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Titel

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ISBN 978-3-7751-7204-2 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5198-6 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

© Copyright der Originalausgabe 2009 by Randy Singer.
Published with permission of Tyndale House Publishers, Inc.
Originally published in English under the title: The Justice Game
All rights reserved.

© Copyright der deutschen Ausgabe 2010 by
SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de
E-Mail: info@scm-haenssler.de

Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz;
www.oha-werbeagentur.ch
Titelbild: istockphoto.com, Archiv OHA Werbeagentur GmbH
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.
Weiter wurden verwendet:
Jak 2,12-13: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in
neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Psalm 106,3: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus im
SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Witten.

Inhalt

Lob für DAS SPIEL

Lob für weitere Romane von Randy Singer

Vorwort des Autors

Teil I – Widerrechtliche Tötung

1

2

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Teil II – Die Firma

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7

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Teil III – Gegner

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Teil IV – Vor der Verhandlung

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Teil V – Der Prozess

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Teil VI – Das Urteil

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94

Epilog

Danke

Über den Autor

Anmerkungen

Lob für DAS SPIEL



»Als Anwalt kennt Randy Singer das Drama des Waffenproblems aus dem Gerichtssaal. In Das Spiel führt er uns dieses Drama in einer fesselnden Geschichte, die die Leidenschaften beider Seiten der amerikanischen Schusswaffendiskussion aufgreift, lebendig vor Augen.«

Dennis Henigan, Vizepräsident für Gesetz und Politik im Brady Center to Prevent Gun Violence und Autor von Lethal Logic: Exploding the Myths That Paralyze American Gun Policy.

»Ein tolles Buch! Mit Das Spiel hat Randy Singer einen temporeichen, spannenden Ritt durch unser Rechtssystem vorgelegt. Diese unterhaltsame Geschichte wird Sie von der ersten Szene an in ihren Bann ziehen. Und sie wird Sie, wie sich das für ein gutes Buch gehört, über Ihre eigene Haltung zum Thema Waffengesetze ins Grübeln bringen.«

Alan Gura, Anwalt für Verfassungsrecht, der das Grundsatzurteil vor dem Obersten Gerichtshof der USA im Fall District of Columbia gegen Heller (2008) über den privaten Besitz von Handfeuerwaffen gewann.

»Zugabe! Randy Singer hat es wieder einmal geschafft: schon wieder ein starker, nachdenklich stimmender Roman, von dem seine Leser nicht genug bekommen können. Das Spiel ruft seine Leser auf, alte Meinungen infrage zu stellen und über die schwierigen Aspekte der amerikanischen Waffengesetze nachzudenken.«

Misty Bernall, Mutter der ermordeten Schülerin der Columbine High School Cassie Bernall und Autorin von Cassie: Sie sagte Ja.

»Was für ein fesselndes Buch! In Das Spiel hat mich Singer von der ersten Seite an mit brillanter Erzählkunst und einer mutigen Botschaft zum Waffengesetz in unserem Land gefesselt. Gerade, als ich dachte, die Geschichten könnten nicht mehr besser werden, kam dieses Buch, das noch besser ist als sein letztes. Das dürfen Sie nicht verpassen!«

Aaron Norris, Fernseh- und Filmproduzent und Regisseur

Lob für weitere Romane von Randy Singer



»Singer ködert den Leser von der Eröffnungsszene dieses großartigen Thrillers im Gerichtssaal an und treibt ihn im Sturm durch eine Handlung, die einfach nie nachlässt.«

Publishers Weekly über Die Vision

»Mit diesem fesselnden Justizthriller, den ich einfach nicht aus der Hand legen konnte, beweist Singer sich als der christliche John Grisham.«

Publishers Weekly über Der Jurist

»Realistisch und fesselnd – Die Witwe ist eine packende Geschichte über die verfolgte Kirche und diejenigen, die für weltweite Religionsfreiheit kämpfen.«

Jay Sekulow, leitender Anwalt des American Center for Law and Justice





Dieses Buch ist dem Andenken von Karen Farley gewidmet.

Vorwort des Autors

Dieses Mal ist es etwas Persönliches.

Am 16. Dezember 1988 nahm der sechzehnjährige Schüler Nicholas Elliot eine halbautomatische Handfeuerwaffe mit in die Atlantic Shores Christian School und eröffnete das Feuer. Er erschoss eine Lehrerin namens Karen Farley und verletzte einen der stellvertretenden Schulleiter, dann stürmte er einen Wohnwagen, in dem sich eine Bibelklasse traf. Als er versuchte, das Feuer auf die Schüler zu eröffnen, die sich in der hinteren Ecke des Wohnwagens zusammenkauerten, blockierte die Waffe. Der Bibellehrer, Hutch Matteson, rang Elliot nieder und verhinderte eine Tragödie, wie sie mehrere Jahre später an der Columbine High School in Colorado passierte.

Atlantic Shores war die Schule, an der meine Frau Lehrerin war. Es war die Schule, in die meine Kinder gingen (auch wenn sie an diesem Tag nicht dort waren).

Als ich erfuhr, dass Elliot die Waffe illegal über einen Strohmann in einem Waffengeschäft im County Isle of Wight gekauft hatte, vertrat ich die Familie von Karen Farley in einem nie dagewesenen Prozess gegen dieses Waffengeschäft.

Das Urteil schockierte alle.

Dieser Prozess liegt siebzehn Jahre zurück – meine Feuertaufe im amerikanischen Streit um Waffenbesitz.

Mit diesem Buch greife ich dieses Thema siebzehn Jahre später bewusst wieder neu auf: weiser (hoffe ich), vorsichtiger und mit mehr Verständnis für beide Seiten. Es ist nicht mein Ziel, Leute zu bekehren (zumindest nicht, was die Waffendebatte und den zweiten Verfassungszusatz angeht), sondern beide Seiten fair darzustellen und den Leser entscheiden zu lassen.

Ich habe versucht, fesselnde Charaktere auf beiden Seiten zu schaffen. Um genau zu sein: Ich war so fest entschlossen, ausgewogen zu sein, dass ich etwas getan habe, was ich vorher noch nie getan hatte und was meines Wissens auch kein anderer Autor je getan hat:

Ich bat meine Leser, das Urteil für dieses Buch festzulegen.

Wir haben ein Video zusammengestellt, das eine Nachrichtensendung über den fiktiven Fall zeigte, um den es in diesem Buch geht, und Teile der Schlussplädoyers beider Anwälte. Wir baten die Leser, das Video anzusehen und ein Urteil zu fällen. Das Urteil in diesem Buch spiegelt deshalb das Urteil der Mehrheit meiner Leser wider.

Danke, dass Sie diese Reise mit mir gemacht haben. In einem sehr realen Sinn sind Sie immer die Geschworenen. Und genau wie in meinen echten Fällen habe ich ein etwas flaues Gefühl im Magen, während ich Ihnen meinen Fall darlege.

Die Geschworenen ziehen sich zur Beratung zurück …

Teil I

Widerrechtliche Tötung

1

Rachel Crawford schloss die Augen, während die Maskenbildnerin der Show, eine quirlige Frau namens Carmen, sie rasch nachpuderte.

»Die Sonnenbräune steht Ihnen gut«, sagte Carmen. »Die Diva wird von ihrem Tussitoaster immer eher orangefarben.«

»Die Diva« war die Primetime-Moderatorin des Fernsehsenders WDXR, Lisa Roberts. Lisa behandelte die Mitarbeiter wie Dreck, und es fiel nicht schwer, sie zu hassen. Lisa war einsachtundsiebzig groß, hatte lange, dünne Beine und beschwerte sich ständig darüber, wie fett die Kamera sie wirken ließ. Ihr Stuhl musste höher als die aller anderen eingestellt werden, die Kamera musste immer so positioniert sein, dass sie ihre linke Seite einfing (was ein Muttermal auf ihrer linken Wange herausstellte, das sie für sexy hielt), und ihr Wasser musste kalt sein, mit genau der richtigen Menge Eis.

»Vielleicht mache ich meinen nächsten Bericht über Sonnenbänke«, sagte Rachel. Carmen nahm ihr den Umhang ab, und Rachel begutachtete sich im Spiegel.

Sie war keine Lisa. Sie war ein bisschen kleiner, kräftiger gebaut und sah eher aus wie das Mädchen von nebenan. Doch Rachel hatte etwas, was Lisa nicht hatte – es war der Grund für ihr inneres Leuchten.

»Ich habe gehört, von Sonnenbänken bekommt man Krebs«, sagte Carmen, die dieser Gedanke aufmunterte. »Nicht nur Hautkrebs, auch Leber, Schilddrüse – alle möglichen fiesen Sachen.«

Rachel drehte sich fast unmerklich zur Seite, so beiläufig, dass Carmen es nicht merkte. Die Bluse, die sie trug, fiel weit – nicht so sehr, dass es offensichtlich gewesen wäre, aber gerade weit genug. Sie hatte noch ein paar Wochen, bis ihr Geheimnis herauskam.

Als neue Reporterin im Team für investigative Reportagen bei WDXR arbeitete Rachel seit einiger Zeit an einem Beitrag über die Auswirkungen von Mobiltelefonen auf schwangere Frauen. In zwei Wochen würde sie als Teil dieses Beitrags ihre eigenen aufregenden Neuigkeiten in der Sendung verkünden.

Für mindestens einen Abend würde Lisa nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Heute hatte Rachel jedoch über eine ganz andere Story zu berichten.

»Danke, Carmen«, sagte Rachel. Sie nahm ihre Unterlagen und die Wasserflasche und ging zur Tür. »Dieses Wasser ist viel zu warm«, sagte sie in einer perfekten Imitation von Lisas Tonfall. Carmen kicherte.

»Außerdem geht es mir direkt auf die Hüften!«, schoss Carmen zurück und reckte ihr Kinn in die Luft, während sie Rachel ein abschätziges kleines Kopfschütteln zuwarf.

Rachel lächelte, verließ die Maske und wechselte in ihren Investigative-Reporterin-Modus. Der größte Teil des Berichts dieses Abends war schon auf Band. Die Nachrichtensendung um fünf war gut gelaufen. Was sollte also um sechs schiefgehen?

Sie liebte ihre Arbeit. Doch der Gedanke daran, Mutter zu sein, gefiel ihr noch mehr. Sie wollte beides machen: Teilzeitreporterin und Vollzeitmutter. Doch das war ein Thema, mit dem sie sich später beschäftigen würde.

Ornament

Rachel nestelte an ihrem Knopf im Ohr herum und hörte, wie der Redakteur der Sendung Lisa Roberts und Manuel Sanchez, Lisas Co-Moderator, Anweisungen zu den nächsten Abschnitten gab. Rachel setzte sich so aufrecht wie möglich, auch wenn sie dann immer noch ein ganzes Stück kleiner war als Lisa, und lächelte in die Kamera. Der Redakteur startete den Countdown. Lisa behielt ihren finsteren Blick bei, bis der Mann »Null« sagte und damit eine magische Verwandlung von der verwöhnten Diva zur hingebungsvollen und mitfühlenden Nachrichtensprecherin auslöste.

»Über dreitausend Studenten aus aller Welt kommen jeden Sommer nach Virginia Beach, um in dem Urlaubsort zu arbeiten«, las Lisa vom Teleprompter ab. »Einige Unglückliche davon enden als Opfer der Menschenhandelsindustrie. Unsere Reporterin Rachel Crawford hat die Einzelheiten für uns.«

Lisa hielt ihre Pose, während sie zur Aufzeichnung des Reporterteams schalteten. Sie mochte schwer zu ertragen sein, aber sie war ein Profi. Lisas Topmodel-Aussehen und ihre unerschütterliche Gelassenheit würden sie bald aus Norfolk herausführen, weg von dem Ort, den Lisa verächtlich »Navy-Kaff« nannte; dem Ort, den Rachel liebte und ihr Zuhause nannte.

Rachel sah den Bericht zum ungefähr vierzigsten Mal und erlaubte sich einen kurzen Augenblick des Stolzes. Er begann mit ein paar Bildern von The Surf, einem beliebten Lokal in Virginia Beach, mit einem Begleitkommentar von Rachel darüber, wie die internationalen studentischen Ferienarbeiter dazu beitrugen, es über Wasser zu halten. Sie hatten ein Video von zwei osteuropäischen Frauen, die an der Bar arbeiteten, kellnerten und sogar den Müll hinaustrugen. Die Kameraeinstellungen waren sorgfältig ausgewählt, damit die Zuschauer die Gesichter der Studentinnen nie richtig sehen konnten. Dann war wieder Rachel im Bild, die mit ernster Miene vor der Bar stand, den Kopf leicht zur Seite geneigt.

»Aber ein paar von diesen Mädchen, die unter der Voraussetzung, dass sie anonym bleiben können, mit WDXR gesprochen haben, sagten, ihr Sommer in Virginia Beach habe auch seine Schattenseiten.«

Die nächste Einstellung zeigte Rachel, wie sie eine der Arbeiterinnen interviewte. Die Cutter hatten das Gesicht der Studentin unkenntlich gemacht und ihre Stimme digital verändert. Sie sprach über den Besitzer von The Surf – Larry Jamison –, den Mann, der den Mädchen Jobs versprochen und ihre Reise nach Amerika bezahlt hatte.

»Wenn du nicht eines von ›Larrys Mädchen‹ wirst, kommst du nie aus deinen Schulden heraus, egal, wie hart du arbeitest. Außerdem wirst du bedroht.«

Während Rachel die Vorgehensweise erklärte, erschien eine Internetseite auf dem Bildschirm. Die Bilder der Mädchen waren verfälscht, doch es war offensichtlich eine Pornoseite, eine, die Rachel bis zu Larry Jamison zurückverfolgt hatte.

»Wir haben Mr Jamison zu diesen Vorwürfen befragt«, sagte Rachel in dem Beitrag. »Er war zu keiner Stellungnahme bereit.«

In ein paar Sekunden würden sie wieder live auf Sendung sein. Rachel kontrollierte ihren Knopf im Ohr und wandte sich Lisa zu. Sie hörte einen Knall, der sie erschreckte – vielleicht waren es auch mehrere Knalle gewesen –, so etwas wie Feuerwerkskörper auf der anderen Seite der schalldichten Tür des Studios. Sie warf einen Blick auf die Türen, doch niemand außer ihr schien sich Gedanken zu machen.

»Fünf Sekunden«, sagte eine Stimme in ihrem Ohr. »Vier, drei, zwei, eins …«

Ein Kameramann deutete auf Lisa, und die wandte sich Rachel zu. »Diese Mädchen, die Sie interviewt haben, schienen mir so verletzlich«, sagte Lisa. »War ihnen klar, dass sie diesen Kerl anzeigen konnten?«

Aus dem Augenwinkel bemerkte Rachel plötzliche Unruhe im Studio. Wie ein Profi konzentrierte sie sich weiterhin auf Lisa und erklärte, warum die Mädchen nicht bereit waren, sich zu erkennen zu geben.

»He!«, schrie jemand. »Er hat eine Waffe!«

Schüsse erklangen, als Rachel zu den Stimmen herumwirbelte, geblendet von den hellen Scheinwerfern, die auf sie herunterbrannten. Sie hörte weitere Schüsse, Angst- und Schmerzensschreie – ein furchtbares Chaos im Studio. »Runter!«, schrie jemand.

Es gab Flüche und eine dritte Salve Schüsse, als Rachel sich zu Boden warf und rasch hinter das Moderatorenpult kroch – eine schicke Acrylkonstruktion, die sicherlich keine Kugel abhalten würde. Über ihr ging der »On Air«-Monitor aus. In diesem Chaos sah Rachel zu Lisa hinüber, die mit schreckgeweiteten Augen und einer Faust vor ihrem Mund von einem lautlosen Schluchzen geschüttelt wurde.

Einen Moment lang war alles still.

2

Rachel kauerte sich hinter das Pult, gelähmt vor Angst. Ihr Atem ging stoßweise; winzige Explosionen in der ohrenbetäubenden Stille. Sie presste beide Hände vors Gesicht, halb betend, halb horchend – zitternd vor Entsetzen.

Sie hörte Schritte und schweres Atmen.

Rachel schnappte nach Luft, als sie den Schützen aus dem Augenwinkel über sich aufragen sah: Larry Jamison, das Ziel ihrer investigativen Reportage. Der Mann hatte einen irren Blick, die grauen Haare wirr, mit rotem Gesicht und Bartstoppeln. Er zielte mit einer flachen, schwarzen Pistole, die aussah wie die abgehackte Version einer Waffe aus einem Rambofilm, auf sie. Mit fahrigen Bewegungen löste er das Magazin und rammte ein zweites in die Waffe, während das erste auf den Boden fiel.

»Du bist es«, zischte Jamison, schnappte Rachel an den Haaren und riss sie auf die Füße. Er presste ihr den Lauf ins Kreuz. Von hinten legte er ihr den linken Arm um den Hals und riss sie dicht an sich. Rachel roch Schweiß und Alkohol, seinen stinkenden Atem feucht an ihrem Ohr.

»Alle auf eure Posten!«, befahl er. »Ich will, dass wir in zwei Minuten live auf Sendung sind, sonst stirbt dieses süße Ding hier.«

Zitternd ließ Rachel den Blick durch das Studio gleiten. Einer der Kameramänner, ein sanfter Riese, mit dem Rachel sich oft unterhalten hatte, lag neben seiner Kamera. Blut breitete sich auf seiner Brust aus. Sie sah eine junge Kameraassistentin zusammengekauert in einer Ecke. Die Regiekabine war verlassen. Lisa und Manuel konnte Rachel nicht sehen – sie mussten auf die andere Seite des Moderatorenpults gekrochen sein.

»Geh wieder an deine Kamera!« schrie Jamison die Frau in der Ecke an. Er feuerte ein paar Kugeln in die Wand über ihrem Kopf. Funken stieben, und sie schrie auf und kroch zu ihrem Posten.

»Zwei Minuten«, wiederholte Jamison. »Ich rede jetzt in diesem Moment über Bluetooth mit einem meiner Partner. Er wartet auf das Fernsehsignal.«

Rachel rang nach Atem, als Jamison seinen linken Arm enger um ihren Hals drückte und sie zum Ende des Moderatorenpults zerrte, wo Lisa und Manuel sich auf dem Boden zusammenkauerten. Jamison richtete seine Waffe auf Lisa. »Hallihallo!«

Er lachte, als sie ihn voller Entsetzen ansah. »Geh wieder hinter dein Pult! Wir haben eine Sendung zu schmeißen.«

Zitternd und schluchzend stand Lisa auf. Sie wich langsam vor Jamison zurück und kletterte auf ihren Moderatorenstuhl.

»Braves Mädchen«, sagte er. Er richtete seine Pistole auf Manuel und drückte Rachels Luftröhre mit seinem linken Arm noch enger zu. Der Raum begann sich vor Rachel zu drehen.

»Wir sind noch nicht auf Sendung«, zischte er, offensichtlich frustriert. »Los, irgendwer muss in diese Regiekabine!«

Manuel warf einen raschen Blick zu der Regie hinüber. »Sie sind weg.«

»Das sehe ich!«, schrie Jamison. Er drehte sich um und feuerte eine weitere Ladung Kugeln in Richtung der Regie. Die Pistolenschüsse hallten in Rachels Ohr wider. Die Kugeln zerbarsten das Glas der Kabine in winzige Scherben, die auf das Mischpult regneten.

Dann richtete er die Waffe wieder auf Manuel. »Bring uns auf Sendung!«

Manuel schüttelte den Kopf, und Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, trotz der feuchtkalten Luft im Studio. »Ich k-kann nicht … ich weiß nicht, wie.«

»Dann bist du nutzlos.«

Manuel öffnete den Mund – ein stummes Flehen, zu verängstigt, um zu reden.

Rachel war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren: ihr Sichtfeld wurde vom Rand her schon dunkel. Wie viele Schüsse hat Jamison abgefeuert? Wie viele sind noch übrig? Sie sprach in Gedanken ein schnelles Gebet und rammte ihren Ellbogen rückwärts in seinen Bauch, hörte ihn grunzen und versuchte, sich zu befreien. Sie hatte sich fast aus seinem Arm gewunden, doch er hieb ihr die Ecke des rechteckigen Magazins seiner Pistole gegen den Schädel. Der Schlag warf sie zu Boden. Benommen spürte sie, wie ihr Blut über die Stirn lief.

Mit verschwommenem Blick sah sie zu Jamison auf. Sie blinzelte und krabbelte ein Stück rückwärts.

»Glaubst du, ich spiele hier Spielchen?«, fragte Jamison.

In Panik schüttelte Rachel den Kopf. Er lächelte sie an und nahm das zweite Magazin heraus, um rasch das dritte in die Waffe zu rammen.

Jamison legte den Kopf zurück und brüllte: »Wir sind nicht auf Sendung! Jede Minute, die wir nicht auf Sendung sind, stirbt jemand!«

Er ging einen Schritt auf Rachel zu und sah auf sie hinab. »Vielleicht fange ich mit dir an.« In seinen Augen blitzte es erwartungsvoll. »Nimm die Hände auf den Rücken und leg dich mit dem Gesicht nach unten hin!«

Rachel tat, wie ihr befohlen wurde und kämpfte die Panik nieder. Zu ihrer Linken sah sie das Zucken einer Bewegung, eine hockende Gestalt. Sie zwang sich, nicht hinzusehen. Sie hoffte, dass es Bob Thomas, der Regisseur der Sendung, war. Ein hoch aufgeschossener und schlacksiger Mann, der verschwunden war, als die Schießerei begonnen hatte. Bob würde sie nicht sterben lassen.

Jamison ging zu Rachel hinüber. Er stieg mit einem Bein über sie, so dass er gegrätscht über ihr stand. Sein Atem ging in kurzen, harten Stößen.

»Bettle um dein Leben.«

Für den Bruchteil einer Sekunde kämpfte Verachtung mit ihrer Angst. Sie würde diesen Mann nicht anbetteln – er würde sowieso schießen. Doch sie wusste, sie brauchte Zeit. Sie schloss die Augen. »Bitte, tun Sie mir nicht weh«, sagte sie. »Ich kann Ihnen hier heraushelfen.«

Jamison lachte – ein falsches, geringschätziges Glucksen. »Sieh mich an«, sagte er leise.

Sie öffnete die Augen und sah über ihre Schulter mit verdrehtem Hals hinauf zu ihrem Peiniger. Er beugte sich näher, das Gesicht verzerrt vor Vergnügen über seine Rache. Der schwarze Lauf der Pistole dominierte ihr Sichtfeld; sein wahnsinniges Grinsen bildete den Hintergrund. »Du musst ein bisschen Demut lernen«, sagte er. »Du weißt nicht, was es bedeutet zu betteln, oder?«

Er griff in ihr Haar und zog ihren Kopf weiter zurück. »Bitte«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Schmerz pochte in ihrer Wange und strahlte von ihrem Nacken aus. Sie schloss die Augen, doch das Bild des schwarzen Pistolenlaufs und von Jamies Gesicht verschwand nicht. »Bitte schießen Sie nicht.«

»Das ist nicht betteln«, sagte Jamison. Er ließ ihre Haare los, und ihr Kopf fiel nach vorn. Sie wappnete sich, fühlte sich hilflos und wartete auf den Einschlag der Kugel. Sie dachte an Blake, ihren Mann. An das winzige Leben, das in ihrem Leib heranwuchs. Eigentlich sollte dies ein sicherer Ort sein.

»Mach die Augen auf!«

Sie tat es. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Jamison die Waffe auf Manuel Sanchez richtete. »Sag deinem Kumpel auf Wiedersehen.«

»Nein!«, schrie sie.

Bevor Manuel sich rühren konnte, feuerte Jamison. Rachel schnappte nach Luft, als sich ein kleines Loch in der Mitte von Manuels Stirn öffnete. Er grunzte – die Luft entwich aus seinem Körper – und brach auf dem Boden zusammen.

Rachel sah Manuels Augen glasig werden, während Blut aus seinem Kopf strömte. Sie wandte sich ab; ihr Mageninhalt stieg in ihre Kehle auf.

»Du musst lernen, wie man bettelt«, sagte Jamison mit unbewegter Stimme. »Und jetzt mach, dass du auf deinen Platz kommst.«

Rachel schob sich auf ein Knie hoch, und der Raum begann sich zu drehen. Sie zögerte, wischte sich Blut aus Augen und Mund. Sie sah, wie Jamison gegen Manuels leblosen Körper trat und den Co-Moderator auf den Rücken drehte.

»Beeil dich!«, befahl er.

Sie stand langsam auf und dachte an Manuel. Ihn sterben zu sehen, hatte alles verändert. Statt Rachel mehr Angst einzujagen, stählte es sie irgendwie. Sie fühlte sich für Manuels Tod verantwortlich – diese ganze Sache war ihre Schuld. Jamison war ihretwegen hier. Jetzt war es an ihr, klar zu denken. Jemand musste dafür sorgen, dass es nicht noch mehr Blutvergießen gab, bis Hilfe kam.

Sie taumelte zu ihrem Sitz, Jamison wachsam im Auge behaltend. Er war hinter Lisa getreten.

»Bring uns auf Sendung«, sagte er zu Lisa.

»Ich versuche es«, antwortete die mit zitternder Stimme und bebenden Lippen. »Aber bitte …«, brachte sie heraus, »hören Sie auf, diese Pistole auf mich zu richten.«

»Du hast dreißig Sekunden«, sagte Jamison.

Lisa holte Luft. Sie deutete auf einen Punkt an der rechten Seite des Studios. »Dahinter«, sagte sie, »ist unser Regisseur. Er kann die Regiekabine bedienen.«

»Schön«, antwortete Jamison.

Er ging hinüber zur Kamera, zwang Bob Thomas aus seinem Versteck und beorderte ihn in die Regiekabine. Eine oder zwei Minuten später wechselten der große Bildschirm auf dem Boden vor dem Moderatorenpult und der andere, der von der Decke hing, von einer Einblendung über technische Probleme zu einer Liveaufnahme des Pultes. Rachel war geschockt von ihrem eigenen Äußeren: Blut lief ihr übers Gesicht und befleckte ihre Bluse. Sie strich ihre Haare nach hinten und wartete.

Wie lange würde es noch dauern, bis ein Sondereinsatzkommando das Studio stürmte?

Jamison war allein. Wenn sie alle vier zusammenarbeiteten …

Jamie stellte sich neben die einzelne Kamerafrau, die den Kamerakran bediente. Die Kamera war auf eine Weitwinkelaufnahme eingestellt, die sowohl Lisa als auch Rachel zeigte. Jamison hielt die Pistole auf Rachel gerichtet und sah in regelmäßigen Abständen über seine Schulter, um die Studiotür im Auge zu behalten.

»Mein Name ist Larry Jamison!«, schrie er, die Stimme laut genug, dass die drahtlosen Mikros sie aufnahmen, die Lisa und Rachel trugen. »Sie haben gerade gemeine Lügen gesehen, die von diesem Fernsehsender übertragen wurden. Jetzt werden Sie die Wahrheit hören.

Stell dich vor!«, brüllte Jamison Lisa an. Er richtete die Waffe auf sie.

»Ich bin Lisa Roberts«, sagte sie mit unsicherer Stimme und eine Oktave höher als normal. Aus Gewohnheit blickte sie direkt in die Kamera.

Jamison schwang die Pistole zu Rachel hinüber. Einen Augenblick, gerade lange genug, um einen winzigen Anflug von Widerstand zu zeigen, sprach Rachel nicht.

»Und ich bin Rachel Crawford«, sagte sie schließlich, »ein Mitglied des Teams für Investigative Reportagen von WDXR.«

»Vor zehn Minuten hat diese Frau Sie angelogen«, rief Jamison. »Und jetzt wird sie dafür zur Verantwortung gezogen.«

Er sah noch einmal über die Schulter zur Studiotür, dann trat er vor und umrundete langsam das Moderatorenpult, bis er zwischen Lisa und Rachel stand.

Rachel beobachtete, wie Jamison sich selbst im Fernsehmonitor begutachtete und dann die Waffe seitlich an ihren Kopf setzte.

Gott helfe mir.

3

Jamison hielt die Waffe auf Rachel gerichtet, sein Blick schoss von ihr zu Lisa zu der großen Krankamera, die alles einfing. »Der Bericht, den Sie über mich gesehen haben, ist totaler Schwachsinn. Das liegt daran, dass dieser Sender, WDXR, sich mehr für Einschaltquoten interessiert als für die Wahrheit.«

Er machte einen halben Schritt zu Rachel hin. Nicht nah genug, dass sie ihn erreichen konnte, aber nahe genug, dass sie den Körpergeruch von den Schweißhalbmonden unter seinen Armen und dem Streifen Feuchtigkeit direkt unter seiner Brust riechen konnte, die ihm das Hemd am Körper kleben ließen.

»Wer sind deine anonymen Quellen?«, fragte er Rachel.

Sie zögerte – der Instinkt der Journalistin, ihre Quellen zu schützen.

»Sag's mir!«, schrie Jamison und hob die Waffe über seinen Kopf, als wolle er vortreten und sie wieder mit dem Pistolengriff schlagen.

»Nysa Polides und Teresa Yankow.«

»Nysa. Teresa.« Jamison spuckte die Worte vor Rachel aus. »Wusstest du, dass sie mich gebeten haben, sie auf meine Internetseite aufzunehmen? Wusstest du, dass sie die ganze Zeit vorhatten, mich zu erpressen?«

Rachel verarbeitete diese Beschuldigungen rasch. Die Frauen hatten so verlässlich gewirkt. Unschuldig. Naiv.

Jamisons Gesicht wurde dunkler, die Adern an seinem Hals traten hervor. »Sie wollten tausend Dollar die Woche, sonst wollten sie mit ihren Lügen an die Öffentlichkeit gehen. Tausend in der Woche! Wo soll ich so viel Geld hernehmen?«

Er wirbelte zu Lisa herum. »Dein Sender hat sie ihre Identität geheim halten lassen? Du bist genauso dafür verantwortlich! Niemand hat sie überprüft!«

Lisa schüttelte rasch den Kopf, die Augen geweitet vor Angst. Jamison machte ein paar Schritte auf sie zu, bis er nahe genug war, um sie zu berühren. Er atmete schwer, hyperventilierte beinahe, die Augen voller Hass. Lisa zitterte, sah zu ihm auf, dann zur Studiotür, dann zurück zu Jamison.

Rachel sah ebenfalls zur hinteren Tür hinüber. Wo ist das Sondereinsatzkommando? Wie lange kann es denn noch dauern, bis sie hier sind?

Jamison drückte den Lauf seiner Waffe gegen Lisas Schläfe. Sie schloss schluchzend die Augen. Er sah über seine Schulter zu Rachel. »Du solltest dich besser bei deinen Zuschauern entschuldigen. Und mach es diesmal gut!«

O Gott, lass ihn nicht schießen! »Es tut mir so leid«, sagte Rachel schnell. »Erschießen Sie sie nicht! Bitte! Dieser Bericht ist von mir, nicht ihrer. Sie hatte nichts damit zu tun.«

Jamison lächelte dünn und beugte sich zu Lisas Gesicht vor. »Ist sie schuldig?«, fragte er. »Bist du auch der Meinung, dass es ihre Schuld ist?«

Lisa zitterte. Ihre Worte waren schwer zu verstehen, unterbrochen von Schluchzern: »Sie … hat … einen Fehler … gemacht.«

»Ich sage, sie ist schuldig«, gab Jamison zurück und richtete sich hoch auf, die Pistole immer noch an Lisas Schläfe gepresst. »Was meinst du?«

»Fragen Sie sie. Nicht … mich.«

Er schwenkte in dem Augenblick herum, als die Studiotür mit einem Knall aufgerissen wurde, und alles gleichzeitig passierte. Rauchbomben explodierten, Jamison drückte so oft in Rachels Richtung ab, wie er konnte, sein eigener Körper zuckte unter den Kugeln des Sondereinsatzkommandos, Rachel ließ sich zu Boden fallen und versuchte, sich im Fallen zu drehen, um ihm den Rücken zuzuwenden, um das unschuldige Leben in ihrem Schoß zu schützen.

Sie fühlte, wie etwas an ihrer Schulter riss, einen Schlag in ihrem Rücken und wie eine weitere Kugel in ihre Schädelbasis eindrang.

Eine Millisekunde von Bildern folgte – ihr Mann, das neue Leben, das in ihr wuchs. Für den winzigsten Bruchteil einer Sekunde streckte sie sich nach ihnen aus, doch dann explodierten sie in einem blendenden Lichtblitz.

Rachel war tot, bevor sie auch nur Auf Wiedersehen sagen konnte.

Teil II

Die Firma

4

Einen Kontinent entfernt vom Chaos in den WDXR-Studios trat Jason Noble zum wichtigsten Schlussplädoyer seiner jungen Karriere vor die Geschworenen.

»Sprechen wir über die Haare«, sagte er, während er die neugierigen Blicke der Geschworenen prüfte. Manchen stand buchstäblich der Mund offen; andere unterdrückten ein Feixen. Jason gab vor, es nicht zu bemerken.

»Mr Lockhart behauptet, dass der Haarfund begründete Zweifel hervorruft. ›Vergessen Sie die Wut der Angeklagten, als sie erfuhr, dass ihr Ehemann und ihre beste Freundin eine Affäre miteinander hatten‹, sagt er. ›Vergessen Sie die Tatsache, dass ihre beste Freundin auch noch zufällig eine sehr talentierte Backgroundsängerin war, die der Ehemann der Angeklagten auf dieselbe Weise zu einem Star machen konnte, wie er die Angeklagte zu einem Star gemacht hatte. Vergessen Sie das alles. Wenn die Haarprobe zeigt, dass Carissa Lawson mehrere Monate lang Drogen genommen hat, dann muss die Todesursache eine selbst zugefügte Überdosis sein, keine Vergiftung.‹«

Die Geschworenen hörten nur halb zu, doch das war für Jason in Ordnung. Sie waren zu sehr mit Starren beschäftigt.

Am Abend zuvor hatte Jason aus einer Laune heraus seine Haare platinblond gefärbt und mit Gel gestylt – die Frisur des Opfers. Diese Veränderung war mehr als symbolisch.

Monate zuvor, als Carissa Lawsons Autopsie tödliche Mengen von Oxycodon und Kokain in ihrem Blut ergeben hatte, hatte der Gerichtsmediziner als Todesursache eine versehentliche Überdosis angegeben. Doch dann begannen die Gerüchte. Die Backgroundsängerin hatte eine Beziehung mit dem Mann der bekannten Rocksängerin Kendra van Wyck gehabt. Als van Wyck von der Affäre erfuhr, versetzte sie das in Eifersucht und Wut. Sie verdankte ihren Ruhm den Bemühungen ihres Mannes, eines wohlhabenden Musikmanagers, der sie »entdeckt« hatte. Seine Liebe zu einer anderen, vor allem wenn diese andere so talentiert war wie Carissa Lawson, zerfraß Kendra van Wyck wie ein Krebsgeschwür.

Van Wyck wurde schließlich wegen Mordes angeklagt. Doch der Fall der Staatsanwaltschaft beruhte zum größten Teil auf Indizien, und van Wyck hatte die beste juristische Unterstützung, die man für Geld bekommen konnte. Der Anwalt der Verteidigung, der gegen Jason auftrat, ein Pitbull namens Austin Lockhart, hatte seinen Fall auf die Popularität von Kendra van Wyck und auf die Labortests von Carissa Lawsons Haaren aufgebaut.

Van Wyck war nicht selbst zu ihrer Verteidigung in den Zeugenstand getreten. Stattdessen hatten sich ihre Anwälte auf den angesehenen Toxikologen Dr. Richard Kramer verlassen. Ein Mann, der die Geschworenen über die Wunder der Drogentests von Haaren belehrt hatte. Laut Kramer wurden die Haarwurzeln, während das Haar wuchs, durchblutet. Bei einem chronischen Drogenkonsumenten enthielt das Blut Spuren der fraglichen Drogen, die in der Haarrinde eingeschlossen wurden. Da ein Haar ungefähr einen Zentimeter im Monat wächst, konnte man verschiedene Abschnitte eines Haares einer Person untersuchen und sagen, wie lange diese Person bereits Drogen nahm.

Kramer sagte aus, dass die Untersuchung der Haarprobe von Carissa Lawson hohe Dosen an Oxycodon und Kodein in allen Abschnitten ihrer acht Zentimeter langen Haare ergeben habe. Die offensichtliche Schlussfolgerung? Carissa Lawson hatte über Monate hinweg Kokain und Schmerzmittel wie OxyContin genommen und war an einer selbst zugefügten Überdosis gestorben.

Während er sich seinem Schlussplädoyer näherte, wusste Jason, dass die Geschworenen nach einem Grund suchten, die beliebte Angeklagte freizusprechen. Das People Magazine zählte sie schließlich durchgängig zu den gefragtesten weiblichen Interpreten. Der Scheidungsantrag ihres Mannes und der Mordprozess hatten ihr nur noch mehr Aufmerksamkeit gebracht und die Plattenverkäufe angekurbelt. Außerdem weinte die Sängerin während der Verhandlung wie aufs Stichwort.

»Mord durch Vergiften? Oder eine versehentliche Überdosis?«, fragte Jason. Er schritt vor den Geschworenen auf und ab. Keine Notizen, nur ein spontaner kleiner Plausch. Jason hatte jedes Wort auswendig gelernt.

»Carissa Lawson hatte die Beziehung mit dem Ehemann der Angeklagten beendet. Doch das bedeutete nicht, dass er sie weniger liebte. Und es bedeutete auch nicht, dass er nicht vorhatte, die Angeklagte abzuservieren und Carissa zum nächsten Superstar zu machen.

Hatte Kendra van Wyck ein Motiv? ›Es gibt nichts Schlimmeres als die Rache einer verschmähten Frau.‹ Indem sie Carissa Lawson tötete, konnte die Angeklagte gleichzeitig Carissa und ihren Mann bestrafen.

Ohne Zweifel – die Angeklagte hatte eine Menge Motive.

Die Angeklagte wurde früh am Abend der Nacht, in der Carissa Lawson starb, mit ihr gesehen. Als die Angeklagte von der Affäre ihres Mannes erfuhr, konfrontierte sie ihn nicht damit. Auch Carissa konfrontierte sie nicht damit. Sie beschloss stattdessen, Freunde zu bleiben, damit Carissa keinen Verdacht schöpfte, wenn sie Zeit mit ihr verbrachte. Die Angeklagte hatte durch jede Menge enge Bekannte Zugang zu OxyContin-Tabletten zur Schmerzlinderung und zu Kokain. Zwei von diesen Bekannten haben sich des Drogenbesitzes mit Verkaufsabsicht schuldig bekannt.

Mit anderen Worten: Die Angeklagte hatte die Gelegenheit.

Doch Mr Lockhart behauptet, dass die Affäre zwischen Caleb van Wyck und Carissa Lawson zwei Monate vor deren Tod stattgefunden habe. Warum hätte die Angeklagte sechs Monate vorher beginnen sollen, Carissa Lawson zu vergiften? Laut Mr Lockhart beweist die Haarprobe, dass Carissa Lawson eine Drogenabhängige war, die an einer Überdosis starb, und kein Opfer einer einmaligen Vergiftung.«

Jason hielt inne. Jetzt hatte er ihre Aufmerksamkeit. »Und so läuft alles wieder auf das Haar hinaus. Abgesehen von dem Toxikologen hat kein einziger Zeuge Carissa Lawson mit Drogenmissbrauch in Verbindung gebracht. Zeigt das Haar wirklich einen sechsmonatigen Drogenkonsum, oder sollten wir die Ergebnisse der Haaruntersuchung als unzuverlässig verwerfen?

Sie werden sich an mein Kreuzverhör von Dr. Kramer erinnern. Er gab zu, dass Haare durch Fremdquellen mit Drogen kontaminiert werden können: zum Beispiel durch Schweiß oder wenn man sich mit den Händen durchs Haar fährt. Das kann die Ergebnisse fehleranfällig machen.« Jason machte eine effektvolle Pause. Eines der Dinge, die er gelernt hatte, indem er Verteidiger vor Gericht studiert hatte, war die Wirkung von Stille. Ein Verteidiger, der keine Angst vor Stille hatte, zeigte eine feste Überzeugung. Stille half, die Geschworenen neu auszurichten.

Sie half Jason außerdem, sich an sein Skript zu erinnern.

»Sie haben gehört, wie der Gerichtsmediziner den langsamen und schmerzhaften Tod beschrieb, den Carissa Lawson erlitt. In großen Mengen verschließen Kokain und Oxycodon die Lungen, was dazu führt, dass das Opfer erstickt, während sich Flüssigkeit ansammelt und die Atmung nicht mehr möglich ist. Am Ende ertrank Carissa in ihrer eigenen Lungenflüssigkeit, vermutlich, während ihre eigene beste Freundin zusah und vorgab, den Notarzt zu rufen, während Carissa nach Luft rang.«

Jason schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Schwitzte Carissa Lawson, während sie diesen langsamen Tod starb und darum kämpfte, Luft zu bekommen?« Er hielt abermals inne und sah jeden Geschworenen nacheinander einzeln an. »Sie entscheiden. Eines ist nicht fraglich – wenn sie vergiftet wurde, hätte ihr Schweiß große Mengen dieser Drogen enthalten und ihre Haare verunreinigt.

Doch Dr. Kramer sagt, wir sollten uns deshalb keine Sorgen machen. Bevor er die Haare untersuchte, wusch er die Proben zweimal mit Dichlormethan, einem Lösungsmittel, das garantiert jede Kontamination entfernt. Aber Sie haben auch gehört, dass unser Toxikologe, Dr. Chow, sagte, dass seiner Meinung nach Drogen, die im Schweiß enthalten sind, nicht durch bloßes Waschen vom Haar entfernt werden könnten, weil sie Ionenverbindungen mit den Haarfollikeln bilden würden. Folglich kann uns eine Haaruntersuchung nicht sagen, ob die im Haar vorhandenen Drogen auf eine Kontamination durch Schweiß nach einer einmaligen Vergiftung zurückzuführen sind oder auf längerfristigen Drogenmissbrauch.

Gestern Abend kam ich auf eine haarsträubende Idee, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen. Ich habe meine Haare platinblond gefärbt – wobei der Farbstoff die externe Kontamination darstellt, die sich mit den Haarpartikeln verbindet.« Jason ging zu seinem Anwaltstisch hinüber und sprach dabei über seine Schulter weiter. »Sie werden sich erinnern, dass Dr. Chow aussagte, dass dieselbe chemische Reaktion, die die Einbindung von Haarfärbemitteln in die Haarfollikel erklärt, genauso mit Drogen wie Kokain und Oxycodon stattfindet.«

Jason zog ein Handtuch aus seiner Aktentasche und nahm zwei Plastikflaschen vom Boden hoch. Er ging wieder zur Geschworenenbank zurück und lächelte kurz zwei jungen, weiblichen Geschworenen zu – die Geschworenen 5 und 7 –, die genickt hatten, als er seine Argumente anführte.

Jason konnte im Allgemeinen auf die jüngeren Frauen zählen. Er hatte nicht den gemeißelten Kiefer eines Filmschauspielers, doch er war gut in Form und hatte mehr als nur ein paar Bemerkungen über seine Augen erhalten. »Schlafzimmerblick.« »Faszinierend.« Oder an Tagen vor Gericht wie heute, wenn er seine grünen Kontaktlinsen trug: »durchdringend«.

Jason kam aus der Entfernung – wie die drei Meter, die ihn von den Geschworenen trennten –, gut mit Frauen aus. Nur diejenigen, die er näher an sich heranließ, machten ihm immer Probleme.

»Ich habe meinen Experten gebeten, mir etwas Dichlormethan zu Verfügung zu stellen«, erklärte er. »Ich werde meine Haare direkt hier vor Ihnen waschen, und zwar mit derselben Chemikalie und derselben Prozedur, wie sie Dr. Kramer anwandte, bevor er die Haare des Opfers untersuchte.«

»Einspruch!« Austin Lockhart hielt es anscheinend nicht länger aus. Die meisten Anwälte vermieden es, während Schlussplädoyers Einspruch zu erheben, da das im Allgemeinen nur die Argumente des Gegners untermauerte. Doch Lockhart hatte damit Karriere gemacht, selbst Nebensächlichkeiten zu bestreiten, bis er rot im Gesicht und mehr als wütend war. Was im Moment absolut zutraf.

»Das ist unerhört«, schäumte er. »Die chemische Zusammensetzung von Haarfärbemittel und Kokain ist wohl kaum dieselbe. Woher wissen wir überhaupt, dass in dieser Flasche Dichlormethan ist? Das Ganze ist nichts als Selbstdarstellung und höchst unpassend.«

Jason heuchelte Verblüffung darüber, dass jemand dagegen Einspruch erheben könnte. Statt sofort zu antworten, sah er zur Richterin auf, als sei der Einspruch es nicht wert, dass er seinen Atem dafür verschwendete.

»Mr Noble?«, fragte Richterin Waters.

»Zunächst einmal, Frau Richterin, hatte ich gestern Abend kein Kokain oder Oxycodon zur Hand, sonst hätte ich das benutzt. Doch wenn ich ein Geschworener wäre, wüsste ich zumindest gerne, ob dieses viel gepriesene Lösungsmittel, das Dr. Kramer benutzte, ein bisschen Haarfarbe entfernen kann.«

»Das ist … das ist einfach … lächerlich!«, stammelte Lockhart. »Es ist nicht relevant, und es ist höchst gesundheitsschädlich. Wenn er eine Vorführung hätte machen wollen, hätte er es mit seinem Experten tun müssen, damit ich Dr. Chow dazu ins Kreuzverhör hätte nehmen können.«

»Es tut mir leid, Euer Ehren«, antwortete Jason rasch. »Ich muss an dem Tag im Beweismittelunterricht gefehlt haben, als es hieß, Selbstdarstellung sei unzulässig.«

Als er ein paar Geschworene kichern hörte, wusste Jason, dass er auf der richtigen Spur war.

»Außerdem«, fuhr er fort, »würde Dr. Chow mit platinblonden Haaren noch lächerlicher aussehen als ich.«

»Darüber könnten die Meinungen auseinandergehen«, sagte die Richterin und erntete damit ebenfalls Gekicher. »Einspruch stattgegeben.«

Jason wandte sich wieder den Geschworenen zu und bemerkte, dass die Geschworene 7 noch immer ein leichtes Lächeln im Gesicht trug. Er würde diese Resonanz mit einer großzügigen Portion Augenkontakt stärken. »Jetzt, wo wir festgestellt haben, wie viel Vertrauen die Verteidigung in ihre eigenen Haarwaschprozeduren setzt, lassen Sie uns über die Affäre sprechen …«

Ornament

In einer Luxussuite des Westin Hotels sah Robert Sherwood, der Geschäftsführer von Justice Inc., dem Gerichtssaaldrama im Hausfernsehen zu. Er studierte die Bilder auf dem geteilten Bildschirm – eine Kamera folgte Jason im Gerichtssaal, die andere fing die Gesichtsausdrücke der Geschworenen ein. Sherwood war bereit, 75 Millionen Dollar aus seinen Firmengeldern auf den Ausgang dieses Falles zu verwetten.

Wie die meisten überlebensgroßen Rockstars unterstützte auch Kendra van Wyck ein Labyrinth von Firmen. Die Plattenfirma ihres Mannes, eine Modelinie, ihre eigene Realityshow- und Produktionsfirma. Alle waren höchst profitable Unternehmen, doch sie alle waren wertlos, wenn die Diva zu einem Leben im Gefängnis verurteilt wurde. Wenn sie dagegen gewann, würde der Wert der Firmen in die Höhe schnellen. Bis heute, bis zu diesem genialen Kunststück im Schlussplädoyer, hatte Sherwood gedacht, van Wyck würde der größte Freispruch eines Prominenten seit O. J. Simpson zuteil werden. Inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher.

»Der Junge ist vielleicht schlauer, als es gut für ihn ist«, sagte Sherwood kopfschüttelnd. »Er verfälscht die Ergebnisse.«

Er rieb sich die Stirn, wo sich mal wieder Migräneschmerzen breitmachten. Seine Firma hatte Hunderttausende von Dollar in die sorgfältige Recherche dieses Falles investiert, die perfekten Geschworenen ausgewählt, jedes Beweisstück genau geprüft. Jetzt machte Jason Noble das Ganze mit einem einstudierten Drama in seinem Schlussplädoyer zunichte.

»Wir können nicht zulassen, dass das noch einmal vorkommt«, sagte Sherwood. »Sorgen wir dafür, dass dieser Prozess sein letzter ist.«

5

Jason Noble sah die Berichterstattung der Schießerei in den Studios von WDXR im Fernsehen in seinem Hotelzimmer – einer Suite mit Meerblick im Malibu Beach Inn an der Küste von Kalifornien.

Bis das Filmmaterial seine Aufmerksamkeit weckte, war er allein darauf konzentriert gewesen, auf den Anruf zu warten, der ihm sagte, dass die Geschworenen zu einem Urteil gekommen waren. Den Luxus um sich herum bemerkte er gar nicht – den wunderbar weißen Sand von Carbon Beach, das aufmerksame Hotelpersonal, das bereit war, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, die Crème de la Crème von Hollywood, die gelegentlich die Bar in der Lobby frequentierte. Nichts davon war wichtig, während er über die Fortschritte der Geschworenen spekulierte, den Fall van Wyck in Gedanken wieder und wieder durchging und sich auf das Schlimmste gefasst machte. Derselbe junge Anwalt, der im Gerichtssaal Gelassenheit und Unbekümmertheit demonstrierte, war erstklassig darin, sich Sorgen zu machen, wenn sich die Geschworenen zur Beratung zurückzogen.

Doch in den letzten paar Minuten hatte er seinen eigenen Fall vollkommen vergessen.

Laut Fox News war die ganze schmutzige Geschichte bei WDXR live in Virginia Beach und Norfolk ausgestrahlt worden. Jetzt, zwei Stunden später, sah er zum dritten oder vierten Mal eine Aufzeichnung der Schießerei. Jedes Mal, wenn sie das Band abspielten, riet eine Nachrichtensprecherin den Zuschauern mit schwachem Magen, nicht hinzusehen. Eine Einblendung am unteren Bildrand warnte vor Gewaltdarstellungen. Jason gehörte vermutlich zur Kategorie »schwacher Magen«, aber er konnte den Blick nicht abwenden und sah in morbider Fassungslosigkeit zu, wie Jamison auf Rachel Crawford schoss, während die Kugeln des Sondereinsatzkommandos in Jamisons Körper krachten und die letzten Schüsse Teile seines Kopfes wegrissen.

Jason schaltete weiter auf andere Kanäle, von denen alle atemlos das Band abspielten (wenn einige auch die letzten paar grausigen Bilder herausschnitten) und die Belagerung aus verschiedenen Blickwinkeln analysierten. CNN hatte einen Bürgerrechtsanwalt aufgetrieben, der das Sondereinsatzkommando kritisierte. Sie hätten schneller zuschlagen müssen. Sie hätten früher Tränengas einsetzen müssen. Die üblichen Salonstrategen-Diskussionen. NBC wartete mit einem forensischen Psychiater auf, der versuchte, Jamisons wirren Verstand zu analysieren. CBS konzentrierte sich auf die Waffe.

Eine Frau der Handgun Violence Coalition argumentierte leidenschaftlich für eine Erneuerung des Verbots von halbautomatischen Feuerwaffen. »Diese Waffe dient keinem legitimen Zweck. Man kann nicht damit jagen. Für Schießübungen ist sie nicht geeignet. Sie wird nur zu einem Zweck benutzt: unschuldige Menschen niederzumähen.« Ihre rechtschaffene Empörung war förmlich mit Händen zu greifen. »Was wir heute gesehen haben, ist genau der Zweck, zu dem diese Waffe verkauft wird.«

Die CBS-Moderatorin Jessica Walsh – jung, fotogen und ausdrucksstark – nickte. »Laut Polizei ist die fragliche Waffe eine MD-9, eine halbautomatische Handfeuerwaffe, die von der Waffenfirma MD Firearms in Georgia hergestellt wurde. Die Geschäftsführerin der Firma, Melissa Davids, ist uns jetzt live aus Atlanta zugeschaltet.«

Die Aufnahme einer arrogant dreinblickenden Brünetten füllte den halben Bildschirm. Jason schätzte sie auf ungefähr fünfundvierzig oder fünfzig Jahre. Die Frau hatte ein langes Gesicht mit eindrucksvollen braunen Augen, einem vorspringenden Kinn und scharfen Wangenknochen; ein paar Pfund weniger, und sie hätte magersüchtig ausgesehen.

»Guten Abend, Ms Davis«, sagte Walsh.

»Guten Abend.«

»Was sagen Sie zu dem Argument, dass die MD-9 vorwiegend von Kriminellen benutzt wird und nicht zum Schutz der Gesetze dient? Ohne die Debatte wieder aufwärmen zu wollen, ob Waffen töten oder Menschen töten: Können Sie uns sagen, warum Sie eine Waffe wie diese herstellen?«

»Weil sie gekauft wird.«

Walsh wartete auf eine detailliertere Erklärung, doch Davis sah nur in die Kamera. Ungerührt. Unverfroren.

»Aber das ist doch der Punkt«, sagte Walsh mit gerunzelter Stirn. »Die Waffe wird überproportional oft von Kriminellen gekauft, oft illegal oder über Strohmänner. Warum sollten legitime Käufer, die Waffen zur Selbstverteidigung oder zur Jagd nutzen, eine Waffe wie diese benötigen?«

»Warum stellt man Autos her, die schneller fahren als die Geschwindigkeitsbegrenzung es erlaubt?«, fragte Davids knapp und kompromisslos zurück. »Ihre Fragen gehen am eigentlichen Thema vorbei. Warum fragt niemand nach den Gesetzen, die es ehrlichen Bürgern verbieten, bei der Arbeit Waffen zu tragen? Wenn jemand in diesem Studio eine Waffe gehabt hätte, würden Rachel Crawford und die anderen Opfer jetzt vielleicht noch leben.«

Walsh machte ein skeptisches Gesicht und verzog die Mundwinkel. »Das heißt, dass Sie sich in keiner Weise für diese Tode verantwortlich fühlen?«

»Nein. Die erste Tragödie in diesem Fall ist, dass die einzige Person, die in diesem Studio eine Waffe hatte, ein geistesgestörter Mörder war. Die zweite Tragödie ist, dass Fernsehanstalten wie die Ihre den Bericht immer und immer wieder zeigen, um die Einschaltquoten zu steigern.« Davids verengte die Augen; ihre Verachtung für die Medien war deutlich sichtbar. »Und dafür fühlen Sie sich nicht verantwortlich?«

Jason kam es so vor, als habe die Frage Jessica Walsh unvorbereitet getroffen. Eigentlich sollte sie die harten Fragen stellen. Ihr Blick schoss einen Moment von der Kamera fort, doch sie fing sich schnell: »Wir warnen unsere Zuschauer immer vor drastischem Filmmaterial«, erklärte sie. »Dennoch ist es unsere Pflicht, aktuelle Ereignisse zu zeigen, auch wenn sie manchmal vielleicht bestürzend sein mögen.«

»Sie lassen die Zuschauer entscheiden; wir lassen die Käufer entscheiden«, sagte Davids. »Dies ist ein freies Land.«

Walsh antwortete mit einem sarkastischen kleinen Grunzen – der ungläubige kleine Laut entschlüpfte ihr, bevor sie sich zurückhalten konnte. »Melissa Davids«, sagte Walsh, »Geschäftsführerin von MD Firearms. Vielen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben.«

»Gern geschehen. Und, Jessica?«

»Ja.«

»Ich möchte den Familien der Opfer mein Mitgefühl aussprechen.«