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Vorwort

 

Ich weiß nicht, ob es üblich ist, bei einem Gastroman ein Vorwort zu verfassen, aber in diesem Fall muss ich einfach erklären, wie es dazu kam.

Denn auch wenn mein Name heute in erster Linie mit Fantasy oder Vampiren und anderen dunklen Geschöpfen verbunden wird, war ich immer ein Freund der Science und Space Fiction. Und das hat sich letztlich in »Collector« und in den »Justifiers« niedergeschlagen.

Angefangen hat alles mit »Captain Future«, und wer 1971 sowie in den Jahren darum zur Welt kam, kennt ihn: den Captain und seine Truppe aus Otto, Grag, Professor Simon und Joan, die alle möglichen Fälle und Verschwörungen im All aufdecken und Gefahren abwenden müssen.

Optisch und akustisch prägend – den Soundtrack habe ich natürlich sehr schnell in meine Sammlung aufgenommen.

Nach der Phase des Lesen-gelernt-Habens lockte das Weltall wieder recht schnell.

»Mark Brandis« gehörte zu meinen Favoriten, und lange Zeit wusste ich nicht, dass es sich um eine deutsche Serie handelt; die Bücher um »Raumschiff Monitor« fesselten mich ebenso.

Dann gab es »Die Dreibeinigen Herrscher« zuerst im TV (eine englische Serie, aber wem schreibe ich das hier?), danach in unserer kleinen Dorfbücherei, und ich fand das Szenario extrem gruselig. Space und Science Fiction, das lernte ich, mussten demnach nicht zwangsläufig etwas mit Raumfahrt zu tun haben.

Auch in den Jahren danach blieb ich im All, mal in der Sparte Unterhaltung, mal in der philosophischen Ecke: Asimov, Dick, Lem, Gibson und weitere; ich bin ein Fan von »Star Trek« (»The Next Generation« und »DS9«), und noch besser ist die unglaublich gute »Babylon 5«-Serie. Oh, nicht zu vergessen »Kampfstern Galactica«, alt und neu.

Und ja, ich finde, dass Teil 5 der »Star Wars«-Serie, also »Das Imperium schlägt zurück«, der beste ist.

 

Perry?

Als das Gymnasium rief und ich die dortige Bibliothek eroberte, sah ich sie: dick, vielseitig, silbern, merkwürdig wabernde Cover mit einer Art 3-D-Effekt: die PERRY RHODAN-Sammelbände!

Begegnet war mir Perry bis dahin nur als Heftromane, die ich nie angefasst hatte, weil ich es nicht mag, mittendrin in eine Serie einzusteigen.

Die Sammelbände änderten das, und ich las sie.

Sehr, sehr viele davon.

 

Nach »Ulldart«, den »Zwergen«, »Shadowrun«, Drachen in den 20er-Jahren und weiteren Büchern versuchte Klaus N. Frick mehrmals, mich als Gastautor zu gewinnen, und immer wagte ich mich nicht an den Namen PERRY RHODAN heran.

Weil es eine Institution ist.

Weil es die älteste kontinuierliche SF-Serie der Welt ist.

Weil ich die Erwartungen kenne, die damit verbunden sind.

Aber Klaus gab nicht auf, und in mir erwachte parallel der Ehrgeiz, es zu schaffen: einen kleinen Anteil zu DER Serie beizusteuern, deren Sammelbände mich so lange und gut unterhalten hatten. Und die Erfahrung zu machen, zum ersten Mal in meinem Leben nach einem vorgegebenen Exposé zu schreiben, das mir zwar gewisse Freiheiten lässt, aber das ich dennoch befolgen muss.

Wenn man so möchte, war es eine doppelte Herausforderung an den Autor.

Und Herausforderungen dieser Art sind genau mein Ding.

Entstanden ist ein Heftroman, der beinahe als Kammerspiel zu betrachten ist oder eine klassische Showdown-Story bietet. Reduzierte Technik, fast archaisch kommt das Setting daher.

Nun hoffe ich, dass das Lesen so viel Spaß macht, wie mir das Schreiben bereitete!

 

Markus Heitz, Mai 2011

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Nr. 2615

 

Todesjagd auf Rhodan

 

Der Protektor verfolgt zwei Flüchtlinge – das Finale auf der Giftgaswelt

 

Markus Heitz

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Für die Menschen auf der Erde hat sich schlagartig das Leben verändert: Das Solsystem wurde von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Miniatur-Universum verbannt.

Seltsame Außerirdische, die sogenannten Auguren, beeinflussen die Kinder und Jugendlichen, um die Menschheit »neu zu formatieren«. Gleichzeitig wird offensichtlich die Sonne manipuliert.

Davon weiß Perry Rhodan selbst nichts. Der unsterbliche Terraner bekam die anfänglichen Probleme im Solsystem zwar noch mit, aber dann verschlug es ihn in die Doppelgalaxis Chanda. Mit ihm kamen die Besatzung und die Passagiere der BASIS, des uralten Riesenraumschiffes.

In einer von Kriegen heimgesuchten Sterneninsel muss Rhodan nun Informationen sammeln, um den Rückweg zur Milchstraße zu finden. Er gerät in die Fänge der Xylthen, die als Soldaten der geheimnisvollen Macht QIN SHI dienen. Ihr Anführer Kaowen bläst nun zur TODESJAGD AUF RHODAN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner flieht um sein Leben und landet auf einer Giftgaswelt.

Protektor Kaowen – Der Xylthe lässt seine Feinde und Pläne unerbittlich verfolgen.

Quistus – Der Navigator aus dem Volk der Iothonen darf endlich wieder frische Luft atmen.

1.

 

Perry Rhodan sah angespannt auf die Kontrollkonsole des gestohlenen Beiboots, deren beleuchtete Symbole eines nach dem anderen erloschen. Was soll das? Wieso verweigerst du ausgerechnet jetzt deinen Dienst?

Quistus befand sich irgendwo hinten und überließ es ihm, an vorderster Technikfront gegen ihren Absturz zu kämpfen.

Rhodan drückte Knöpfe, betätigte Schalter in schneller Reihenfolge, doch das Dingi der RADONJU reagierte auf keine seiner Anweisungen; die Monitoren flackerten und schalteten sich nacheinander ab. Das Letzte, was er auf einem der Schirme sah, war ein gewaltiger grauer Planet, auf den das Beiboot unfreiwillig zuhielt. Die Gravitation zog es an, es raste antriebslos und in einem sehr steilen Winkel in die Atmosphäre.

In welcher Ecke des Alls befinden wir uns? Auch wenn es ihn reizte, die Kräfte des Anzugs der Universen zu nutzen, unterließ er es: aus Vorsicht und um ihre Lage nicht unnötig zu verschlimmern. Er wusste nicht, worauf er sich mit dem unbekannten Artefakt einließ.

Zudem musste er sich auf seine Handgriffe konzentrieren. Er hatte keine Zeit, die Möglichkeiten des Anzugs zu sondieren. »Quistus, kannst du mir helfen?«, rief er. »Du kennst dich besser mit der Technologie aus, hoffe ich.«

Rhodan bemerkte, dass sich Knöpfe und Regler scheinbar von selbst bewegten. Das Werk des Iothonen, der aus seiner Umweltkapsel heraus mit seinen telekinetischen Kräften auf die Armaturen einwirkte – anscheinend ebenso vergebens wie der Terraner.

»Es tut mir leid! Ich kann kaum etwas bemerken. Wir sind schon lange auf Unterlichtgeschwindigkeit gefallen.« Quistus wirkte verängstigt und gehetzt. »Aktivieren lassen sich die Triebwerke auch nicht mehr. Diese Welt scheint uns ...«

Das Dingi erhielt einen Schlag, der es herumwirbelte. Metall ächzte, und plötzlich war ein leises Rauschen zu hören wie von geborstenen Sauerstoffleitungen. Das fahle Licht im Innern sprang um auf Dunkelblau, und ein aggressives Summen ertönte.

Perry Rhodan war froh, seinen geschlossenen SERUN zu tragen, gepanzert und mit eigener Luftversorgung ausgestattet. Das nahm ihm zumindest die Furcht zu ersticken.

»Ein Warnsignal«, kommentierte Quistus von hinten, seine Stimme wurde durch die Boxen in der Umweltkapsel zu ihm übertragen. »Wir sind viel zu schnell!«

»Mit Sicherheit.« Rhodan hielt sich auf den Beinen, stemmte sich gegen die Zentrifugalkräfte, die weiter zunahmen. Zwar sollte das Beiboot über künstliche Schwerkraft und Andruckabsorber verfügen, doch die Technik versagte mehr und mehr. Lange würde er die Belastung nicht mehr aushalten.

Welche Kräfte der Planet auch immer besaß, sie wurden gerade Opfer dieser Künste: Schiff und Besatzung. Rhodan hoffte, dass sein SERUN und Quistus' Kapsel nicht das gleiche Schicksal ereilen würden wie die Bordtechnik. Was brachte die beste Panzerung, wenn die Luft darin verbraucht war? Sein Zellaktivator half in einem solchen Fall auch nicht.

Die Schwingungen nahmen zu. Aus dem vereinzelten Zischen wurde ein Chor, begleitet von elektrischen Entladungen.

So hatte die Flucht von der RADONJU nicht enden sollen. Aber schon seit dem Tod der Iothonin waren die Dinge nicht mehr so gelaufen, wie er es sich gewünscht hatte.

Und dieser negative Verlauf hielt an: Weder konnte er Vorbereitungen für eine Notlandung noch für einen kontrollierten Aufschlag treffen. Die Prallfeldgeneratoren unter dem Rumpf sowie die Antigraveinrichtungen zeigten sich arbeitsunwillig. Das Schiff wurde zu einem Stein, der auf die Oberfläche rauschte. Ein künstlicher Meteorit. Und was mit Meteoriten geschah, die in eine Atmosphäre donnerten, wusste Rhodan nur allzu genau.

»Und glaub mir, Navigator, ich würde liebend gern etwas dagegen unternehmen, wenn ich ...«

Ein zweiter Schlag traf das Beiboot, und dieses Mal holte es Rhodan von den Beinen. Die Absorber hatten kapituliert.

Das Dingi rotierte wie ein schweres, fallendes Blatt, rollte dabei um die eigene Achse und kreischte. So kam es Rhodan zumindest vor.

Er wurde durch die Kabine geschleudert und prallte gegen Quistus' eiförmige Umweltkapsel, von da gegen die Wand, und schließlich verlor er die Orientierung.

Die Geräusche machten unmissverständlich klar, dass die Außenhaut unter dem Atmosphäreneintritt zu leiden hatte. Der Kunstmeteorit musste die Prüfung ertragen, die ihm der Planet stellte. Dem Rumpeln nach rissen gerade ganze Stücke des Gebildes ab und veränderten die Flugeigenschaften weiter negativ.

»Gib acht!« Rhodan hatte eine Halterung zu fassen bekommen, und sein Herumwirbeln in der Kanzel endete.

Er sah Quistus, der ihm gegenüber in seiner Kapsel durchgeschüttelt wurde. Auch er hatte größte Probleme, die Bewegungen seines schwebenden Zuhauses halbwegs zu beherrschen. Die ausgefallenen Dämpfer bedeuteten eine noch größere Herausforderung für das Kunstgebilde, in dem er steckte.

Er sah dem Iothonen die Angst nicht unmittelbar an, aber seine Augen bewegten sich hektisch, schienen zu zittern; die vier langen Tentakelarme stemmten sich gegen das Glas, als wollte er es von innen vor Zerstörung bewahren. Denn das würde das Ende des Wasserstoffatmers bedeuten.

»Ich ... Was geht hier vor?«, kam seine Stimme verunsichert aus dem Lautsprecher. »Nicht nur die Technik versagt! Ich fühle, dass ...«

Schließlich erlosch auch das blaue Licht, und die Alarmsirene verstummte mit einem letzten, erbärmlichen Jammern.

Dann wurde es still, abgesehen vom leisen Fauchen geborstener Leitungen und dem Rauschen der Außenluft, die ins Innere des stark beschädigten Beiboots gelangte. Elektrische Entladungen schufen einen Stroboskopeffekt.

Ein merkwürdiger, schwer beschreibbarer Moment der Klarheit, des Innehaltens inmitten des Chaos und der Aufregung.

Rhodan und Quistus blickten sich an. Ratlos. Unwissend.

In diesem Moment meldete der SERUN, dass eine immanente Störung der Anzugfunktionen vorlag!

Er hatte vorhin noch kurz daran gedacht, wie sicher er sich in seiner Rüstung fühlte und vor was er sich fürchtete. Nun wollte er nicht glauben, was er sah, denn seine schlimmste Befürchtung wurde vom Planeten in Realität verwandelt: Die wichtigsten Systeme fuhren runter, keine Orter, keine Analysatoren ...

Meine Atemluft!

Noch bevor Rhodan einen Check des SERUNS initiieren konnte, schien ein Raubtier das Dingi zu packen und es wie seine Beute zu Tode schütteln und quetschen zu wollen. Die Bordwände vibrierten, die Halterung, an die sich Rhodan geklammert hatte, riss mit einem Kling!, und er knallte bei der nächsten Drehung gegen die Konsole.

Sein Einschlag ließ einen Teil der Symbole aufleuchten.

Das ist die Gelegenheit! Geistesgegenwärtig drückte er zwei Tasten, von denen er glaubte, sie könnten etwas mit dem Landevorgang zu tun haben.

Das, was er sich erhofft hatte, geschah nicht: Statt anspringender Prallfeldgeneratoren oder Antigraveinheiten jaulten die kleinen Manövertriebwerke des Beiboots auf, als würde es ihnen Schmerzen bereiten, in Gang gesetzt zu werden.

Der nachfolgende ungemilderte Andruck lag bei geschätzten fünf, sechs Gravos, der Rhodan den Atem raubte und ihn leuchtende Kreise vor den Augen sehen ließ.

Dann schlug das Dingi ein ...

 

*

 

Kaowen jagte in seiner Privatjacht, der ONTAION, auf einen gewaltigen grauen Gasriesen zu und dem vor ihm fliegenden Beiboot der Flüchtenden hinterher. Ohne zu zögern, begab er sich in den Landeanflug. Weder achtete er auf die zahlreichen aufleuchtenden Warnungen der Anzeigen, noch kümmerte er sich um das leichte Rütteln, das durch das besonders verstärkte Schiff rann.

Alles verlief so gut weiter, wie es vor einigen Stunden begonnen hatte, als ihn die Nachricht von der Flucht der Gefangenen in seiner Kabine auf der RADONJU erreicht hatte ...

 

*

 

Langsam fuhr der feine Pinsel mit der durchsichtigen, gelartigen Salbe über die Narbe, vom rechten Mundwinkel hoch zur Wange. Die Stelle hob sich von der weißen Haut durch ihre Erhebung und ihre dunklere Farbe ab, blaugrüne Adern schimmerten andeutungsweise in dem grellen Licht unter der Epidermis durch.

Kaowen senkte den Arm, der den Pinsel geführt hatte, und betrachtete die Narbe, als könnte er mit Blick aus seinen dunklen Augen dafür sorgen, dass sie verschwand.

Aber das tat sie nicht, also versuchte er es auf anderem Weg.

Das Gel war das neueste von gefühlten einhundert. Er stand im Bad seiner Unterkunft, pflegte sich, als gäbe es nichts Wichtigeres als die Behandlung seiner alten Verletzung.

Eine Meldung ging ein, die auf den Spiegel projiziert wurde und die gleichzeitig aus den Lautsprechern drang. An Bord gab es keine Privatsphäre.

»Protektor, die Gefangenen sind uns tatsächlich entkommen«, sagte eine bekannte Stimme, die einem der Wachoffiziere gehörte.

»Gibt es Neuigkeiten über den Verbleib?«

»Nein, Protektor. Es sind zu viele Spuren zu verfolgen, aber unsere Aufklärer geben ihr Bestes. Wir wissen außerdem noch nicht, wie es den Gefangenen gelungen ist, sämtliche Beiboote zum Starten zu bringen.«

»Ja. Das war äußerst gerissen von ihnen.«

Kaowen musterte sich im Spiegel, das bleiche Gesicht ohne jegliche Haare mit der flachen, breiten Nase, das nicht so wütend wirkte, wie man in dieser Situation vermutet hätte.

Dann lächelte er und richtete sich zu seiner vollen Größe von etwas über zwei Metern auf. Seine Gestalt war trainiert, muskulös, wie es sich für den Anführer der QIN SHI-Garde gehörte. Und damit bestens vorbereitet auf das, was kommen sollte. Ein Bild von einem Xylthen.

»Wir haben sie unterschätzt, deswegen gelang ihnen die Flucht.«

»Ja, Protektor.«

»Ich nehme mich dabei ausdrücklich nicht aus der Kritik und werde mich an der Suche und an der Jagd beteiligen.« Während er sprach, verließ er das Bad und glitt in seine einteilige, eng anliegende tiefschwarze Uniform; seine Haut bildete einen harten Kontrast dazu.

»Protektor, ich verstehe nicht ...«

»Da ich die Ressourcen der RADONJU nicht schmälern möchte, werde ich meine Privatjacht nutzen. Die ONTAION wird mit einem niedlichen Beiboot fertig werden«, erklärte er ungerührt. »Wir dürfen Perry Rhodan und den Iothonen nicht entwischen lassen. Hier geht es auch um mein Versäumnis.«

Er zog die Kampfstiefel an, warf sich seine Jacke über und sah auf die gepackte Tasche, in der sich alles befand, was er benötigte.

»Ich habe verstanden, Protektor«, kam es aus dem Lautsprecher. »Die Startfreigabe kann innerhalb weniger Augenblicke erfolgen. Das Deck ist gleich geräumt.«

»Ausgezeichnet. Dann erbitte ich Freigabe. Bis zu meiner Rückkehr hat der oberste Offizier das Kommando über die RADONJU.« Kaowen nahm die Tasche, öffnete sie und prüfte den Inhalt zum dritten Mal: speziell isolierte Energiepacks, ein einfaches Schwert, ein kleines, unscheinbares Kästchen sowie zwei Dolche. An dem Ort, an den er wollte, war ausgefeilte Technologie eher hinderlich als hilfreich. »Halte mich auf dem Laufenden, was unsere Aufklärer zu vermelden haben, damit ich nicht sinnlos durchs All fliege.«

»Ja, Protektor.«

»Wünscht mir gute Jagd.« Er beendete die Unterhaltung.

Sein Blick fiel auf den Talisman, den er beinahe vergessen hatte. Das schwarz-rötliche Medaillon lag neben der Schwerthalterung, und es gehörte auf eine bestimmte Weise zu der Waffe. Der Hersteller des Schwertes hatte die halbe Metallscheibe aus der gleichen Legierung erschaffen und Kaowen gesagt, er solle sie stets tragen. Damit spüre das Schwert immer, wer sein rechtmäßiger Besitzer sei, und würde sich nicht gegen seinen Meister wenden.

Ob es stimmt? Kaowen streckte die Hand danach aus und ergriff es, legte es mit der dünnen Kette um den Hals, ließ es unter die Kleidung auf die Haut gleiten. Es fühlte sich warm an, und es schmiegte sich gegen ihn, als wollte es sachte in ihn eindringen und verschmelzen. Dann tu deine Pflicht.

Kaowen nahm die Tasche auf und ging durch die Korridore zum Hangar. Er würde die beiden Entflohenen zur Strecke bringen. Seine Beute. Niemand sonst.

Die ONTAION, sein eigenes Schiff, in das er durch das gepanzerte Schott hineinmarschierte, war ein modifiziertes Dingi, das sich nach außen kaum von einem Beiboot der RADONJU unterschied.

Wäre es näher untersucht worden, hätte man bemerken können, dass es erstaunlich wenig Bewaffnung besaß, aber dafür sämtliche wichtigen elektronischen und elektrischen Leitungen sowie Geräte mit dreifacher Isolierung umgeben waren. Ein Ionensturm würde sich schwertun, die ONTAION außer Gefecht zu setzen, selbst wenn sämtliche Schirme ausfielen.

Das war die Grundvoraussetzung für das, was Kaowen beabsichtigte.

Er verstaute die Tasche im Spind des Laderaums, nahm vorher jedoch einen der Dolche heraus und legte ihn an. Als Krieger mochte er das Gefühl nicht, keine Waffe zu tragen, selbst wenn er sie nicht benötigte. Einen Strahler brauchte er nicht. Wieder zu viel Technik.

Danach begab er sich ins Cockpit, fuhr die Systeme hoch und ließ sich auf einem Display einblenden, welcher Aufklärer welches Beiboot verfolgte. Seine Blicke schweiften über die Anzeigen.

»Startfreigabe, Protektor«, meldete der Flugoffizier.

»Danke! Und jetzt sag: Stopp ...«

»Protektor?«

»Sag es einfach. Ich suche mir willkürlich raus, welche Spur ich aufnehme. Ich gehe im Geist die Bezeichnungen der ...«

»Stopp«, kam es verwundert aus dem Funk.

»Die Wahl ist getroffen: Beiboot 17. Sag Aufklärer 23/7, dass ich seine Aufgabe übernehme«, funkte er. »Er kann umkehren und einen seiner Kameraden unterstützen.«

»23/7 meldete, dass er Beiboot 17 fast eingeholt hatte. In dem Bereich gibt es starke Störfelder, ausgelöst durch Sonnenprotuberanzen. Es könnte sein, dass wir die Spur des Dingis verlieren, wenn er umkehrt und du die Spur noch nicht aufgenommen hast. Unsere Langstreckenorter versagen in diesem Quadranten.«

Kaowen zögerte, dann grinste er. Die unterschwellige, gut gemeinte Warnung seines Untergebenen ignorierte er. »Er soll dennoch umkehren. Es wird seinen Grund haben, warum die Wahl auf ihn fiel. Nur so ein Gefühl. Ich denke, dass ich mich darauf verlassen kann. Sonst wäre ich nicht Anführer der QIN SHI-Garde. Richtig?«

Er startete den Antrieb, und die ONTAION schoss mit Höchstgeschwindigkeit aus dem Leib der RADONJU.

»Sicher, Protektor.«

Kaowen prüfte den Kurs und setzte sich auf die gleiche Route, die schon Aufklärer 23/7 und Beiboot 17 genommen hatten. »Ja, auf das Gefühl kann ich mich zu einhundert Prozent verlassen«, murmelte er gut gelaunt.

Er hatte nicht einmal Anstalten gemacht, an eine Zahl zu denken. Seine Entscheidung für Nummer 17 war lange vorher gefallen.

Sterne, Nebel und Planeten zogen um ihn in unglaublicher Entfernung vorbei.