Neue Bergmärchen aus Österreich

Unglaubliche Geschichten aus dem Salzburgerland

für Kinder von 9 – 109

Othmar Buchner

Meinem lieben Enkelkind Alfred
zu seinem achten Geburtstag gewidmet

Inhalt

Die Entstehungsgeschichte der Drei Brüder

Das Imbachhorn – eine Liebesgeschichte

Die Begegnung

Verloren

Versöhnung

Wiederfinden

Wie das Steinerne Meer entstanden ist

Die Ratte

Die Frau des Bürgermeisters

Das Zaubergras

Die Abrechnung

Der Aufschub

Auf dem Schönwieskopf

Der alte Mann

Das Leben der Schattenlosen

Nur ein Traum?

Der kleine Iki – ein Weihnachtsmärchen

Die Zwergenfamilie

Ikis Weg in die Einsamkeit

Errettung und Verwandlung

Der Langweidkogel

Der Ritter Langwied

Das Weib

Das Unglück

Der Kreuzzug

Reue und Wandlung

Erlösung

Die Untote

Der Hahneckkogel

Das fleißige Bienenvolk

Die Eindringlinge

Der Berg

Nachwort

Der Schwarzkopf

Die Prähominiden des späten Mesozoikums

Schwarzkopfs Kindheit

Die Jugendjahre

Aufstieg und Glück

Die Heilung

Tragik und Läuterung

Schwarzkopfs Ende

Nachwort

Die Entstehungsgeschichte der Drei Brüder

Vor mehr als tausend Jahren da herrschte ein böser Drache über das Gebiet rund um den Zeller See. Er war falsch und hässlich und schlich sich des Nachts in die Stallungen und Häuser der Menschen, um heimlich und mit großer Grausamkeit Kühe, Schafe und manchmal auch kleine Kinder zu fressen, oder sie mit in sein Reich zu nehmen. Wo sich dieses Reich befand, wusste aber niemand so genau und so machten sich eines Tages die drei Söhne einer wohlhabenden Bauernfamilie auf den Weg, um diesen Drachen zu finden. Sollte ihre Suche erfolgreich sein, so wollten sie ihn sogleich töten. Das würde, so dachten sie, nicht allzu schwer sein, denn das Untier pflegte tagsüber lange und tief zu schlafen.

Die drei Brüder waren zwischen zehn und vierzehn Jahre alt. Ihre Namen waren Schafelkopf, Breitkopf und Stolzkopf. Während Schafelkopf der größte unter ihnen war, denn er hatte sehr lange Beine, besaß Breitkopf nur kurze Beine, dafür aber einen breiten Kopf mit einem ebenso breiten Mund und einer breiten Zunge, mit der er oft andere Kinder verspottete, besonders dann, wenn diese aus einer armen Familie stammten. Stolzkopf wiederum war sehr eingebildet und er trug seinen Kopf sehr hoch und etwas nach hinten geneigt, sodass es ihm nicht selten in seine spitze Nase hineinregnete. Dann musste er oft heftig niesen, was ihn sehr ärgerte, denn um zu niesen, muss man seinen Kopf nach vorne neigen, was er aber so gar nicht mochte.

Nachdem sich die drei Söhne von ihren Eltern verabschiedet hatten, wanderten sie zur Salzach, um dort, wo sich heute die Ortschaft Bruck befindet, in den dunklen Wald zu gehen, der damals noch das Ufer des Flusses säumte. Nach wenigen aber sehr mühsamen Stunden führte sie der steile Pfad an die obere Waldgrenze. Dort rasteten sie kurz und wanderten anschließend auf sanften Almwiesen weiter. Sie freuten sich über den wunderschönen Ausblick auf all die umliegenden Berge und auf den Zeller See, der nun wie ein stilles, dunkles Auge weit unter ihnen lag.

Während sie so dahinwanderten, kamen sie aber an einer alten Frau vorbei, die sich mit ihrer Katze am Wegesrand auf einem großen Stein niedergelassen hatte. Sie besaß kein richtiges Gewand und war nur in alte Tücher gehüllt, die wie Fetzen von ihrem Körper hingen. Sie schien sehr arm zu sein. Die drei Brüder wollten schweigend an ihr vorübergehen, denn waren sie es nicht gewohnt, mit armen Leuten oder gar mit Bettlern zu sprechen. Immerhin entstammten sie einer reichen Familie und zu Hause gingen vorwiegend wohlhabende Leute ein und aus.

Die alte Frau sprach die Kinder jedoch an und bat sie freundlich und händeringend um ein wenig Brot und Wasser, denn war sie hungrig und durstig und konnte nicht mehr weiter gehen. Auch war sie bereits sehr müde und schwach, denn ihre Kräfte hatten sie verlassen. Schafelkopf antwortete frech: "Ach, du alte Frau, wenn du hungrig bist, so iss doch ein paar Graswurzeln. Gewöhne dich daran, denn du bist schon alt und hässlich und wirst ohnehin bald sterben und begraben werden. Deine einzige Nahrung werden dann Graswurzeln und Regenwürmer sein. Wage es nicht, mich noch einmal um etwas zu bitten, denn sonst trete ich dich mit meinen langen Beinen die steile Wiese hinab!"

Schafelkopf ging, nachdem er diese harten Worte ausgesprochen hatte, weiter. Nun kam Breitkopf an der alten Frau vorbei. Auch er war frech und rollte seine breite Zunge hervor, um die Frau zu verspotten: "Geh weg, du altes Ungeheuer. So faltig wie du aussiehst, würde dich nicht einmal der Drache fressen, auf dessen Suche wir sind. Vielleicht würde er dich aber in seinem Ofen verheizen, damit er es im Winter nicht so kalt hat? Das wäre das einzige, zu dem du noch taugst. Haha!"

Breitkopf hüpfte spottend weiter. Jetzt musste nur noch Stolzkopf an der Frau vorübergehen. Sie hatte noch immer ihre alten und rissigen Hände gefaltet und bat nun den letzten der drei Brüder verzweifelt um ein wenig Nahrung. Es nützte aber nichts, denn auch Stolzkopf zog an ihr vorüber, ohne sie auch nur anzusehen oder auf ihre Bitten zu antworten. Er ignorierte sie einfach, spuckte in ihre Richtung und ging schweigend weiter, den Kopf und die großen Nasenlöcher stolz gegen den Himmel gereckt.

Es verging noch eine kurze Stunde, während der die Brüder immer höher und höher wanderten. Als sie die alte Frau schon längst vergessen hatten, ging aber plötzlich und wie von einer Geisterhand bewegt die Sonne unter, obwohl es erst knapp nach Mittag war. Die Brüder wurden unruhig, denn sie konnten sich den viel zu früh einsetzenden Sonnenuntergang nicht erklären!

Eine dunkelrote und gespenstische Dämmerung hielt nun Einzug. Der warme Wind, der sie bis hierher begleitet hatte, verstummte mit einem Schlag. Auch die Vögel verstummten allesamt und es wurde immer noch ruhiger, bis sich schließlich eine unheimliche und bedrohlich wirkende Totenstille ausgebreitet hatte, die sich wie eine kalte Hand um den Hals der Brüder legte. Dann begann plötzlich ein eisiger Wind zu wehen und zu einem mächtigen Sturm anzuwachsen. Es blitzte und donnerte und der Sturm rupfte mit seiner unsanften Hand an den Haaren der Kinder. Er war so stark, dass er den Brüdern schließlich die Kleider vom Leib riss und sie nun splitternackt und in völliger Verzweiflung wieder ins Tal hinunterliefen – nach Hause zu ihrem Vater und zu ihrer Mutter!

Nach wenigen Metern aber bemerkten sie, dass ihnen das Laufen immer schwerer fiel und sie ihre Beine nicht mehr bewegen konnten. Was war geschehen? Waren die Beine eingefroren? Nein, aber sie hatten sich zu Stein verwandelt! Erschreckt mussten die Brüder feststellen, dass nicht nur ihre Beine, sondern nun auch ihr Bauch und ihre Hände allmählich immer schwerer wurden, bis auch diese sich zu Stein verwandelt hatten. Furchtbar. Mit letzter Kraft blickten sie sich noch einmal an, bis auch ihre Gesichter und Köpfe sich versteinert hatten.

Nun erst legte sich der Sturm wieder und die erneut aufgegangene Sonne blinzelte vorsichtig zwischen den sich auflösenden Gewitterwolken hindurch. Das satte Grün der Almwiesen leuchtete im sanften Abendlicht. Dort, wo zuvor viele bunte Blumen geblüht hatten, erhoben sich nun drei riesige Berggipfel aus schroffem Felsen. Wenn man genau hinsah, so konnte man in den steil abfallenden Felswänden noch die vor Angst erstarrten Gesichtszüge der drei Brüder erkennen. Sie sollten nie wieder zum Leben erwachen.

Da sie ein Herz aus Stein besessen hatten und so mitleidlos an der alten Frau vorübergezogen waren, waren sie nun selbst und als Ganzes zu Stein und Fels verwandelt worden. Denn die alte Frau hatte sie verflucht. Dabei war sie gar keine böse Hexe und hätte die Brüder reichlich mit Glück und Segen belohnt, wenn diese nur nicht so hartherzig gewesen wären.

So aber haben sie ihre gerechte Strafe erhalten und müssen nun schon seit mehr als tausend Jahren versteinert auf den Zeller See hinabblicken, der noch immer wie ein dunkles Auge vor ihnen liegt und schweigt.