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RÜCKEN

BESCHWERDEN WIRKSAM BEGEGNEN:
URSACHEN – THERAPIE – TRAINING

Prof. Dr. med. Joachim Grifka

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Vorwort

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Dieser Ratgeber ist eine Anleitung zu wirbelsäulengerechtem Verhalten.

Dieser Ratgeber kann zur Vorbeugung gegen das Entstehen von Rückenbeschwerden genutzt werden. Aber auch bei bestehenden Beschwerden gibt er eine Anleitung zu rückenschonendem Verhalten.

Falls Sie drei der nachfolgenden fünf Fragen mit Ja beantworten, sollten Sie sich in diesem Buch genauer informieren:

imageHaben Sie wiederkehrend Rückenbeschwerden?

imageStrahlen die Schmerzen in Arme, Beine oder den Kopf aus?

imageLeiden Sie unter Muskelverspannungen im Rücken- oder Schulter-Nacken-Bereich?

imageBereiten Ihnen Bewegungen im Rücken oder Hals Beschwerden?

imageIst die Belastbarkeit Ihrer Wirbelsäule reduziert?

Warum dieses Buch?

Im Laufe seines Lebens leidet fast jeder Mensch einmal unter Rückenschmerzen. Zum Glück sind die Beschwerden oft vorübergehend und haben keine ernsthafte Ursache. Aber selbst derartige vorübergehende Beschwerden können erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Dann ist es gut zu wissen, was man am besten dagegen tut und wie man schnell wieder fit wird.

Viele Millionen Menschen in Deutschland leiden unter ernsthaften Rückenbeschwerden und sind dadurch in ihren Alltagsaktivitäten und im Arbeitsbereich erheblich eingeschränkt. Keineswegs ist dabei immer nur „die Bandscheibe“ die Ursache. Die Wirbelsäule ist kompliziert aufgebaut und kann in verschiedenen Bereichen und an ganz unterschiedlichen Strukturen und Elementen von Störungen betroffen sein. Aber auch außerhalb der Wirbelsäule gibt es Strukturen, die eine Schmerzausstrahlung in den Rücken verursachen können, ohne dass die Wirbelsäule selbst betroffen wäre. Auch solche Störungen und Veränderungen müssen berücksichtigt werden.

Dieses Buch möchte Betroffenen helfen, mehr über ihre Krankheit zu erfahren und die Zusammenhänge besser zu verstehen. Dazu werden die anatomischen Grundlagen der Wirbelsäule, die besonders anfälligen Strukturen, typische Erkrankungen und die verschiedenen Symptome beschrieben und erklärt. Die Entscheidung des Arztes für eine bestimmte Behandlung wird damit nachvollziehbar. Der Leser kann somit zum mündigen Patienten werden.

Ein wichtiges Anliegen dieses Buches ist schließlich, dass der Patient erfährt, was er selbst gegen seine Beschwerden tun kann. Gerade bei Rückenerkrankungen kann und sollte der Patient vieles selbst tun, um die Belastbarkeit der Wirbelsäule zu verbessern und Beschwerden entgegenzuwirken. Hierzu gibt dieses Buch viele Informationen. In diesem Sinne hat die Rückenschule das Ziel der Patienteninformation und -schulung. Die Grundprinzipien dieses Konzeptes verdanke ich meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jürgen Krämer, der 1984 als Erster in Deutschland die Rückenschule begründete. Für die Umsetzung von Übungen und Verhaltensmaßnahmen danke ich zusätzlich zu den schon genannten, Fr. Dr. Leiß, Robert Gerlach und Klaus Bahringer, im Rahmen einer Kooperation mit der Allianz Private Krankenversicherung. Für die Unterstützung bei der Ausarbeitung des Konzeptes der Rückenschule in der Schule danke ich Silvia Dullien, Sportwissenschaftlerin, für die Unterstützung beim krankengymnastischen Übungsprogramm Anne Toffel, Physiotherapeutin und Osteopatin. Ein herzliches Dankeschön gebührt auch unseren beiden Schülerinnen für die Übungsdemonstration, Lisa-Marie und Sophia Frankl.

Dank der Prinzipien der Rückenschule und der gezielten orthopädischen Schmerztherapie ist es heute möglich, eine Vielzahl von Beschwerden ohne Operation erfolgreich zu behandeln. Dies betrifft auch Bandscheibenvorfälle. Mit einer gezielten Therapie können heute etwa 80 % der geplanten Operationen im Wirbelsäulenbereich vermieden werden.

Dieses Buch geht systematisch auf Fragen und Probleme ein, die immer wieder von Betroffenen angesprochen werden. Ich empfehle, zunächst die einleitenden Kapitel zu lesen und dann ganz gezielt diejenigen Abschnitte durchzugehen, die Ihre Erkrankung behandeln. Anschließend sollten Sie sich mit den Verhaltensmaßnahmen und dem Trainingsprogramm befassen.

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Inhaltsverzeichnis

1Ein starker Rücken schützt vor Schmerzen

2Aufbau und Funktion der Wirbelsäule

2.1Das Bewegungssegment – Element der Beweglichkeit

2.2Gewölbt statt kerzengerade

2.3Bänder und Muskeln zur Stabilisierung

2.4Nerven sorgen für Gefühl und Kraft

3Frühzeitig Fehlbelastungen begegnen

3.1Wölbungen und Position der Wirbelsäule

3.2Ermüdung im Laufe des Tages/Haltungsschwäche

3.3Verschleiß der Bandscheiben

3.4Folgen der übermäßigen Hohlwölbung

3.5Reduktion der Lordose als Therapieprinzip

3.6Skoliose – die dreidimensionale Verdrehung der Wirbelsäule

4Typische Krankheitsbilder der Wirbelsäule

4.1Erst andere Beschwerdeursachen ausschließen

4.2Strukturstörungen der Wirbelsäule durch angeborene Erkrankungen

4.3Erworbene Wirbelsäulenerkrankungen des Kindes- und Jugendalters

4.4Halswirbelsäulen(Zervikal)-Syndrome

4.5Lendenwirbelsäulen(Lumbal)-Syndrome

4.6Der schleichende Verschleiß

4.7Entzündungen der Wirbelsäule

4.8Erkrankungen der Brustwirbelsäule

4.9Osteoporose – der vermeidbare Knochenschwund

4.10Wenn Schmerzen chronisch werden

5Therapie – schrittweise zum Erfolg

5.1Eigene Möglichkeiten und Grenzen

5.2Physikalische Therapie

5.3Medikation

5.4Schmerzbewältigung

6Injektionstherapie – mit gezielten Spritzen den Schmerzzyklus durchbrechen

7Orthesen – zum Stützen und Formen

7.1Kyphose

7.2Lordose

7.3Skoliose

8Operationsverfahren – Kleinerer Schnitt, schonende OP-Technik: schnellere Rehabilitation

8.1Probenentnahme

8.2Thermo-/Kryokoagulation

8.3Thermodenervierung

8.4Kyphoplastie

8.5Mikroskopische Operation

8.6Offene Dekompression

8.7Versteifungsoperation

8.8Skolioseoperation

8.9Growing Rods

9Verhaltensmaßnahmen – sinnvoll schonen, wirkungsvoll vorbeugen

9.1Rückenschulregeln

9.2Regeln der Halswirbelsäulenschule

9.3Bequem und richtig sitzen für Kinder

10Tägliche Übungen zum gezielten Muskeltraining

10.1Übungsprogramm

10.2Koordination – Training von Bewegungsabläufen

10.3Übungen für Schulkinder

10.4Sport

11Glossar

1

Ein starker Rücken schützt vor Schmerzen

Die Wirbelkörper sind in verschiedene Richtungen beweglich. Eine gute Muskulatur stabilisiert die Wirbelsäule.

1Ein starker Rücken schützt vor Schmerzen

Mit der Aufrichtung aus dem Vierfüßlergang zum Stehen und Gehen auf zwei Beinen haben sich die Wahrnehmung der Welt und die Aktionsmöglichkeiten des Individuums geändert. Dies lässt sich auch heute noch bei der Entwicklung des Kleinkindes nachvollziehen, wenn es sich allmählich aufrichtet und seine Welt entdeckt. Die geistige Entwicklung wird mit der Aufrichtung vorangetrieben und die Bewegungsfreiheit von Händen und Armen auf spezielle Weise genutzt, um auf unsere Umwelt zu wirken und sie zu gestalten.

Mit der Aufrichtung gegen die Schwerkraft ändern sich Form und Gestalt der Wirbelsäule.

imageDas Becken mit dem Kreuzbein wird zur Basis für die Wirbelsäule.

imageMuskelketten im Bereich des Rumpfes, aber auch des Beckens und der Beine müssen für die Balance sorgen.

Bei Ermüdung der Muskulatur wird dieses labile System störanfällig. In ähnlicher Weise ist die Muskulatur bei monotonen Haltungen oder zusätzlichen Gewichtsbelastungen überfordert.

Wir sind es gewohnt, unserem Körper viel zuzumuten. Erst wenn Beschwerden auftreten, realisieren wir die Überforderung. Wir alle zahlen unseren Tribut an den aufrechten Gang. Die Wirbelsäule ist aufgrund der steten Steh- und Gehbelastung, dem zusätzlichen Tragen von Gewichten und aufgrund von Verdrehbewegungen vermehrt belastet. Es gibt Wetterwinkel, die besonders anfällig sind und bei denen der Verschleiß zu Beschwerden führt.

Eine Vielzahl von Analysen hat gezeigt, dass wir eine gezielte Aktivierung der Muskeln brauchen. Ein „starker Rücken“ hat keine Schmerzen. Deswegen dürfen wir den Begriff Schonung nicht falsch verstehen. Es hilft nicht, jegliche Belastung zu vermeiden oder sich gar völlig adynam ruhig zu halten. Dann würde das Gegenteil eintreten: Die noch schwächere Muskulatur bietet keinen Halt mehr und die Beschwerden nehmen zu. Ohne eine Aktivierung der Muskeln ist eine Linderung der Symptome nicht zu erwarten!

Die Rückenschule setzt diese Erkenntnis in wirbelsäulenfreundliche Übungen um. Die Muskulatur wird in einer Entlastungshaltung der Wirbelsäule trainiert.

Für den Trainingseffekt brauchen wir die Anstrengung. Nur bei vermehrter Aktivierung der Muskulatur findet auch eine Anpassung statt. Wir müssen uns also in einem Bereich zwischen Überlastung, wie sie vor allem bei schwacher Muskulatur auftritt, und falsch verstandener Schonung mit mangelnder Aktivität bewegen.

In Deutschland leiden 8 Mio. Menschen ständig unter Schmerzen. Die Liste der dauerhaften Schmerzen wird angeführt von Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen. Gerade bei chronischen Schmerzen ist es wichtig, mit eigener Aktivität und Muskeltraining dagegen anzugehen.

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Abbildung 1: Computer-Kid. 11-jähriger Junge mit hängenden Schultern und völlig unzureichender Rückenmuskulatur als Zeichen eines Haltungsschadens aufgrund vermehrter Sitzbelastung ohne ausreichende körperliche Aktivität.

Abbildung 2: Muskeltraining der Rückenschule in der Schule; Übung der Beckenstabilisierung.

Neben dem Muskeltraining ist das wirbelsäulenfreundliche Verhalten eine weitere wichtige Säule der Rückenschule. Dies umfasst weit mehr als richtiges Heben und Tragen. Es geht vielmehr darum, unser ganzes Verhalten im Alltag darauf abzustellen, dass wir die Wirbelsäule in einer mechanisch günstigen Position halten und sie nicht durch vermehrte Bewegungen, übermäßige Gewichte oder auch Haltungskonstanz und mangelnde Bewegung überlasten.

Wer an Rückenschmerzen leidet, ist in diesem Zustand besonders dafür sensibilisiert, welches Verhalten schmerzauslösend und wirbelsäulenfeindlich ist. Mit der Rückenschule erlebt er positiv, wie die Schmerzen durch richtiges Verhalten und Muskeltraining gebessert werden. Aber er muss seine Lektion lernen und das Gelernte im täglichen Leben umsetzen. Er muss seine Körperwahrnehmung auf die richtige Körperhaltung einstellen und die Rückenschule mit den Verhaltensmaßnahmen und die Übungen zum Muskeltraining in sein Alltagsprogramm aufnehmen. Ansonsten wird er bald wieder Schiffbruch erleiden.

Am günstigsten ist es, wenn wir das Rückenbewusstsein mit dem wirbelsäulengerechten Verhalten ganz automatisch beherzigen und nicht erst aus Schaden klug werden. Das Ziel muss es deswegen sein, die Rückenschule in die Schule zu bringen. Dann ist es möglich, wirklich vorzubeugen und Kindern die Grundsätze der Rückenschule so beizubringen, dass sie das richtige Verhalten verinnerlichen, sodass das Entstehen von Rückenbeschwerden weitestmöglich vermieden wird.

2

Aufbau und Funktion der Wirbelsäule

Dieses Kapitel gibt Ihnen einen Überblick über den Aufbau der Wirbelsäule und die Bedeutung von Muskeln und Bändern sowie die Besonderheiten des Nervenverlaufs.

2Aufbau und Funktion der Wirbelsäule

Als Erstes muss man verstehen, dass die Wirbelsäule keine Säule im eigentlichen, statischen Sinne ist. Die Wirbelkörper sind keineswegs wie Bauklötze stabil aufeinander gestapelt, woraus eine starre, gewichtsbelastete Säule resultieren würde. Im Gegenteil, die Stabilität der knöchernen Elemente fehlt.

Erst durch das Zusammenwirken von Knochen, Bandscheiben, Bändern und Muskeln kann diese instabile Säule in Balance gehalten werden.

Um Beweglichkeit, Belastbarkeit und Erkrankungen zu verstehen, zunächst die Grundzüge der Anatomie:

Die Wirbelsäule besteht aus 33 Wirbelkörpern (Abbildung 3):

image7 Hals(Zervikal)wirbeln,

image12 Brust(Thorakal)wirbeln,

image5 Lenden(Lumbal)wirbeln und

image9 Kreuzbein(Sakral)wirbeln sowie

imagedem Steißbein (Os coccygis).

Kreuz- und Steißbein sind zusammengewachsen. Zwischen den übrigen Wirbeln befindet sich im vorderen Bereich, bei den Wirbelkörpern jeweils eine Bandscheibe (Zwischenwirbelscheibe, Discus intervertebralis). Im hinteren Anteil sind die Wirbelkörper jeweils durch 2 Wirbelbogengelenke (rechts und links) nach oben und unten verbunden.

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Abbildung 3: Seitliche Ansicht der Wirbelsäule. Gliederung in Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich sowie Kreuz- und Steißbein.

2.1Das Bewegungssegment – Element der Beweglichkeit

Zwischen den Wirbeln findet die Bewegung statt. Medizinisch spricht man von dem Bewegungssegment (Abbildung 4). Damit ist jeweils der Übergangsbereich von einem Wirbelkörper zum anderen gemeint: Im vorderen Anteil der Wirbelkörper ist das jeweils der untere Bereich des oberen Wirbelkörpers (Grundplatte), die zwischengelagerte Bandscheibe und der angrenzende obere Anteil des unten liegenden Wirbelkörpers (Deckplatte). Ebenso gehören die rechts und links nach hinten gelegenen Zwischenwirbellöcher und die jeweils zwei weiter nach hinten angrenzenden kleinen Wirbelgelenke (Facetten) dazu. Sie haben die Verbindung nach oben und unten. Durch jedes Zwischenwirbelloch (rechts und links) tritt eine Nervenwurzel mit begleitenden Blutgefäßen aus. Die Nervenwurzel liegt typischerweise im oberen Anteil des ohrförmigen Zwischenwirbellochs, geringfügig über der Höhe der Bandscheibe.

Im Zusammenspiel dieser verschiedenen Elemente des Bewegungssegments ist die Bandscheibe die anfälligste Struktur. Diese hat zwei zentrale Aufgaben:

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Abbildung 4: Bewegungssegment mit seinen Anteilen

1 Grundplatte

2 Bandscheibe

3 Deckplatte

4 Zwischenwirbelloch

5 Kleine Wirbelgelenke

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Abbildung 5: Bandscheibe mit Be- und Entlastung. Bei Entlastung saugt sich die Bandscheibe mit Nährstoffen voll. Bei Belastung gibt sie Flüssigkeit und Stoffwechselprodukte ab.

imageZum einen muss sie die Beweglichkeit zwischen den Wirbelkörpern maßgeblich zulassen und mitmachen,

imagezum anderen muss sie als Belastungsdämpfer (Puffer) zwischen den Wirbelkörpern wirken.

Trotz dieser elementaren Aufgaben ist die Ernährungssituation der Bandscheibe höchst ungünstig. Nur in den ersten Lebensjahren (bis etwa zum 4. Lebensjahr) wird sie durch Blutgefäße versorgt. Danach bilden sich die Blutgefäße zurück und die Bandscheibe kann dann nur noch durch einen Einstrom von Flüssigkeit aus der Umgebung Nährstoffe aufnehmen bzw. durch ein Abpressen von Flüssigkeit Stoffwechselschlacken abgeben. Diesen Vorgang nennt man Diffusion. Er wird durch den äußeren Druck auf die Bandscheibe gesteuert, also die Druckbelastung auf den Wirbelkörpern, sowie die Fähigkeit des Bandscheibengewebes, Flüssigkeit anzusaugen (osmotischer Druck). Das Ansaugen von Flüssigkeit ist somit erst möglich, wenn die axiale Druckbelastung auf die Bandscheibe maßgeblich reduziert ist. Die Bandscheibe kann sich dann vollsaugen und muss dabei alle Substanzen aufnehmen, die sie für die Ernährung und als Baustoffe benötigt. Die Ernährung gelingt natürlich umso besser, je regelmäßiger der Wechsel zwischen Belastung und Entlastung erfolgt, umso mehr also die Diffusion, d. h. die Durchsaftung, mit ihrem Wechsel von Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe gefördert wird.

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Abbildung 6: Faserringbildung der Bandscheibe. Die äußeren Anteile zeigen die Faserstruktur, im Inneren finden sich flüssigkeitshaltige gallertige Anteile.

Im Laufe des Lebens ändert sich die Struktur der Bandscheibe. Bei einem Kleinkind und im Vorschulalter ist die Bandscheibe durch und durch gallertig, also eine strukturlose Masse, die sich bei Bewegung beliebig hin und her verschiebt. Im Schulalter, spätestens im Alter der Pubertät, weist die Bandscheibe als äußere Begrenzung eine ringartige Faserstruktur auf, wobei der größere innere Bandscheibenanteil immer noch gallertig ist.

Die Faserringbildung (Anulus fibrosus) nimmt im Laufe des Lebens stetig zu, sodass der weichere, mobile, gallertige innere Bandscheibenanteil kleiner und kleiner wird. Im Alter von 50–65 Jahren ist schließlich die gesamte Bandscheibe faserig strukturiert. Sie hat dann keine stoffwechselaktiven und flüssigkeitshaltigen inneren gallertigen Anteile mehr.

Diese Entwicklung der faserigen Strukturierung der Bandscheibe schreitet individuell unterschiedlich schnell fort. Grundsätzlich läuft dieser Prozess am schnellsten an denjenigen Bandscheiben ab, die im Übergangsbereich von beweglicheren zu starreren Anteilen der Wirbelsäule liegen. Dies ist im Bereich der unteren Halswirbelsäule und der unteren Lendenwirbelsäule der Fall. Diese Bereiche haben auch eine besondere Bedeutung für Bandscheibenerkrankungen, wie später noch erläutert wird.

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Abbildung 7: a) Übliche Wölbungen der Wirbelsäulenabschnitte. b) Hohlrücken: Übermäßige Beckenvorneigung mit vermehrter Hohlwölbung der Lenden- und der Halswirbelsäule sowie Vorwölbung der Brustwirbelsäule. Ein seitlich gefälltes Lot vom Kopf fällt in den Deckplattenbereich des Kreuzbeins. c) Flachrücken. Die Wölbungen von Lenden- und Brustwirbelsäule sind vermindert. d) Rundrücken. Großbogig vermehrte Brust- und Lendenwirbelsäulenkyphose.

2.2Gewölbt statt kerzengerade

Die Form des Rückens und insgesamt unsere Haltung werden maßgeblich durch die bogige, gewölbte Anordnung der Wirbelkörper bestimmt. Im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule macht schon die Rückenkontur die Höhlung (Lordose) deutlich. Im Bereich der Brustwirbelsäule findet sich eine Wölbung nach außen (Kyphose). Diese Wölbungen werden maßgeblich durch die Position des Beckens und des Kreuzbeins bestimmt. Je mehr das Becken nach vorne geneigt bzw. das Kreuzbein in die Horizontale verkippt ist, desto größer ist die Höhlung der Lendenwirbelsäule. Damit der gesamte Körper noch in der Balance bleibt, ist eine umso größere Gegenschwingung der Brustwirbelsäule nach hinten erforderlich (übermäßige Kyphose). Ebenso muss dann auch die Halswirbelsäule eine übermäßige Höhlung ausbilden. Die übermäßigen Wölbungen sind nötig, damit der Körper insgesamt noch in der Balance ist. Ein vom Kopf gefälltes Lot muss durch den Deckplattenbereich des Kreuzbeins fallen. Deswegen provoziert jede vermehrte Schwingung eines Abschnitts eine wiederum vermehrte Gegenschwingung des darüberliegenden Wirbelsäulenabschnitts.

2.3Bänder und Muskeln zur Stabilisierung

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Abbildung 8: Verspannungen der Wirbelsäule an den Wirbelkörpern durch vorderes (1) und hinteres (2) Längsband, über die kleinen Wirbelgelenke (3), zwischen den Dornfortsätzen (4) und als Verbindung zwischen den Dornfortsatzspitzen (5).

Bänder geben passiven Halt, Muskulatur sorgt für aktive Stabilisierung.

Die einzelnen Wirbelkörper werden durch ein vorderes und hinteres Längsband miteinander verbunden (Abbildung 8). Dieses breite Band zieht über das Bewegungssegment hinweg und sichert den Bandscheibenraum bei Bewegung.

Die kleinen Wirbelgelenke werden durch Kapsel-Band-Strukturen überzogen und so in ihrer Position gesichert. Bänder vermitteln zwar passiv Halt, fangen also die statische Belastung ab, geben aber bei Dauerbelastung nach. Sie dehnen sich und passen sich so allmählich zunehmender Belastung an.

Somit ist die Muskulatur das wichtigste Element, um eine gute Einstellung der Wirbelsäule zu sichern und den aktiven Halt und damit die Grundlage für die eigentliche Balance der Wirbelsäule zu gewährleisten.

Vereinfacht dargestellt wird der Kopf maßgeblich von der Nackenmuskulatur gehalten (Abbildung 9