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Chiara Argentini, Claudio Caduff

Von der Schule in die Berufsbildung

Eine einschneidende Lebensphase für Jugendliche

Didaktische Hausapotheke, Band 16

ISBN Print: 978-3-0355-1906-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-1907-5

Coverfoto: istockphoto.com, Rocco-Herrmann

1 Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

1Die Sekundarstufe I

1.1Die Sekundarstufe I als Teil des Schweizer Bildungssystems

1.2Die verschiedenen Leistungsprofile der Sekundarstufe I

1.3Beispiel Kanton Zürich

1.4Von der Mittelstufe in die Sekundarstufe I – der Aufbau neuer Ressourcen

1.5Der Lehrplan 21 – die Grundlagen

1.6Der Kompetenzbegriff im Lehrplan 21

1.7Kompetenzen in den Fachbereichen Deutsch und Mathematik sowie im Modul Medien und Informatik

1.8Lernen auf der Sekundarstufe I

2Berufswahl und Lehrstellenfindung

2.1Beruf und Beruflichkeit

2.2Entwicklungsaufgaben und Identitätsentwicklung der Jugendlichen

2.3Der Berufswahlprozess in der Theorie

2.4Passung Persönlichkeit – Beruf

2.5Die Berufswahl durch das jugendliche Individuum

2.6Das Modul «Berufliche Orientierung» im Lehrplan 21

2.7Das Selektionsverfahren der Lehrbetriebe

2.8Die Brückenangebote

2.9Berufswahlkompetenz

3Die Jugendlichen in der Berufsbildung

3.1Theorie der beruflichen Sozialisation

3.2Das neue Leben im Betrieb

Literatur

Onlinequellen

Die Autorin und der Autor

Vorwort des Herausgebers

Eine gut ausgestattete Hausapotheke gehört in jeden Haushalt. Auf diesem Grundgedanken basieren die «didaktischen Hausapotheken», welche die Pädagogische Hochschule Zürich zusammen mit dem hep Verlag konzipiert hat. Doch unsere Hausapotheken sind nicht für Notfälle im Unterricht gedacht. Sie sind vielmehr Anleitungen zur Selbsthilfe bei der Entwicklung der eigenen Berufskompetenz.

Die Hefte greifen aktuelle Herausforderungen aus Unterrichtspraxis und Schulalltag auf. Sie beziehen sich auf die typischen Handlungsfelder1, in denen Lehrpersonen im Beruf tätig sind.

Wer sich mit ihren Inhalten auseinandersetzt, erhält einen Mix aus nützlichem Hintergrundwissen, Anstössen zur Reflexion und praktischen Empfehlungen – eine Rezeptologie im besten Sinne des Wortes.

Die vorliegende Hausapotheke bietet Berufsfachschullehrpersonen grundlegendes Wissen über die Voraussetzungen der eigenen Lernenden. Sie zeigt auf, welche schulische Prägung Jugendliche auf der Sekundarstufe I durchgemacht haben, bevor sie an die Berufsfachschule kommen. Und sie macht deutlich, wie interessant, herausfordernd und mitunter kritisch der Übergang von der Sekundarstufe I in die Berufswelt ist. Wer seinen eigenen Unterricht optimal im Sinne der Lernenden gestalten und die Jugendlichen in die Erwachsenenwelt begleiten will, für den ist die Lektüre dieser Hausapotheke unverzichtbar.

Prof. Dr. Christoph Städeli

Leiter der Abteilung Sekundarstufe II/Berufsbildung

der Pädagogischen Hochschule Zürich

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1Die Ausbildungen an der PH Zürich beruhen auf einem vom Dozierendenteam entwickelten Modell, das die Tätigkeit von Lehrpersonen in der Berufsbildung in elf Handlungsfelder und knapp fünfzig Kompetenzen aufgliedert. Die Themen der einzelnen Handlungsfelder sind auf dem Heftrücken der «didaktischen Hausapotheken» abgedruckt. In diesem Heft liegt der Fokus auf den Handlungsfeldern 2, 3 und 10: «Entwicklung und Lernen unterstützen», «Heterogenität berücksichtigen» und «Eine berufspädagogische Perspektive einnehmen».

Einleitung

Der Übergang von der Sekundarstufe I in die berufliche Grundbildung kann für junge Menschen eine prägende Erfahrung sein. Einerseits erlernen sie einen Beruf, was sie mit Stolz erfüllen kann. Andererseits müssen sie sich in der Erwachsenenwelt bewähren und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, was bisweilen auch zu Verunsicherung führt. Die vorliegende Hausapotheke rückt nicht die berufliche Grundbildung an sich in den Fokus, sondern die Sekundarstufe I. Dabei geht es zunächst darum, die Sekundarstufe I im Kontext des schweizerischen Bildungssystems zu betrachten, um in einem nächsten Schritt ihre verschiedenen Leistungszüge anzuschauen. Dies geschieht anhand des Beispiels des Kantons Zürich. Im Kanton Zürich ist die Sekundarstufe I in die Leistungszüge A, B und manchmal auch C gegliedert.

Seit August 2020 unterrichten alle Deutschschweizer Kantone nach dem Lehrplan 21. Hier soll zunächst in groben Zügen aufgezeigt werden, auf welchen Grundlagen er aufgebaut ist beziehungsweise welche Inhalte vermittelt werden. Ferner wird die Kompetenzorientierung im Lehrplan 21 in den Blick genommen. Dabei geht es um den Erwerb und die Festigung sogenannter fachlicher und überfachlicher Kompetenzen über die gesamte Schuldauer hinweg. Nach einer theoretischen Betrachtung wird der Kompetenzbegriff anhand der Fachbereiche Deutsch und Mathematik sowie des Moduls Medien und Informatik thematisiert.

Im Laufe der Sekundarstufe I werden junge Menschen mit der Frage konfrontiert, was nach der obligatorischen Schulzeit kommt. Einige der Lernenden haben sowohl die Möglichkeit, das Gymnasium zu besuchen als auch eine Berufslehre zu beginnen. Für andere steht «nur» der Weg in die berufliche Grundbildung offen. Wie findet ein junger Mensch «seinen» Beruf, wie weiss er, für welchen Beruf er geeignet ist? Je nach Möglichkeiten ist der Berufsfindungsprozess ein anderer. Auch, dass sich dieser Prozess in der Phase der Adoleszenz ereignet, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Vor diesem Hintergrund soll das Modul «Berufliche Orientierung» betrachtet werden, das die Jugendlichen während der Sekundarstufe I besuchen. Dabei soll erläutert werden, welche Kriterien bei der Wahl des Berufs eine Rolle spielen. Hier geht es unter anderem darum, zu verstehen, welche Bedeutung die Zuteilung eines jungen Menschen in einen der genannten Leistungszüge auf Sekundarstufe I für die Berufswahl haben kann. Auch wird der Frage nachgegangen, wie Lehrbetriebe ihre Lernenden finden. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die junge Menschen in ihrer Lehrzeit bewältigen müssen.

Diese Hausapotheke versteht sich als Handreichung für Lehrpersonen, Berufsbildner*innen, Eltern und andere Interessierte, die sich eine erste Übersicht über diesen entscheidenden Abschnitt im Leben eines jungen Menschen verschaffen möchten.

1Die Sekundarstufe I

Mit Beendigung der sechsten Klasse der Primarschule stehen junge Menschen vor dem wichtigen Übertritt in die Sekundarstufe I. Je nach Kanton ist diese Stufe gegliedert in eine Sekundarschule A, B oder C, in die Bezirksschule, in die Realschule oder in das Langzeitgymnasium. Bereits diese Aufzählung zeigt, wie unterschiedlich die Strukturierung der «Oberstufe» in den Schweizer Kantonen ist. In diesem Kapitel wird dieser Umstand beleuchtet. In einem ersten Schritt wird die Schweizer Bildungssystematik aufgezeigt. In einem zweiten Schritt wird am Beispiel des Kantons Zürich die Nivellierung der Sekundarstufe I thematisiert und in den Kontext der Schweizer Schulsystematik eingebettet. Weiter wird der Frage nachgegangen, welche Tragweite der Übertritt in die Sekundarstufe I für junge Menschen haben kann. Da aus der Sekundarstufe I zukünftige Berufslernende abgehen, interessiert zusätzlich die Frage, mit welchem Vorwissen, welchen Fertigkeiten und Fähigkeiten die jungen Menschen in die berufliche Grundbildung eintreten. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Lehrplan 21 ebenfalls Gegenstand dieses Kapitels.

1.1Die Sekundarstufe I als Teil des Schweizer Bildungssystems

Jedes Jahr im August starten junge Menschen ihre berufliche Grundbildung in Betrieben und finden sich an der Berufsfachschule in Klassen wieder, die teilweise durch eine grosse Heterogenität gekennzeichnet sind. Diese bezieht sich mitunter auf die verschiedenen fachlichen, schulischen und personalen Voraussetzungen, die dem besuchten Anforderungsniveau auf Sekundarstufe I entsprechend ausgebildet oder in Grundzügen angelegt sind. Die Sekundarstufe I bildet die Nahtstelle zur beruflichen Grundbildung.

Entsprechend dem politischen System ist das Bildungssystem der Schweiz stark föderalistisch geprägt: Für den obligatorischen Schulbereich (Kindergarten, Primarschule und Sekundarstufe I) haben die Kantone weitgehend die Hoheit inne, während die Organisation der Schule dezentral durch die Gemeinden erfolgt. Im nachobligatorischen Bereich (Sekundarstufe II und Tertiärstufe) haben der Bund und die Kantone eigene Zuständigkeiten.

Artikel 61a Absatz 1 der Schweizerischen Bundesverfassung hält fest, dass Bund und Kantone gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraums Schweiz verantworten. Der Bund regelt «das grosse Ganze», während die Kantone dafür verantwortlich sind, allen Kindern und Jugendlichen einen ausreichenden obligatorischen Grundschulunterricht zu ermöglichen und sowohl die Qualität als auch die Durchlässigkeit zu gewährleisten (BV Art. 62 Absatz 2).

Die obligatorische Schulpflicht dauert elf Jahre, die zwei Jahre Kindergarten oder Einschulungsklasse mitgerechnet. Nach den sechs Jahren Primarschule besuchen die Schülerinnen und Schüler während dreier Jahre die Sekundarstufe I oder das Langzeitgymnasium (vgl. EDK 2011, S. 17 f.). Je nach besuchtem Niveau auf Sekundarstufe I führt der Weg dann entweder ans Gymnasium (bzw. die Kantonsschule), an eine Fach-, Handels- oder Informatikmittelschule oder in die berufliche Grundbildung (mit oder ohne Berufsmaturität). Was sich in der Gesetzgebung schlüssig liest und nachvollziehbar klingt, offenbart sich mit Blick auf die Sekundarstufe I als ein Geflecht von verschiedenen Schulmodellen und Anforderungsstufen, die sich zwischen den einzelnen Kantonen teilweise stark unterscheiden. Der Vergleich zwischen dem Kanton Zürich und den angrenzenden Kantonen zeigt dies auf.

1.2Die verschiedenen Leistungsprofile der Sekundarstufe I

Im Kanton Zürich gliedert sich die Sekundarstufe I in die gymnasiale Maturitätsschule (mit dem Übertritt ins Langzeitgymnasium nach der Primarschule), die Sekundarschule mit den zwei oder drei Abteilungen A, B und C und den «besonderen Klassen», den Kleinklassen. Im Gegensatz dazu ist die Sekundarstufe I im Kanton Aargau unterteilt in die Bezirksschule, die durch «umfassende Ansprüche» gekennzeichnet ist und den Anschluss an die Maturitätsschulen ermöglicht, in die Sekundarstufe mit «erweiterten Ansprüchen», in die Realschule mit «Grundansprüchen» und in die Kleinklasse, welche im letzten Schuljahr aus einem Werkjahr besteht. Im Kanton Zug besteht die Sekundarstufe I aus der Sekundarschule mit erweiterten Anforderungen, der Realschule mit Grundanforderungen und der Werkschule. Für Jugendliche mit den entsprechenden Leistungen ist es möglich, während oder nach der Sekundarschule ans Gymnasium zu wechseln. Der Kanton St. Gallen führt dieselbe Struktur und Bezeichnungen, ebenfalls der Kanton Schaffhausen, mit dem Unterschied, dass die Sonderklasse zwei Jahre dauert und die obligatorische Schulzeit dann mit einem Werkjahr endet. Der Kanton Thurgau wiederum führt seine Sekundarstufe I als Sekundarschule mit erweiterten Ansprüchen und Grundansprüchen und den Sonderklassen. Ein Übertritt ans Gymnasium ist hier nach der 2. oder 3. Sekundarstufe möglich.

Blickt man hingegen auf den Kanton Schwyz, zeigt sich folgende Situation: Einerseits gilt die «Dreiteilung» der Sekundarstufe I in die Sekundarschule mit erweiterten Ansprüchen, in die Realschule mit allgemeinen Anforderungen und in die Werkschule. Andererseits können diese drei Niveaus auch in einem kooperativen Modell geführt werden. Das bedeutet, dass die Lernenden in Stammklassen und einzelne Fächer auch klassenübergreifend unterrichtet werden (EDK 2019/2020).

Dieser Vergleich zeigt nicht nur auf, in welche Leistungszüge die Kantone die Sekundarstufe I unterteilen, sondern auch, ob sie sich an einem geteilten, kooperativen oder integrierten Modell orientieren:

Das geteilte Modell

Aufgrund einer Gesamtbeurteilung der Leistungen am Ende der Primarschule werden die Schüler*innen einem Anforderungsprofil (zum Beispiel Sekundarschule, Realschule, Niveaus A, B, C) zugeteilt und in allen Fächern in getrennten Klassen unterrichtet. In der Regel werden zwei bis drei Anforderungsprofile mit unterschiedlichen Bezeichnungen geführt (SKBF 2018, S. 83).

Das kooperative Modell

Dieses Modell beruht meistens auf zwei Stammklassen, die sich in den Leistungen der Lernenden unterscheiden. Die Zuteilung der Lernenden zu einem Niveau erfolgt auch hier am Ende der Primarschule über eine Gesamtbeurteilung. Die Fächer Mathematik und die Unterrichtssprache werden in zwei bis drei Niveaukursen unterrichtet. Diese Niveaus sind stammklassenübergreifend (ebd.).

Das integrierte Modell

Am Ende der Primarschule erfolgt keine Gesamtbeurteilung der Leistungen, und die Schüler*innen besuchen weiterhin eine gemeinsame Klasse (Stammklasse). In Mathematik, der Unterrichtssprache, den Fremdsprachen und teilweise den naturwissenschaftlichen Fächern werden die Niveaus auch stammklassenübergreifend unterrichtet (ebd.).

Da die Organisation der Schule den Kantonen obliegt, kann ein Modell flächendeckend geführt werden. Ein Kanton kann die Entscheidungsverantwortung, wie die Sekundarstufe I strukturiert werden soll, auch den einzelnen Gemeinden überlassen (EDK 2011). Der Übertritt von der Primarschule in die Sekundarstufe I erfolgt in der Regel im Alter von zwölf Jahren. Welcher Abteilung ein*e Schüler*in zugeteilt wird, entscheiden zum einen die Leistungen des jungen Menschen am Ende der Primarschule, zum anderen die Empfehlung der Lehrperson (meist unter Einbeziehung der Eltern) und teilweise auch die Resultate einer Übertrittsprüfung (EDK 2011). Anforderungsprofile und mögliche Konsequenzen der Zuteilung zu einem der Leistungszüge werden im Folgenden thematisiert.

1.3Beispiel Kanton Zürich