Rosa Naumann

Gefahr für Nofretete

Ein Abenteuer
aus dem Alten Ägypten

Mit Illustrationen von Peter Knorr
und Doro Göbel

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Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe

© 2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-423-42150-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-71577-5

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Personen

Mentu (14): Schüler in der Schreiberschule des Paschedu

Kawit (12): Mentus Schwester

Sennefer: Kawits und Mentus Vater, Nofretetes Leibwächter

Heria: Sennefers Frau, Kawits und Mentus Mutter

Api: Kawits Hund

Iti: Mentus Freund

Seschet (15): Perückenmacherin der Nofretete

Paschedu: Oberster Schreiber Ägyptens, der in dem Ruf steht, über Zauberkräfte zu verfügen

Nofretete: Gemahlin des Pharao Echnaton

Tutanchaton (7), später Tutanchamun: Prinz und Nofretetes Ziehsohn

Eje: Großwesir

Kaaper: Chef der Polizei

Cheti: Hofbeamter

Die Handlung spielt im Jahr 1334 v. Chr., im Todesjahr des Pharao Echnaton.

Ein Schlangenbiss

Ich finde den neuen Lehrer merkwürdig«, sagte Mentu, als er nach dem Unterricht mit seinen Klassenkameraden aus der Schule der Schreiber trat, die er seit einiger Zeit besuchte. Auf seine Stirn war eine Falte getreten, die sein heiteres Gesicht nachdenklich erscheinen ließ.

»Wie meinst du das?«, fragte sein Freund Iti.

»Ist es nicht eigenartig, dass er sich bei uns als der ›Große Zauberer Ägyptens‹ und nicht als Oberster Schreiber des Landes vorstellt?«, erwiderte Mentu.

»Na ja, als Zauberer ist er im ganzen Land bekannt, als Schreiber weniger«, schaltete sich Antef ein, ein rundlicher Junge mit roten Wangen. »Vielleicht würde er uns lieber das Zaubern beibringen statt das Schreiben«, setzte er kichernd hinzu.

»Ich hätte nichts dagegen«, meinte Mentu. »Aber seine Aufgabe ist es, uns zu Schreibern auszubilden und nicht zu Zauberern. Ich frage mich, warum er seine Zauberkunst so betont. Übrigens halten die Zauberer die magischen Schriften streng geheim, auf denen die Zauberformeln zu finden sind«, fügte er nach einer Pause hinzu. »Das heißt, dass sie ihre Kunst nicht unbedingt an andere weitergeben wollen.«

»Woher weißt du das?«, fragte Iti verblüfft.

»Och, ich lese ab und zu in den Schriften, die von Zauberei handeln«, erwiderte Mentu beiläufig.

Iti schaute ihn mit großen Augen an. »Du beschäftigst dich mit Zauberei? Das ist ja furchtbar, bleib mir bloß vom Leib damit!«

»Keine Sorge«, beruhigte Mentu seinen Freund lächelnd.

»Wenn uns Paschedu nicht verzaubert, ist mir egal, was er macht«, meinte Iti. »Mich stört viel mehr, dass es jetzt vermutlich mit der Faulenzerei vorbei ist. Warum muss Paschedu ausgerechnet uns vor die Nase gesetzt werden? Wäre er doch in Theben geblieben!«

Mentu schlug den Weg nach Hause ein, der ihn durch den Garten des Palastes der Königin Nofretete führte. Sein Vater war ihr Leibwächter und sie hatte ihm und seiner Familie ein kleines Haus auf dem Palastgelände zur Verfügung gestellt. Während Mentu am Ufer des Lotusblütenteiches entlangging, dachte er über Paschedu nach und warum er ihn nicht mochte. Ob es der stechende Blick war, der ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte, oder sein Mund, der ihn an das breite Maul eines Frosches erinnerte? Nein, der Mund konnte es nicht sein, da er eher zum Lachen reizen würde, wenn die kalten Augen nicht wären. Oder war es die herablassende Art, mit der er die Schüler behandelte?

Plötzlich riss ihn der Schrei eines Kindes aus den Gedanken und er schaute in die Richtung, aus der er gekommen war. Sein Blick flog über ein Beet weißer Lilien und einige verstreut liegende Ansammlungen von Kornblumen. Mitten darin saß ein kleiner Junge – Prinz Tutanchaton!

Mentu rannte so schnell er konnte zu ihm hinüber.

»Eine Schlange, eine Schlange, sie hat mich gebissen«, rief der Prinz verzweifelt. Er streckte Mentu mit angstverzerrtem Gesicht den Zeigefinger entgegen, an dessen oberem Ende der Schlangenbiss zu sehen war.

Geistesgegenwärtig zog Mentu das kleine Messer aus einem Lederbeutel hervor, das er wie alle Jungen in seinem Alter seit geraumer Zeit immer bei sich trug. Er schnitt dem Prinzen beherzt in die Fingerspitze und saugte die Wunde aus. Tutanchaton schrie auf.

»Entschuldigt, Hoheit, es muss sein«, murmelte Mentu. »Falls es eine Giftschlange war«, fügte er hinzu. Er blickte den Prinzen besorgt an. »Wir müssen zum Palast, um die Wunde verbinden zu lassen, damit kein Schmutz hineingerät. Darf ich Euch fragen, warum Ihr allein unterwegs seid, Hoheit?«

Der Prinz schaute verlegen zu Boden, als er erwiderte: »Ich bin meinem Lehrer entkommen, als er durch einen  Boten abgelenkt war. Wahrscheinlich wird er gleich hier sein. Ich wollte die Fische im Teich füttern«, erklärte er.

In diesem Moment sahen sie den Lehrer des Prinzen laut gestikulierend in der Begleitung zweier Palastwächter auf sich zueilen.

»Welchen Schrecken Ihr mir einjagt, Hoheit! Die Königliche Gemahlin wird außer sich sein, wenn sie erfährt, dass Ihr Euch selbstständig gemacht habt!«, rief er aufgeregt schnaufend.

Als ihm der Prinz den Zeigefinger mit der Bisswunde entgegenstreckte, schlug er die Hände über seinem dicken Bauch zusammen. »Bei Aton, Ihr seid verletzt?«, rief er und wollte nicht aufhören, die Hände zusammenzuschlagen, bis Mentu ihn ungeduldig unterbrach: »Entschuldigt, aber wir müssen in den Palast, damit sich der Arzt den Biss ansieht.«

»Oje, oje, eine Schlange«, jammerte der Lehrer unentwegt auf dem kurzen Weg in den Palast. Einer der Wächter war bereits vorausgeeilt, um den Arzt zu informieren. Er kam ihnen mit einem Korb voller Heilsalben und Tinkturen aus der Empfangshalle entgegen.

Während er die Bisswunde mit einer Heilsalbe betupfte und sorgfältig mit einer weißen Leinenbinde umwickelte, fragte er den Prinzen, wie die Schlange ausgesehen hatte.

»Es ging alles so schnell«, erwiderte Tut, »ich weiß nicht …«

»In jedem Fall kam die Hilfe rechtzeitig«, stellte der Arzt zufrieden fest. Er nickte Mentu anerkennend zu und schärfte dem Prinzen ein, sich in den nächsten Tagen zu schonen und auf keinen Fall im Garten zu spielen. Dann forderte er Mentu auf, ihn mit dem Prinzen und dem Lehrer in den Audienzsaal der Königlichen Gemahlin zu begleiten, wo man Nofretete in Kürze erwartete.

Während sie eine Säulenhalle und mehrere prächtig ausgestattete Räume durchquerten, erläuterte der Arzt, dass er einen Boten in den Palast des schwer kranken Pharao Echnaton geschickt habe, wo ihm seine Gemahlin Nofretete gerade einen Besuch abstattete.

Mentu seufzte leise auf. Er dachte an die Wirren der vergangenen Zeit, in die auch seine Familie verstrickt gewesen war. Sein Vater Sennefer war im Palast des Pharao Echnaton und seiner Königlichen Gemahlin Nofretete Aufseher über die königlichen Reitställe gewesen und hatte die ehrenvolle Aufgabe gehabt, den Pferdewagen der Königlichen Gemahlin zu warten. Hinter ihrem Rücken wurde viel getuschelt, weil sie ihr Pferdegespann selbst führte. Es hieß, dass sie zu eigenmächtig sei und man sich vor ihr in Acht nehmen müsse.

Als die Königliche Gemahlin dann aus rätselhaften Gründen beschloss, einen eigenen Palast im Norden Achetatons zu beziehen, nahmen die Gerüchte kein Ende. Plötzlich hieß es, sie wolle die Macht an sich reißen, sobald der Pharao gestorben sei.

Nachdem sich Nofretete in ihrem eigenen Palast eingerichtet hatte, hatte sie Sennefer zu ihrem Leibwächter befördert und die ganze Familie aufgefordert, ihr in den neuen Palast zu folgen.

Sie hatte dafür gesorgt, dass Mentu die beste Schule des Landes besuchen konnte, und seine Mutter Heria sowie seine Schwester Kawit durften der Perückenmacherin Seschet in der königlichen Perückenwerkstatt helfen, wenn besonders viel zu tun war.

Als sie den Audienzsaal der Königin erreichten, murmelte Prinz Tut ängstlich: »Hoffentlich ist die Königin nicht böse mit mir.«

»Sie wird erleichtert sein, dass Eure Hoheit wohlauf ist«, beruhigte ihn der Arzt, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Verband noch richtig saß.

Einige Zeit später betrat Nofretete mit ihrem Leibwächter Sennefer den Audienzsaal. Sie trug ihre blaue Krone und auf ihrem Gesicht lag ein Lächeln, das sie noch schöner machte, als sie ohnehin war.

Alle verneigten sich bis zum Boden. Als sie aufsahen, hatte sich Nofretete auf den Thron gesetzt und Tutanchaton zu sich gerufen. Nachdem ihr der Prinz geschildert hatte, was sich zugetragen hatte, entließ sie den Lehrer, der mit hängendem Kopf den Saal verließ. »Ich werde mich um einen neuen Lehrer für dich kümmern«, erklärte sie dem Prinzen.

Anschließend winkte sie Mentu freundlich zu sich heran.

»Du hast durch dein rasches Eingreifen das Leben des zukünftigen Herrschers Ägyptens gerettet«, sagte sie. »Als Dank darfst du dem Prinzen Gesellschaft leisten, wann immer du möchtest.«

Mentu errötete und warf seinem Vater einen Blick zu, den dieser voller Freude erwiderte.

Tutanchaton strahlte Mentu mit seinen großen, dunklen Augen an. »Und du darfst deine Schwester und ihren Hund Api mitbringen«, fügte er hinzu.

Wo ist Nofretete?

In den darauffolgenden Wochen wurden Mentu und Kawit mit Api immer wieder in den Palast gerufen, um Tutanchaton Gesellschaft zu leisten. Sie hatten von Sennefer erfahren, dass Nofretete den Prinzen auf den baldigen Tod seines Vaters, Pharao Echnaton, vorzubereiten begann. Die Geschwister und vor allem der kleine Hund sollten Tut in dieser schweren Zeit ein wenig ablenken.

Als der Pharao gestorben war, bemerkten Mentu und Kawit, dass ihr Vater mehr zu tun hatte als je zuvor. Die Königin bestand darauf, dass Sennefer jede Nacht vor ihrem Schlafgemach wachte. Als die Geschwister ihren Vater einmal nach dem Grund dafür fragten, erklärte er ihnen, dass sich Nofretete bedroht fühlte. Sie hatte ihren Leibwächter jedoch nicht wissen lassen, von wem.

Mentu und Kawit begannen, sich Sorgen zu machen. Wenn die Königin bedroht war, so dachten sie, war es ihr Vater als ihr Leibwächter vielleicht auch.

Als dann auch noch ihre Mutter Heria nach Memphis abreiste, um ihrer kranken Schwester beizustehen, fühlten sich die Geschwister oft allein.

Eines Nachts schreckte Mentu aus dem Bett hoch. Jemand trommelte an die Haustür. Eine Stimme rief: »Mentu, Kawit, schnell – ihr müsst kommen. Königin Nofretete ist verschwunden und euer Vater wird verhaftet!«

Mentu sprang auf. Sein Vater verhaftet? Unmöglich! Er rannte hinaus und traf vor seinem Zimmer seine Schwester, die aufgeregt zur Tür lief, um sie zu öffnen. Menena, ein Freund ihres Vaters, der zu den Torwächtern des Palastes gehörte, trat ein. »Zieht euch rasch an und folgt mir!«, forderte er die Geschwister auf, »bevor euer Vater abgeführt wird.«

»Das muss ein Irrtum sein«, flüsterte Mentu zu sich selbst, während er sich hastig ankleidete. »Das kann einfach nicht sein!«

»Ausgerechnet jetzt ist Mutter nicht hier«, klagte Kawit, die sich bereits in einen langen Umhang gehüllt hatte.

Sie stürzten aufgewühlt aus dem Haus, gefolgt von ihrem Hund Api.

»Wo ist eure Mutter?«, fragte Menena unterwegs.

»Unsere Tante Anet in Memphis ist krank geworden«, antwortete Kawit. »Mutter ist zu ihr gereist, um ihr zu helfen.«

Zusammen mit den Torwächtern und einigen Dienern traten sie ein. Alle waren zusammengetrommelt worden, damit Kaaper, der Polizeichef Achetatons, sie befragen konnte. Vor dem Schlafgemach der Königin trafen sie auf Kaaper, der bereits dabei war, Sennefer zu verhören.

»Wann hast du bemerkt, dass die Königin verschwunden ist?«, fragte er den Leibwächter, der vor Nofretetes Schlafgemach gewacht hatte.

»Vater, Vater!«, rief Kawit mitten in das Verhör hinein. Sie bahnte sich einen Weg zu Sennefer, Mentu auf den Fersen. Als sie in der ersten Reihe stand und auf ihren Vater zustürmen wollte, hielt Kaaper sie zurück.

»Ihr müsst warten, bis die Vernehmung beendet ist«, ordnete er verärgert an.

»Aber …« Kawit begann zu weinen. Mentu legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

»Also, wann hast du das Verschwinden der Königin bemerkt?«, nahm Kaaper das Verhör wieder auf.

»Unmittelbar bevor ich es bei der Palastwache gemeldet habe«, stotterte Sennefer. »Das ist keine Stunde her.« Er versuchte mühsam, seinen Kindern zuzulächeln.

»Ich, ich …« Seine Stimme brach ab. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und schlug die Augen nieder.

»Hast du etwas gehört, ein ungewöhnliches Geräusch vielleicht?«, setzte Kaaper die Befragung fort.

Sennefer schüttelte den Kopf.

»Aber du musst doch einen Grund dafür gehabt haben, mitten in der Nacht in das Schlafgemach der Königin hineinzuschauen!«

Kaaper wartete einen Moment. Als sich Sennefer weiterhin in Schweigen hüllte, fragte er: »Kann es sein, dass du eingeschlafen bist? Hast du vielleicht deshalb nicht bemerkt, ob jemand in das Schlafgemach der Königin eingedrungen ist?«

Sennefer zuckte zusammen und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Dein Schweigen verrät mir, dass ich recht habe«, sagte Kaaper fast bedauernd.

»Das kann unmöglich sein!«, rief Mentu.

Kawit brachte vor Aufregung kein Wort heraus.

»Ich wünschte, euren Vater nicht beschuldigen zu müssen«, sagte Kaaper. »Aber im Moment spricht alles dafür, dass er eingeschlafen ist, und das ist eine ungeheuerliche Vernachlässigung seiner Pflichten. Ich schaue mich jetzt im Gemach der Königin um. Wenn ich meine Untersuchung dort beendet habe, nehme ich die Befragung noch einmal auf.«

Der Polizeichef beauftragte einige seiner jungen Hilfskräfte, Sennefer zu bewachen, während er mit einer großen Öllampe in das Schlafgemach der Königin trat. Sein Blick schweifte in dem Raum umher und blieb an der blauen Krone der Königin hängen. Sie war über ein kunstvoll geschnitztes Gestell aus Elfenbein gestülpt, das auf einem Podest neben dem Bett stand. Sein Blick wanderte weiter zu dem breiten Bett und der Kopfstütze aus Holz, unter der ihm etwas im Schein der Öllampe entgegenschimmerte. Er trat näher und erkannte, dass es eine zerrissene Kette aus Gold war. Er nahm sie behutsam in die Hand und verließ das Schlafgemach, um sie Sennefer zu zeigen.

Der Leibwächter starrte entsetzt darauf. »Das ist die Kette der verstorbenen Prinzessin Maketaton«, rief er mit bebender Stimme. »Die Königin würde sich niemals von ihr trennen. Es muss etwas Furchtbares passiert sein!«

Kaaper nickte ernst. »Eben«, sagte er, »die zerrissene Kette ist der Beweis, dass die Königin wohl kaum freiwillig ihr Schlafgemach verlassen haben dürfte.« Kaaper seufzte tief auf.

»Du musst eingeschlafen sein«, fuhr er müde fort. »Das ist schlimm genug. Ich will nicht daran denken, dass du beschuldigt werden könntest, am Verschwinden der Königin beteiligt zu sein.«

»Das ist ganz unmöglich!«, schrie Kawit. Ihre Augen funkelten den Polizeichef zornig an und ihr schulterlanges Haar schwang mit jeder entrüsteten Bewegung um den Kopf. »Die Königin hat immer betont, dass sie nie einen treueren Leibwächter als unseren Vater hatte.«

Der Polizeichef seufzte auf. »Es fällt mir schwer«, entgegnete er, »aber ich muss euren Vater in Gewahrsam nehmen, bis wir die Umstände geklärt haben.«

»Warte bitte einen Moment«, sagte Mentu mit erhobener Stimme, »ich möchte dir etwas zeigen.« Er hielt einen zerbrochenen Trinkbecher in die Höhe, den er in der Nähe des Schlafgemachs entdeckt hatte.

»Das ist mein Becher«, meldete sich Sennefer schwach. »Er ist mir aus der Hand gefallen, weil …«

»Weil du eingeschlafen bist, gib es endlich zu«, unterbrach ihn Kaaper.

Der Leibwächter nickte, und während Kawit laut aufschluchzte, sagte er zu seinen Kindern gewandt: »Ich habe keine Schuld, das müsst ihr mir glauben.« Sennefer holte tief Luft: »Ich hatte starken Durst und schenkte mir aus einem großen Krug etwas Wasser in meinen Becher.« Er zeigte auf den Becher in Mentus Hand. »Ich habe schnell getrunken, weil ich sehr durstig war, was ja bei der Hitze kein Wunder ist. Nach einigen Schlucken hatte ich plötzlich das Gefühl, dass das Wasser einen Beigeschmack hat, und ließ den Becher erschrocken fallen. Gleich darauf bemerkte ich, wie meine Beine schwer wurden, und schleppte mich zum Gemach der Königin, um sie zu warnen. Dort muss ich zusammengebrochen und auf den Boden aufgeschlagen sein.« Er deutete auf seinen Arm, der mit blutigen Schrammen übersät war.

»Oje!«, rief Kawit entsetzt. Sie wollte auf ihren Vater zustürzen, wurde jedoch von Kaaper zurückgehalten.

»Du wartest gefälligst, bis Sennefer seinen Bericht beendet hat«, sagte er streng.

»Leider kann ich nicht viel mehr berichten«, fuhr Sennefer matt fort. »Ich brach zusammen und muss einige Zeit bewusstlos gewesen sein. Als ich erwachte, habe ich sofort in das Schlafgemach der Königin geschaut und das Bett leer vorgefunden, den Rest kennt ihr.« Er machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »Allerdings solltet ihr wissen, dass sich die Königin seit dem Tod des Pharao bedroht fühlte.«

Kaaper horchte auf. »Bedroht?«, fragte er stirnrunzelnd. »Hat sie dir gesagt, durch wen?«

Sennefer schüttelte schwerfällig den Kopf. »Sie hatte offenbar einen Verdacht, aber solange sie nicht sicher war, wollte sie schweigen.« Sennefer hielt erneut inne, dann sagte er: »Glaubst du wirklich, dass ich etwas mit dem Verschwinden der Königin zu tun habe, Kaaper? Du bist mein Freund und müsstest wissen, dass ich nichts anderes im Sinne hatte, als die Königin zu schützen.«

»Was ich glaube, ist nicht so wichtig«, erwiderte der Polizeichef bedrückt. »Aber als Chef der Polizei bin ich gezwungen, jeder Spur nachzugehen, auch wenn sie noch so zweifelhaft ist. Ich hoffe, dass sich alles bald aufklären wird und ich dich freilassen kann.«

Kaaper winkte Mentu heran und nahm ihm den Becher aus der Hand. Er strich mit dem Finger über dessen zerbrochenen Boden und schnupperte anschließend an seiner Fingerkuppe. »Ich kann keinen außergewöhnlichen Geruch feststellen«, bemerkte er.

»Es ist ja auch kein Wasser mehr im Becher«, gab Mentu zu bedenken. »Wie soll man da herausfinden, ob ein Schlafmittel oder so etwas darinnen war? Und wenn, könnte es nicht geruchlos gewesen sein?«

»Soweit ich weiß, sind manche Mittel tatsächlich geruchlos«, antwortete Kaaper. »Aber wenn sich eingetrocknete Reste von einem Schlafmittel wie Mohn an dem Becher befinden, können bestimmte Leute das feststellen. Ich werde den Becher einem Arzt zur Untersuchung vorlegen.« Der Polizeichef räusperte sich und erklärte erneut: »Aber im Moment bleibt mir nichts anderes übrig, als Sennefer in Haft zu nehmen.«

»Hoffentlich findet der Arzt etwas«, murmelte Mentu bedrückt.

»Da wäre noch etwas«, ergriff Kaaper erneut das Wort, bevor er Sennefer abführen ließ. »Wo ist eigentlich Prinz Tutanchaton?«

»Aton sei Dank, er ist in Sicherheit«, erwiderte der Leibwächter. »Der Erhabene Großwesir Eje hat ihn für einige Tage zu sich in den Palast genommen. Der Prinz soll unter der Aufsicht des Wesirs in den königlichen Reitställen Reitunterricht erhalten.«

Kaaper seufzte erleichtert auf und hob die Hand, worauf sich die Hilfskräfte anschickten, Sennefer aus dem Palast zu führen.

Kawit und Mentu eilten zu ihrem Vater und umarmten ihn. »Wir werden dir helfen«, sagte Mentu leise und drückte fest seine Hand.

»Ganz bestimmt«, pflichtete Kawit ihrem Bruder bei.

Sennefer lächelte seine Kinder benommen an, dann wurde er abgeführt.