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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Richter, Götz (Hrsg.) für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print: ISBN 978-3-7910-4822-2 Bestell-Nr. 10507-0001
ePub: ISBN 978-3-7910-4823-9 Bestell-Nr. 10507-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-4824-6 Bestell-Nr. 10507-0150

Götz Richter (Hrsg.)

Lernen in der digitalen Transformation

1. Auflage, Oktober 2020

© 2020 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

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Lektorat: Friederike Moldenhauer, Hamburg

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[5]Vorwort des Herausgebers

Lernen in der digitalen Transformation der Arbeit scheint so selbstverständlich zu sein, dass es selten thematisiert und noch seltener systematisch gefördert wird. Im Forschungsprojekt »Lernförderliche Arbeitsgestaltung im Dienstleistungssektor: Die Rolle von Führungskräften« hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) Praxis und Potenzial von lernförderlicher Arbeitsgestaltung in der Sachbearbeitung untersucht. Der vorliegende Band geht auf zwei Tagungen im Jahr 2019 zurück, auf denen die BAuA ihre Erkenntnisse zur Diskussion stellte.

Der Praxisworkshop »Führungskräfte stärken – Beschäftigte auf Digitalisierung vorbereiten« brachte Personalexpertinnen und -experten aus der Sachbearbeitung zusammen. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage, wie Führungskräfte das arbeitsintegrierte Lernen fördern können. Neben neuen Arbeitsanforderungen wurden auf den Ebenen Führungsverhalten, organisationale Unterstützung und Nutzen des Lernens für die Beschäftigten Ansatzpunkte herausgearbeitet, um die Wirksamkeit des Lernens bei der Arbeit zu verbessern. Auf dem 65. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V., der ebenfalls im Jahr 2019 stattfand, wurde in der Session »Arbeitsintegriertes Lernen« über neue Prozesse und Organisationsstrukturen an Industrie- und Verwaltungsarbeitsplätzen und die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das Anforderungsprofil der Beschäftigten diskutiert. Auch hier standen Ansätze im Mittelpunkt, wie arbeitsintegriertes Lernen gestaltet werden und Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung gelingen kann.

Die starke Resonanz auf unsere Tagungen und die lebhaften Diskussionen haben uns motiviert, diesen Band herauszugeben. An dieser Stelle gilt unser Dank allen Autorinnen und Autoren. Vielen Dank auch für die Unterstützung an Andrea Thalmann und Kolleginnen. Besonderer Dank gilt Amelie Ellerkamp, die entscheidend zur Aufbereitung der Manuskripte und zum Redigieren und Lektorieren beigetragen hat. Ebenso danken wir den Kolleginnen vom Veranstaltungsmanagement der BAuA, Hilde Brinkmann, Verena Köhler und Martina Dembski, ohne die wir den Praxisworkshop nicht hätten durchführen können. Und unser Dank geht natürlich an Beate Beermann und Anita Tisch, die unsere Aktivitäten erst ermöglicht haben.

[11]1 Lernen in der digitalen Transformation der Arbeit

Götz Richter, Mirko Ribbat, Anita Tisch

Abstract

Der Beitrag benennt Anforderungen der digitalen Transformation der Arbeit an Beschäftigte, Führungskräfte und Organisationen. Vor diesem Hintergrund wird die Förderung des arbeitsintegrierten Lernens als ressourcenorientierte Strategie skizziert, die positiv auf Kompetenzen und Gesundheit der Beschäftigten wirkt und diese im aktuellen Wandel der Arbeit stärkt. Anschließend wird ein Überblick über die in diesem Buch behandelten Perspektiven auf das arbeitsintegrierte Lernen und die dabei betrachteten Dimensionen des Lernens bei der Arbeit gegeben.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt bringt Veränderungen auf vielen Ebenen mit sich. Arbeitsaufgaben und Tätigkeitsbereiche wandeln sich, Organisationsstrukturen werden umgebaut, Arbeitsprozesse sowie Formen der Arbeitsteilung und Zusammenarbeit werden neu konzipiert. Ein Merkmal der Digitalisierung ist ihr Voranschreiten mit ungleicher Geschwindigkeit. Von Branche zu Branche, von Betrieb zu Betrieb, von Tätigkeit zu Tätigkeit, zum Teil von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz unterscheiden sich die Formen der Digitalisierung sowie Breite und Tiefe ihrer Auswirkungen auf Arbeitsanforderungen, Arbeits- und Organisationsprozesse sowie die Kompetenzen der Beschäftigten. In einigen Bereichen deutet sich eine digitale Transformation an: neue, digital agierende oder vermittelte Geschäftsmodelle entstehen und lösen bestehende Organisationsformen ab.

Sowohl in alten als auch in neuen Organisationsformen müssen Beschäftigte, Führungskräfte und die Organisationen selbst häufig Arbeitsanforderungen und Ressourcen neu aufeinander abstimmen. Dabei geht die Digitalisierung mit Veränderungen und organisationalen Restrukturierungen einher. Dieser, auch als »Change« bezeichnete, Prozess bringt neue Unsicherheiten mit sich und stellt den Gesundheitsschutz der Beschäftigten vor besondere Herausforderungen. Bereits 1996 legten Ochs, Petrenz und Reindl unter dem Titel Ressource – Handbuch zur Gesundheitsförderung im Betrieb eine umfangreiche Anleitung zur Förderung organisationaler und personenbezogener Ressourcen vor. Ihre Überlegungen werden hier aufgegriffen und weiterentwickelt. Der ressourcenorientierte Ansatz verspricht brauchbar für die digitale Transformation zu sein, weil damit »auf die Selbsttätigkeit der Betroffenen, die ihre Gesundheit in die eigenen Hände nehmen sollen« (Ochs et al. 1996, S. 246) gesetzt wird. Diese Individualisierung beim Umgang mit Risiken ist auch in der digitalen Transformation zu beobachten. Gleichzeitig sollen trotz individueller Ressourcenstärkung keineswegs der institutionelle Arbeitsschutz und seine Akteure geschwächt werden. Dennoch kann mit dem ressourcenorientierten Ansatz der Tatsache Rechnung getragen werden, dass einige Bereiche der Arbeitswelt von den Institutionen des Arbeitsschutzes schwer erreicht werden.

[12]Unter der Überschrift »Ressourcenpflege und -entwicklung im Modernisierungsprozess« kommen Ochs und Kollegen auf eine weitere zentrale Grundlage einer ressourcenorientierten Strategie zu sprechen: »Produktives Interesse, das heißt Einsatz für die Arbeitsaufgabe und das Unternehmen und reproduktives Interesse, das heißt Schonung von Arbeitskraft und Gesundheit bedürfen der Vermittlung durch die Arbeitsperson, die der Betrieb durch sein Zutun erleichtern oder erschweren kann« (Ochs et al. 1996, S. 253). Die Stärkung der Ressourcen der einzelnen Beschäftigten erfordert also zum einen, ihre vielfachen und sich überlagernden Einbindungen in einen betrieblich organisierten Prozess der Leistungserbringung zu berücksichtigen und andererseits anzuerkennen, dass Beschäftigte über ihren produktiven Beitrag hinaus reproduktive Leistungen erbringen müssen: für Gesundheit, Familie, Kompetenz und zur Befriedigung kultureller, politischer, ästhetischer und sportlicher Bedürfnisse – die durch die Arbeit ermöglicht, geweckt, beeinträchtigt oder angeregt werden. Die ressourcenorientierte, präventive Strategie richtet also die betrieblichen und überbetrieblichen Institutionen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes darauf aus, das Bewusstsein und die Möglichkeiten des Einzelnen zu stärken, seine Gesundheit zu fördern.

Eine zentrale Strategie für Beschäftigte, Führungskräfte und Organisationen ist das Lernen. Lernen im Arbeitsprozess ist dabei so selbstverständlich und scheinbar trivial, dass es selten im Zusammenhang mit Gesundheitsschutz der Beschäftigten thematisiert und noch seltener systematisch gefördert wird. Mit dem vorliegenden Buch wollen wir dazu beitragen, dieses Defizit zu überwinden. Dazu stellen wir theoretisch fundierte, konzeptionelle sowie empirisch und erfahrungsgeleitete Analysen vor.

Peter Dehnbostel thematisiert in seinem Beitrag »Lernorte, Lernräume und Lernarchitekturen in der digitalen Transformation der Arbeit«. Grundlegende Annahme ist, dass Lernen ein konstitutives Merkmal digitaler Arbeit darstellt und die Beschäftigten vor allem im Prozess der Arbeit lernen. Beispiele für die Verbindung von informellem, nichtformalem und formalem Lernen sind Online-Communities, Communities of Practices, Lernplattformen, Coaching und Lerninseln. Integriertes Lernen in der digitalisierten Arbeit erfolgt hauptsächlich als rein informelles Lernen, das der Logik des Arbeitsprozesses unterliegt. Informelles Lernen in der Arbeit ist ein Lernen über Erfahrungen, die in und über Arbeitshandlungen gemacht werden und bewirkt ein Lernergebnis, das aus Situationsbewältigungen und Problemlösungen in der Arbeit hervorgeht. Per se ist es nicht qualifizierend und lern- und persönlichkeitsfördernd, sondern betrieblich begrenzt, vielfach zufällig und auf eigene Erfahrungen beschränkt. Denn Lern- und Kompetenzentwicklung werden schnell auf ökonomische und technikzentrierte Zwecksetzungen reduziert. Erst über die Verbindung mit nichtformalem und formalem Lernen wird es strukturiert und lerntheoretisch intentional, wozu Maßnahmen einer lern- und kompetenzförderlichen Arbeitsgestaltung unerlässlich sind. Das selbstgesteuerte Lernen von Einzelnen und Gruppen in der Arbeit schafft im Rahmen vorgegebener Strukturen und Arbeitsformen neue Lernarchitekturen. Dazu gehören Lern- und Begleitungskonzepte am Arbeitsplatz und ebenso Formen der Lernorganisation. Lernarchitekturen in Unternehmen entstehen größtenteils im Arbeitsprozess und zumeist jenseits pädagogischer Überlegungen. Allerdings zeigen arbeits[13]integrierte Lernorganisationsformen wie Lerninseln, Coaching und Mentoring sowie Lernmanagementsysteme, dass es auch organisierte Lernräume und Lernarchitekturen gibt, die das Lernen strukturell und intentional einbeziehen.

Die Entgrenzung von betrieblichen Lernorten geht mit der Entgrenzung und Subjektivierung der Arbeit einher. Diese ist verbunden mit der Ambivalenz eines verstärkten Zugriffs auf die Subjektivität und deren Indienstnahme für ökonomische und technikrationale Zwecke einerseits und erhöhten individuellen Dispositions- und Gestaltungsspielräume andererseits. Diese Ambivalenz schlägt sich auch in der Lernortentwicklung nieder. Arbeitsintegriertes Lernen zeichnet sich durch hohe Selbstbestimmung und Selbststeuerung aus, wird aber leicht durch vorrangig ökonomisch orientierte Zielsetzungen funktionalisiert. Für selbstgesteuertes Lernen in der digitalen Transformation der Arbeit kommen Lernorten, Lernräumen und Selbstlernarchitekturen eine entscheidende Bedeutung zu. Die dadurch mögliche subjektive Kompetenzentwicklung wirkt der Funktionalisierung der Subjektivität im Arbeitsprozess entgegen.

Werner Stork, Pia Sue Helferich und Thomas Pleil geben einen Überblick über »Beschäftigte in der digitalen Transformation – Möglichkeiten des arbeitsintegrierten informellen Lernens.« Aus einer systemischen Sichtweise betrachten sie Lernkonzepte und Rollen auf den Ebenen Individuum, Führung und Organisation. Die kollegiale Beratung ist besonders geeignet, um Unsicherheiten mit digitalen Instrumenten und neuen Arbeitssituationen aufzuarbeiten und zu bewältigen. Beim Coaching wird die Arbeitssituation unterbrochen, um gemeinsam mit einer Expertin oder einem Experten über erforderliche Kompetenzen, neue Formen der Zusammenarbeit, veränderte Strukturen oder Leistungs- und Rollenanforderungen zu reflektieren. In Communities of Practice können sich Beschäftigte hierarchie-, abteilungs- und standortübergreifend zu einem Erfahrungsaustausch über ein gemeinsames Ziel zusammenschließen. »Working out Loud Circles« bilden kleinere, selbst organisierte informelle Lerngruppen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, ihr Wissen teilen und sich gegenseitig motivieren. Auf höherer Ebene nutzt die transformative Führung viele kleine arbeitsintegrierte informelle Lernformate, insbesondere auch durch die Übernahme einer Vorbildrolle bei der digitalen Transformation. Die Führungskraft als Coach organisiert einen Kontext voller arbeitsnaher informeller Lerninhalte und fördert die Selbststeuerungskompetenz der Mitarbeitenden. Das Konzept Führung ohne Führungskraft verteilt die Aufgaben auf mehrere Personen im Team. Dadurch greift es die Prinzipien des agilen Managements auf. Hybride Organisationen verbinden feste mit fluiden Strukturen. Dadurch werden die bestehenden hohen Leistungserwartungen operativer Aktivitäten mit den Lern- und Veränderungsanforderungen der digitalen Transformation verbunden. Innovationslabs wiederum sind Bereiche, um neue Produkte, Dienstleistungen, Prozesse oder Geschäftsmodelle zu entwickeln. Durch eine Coaching-Kultur schließlich bietet die Organisation auf allen Ebenen Unterstützung beim Kulturwandel. Kennzeichen sind bereichs- und abteilungsübergreifendes gemeinsames Reflektieren und Suchen nach neuen Lösungen. Der Einsatz der genannten Konzepte sollte von der betrieblichen Personalentwicklung begleitet werden.

[14]Stefanie Hiestand untersucht die »Verknüpfung von Kompetenz- und Organisationsentwicklung«. Die digitale Transformation ist ein umfassender organisationaler Lern- und Veränderungsprozess. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Kernkompetenzen eines Unternehmens. Dynamische Kompetenzen entstehen durch die Verknüpfung von organisationalen Routinen und Prozessen. Dabei sind sie durch die Pfadabhängigkeit von Produkten und Prozessen und die Reproduktion ihrer bestehenden Struktur in der Entwicklung begrenzt. Die digitale Transformation erfordert individuelles Lernen. Dieses basiert auf Erfahrungslernen, das durch Reflexion in organisatorisches Wissen umgewandelt wird. Eine ausgeprägte Selbstwirksamkeit der Betroffenen erleichtert die Bewältigung betrieblicher und individueller Transformationsprozesse, ebenso wie die Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenzen. Wichtige Voraussetzungen dafür sind Gelegenheiten und vor allem Zeit für kommunikativen Austausch und Reflexion, denn organisationales Lernen erfolgt durch die Interpretation und Reflexion von Erfahrungen und Deutungsmustern.

Ausgehend von den dynamischen Kompetenzen eines Unternehmens arbeitet der Beitrag Treiber für erfolgversprechende Veränderungsprozesse durch eine Verknüpfung individueller und organisationaler Lern- und Entwicklungsprozesse heraus. Zentrale Erfolgsfaktoren sind Möglichkeiten zur Partizipation an und Gestaltung von organisationalen Veränderungen und individuellen Entwicklungsmöglichkeiten. Informelles Lernen braucht Zeit, die am Arbeitsplatz eingeräumt werden muss. Das Wissensmanagement sollte den informellen und formellen kommunikativen Austausch im Betrieb fördern. Gemeinsame Entwicklungsprozesse stehen in Zusammenhang mit kollektiver Reflexion, die im Sinne der dynamischen Kernkompetenzen die Wettbewerbsfähigkeit fördern kann.

Annegret Bolte und Judith Neumer betrachten »Erfahrungsbasiertes Kontextwissen bei digital vernetzter Arbeit – Erfordernisse, Lernhemmnisse und Erwerb«. Im Zentrum stehen die Identifikation und Förderung von Kompetenzen, die für die Anwendung integrierter Softwareprogramme wie zum Beispiel ERP-Systeme erforderlich sind. In der betrieblichen Praxis werden Beschäftigte immer wieder mit den Grenzen und Schwächen dieser Systeme konfrontiert – und mit der Anforderung, sie im Interesse hoher Produktivität zu überwinden, also im Sinne der Unternehmens- und Bereichsziele verantwortungsvoll zu handeln. Dazu müssen die Beschäftigten die Systeme nicht nur fehlerfrei bedienen können, sondern zusätzlich ihre Einbettung in umfassendere Zusammenhänge und Abläufe verstehen. Sie müssen die eigene Arbeit als Teil des unternehmensweiten Gesamtprozesses einordnen können, mit anderen Worten: Die Beschäftigten brauchen gegenstandsbezogenes erfahrungsbasiertes Kontextwissen. Dieses erfordert den Austausch mit Kooperationspartnerinnen und -partnern aus anderen Bereichen des Unternehmens.

Lernhemmnisse, die dem Aufbau und der Entwicklung des erfahrungsbasierten Kontextwissens entgegenstehen, sind: unüberwindbare Abteilungsgrenzen, die starke Formalisierung des Austauschs, eine destruktive Fehlerkultur sowie gegenseitige Schuldzuweisungen. Um diese Hürden zu überwinden, müssen die Kriterien lernförderlicher Arbeitsgestaltung für die digitalisierte Arbeit weiterentwickelt werden. Dazu gehören folgende Aspekte: Der Handlungsspiel[15]raum muss um einen selbstbestimmten Zugang zu relevanten anderen Arbeitsbereichen erweitert werden. Kommunikation und Kollaboration brauchen Raum für informellen Austausch. Die zeitlichen Vorgaben und Leistungsanforderungen müssen zulassen, dass Beschäftigte ihre Arbeit reflektieren können. Feedback muss komplex sein und darauf abzielen, viele Dimensionen des Arbeitshandelns zu verbalisieren. Eine produktive Fehlerkultur zielt darauf, Probleme und Fehler angstfrei und sachlich aufzuarbeiten. Kontrolle über das eigene Arbeitsergebnis sollte möglichst im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsgegenstand gewonnen werden. Darüber hinaus muss Partizipation die Beschäftigten dazu einladen, die Arbeit zu gestalten. Diese Kriterien lernförderlicher Arbeitsgestaltung können durch die Anwendung einer Reihe von Verfahren und Methoden umgesetzt werden.

Mirko Ribbat hat seinen Beitrag »Führungskräfte als Gatekeeper für arbeitsintegriertes Lernen: Mit »Learning Contracts« die Gestaltung des digitalen Wandels ermöglichen« überschrieben. Er analysiert, wie Führungskräfte zugleich das individuelle Lernen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das organisationale Lernen fördern können. Gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben sie großen Einfluss auf den Zugang zum Lernen bei der Arbeit. Sie ermöglichen oder verhindern Lernchancen bewusst oder unbewusst durch die Art ihrer Arbeitsgestaltung und in alltäglichen Führungssituationen. Wichtiger Impuls für die Lernförderung ist neben dem konstruktiven Rückblick (Feedback) auch ein Feedforward, ein Ausblick, der eigenes Lernen mit strategischen Zielen des Aufgabenfeldes verknüpft. Ein vielversprechendes Instrument dafür ist der »Learning Contract.« Diese Vereinbarung wird zwischen Führungskraft und Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter getroffen und ist Ausdruck lernorientierter und transformationaler Führung. Zudem gibt sie ausreichend Raum für die individuellen Impulse der Lernenden. Mit dem Learning Contract wird eine verbindliche und zugleich ausreichend flexible Abstimmung zwischen individueller und organisationaler Entwicklung angestrebt. Damit wird die lernförderliche Rolle von Führung institutionalisiert und bekommt größere Bedeutung zugeschrieben. Führungskräfte müssen von dem Unternehmen darauf vorbereitet und dabei unterstützt werden, Lernen innerhalb der Organisation zu fördern.

Götz Richter und Inga Mühlenbrock analysieren das Potenzial des arbeitsintegrierten Lernens für »Kompetenzentwicklung und Arbeitsfähigkeit im digitalen Wandel«. Was bedeutet die digitale Transformation der Arbeit für die Betriebe mit ihrem hohen Anteil von Beschäftigten der Baby-Boomer-Generation? Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Konzept der Arbeitsfähigkeit, das auf ein langfristiges Ausbalancieren von beruflichen Anforderungen auf der einen und fachlichen, methodischen und persönlichen Ressourcen der Beschäftigten auf der anderen Seite abzielt. Wichtige proaktive betriebliche Strategien dazu bestehen darin, die Veränderungskompetenz zu fördern und auf der Ebene der Arbeitsgestaltung Job Crafting anzubieten. Beide Strategien sind ohne arbeitsintegriertes Lernen kaum denkbar. Für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit können kritische Begleiterscheinungen der Digitalisierung, je nach betrieblicher Leistungspolitik, insbesondere Arbeitsintensivierung, zunehmende Aufgabenkomplexität und Selbstorganisationsanforderungen sein. Angesichts der Komplexität der veränderten digitalen Arbeitsanforderungen erfordert der Erhalt der Arbeitsfähigkeit betriebliche Strategien, [16]die durch arbeitsintegriertes Lernen Reflexivität und Veränderungskompetenz der Beschäftigten fördern.

Friedrich Fuß setzt sich in »Digitalisierung als Herausforderung für die Führungs-, Arbeits- und Kommunikationskultur« vor allem mit der digitalen Transformation der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen auseinander. Vor dem Hintergrund eigener Beratungserfahrungen skizziert er insbesondere die Herausforderungen für die Führungskräfte. Die digitale Transformation versteht Fuß als eine fortwährende organisatorische Umstrukturierung. Dieser organisationsweite Prozess überschreitet bestehende Abteilungsgrenzen. Dadurch gewinnt das Erreichen der Organisationsziele zulasten bereichsspezifischer Ziele an Bedeutung. In der Transformation kommt dem Umgang mit den Gefühlen und Ängsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter große Bedeutung zu. Benannt werden die Gefühle »nicht mitgenommen zu werden« und »nicht ernst genommen zu werden.« Erforderliche grundlegende Kompetenzen für Führungskräfte sind Projekt- und Prozessmanagementkompetenzen. Wichtig ist, dass die Organisation ihre Führungskräfte unterstützt, zum Beispiel durch eine klare Strategie oder durch Coaching. Die digitale Transformation muss von einem Wandel der Arbeitskultur begleitet werden, insbesondere von der Entwicklung einer Feedback- und konstruktiven Fehlerkultur. Das Mindset, also die Mentalität oder innere Haltung gegenüber der digitalen Transformation, sollte auf Chancen und Potenziale gerichtet sein.

Benjamin Höhne und Jörg Longmuß stellen unter dem Titel »Agil und informell lernen – Bedarfsorientierte Kommunikations- und Kollaborationsmethoden« ein Verfahren des arbeitsintegrierten Lernens vor, das die Rollen- und Prozesslogiken sowie die Infrastruktur des digitalen Arbeitens nutzt. Mit diesem Rahmenkonzept für bedarfsorientiertes Lernen werden zum Beispiel Personen zum betrieblichen Brandschutzbeauftragten weitergebildet. Agiles Lernen ist arbeitsplatznahes Lernen und deshalb direkt anwendbar, die Nützlichkeit jedes Lernschritts ist unmittelbar erfahrbar und aufgrund des hohen Praxisbezugs insbesondere für praxisorientierte Personen zugänglich. Es findet in der Regel parallel zur eigentlichen Arbeit statt und erfordert deshalb vorab definierte Ressourcen. Im agilen Lernen sind Bewältigung von Arbeits(teil-)aufgaben und Kompetenzentwicklung integriert und durch die Nutzung digitaler Methoden verschränkt. Agiles Lernen kennt vier Rollen und einen definierten Prozess. Grundlage ist die Nutzung einer meist digitalen Kommunikations- und Kollaborationsplattform. Zu Beginn des Lernprozesses wird das Ausgangsniveau der Kompetenzentwicklung durch eine Selbst- und/oder Fremdeinschätzung festgelegt. Auf Basis des Kompetenzprofils können Teilnehmende ihre Entwicklung selbst steuern. Im agilen Lernprozess werden Aufgaben vom Team danach vergeben, wessen Kompetenz am meisten von der Bearbeitung profitiert. Dabei gibt es Phasen der Einzel- und der Gruppenarbeit. Als Selbstlernmaterialien haben sich digitale Lernkarten bewährt, zur Arbeit in der Gruppe werden Kollaborationstools genutzt. Falls der Lernprozess individuell nachvollzogen werden muss, ist dieser dokumentierbar. Agiles Lernen bietet einen Rahmen für systematisiertes arbeitsintegriertes Lernen und eröffnet den Beschäftigten die Chance, Kompetenzen zu gewinnen und die eigene Entwicklung durch die Arbeit zu reflektieren.

[17]Kai Reinhardt analysiert unter der Überschrift »Maschinen wie wir: Wie künstliche Intelligenz das organisationale Lernen verändert« die Auswirkungen des zunehmenden Einsatzes von KI auf das betriebliche Lernen. Im Mittelpunkt steht dabei das konnektionistische Lernen. Mit diesem Begriff wird ein eng verzahnter Austauschprozess von menschlichem und künstlichem Lernen beschrieben. Konnektivität bezeichnet die Fähigkeit eines IT-Systems, Verbindung zu anderen Systemen herstellen zu können. Mit Blick auf betriebliches Lernen geht es darum, maschinell (zum Beispiel durch machine learning) generiertes Wissen mit dem Erfahrungswissen von Menschen zu verbinden, also zu konnektieren. Diese Verbindung herzustellen und zu nutzen ist betriebswirtschaftlich in vielen Bereichen sinnvoll. Voraussetzung für eine sinnvolle Einbettung von KI-Technologien in betriebliche Kompetenzstrukturen ist also die soziotechnisch geleitete Implementierung, nicht etwa die Orientierung am technologisch machbaren. Damit kommen auf die Organisationsentwicklung neue Aufgaben zu. Die Lernfähigkeit der Organisation basiert nicht mehr nur auf Motivation und kognitiven Fähigkeiten der menschlichen Entscheider, sondern auf der Lernfähigkeit der IT-Systeme und insbesondere auf dem effizienten und passgenauen Zusammenspiel von Mensch und IT.

Die Zusammenschau der Beiträge verdeutlicht, dass die digitale Transformation der Arbeit ohne arbeitsintegriertes Lernen nicht bewältigt werden kann. Digitale technologische Innovationen sind nicht nur die Treiber der Transformationsprozesse, sondern auch nützliche Instrumente für Lernen und die Gestaltung entsprechender Prozesse. In den Beiträgen dieses Bandes werden die verschiedenen Ebenen adressiert und miteinander verknüpft. Es wird deutlich, dass zwar in erster Linie die Ressourcen auf individueller Ebene gefördert werden müssen, dass Lernen aber nicht nur hier stattfindet. Arbeitsintegriertes Lernen auf individueller Ebene ist an Voraussetzungen wie eine arbeitnehmergerechte Gestaltung geknüpft. Für eine erfolgreiche Verbindung von produktivem und reproduktivem Interesse bedarf es auch des Lernens auf der organisationalen Ebene sowie einer lernförderlichen Rolle von Führungskräften, die wichtige Vermittler von organisationalen Prozessen sind. Als Baustein einer am Menschen orientierten Arbeitsgestaltung braucht arbeitsintegriertes Lernen darüber hinaus eine Personal- und Kompetenzentwicklung und eine partizipative Unternehmenskultur.

Auf den ressourcenorientierten präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz kommen durch die digitale Transformation also neue Aufgaben und Chancen zu. Mit diesem Band weisen die Autorinnen und Autoren auf das Potenzial einer ressourcen- und damit lernförderlichen Gestaltung der Arbeit in der digitalen Transformation hin und stellen darüber hinaus Grundlagenwissen für die betriebliche Gestaltung zur Diskussion. Es werden Erfahrungen, empirische Erkenntnisse, Konzepte und theoretische Grundlagen deutlich, die zu einer systematischen Förderung und Nutzung dieser Arbeitsgestaltung und des arbeitsintegrierten Lernens herangezogen werden können.

Literatur

Ochs, P./Petrenz, J./Reindl, J. (1996): Ressource. Handbuch zur arbeitsnahen Gesundheitsförderung im Betrieb. Saarbrücken.