mensch ein Recht auf menschenwürdige Lebensbedingungen hat, gibt es eine Möglichkeit zu regulieren, indem man den Zufluss drosselt. Insbesondere weil die, die schon auf der Welt sind, sich nicht einigen können, den Gürtel enger zu schnallen. Wenn unser Problem das Produkt aus der Anzahl der Menschen und deren individuellem Lebensstil ist, drängt sich der Gedanke geradezu auf, nicht nur bei einem der beiden Faktoren des Produkts anzusetzen. Aber viele Menschen zucken zusammen, wenn sie das Wort »Bevölkerungspolitik« hören. Sie denken an Missbrauch, unfreiwillige Sterilisationen und Ähnliches. Und sollten sich Staaten nicht völlig aus den Schlafzimmern ihrer Bürger heraushalten? Hier gibt es erneut großen Diskussionsbedarf, dem sich kaum jemand stellt.

Der Klimaschutz provoziert immer wieder einen Konflikt zwischen Umweltpolitik und sozialer Gerechtigkeit. Wie ernst müssen wir soziale Gerechtigkeit nehmen, beziehungsweise kann sie engagierten Klimaschutz überwiegen? Erst einmal muss man feststellen, dass bei der Energiewende bisher wirklich einiges ungerecht verlaufen ist. Damit eine Energiewende gelingt, muss sie auf Akzeptanz und Konsens setzen, sie muss einen Ausgleich für soziale Ungerechtigkeiten bieten. Aber verdient es soziale Gerechtigkeit nicht nur, als Mittel für den Klimaschutz ernst genommen zu werden, sondern ist sie vielleicht ein »Wert an sich«, der den Wert des Klimaschutzes sogar überwiegen kann? Auch hierüber wird öffentlich wenig gestritten, und Tabus wohnen allerorten.

Ich kann nicht prognostizieren, welcher Weg am schnellsten »ins Grüne« führt. Allerdings kann ich davor warnen, Holzwege zu beschreiten und bestimmte Wege zu tabuisieren und gar nicht zu diskutieren. Dabei ist die angeführte Liste der Tabus keineswegs vollständig. Auch über den Fürsten der Unterwelt persönlich, vertreten durch seine schlimmste Ausgeburt, die Atomenergie, müsste zumindest noch einmal diskutiert werden, angesichts stetig steigenden Energiebedarfs. Immerhin vertrauen sich Nationen wie Frankreich nicht ganz ohne Grund diesem Monster an. Lösungsmöglichkeiten gehören auf und nicht unter den Tisch. Alles andere ist eine Transformationsfalle, die aufgedeckt gehört. (Allerdings glaube ich gemeinsam mit dem WBGU nicht an die Atomenergie.)

Transformationsfalle: Tabuisiere nicht vorschnell Lösungswege, sondern versuche, mit offenem Verstand Impulse für große Unterschiede auf dem Weg zum Guten zu setzen.

5. Ausblick: Zuletzt soll ausgewertet werden, wo wir bislang mit der großen Transformation stehen und welche Chancen wir haben, das Ziel zu erreichen. Zahlen und Entwicklungen, die Mut machen, sollen solchen, die Gefahr bedeuten, gegenübergestellt werden.

3  Technik als Messias der Moderne

Die große Frage der Gegenwart und Zukunft besteht darin, wie wir die drei Hauptprobleme im Rahmen unseres Wirtschaftssystems lösen können: Armut, ökologischer Raubbau an den Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen und Verletzung von Tierrechten. Das ist das einfache und klare Ziel, das wir genauso klar und einfach kommunizieren müssen. Darum geht es, alles andere ist sekundär. Die Frage stellt sich verschärft angesichts sich ständig verschlechternder Rahmenbedingungen, etwa der fortwährend ansteigenden Weltbevölkerung und fortwährend ansteigender Emissionen. Jeder zusätzliche Mensch auf der Erde sollte unter lebenswürdigen Bedingungen leben können, doch damit erhöht sich der »Druck im Kessel«: Für jeden sollte ein vernünftiger Anteil der ohnehin viel zu knappen Ressourcen und Senken verfügbar sein, sonst wird der globale soziale Frieden noch erheblicher als derzeit gefährdet sein. Miserabel zu leben wird sich auf Dauer kaum jemand gefallen lassen, und es verringert Wohlergehen.

Bleibt die Hoffnung einiger Ökonomen, dass sich diese grausig gerüsteten Heere der Nacht »von selbst« auflösen (merkwürdiges Drehbuch!), durch neue Techniken, die es uns erlauben, Grenzen zu überschreiten. Bekanntlich werden Menschen am kreativsten, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Das meinen manche Ökonomen, die offenbar viel Fantasie entwickeln, aber wenig Fantasy-Romane gelesen haben (Myers und Simon 1994). Sonst wüssten sie, dass so etwas dort nie passiert. Die unbelesenen Ökonomen sollten sich fragen, wie oft uns technische Wunder retten werden. Es ist keine verantwortliche Strategie, Problem auf Problem zu häufen (zum Beispiel atomare Endlagerung, Klimawandel, Mangel an Phosphor und Seltenen Erden, Antibiotikaresistenz et cetera) und dabei immer wieder auf bisher nicht erfolgreiche technische Lösungen, also ungedeckte Schecks zu hoffen. Keiner von diesen darf platzen, denn der Einsatz ist zu hoch, er umfasst eventuell die gesamte Menschheit (Jonas 1985). Bei einem Privatmenschen mit einer solchen Zockermentalität würden wir nicht von Kreativität, sondern von verantwortungsloser Spielsucht sprechen. Zwar werden wir ohne neue Technologien die Krise kaum bewältigen, aber hier geht es wohlgemerkt nicht um einen unerwarteten Notstand, gegen den man sich mit technischen Mitteln wehren muss. Hier wird wissentlich ein Notstand geschaffen, im Vertrauen darauf, dass uns schon rechtzeitig eine bisher unbekannte technische Lösung einfallen wird, um ihn zu bewältigen. Und das gilt nicht nur für einen Notstand, sondern für eine ganze Serie von Notständen.

Dass »erlösende« Techniken auch zwiespältig sein können, illustriert schon eine uralte Studie zum »Tanaland« (Dörner und Reither 1978). Dort wurde am Computer ein Entwicklungsland simuliert, dem junge Experten helfen sollten. Die eingesetzten Technologien führten jedoch mittelfristig zum Ruin des Landes, denn die Wirkungen der Technologien waren zwiespältig. Die Eingriffe wurden anhand »unverzweigter«, linearer Ursache-Wirkungs-Ketten (auf A folgt B, dann C und D) geplant, die Realität aber erweist sich als ein komplexes System mit Wechselwirkungen (A wirkt auf C und D wieder auf B und so weiter). Ein Beispiel aus der Wirklichkeit, das uns beinahe den Kopf gekostet hätte, sind die FCKWs, in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gepriesen, in den Achtzigern verboten. Wir können uns also weder auf konkrete Technologien noch auf die benannte Strategie verlassen. Beim Klimawandel jedoch haben wir uns in eine derart aussichtslose Situation manövriert, dass wir uns möglicherweise kaum noch anders als mit technischen Mitteln und einer riesigen Portion Glück befreien können.

4  Warum wir nicht handeln:
Dummheit, Egoismus, Pfadabhängigkeit und Sorge um Freiheit

Seit Jahrzehnten kennen wir diese Bedrohung. Warum handeln wir nicht einfach verantwortungsvoll? Es gibt neben unserem Technikglauben mindestens vier gute Erklärungen für dieses Mysterium. Eine verweist auf unser begrenztes Erkenntnisvermögen, die zweite auf unsere egoistischen Neigungen, die dritte auf Pfadabhängigkeiten und die vierte auf den hohen Wert der Freiheit, der nicht gefährdet werden dürfe.

An diesen Erklärungen ist natürlich viel Wahres. Unsere Erkenntnis ist auf Anschauung, also auf das Sichtbare verwiesen, was uns die evolutionäre Erkenntnistheorie demonstriert hat, seit Mitte des letzten Jahrhunderts Konrad Lorenz die Erkenntnis von Menschen an »dummen Gänsen« erforschte (Lorenz 1973). Der abstrakte Klimawandel bereitet uns daher besondere Probleme.

Die Evolution hat uns zudem mit Neigungen ausgestattet, in deren Fokus wir selbst und unsere nahe Umgebung stehen. Wir selbst, unsere Familie und unsere Freunde sind uns wichtig. Nach diesem Kriterium entscheiden wir uns oft für die einfachsten und kostensparendsten (landläufig: die faulsten) Lösungen. Universelles Denken und Verständnis für die Situation von anderen, gerade wenn wir sie nicht persönlich kennen, fallen uns hingegen schwer. Darüber hat schon David Hume lamentiert (Hume 1955). Unsere besagten Gebrechen waren in der Evolution kein großes Problem. Wenn wir einen Landstrich verwüstet hatten, konnten wir zum nächsten weiterziehen, die Welt war groß, und wir waren wenige. Das hat sich geändert. Wir sind eine Art, der der natürliche Fressfeind abhandengekommen ist und die es nicht schafft, sich von den Tierarten, denen dieses Malheur auch schon zustieß, abzugrenzen und sich aus Einsicht selbst zu beschränken.

Drittens bestimmen Pfadabhängigkeiten unser Leben. Wir haben uns in bestimmten Denk- und Lebensweisen einbetoniert. Uns fehlen der Mut, der Fleiß und das Wissen, diese tief eingefahrenen Wegfurchen wieder zu verlassen, selbst wenn wir wissen, dass diese Wege Holzwege sind. Dazu kommt, dass wir auch finanziell festgelegt sind: Jeder Richtungswechsel wird immens teuer sein, auch wenn uns Ökonomen wie Niklas Stern attestiert haben, dass ein »Weiter so« noch viel teurer wird (Stern 2009, 94).

Eine ehrenhaftere Erklärung unseres Zögerns und Zauderns ist die Befürchtung, unsere mühevoll aus den Wirrungen einer despotischen und inhumanen Geschichte blutig erkämpfte Freiheit stehe hier zur Disposition. Freiheit ist keineswegs selbstverständlich. Erst in der Aufklärung konnte sie sich in westlichen Gesellschaften durchsetzen, anderen Gesellschaften ist sie immer noch nicht selbstverständlich. Mühevolle Reformbewegungen und blutige Revolutionen, also zahlreiche Leben von Freiheitskämpfern waren nötig, um diese historische Errungenschaft zu realisieren. Monarchen und Feudalsysteme mussten in langem, zähem Ringen überwunden werden, ehe diese Selbstverwirklichung des Menschen erreicht wurde, die schon Pico della Mirandola im 15. Jahrhundert als solche beschrieben hat (della Mirandola 1990). Nach extremen Rückschlägen erstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Freiheit wie Phönix aus der Asche. Diese empfindliche Errungenschaft, die nur wenige Jahrzehnte Zeit hatte, sich zu entwickeln, könnte nun durch klimapolitische Maßnahmen bedroht werden — so empfinden es nicht wenige Menschen. SUV-Verbote, Veggiedays und Kohleausstieg. In den großen Epen der Geschichte und des Fantasy-Genres kämpfen die Helden immer für die Freiheit, schon deshalb sind wir auf deren Seite.

Auch unsere gemeinsam mit der individuellen Freiheit geborene freiheitlich-demokratische Grundordnung gerät durch die Umweltbewegung unter Druck. Mit der Angst, dieses sensible Erbe aufs Spiel zu setzen, lässt sich viel von der Zurückhaltung erklären, mit der wir »radikalen« Maßnahmen begegnen, die uns vor der ökologischen Bedrohung schützen sollen. Das zumindest ist die ehrenwerteste Erklärung unseres Zögerns, denn sie geht auf einen Konflikt ethischer Werte und nicht nur auf »menschliches Versagen« zurück.

Was ist Besonderes an diesem Konflikt? Nirgends genießen wir vollständige Freiheit. Sie wird auf vielen Feldern eingeschränkt, weil sie mit anderen Interessen kollidieren würde. Das beginnt im Kleinen, wenn wir im Restaurant nicht mehr rauchen dürfen, geht weiter über vielfältige Verkehrsregeln bis hin zu Eingriffen in unser Eigentum zugunsten sozialer Gerechtigkeit, etwa in der Mietgesetzgebung oder bei der Besteuerung. Laufend müssen Freiheiten im Interessenausgleich ausgehandelt werden. Das Besondere am Konflikt zwischen Freiheit und Ökologie liegt darin, dass es zweifach um Freiheit als solche zu gehen scheint: Auf der einen Seite wird bemängelt, dass der Konflikt das Potenzial hat, unsere freiheitlich-demokratische Ordnung selbst zu verändern. Seine Lösung könnte neue Strukturen erfordern, welche durch Integration zukünftiger Generationen etwa die demokratische Repräsentation verändern (vgl. Kapitel 3). Kritiker sehen hier die »Freiheit an sich« durch »Ökodiktaturen« (ähnlich wie früher durch kommunistische Diktaturen) infrage gestellt. Auf der anderen Seite der Medaille könnte ebenfalls die Freiheit selbst auf dem Spiel stehen, wenn wir der Ökologie nicht den nötigen Raum geben. Nur Lebende können frei sein, und ohne das Überleben sicherzustellen, gibt es keine Freiheit mehr, das zeigt schon Corona.

Nun kann man sich fragen, auf wie viele Freiheiten wir verzichten könnten, ohne die freie Gesellschaft aufs Spiel zu setzen. Dabei spielt uns allerdings die Gewöhnung böse Streiche. Die Gurtpflicht beim Autofahren wurde einst als inakzeptables Bevormunden kritisiert, heute spricht kaum noch jemand davon. Wer aus Amerika nach Deutschland kommt, wird sich sehr schnell durch den Staat gegängelt und kontrolliert vorkommen — nach ein paar Jahren hat er sich daran gewöhnt. Von der Menge der verzichtbaren Freiheiten her zu argumentieren ist also nicht sehr vielversprechend. Richtiger scheint der Ansatz, das Überleben in den Mittelpunkt zu stellen und zu überlegen, welche Freiheiten mit ihm unverträglich sind. In diesem Sinne will ich einige Bedenken gegen die Rechtfertigung des Nichtstuns aus Angst um die Freiheit anführen, die auch zeigen, wie radikale Klimapolitik das wertvolle Gut der Freiheit dauerhaft beschützen kann, weshalb ihr unsere Sympathien gehören sollten: