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Peter Dempf

Das Geheimnis des Hieronymus Bosch

Roman

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XVIII

Petronius lag auf seiner Pritsche, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und dachte nach. Das Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Das Bild, das direkt neben dem Holztisch gestanden hatte. Er hatte sofort gesehen, dass es sich um die erste Innentafel des Triptychons handelte, von dem er die Außenflügel bereits gesehen hatte. Nicht mehr die Weltretorte, das Ei, aus der das Paradies am sechsten Schöpfungstage schlüpfen würde, sondern das Paradies selbst. Aber was war das für ein Paradies gewesen, das sein Meister hier dem Betrachter vorgesetzt hatte?

Er wusste nicht mehr, was ihm mehr Angst eingejagt hatte, der Zustand seines Meisters oder die Art, wie dieses Bild angelegt worden war.

Jacob van Almaengien hatte ihn in ein Gespräch über das Gemälde verwickelt und Petronius hatte nicht entscheiden können, ob er ihn damit vom Zustand seines Meisters hatte ablenken oder ihm das Geheimnis des Bildes hatte offenbaren wollen.

„Was seht Ihr, Petronius Oris?“

„Meister Bosch, der sich in Krämpfen windet, Herr!“

Almaengien hatte auf das Paradiesbild gedeutet.

„Seht auf das Bild und vergesst den Maler. Ihm wird nichts geschehen. Er sucht sich eben einen Weg durch das Labyrinth der Bedeutungen. Den Paradiesgarten sollt Ihr Euch betrachten. Nun?“

Petronius war einen Schritt näher an die Tafel herangetreten. Hieronymus Bosch hatte aufgestöhnt und sich auf dem niederen Tisch hin und her geworfen. Das gurgelnde Atmen des Meisters hatte ihn beim Betrachten des Bildes verfolgt – und plötzlich hatte er gewusst, was ihn an dieser Darstellung erschreckte. Das Gemälde war in drei farblich voneinander unterschiedene Felder aufgeteilt, die jeweils eine eigene Bedeutung trugen: unten, in zart grünlicher Farbe, führte Jesus Adam Eva zu. Im mittleren, grünlich gelben Teil, dominierte ein brunnenähnliches Gebilde, das dieselbe rötliche Farbe erhalten hatte wie das Gewand des Erlösers, und im himmelblauen Hintergrund wurde die Retortenwelt des umseitigen Schöpfungsgemäldes auch farblich wieder aufgenommen. Dennoch täuschte die Szenerie.

„Ist das wirklich ein Paradies?“, hatte Petronius nachgefragt und bemerkt, wie Jacob van Almaengien von hinten an ihn herangetreten war. Wieder war ihm dieser Geruch in die Nase gestiegen, der kaum wahrnehmbar und für ihn doch so verwirrend war. Auch die Stimme des Gelehrten hatte sich verändert und einen sanften, beinahe singenden Unterton bekommen.

„Es ist ein Paradies der besonderen Art! Ein Labyrinth der Sinne, wenn Ihr versteht. Ihr müsst ihn durchwandern, wenn er zu Euch sprechen soll.“

Es war Petronius, als würde er sich erst jetzt, nachdem er sich auf seinem Bett zur Ruhe begeben hatte und der Morgen sich langsam durch das Fenster seiner Kammer ankündigte, auf den Weg in das Bild hinein machen. Alles stand wieder vor seinem inneren Auge: das Stöhnen und Zerren seines Meisters, die Stimme Jacob van Almaengiens und das Paradiesgemälde.

In diesem Paradies hatte der Tod Einzug gehalten! Während Adam seine Eva betrachtete, fing eine Katze ihre Mäuse, fraß ein Vogel den Frosch, den er sich aus einem Teich im rechten unteren Bildrand gespießt hatte. Der Tümpel gebar Wesen einer anderen Welt: dreiköpfige Reiher, lesende Schnabeltiere, Einhornpferde, fliegende Fische. Niemand hatte je Ähnliches gesehen, niemand je davon gehört. Er wusste, dass die rote Tunika, die Jesus trug, Liebe bedeutete. Er ahnte, dass diese Liebe sich auf die Menschen erstreckte, nicht aber auf die Tierwelt. Er wunderte sich nur, dass Liebe und Tod sich im Paradies vertrugen. Und doch passte die Stimmung nicht. Adam und Eva betrachteten sich nicht mit Unschuld. Adam sah erstaunt hoch, während Eva bereits zu Boden blickte, als würde Scham sie dazu nötigen.

„Es ist nicht die Scham, die sie zu Boden blicken lässt!“

Jacob van Almaengien hatte das ausgesprochen, als läse er seine Gedanken.

„Wenn nicht das, was dann?“

Petronius wusste wohl, dass die ersten Stunden der beiden Paradiesbewohner voller Unschuld, voller Innigkeit gewesen sein mussten. Keiner von beiden hatte noch vom Baum der Erkenntnis gekostet.

Petronius sah dieser Eva ins Gesicht, holte sich diese Eva in Gedanken näher heran, überlebensgroß. Und jetzt wusste er, dass sie gedrängt werden musste. Sie wollte sich nicht zu Adam herabbeugen, musste vom Herrn erst dazu gezwungen werden. Sie widerstand erst und beugte sich schließlich der Gewalt des Herrn, der Gewalt Jesu, des Vertreters eines Neuen Testamentes. Sie war also nicht freiwillig die Frau des ersten Paradiesbewohners geworden. Gewalt zwischen Mann und Frau. Hatte diese elementare Störung der Idylle Meister Bosch dazu veranlasst, Gewalt ins paradiesische Spiel der Tiere zu streuen?

Petronius hatte auf den Brunnen in der Mitte gedeutet und gefragt:

„Ist das der Brunnen des Lebenswassers, Herr?“

Zuerst hatte sich Almaengien um Hieronymus Bosch gekümmert, der sich aufbäumte und stoßweise zu atmen begann. Er trat an den Meister heran und streichelte ihn von der Stirn herab bis hinunter zu den Zehen. Langsam entspannte sich der Körper Boschs und ein zufriedenes Lächeln zog über sein Gesicht.

„Er ist angekommen. Er sieht jetzt das Paradies!“, flüsterte Jacob van Almaengien und ließ sich wachend neben Bosch nieder.

Petronius war die Art zu sitzen aufgefallen, die Weise, wie Almaengien sich über seinen Meister beugte und dabei die Beine übereinander schlug. Aber in dieser Nacht brachte er einiges nicht zusammen und so widmete er sich wieder dem Gemälde.

Der Brunnen erhob sich über einer blaugrauen Insel, die aus Steinen und Phiolen bestand.

„Es ist eine zwiespältige Welt, Herr“, hatte Petronius ein Selbstgespräch begonnen. „Einerseits leben die Tiere hier friedlich nebeneinander, andererseits entsteigen dem See, der vom Wasser des Lebens gespeist wird, Höllenfiguren, wie der dreiköpfige Lurch dort.“

Er deutete auf das Tier, das am rechten Seeufer das Wasser verließ und mit seinen drei an schmalen Hälsen sitzenden Köpfen die Umgebung musterte.

Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Petronius richtete sich in seinem Bett auf. Die Szenerie belebte sich vor seinem Auge, als wäre sie auf die Schräge gegenüber seiner Schlafstatt gemalt.

In einer Öffnung des Lebenswasserbrunnens saß eine Eule und spähte nach draußen. Der Vogel der Weisheit einerseits, andererseits aber auch der Falschheit, das Attribut des Satans, ein Symbol der Ketzerei! Auge, sei wachsam, hieß es hier. Lass dich nicht täuschen. Das Blau der Insel warnte davor: Blau als die Farbe des Betrugs. Hier waren die Steine der Weisen versammelt, die Phiolen, mit denen die Gelehrten dem Elixier, der quinta essentia, nachspürten, es aber nie finden würden, weil sie niemals bis ins Paradies vordrangen. Verblendet waren sie alle, diese Sucher und Tüftler.

„Das Böse ist schon immer in dieser Welt gewesen!“, flüsterte Petronius lapidar.

„Das Böse und die Täuschung. Nur wer hinsieht, wird diese Botschaft bemerken, die Euer Meister hier hineingewoben hat.“

Noch vor einer Stunde hatte er das nicht verstanden.

Jacob van Almaengien wusch seine Hände in einem Wasserbecken, das Petronius bislang nicht bemerkt hatte. Er verwendete dazu eine Substanz, die das Wasser weiß aufschäumen ließ. Der Gelehrte deutete mit dem Kinn zu Hieronymus Bosch hinüber.

„Wir müssen ihn zudecken. In einer Stunde wird er wieder erwachen. Dann kann ich Euch nur empfehlen, nicht mehr hier zu sein. Noch nie hat ihn jemand in diesem Zustand gesehen. Er wünscht sicher nicht, dass es jemand erfährt.“

Petronius studierte verstohlen die schäumende Substanz. Sie entfernte den Fettfilm von Almaengiens Händen.

„Eines noch, Herr“, warf Petronius ein. „Die Vögel im Hintergrund. Sie werden geboren, durchfliegen die Welt und kehren allesamt zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Nur dort werden sie getrennt, in die dunklen, die eingehen in das Ei und in die hellen, die in diesem Paradies einhergehen und sich vergnügen dürfen. Ich verstehe es soweit, dass der allmächtige Kreislauf der Natur von Leben und Tod beschrieben wird. Aber warum werden die Vögel getrennt?“

Jacob van Almaengien breitete eine Decke über den zitternden Körper Meister Hieronymus’ aus. Mit den Händen fuhr er über das Gesicht des Träumenden, auf dem wieder dieses eigenartige, Lächeln erschien. Dann erst antwortete er:

„Die Antwort erwächst aus dem Verstehen, Petronius Oris. Denkt nach, aber verlasst uns jetzt. Ich werde bei ihm sitzen und warten, bis er wieder erwacht. Schlaft jetzt.“

Er war die Treppe hinabgestiegen und hatte sich auf seine Pritsche gelegt, um zu schlafen. Aber der Schlaf kam nicht, die Erinnerung hielt ihn wach, das Erlebte rumorte in seinem Inneren wie schlecht verdautes Essen. Irgendetwas auf diesem Bild musste er übersehen haben. Wenn Hieronymus Bosch ihm vorwarf, eine Paradiesszene, die Eva aus dem Kopf des Herrn gebar, bringe ihn auf den Scheiterhaufen, dann war sein Meister ein mindestens ebenso sicherer Kandidat für die Hunde des Herrn!

In diesem Moment fiel ihm ein, dass er die Zeichnung noch besaß, die Skizze, um derentwillen Meinhard hatte sterben müssen. In seinem Kopf verwirrte sich alles. Er musste Pieter aufsuchen, den Langen Zuider, den Entwurf verbergen und ...

Entschlossen schwang er sich von seinem Lager und schlüpfte in seine Schuhe. Es würde ein arbeitsreicher Tag werden und er wollte ihn zeitig beginnen.

XIX

Wie eine samtene Decke legten sich einige Tage später Sonne und Wärme über den gepflasterten Marktplatz. In den Gesichtern der Stadtbürger spiegelten sich die Sommertage. Die Frauen ließen sich in luftigen, an den Ärmeln aufgeschnittenen Kleidern bewundern und die Herren standen in Seide und duftigem, mit Kaninchenhaar weich gewirkten Barchent in Gruppen zusammen und beratschlagten die aktuellen Kurse von Brügge und Antwerpen, lachten über die Kapriolen der Reichspolitik Kaiser Maximilians und bestaunten den Baufortschritt der Kathedrale Sint Jan.

Der Tag mit seinen angenehmen Windstößen trug Petronius mit einer seit langem nicht mehr gekannten Leichtigkeit durch die Menschenansammlungen bis vor die Kathedrale.

Er fand den Langen Zuider vor dem Portal sitzen und betteln. Mit untergeschlagenem Bein hockte er an einer der Eingangssäulen zum Kirchenschiff, den Kopf unter der Kapuze verborgen, die knochige Hand gegen die Kirchgänger hin ausgestreckt. In einem fort murmelte er seinen Satz:

„Eine Kleinigkeit, bitte eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit, bitte eine Kleinigkeit.“

Petronius erkannte ihn am Stock, dessen Knauf diese charakteristische Verwurzelung bildete. Er drückte dem Bettler eine Kupfermünze in die Hand und flüsterte ihm zu, er solle ihm hinter die Kirche folgen. Der Lange Zuider nickte, während Petronius die eichene Tür aufstemmte und das Innere der Kathedrale betrat. Er durchschritt den unfertigen Raum, in dem das helle Picken der Steinmetze widerhallte und dessen zum Himmel offenes Gewölbe vom Summen unzähliger Stimmen ausgefüllt wurde. An der nördlichen Seitenpforte betrat er wieder die Straße. Der mächtige Körper der Kirche warf seinen kühlen Schatten über die Gasse, so dass es Petronius im ersten Moment fröstelte. Zu seinem Erstaunen erwartete ihn der Bettler bereits.

„Die Maler in dieser Stadt werden immer großzügiger“, begrüßte er ihn säuerlich und winkte mit der Kupfermünze. „Soll ich mir dafür auch was fürs Alter zurücklegen? Nun werd’ nicht verlegen, Petronius. Was willst du?“

Petronius erzählte ihm vom Überfall auf den Fuhrmann und von den Räubern.

„Ich bin mir sicher, dass sie alle Dominikaner waren. Mönche als Räuber!“

Der Lange Zuider nickte.

„Ich habe davon erfahren. Bosch war Euch von Oirschot aus entgegengekommen. Er entdeckte das verbrannte Fuhrwerk und die Kostüme, ritt sofort nach Den Bosch und zeigte den Vorfall im Rathaus an. Ich glaube aber nicht, dass er etwas damit erreicht, selbst wenn er Pater Johannes auf frischer Tat ertappt hätte.“

Petronius zog seine Jacke enger um sich. Der kühle Atem der Kathedrale wehte kräftig in den Sommertag hinein. Er wollte eben zu seiner eigentlichen Frage ansetzen, als eine Prozession auf die Hinthamerstraat einbog.

„Geißler!“, flüsterte der Bettler und zog Petronius weiter in den Schatten der Kathedrale. Die Gruppe religiöser Fanatiker zog zum Marktplatz hinunter. Misstrauisch folgten die beiden Männer der Schar.

Das Klingen der Weihrauchfassketten und ein monotoner Gesang im Rhythmus der Schritte sowie gleichmäßige Peitschenschläge begleiteten sie. Ihre Köpfe lagen unter dunklen Tuchmützen verborgen, die Oberkörper waren nackt. Sie steckten in schwarzen Beinkleidern. Mit siebenschwänzigen Geißeln, deren Riemen von Schweiß und geronnenem Blut dunkel gefärbt waren, schlugen sie sich regelmäßig auf den Rücken, bis dort die Haut platzte und ihnen das Blut herablief. Dabei wechselten sie ab mit monotonen Gebeten und Gesängen. Während die Gruppe auf sie zuzog, knurrte der Bettler:

„Seit das Pfaffenvolk Suppe und Kupfermünzen für die Geißler bereithält, haben sie Zulauf. Beinahe jede Woche einmal durchschreitet eine Gruppe die Stadt. Um ausbezahlt zu werden, dürfen keine blutigen Striemen der letzten Geißelung mehr zu sehen sein. Die Spezialisten ersetzen deshalb die Metallknötchen am Ende der Peitschen durch harmlose Stoffbällchen. So bleibt die Haut heil und der Geißler kann sich in der nächsten Woche wieder einer neuen Gruppe anschließen und kassieren. Dafür steigt der Bedarf an Ochsenblut stark an, in dem die Riemen zuvor getränkt werden.“

Begleitet wurden die Männer in ihren schwarzen Kapuzen von einigen Dominikanern, die Weihrauchfässer schwangen und Kerzen in den Händen hielten.

„Wenn du ihnen in den Weg trittst, wirst du gezwungen, die Geißel zu nehmen. Sie wollen damit dich und die Welt läutern. Hoffnungsvolle Toren!“, setzte er noch hinzu. „Aber das war doch sicher nicht alles, was du von mir wissen wolltest?“

Petronius riss sich von dem Schauspiel los.

„Nein. Was erzählt man sich über Jacob van Almaengien? Hast du etwas erfahren?“

Der Bettler schmunzelte, wartete jedoch ab, bis die Geißler an ihnen vorübergezogen waren und in Richtung auf den Vorplatz der Kirche einbogen.

„Ich erfahre alles, mein Freund! Jacob van Almaengien ist Jude gewesen. Vor gut vierzehn Jahren – das war noch vor meiner Zeit hier in Den Bosch – ließ er sich taufen. Aber nicht irgendwie und wie jeder andere! Der hatte Einfluss. Wenn du mir seinen richtigen Namen genannt hättest, unter dem er hier in Den Bosch lebt, hätte ich sofort gewusst, wen du meinst. Er heißt Meester Philipp van Sint Jan. Ein großer Gelehrter von untadeligem Ruf und hoher Stellung. Die ganze Welt pilgert zu ihm, wenn es um Dinge des Geistes oder der Wissenschaft geht. Ein Akademiker ist er, ein Mann der Universität.“

Petronius pfiff durch die Zähne. Das hatte er nicht erwartet. Dagegen klang der brummelige Gesang der Geißler dumpf.

„Warte nur, Freund. Das Beste kommt noch. Stell dir vor, zu seiner Taufe waren Philipp der Schöne und sein gesamtes Gefolge anwesend. Niemand geringerer also als der Landesherr von Brabant. Was der Gipfel ist, er wurde wenig später in die Liebfrauenbruderschaft aufgenommen. Von dort kennen sich Bosch und er. Das war’s vorerst, Freund Petronius. Ich hoffe, es hat dir die Sprache verschlagen. Du porträtierst einen der wenigen Menschen aus ‘s-Hertogenbosch, den die gesamte übrige Welt auch kennt. Nicht mehr und nicht weniger. Er korrespondiert mit allen großen Geistern der Zeit!“

Der Lange Zuider trat noch etwas näher. Vom Kirchplatz her kam eine weitere Gruppe Dominikaner auf sie zu:

„Es kommt noch besser. Man sagt ihm nach, heimlich alchemistische Experimente zu betreiben. Aber niemand konnte ihm bislang etwas nachweisen. Philipp der Schöne hatte seine Hand darauf, aber der ist ja vor vier Jahren gestorben. Gott hab ihn selig. Seither ist es still geworden um die alchemistischen Experimente des Gelehrten. Soweit ich vernommen habe, ist er eine Zeitlang durch Europa gereist. Seit gut eineinhalb Jahren lebt er allerdings wieder in der Stadt.“

Er verstummte, da die Mönche auf Hörweite herangekommen waren. Der Bettler zog Petronius zu einem der Seiteneingänge der Kathedrale.

„Verschwinden wir hier. Es riecht brenzlig!“, maulte er, als das Tor hinter ihnen zuschlug.

Kurz darauf quietschte das Tor wieder in den Angeln.

XX

Petronius roch die Mönche, bevor er sie sehen konnte. Als er die Schankstube betrat, stieg ihm neben dem Bierdunst und dem scharfen Dunst des Weins auch das süßliche Aroma des Weihrauchs in die Nase. Tatsächlich entdeckte er sie in einem der hintersten Winkel, nahe dem Ausschank, beinahe direkt neben dem Abtritt zum Hof. Einer der Daubenschläger, die bei der Tür an einem alten Fass lehnten, zog geräuschvoll die Nase auf und spuckte auf den Boden, als er den Blick des Malers bemerkte.

„Gesindel!“, bellte er.

Petronius nickte. Wenn die Hunde des Herrn im Raum saßen, bedeutete es, dass sie sich zu einer Predigt vor Ort bereithielten. Er hatte schon davon gehört. In ihrem missionarischen Eifer gingen sie zu den Menschen, die nicht zu ihnen kamen. In alle Wirtschaften der Stadt schlichen sie sich ein und predigten dort, lasen Messen, zelebrierten das Abendmahl und verkündeten, dass der Herr mitten unter ihnen sei. Zum Schluss ging der Klingelbeutel herum.

Seit dem Überfall hatte Petronius Pieter im Haus des Meisters nicht mehr angetroffen. Petronius hatte den Kollegen im Verdacht, ihn ans Messer geliefert zu haben, aber klären konnte das nur ein Gespräch. Zudem wunderte ihn die merkwürdige Einladung zu diesem Treffen. Das hätte er ihm auch persönlich mitteilen können, statt diesen Papierschnitzel zu hinterlassen.

Die gedämpfte Unterhaltung war ungewohnt für die Gaststube. Die Mönche störten. Sie verhinderten, dass sich Ausgelassenheit und Fröhlichkeit einstellten.

Petronius schob sich durch die Menge, drückte Rücken beiseite, stieß verschwitzte Lederwämser von sich, ruderte sich die Lücken entlang in den Raum hinein. Ein Pfiff ließ ihn aufhorchen. Tatsächlich entdeckte er ganz hinten, vom Eingang aus nicht zu sehen, den bereits schütteren Kopfschmuck auf Pieters Schädel. Seine Hand fuhr nach oben, winkte. Petronius zwängte sich durch die Leiber, musste Stöße und Beschimpfungen der Kutscher und Tagelöhner hinnehmen, gelangte aber schließlich unbeschadet zu seinem Kollegen.

„Wo warst du denn?“, begrüßte Pieter ihn und duckte sich wieder unter die Köpfe der anderen. Niemand konnte ihn so sehen, der nicht wusste, dass er dort saß.

„Verhindert. Aber was soll das, Pieter? Warum versteckst du dich hier?“

Pieter sah ihn an, und Petronius fand in Pieters Augen ein unruhiges Flackern.

„Hast du Schwierigkeiten, Pieter? Brauchst du Geld? Kann ich dir sonst helfen?“

Pieter streckte die Arme von sich. Nichts von alledem, behauptete er. Er müsse nur mit ihm reden.

In diesem Augenblick stellte Zita Petronius ein Bier auf den Tisch. Dann drückte sie sich mit einer koketten Bewegung kurz an Petronius, gab ihm eine scherzhafte Kopfnuss und verschwand wieder in dem Meer aus Menschenleibern.

„Was willst du mit mir bereden?“, begann Petronius, ungeduldig diesmal.

Der Anblick Zitas hatte ihm ins Bewusstsein gerufen, dass er die letzte Reise beinahe nicht überlebt hätte.

Pieter sah sich verstohlen um. Die Männer um sie her saßen vor ihrem Bier, unterhielten sich mit ihren Nachbarn oder stierten mit wässrigen Augen in die Krüge. Pieter senkte die Stimme, so dass sich Petronius vorbeugen musste, um noch etwas zu verstehen.

„Du wolltest doch etwas über die Bruderschaft wissen!“

Petronius nickte und war plötzlich ganz Ohr.

„Die Schwanenbruderschaft oder die Bruderschaft unserer Lieben Frau, wie sie auch heißt, der Meister Bosch angehört, erfüllt wichtige Aufgaben in der Stadt. Ihr gehören bedeutende Männer an. Sie versammelt die Mitglieder zum Gebet, geleitet verstorbene Bürger zu Grabe, verteilt Brot an die Armen und stellt hier in Den Bosch auch Musiker für die Kathedrale. Außerdem liefert sie der Kathedrale den Schmuck für Altäre und Bilder. Den einen oder anderen Auftrag hat unser Meister auch schon von der Bruderschaft bekommen.“

„Hör zu, Pieter. Damit verrätst du niemandem ein Geheimnis. Soviel habe ich selbst schon erfahren. Deswegen brauchst du dich nicht zu verstecken. Solche Aufgaben übernehmen in anderen Städten ähnliche Bruderschaften“, unterbrach ihn Petronius. Er war etwas verärgert, doch Pieters verquollene Augen besänftigen ihn. „Wo hast du die letzten Nächte verbracht?“

Pieter brachte nur ein unbestimmtes Lächeln auf die Lippen. Sein Blick flackerte unruhig und wanderte an Petronius vorbei durch die Menge der Gäste.

„Überall. Aber nie lange am selben Ort.“

Als Petronius endlich zum ersten Mal von seinem Bier trinken wollte, bemerkte er Pieters gierigen Blick.

„Trink erst einmal, bis dein Krug kommt“, bot er ihm an.

Dankbar nahm Pieter einen kräftigen Schluck aus Petronius’ Humpen, dann fuhr er fort:

„Das ist noch nicht alles. Jedes Jahr gibt die Bruderschaft Geld für Mysterienspiele, höllische Tänze, Possen und sonstige schauspielerische Abwechslungen aus. Dafür werden teure Stoffe für Kostüme gekauft.“

Wieder unterbrach ihn Petronius:

„Warum erzählst du mir das alles? Komm zum Kern!“

Bevor Pieter antworten konnte, hallte die Stimme eines der Mönche durch den Saal.

„Gelobt sei Jesus Christus!“ Zögerlich antwortete die unfreiwillig anwesende Gemeinde: „In Ewigkeit, Amen!“

„Mitbrüder und Mitschwestern!“

Verärgert über diese Störung drehte sich Petronius um. Aufmerksam beobachtete er das Schauspiel, das sich ihm bot. Der in schwarzweißes Leinen gekleidete Mönch blähte sich unter seiner Verantwortung. Der Maler musterte die Gesichter der Umstehenden und verglich sie mit dem des Mönchs: desinteressiert und abweisend die einen, fanatisch der andere.

Aber der Prediger war erfahren. Er drängte sich rasch in die Mitte des Raumes, spreizte Arme und Beine, um Platz zu schaffen, streckte einen der Arme mit offener Handfläche gegen den Himmel und begann. Asketisch schmal, mit eingefallenen Wangen und fehlenden Zähnen brüllte er mit donnernder Stimme solange gegen die Barriere aus Lärm an, bis dir Menschen endgültig verstummten. Der Dominikaner schien die Stille zu genießen, während der sich alle Blicke auf ihn richteten. Pieter zog ihn am Ärmel, wisperte:

„Willst du es nun hören?“

Petronius nickte und drehte sich wieder seinem Kollegen zu.

„Das ist frech! Ich dachte, die Dominikaner dürfen nicht predigen!“

Pieter verdrehte die Augen und hielt Petronius mit der Hand am Ärmel fest.

„Hör mir zu, bitte! Die Schwanenbruderschaft ist eine ehrenwerte und illustre Gesellschaft!“

Mitten hinein in ihr Gespräch brach erneut die Höllenstimme des Dominikaners. Sein röhrendes Organ verkündete eine eigenwillige Botschaft des Herrn. Der Mönch lispelte. Begleitet von einem Zischeln, das klang, als machte sich eine Schlange an die Umstehenden heran, wetterte er gegen Völlerei, Unzucht und Widerreden. Die Umstehenden mussten ein Kichern unterdrücken oder verbargen ihr Lachen hinter vorgehaltener Hand.

„... und die Satten, die alles haben und das Wohlleben genießen, sollen die Höllenfeuer fürchten, da sie alles für sich behalten wollen. Auf sie wartet das ewige Feuer, das den Menschen nicht nur äußerlich verbrennt, denn deshalb ist der Teufel schwarz und alle seine Seelen und die Seelen derer, die er ins Höllenfeuer zerrt mit seinen Klauen, nein, dieses Feuer, das sich hineinfrisst in den Menschen, glüht ihn zudem aus bis ins innerste Mark, bis hinein in die unsterbliche Seele, die schmort und kocht und sich endlich auflösen wird in Rauch, wie die Butter in der Pfanne ...“

Wieder zerrte Pieter seinen Kollegen am Ärmel.

„Jetzt hör mir doch endlich zu! Die Bruderschaft ist nur die Oberfläche, die Politur, die schöne Fassade. Dahinter steht etwas anderes ...“

Petronius vergaß den Mönch.

„Was ist mit der Bruderschaft?“

Pieter fasste seine Hand drückte sie und legte den Finger auf den Mund. Petronius hatte in seiner Überraschung beinahe gebrüllt. Unbeirrt fuhr der Mönch fort zu zischeln:

„... wenn er widerredet und die ehernen Gesetze der Menschenliebe und der Gottesliebe mit Füßen tritt, wenn er glaubt, wider die Barmherzigkeit der Kirche zu wettern und sich dagegen zu vergehen, so sie uns in ihren mütterlichen Schoß aufnimmt, wird er vom Bann des Zorns Gottes getroffen und gerichtet werden ...“

Pieter legte sich über den Tisch, um direkt in Petronius’ Ohr zu flüstern. Der Geselle sah noch, wie sich Zita durch die Menschen schob, wie sie mit dem Mönch zusammenstieß, der seine Arme kreisen ließ und mit weitem Schwung seiner Gesten seine Visionen der Endzeit pries. Er beobachtete, wie er sie packte, an sich zog und wieder von sich stieß, dass der Humpen, den sie in der Hand hielt, beinahe ausgegossen worden wäre.

Zita trat an den Tisch der beiden Maler. Sie hatte Pieters Bier dabei und stellte den Humpen vor ihm auf den Tisch. Man sah ihr die Verärgerung über die Predigt des Dominikaners an. Die Bestellungen gingen zurück, manche Gäste verließen bereits die Schankstube. Petronius hob seinen Humpen und forderte Pieter auf, ihm Bescheid zu tun. Beide tranken einen großen Schluck, setzten ab und Petronius beugte sich vor, um das zu hören, was Pieter ihm über die Bruderschaft zu sagen hatte.

„Sie ist nur eine ... eine Oberfläche ... dahinter ... etwas anderes ... etwas ...“

Petronius wunderte sich über die angebrochenen Sätze, die aus Pieters Mund fielen.

Doch der riss plötzlich die Augen weit auf und starrte ihn entsetzt an. Soviel Angst schwamm in diesen Augen, dass Petronius nicht anders konnte, als zu schreien.

„... wie vom Blitz getroffen wird der niedersinken, der glaubt, sich vom Antlitz der Kirche abwenden zu können und ihr nicht das geben zu müssen, was der Kirche ist ...“, schrie der Mönch dazwischen.

In diesem Moment rutschte Pieter vom Sitz, schlug mit dem Kinn hart auf der Tischbohle auf und fiel mit brechenden Augen unter die Bank. Die Umsitzenden wandten sich den beiden neugierig zu. Selbst der Mönch verstummte. Petronius vernahm das Röcheln des Freundes, dessen Beine unter dem Tisch hervorsahen und unkontrolliert zuckten. Ein Seufzer wehte durch den jetzt totenstillen Raum. Petronius saß wie versteinert da und starrte nach unten.

„Der Teufel wird Ernte halten unter den Abtrünnigen und sie mit dem Gift der Hoffart und der Ausschweifung zu sich rufen zu jeder Stunde des Tages!“, schrie der Mönch, Speichelschaum vor dem Mund, und zeigte mit seiner schmalen Fingerkralle auf Petronius und den Toten unter der Bank.

XXI

„Mörder!“

Plötzlich stand dieses Wort im Raum, von einer der hinteren Bänke gerufen. Die Fuhrknechte, Schäffler, Hucker, Gerber, Daubenschläger, Kürschner, Schmiedegesellen und Schuster wichen vor Petronius zurück.

Petronius beugte sich zu Pieter hinab. Wie betäubt griff er nach dessen Hand, zog ihn unter dem Tisch hervor. Pieters Zunge klemmte zwischen den Zähnen, blau angelaufen. Die Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen und traten aus seinen Höhlen. Er war tot.

Gift, durchfuhr es Petronius, das Bier.

„Mörder!“, schrie es wieder, und noch einmal: „Mörder!“

Jemand riss ihn an der Schulter und zerrte ihn von Pieter weg. Petronius erkannte den Mönch, der ihm ins Gesicht blickte und lispelnd die Anschuldigung wiederholte: „Mörder!“

Langsam schlossen die Gäste einen Kreis um ihn. Petronius sah ihnen in die Augen, noch betäubt von dem, was vorgefallen war. Darin spiegelten sich Hass und Mord. Ihre Gesichtszüge verzerrten sich. Nur die Tatsache, dass der Dominikaner ihn an der Schulter festhielt, hinderte sie daran, sich auf ihn zu stürzen.

Pieter hatte ihm etwas sagen wollen, und er hatte ihm nicht zugehört. Dabei war die Angst des Freundes augenfällig gewesen. Jetzt wusste er, wovor Pieter Angst gehabt hatte.

„Ich habe es nicht getan!“, verteidigte sich Petronius, aber seine Stimme klang zu dünn, zu hilflos.

Der Mönch ließ endlich los und donnerte ihn lispelnd an:

„Die Geächteten bleiben geächtet, die Gerichteten bleiben gerichtet und die Verdammten bleiben verdammt!“

Als wäre es das Zeichen gewesen, fielen die vordersten der Gäste mit dem Aufschrei: „Hängt den Mörder!“, über Petronius her. Der Malergeselle schlug die Hände über das Gesicht und igelte sich ein. Fußtritte und Fäuste hämmerten auf ihn ein.

Plötzlich dröhnte ein Schrei durch die Menge. Seine Peiniger erstarrten und ließen von Petronius ab.

„Warum vergeht Ihr Euch an Unschuldigen. Lauft lieber, die Schuldigen der gerechten Strafe zuzuführen. Ich habe gesehen, dass der Maler unschuldig ist! Die wahren Giftmörder sind hinten hinaus, über den Abtritt.“

Auf der Türschwelle zur Gaststube stand Pater Johannes von Baerle. Die Arme gereckt, deutete er auf den rückwärtigen Ausgang.

„Dort hinaus! Ein Rothaariger mit Bart und sein Komplize, ein Dünner mit schwarzem Wams.“

Bereitwillig stürzte eine Reihe von Männern den Flüchtigen hinterher. Pater Johannes trat auf Petronius zu, beugte sich hinab und berührte ihn am Arm.

„Steht auf, mein Sohn. Es soll Euch in dieser Stadt kein Leid geschehen.“

Petronius erhob sich schwerfällig. Sein Rücken schmerzte und auf den Lippen schmeckte er Blut. Der Inquisitor legte ihm die Hand auf die Schulter. Leise flüsterte er ihm zu:

„Kommt mit hinaus, ich weiß nicht, wie lange ich die Menge davon abhalten kann, Euch zu hängen!“

Laut sagte er zu den aufgebrachten Schankgästen:

„Der hier ist unschuldig. Schafft den armen Kerl dort zur Friedhofskapelle und bahrt ihn auf. Wir werden ihm alle in drei Tagen die letzte Ehre erweisen. Ihn aber lasst in Ruhe.“

Pater Johannes fasste Petronius unter dem Arm und führte ihn zur Tür. Dort wurden sie von Zita aufgehalten, die ihnen die offene Hand entgegenstreckte.

„Wer bezahlt für die Zeche des Toten und vor allem des Lebenden hier?“

Petronius zog an seinem Gürtel, holte seinen Beutel heraus, kramte darin und entnahm ihm zwei Geldstücke, die den eigentlichen Preis weit überstiegen. Petronius wollte dem Mädchen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Dann schob ihn der Pater mit energischen Stößen vor sich her auf die Gasse hinaus. Als sie auf den Weg traten, huschte eine Gestalt an ihnen vorüber, stolperte und verlor dabei seinen Stock, der mit einem hellen Klappern auf das Pflaster fiel. Petronius erkannte den Wurzelknauf des Bettlers.

Die kühle Abendluft tat dem Maler wohl. Langsam kam er wieder zu sich. Mitten auf der Gasse blieb Pater Johannes stehen und hielt auch Petronius am Arm zurück.

„Ich glaube, ich habe etwas gut bei Euch. Ohne mein energisches Auftreten würdet Ihr jetzt an diesem Haken hängen!“

Dabei deutete der Inquisitor auf einen Haken direkt unter dem Wirtshausschild, an dem in friedlichen Zeiten vermutlich Fahnen oder Wappentücher hingen und die Fassade schmückten.

Petronius wusste nicht, ob er dankbar oder niedergeschlagen sein sollte.

„Ihr wisst, dass Ihr unschuldig seid. Ich weiß es. Aber die Menge glaubt, Ihr hättet ihn vergiftet. Sie wird es morgen ebenso glauben wie übermorgen oder in einer Woche. Seht Euch vor, Petronius Oris. Ein Wort aus meinem Munde, und der Haken dort ist für Euch in die Wand getrieben worden.“

Petronius ahnte, worauf Pater Johannes hinaus wollte. Jetzt hatte er ihn in der Hand.

„Wenigstens hänge ich dann weitab von den Weihrauchschwaden Eurer sogenannten Büßer und höher als der Ruf der Seelenverkäufer mit ihren Ablässen hinaufreicht.“

Pater Johannes lachte verhalten.

„Nun, wenigstens ist Euch der Humor nicht abhanden gekommen. Vergesst mich nicht.“

Damit ließ er den Maler auf der Straße stehen und verschwand. Die Schöße der Soutane segelten die Gasse hinab. Petronius sah ihm nach. Plötzlich vernahm er im Rücken das Geräusch von Holz, das über Stein schleift. Der Lange Zuider hob eben seinen Stock auf.

„Jetzt hat er dich, Petronius!“, kommentierte der Bettler das, was er gehört hatte. „Glaub mir, du wirst ihm den Ring an seiner Hand küssen und seine Hände waschen, und nicht nur das!“

XXII

Petronius stand vor dem Haus seines Meisters und starrte auf die beiden Treppen, die zum Hauseingang hinaufführten. Sie schienen ihm nach dem Erlebnis in der Schankstube unüberwindlich zu sein. Dabei schob ihn ein leichter, sommerlich warmer Wind sanft an. Er hätte ihm nur zu folgen brauchen.

Zog er wirklich Schwierigkeiten an wie das Feuer die Motte, wie es ihm Meinhard bereits bescheinigt hatte? Meinhard tot. Pieter tot. Diese Unglücke geschahen immer nur während er anwesend war. Wer Meinhard auf dem Gewissen hatte, wusste er. Aber Pieter? Wer hatte ein Interesse daran gehabt, den Malergesellen umzubringen? War es verboten, über die Bruderschaft zu reden? War womöglich Bosch selbst darin verwickelt? Schließlich war Pieter nicht mehr nach Hause gekommen. Dort hätte er sich nämlich ungestört und ohne belauscht zu werden mit ihm unterhalten können. Konnte er mit den übrigen Gesellen darüber sprechen, oder war unter ihnen ein Verräter, der Gehörtes an ... an wer weiß wen weitertrug? In seinem Kopf drehte sich alles.

Schlafen, einfach die Augen schließen und an nichts denken – morgen wollte er weitersehen. Zwei Schritte und er stand vor der Tür und drückte die Klinke. Der Eingang war unverschlossen, was Petronius überraschte. Die Gesellen waren sicher schon zu Bett gegangen. Sie schliefen üblicherweise im ersten Stock in kleinen Kammern. Ein Luxus, den Meister Bosch ihnen allen gewährte. Sofort waren Müdigkeit, Schmerz und Niedergeschlagenheit vergessen und Petronius’ Sinne hellwach. War ein Dieb ins Haus eingedrungen oder hatte er vergessen abzuschließen, bevor er in die Schenke gegangen war? Mit allergrößter Vorsicht schob er die Tür auf und schlüpfte hindurch. Danach blieb er stehen und lauschte. Tiefste Schwärze und vollkommene Ruhe gähnten ihm entgegen. Petronius wollte schon aufatmen, als ihn schwache Geräusche zusammenzucken ließen. Vom hinteren Atelier drangen Stimmen bis zu ihm, gedämpft, unklar zwar, aber eindeutig Stimmen. Zumindest zwei konnte Petronius unterscheiden. Wenn er sich nicht täuschte, klang das wie das Zwitschern zweier Liebenden. Hatte einer der Gesellen der Boschschen Werkstatt sein Modell für die Nacht dabehalten? Er schlich vorwärts. Beinahe eine Ewigkeit verging, bis er das Atelier erreicht hatte. Aber dort war niemand, obwohl die Stimmen jetzt näher klangen als zuvor. Nur schwaches Mondlicht fiel aus dem Garten ins Haus.

Petronius war ratlos. Die beiden Sprecher unterhielten sich sorglos, nicht wie Diebsgesindel, das jeden Moment damit rechnen musste, entdeckt zu werden. Entweder waren sich die Einbrecher so sicher, oder ... Petronius trat an die Wand heran. Die Stimmen kamen aus der Wand, die das Atelier zur Außenmauer hin abschloss. Vorsichtig legte er sein Ohr gegen die Holzvertäfelung. Tatsächlich konnte er die Stimmen jetzt deutlich vernehmen:

„... kann Euch nur das Alphabet liefern, die Buchstaben; ich vermag sie Euch herzubuchstabieren, ich bin Euer Stammler, Meister Bosch. Schreiben müsst Ihr sie selbst. Ihr seid der ‚insignis pictor‘. Ihr besitzt die rechte Begabung, nicht ich.“

„Dafür wäre ein Wesen nötig, wie ich keines bin. Ein Monstrum, ein Engel, ein Gott meinetwegen. Ich bin nur ein Mensch!“

„Stellt Euer Licht nicht zu sehr unter den Scheffel! Ihr seid feinfühlig und ideenreich. Der Gedanke, eine Luftperspektive in Euer Bild einzuführen war genial. Noch nie hat jemand so gemalt! Nur so steht der Betrachter draußen. Nur so sieht er die Welt, als hätte er ein Buch vor sich, in das er hineinblickt. Er muss die Haltung eines Lesers einnehmen, wird so zum Lesen gezwungen. Die Idee entstammt Eurem Geist und Eurem Pinsel, Meister Bosch.“

„So erlebe ich die Flüge, Meester Philipp. Als würde ich über die Welt hinweg gleiten. Dennoch zehren die Nächte an mir. Seht mich an. Ich bin ein Gerippe. Und weiß ich vor der Reise, ob ich wirklich aus diesen Welten zurückkehre?“

Petronius wagte nicht zu atmen. Noch verstand er nicht, warum sich hinter der Mauer, hinter der nichts hätte sein dürfen als die Brandschutzlücke zum nächsten Gebäude, zwei Personen unterhielten. Obwohl ihn die Stimmlagen verwirrten, hatte er sie sofort erkannt: Meister Hieronymus Bosch und seine Porträtgast Jacob van Almaengien, den Bosch bei seinem Taufnamen nannte. Trotzdem hätte er schwören können, dass sich hier Mann und Frau besprachen. Aber er konnte nur ahnen, worüber sie sich unterhielten. Von welchen Flügen sprach sein Meister? Was hielt er nicht aus? Hatte sein Erlebnis von letzter Nacht etwas mit dem Gespräch zu tun? Petronius drückte sein Ohr gegen die Wand. Hinter ihr raschelte es, Holz knarrte, ein Schleifen war zu hören. Etwas wurde aufgenommen und wieder abgestellt.

„Ihr zeichnet mir Eure Visionen und Gesichte auf, skizziert die Figuren und Szenen, denen Ihr begegnet, und ich stelle sie Euch zu einem Ganzen zusammen. Nur so gelingt dieses Werk. Ihr wisst, wir müssen uns beeilen. Der Dominikaner zieht seine Netze immer enger um uns zusammen. Zudem gibt es Verräter auch in unseren Reihen. Die Gemeinschaft der wahren Gläubigen lichtet sich.“

Petronius erstarrte beim Wort Verräter. War Pieter ein solcher gewesen? Hatte man ihn deshalb getötet?

„Aber wenn ich selbst nicht mehr verstehe, was ich male, läuft das Bild dann nicht Gefahr, unbedeutend zu werden?“

„Kein Buch, das mit klassischen Ideen gefüllt ist, wird unbedeutend. Nichts anderes wird es, dieses Triptychon: ein Buch, ein Nachschlagewerk! Nehmt den Brunnen des Lebens. Sieht nicht jedes Kind, dass er das eigentliche Zentrum dieses Bildes ist? Sieht nicht der Betrachter, dass die Höhlung in der Basiskugel des Brunnens wiederum das Zentrum des Paradieses bildet? Erkennt man darin nicht ein Auge mit einer Pupille, in der ein Vogel sitzt, der Weisheit und Verstand symbolisiert, die Eule? Heißt es nicht, dass die Seele des Menschen sich in seinem Auge offenbart? Heißt es nicht, wenn die Seele sich selbst erkennen will, muss sie in die Seele blicken – und wohin sollte sie blicken, wenn nicht in ihr eigenes Auge? Einfache Botschaften mit einfachen Bildern.“

„Aber die Eule ist doppeldeutig!“, widersprach Hieronymus Bosch.

Petronius schluckte. Das Atmen mit offenem Mund trocknete seine Kehle aus. Sein Rachen wurde rau und der Gaumen klebte. Er hörte Jacob van Almaengien leise lachen.

„Genügt es nicht, dass ich die tiefere Bedeutung erkenne?“

„Wenn es eine Botschaft an die Bruderschaft sein soll, müssen die Brüder und Schwestern lesen können, was geschrieben steht!“

„Sie werden es verstehen. Das Thema der Liebe unter den Menschen ist leicht zu begreifen. Der Mittelteil wird ihnen noch ausreichend Beispiele dafür bieten. Die engelsgleiche Liebe, die seraphische Liebe ohne körperliche Vereinigung, außer mit Gott, muss vorgelebt werden. Ihr bildet sie ab. Wir zeigen sie ihnen. Der Ursprung der Welt liegt hier verborgen. Ich sage, es gibt nur einen Ursprung der Welt! Das Bild kann nur den Meditationspunkt bieten. Hier genügt, dass die Mitte selbst thematisiert wird.“

Petronius drängte ein Hustenreiz. Er musste etwas trinken oder sich zumindest räuspern. Er wollte aber nichts verpassen. Mit Mühe sammelte er Speichel in seinem ausgedörrten Mund.

„Heißt es nicht bei Jan van Ruysbroeck: ‚Der Sinne Untergang ist der Wahrheit Aufgang‘? So muss man diese erste Tafel betrachten, Meister Bosch. ‚Vermag der Mensch die Sache nicht zu begreifen, verhalte er sich vollkommen still, so begreift ihn die Sache‘. Wenn ich diese Sätze erläutern darf, bedeuten sie nichts weiter, als dass ich beim Meditieren meinen Geist entleere. Wenn ich mich dann dem Lebensbrunnen überlasse, ihn betrachte, erwächst aus dem erschauten Leitbild wie von selbst ein traumhafter Reichtum. Man begreift nicht im herkömmlichen Sinne, man wird dieser Dinge inne. Es ist ein Schauen eigener Art, Meister Bosch.“

Die letzten Sätze hatte der Gelehrte so leise gesprochen, dass Petronius sie kaum mehr verstand. In seiner Erinnerung verglich er die Erklärung mit seiner eigenen Erfahrung. Ihm war der Brunnen des Lebens erschienen wie ein Sakramentshaus, dem die vier Paradiesströme entsprangen. Jetzt erkannte er, dass das Auge, von dem der Gelehrte sprach, eine Art Tabernakel war, der das Geheimnis des Gemäldes enthielt. Petronius fühlte, dass Jacob van Almaengien diesen Tabernakel geöffnet, seinen Inhalt aber nur unvollständig vorgezeigt hatte. Die Eule symbolisierte das Wissen um Verborgenes, den Einblick ins Unsichtbare. Von diesem Unsichtbaren hatte er zwar gesprochen, es aber vor seinem geistigen Auge weiterhin verschleiert gehalten.

„An die Arbeit, Meester Philipp. Wir müssen die morgige Andacht vorbereiten. Nach Sonnenuntergang in der Kathedrale. Ein Bruder aus Brüssel möchte zu uns sprechen. Wir sollten das Paradies als Meditation darbieten. Das ist doch sicher ganz in Eurem Sinne.“

Der Gelehrte lachte. Petronius schien es, als würden die beiden Männer eine Treppe hinaufsteigen. Jedenfalls antwortete sein Meister etwas, was Petronius nicht mehr verstand, weil die Stimmen nach oben verschwanden.

Er räusperte sich verhalten und lehnte sich gegen die Holzwand. Sein Verstand war von einer klaren Verwirrtheit, zugleich offen und betäubt, so dass er nicht mehr wusste, was er denken, fühlen und sehen sollte. Jetzt musste er schlafen. Dennoch keimte so etwas wie ein Plan in seinem Kopf. Morgen würde er sie abpassen, in der Kathedrale, nach Sonnenuntergang. Petronius schlich sich in seine Kammer, verriegelte die Tür und legte sich auf das Bett. Das Fenster über ihm öffnete er einen Spalt weit. Sein Bewusstsein erlosch langsam. Nur ein Gedanke hielt sich krampfhaft: Wer immer mit dem Tod Pieters zu tun hatte – und wenn es Bosch selbst war –, er würde ihn dem Scheiterhaufen überantworten, das schwor er sich.

XXIII

Gegenüber der sommerlichen Hitze des Tages ließ das Kircheninnere Petronius frösteln. Unter den Säulen, die noch nicht durch ein vollständiges Dach überwölbt waren, standen Fischhändler, die ihren Fang anpriesen, und auch ein Metzger von außerhalb der Stadt hatte sich in die kühlen Schlagschatten des Kathedralengerippes geflüchtet. Geldwechsler standen neben Tuchhändlern, Bettler warteten im Zwielicht der Mauern und Säulenstümpfe neben Patriziern auf den Abend. Da sich in den späten Nachmittagsstunden mehr Menschen im aufgebrochenen Kirchenschiff aufhielten als draußen in den stickigen Gassen, gingen auch die Huren der Stadt hier auf Männerfang und ihre Waibel warteten hinter den Säulen darauf, dass sie ihnen das verdiente Geld ablieferten. In der Ecke nahm ein Geistlicher einem der Bittgänger die Beichte ab, und nur wenige Schritte davon entfernt zahlte ein Freier seine Groschen für ein schnelles Glück zwischen den Staubvorhängen der Steinmetze. In der Marienkapelle, die bereits überwölbt war, hielt ein Mönch seine Andacht. Einige wenige Frauen folgten der Messe und knieten eben auf dem kalten Steinboden nieder, um den Leib Christi zu empfangen. Petronius hatte einen Langfinger entdeckt, der wie nebenbei an einer der Säulen lehnte und die Damen und Herren des Patriziats taxierte, die Arm in Arm vorüberschritten. Ein kurzes Anrempeln, ein schneller Griff nach dem Busen der Frau, ein nicht immer erschrecktes Kreischen, ein Schnitt. Der Beutel ihres Begleiters wurde flugs an einen Helfer übergeben, eine Entschuldigung gemurmelt und der Kerl war wieder hinter einer Säule verschwunden, die sich in den weißen Himmel erhob und in einem Kapitell endete, ohne tatsächlich einen steinernen Himmel zu tragen. Der Spitzbube verstand seine Arbeit und Petronius hielt seinen eigenen Beutel fester.

Petronius betrat den bereits überdachten Chor mit seinen Kapellen durch die kleine Pforte in der Bretterverschalung, die ihn noch vom Hauptschiff trennte, wartete und verbrachte seine Zeit damit, eine Bildfolge zu betrachten, die Meister Bosch dafür gemalt hatte. Sie entstammte einem Bibelzyklus von mehreren Bildern, soweit er das bei einem Blick in weitere Kapellen hatte überprüfen können: Die Geschichte Abigails, die vor König David kniete.

Der linke Flügel zeigte die Boten Davids. Sie überbrachten Nabal, Abigails Ehemann, den Friedensgruß König Davids und wurden von diesem der Türschwelle verwiesen. Im Mittelbild beschrieb Bosch den Kniefall der schönen Abigail vor dem König. Um sie herum lagen Geschenke an den Herrscher, zweihundert Brote, Weinschläuche, schlachtfertig hergerichtete Schafe ohne Makel, geröstetes Korn, Kuchen, getrocknete Trauben und die Esel, die all diese Schätze geduldig zu David getragen hatten. Die dritte Tafel aber zeigte wie Gott der Herr Nabal mit Krankheit schlug und ihn tötete, während Abigail von David heimgeführt wurde.

Nabals Fratzenhaftigkeit, sein torenhaft verzerrtes Gesicht voll bösartiger Einfalt erschreckten Petronius. Er hatte den Entwurf dazu schon einmal gesehen – auf der Papierrolle, die er nach Oirschot hatte bringen sollen. Die Ähnlichkeit mit Pater Johannes ließ ihn schaudern.

Abigail warf sich nackt vor König David nieder. Sie bot sich selbst als Wiedergutmachung an. Auf diese Art interpretiert, kannte Petronius die Geschichte nicht. Aber sie erschien ihm zwingend und natürlich.

Und dann die Geschöpfe, die auf der letzten Tafel des Triptychons aus den Himmeln herangeeilt und aus der Erde hervorgekrochen kamen, um Nabal einen tödlichen Schrecken zu versetzen. Noch nie hatte er derartige Monster gesehen, noch nie solch ein Sammelsurium von Schreckgestalten aus den wildesten Alpträumen.

„Was muss in einem Kopf vorgehen, mein Sohn, dass in ihm solche Schrecken wachsen. Ist er vom Teufel besessen, dass er sie zeichnen kann, oder reicht seine Fantasie nur weiter als die unsere?“

Petronius erschrak, fasste sich aber rasch.

„Es ist eine seltene Gabe, die Schrecken der Menschen, die doch namenlos sind, in Formen zu fassen. Sie erwecken beim Betrachter eben das Grauen, das von unbestimmten Traumgebilden ausgeht.“

Der Pater ging um ihn herum, das Kinn in die Hand gestützt, als müsse er nachdenken. Der Hall seiner Schritte in der Kapelle mischte sich mit dem Lärm der Handeltreibenden unter den Säulen. Petronius sah hinüber zum Chor. Eine Gruppe versammelte sich mit Blick auf den Altar. Es schien, als würde im Hochchor ein Gottesdienst abgehalten. Manche hatten sich klappbare Stühle mitgenommen, andere knieten auf den Steinfliesen, wieder andere hockten sich direkt auf den Boden oder bleiben einfach stehen. Aus der Gruppe heraus winkte eine reich gekleidete Dame einem Herrn, der wohl eben durch den Seiteneingang des neu errichteten Marienportals hereingeschlüpft war, lief auf ihn zu und küsste ihn überschwänglich, bevor sie sich Arm in Arm wieder der Messe zuwandten.

„Heißt es nicht: Mein Haus soll ein Bethaus sein für alle Völker? Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht. Sprach nicht Jesus so, als er nach Jerusalem kam, und warf die Verkäufer und Käufer aus dem Tempel des Herrn? Hat nicht die Gegenwart aus dem Haus Gottes wieder eine Räuberhöhle gemacht? Zeigen nicht Bilder und Menschen dieselben Auswüchse der Sünde? Ist nicht die Sünde, wenn sie erkannt ist, des Teufels?“

Mit einer abschätzigen Geste deutete Pater Johannes dorthin, wo sich Geschäft und Glauben vermischten. Ein Buchführer ging durch die Menge der Betenden und pries lautstark seine Flugschrift über ein „erschröckliches wundertätiges Luftzeichen“ an.

Petronius wandte sich direkt an Pater Johannes. Jetzt konnte er sich um Kopf und Kragen reden, das wusste er. Aber es war ihm unmöglich, auf diese Sätze nichts zu sagen. Er durfte einfach die einzigartige Kunst, die Meister Bosch in diese Welt streute, nicht mit dem Unrat der Geldwechsler und Taubenverkäufer vergleichen lassen.

„Ihr vergesst, dass die Welt innerhalb dieser Kirche ein Spiegel ist. So wie draußen sieht es drinnen aus! Ihr habt es doch in der Hand, die Händler hinauszuwerfen, wie einst Jesus. Warum tut Ihr es nicht? Doch auch deshalb, weil Ihr daran verdient, weil Ihr so besseren Zugang zu Euren Schäfchen findet. Oder sollte ich Schafe sagen? Denn es sind doch die Schafe, die geschoren werden müssen.“

Petronius hatte sich stärker in Rage geredet, als er vorgehabt hatte. Pater Johannes betrachtete abwechselnd das Bild und den Gesellen.

„So rechtfertigt Ihr die Malweise dieser Bilder? Seht sie Euch einmal genau an. Abigail vor David. Muss die Frau nackt sein? Muss sie in einer Weise provozierend knien, dass die Fantasie sich ihren Teil denken kann? Wo bleiben dabei Glaube und Meditation? Ist dies nicht vielmehr eine Darstellung für das lüsterne Auge wie das alles hier?“

Mit einer ausladenden Geste strich Pater Johannes über das Kircheninnere. Petronius verstand diesen Kniefall auf dem Gemälde auch nicht recht. Doch ganz offenbar war dem Maler die Nacktheit, der Gedanke daran, dass sich Abigail für David öffnete, nicht vorherrschend ausschlaggebend für die Darstellung.

„Vielleicht ist es eben das, Pater Johannes. Wer sich diese Dinge denkt, von denen Ihr eben gesprochen habt, dessen Andacht ist oberflächlich, dessen Glauben ist dünn und dessen Besinnung auf die letzten Dinge bleibt noch in dieser Welt verhaftet. Womöglich ist gerade diese verdorbene Fantasie teuflischer Natur.“