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Held mit Stinkerduft

»»Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mich in Ihre Wachsfiguren-Sammlung aufnehmen, Madame Tussi«, sagte der Olchi-Detektiv Mister Paddock. Er stand reglos auf einem Podest und bewegte nur seinen Mund ein wenig.

Ihm gegenüber arbeitete Madame Tussi, die berühmte Wachsbildhauerin, an seiner exakten Nachbildung. Nach vielen Stunden Arbeit war die Figur fast fertig.

»Mhh … hier noch etwas moosgrüne Farbe … oder besser apfelgrün?« Immer wieder verglich die zierliche Künstlerin die Kopie mit dem echten Mister Paddock. Figur und Detektiv trugen den gleichen Mantel, Schirm und Hut stimmten ebenfalls genau überein. »In meine Sammlung kommen nur Personen, die Außergewöhnliches geleistet haben. Und dank Ihnen haben Verbrecher in London keine Chance mehr!« Sie bog ein Drahthaar des Wachs-Paddocks zurecht, das unter dem Hut hervorschaute.

Ihre Sammlung war weit über die Grenzen der Stadt bekannt. Madame Tussi zeigte ihre Wachs-Nachbildungen von Musikern, Sportlern, Schauspielern, Politikern und anderen wichtigen Persönlichkeiten in ihren Ausstellungsräumen. Und jede neue Figur erregte die Aufmerksamkeit von zahlreichen Reportern und Besuchern.

Paddocks Gehilfe Dumpy betrat die Werkstatt mit einer Sprühflasche in seiner Hand. »Ich habe alle Stinkersocken ausgekocht, die ich in unserem Gully-Büro finden konnte. Das ist die Stinkerbrühe, die dabei herausgekommen ist.«

Die Bildhauerin schnupperte an der Flasche und verzog das Gesicht. »Puh! Äh … beeindruckend. Danke, Dumpy. Bei meinen Figuren muss nämlich jede Einzelheit stimmen – sogar der Geruch.« PFFFT, PFFFFT – nebelte sie den Wachs-Paddock mit dem Stinkerduft ein.

 

»Es ist also wahr: Paddock bekommt eine eigene Wachsfigur! Bloody hell! Ich müsste so eine Figur kriegen, nicht er!«, schimpfte ein Mann in schwarzer Lederkleidung, der hinter der Hausecke versteckt stand. Er hielt ein ausgeklügeltes Fernrohrsystem vor das dunkle Visier seines Motorradhelms. Kleine Spiegel waren in das Rohr eingebaut, und es war an mehreren Stellen abgewinkelt. So konnte er damit durchs Fenster in die Werkstatt schauen, ohne selbst gesehen zu werden. »Paddock ist mir oft in die Quere gekommen, aber geschnappt hat er mich nie. Darum bin ich der wahre Sieger, London gehört mir!«

»Jack, von dir können sie keine Figur bauen. Es weiß doch niemand, wie du aussiehst«, sagte sein rothaariger Begleiter, der den Motorradhelm abgenommen hatte.

Das Gesicht des Mannes, den er Jack nannte, war dagegen vollständig vom schwarzen Helm verdeckt. Er schnaubte verächtlich. »Wenn ich keine Wachsfigur haben kann, dann soll Paddock auch keine kriegen! In drei Tagen wollen sie den Wachs-Paddock bei einer großen Feier den Leuten zeigen, das stand in der Zeitung. Aber diese Feier wird nicht stattfinden!« Ein gemeines Lachen drang durchs Visier. »Ohne Wachsfigur kein Fest! MUHAHAHAHAHA

Der Rothaarige riss die Augen auf. »Du willst den Wachs-Paddock zerstören, Boss?«

Sein Chef antwortete nicht. Er begann, das Fernrohr zurückzuziehen, und merkte nicht, dass dabei ein Sonnenstrahl auf den Spiegel vorne in der Öffnung traf …

 

In der Werkstatt wanderte ein Lichtpunkt, der vom Spiegel zurückgeworfen wurde, über Paddocks Knubbelnase und weiter zum Glupschauge des Olchi-Detektivs.

Paddock zuckte zusammen.

»Nicht wackeln, Mister Paddock!«, rief Madame Tussi.

»Aber da draußen war etwas!«

Dumpy öffnete das Fenster. »No, da ist nichts …« Er lehnte sich hinaus. »Kein Mensch, kein Tier, kein Ol…« Dumpy stockte. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht und das Fernrohr entdeckt, das gerade hinter der Hausecke verschwand. »Cheesy sock!« Hastig sprang er durch den Fensterrahmen und rannte hinterher.

RROOOMMM! RRROOOMMMM! – donnerte es ihm an der Hausecke entgegen. Eine dichte Rauchwolke hüllte Dumpy ein und vernebelte ihm die Sicht. Er blieb stehen und schnupperte: Das roch nach Motorradabgasen!

Durch den Qualm zischte ihm eine Flamme aus einem Auspuff entgegen, und etwas fiel scheppernd auf den Boden. ROOOOOAAAAAARRR! Der Rauch lichtete sich, und Dumpy sah zwei dunkle Gestalten in der Ferne davonrasen. Er ging zu der Stelle, an der ihre Motorräder gestanden haben mussten: Dort lag eine Metallplatte auf der Straße. Und als er sie aufhob, kamen darunter drei Buchstaben zum Vorschein – eingebrannt in den Asphalt:

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