cover.jpg

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

 

Nr. 2048

 

Insel des Friedens

 

Alashan wird zur Keimzelle – und eine Galaxis entwickelt sich

 

von Rainer Castor

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

img2.jpg

 

Seit die SOL ihre große Reise durch den Mega-Dom in DaGlausch angetreten hat und 18 Millionen Jahre in der Vergangenheit landete, wurde ihre Besatzung zu Zeugen ungeheuerlicher kosmischer Vorgänge: In Segafrendo erlebten sie den grauenvollen Krieg der mörderischen Mundänen gegen die friedliche Zivilisation der Galaktischen Krone. Und im INSHARAM, einem Kosmos, der gewissermaßen »zwischen« den Universen liegt, erlebten die Menschen an Bord des Hantelraumschiffes mit, wie die Superintelligenz ES entstand.

Damit haben die »Einsamen der Zeit«, an ihrer Spitze Atlan, der alte Arkonide, im Prinzip ihre wichtigsten Aufgaben erfüllt, die ihnen ES, der Mentor der Menschheit, vor der Reise gestellt hatte. Die Menschheit der Zukunft ist gerettet, die Superintelligenz entstanden, der Weg zurück theoretisch frei.

Die SOL-Besatzung schafft es sogar, aus dem INSHARAM in die Galaxis Segafrendo zu gelangen, die NACHT von Segafrendo zu erreichen und von dort aus durch den Mega-Dom zu gehen. Das einzige Ziel von Atlan und seinen Begleitern ist die Rückkehr in ihre reale Gegenwart und in den PULS von DaGlausch.

In der realen Gegenwart des Dezembers 1303 Neuer Galaktischer Zeitrechnung stehen die Menschen in Alashan, der kleinen terranischen Kolonie dieser Galaxis, im Zentrum einer großen Entwicklung. Die Doppelgalaxis wird zur INSEL DES FRIEDENS …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Benjameen von Jacinta – Der junge Arkonide tritt eine Reise in den PULS von DaGlausch an.

Tess Qumisha – Die Monochrom-Mutantin erfährt ihr wahrscheinliches Schicksal.

Lotho Keraete – Der Bote von ES enthüllt die lange Geschichte der Superintelligenz.

Alaska Saedelaere – Der Pilot des Virtuellen Schiffes KYTOMA strebt ein anderes Leben an.

Stendal Navajo – Der Bürgermeister von Alashan kritisiert die Thoregon-Agenda.

Geburt und Tod sind Eckpfeiler der Natur. Entstehen und Vergehen gehören untrennbar zu den natürlichen Prozessen des Belebten wie Unbelebten.

Sogar Sterne und Galaxien folgen diesem Gesetz, beginnen beim kosmischen Gas und Staub und enden auch wieder darin. Anfang und Ende bestimmen das Kleinste wie das Größte.

Sich diesem Gesetz zu widersetzen mag irrational erscheinen, der Traum von Unsterblichkeit angesichts der Größenordnungen gar als Hybris. Zu gewaltig mutet die Schöpfung an, und nur im steten Wandel, dem Pendeln zwischen den Extremen offenbart sich das eigentliche Werden.

Geburt und Tod des einzelnen, eines Volkes, gar einer ganzen Sterneninsel – der Unterschied ist letztlich nur ein quantitativer, kein qualitativer.

Und doch: Wenn alles Leben in einer ganzen Galaxis bedroht ist, wenn Zehntausende Kesselbeben auf das finale Superbeben zusteuern, der totale Untergang nur eine Frage der Zeit ist, dieses umfassende Ende jedoch quasi im letzten Augenblick abgewendet wird – dann darf wohl zu Recht von einer Neuen Zeit gesprochen werden.

DaGlausch als Ganzes stand vor der Vernichtung. Unendliches Leid und Tod kamen über ungezählte Lebewesen. Für uns, die wir der Katastrophe ins Auge geblickt und überlebt haben, ist diese Neue Zeit die Chance, wie sie wohl nur einmal in Äonen geboten wird.

Tief im Inneren hat das zweifellos jedes Individuum erkannt: Wir können und müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, wir können und müssen es besser machen – und wir werden es auch! DaGlausch wird zu einer Insel des Friedens werden!

Namen und Begriffe verbinden sich mit der Neuen Zeit: Das Konstituierende Jahr ist beendet, im Zeichen von Thoregon sind sechs Galaxien verbunden, im Kessel schlägt der PULS, das Abkommen von DaGlausch trat in Kraft.

Und als rettende Insel bot Alashan Millionen in den Tagen der höchsten Not Sicherheit und Zuflucht. Von Alashan geht auch der Neubeginn aus, Alashan und die hier Geretteten sind die Keimzelle.

Nutzen wir gemeinsam die Chance, die uns gegeben wurde …

Aus: Manuale der Neuen Zeit – Direktor Zehn, Eismer Störmengord (Juni 1291 NGZ, das Jahr 1 der Neuen Zeit)

 

 

1.

18. Dezember 1303 NGZ

 

Ein kühler Windstoß brachte den süßlich-schweren Thorrimer-Sekretduft heran. In der Bö flatterten unsere langen Mäntel.

Mein Blickwinkel war zu dem eines Außenstehenden geworden, im bewusst herbeigeführten und kontrollierten Para-Traum schwebte ich über mir und meiner Lebensgefährtin. Unsere Gesichter waren in feuriges Licht getaucht, Tess' Augen zusammengekniffen, meine geschlossen.

Dennoch sah ich, dass Pastelllicht die verwinkelte, von ineinander geschachtelten Gebäuden, Dächern, Kuppeln und Türmchen geprägte Ansiedlung am Äquator Thorrims übergoss.

Tiefe Schatten erfüllten die Gassen, verwandelten sie in bodenlose schmale Schluchten. Ein Heer Glühwürmchen schien sich darin niedergelassen zu haben – nur nach und nach erloschen die kleinen, laternenartigen Leuchtkörper.

Nachts verbreiteten sie ein gelbliches, heimeliges Licht und verliehen der insgesamt 23 Millionen Bewohner zählenden Hauptstadt der Thorrimer nach terranischen Begriffen ein zutiefst romantisches Flair.

Hinter der gewaltigen Silhouette kletterte als blutrot flammender Ball Thorrtimer in den aufhellenden Himmel. Noch glitzerten am nachtblauen Zenit DaGlauschs Eastside-Sterne, während sich vor der glühenden Kulisse am Horizont Zortengaams düsterer Schattenriss erhob.

Die Ränder zerfaserter Wolken erstrahlten wie in flüssiges Kupfer getaucht. Zwischen ihnen und der fast hundert Kilometer durchmessenden Stadt schwirrten insektengleich unzählige Gleiter – schwarze Pünktchen mit regelmäßig blinkenden Positionslichtern.

Irgendwo schrie klagend ein Mauster, dem andere der braunpelzigen Nutztiere antworteten. Auf den blassgrünen Blättern von Klaaf-Hecken und denen der kugelkronigen Leva-Bäume glitzerte Tau. Vereinzelt wogten in der Ferne kniehohe Dunstschwaden über die Steppe, als handele es sich um abgerissene Bärte.

Ich erkannte, dass Tess' Hand nach meiner griff, dass sich unsere Finger verschränkten. Zischend saugte sie die frische Morgenluft in die Lungen, verstärkte unwillkürlich den Druck, der augenblicklich erwidert wurde. Mein Körper reagierte unbewusst, während mein Ich ins Außerhalb hinausgeglitten war; transpersonal – über die Person hinausgehend. Traumtänzer und Para-Träumer wurde ich auf Grund meiner Fähigkeit genannt.

Längst war diese paranormale Begabung von mir durch ständiges Training perfektioniert worden, so dass prädormitale Befehle und mentale Selbstprogrammierungen sogar bei bewusst herbeigezwungenem »Sekundenschlaf« wirksam werden konnten.

Ich hatte die Kräfte zu beherrschen gelernt, wurde nur noch in Ausnahmefällen ohne mein Zutun im Traum an andere Wesen gekoppelt, die unter einem besonderen psychischen Druck standen. Die Beherrschung war auch notwendig gewesen – ohne sie hätte mich sonst das unglaubliche Leid der Flüchtlinge damals, Ende April 1291 NGZ, zerbrochen, wahnsinnig werden lassen.

Zwar war es mir weiterhin möglich, in den Träumen anderer als reale Gestalt aufzutreten und in diesen Fällen mit ihnen zu kommunizieren. Aber das »Traumtanzen« ging weiter, hatte inzwischen fast den Status eines, wie es die Para-Wissenschaftler im Tower nannten, Zerotraums erreicht. Definiert als paranormal aktiver, jedoch körperlich passiver Zustand, war ich in der Lage, mein Bewusstsein beziehungsweise meinen Wahrnehmungsfokus vom Körper zu lösen, in Nullzeit sogar große Entfernungen zu überbrücken und in gewissen Grenzen dann auch telepathisch zu kommunizieren.

Du bist noch ganz nahe, signalisierte Tess in meine Gedanken hinein; der Griff ihrer Hand verstärkte sich abermals.

Ja, antwortete ich lautlos. Dein Anblick bannt mich förmlich …

Langsam drehte sie den Kopf, sah lächelnd in jene Richtung, aus der sie meine geistigen Impulse esperte. Die pechschwarzen Haare meiner hochgewachsenen, 1,78 Meter großen und sehr schlanken Freundin waren fingerlang, wirr und struppig; die dunkle Umrandung des Augen-Make-ups verlieh ihr einen übernächtigt wirkenden, zugleich geheimnisvollen Ausdruck. Er faszinierte mich immer noch wie am ersten Tag!

In den dunkelbraunen Augen schienen goldene Fünkchen zu tanzen. Amüsierte Schwingungen umgaben Tess für einen Augenblick.

Tess Qumisha – ich liebe dich!

An ihrem rechten Ohr baumelte ein verschlungener Anhänger mit einem dunkelgrünen Kristall in der Mitte; im linken hing am oberen, ein wenig spitz zulaufenden Rand ein schmaler Goldring. Tess hatte vor wenigen Tagen ihren 31. Geburtstag gefeiert, das Mädchenhafte jedoch nicht verloren. Unter dem dünnen Mantel trug sie ebenfalls schwarz gehaltene Kleidung: Trägershirt, enge Hose, breiter Gürtel, Stiefeletten.

Frösteln durcheilte ihren Leib. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen, und aus ihren Gedanken wusste ich genau, dass sie nicht anders empfand. Unsere Verliebtheit des ersten Tages hatte tiefer Liebe Platz gemacht, die mit der Zeit eher wuchs, statt abzunehmen. Dass wir beide über paranormale Kräfte verfügten, förderte diese Verbundenheit noch. Nichts und niemand würde uns trennen können, dessen waren wir uns sicher.

Und ich liebe dich, Benjameen von Jacinta!

Aus ihren Gedanken sprang das Bild von mir, so, wie sie es in ihrer monochromen Sicht sah, auf mich über. Aus dem hochgeschossenen, schlaksigen Arkoniden des Jahres 1291 NGZ war ein kräftiger Mann geworden, 1,82 Meter groß, inzwischen fast athletisch.

Kaum noch etwas erinnerte an den schmalen Kerl, der ich in einer scheinbar unendlich weit entfernten Vergangenheit einmal gewesen war. Damals, als ich am Kolosten-Tag auf Arkon I in der Werferdisziplin gewonnen und mit einem Stein auf fünfzig Meter Entfernung ein vergleichsweise winziges Ziel getroffen hatte, weil Werfen und Treffen mein einziges körperliches Talent gewesen war.

Lange her, wie so vieles, durchfuhr es mich. Viel war geschehen, seit Alashan am 4. Oktober 1289 NGZ vom verrückt spielenden Heliotischen Bollwerk hierher versetzt worden war. Am 2. Januar 1304 NGZ würde ich 32 Normjahre alt werden; mehr als ein Drittel meines Lebens hatte ich dann, genau wie Tess, 23,5 Millionen Lichtjahre von der heimatlichen Milchstraße entfernt verbracht – hier in DaGlausch, auf Thorrim, als Alashaner.

Mein langes weißes Haar trug ich im Nacken von einer Spange gerafft, unter dem schwarzen Mantel war ich mit einer einfachen Kombination gleicher Farbe bekleidet; seit dreizehn Jahren signalisierten Tess und ich so, was wir fühlten: Wir gehören zusammen!

Ihr Frösteln verstärkte sich. Mein »Traum« sprang intensiv auf sie über. Wie ich war sie davon überzeugt, dass mit dem heutigen Tag ein Wendepunkt erreicht war. Ein weiterer in unserem Leben. Die zurückliegenden Jahre waren mit einer Geschwindigkeit dahingerast, angefüllt mit Ereignissen, die zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte, die im Rückblick alles wie einen Traum wirken ließen.

Steht uns nun ein böses Erwachen bevor?, fragte sie telepathisch. Dir, mir und allen anderen, die in Alashan, auf Thorrim, ja sogar insgesamt in der Doppelgalaxis leben?

Ich antwortete nicht, weil die Ahnung bevorstehenden Unheils in ihr bedrückende Intensität gewann.

 

*

 

Schon vor zwei Tagen hatte mich ein Para-Traum weit über die Grenzen von DaGlausch hinausgeführt. Etwas hatte mich angezogen, fortgelockt und die körperlichen Einschränkungen vergessen lassen.

Unbedeutend und winzig hatten die beiden Punkte gewirkt, die weit vor der sich auseinanderbewegenden Doppelgalaxis zur Orientierung ins Standarduniversum zurückgefallen waren. Erst bei der Annäherung hatten sie ihre eigentliche Größe offenbart, je 800 Meter Durchmesser. Terranische NOVA-Raumer! Besuch aus der Heimat!

Scheinbar grenzenlos war die Finsternis zwischen den Galaxien. Nur bei genauem »Hinsehen« gewannen die fernen Lichtflecke spiralige oder linsenförmige Gestalt, weiteten sich zu jenen Sterneninseln aus, die aus Abermilliarden Einzelsonnen bestanden.

Groß und prägend waren nur DaGlausch und Salmenghest. Whirlpool hatten die Menschen die Konstellation genannt, in ihren Sternkatalogen war sie als M 51 verzeichnet, wobei die größere – DaGlausch – auch die Kennung NGC 5194 hatte, während die der kleineren NGC 5195 lautete.

Zentrum der Materiebrücke, die die beiden Sternformationen verband, war die auffallende Zone des Kessels; ein Gebilde von rund 5000 Lichtjahren Durchmesser, glühend und strahlend wie ein Galaktischer Kern, seinerzeit Ursprung der Kesselbeben, die für lange Zeit DaGlausch und Salmenghest heimsuchten und ungezählte Zivilisationen auslöschten.

Seit der PULS schlug und die sechs Superintelligenzen an seiner Stabilisierung arbeiteten – was immer das auch genau bedeuten mochte –, war der permanente Schrecken Vergangenheit. Die Doppelgalaxis hatte am Scheideweg gestanden, Billionen Lebewesen waren vom finalen Superbeben bedroht gewesen. Doch nicht Vernichtung, Leid und Tod waren gekommen, sondern eine Entwicklung hatte vor nun zwölfeinhalb Jahren begonnen, die vielen, wenn sie innehielten und sie sich bewusst machten, märchenhaft erschien.

Was kaum jemand für möglich gehalten hatte, war eingetreten: DaGlausch war, genau wie Eismer es in seinem ersten Manual der Neuen Zeit angekündigt hatte, zu einer Insel des Friedens geworden!

Die Annäherung der beiden NOVA-Raumer hatte vor diesem Hintergrund aufrüttelnde Wirkung. Zu selten war in den letzten Jahren der Kontakt zur Heimat gewesen, die von dort mitgebrachten Nachrichten eher Grund zur Beunruhigung.

Mein Traumblick wurde zum Fokus: Mit rasender Geschwindigkeit schien ich mich den Kugelraumern zu nähern, die Schiffskennungen – SCHIMBAA und ZEUT – glitten vorüber, die Wandungen stellten kein Hindernis dar. Ich raste durch Räume und Korridore, weiterhin von jenem Etwas angezogen, das die Aufmerksamkeit meines Para-Traums erregt hatte.

Unvermittelt fand ich mich in einem Saal der Astronomischen Abteilung wieder. Wände und Decke waren von der Holoprojektion geprägt, die vor der Schwärze des Leerraums die Galaxis DaGlausch zeigte. Nur zwei Personen waren anwesend. Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können.

Die eine war schon äußerlich auf den ersten Blick als Haluter zu erkennen, obwohl es sich keineswegs um einen normalen Haluter handelte. Ich erkannte ihn wieder, sah die für Mitglieder seines Volkes eher kleinwüchsige Gestalt genau, eingehüllt in einen dunkelblauen Anzug, die Haut des Halbkugelkopfes von pigmentlosem Weiß. Blo Rakane!

Wie etliche andere hatte er damals die SOL verlassen, bevor diese im Mega-Dom verschwand. Die Begegnung mit ihm war nur kurz gewesen, als der SOL-Kreuzer, von Alaskas Virtuellem Schiff quasi huckepack genommen, vor dem Weiterflug zur Milchstraße bei uns eine Zwischenstation eingelegt hatte und wir von den Ereignissen im PULS erfahren hatten.

Die zweite Person war mir ebenfalls kein Unbekannter: Lotho Keraete, der Bote von ES! Er trug den braunen, mit zahlreichen Taschen versehenen Overall, genau wie damals. Mit seinem metallenen Körper hätte er vermutlich keiner Kleidung bedurft, aber diese verlieh ihm wohl Halt, bewahrte ihm den Rest von Menschlichkeit. Denn ob »Mensch« nach der Umwandlung im Auftrag von ES noch die richtige Umschreibung war, erschien mir zweifelhaft. Ein Körper aus flexiblem Metall! Eine zwangsweise Transformation!

Schaudern befiel mich. Nur wenige Glanzlichter waren auf der glatten Oberfläche zu erkennen; sie bildeten einen merkwürdigen Kontrast zur Dunkelheit des Materials. Alaska hatte mir von Laire und Samkar erzählt, damals, und an diese musste ich bei Keraetes Anblick unwillkürlich denken.

Fast zeitlupenhaft drehte der ES-Bote seinen Kopf. Er sah mich genau an, obwohl das im Zustand meines Para-Traums nicht möglich war. Mein Schaudern gewann eine Intensität, die mich zurückweichen ließ. Lotho Keraete sagte nichts, nur sein Blick blieb. Ich war mir plötzlich sicher, dass er mich wirklich sah! Und damit endete die Wahrnehmung abrupt, ließ mich schweißgebadet erwachen.

Das war vor zwei Tagen gewesen.

Inzwischen hatten die NOVA-Raumer die Restdistanz überbrückt, sich offiziell gemeldet und näherten sich dem Thorrtimer-System. Eismer Störmengord und Gia de Moleon, die sich in ihrer Funktion als »Beratende Direktorin« in den letzten Jahren vermehrt im Ring von Zophengorn aufhielt, waren informiert – vor wenigen Stunden war die GLIMMER gelandet, Stendal Navajos Begrüßungsdelegation stand bereit.

 

*

 

Fern im Südosten erstreckten sich die Zortengaam vorgelagerten Fabrik- und Industriekomplexe, an welche sich der Zortomm-Raumhafen anschloss. Drei der linsenförmigen, an Bug und Heck mit Kegelverdickungen ausgestatteten Thorrimer-Raumer starteten: Impulstriebwerke blitzten auf, die Schiffe rasten als langgeschweifte Kometen durch die Atmosphäre hinaus ins All.

Ich behielt sie im Blickfeld, schloss mich ihnen quasi an, folgte als unsichtbarer Blickpunkt und trieb weiter. Aus der Ferne beobachtete ich den Anflug der beiden NOVA-Raumer, vermied es diesmal jedoch, ins Innere der Schiffe einzudringen. Eine eigentümliche Scheu hielt mich davon ab, der durchdringende Blick des ES-Boten stand mir weiterhin vor Augen.

Ich war mir nicht sicher, was genau dieser Blick bedeutet hatte. Eine fast körperlich fühlbare Einsamkeit war auf mich übergesprungen; verbunden damit eine Melancholie, wie sie mit einem immensen Wissen gekoppelt war, das Tragik und Schicksal kannte, ohne jedoch am Fort- und Ausgang der Ereignisse an sich etwas ändern zu können – oder zu wollen.

Irgendwie offenbarte sich in diesem Blick die Kenntnis von Jahrmillionen. Abgründe aus Raum und Zeit hatten sich aufgetan, waren für den Bruchteil einer Sekunde bloßgelegt, um sich dann wieder in das metallene Gehäuse zurückzuziehen, das nur äußerlich der Gestalt eines Menschen entsprach und bis auf das Originalgehirn auch nichts mehr Menschliches aufwies.

Während ich im Para-Traum die NOVA-Raumer begleitete und Thorrim größer werden sah, fragte ich mich zum wiederholten Mal, was uns erwartete. Ich war mir sicher, dass die Rückkehr von Lotho Keraete und Blo Rakane nach DaGlausch kein Ereignis war, das auf die leichte Schulter genommen werden konnte.

Als die Kugeln in die Atmosphäre eindrangen und sich dem Zortomm-Raumhafen entgegensenkten, zog ich mich zurück, wurde wieder in den Körper integriert – ich erwachte und öffnete die Augen.

Groß und majestätisch sanken die im Sonnenlicht funkelnden Raumer nieder, wuchsen von Punkten zu Metallgebirgen heran, die schließlich auf ihren Antigrav- und Prallfeldpolstern zur Ruhe kamen und im unteren Teil hinter der Krümmung des Horizonts verschwanden.

»Sie sind da«, murmelte Tess.

»Ja.«

Der letzte Kontakt zur Milchstraße lag fast exakt vier Jahre zurück. Unwillkürlich fragte ich mich, wie dort wohl die Entwicklung verlaufen war. Zweifellos deutlich weniger gut als bei uns; die zuletzt berichteten Expansionsbestrebungen Imperator Bostichs waren mehr als beunruhigend gewesen. Und wenn nun der ES-Bote selbst … Der Gedanke brach ab.

Tess' Hand hatte sich noch fester um meine gekrampft. In ihren Augen bemerkte ich plötzlich eine Verzweiflung, die mir die Kopfhaut zusammenzog und mich hart schlucken ließ.

 

*

 

»Die SCHIMBAA und die ZEUT sollen jene Alashaner, die nach Terra zurückkehren wollen, mitnehmen«, sagte Lotho Keraete. »Mit großer Wahrscheinlichkeit werden diese beiden Schiffe auf absehbare Zeit der letzte garantierte Kontakt der LFT zur Nation Alashan sein.«

Im Konferenzraum der 98. Etage des subplanetarisch gelegenen Towers waren an die hundert Personen versammelt; Parlamentarier, Analysten und Abteilungsleiter des Alashan-Dienstes – vormals Terranischer Liga-Dienst –, Gia, Stendal, Eismer, Tess und ich.

Die Begrüßung hatte auf mich einen merkwürdig reservierten Eindruck gemacht.

Die ersten Eröffnungen des ES-Boten waren ebenfalls nicht dazu angetan, Freude zu wecken.