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KNABE VERLAG WEIMAR  
von
MICHAEL KIRCHSCHLAGER  
für Leser ab 8 Jahre  
 
Was bisher geschah ...  
Der kleine Drache Emil will nicht  
mehr in einem Moor leben. Daraufhin  
wünscht ihn seine Mama an einen  
Ort, wo man die Drachen noch achtet  
die Drachenschlucht bei Eisenach.  
Emil lernt neue Freunde kennen, erlebt  
viele Abenteuer und rettet eine Prinzessin  
vor einem fiesen Schurken. Zum Dank  
für diese Heldentat schenkt ihm Landgraf  
Ludwig der Eiserne die Drachenschlucht.  
Dorthin zieht sich Emil nach all seinen Abenteu-  
ern zurück und fällt in einen tiefen Drachenschlaf.  
3
Emils Traum  
D
ichter weißer Nebel stieg aus dem finsteren Moor auf. Es brodelte gewaltig. Alle  
Vögel flogen angsterfüllt in die umliegenden Wälder, die Frösche schwammen  
um ihr Leben und auch die Schlangen ringelten sich eiligst von dannen, denn  
ein riesiges, fantastisches Wesen hob sich aus dem Sumpf empor. Es war ein Drache,  
oder besser gesagt, es war Lava, die Mutter des kleinen Emil.  
Plötzlich hörte der kleine Drache ihre Stimme: „Emil, mein liebes Kind, schlafe und  
träume süß und denke an mich.“ Emil spürte, wie ihm die Krallen seiner Drachenmutter  
zärtlich über den Kopf streichelten.  
Dann entschwand seine Mutter und Professor Jakoble tauchte auf.  
„Kräh, Emil“, krächzte der alte Rabenvogel, „wenn du munter wirst, bist du mindes-  
tens zwei Meter gewachsen, kräh, kräh.“ Und auch er verschwand so schnell, wie er  
gekommen war. Ihm folgten Ramses, der Thüringer Löwe, Rapax, der Arnstädter  
Adler, das Ziegenherzchen, Bruder Wolfgang und noch viele andere, mit denen er sich  
angefreundet hatte, und auch Prinzessin Jutta war dabei.  
„Schlafe Emilchen, schlafe“, sagte sie und strich dem Drachenkind über die Stirn, „du  
schläfst jetzt schon viele Jahre.“  
Die sanfte Berührung ließ Emil blinzeln und für einen Augenblick aus seinem Drachen-  
schlaf erwachen, doch die Prinzessin war nirgends zu sehen. Denn es war nicht das  
Streicheln, das ihn geweckt hatte, sondern ein langer und dicker Eiszapfen. Den hatte  
der kalte Winter gebildet, und als er zu schwer wurde, war er von der Höhlendecke  
herab auf seine Stirn gefallen.  
Emil sah mit großen Augen zur Decke, die von einer bizarren Eisschicht überzogen  
war. Sein Blick glitt zu den Wänden, die ebenfalls von gefrorenem Wasser bedeckt  
waren. Dahinter liefen kleine Tropfen herab, wie Käfer, die eiligst vor dem glasigen  
Eis davonkrabbelten.  
 
4
Auch Emil war von einer starren Eisschicht wie von einer zweiten Haut überzogen,  
die ihn wie ein Wollmantel wärmte. Zwischen seinen Zehen hatte der Winter hunderte  
Eisfäden gesponnen, die so fein wie Feenhaare waren.  
Emil wollte sich bewegen, doch die Eisschicht hinderte ihn daran.  
 
5
„Schlafe ruhig weiter, mein Kind!“, hörte er wieder die Stimme seiner Mama. „Der  
Winter ist bald vorbei.“  
Emil fauchte kurz, schloss die Augen und schlief wieder ein.  
 
6
Herzog Bösherz  
Als der Frühling in Thüringen Einzug hielt und den Winter, diesen frostigen Mann,  
verjagte, zog Landgraf Ludwig mit Kaiser Rotbart nach Italien. Seine junge Frau, die  
Landgräfin Jutta Claricia mit dem Beinamen die „Strahlende“, blieb zurück und führte  
die Regierungsgeschäfte.  
Nun geschah es, dass ihr Nachbar Herzog Heinrich der Grimmige durch böse Einflüs-  
terungen verleitet wurde, sich das ganze Thüringer Land einzuverleiben. Im Stillen  
und Verborgenen sammelte er ein großes Heer und ließ Belagerungsmaschinen bauen,  
wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hatte. Seine stärkste Waffe aber waren zwei  
furchtbare Fabelwesen, die er mit Hilfe der schwarzen Energie aus der Tiefe der Erde  
heraufbeschwörte.
Dazu begab er sich in einer Vollmondnacht in den Harz, ritt um Mitternacht auf den  
Brocken und sprach einen langen geheimen Zauberspruch. Kaum hatte er ihn vollendet,  
da spaltete sich der gewaltige Berg donnernd und krachend und ein ungebändigtes  
Ungeheuer flog aus dem glühend heißen Berginneren. Heinrich der Grimmige hatte  
Rapagon aus dem Schlund des Brockens befreit.  
Rapagon war ein fürchterlich anzuschauendes Mischwesen mit dem Körper eines  
riesigen Adlers und dem Kopf eines tollwütigen Wolfes. Sein Revier war einst das  
Land zwischen Harz und Kyffhäuser gewesen, und so lange er nur das Vieh der  
Menschen fraß, sah sich niemand genötigt, gegen ihn vorzugehen. Als er aber anfing,  
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