Ein notwendiger Tod

 

 

 

Ja, wir lieben dieses Land,

wie es aufsteigt,

zerfurcht und verwittert aus dem Wasser,

mit den tausend Heimen.

 

Norwegische Nationalhymne, Bjørnstjerne Bjørnson

 

 

Es ist ein Paradoxon, dass die größte Stärke der liberalen Demokratie auch deren größte Schwäche ist: die Toleranz denen gegenüber, die sie zerstören wollen.

 

Bård Larsen: Demokrati i trøbbel, Civita, 2019

 

 

Früher mussten wir Politiker büßen, wenn wir einen Fehler gemacht hatten. Heute ernten wir Hetze, Verachtung und Hass, wenn wir das Richtige tun.

 

Justizminister Tryggve Mejer, Ein notwendiger Tod

Herbst 2018

Selma Falck

Jemand ruft.

Es ist sie selbst, aber sie kann kein Wort verstehen. Ihre Augen lassen sich nicht öffnen, und ihr Gehirn ist leer. Es gibt nur schwarze Finsternis, zäh oder vielleicht eher weich, wie lose aneinandergepackte Watte. Watte ist ein Wort, an das sie sich erinnert.

Sie sucht darin nach ihrem eigenen Namen. Danach, wer sie ist und wo sie sich befindet. Sekunden vergehen, Minuten, unmöglich zu wissen, wie viele, sie spürt nur, dass Zeit an sich existiert. Die Zeit vergeht. Die Zeit vergeht, und sie friert, obwohl sie das Knistern eines Feuers erkennt.

Noch immer herrscht Dunkelheit. Sie dreht den Kopf, und durch ihre Augenlider nimmt sie etwas rötlich Flackerndes wahr. Etwas brennt, und sie kann es jetzt riechen, es riecht nach brennendem Kienholz.

Panik bricht über sie herein.

Panik schießt aus ihrem Magen nach oben. Adrenalin wird durch ihren Körper gepumpt, ihr Hals brennt, und sie kann um keinen Preis die Augen öffnen.

»Selma«, weiß sie plötzlich wieder. »Ich bin Selma Falck.«

Frühjahr 2018

Das Treffen

»Es ist an der Zeit! Es ist unsere Pflicht!« Tryggve Mejer riss das Wort an sich. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und schlug danach mit den Handflächen auf den Tisch. Der Aufprall klang allerdings schwach, als ob der Mann seinen Ausbruch in letzter Sekunde bereut hätte.

»Nein«, sagte eine hohe Stimme. »Noch nicht. Vermutlich nie.« Der Greis saß am Tischende. Er wog nur noch halb so viel wie während des Krieges. Bald würde er ein ganzes Jahrhundert auf der Erde hinter sich gebracht haben, und seine Stimme war fast nicht zu hören, als er sich räusperte und dann weitersprach: »Das ist nicht das, was wir uns vorgenommen hatten. Das ist nicht unser Kampf.«

Die anderen in der Tischrunde, drei Männer und eine Frau, sagten nichts.

Schwere, staubige Stille.

Der Greis legte die Hände auf das Kästchen, das vor ihm stand. Seine Finger waren dünn, und die gelben Fingernägel kratzten über das Holz, als er den Behälter endlich an sich zog und ihn mit einem fast unhörbaren Seufzer auf seine Knie stellte. Das Kästchen aus Zedernholz war kaum größer als ein Schuhkarton, und alle Anwesenden wussten ungefähr, was es enthielt. Es wog nicht viel. Dennoch verzog sich das runzlige Gesicht zu einer Grimasse, als wäre die Kraftanstrengung zu groß. Der Mann hob den Blick wieder und ließ ihn um den Tisch wandern.

Früher einmal waren seine Augen himmelblau gewesen. Nun war das rechte vom Star zerfressen, der ganze Augapfel war trübe. Auch die Farbe der linken Iris war mit den Jahren verblasst, als ob das Blau einfach aufgebraucht gewesen wäre. Dennoch lag noch immer Kraft in diesem Blick. Der Mann wusste sehr gut, dass er hier die Entscheidungen traf. Solange er noch die Kraft der Gedanken besaß, konnte er den Menschen an dem blank polierten Tisch Befehle erteilen. Und diese Kraft besaß er.

Ellev Trasop hieß der Mann, und er war am 11. November 1918 geboren.

Der kleine Junge hatte sich mit dem Frieden eingestellt. Während er sich gegen fünf Uhr morgens im Rikshospital in Norwegen in die Welt hinauskämpfte, wurde in einem Eisenbahnwagen in der französischen Stadt Compiègne der Waffenstillstand unterzeichnet. Etwas über sechs Stunden später, am elften Elften, elf Minuten nach elf, war der bisher schrecklichste Krieg der Geschichte zu Ende.

»Frieden«, sagte Ellev leise. »Wir wollen den Frieden beschützen.«

»Frieden«, wiederholte Tryggve und nickte. »Genau. Frieden, Freiheit und Demokratie. Die sollen wir sichern.« Er packte die Tischplatte mit beiden Händen. »Siehst du nicht, was hier vor sich geht, Ellev? Begreifst du nicht, dass der Respekt vor allem, was die eigentliche Grundlage bildet für …«

»Das Treffen ist beendet«, fiel der Alte ihm ins Wort. »Der Entschluss steht fest. Du bist Justizminister, Tryggve. Gerade du müsstest doch wissen, an welche Regeln wir gebunden sind. Es war nicht diese Bedrohung, die wir bezwingen sollten. Nicht … das alles hier. Was nur …« Die Hand winkte den Rest des Satzes weg. Dieses Signal veranlasste die bisher fast unsichtbare und in Schwarz gekleidete Frau an der Tür, lautlos zu ihm zu gehen. Mit geübten Handgriffen löste sie die Bremsen an seinem Rollstuhl und schob das Kästchen höher auf Ellevs Schoß.

»Ihr hört vor dem Sommer von mir«, murmelte er, als er auf die Flügeltüren zu dem verhassten Schlafzimmer zugeschoben wurde, in dem er immer mehr Zeit verbringen musste. »Wenn ich dann noch lebe.«

Er wusste, dass niemand den letzten Satz gehört hatte.

Mina Mejer Selmer

»So kannst du einfach nicht weitermachen.«

Papa stand in der Tür. Mina schaute auf. Er sah erschöpft aus, fuhr sich mit einer Geste der Resignation durch die Haare, genau wie in den Momenten, in denen Mama sich besonders ungerecht aufführte.

»Ich kann sehr gut verstehen, dass das alles schwer für dich ist«, sagte er.

Mina gab keine Antwort.

»Ingeborg war krank, mein Schatz. Sehr krank.«

»Sie war genauso alt wie ich, Papa.«

Der Vater verschränkte die Arme und lehnte die Schulter an den Türrahmen. Er hatte zugenommen, das sah sie jetzt. Der Bauch hing ihm über den zu fest angezogenen Gürtel. Das Gesicht war bleich, obwohl sie seit fast zwei Wochen wunderschönes Sommerwetter hatten.

Im Büro bekam er allerdings nicht viel Sonne ab. Und auch nicht in den schwarzen Autos. Oder im Parlament oder im Flugzeug oder auf den Sitzungen. Oder im Bett, in das er in der Regel fiel, lange ehe sie daran dachte, schlafen zu gehen.

»Auch junge Leute werden krank«, sagte er leise. »Sogar kleine Kinder bekommen Krebs und sterben. Unfälle passieren. So ist das Leben. Leider.«

Mina fuhr mit dem Daumen über das Display ihres Smartphones.

»Sie hatte keinen Krebs«, murmelte sie.

»Nein.«

»Vor einem Jahr war Ingeborg gesund.«

»Ja. Und dann wurde sie krank. Das kommt vor.«

»Sie wurde zu Tode gemobbt.«

Er kniff die Augen zusammen.

»Jetzt bist du melodramatisch.«

»Davon hast du keine Ahnung.«

»Doch. Die Polizei hat die Sache untersucht, und Ingeborg hatte nicht mehr zu erdulden als leider auch alle anderen Jugendlichen hierzulande …«

»Aber Ingeborg konnte das alles eben nicht ertragen«, unterbrach sie ihn. »Hast du sie gekannt, oder was? Musstest du sie trösten?«

»Ja, ich habe Ingeborg gekannt. Nicht so gut wie du, natürlich, aber sie war deine allerbeste Freundin. Natürlich habe ich sie gekannt. Es ist schrecklich traurig, dass sie gestorben ist, aber die Beisetzung ist jetzt sechs Wochen her, und du musst irgendwie …«

»Darüber hinwegkommen? Meinst du das, dass ich über Ingeborg hinwegkommen muss?« Sie würde nicht weinen. Nein, das würde sie nicht. Sie senkte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Augen, blitzschnell, eine magische Beschwörung, um die Tränen zurückzudrängen. Sie zwang sich zu einem Lächeln und schaute wieder auf.

Papa sah müde aus. Noch mehr als vor wenigen Minuten, als er zur Tür hereingekommen war.

Er deutete ein Nicken in Richtung Wohnzimmer an.

»Lust auf ein Spiel? Schach? Karten?«

Mina schüttelte den Kopf und legte den Daumen auf das Telefon.

»Tryggve Mejer ist ein Landesverräter«, las sie vor. »Er kommt als Erster an die Reihe, wenn das VOLK …« Sie schaute auf. »Die schreiben Volk jetzt mit Großbuchstaben. Als wäre das ihr Privatbesitz oder so was.«

»Hör doch auf«, sagte er und machte einen Schritt ins Zimmer. »Du musst damit aufhören. Leg das weg.«

Sie warf das Handy auf die Bettdecke. Er kam näher und setzte sich zu ihr aufs Bett. Mina zog die Füße hoch und schlang die Arme um die Knie. Der Vater roch nach Abend. Nach dem Stress eines ganzen Tages und ein bisschen nach dem Gel, das er sich jeden Morgen in die Haare knetete und das im Laufe des Arbeitstages ein wenig ranzig wurde.

»Du bist sechzehn Jahre alt«, sagte er. »Kümmer dich nicht um solche Schmierereien.«

»Die drohen, dich umzubringen.«

»Geh nicht auf solche Websites. Scheiß drauf. Die bellen mehr, als dass sie beißen. Viel mehr. Helden an der Tastatur sind das, kleinlaute Feiglinge, wenn sie mit ihrer Schweinerei konfrontiert werden.«

»Jeden Tag, Papa. Überall. Die ganze Zeit. Und nicht nur …«

Nein.

Papa durfte das nicht wissen. Er brauchte wirklich nicht mehr zu wissen. Papa war vierunddreißig Jahre älter als sie, aber ab und zu hatte sie trotzdem das Gefühl, auf ihn aufpassen zu müssen, im Grunde die Einzige zu sein, die auf ihn aufpassen konnte.

»Das ist nur ein Übergang«, sagte er leise. »Die Menschheit muss sich an das Internet gewöhnen. Deine Generation wird das schaffen. Ihr seid doch mit all diesen Möglichkeiten aufgewachsen.« Sein Blick wanderte vom MacBook auf dem Schreibtisch zum iPad auf dem Nachttisch. Er blieb am Smartphone hängen. »Ich verlasse mich auf dich und auf Leute wie dich«, sagte er ruhig und legte ihr die Hand auf den Rücken. »Ihr werdet lernen, Grenzen zu setzen, Normen zu installieren. Irgendwann wird es akzeptable Regeln geben.«

Mina gab keine Antwort.

»Komm«, flüsterte er und fasste sie um den Nacken. »Wir machen etwas Lustiges. Und dann gehen wir schlafen. Wir müssen früh raus.«

»Ich nicht«, sagte Mina.

»Kommst du nicht mit? Am 17. Mai? Ich muss doch die Rede halten, wenn …«

Mina hob das Gesicht. Sah ihn an. Lange und schweigend. Wenn sie nicht aufhörte, wenn ihr Blick fest blieb, würde er nachgeben. So wie immer. Wie sie ihn immer, aus einem Grund, den sie bisher nicht verstanden hatte, mit einem langen Blick dazu bringen konnte, zu nicken und zu gehen.

Papa nickte und ging.

Herbst

Der Brand

Selma Falck erinnerte sich an ihren Namen. Ihre Augen ließen sich noch immer nicht öffnen.

Der Brandgeruch war jetzt schärfer.

Noch immer fror sie, aber irgendwie nur auf der einen Seite. Sie versuchte, sich dahin zu drehen, woher die Wärme kam. Sie hatte Schmerzen am ganzen Körper und überlegte sich die Sache anders. Zuerst musste sie etwas sehen können.

Ihre Augen mussten sich öffnen, aber das wollten sie nicht.

Sie reckte sich, so weit sie konnte, und hob den rechten Arm. Das ging. Dann führte sie die Hand an das eine Auge und drückte es mit Daumen und Zeigefinger auf. Es war geschwollen und tat weh, ließ sich aber offen halten. Sie wiederholte das Manöver bei dem anderen Auge. Starrte nach oben. Die Decke war aus unbehandeltem Fichtenholz. Alt und gelb, mit einem flackernden roten Lichtschein, der sicher aus einem Kamin stammte. Langsam setzte sie sich auf, während sie zugleich herauszufinden versuchte, ob diese vielfältigen Schmerzen von einer ernsthaften Verletzung stammten. Ob sie sich etwas gebrochen oder sich verbrannt hatte. Der Rauch aus dem Kamin stach immer heftiger in ihrer Nase. Sie saß aufrecht da, als sie endlich den Kopf drehen konnte. Ihr Körper hatte keine schwerwiegenden Verletzungen. Sie fühlte sich einfach nur wie gerädert, steif und wund wie nach einem ewig langen Handballspiel in der Hölle, und sie konnte nicht begreifen, wieso sie nackt war.

Was da brannte, war kein Kaminfeuer.

Es war die gesamte eine Wand.

Sie saß in einer spartanisch eingerichteten Hütte, in einem Wohnzimmer, das knapp zwanzig Quadratmeter groß war. Die Möbel konnten seit den Sechzigerjahren nicht erneuert worden sein. Überall Kiefernholz und verschlissene Polster mit Schottenmuster. An den Fenstern gab es aus irgendeinem Grund keine Vorhänge. Dahinter war es stockdunkel. Die Flammen züngelten nur drei Meter von ihr entfernt an der Wand hoch, und sie kam schneller auf die Beine, als die Schmerzen das eigentlich erlaubt hätten. Sie stöhnte, als sie aufrecht stand, schwankend und unsicher, während sie versuchte, ihr Gehirn zum Arbeiten zu bewegen und zu begreifen, wo sie war.

Warum sie dort war.

Das musste warten.

Mitten in der brennenden Wand befand sich ein tiefer, offener Kamin. Das Feuer darin war zu einem Haufen aus rot glühender Kohle heruntergebrannt. Die Kohle lag nicht hinten an der Wand vor der schmiedeeisernen Platte, wie es sich gehörte. Der ganze Kamin war damit gefüllt. Ein breiter Pfad aus brennenden Holzscheiten war vom Kamin aus an den Wänden entlang gelegt worden. Die Flammen hatten die Wandtäfelung erfasst und züngelten schon in zwei Meter Höhe an den Brettern. Als Selma den Blick hob, sah sie, dass es nur eine Frage von Sekunden war, bis das Dach ebenfalls brennen würde. Ein scharfer Schmerz jagte ihre Oberschenkel hoch und weiter in ihr Kreuz, als Selma einige Schritte rückwärts machte.

Feuerlöscher, dachte sie.

Sie schleppte sich auf die einzige Tür im Raum zu. Die war geschlossen, aber nicht versperrt und führte in einen langen, schmalen Gang. Es roch nach Alter und Staub, und sie musste sich im Nebenzimmer mit dem Licht des Feuerscheins behelfen.

Es gab keinen Lichtschalter. Eine Petroleumlampe mit Glaskolben hing ganz am Ende des Ganges an der Decke über etwas, das sie für eine Tür nach draußen hielt.

Die Hütte hatte keinen Strom.

Feuerlöscher, fiel ihr jetzt wieder ein, und es durchfuhr sie ein Schreck, als ihr klar wurde, dass stromlose Hütten meistens auch kein fließend Wasser hatten.

Selma konnte sich nicht erinnern, welcher Tag heute war.

Nicht einmal, welche Jahreszeit.

In der linken Längswand gab es zwei kleine Türen. Sie öffnete die erste.

Die Küche. Winzig, mit einer Bank, zwei Schränken und einer Waschschüssel auf einem Hocker. Neben der Tür stand ein schwarzer Holzofen.

Kalt.

Kein Feuerlöscher zu sehen.

Das Feuer knurrte jetzt. Das Geräusch wurde immer lauter. Sie lief aus der uralten Küche und riss die nächste Tür auf. Diese Kammer war ein wenig größer. Ein Etagenbett nahm fast den ganzen Platz ein. Das untere Bett war gemacht, das glaubte Selma trotz der durchdringenden Dunkelheit erkennen zu können. Die obere Matratze war nicht bezogen. Hinter der Tür stand ein Schrank. Der war leer, das merkte sie, als sie die Tür öffnete und die Hand in die schwarze Finsternis streckte.

Das Feuer toste im Wohnzimmer.

Selma würde keinen Feuerlöscher finden, das war ihr jetzt klar. Aus einem Impuls heraus schnappte sie sich die Bettdecke und lief damit zurück zu den Flammen.

Die Wohnzimmerdecke hatte Feuer gefangen, die anderen Wände ebenfalls. Aus der Polsterung eines Zweisitzersofas, das nicht weit vom Kamin entfernt stand, quoll schwarzer, stechender Rauch.

Es war zu spät. Der Brand würde sich nicht löschen lassen, schon gar nicht mit einer Bettdecke. Sie musste weg hier. Gerade als sie das beschlossen hatte, fiel ihr Blick auf die Tasche, ihre knallgelbe Duffle Bag von der Marke North Face. Sie hatte jedenfalls so eine. Ihre Kleider waren darübergeworfen, das sah sie jetzt. Sie hielt die Decke vor sich und ging auf die Flammen zu, schaffte aber nur zwei Schritte, dann stürzte die Wand ein. Glut und Hitze schlugen ihr entgegen. Aus einem Reflex heraus schleuderte sie die Decke von sich, nach vorn, zum Schutz vor der Hitze, die jetzt so heftig war, dass sie, ohne nachzudenken, zum Gang hinübertaumelte. Bei der Tür drehte sie sich ein letztes Mal um.

Ihre Kleider brannten. Ihre Tasche brannte.

Die ganze Hütte würde bald in Flammen stehen, und sie war noch immer nackt.

Sie konnte sich nicht erinnern, in der Küche etwas Brauchbares gesehen zu haben, und sie hatte keine Zeit, um dort genauer nachzusehen. Sie riss ein Laken aus dem Schlafzimmer an sich, dann packte sie die Klinke der Haustür. Diese Klinke war schwerer als die anderen, und sie war aus noch immer kaltem Messing.

Die Tür bewegte sich nicht.

Mehrere Male rüttelte sie wütend an dem Metall. Plötzlich ging die Tür doch auf, offenbar war sie doch nicht abgeschlossen gewesen.

Selma war draußen.

Sie keuchte heftig, als sie die Füße in ein Paar riesige Gummistiefel steckte, die auf der Steintreppe standen, und dann von der brennenden Hütte weglief.

In sicherer Entfernung drehte sie sich um.

Die kleine Hütte würde bald komplett in Flammen stehen.

Es war eiskalt, und es war Nacht, Abend oder sehr früher Morgen. Der Halbmond, der hinter den über den Himmel treibenden Wolken immer nur kurz zu sehen war, zeigte ihr, dass sie ganz allein war.

Um sie herum zog sich die Hochebene bis zum Horizont hin.

Sie befand sich hoch über der Baumgrenze, vielleicht war sie nicht einmal in Norwegen.

Kein Licht von anderen Hütten war zu sehen. Kein heller Schein, der von Häusern in der Ferne stammte. Grauschwarzer Himmel, ab und zu ein Stern, Felskuppen, Steinbrocken und Heidekraut.

Ihr tat alles weh.

Beine und Rücken, Bauch, Arme und Hände. Und sie fror. Als sie versuchte, sich in das Laken zu wickeln, und dabei die Finger in ihre verfilzten Haare gerieten, spürte sie, dass ihre Kopfhaut aufgescheuert und wund war. Selma klapperte mit den Zähnen und näherte sich wieder dem Feuer, um sich zumindest ein wenig Wärme zu holen. Noch immer hatte sie keine Ahnung, wo sie war. Doch ihre Gedanken wirbelten nicht durcheinander, in ihrem Kopf war es ganz einfach nur dunkel und leer.

»Selma Falck«, flüsterte sie wieder und wieder, bei jedem Schritt, den sie in dem gefrorenen Heidekraut machte. »Ich bin Selma Falck.«

Sie stolperte weiter, ein wenig schräg nach vorn, und blieb abrupt stehen, als die Flammen durch das Grasdach schlugen. Ein heftiger Funkenregen ließ für einen Moment alles um sie herum heller werden.

Und dann sah sie es.

Das Auto.

Selmas roter Volvo Amazon 123 GT, Baujahr 1966, stand dicht neben der einen noch vorhandenen Längswand der Hütte. Bei diesem Anblick erstarrte sie. Ruß und brennende Holzspäne rieselten vom Himmel herab, und ihr war klar, dass ihr Wagen jeden Augenblick Feuer fangen könnte.

Sie war offenbar selbst an diesen gottverlassenen Ort gefahren.

Der Wagen war da, er hatte es ins Hochgebirge geschafft, dann würde sie ja wohl auch auf eigene Faust nach Hause kommen.

Selma lief los. Das Laken glitt ihr vom Leib, sie stürzte davon, splitternackt, bis auf ein Paar viel zu großer, uralter Stiefel. Sie stolperte erneut, streifte die Stiefel ab, lief weiter. Noch ein Dröhnen, eine kleine Explosion, und das restliche Dach stürzte ein.

Selma rannte weiter. Sie musste den Wagen retten.

Denn wenn sie den Wagen nicht rettete, würde das aller Voraussicht nach ihr Tod sein.

Frühjahr

Das Kästchen

Es war Mitte Mai und Hochsommer.

Noch immer waren es nachts nur acht bis zehn Grad, aber auch an diesem Tag war das Thermometer gegen Mittag auf über zwanzig Grad geklettert. Vom Wohnzimmer der alten Villa im Ternevei in Hasle konnte Tryggve Mejer den Oslofjord glitzern sehen, hinter einer Stadt, die sich am Tag nach einem gelungenen, erschöpfenden Nationalfeiertag nun ausruhte. Das Rauschen des Verkehrs auf dem Grensevei, normalerweise sogar bei geschlossenen Fenstern konstant und deutlich zu hören, war gedämpft, fast nicht vorhanden. Nur ab und zu polterte ein LKW vorbei und ließ das Kristall des Kronleuchters klirren. Es war ein Brückentag. Ein freier Tag für alle, die kühn genug waren.

Tryggve hatte die Hände im Rücken verschränkt. Er stand breitbeinig da und schaute aus zusammengekniffenen Augen in das scharfe Licht. Auf der Einfahrt hatte sich der Chauffeur des schwarzen Wagens in den Schatten einer großen Kastanie gestellt. Er griff sich in die Jackentasche, wo er, wie Tryggve wusste, eine Packung Zigaretten versteckt hatte. Als er aufblickte und den Justizminister sah, grinste er, klopfte sich auf die Tasche und verzichtete.

»War es eine schöne Feier?«, fragte eine krächzende Stimme aus dem Rollstuhl. »Möchtest du einen Kaffee?«

Tryggve drehte sich um.

Lächelte.

»Nein danke. Aber gern ein Glas Mineralwasser. Und ja. Es war eine schöne Feier. Abgesehen davon, dass Mina in dem Alter ist, in dem …«

Er zuckte kurz mit den Schultern, ging zu den mitternachtsblauen Sesseln der Sitzecke und ließ sich dort nieder. Ellev Trasop winkte seiner Pflegerin und wurde sofort hinübergeschoben. Ein weiterer Wink mit der mageren Hand, und sie verschwand ebenso lautlos wie immer. Tryggve Mejer goss sich Mineralwasser aus einer Flasche auf dem Tisch in ein Kristallglas, dann schaute er den alten Mann fragend an.

»Ja, gern, danke. Sie ist jetzt sechzehn? Mina?«

»Bald siebzehn. Und eingeschworene Antinationalistin. Die Feiern zum Jubiläum unseres Grundgesetzes widern sie jetzt an. Zum ersten Mal, seit sie zwei Jahre alt war, hat sie am Nationalfeiertag keine Tracht getragen.«

Das Sonnenlicht zeichnete scharfe geometrische Figuren in Weiß vor die dunkle Einrichtung. Tryggve musterte den Alten aus zusammengekniffenen Augen. Der saß mitten in der Lichtflut, und ohne zu fragen, sprang der Justizminister auf und ging zurück zu dem großen Sprossenfenster. Die Vorhänge waren schwer, der Stoff fühlte sich fast fettig an, als er sie zuzog. Das Zimmer lag jetzt im Halbdunkel da, was um einiges angenehmer war.

»Danke«, sagte Ellev Trasop und seufzte. »Dieses Pflegepersonal besteht auf Licht und Luft. Durchzug, so nenne ich diese ganze Lüfterei. Vor Durchzug soll man sich bekanntlich hüten. Und das Sonnenlicht ruiniert mir außerdem das bisschen Sehkraft, das mir noch geblieben ist.«

Eine zitternde Hand strich über die Nase, wo ein kleiner Tropfen zu fallen drohte, seit Tryggve gekommen war.

»Politisches Engagement bei jungen Leuten sollte fast immer unterstützt werden«, sagte er. »Egal wie. Ist sie noch immer so ambitioniert?«

»Wenn du mit ambitioniert gut in der Schule meinst, dann ja. Sie hat jetzt schon länger Leistungskurse in Englisch und Mathematik belegt. Sie hat ihr Handball, wenn auch nicht auf sonderlich hohem Niveau. Donnerstags tanzt sie. Außerdem hilft sie am Wochenende in einem Restaurant aus. Ich begreife nicht, wie sie Zeit für alles findet. Aber so ist es ja in dem Alter. Da will man nichts versäumen.«

»Und die Politik? Noch immer so engagiert bei den Jungen Sozialdemokraten?«

Tryggve gab keine Antwort.

»Wie war denn dein 17. Mai?«, fragte er stattdessen.

»Berit hat vorbeigeschaut.«

»Der Major?«

»Ja. Ein richtig tolles Mädel, unsere Berit. Richtig tolles Mädel.«

»Sie ist älter als ich. Und sonst? Was hast du gemacht?«

»Ich bin zu alt zum Feiern. Zum Leben, eigentlich.«

Ellev seufzte und wurde in seinem Rollstuhl noch kleiner. Seine Schultern waren so schmal und spitz, dass es keine Kleidung mehr gab, die richtig saß. Jedenfalls nicht solche wie die, auf der er bestand. Er verlangte kreideweiße Hemden mit gesteiftem Kragen unter dunkelblauem Blazer, wenn er Sitzungen besuchte oder aus anderen Anlässen Menschen begegnete, und blau karierte Flanellhemden für zu Hause. Beides ließ ihn aussehen wie eine alte Vogelscheuche. Ellev Trasop war ordentlich angezogen und wurde allem Anschein nach hervorragend betreut, aber er roch trotzdem nicht gut. Das lag nicht allein an seinem unfrischen Atem. Es wirkte, als habe er schon angefangen, von innen her abzusterben. Ein schwacher Verwesungsgeruch schien durch die gelbe, großporige Haut zu sickern.

»Ich werde sterben«, sagte er und seufzte.

»Das werden wir alle.«

»Spiel dich hier nicht auf.«

»So war das nicht gemeint.«

»Das bedeutet, dass du übernimmst. Und dass du mir etwas versprechen musst.«

Tryggve atmete tief durch den Mund ein und durch die Nase langsam wieder aus.

»Wir haben das doch schon besprochen«, sagte er schließlich. »Schon längst.«

»Nein. Nicht so ganz. Du kannst diese …«, seine schmale Klaue fuchtelte in der Luft herum, »… diese Operation, dieses Zerfurcht/Verwittert nicht starten. Das kannst du nicht.«

Tryggve musterte den Alten und sagte: »Wir leben in einer gefährlichen Zeit.«

Ellev schaute auf. »Das weiß ich«, sagte er.

Seine Augen waren beängstigend. Tryggve versuchte immer, den Blick auf das Auge zu richten, das noch etwas sah. Es war jetzt so farblos, dass der alte Mann vor allem an eine römische Marmorstatue erinnerte, mit blinden Augen und ohne Iris.

»Wir sind jedoch eine liberale Demokratie«, sagte nun Ellev. »Was ein Paradoxon bedeutet. Es ist ein Paradoxon, dass die größte Stärke der liberalen Demokratie auch deren größte Schwäche ist: die Toleranz denen gegenüber, die sie zerstören wollen.«

»Genau. Ein Paradoxon. Ein Dilemma. Das wir bald lösen müssen.«

»Wenn wir es lösen, hören wir auf zu existieren.«

»Wenn wir es nicht lösen, gehen wir zugrunde.«

»Nein!« Ellevs Stimme schlug in ein heiseres Falsett um. Er fing an zu husten und griff nach seinem Wasserglas, trank langsam und lange. Dann stellte er das Glas mit immer heftiger zitternden Händen zurück auf den Couchtisch. »Ich sterbe bald«, sagte er noch einmal. »Vermutlich schon in den nächsten Tagen. Deshalb hab ich dich hergebeten.«

In einem anderen Zimmer schlug eine Uhr dreimal. Tryggve verspürte plötzlich eine unangenehme Übelkeit. Ein Lilienstrauß in einer großen Vase am Fenster roch drückend nach Süße und altem Blumenwasser. Er schluckte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen.

»Mit anderen Worten, du musst die Schatulle übernehmen«, kam ihm der Alte zuvor. »Und alles, was dazugehört.«

»Aber … du …«

»Ich meine, es wäre eigentlich besser, wenn Berit sie übernähme. Viel besser. Berit ist eine ehemalige Berufssoldatin und zeigt ein besseres Urteilsvermögen als du.«

»Besseres Urteilsvermögen? Was weißt du über …«

»Ich weiß alles, was sich zu wissen lohnt«, fiel ihm der Alte überraschend scharf ins Wort. »Aber Berit die Schatulle zu geben würde einen Pakt zwischen deinem Vater und mir brechen. Das kann ich nicht. Die Schatulle steht da hinten. Hol sie, bitte.«

Tryggve sah zu einem dunklen Buffet aus massiver Eiche hinüber. Der kleine Kasten aus Zedernholz stand auf der einen Seite. Tryggve blieb sitzen.

»Das war die Abmachung«, sagte Ellev, nun ein wenig sanfter gestimmt. »Das hast du noch vor seinem Tod erfahren.«

Das stimmte. Tryggve Mejer war fünfzig Jahre alt, und in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens hatte er gewusst, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt diese Verantwortung übernehmen müsste. Es war eine Gewissheit, die er mit drei anderen Männern und einer Frau teilte.

Mit sonst niemandem.

Sein ganzes Erwachsenenleben hindurch jonglierte er nun schon in genau derselben Weise wie sein eigener Vater mit den Rollen als Politiker und Anwalt, Vater, Ehemann und Hüter von nationalen Geheimnissen. Sein Leben war in Kammern eingeteilt. Einige davon gingen ineinander über. Viele waren licht und leicht begehbar, andere lagen verschlossen und verriegelt in einer Ecke seiner Seele. Über vieles konnte er reden, anderes konnte er nur mit wenigen teilen. Einzelne Geheimnisse gehörten ihm und nur ihm allein.

Wie das Geheimnis, dass er sich seit einem halben Jahr darauf gefreut hatte, dass Ellev Trasop sterben würde.

»Bist du krank?«, fragte er.

Das heisere Lachen schlug in einen kraftlosen Hustenanfall um.

»Ich bin seit meinem Achtzigsten krank«, sagte Ellev, als er wieder zu Atem gekommen war. »Aber ja, jetzt bin ich kränker.« Seine Hand klopfte vorsichtig auf seinen Brustkasten. »Das Herz. Es will nicht mehr. Ich auch nicht, eigentlich. Du weißt, als meine Altersgenossen anfingen, um mich herum zu sterben, war das traurig. Als die Reihe an ihre Kinder kam, berührte mich das noch stärker. Ich will lieber nicht mehr da sein, wenn auch ihre Enkel sterben. Hol jetzt die Schatulle, bitte.«

Tryggve erhob sich.

Er wäre fast über den dicken Teppich gestolpert, konnte sich aber noch fangen. Er stand eine Weile vor dem Buffet und starrte das Kästchen an, als ob er es noch nie im geschlossenen Zustand gesehen hätte.

Das war aber auch nicht nötig. Er kannte den Inhalt. Er existierte seit 1948. Die Schatulle war ab und zu geöffnet worden, auch von seinem eigenen Vater. Sicher war einiges entnommen worden, anderes hinzugefügt, von einer ununterbrochenen Reihe von Männern, von denen alle, bis auf Ellev Trasop, tot waren.

»Bring sie her«, hörte er Ellev hinter sich.

Er trug das Kästchen mit beiden Händen und stellte es vor Ellev hin. Der Alte streckte die Hand aus. Tryggve sah einen kleinen Schlüssel und wollte danach greifen. Ellev schloss die Finger darum.

»Du musst mir versprechen, es nicht zu tun.«

»Ich kann versprechen, nichts zu überstürzen, nichts zu tun, was nicht im Mandat enthalten ist.«

»Unsere Gemeinschaft ist nicht deswegen gegründet worden, Tryggve.«

»Doch. Wir wurden eingesetzt, um die Demokratie zu beschützen.«

»Nach einer möglichen Okkupation.«

»In gewisser Hinsicht ist das bereits eine.«

»Ist es nicht.«

Tryggve Mejer nahm gelassen die Hand des Alten. Er zwang die Finger auseinander, sie leisteten fast keinen Widerstand. Er nahm vorsichtig den Schlüssel. Der war klein und unscheinbar, fast wie der Schlüssel zu einem Tagebuch, wie Mädchen es in seiner Jugend gehabt hatten. Er stand auf und steckte ihn in die Tasche.

»Wir führen Krieg gegen die Lügen«, sagte er. »Gegen Bosheit, Unwissenheit, Ungerechtigkeit, Hetze und Hass. Und wir sind dabei, zu verlieren. Eine lebendige Demokratie setzt nicht nur eine freie Debatte voraus. Jemand muss auch bereit sein, diese zu führen.«

Der Alte atmete flach und beschwerlich.

»Immer mehr schrecken davor zurück«, sagte Tryggve. »Lokal. Regional. Und in jedem Fall auf landesweiter Ebene. Nimm zum Beispiel Elisabeth Bakke. Noch keine vierzig. Ihr Leben lang politisch engagiert. Früher Vorsitzende der Jungen Konservativen. Sie war noch keine dreißig, als sie ins Parlament gewählt wurde. Absolut eine potenzielle zukünftige Vorsitzende für die Mutterpartei. Unglaublich ambitioniert. Sie hatte nur einen Fehler, Ellev. Nur einen. Sie hat über Zuwanderung so gesprochen, wie ich das tue. Als ob die Zuwanderer Menschen wären. Als ob sie etwas bedeuteten. Sie steht nicht für etwas Revolutionäres, nicht für etwas …«, er fuhr sich hastig mit der Hand durch die Haare und stützte dann die Handflächen auf den Tisch, »… nicht einmal für etwas Radikales. Sie ist genauso realistisch wie ich und weiß, dass wir Grenzen setzen müssen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht nur um Rhetorik. Um Anstand.«

»Sie ist aus familiären Gründen zurückgetreten«, sagte der Alte. »Das ist weiterhin erlaubt.«

»Sie ist zurückgetreten, weil sie es nicht mehr aushalten konnte«, sagte Tryggve, der jetzt lauter geworden war. »Sie konnte die Kommentare nicht mehr ertragen. Den Hass. Die sozialen Medien. Elisabeth hat die Politik aufgegeben, weil sie ganz einfach nicht mehr wollte. Und sie ist nicht die Einzige, Ellev. Sie ist leider nicht die Einzige. Und auch nicht die Einzige, die nicht mehr in die Politik will. Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen. Und da werden nicht mehr die Besten antreten.« Er sprang auf. Diesmal fuhr er sich mit beiden Händen durch seinen üppigen Schopf. »Aber wir können nicht auf die Besten verzichten«, seufzte er. »Eine Demokratie braucht ihre fähigsten Frauen und Männer. Das Leben als Politiker bringt immer Belastungen mit sich. So muss es auch sein. Man wird unter die Lupe genommen, hat mein Vater zu mir gesagt, als ich damals angefangen habe. Das ist in Ordnung. Man ist für jede kleinste Handlung verantwortlich. Innerhalb der Partei und draußen. Das war damals auch in Ordnung. Heute dagegen …«, er zögerte für einen Moment, schüttelte den Kopf und holte Luft, ehe er weitersprach: »Heutzutage ist es so, dass wirkliche Vergehen kaum Konsequenzen nach sich ziehen. Es gibt einen Klaps auf die Finger und zwei Wochen Sturm in den Medien, dann heißt es back to normal. Die unter uns, die noch immer versuchen, für etwas einzustehen, an etwas zu glauben, nach irgendeinem Prinzip zu leben, müssen durch einen Sumpf aus Beleidigungen und Hass waten. Wir verlieren die Besten, Ellev, und das ist gefährlich.« Er steckte die Hände in die Taschen und positionierte sich so, dass Ellev ihn ansehen musste. »Früher mussten wir Politiker büßen, wenn wir einen Fehler gemacht hatten«, sagte er. »Heute ernten wir Hetze, Verachtung und Hass, wenn wir das Richtige tun.«

Es klopfte an der Tür. Ohne auf Antwort zu warten, kam die kleine schwarz gekleidete Frau mit einem Tablett herein.

»Tee«, sagte sie kurz und unnötig, ehe sie zwei Tassen, eine Zuckerschale und eine Teekanne auf den Couchtisch stellte.

Die beiden Männer schwiegen, bis sie mit dem Tablett wieder verschwunden war.

»Mina ist bei den Jungen Sozialdemokraten ausgetreten.«

»Was?«

Der Alte wirkte für einen Moment verblüfft. Dann beugte er sich zur Teekanne vor.

»Hier«, sagte Tryggve und kam ihm zuvor. Er füllte eine Tasse, ließ zwei Zuckerstücke hineinfallen und rührte mit einem ziselierten Teelöffel um.

»Wie schade«, murmelte Ellev. »Ich hatte so große Erwartungen in die Kleine. Hätte Ministerpräsidentin werden können, deine Mina.«

Tryggve lächelte zaghaft, zum ersten Mal, seit er gekommen war. »Du hast sie in die Reihen der Sozialdemokraten manipuliert«, sagte er. »Aber damit ist jetzt also Schluss.«

»Warum?«

»Was glaubst du?« Er fischte sein Smartphone aus der Hosentasche.

»Das zerstörte Diskussionsklima, die vielen Schauplätze für Hetze, Hass, Beleidigungen. Ihre beste Freundin hat sich vor einiger Zeit das Leben genommen. Überaus tragisch. Sie war psychisch krank, und wenn ich das richtig verstanden habe, wurde sie nicht schlimmer gemobbt als viele andere. Aber für manche reicht das, Ellev, und es hilft zumindest den Verletzlichsten unter uns nichts, dass …«

Keiner der beiden hatte seinen Tee angerührt. Tryggve hob die Untertasse und bot dem Mann im Rollstuhl den Tee an. Der griff mit beiden Händen zu, die Tasse klirrte, und der Tee schwappte über.

»… dieser Dreck immer weitergehen darf.«

Er warf einen Blick aufs Display und steckte das Telefon wieder in die Tasche. »Hass auf Einzelpersonen. Fake News. Lügen und Verschwörungstheorien. Zwölf Prozent der US-Bevölkerung glauben noch immer, dass Hillary Clinton eine pädophile Mörderbande anführt. Noch immer! Manche glauben … manche glauben, dass die Erde eine Scheibe ist, Ellev!«

»Das war schon immer so.«

»Ja. Aber sie hatten nicht diese Möglichkeiten, ihre Idiotie zu verbreiten. Die Verschwörungstheorien da draußen übertreffen alles Vorstellbare. Sie breiten sich aus wie eine Seuche, mit der tatkräftigen Unterstützung von extremistischen Internetforen, die sich als ›Online-Zeitungen‹ tarnen. Die Kommentarfelder da sind wie …«

»Damit kenne ich mich nicht aus«, fiel Ellev ihm ins Wort und hob erneut mit zitternder Hand die Teetasse.

Nein, dachte Tryggve. Damit kennst du dich nicht aus.

»Eine liberale Demokratie kann so etwas doch überleben«, sagte Ellev und senkte die Tasse. »Meinungen einzuhegen, so verrückt die auch sein mögen, wäre demokratischer Selbstmord. Wir sollen das Land vor den Kommunisten beschützen, Tryggve. Nicht vor den absurden Meinungen der Leute.«

»Die sind nicht absurd. Die sind gefährlich. Lebensgefährlich. Und sie nähern sich einer kritischen Masse. Einer explosiven, ignoranten und äußerst kritischen Masse, die das Land zerstören wird. Oder die westliche Welt überhaupt.«

Die Teetasse wäre fast umgekippt. Tryggve griff vorsichtig danach und stellte sie wieder auf den Tisch.

»Die Russen«, murmelte Ellev. »Wir sollten unser Land vor den Russen beschützen.«

»Eben. Den Russen.«

Der Greis starrte zu ihm hoch. Ein neuer Tropfen hing ihm unter der Nase, und sein Mund zitterte.

»Die Russen arbeiten noch immer daran, andere Länder zu destabilisieren«, sagte Tryggve und hob das Kästchen. »Das haben sie immer schon getan. Here, there and everywhere. Sie haben die USA zerstört, vielleicht so weit, dass es nie wiedergutgemacht werden kann. Aber uns dürfen sie nicht zerstören. Jedenfalls nicht, solange ich das verhindern kann.«

Er ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke, ehe er sich umdrehte.

Der Mann im Rollstuhl war sein Patenonkel. Einst war er eine beeindruckende Erscheinung gewesen, ein Mann auf dem Höhepunkt seiner Kraft und seiner Macht. Ellev hatte ihm das Skilaufen und das Radfahren beigebracht. Er war mehr für ihn gewesen als sein Vater, eine bessere Unterstützung, trotz der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit.

Jetzt war er nur eine vertrocknete Hülle in einem Rollstuhl.

In dieser Nacht starb Ellev Trasop, nur ein halbes Jahr vor seinem hundertsten Geburtstag.

Herbst

Das Auto

Alles war nur Feuersbrunst.

Die Flammen schlugen über dem Balken zusammen, der den Dachfirst getragen hatte und der noch immer zwischen den Querseiten verlief. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch er zusammenbräche. Die Seitenwände waren längst schon eingestürzt und durch ein gewaltig tosendes Feuer ersetzt worden. Kamin und Schornstein standen schwarz und drohend mitten in allem, umgeben von einem Flammenmeer.

Selma blieb fünf Meter vor dem Auto stehen.

Brennende Teile der Wand waren auf die Motorhaube gefallen. Sogar der schwere Klumpen aus Grassoden, der jetzt das Wagendach fast ganz bedeckte, brannte. Der Rauch wurde ihr beißend und düster entgegengetragen.

Es war aber trotzdem noch möglich, das Auto zu retten.

Doch die Luft war so heiß, dass ihr Körper das Weitergehen verweigerte.

Aber sie musste.

Selma lief weiter vom Brand weg. Mit beiden Fäusten, ohne daran zu denken, wie weh das tat, riss sie vereistes Heidekraut aus dem Boden. Sie rieb sich damit das Gesicht ein, die Brust, die Oberschenkel, den ganzen Leib. Ihr wurde kühler, und sie wurde nass von dem Nachtfrost, der auf ihrer Haut zerstob. Die war schon wieder getrocknet und unerträglich heiß, noch ehe Selma drei Meter weiter gekommen war. Sie holte das Laken, dessen Stoff feucht war, und sie hielt es vor sich wie einen riesigen Schild, als sie abermals versuchte, sich dem Auto zu nähern.

Noch ehe sie dort angekommen war, fing das Laken Feuer.

Sie wich eilig zurück, stolperte, rutschte aus, stürzte. Die Hitze verfolgte sie, ihre Haut brannte. Ihr Mund tat weh, der Hals ebenfalls. Sie hatte sich offenbar allein durch das Atmen verbrannt. Selma rappelte sich wieder auf. Halbwegs kroch und halbwegs lief sie weiter. Erst hundert Meter von Auto und Hütte entfernt drehte sie sich um und schaute zur Katastrophe hinüber.

Das Auto war von den Flammen verschlungen worden.

Selma hatte keinen Knall gehört, keine dramatische Explosion, wie im Film, wenn das Benzin Feuer fing und der Tank barst. Sie hörte nur Knistern und Knacken, den leisen Aufprall brennenden Holzes. Die Querwand hatte jetzt ebenfalls nachgegeben, und das Auto war nicht mehr zu sehen.

Plötzlich knallte es dann doch.

Selma fuhr zusammen, sie taumelte rückwärts gegen einen riesigen Stein. Ein scharfer Schmerz schoss von ihrem Kreuz hoch und ließ sie aufschreien.

Die Windschutzscheibe war zerborsten, das Autoinnere fing sofort Feuer. Wieder verdichtete sich der Rauch zu einem fast undurchsichtigen Nebel, und nach einigen Sekunden nahm sie den Gestank verbrannten Kunststoffs wahr.

Langsam, während alle Schmerzen beschlossen, sich zusammenzurotten, um ihr das Leben ganz und gar unerträglich zu machen, richtete sie sich auf und sah sich um. Nichts Neues war wie ein Wunder aufgetaucht. Keine Menschen. Kein Fahrzeug, das ihr einen Funken Hoffnung hätte geben können, hier wegzukommen.

Nach Hause.

Sagene, fiel ihr plötzlich ein.

Sie wohnte in Sagene.

Und mit einem Mal konnte sie sich an eine Hochzeit erinnern.

Sommer 2018

Die Hochzeit

Beim Hochzeitsessen ihrer einzigen Tochter wurde Selma Falck neben die Klotür gesetzt.

Schon in der Kirche hätte sie einsehen müssen, dass es ein Fehler gewesen war, herzukommen. Die erste Bankreihe war für die Familie reserviert. Selma war rechtzeitig eingetroffen. Als sie sich den Familienmitgliedern näherte, die schon Platz genommen hatten, rutschten diese weiter auseinander, und schon nach wenigen Sekunden war kein Platz mehr für die Mutter der Braut.

Sie hätte kehrtmachen und nach Hause gehen sollen.

Stattdessen, aus Gründen, die sie später nicht erklären konnte, hatte sie die Trauung von der hintersten Bank aus verfolgt. Sie war lächelnd in den Bus gestiegen, der die Gäste nach der Zeremonie zum Restaurant Ekebergåsen bringen sollte, hatte freundlich den Champagner abgelehnt, während alle darauf warteten, dass das Brautpaar auf dem Dach der Oper fotografiert wurde. Sie hatte sich von der Traubenlimonade aufgequollen gefühlt, und ihr war etwas übel gewesen, aber sie hatte doch weiter trinken müssen, weil es unerträglich heiß war. Da die anderen Gäste sie mit Beschlag belegt hatten, sowie sie in ihrem tiefroten Kleid aus dem Bus gestiegen war und bis eine Glocke sie dann zu Tisch rief, hatte sie vergessen, den Plan mit der Tischordnung zu suchen.

Als sie endlich das große Plakat unten an der Steintreppe erreichte, stand ihr Entschluss fest.

Sie drehte sich um und wollte so diskret wie möglich wieder gehen. Doch das war schwer in dem Strom von Menschen, der die Treppe hochwogte. Ein ihr unbekannter Mann in den Sechzigern mit viel zu vielen Zähnen packte sie am Arm und erklärte mit lauter Stimme, er fühle sich geehrt, weil er an diesem Abend ihr Tischkavalier sein dürfe. Selma Falck höchstpersönlich, grinste er und zog sie, im wahrsten Sinne des Wortes und ziemlich schmerzhaft, zum Tisch nach oben in die Ecke bei der mit einem blauen Piktogramm gekennzeichneten Klotür. Er rückte ihren Stuhl zurecht, soweit das in der Enge möglich war, und Selma hatte keine andere Wahl mehr. In ihrem Rücken, auf der anderen Seite der Terrasse, hinter den fast zweihundert Gästen, die weiter oben am Tisch saßen als sie, sah sie die Trauzeugen, das Brautpaar und die Eltern der Frischvermählten. Selma war durch die neue Freundin ihres Exmannes ersetzt worden, die knapp fünf Jahre älter war als die Braut. Jesso hatte seine Rede bereits in der Pause zwischen Vorspeise und Fischgang gehalten. Selma tat der Rücken weh, weil sie sich die ganze Zeit umdrehen musste. Irgendwann gab sie auf und starrte das Schild an der Klotür an.

Nicht ein einziger Windhauch war hier oben zu spüren.

Der Sommer 2018 war der heißeste seit Menschengedenken.

Jedenfalls seit 1947, erklärte der älteste Mann am Tisch, und er beschrieb einen Nachkriegssommer, in dem die Fische gar gekocht aus dem Meer gezogen wurden. 2018 sei nichts im Vergleich zu 1947, meinte er und wischte sich die Stirn mit einem dermaßen durchnässten Taschentuch, dass es vom Schweiß so grau geworden war wie seine Haut.

Er gehörte zu den Glücklichen, die bereits im Februar zu dem Fest eingeladen worden waren.

Selma selbst hatte erst anderthalb Wochen zuvor eine SMS ihres angehenden Schwiegersohns erhalten.

Liebe Selma Falck. Wenn du zu unserer Hochzeit kommen möchtest, würde ich mich freuen. Anine ebenfalls, glaube ich. Im Grunde. Du gehörst unbedingt bei der Feier unseres großen Tages dazu. Alles Gute, Sjalg Petterson.

Sjalg hatte sich bei ihr gemeldet.

Von Anine hatte sie kein Wort gehört.

Die Gäste hatten Selma warm ihre Glückwünsche ausgesprochen. Zum offenkundigen Glück ihrer Tochter. Sie umarmten sie und applaudierten und bejubelten die schöne Trauung im Dom, den fantastisch gedeckten Tisch oben auf der Terrasse und nicht zuletzt das Wetter, diesen gesegneten ewig währenden Sonnenschein, der sich seit Anfang Mai über das Land ergoss.

Selma müsse so stolz sein, meinten alle, so unbeschreiblich glücklich.

Sie hatte gelächelt und sich durch mehr als zwei unerträgliche Stunden hindurchgeplaudert. Es war jetzt so heiß, dass dem Restaurant schon längst die Eiswürfel ausgegangen waren, und Selma musste lauwarme Traubenlimonade trinken.

Das war noch immer besser als fast körperwarmes Wasser.

Der Mann mit den vielen Zähnen hatte vom Nachrichtenstrom des letzten halben Jahres offenbar nicht viel mitbekommen. Schon bei der Vorspeise bemerkte Selma eine ungebetene Hand auf ihrem Oberschenkel. Sie schob sie energisch fort. Sekunden später war die Hand wieder da.

Selma wollte nicht mehr.

Sie erhob sich, klemmte sich ihre schmale Abendtasche unter den rechten Arm, lächelte vage vor sich hin und wollte gehen. Ein kurzer Schrei ließ sie herumfahren.

An den folgenden Tagen würde Selma diese Szene immer wieder vor sich sehen, Bild für Bild, langsam und präzise. Sjalg Petterson stand aufrecht da und hielt die Papiere mit der Rede an seine Braut in der Hand. Er ließ sein Manuskript fallen und griff sich an den Hals, an die Brust, lief rot an, dann blau, ehe er erbleichte und auf seinen Stuhl zurücksank. Er riss an seinem Hemdkragen, an der Fliege, er zerrte und kratzte, ehe sich sein Griff lockerte und beide Arme schlaff hinunterfielen. Der Bräutigam machte ein verdutztes Gesicht, sein Blick wurde leer, und dann kippte er langsam vornüber auf den Tisch.

Anine stieß noch einen Schrei aus, diesmal schärfer, sie rief nach einem Arzt, nach Sjalgs Spritze, nach dem Adrenalin, das ihn retten könnte, das vorhanden sein müsste, wie es das immer war. Irgendwo.

Der Kopf des Mannes knallte auf den Teller.

Nach einer Ehe, die zwei Stunden und neunundvierzig Minuten gedauert hatte, war Selma Falcks Tochter schon Witwe.

Und nun war Anine nicht mehr die Einzige, die schrie.

Der Auftrag

Seit der Hochzeit waren vier Tage vergangen, und Sjalg Pettersons tragischer Tod war bereits aufgeklärt worden. Aufgrund der vielen Zeugenaussagen und des vorläufigen Obduktionsberichtes lag der Schluss nahe, dass der sechsunddreißig Jahre alte Mann einem anaphylaktischen Schock erlegen war.

Er war extrem allergisch gegen Macadamianüsse gewesen.

»Wir haben das ja auch gewusst«, sagte Jesper Jørgensen. »Küche, Kühlraum, Service, Besteck, Terrasse … Alles wurde gesäubert, ehe wir eingerückt sind. Wirklich alles. Fast automatisch. Es ist auch nicht schwer, den Kontakt mit Macadamianüssen zu vermeiden. Ich habe in meiner ganzen Laufbahn kaum je eine verwendet.«

Der Mann machte eine verzweifelte Handbewegung.

Seine Karriere war noch nicht lang, das wusste Selma, doch sie war umso erfolgreicher verlaufen. Jesper Jørgensen war erst sechsundzwanzig, galt aber schon als einer der absolut besten Köche des Landes. Vor vier Jahren hatte er den Bocuse d’Or gewonnen, die inoffizielle Weltmeisterschaft der Kochkunst, als jüngster Preisträger aller Zeiten. Seither hatte er in der Dronning Eufemias gate das noble Restaurant Ellevilt, also Lebensfreude, aufgemacht, genau gegenüber dem berühmten Barcode-Gebäude, der Oper, dem schiefen neuen Munch-Museum und allem anderen, was langsam zu einem modernen Stadtteil wurde, mit dem Selma sich nur mit Mühe abfinden konnte. Schon nach elf Monaten wurde das Ellevilt mit einem Michelin-Stern belohnt. Im folgenden Jahr kam der zweite. Nur das weltberühmte Maaemo konnte es mit seinen drei Sternen noch übertreffen.

»Ich bereue das so wahnsinnig«, sagte der junge Mann verzweifelt. »Natürlich hätte ich mich nicht zum Kochen bereit erklären dürfen. Ich will doch in meiner eigenen Küche arbeiten, aber so viele Gäste können wir bei uns nicht unterbringen. Und Sjalg Petterson kann man nicht so leicht widerstehen, er hat verdammt gut bezahlt, und ich …«

Wieder hob er die Hände.

Jesper Jørgensen saß in einem Sessel in Selma Falcks Kombination aus Wohnung und Büro. Die Wohnung war nicht groß, zwei Zimmer, Küche und Bad, aber sie war praktisch und perfekt gelegen in einem Neubau in Sagene. Von dort aus hatte sie einen kurzen Weg in die Innenstadt und blieb trotzdem ziemlich anonym. An der Klingel stand einfach nur SF, und die Wohnungstür war überhaupt nicht beschriftet. In dem knappen halben Jahr, das sie nun schon hier wohnte, hatten die Leute aus der Umgebung sich aber dennoch mit ihr bekannt gemacht. Die ersten Wochen waren anstrengend gewesen, mit den Bitten um Autogramme und Selfies und mit neugierigen Fragen nach der eher bescheidenen Wohnung.

Aber das hatte sich gegeben.

Selma Falck war zufrieden mit ihrem Dasein.