Amalie Winter


Leben und Schicksale des Katers Rosaurus


oder

die kleine Prinzessin und ihre Katze

Impressum



Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-944869-75-9


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Schluß



Gieb sie, gieb sie des Lebens Gaben
Und was Dein Herz in Liebe trägt:
Das Herz will seine Stimme haben,
Bevor es stolz und ruhig schlägt.

Jahre verstrichen. Rosaurus war ein großer dicker Kater geworden; die niedlichen Sprünge hatte er eingestellt; selten erlaubte er sich einen Spatziergang auf das Dach; seine Eltern waren gestorben und seine Geschwister kannten ihn nicht mehr; sie meinten, er habe gar zu feine Manieren angenommen; wollte immer etwas vorstellen, wenn er unter ihnen wäre, und wisse von gar nichts zu erzählen, als von dem großen Löwen, bei dem er drei Stunden zugebracht und den er in Respekt erhalten habe.

Dagegen mache er eine verächtliche Miene, wenn sie von ihren Mäusen- und Ratten-Abenteuern im Keller erzählten; er schien die wichtigsten Ereignisse ihres Lebens für höchst kleinlich und unbedeutend zu halten und bei ihren schönsten Konzerten schlief er ein oder schnurrte so laut, daß der kräftigste Katzenbaß kaum vernehmbar werden konnte. Rosaurus wurde demnach nicht mehr eingeladen und wenn seine Verwandten ihn mit einiger Höflichkeit behandelten, so geschah es blos, weil sie vermutheten, daß er große Schätze an Knochen, Zucker und Bisquit besitze, die er ihnen einmal Preis geben oder vermachen könne.

Indessen war Joly gestorben; er hatte von allzuguter Nahrung und, wie Lisi meinte, vom steten Aerger über Rosaurus, die Raute bekommen und war so ekelhaft geworden, daß man es für nothwendig hielt, ihn todt zu schießen, wovon freilich die Prinzessin nichts erfahren durfte. Bald darauf brachte man ihr ein anderes Hündchen, welches dem Joly ähnlich sah, nur jünger und lustiger. Jetzt kam die Reihe an Rosaurus eifersüchtig zu werden und er zeigte sich so heftig und erbarmungslos gegen das kleine Thier, er hatte so wenig von der Großmuth des Löwen gelernt, daß er dem neuen kleinen Joly einst mit einem starken Schlag seiner Tatze ein Auge auskratzte.

Demnach wurde Rosaurus ins Vorzimmer verbannt und der kleine Joly wurde der Schooßhund und der stete Gefährte der Prinzessin.

Einst erhielt sie zwei allerliebste kleine Vögelchen; sie waren grün und man nannte sie die Unzertrennlichen, weil sie immer ganz dicht bei einander saßen und das Bild einer guten Ehe abgaben. Sie kamen aus Amerika, wo sie heimisch sind. Die Prinzessin freute sich sehr an den kleinen Thieren.

Rosaurus erblickte sie eines Tages und schien zu meinen, daß sie blos seinetwegen so weit hergekommen seien; er stürzte sich über den Bauer her und fügte seine Krallen in dessen Drathgitter, um sie herauszuholen; glücklicherweise trat gerade Lisi ins Zimmer und erhob ein furchtbares Geschrei.

Rosaurus ward verjagt und das Leben der kleinen Vögel gerettet. Der Schreck mochte aber sehr groß gewesen sein und ihre schönen grünen Federchen flogen im Käfig herum, und hier und da blutete eine Stelle, wo eine scharfe Kralle die Haut geritzt hatte.

Nach dieser Missethat fiel Rosaurus gänzlich in Ungnade; und als Mademoiselle Gogo einer jungen Erzieherin Platz machte, weil sie wegen Kränklichkeit in den Ruhestand versetzt zu werden bat, nahm sie Rosaurus, an den sie sich gewöhnt hatte, mit in ihre Wohnung, wo sie ihn mit großer Liebe und Sorgfalt pflegte. Die Prinzessin hatte ihr ein großes weiches Sammetkissen für diesen Lebensgefährten geschenkt; darauf lag Rosaurus und war noch im Alter ein schöner Kater. Er that eigentlich nichts als fressen und schnurren und das Spinnrädchen der Mademoiselle Gogo schnurrte mit ihm um die Wette.

 

 

Inhalt




Kapitel 1 - Die Überraschung

Kapitel 2 - Wie das Kätzchen in’s Kamin kam

Kapitel 3 - Wie die Kinder mit dem Kätzchen spielen

Kapitel 4 - Das Katzenkonzert

Kapitel 5 - Katzenerziehung

Kapitel 6 - Die Kinder der Armut

Kapitel 7 - Weitere Erlebnisse des jungen Katers Rosaurus

Kapitel 8 - Die großen Katzen

Kapitel 9 - Die böse Tat und deren Folgen

Kapitel 10 - Das große Abenteuer

Kapitel 11 - Aus der Naturgeschichte des Löwen

Kapitel 12 - Der Kater Rosaurus will König der Wälder werden

Schluß

 

 

 


1

Kapitel 1 - Die Überraschung



Meinen Freuden

Wollt Ihr meine Freude hören,
Ruft ein Mädchen voller Lust,
Nun ich will sie gern Euch lehren,
Hegt sie auch in reiner Brust.

Und die Blumen groß und klein
Die des Himmels Lust und Frieden
Durch die weite Schöpfung streu’n.
Meine Freuden sind die Tiere,
Denn in Gottes Lustreviere
Ist mir keines zu gering.

Die kleine Prinzessin Marie war 6 Jahr alt und führte ein glückliches Leben. Alle Welt war ihr gut und Jedermann bemühte sich, ihr Freude zu machen. Täglich wurden kleine Mädchen eingeladen, mit denen sie im schönen Wagen spatzieren fuhr und mit schönen Spielsachen spielte.

Die Spielsachen waren aber ganz außerordentlich schön. Sie hatte unter Anderm eine Puppenstube, welche so groß war, daß nicht nur die Puppen, sondern auch deren Besitzerin, nebst zwei ihrer Freundinnen darin Platz fanden. Kanapee, Stühle und der Tisch waren so eingerichtet, daß die Kinder sich ihrer bedienen konnten und oft wurde dort in Gesellschaft der Puppen von verschiedener Größe Chocolade getrunken. Der kleine Hund Joly wurde bei solchen Gelegenheiten ebenfalls eingelassen und erhielt einen Platz auf dem Kanapee, von wo aus er mit wahrhaft menschlicher Grazie, ebenfalls Chocolade trank und Bisquit fraß. Wenn er sich zuweilen vergaß und sich allzu gefräßig zeigte, so wurde er ernstlich ermahnt und das Prinzesschen drohte mit dem Finger.

Die Puppen waren indeß von verschiedener Größe und von ganz verschiedener Art. Da sah man eine große Puppe als Königin angethan, mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und dem Hermelinmantel um die Schultern. Neben ihr saß das Bauermädchen in der Landestracht, mit Bändermütze, kurzem Rock und goldgesticktem Latz. Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen waren in den kurzen Flügelkleidern und weißen Beinkleidern mit den runden Strohhüten sehr hübsch anzusehen. Außerdem gab es auch Puppen in Haus- und Ball-Kleidern und alle hatten ihre besondere Garderobe. Viele davon besaßen sehr schönes langes Haar, und es gewährte den Kindern große Freude, solches zu kämmen und zu flechten; andere hatten blos Locken, was ihnen auch sehr gut stand.

Alle diese Puppen waren aber, in dem Augenblick wo diese Geschichte beginnt, ganz vergessen und lagen in einer Ecke der Puppenstube über einander gehäuft, denn die Prinzessin hatte kürzlich eine Puppe erhalten, welche alle anderen aus ihrem Herzen verdrängte; das war nämlich eine schöne Wickelpuppe. Kopf, Arme und Beine waren von Wachs und das Kinderzeug war äußerst vollständig. Es fehlte nicht an Windeln, Stopfläppchen und Wickelschnuren. Die Wickelkissen waren mit Bandschleifen versehen und mit Stickereien garnirt. Die Mützchen waren prächtig, ganz mit Spitzen und Bändern bedeckt. Es gewährte den Kindern große Freude, das Puppenkind zu wickeln und trocken zu legen, herum zu tragen und einzuschläfern, und ihm Brei zu geben, mit dem kleinen silbernen Breilöffel, aus dem vergoldeten Breinäpfchen. Des Abends wurde die Puppe immer in die Wiege gelegt, welche ebenfalls in der Puppenstube stand; und das war eine sehr schöne Wiege von Mahagoniholz, wie nur wenig Menschenkinder sie besitzen. Es schläft sich nun zwar eben so gut in einer einfachen Wiege; aber für die Puppe einer kleinen Prinzessin heißt es doch: "je schöner, je besser". An dieser Wiege waren nun reiche Vergoldungen angebracht; ein vergoldeter Engel schwebte darüber und hielt in seinen Händen den grünen Vorhang von schwerem rauschenden Seidenstoff: Kopfkissen und Decke waren von rosa Atlas mit Ueberzug von gesticktem Tüll mit Spitzenbesatz.

Das schönste Eigenthum der Wickelpuppe war aber das Taufzeug. Es bestand aus einem langen Kleid von Spitzentüll über rosa Atlas. Das Kind lag auf einem Kissen von rosa Atlas und nun gab es Spitzen und Schleifen in Menge. Besonders schön waren die Aermelchen gestickt, und das Mützchen erregte allgemeine Bewunderung. Eine arme Stickerin hatte vier Wochen daran gearbeitet und von dem Lohn, den sie dafür bekam, ihre ganze Familie erhalten. Die Wickelpuppe sah aber in diesem Taufzeug gerade so aus, wie das Prinzesschen selbst bei der Taufe ausgesehen hatte.

"Wir wollen doch Taufens spielen", sagte Lisi eines Tages, als eine Gesellschaft kleiner Mädchen bei der Prinzeß versammelt war. Lisi war die älteste von ihnen und pflegte gewöhnlich die Spiele anzugeben. "Wir wollen die Wickelpuppe taufen", sagte sie, "und ich will der Pastor sein". Die Kinder nahmen den Vorschlag mit Jubel an; Mademoiselle Gogo, die Bonne, hatte das Zimmer verlassen wegen eines Besuches und hatte die Kinder gebeten, recht still zu spielen; nun! bei der Taufe machte man auch gewiß keinen Spectakel. Lisi wickelte sich in einen schwarzen Shawl und machte sich von Papier Päffchen an den Hals. Ein kleiner Tisch wurde als Altar angeputzt. Nun putzten sich auch die Pathen. Das Prinzesschen setzte ein Diadem ihrer Mama auf, welches diese wegen dessen Schwere auf einige Stunden bei ihr abgelegt hatte; ein goldgestickter Longshawl ward ihr als Schleppe angemacht. Die kleine Diana befestigte zwei Blumenkränze der Balldamenpuppe auf den Kopf und band ihren himmelblauen Mantel um die Taille, so daß er hinten Schleppe bildete; die kleine Amelie hatte eine Echarpe von rosa Flor auf dem Kopfe befestigt und hüllte sich hinein, so daß sie in einem jener Wölkchen zu stecken schien, welche Abends vor Untergang der Sonne so schön roth aussehen. Die lange Jenny hatte aber die Mütze des kleinen Prinzen aufgesetzt, einen Kindersäbel umgeschnallt und ein Paar Vorhangsquasten als Epauletten an die Schultern befestigt und wollte durchaus der Herr Gevatter sein.

Nun sollte die Taufe losgehen. Lisi hatte nämlich ihr Schwesterchen taufen sehen und nahm sich vor, es gerade so zu machen. Joly mußte sich auf die Hinterpfoten setzen, um das Mützchen zu halten, was damals Lisis Amt gewesen war.

Als nun die Vorbereitungen vollendet waren und die Kinder feierlich im Kreise standen, vernahm man plötzlich ein fremdartiges Geräusch, ein Poltern, Miauen, Winseln. Die Kinder wußten gar nicht, was es war, die Wickelpuppe konnte es doch nicht sein!

Das Geräusch kam aus dem Kamin, welches im Sommer zugestellt wurde, damit der Wind nicht herein fauchen konnte. Die Kinder fürchteten sich und flüchteten schreiend und um Hülfe rufend in das andere Zimmer und Joly verfiel in ein fürchterliches Gebell. Ueber dem Lärm kam Mademoiselle Gogo herbei und frug, was es gäbe? Als die Kinder von dem Spektakel im Kamin erzählten, schüttelte sie bedenklich den Kopf; sie wußte nicht recht, ob es gerathen sei, das Kamin zu öffnen, es konnte ja eine Eule oder ein Uhu hineingeflogen sein; diese Vögel haben aber große Schnäbel und pflegen damit um sich herum zu hacken; es konnte auch eine Fledermaus sein und Mademoiselle Gogo fürchtete sich vor Fledermäusen.

Alles stand um das Kamin in horchender Stellung.

Ach, die Töne waren so leise, so hülfebedürftig, man mußte ahnden, daß ein Geschöpf Gottes sich sehr unbehaglich darin fühle. Lisi riß geschwind das Kamin auf und siehe, da lag ein kleines allerliebstes Kätzchen. Es konnte kaum 14 Tage alt sein und gefiel den Kindern ungemein. Es war ein buntes Cypernkätzchen. Es hatte einen langen Schwanz, den es anmutig bewegte, kurze Ohren, die es klug zu spitzen wußte und ein Fellchen, so weich und glatt wie Seide. Dabei schnurrte es äußerst lieblich und schien sich im Schooß des Prinzesschens sehr wohl zu befinden. Die Kinder holten Milch herbei und es leckte dieselbe mit seinem rosarothen Züngelchen. Man sah es ihm an, daß es ihm gutschmeckte.

Die Kinder hatten sich um das Prinzesschen herumgekauert, um den kleinen Ankömmling recht betrachten zu können; alle waren davon entzückt, nur nicht Joly, welcher zur Türe hinaus gebracht werden mußte, da er Lust zu haben schien, das arme Kätzchen zu beißen und aufzufressen.

2

Das Kätzchen wird im Kamin entdeckt.

Als Lisi aber die Freundinnen aufmerksam machte auf die Sammetpfötchen des Kätzchens und auf deren rosarothe Sohlen, wurden die Bedienten zum Abholen gemeldet und man mußte sich trennen. Das Kätzchen war im Schooß des Prinzesschens eingeschlafen, und wir wollen es schlafen lassen, um zu erforschen, wie der kleine Gast eigentlich in das Kamin gekommen war.

Kapitel 2 - Wie das Kätzchen in’s Kamin kam



In Sonnenschein
In dunkler Nacht
Für Mensch und Tier
Gottes Auge wacht