Legion

Vielleicht habt ihr Filme über die Fremdenlegion gesehen. Sie sind alle falsch. Die Amerikaner haben sie gemacht, und ich habe in der Legion nur einen Amerikaner getroffen, und der war schwarz. Er war früher Steward auf einem Schiff, sprach gut französisch und englisch. Er war ein anständiger Bursche, wurde Korporal, und dann ist er gestorben. In jenem kleinen Posten, von dem ich euch gern erzählen möchte. Ich träume noch manchmal von diesem kleinen Posten, von den roten Sandsteinbergen, die aus der Ebene herauswuchsen. Und ganz in der Ferne sah man die weißen Schneeberge des Hohen Atlas. Von ihnen kam am Morgen und am Abend ein kühler Wind.

Der Posten hieß Gourrama. Wenn ihr eine Karte habt, so könnt ihr ihn vielleicht finden, aber es muss eine große Karte von Marokko sein. Es ist ziemlich im Süden, zwischen BouDenib und Midelt. In der Nähe des Postens, etwa dreihundert Meter von ihm entfernt, waren zwei arabische Dörfer. Aber ihr müsst euch nicht vorstellen, dass das Dörfer sind wie bei uns in der Schweiz. Nicht Häuser über das Land verstreut, mit Wiesen und Obstgärten, und Misthaufen davor. Es ist ein einziger riesiger Bau wie ein breiter, sehr breiter Turm, aus getrockneten Lehmziegeln aufgebaut, und die Menschen hausen darin wie Bienen in einem Stock. Ich bin oft drin gewesen, obwohl es uns verboten war. Die Leute waren sehr freundlich. Ich verstand sie nicht und sie mich auch nicht. Aber wir kamen ausgezeichnet miteinander aus, tranken Tee zusammen, und manchmal haben sie mich zum Abendessen eingeladen. Dann gab es Kuskus. Und das schmeckt sehr gut. Das Rezept kann ich euch geben.

Man nimmt Mehl und streut es auf ein flaches Korbgeflecht. Dann spritzt man Wasser drauf und fängt an, die geflochtene Platte ruckweise zu schütteln, spritzt wieder Wasser auf das Mehl, schüttelt wieder, bis sich das Mehl zu winzigen Klumpen geballt hat, ein wenig größer als Grießkörner. Diese Klümpchen schüttelt man in ein unten spitz zulaufendes Tongefäß, dessen Boden an verschiedenen Stellen durchbohrt ist. Das Tongefäß wird auf einen Eisentopf gestellt, und im Eisentopf ist Wasser. Wenn das Wasser kocht, steigt der Dampf durch die Bodenlöcher des Tongefäßes, die Mehlklumpen quellen auf, und wenn sie ordentlich im Dampf durchgebrüht sind, ist das Kuskus fertig. Dann bringt man Schaffett dazu, das ein wenig ranzig riecht, Hühnerbouillon, Safran, Tomaten und richtet das Ganze auf einer großen Holzplatte an. Dann hockt man sich im Kreise um die Platte, Stühle gibt’s keine, man hockt mit gekreuzten Beinen da. Das kommt einem im Anfang ungewohnt vor, aber man gewöhnt sich dran. Und dann isst man mit den Händen, und der Hausherr erweist einem Ehre, wenn er das Kuskus zu kleinen Kugeln dreht und sie dem Gast in den Mund stopft. Nachher trinkt man sehr süßen Tee, der mit Minzenblättern parfümiert ist, oder schwarzen Kaffee, der so dick ist wie bei uns der Kakao. Raucht selbstgedrehte Zigaretten und schweigt sich an. Das Schweigen ist sehr schön, auch ungewohnt im Anfang, denn wir, hier drüben in Europa, wir reden gerne viel. Das gewöhnt man sich ab. Ab und zu lächelt man sich an, und wenn man dann fortgeht, berühren sich nur die Fingerspitzen zum Abschied, und man legt den Zeigefinger auf die Lippen und weist nach dem Himmel. Das ist der arabische Gruß.

Ich rede da immer von Arabern; aber im Grunde waren die Leute, dort in dem kleinen Dorf, das sie ‹Ksar› nennen, gar keine Araber, sondern Berber, ‹Schlös› nennt man sie dort. Manche unter ihnen, besonders ihre Scheichs – das sind die dortigen Gemeindepräsidenten oder Bürgermeister –, waren sogar weißer als wir. Sie hatten lange schmale Gesichter, sahen sehr schön aus in ihren weißen Mänteln, und fast alle trugen sie darauf das Band der französischen Ehrenlegion. Sie erzählten gerne, denn einige von ihnen konnten Französisch, dass der General Lyautey sie dekoriert habe. Nun müsst ihr wissen, dass dieser General Lyautey, der später Marschall von Frankreich geworden ist, ein ganz großer Kerl war. Vor ihm war Marokko ein großes Land, aber so zerrissen, dass man eigentlich gar nicht von einer Einheit reden konnte. Die Stämme von der Muluya (das ist ein Grenzfluß) bis zum Meer befehdeten sich untereinander. Es gab wohl einen Sultan, der früher in Rabat, später in Fez herrschte, aber der Sultan hatte nicht viel zu sagen. Und dann begannen die Franzosen einzudringen. Sie waren geschickt, und dass sie geschickt waren, hatten sie vor allem ihrem Führer zu verdanken, dem General Lyautey. Der sprach die verschiedenen Dialekte wie das Französische, er verhandelte mit den einzelnen Stämmen, spielte den einen gegen den andern aus, und schließlich beherrschte der Sultan, der in Fez wohnte, das ganze Land – mit Hilfe des Generals und der Fremdenlegion. Ohne die Fremdenlegion wäre Marokko wahrscheinlich auch jetzt noch ein zerrissenes Land.

Die Franzosen haben dann kleine Garnisonen über das ganze Land verteilt. Und dort, wo eine solche Garnison lag, wurde zugleich ein sogenanntes ‹bureau arabe› errichtet. Das wurde von einem eingeborenen Offizier geleitet und hatte dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung des Landes gegen die Übergriffe der Europäer geschützt wurde. Auch in Gourrama gab es ein arabisches Bureau. Es lag außerhalb unseres Postens und wurde vom Capitaine Materne befehligt, der zugleich Platzkommandant war. (Ein Capitaine ist ein Hauptmann.) Dieser Capitaine Materne war ein großer schlanker Mensch, Marokkaner, der seine militärische Ausbildung in Frankreich gemacht hatte; sehr tapfer war er. Er trug nie eine Waffe, aber eine zahme Gazelle folgte ihm überall nach, wie ein treuer Hund. Er hatte den Oberbefehl über die einheimischen Truppen, die Gums und die Maghzens. Die Gums sind Reiter, die unter dem Oberbefehl des Sultans in Fez stehen, und die Maghzens sind Zivilisten, etwas ähnliches wie das letzte Aufgebot. Sie machen Kundschafterdienste, bekommen alte Gewehre und nur wenig Munition, denn man traut ihnen nicht ganz. Einmal gab es eine kleine Revolte unter den Maghzens. Ihrer zwanzig umstanden den Capitaine Materne, fuchtelten mit den Armen, einige schwangen Messer. Der Capitaine stand ganz still. Er hatte nur seine Reitpeitsche, mit der er ungeduldig gegen seine Stiefelschäfte klopfte. Als die Leute immer aufgeregter wurden, machte die Reitpeitsche plötzlich eine kurze Bewegung. Sie traf keinen der Aufrührer. Sie wies nur in die Ferne, und die sehr helle Stimme des Capitaines überklang mühelos den Lärm: «Hemschi l’Bled», rief er. Es klang wie ein Kommando. Es heißt etwa: «Geht in die Wüste, geht zum Teufel.» Das Geschrei der Maghzens verstummte wie abgeschnitten. Und dann schritt der Capitaine davon, und seine Gazelle tänzelte hinter ihm drein.

Wir hatten natürlich auch einen Hauptmann im Posten. Der hieß Chabert, war dick und klein und trug weder auf der Mütze noch auf den Ärmeln die Abzeichen seines Grades. Er war bescheiden und sehr gütig. Ihr müsst nicht denken, dass es in der Legion überall so sanft zuging wie bei uns. Wir hatten eben Glück gehabt, dass der Capitaine Chabert uns kommandierte. Er hatte von der Pike auf gedient; vor dem großen Krieg war er Korporal gewesen und hatte sich hinaufgedient. Er war schon über vierzig. Seine Frau wohnte in Frankreich. Sie schrieb ihm immer lange Briefe. Die Ordonnanz vom Capitaine hat mir einmal einen dieser Briefe zum Lesen gegeben. Da bat die Frau Chabert ihren Mann, nur recht freundlich mit den armen Legionären zu sein, die hätten so viel zu tragen … Es muss eine gute Frau gewesen sein, die Frau Chabert.

Wir waren eine sogenannte berittene Kompagnie und galten als Bataillon, weil wir sehr viel Mann waren. Fast dreihundert. Wir brauchten keinen Sack zu schleppen. Was wir auf den Marsch mitnehmen mussten, wurde auf den Sattel des Maultiers geschnallt. Es gab immer ein Maultier für zwei Mann. Wir ritten abwechselnd eine Stunde, dann marschierten wir wieder eine Stunde. Das Tempo war sehr schnell, etwa sechseinhalb bis sieben Kilometer in der Stunde. Und wir marschierten so: Zuerst schritten im Gänsemarsch die Unberittenen der Sektion, mit einem Unteroffizier, der das Tempo angab, dann kamen die Maulesel, dann die Fußgänger der zweiten Sektion, hierauf die Maulesel, dann die Fußgänger der dritten und so fort. Nach einer Stunde Marschieren pfiff der Capitaine. Da stürzten die Fußgänger zu ihren Tieren, die Reiter stiegen ab, die andern stiegen in den Sattel (man musste das Bein sehr hoch heben, denn alle unsere Effekten, vorn und hinten am Sattel aufgeschnallt, waren hoch wie eine kleine Stuhllehne), der Capitaine pfiff noch einmal, ließ den erhobenen Arm nach vorne fallen, und dann ging es weiter. Wir haben oft längere Märsche gemacht als die Kavallerie. Unsere Maulesel waren viel ausdauernder. Manchmal haben wir bis zu siebzig Kilometer im Tag gemacht, einmal sogar neunzig. Aber das war nicht so arg, wie es sich anhört. Denn im Grunde marschierten wir auf unseren eigenen Füßen nur die Hälfte des Weges. Die andere Hälfte ritten wir. Und wir waren nicht beladen.

Die Maultiere waren komische Tiere. Sie waren mit wenig zufrieden. Sie fraßen die Gerste aus den Ledersäcken, die wir ihnen vor die Schnauze banden, sie fraßen das zähe Alfagras, sie tranken in den kleinen Flüsschen, die man dort Oueds nennt, und eingesäumt sind diese Flüsschen mit Oleanderbüschen, die rot blühen. Mein Maultier hieß Seppl. Es war klein und grau, es hatte einen sanften Gang, und seine Ohren wippten vor meinen Augen und warfen Schatten auf den gelben Weg.

Schön sind die Nächte dort unten. Selten nur schlugen wir im Sommer die Zelte auf, wir schliefen unter dem offenen Himmel, der weiß von Sternen war. Das Feuer der Köche duftete nach dem brennenden Thymian, es gab Schafragout zum Nachtessen, zum Mittagessen, dazu Reis. Manchmal fehlte das Wasser, das bessere wurde aus den Sandlöchern für die Maultiere geschöpft, der Rest war für uns. Dann war der Reis gelb, als ob er mit Safran gekocht wäre, und die Sandkörner knirschten unter unseren Zähnen. Unser Capitaine sorgte gut für uns. Es gab Konserven, grüne Bohnen, manchmal spendierte er sogar amerikanischen Speck zur Zwischenverpflegung, und hin und wieder gab es auf dem Marsch Konfitüre.

Ich bin nicht lange mit der Kompagnie marschiert. Ich kam bald darauf in die Verwaltung. Das war, mitten im Posten, ein großer Schuppen, in dem die Weinfässer lagen, daneben war die Bäckerei. Eine kleine Hütte mit nur einer Stube war meine Wohnung. Durch die Verwaltung floss ein kleiner Kanal, eine Seguia, die von dem Flüsschen abgeleitet war, das an Gourrama vorbeifloss. Den Wein, das Mehl, die Gerste für die Maultiere, den Kaffee, die Seife, die Konserven, das alles hatte ich zu verwalten. Ich war unabhängig. Außerdem hatte ich eine Herde von zweihundert Schafen, auch fünf Kühe gehörten dazu. Die Kühe waren nicht viel größer als ein ausgewachsener Bernhardiner und mager. Auch die Schafe waren mager. Jeden Morgen kam ein alter Hirte, ein Berber mit einem weißen Bart; von dem habe ich das Zählen gelernt. Er zählte nur bis zehn: Quachad, susch, thleta, arba, hamsa, sta, sbaa … und haschra, das hieß zehn. Bei zehn spreizte er den Daumen ab und begann von neuem. Bis er zweimal die Finger beider Hände gebraucht hatte. Haschra, zehn, das gefiel mir. Jeden Morgen brauchte die Kompagnie sechs Schafe. Die trieb ich mit meinem Metzger in das kleine Schlachthaus, das neben dem ‹bureau arabe› lag. Wir schlachteten nicht selber. Denn die Leber, die Eingeweide, das Herz, die Lunge der Tiere wurden von den Einheimischen gekauft. Darum mussten die Tiere nach dem Gesetz Moses geschächtet werden. Der Schächter war ein Jehudi, ein Jude, ein winziges Männchen mit einem rötlichen, sehr spärlichen Bart. Der hätte die Tiere nie allein am Boden halten können. Das musste mein Metzger tun, der alte Kainz, ein Wiener. Der Jehudi brachte nur ein wunderbares Messer mit, es sah aus wie ein riesiges Rasiermesser, bei uns würde man es als Reklame gebrauchen. Der alte Jude kniete neben dem Schaf auf den Boden, murmelte irgendeine uralte Beschwörungsformel, vielleicht war es auch ein Gebet, und tat einen langen Schnitt durch die Kehle des Tieres. Es war gleich tot. Das Blut sickerte auf den Boden, und mein Hund, er hieß Türk und sah aus wie ein Dackel, nur größer, leckte das Blut auf.

Ein paar gute Freunde habe ich im kleinen Posten gehabt. Etwas lernt man ja in der Fremdenlegion, das ist Kameradschaft. Einem Soldaten, der alles, was er sieht und erfährt, den Vorgesetzten erzählen geht, dem geht es nicht gut. Prügel sind das wenigste. Aber man spricht nicht mehr mit ihm, er ist ein Ausgestoßener. Angeberei ist etwas Hässliches. Man muss zusammenhalten, das ist im Leben immer so, das sollte man lernen und es sich hinter die Ohren schreiben. Ich erinnere mich an einen kleinen Deutschen. Er hieß Schneider. Der war klein und mager und hatte das Sumpffieber erwischt. Eine Zeitlang lag er im Krankenzimmer, aber dann musste er wieder ausrücken. Kranke hat man nicht gerne in der Legion, und selbst unserem Hauptmann, der sonst ein guter Mensch war, wurde die Sache zu dumm. Der kleine Schneider musste mitmarschieren, als wir das nächste Mal ausrückten. Er konnte nicht mehr recht. Kameraden haben mir dann erzählt, wie es gegangen ist. Die Kompagnie kampierte für die Nacht. Der kleine Schneider war müde, und trotzdem bestimmte ihn ein Wachtmeister, der ihn nicht leiden konnte, für die Wache. Da hat der kleine Schneider sein Gewehr genommen, hat die Mündung gegen seine Brust gerichtet und mit der Zehe den Hahn gezogen. Der Schuss ist ihm in die Brust. Am Morgen haben sie ihn tot gefunden. So ist der kleine Schneider gestorben. In seiner Brusttasche hat man eine alte Brieftasche gefunden. Darinnen waren ein paar Photographien und Briefe, die vom Lesen ganz schmutzig geworden waren. Es waren Bilder von seiner Mutter, und auch die Briefe waren von der Mutter. Der Capitaine hat der alten Frau, die irgendwo in Deutschland wohnte, die Briefe und die Photis geschickt. Dazu hat er geschrieben, ihr Sohn sei tapfer vor dem Feinde gefallen. Ich weiß nicht, ob das die alte Mutter getröstet hat.

Unter den Russen hatte ich am meisten Freunde. Es waren meist Soldaten der Weißen Armee, die von den Kommunisten geschlagen worden und dann nach Konstantinopel geflohen waren. Dort hatten ihnen die Franzosen versprochen, sie würden es gut haben in der Legion. Aber zwischen den Versprechungen und der Wirklichkeit ist ein langer Weg. Es waren Fürsprecher, Ärzte, Journalisten unter ihnen. Man hatte ihnen versprochen, sie würden bald Offiziere werden. Aber als sie dann in Bel-Abbès auf diese Versprechungen pochten, wurden sie ausgelacht und mussten Dienst als einfache Soldaten tun. Sie wurden zwar ziemlich bald Unteroffiziere, aber als Korporal hat man es dort noch schlechter denn als einfacher Soldat. Man schläft und lebt mit der Truppe. Wenn die Leute auf dem Marsch schlecht aufgelegt sind, so kann man lange kommandieren, sie folgen doch nicht und lachen einen aus. Auch der Capitaine Chabert lachte uns Korporäle aus, wenn wir uns beklagen kamen, man wolle uns nicht gehorchen. «Zieh deinen Kittel aus», sagte er zu uns, «wenn du Angst um deine Schnüre hast. Und dann prügle dich, bis sie dir folgen.» Ich muss zwar sagen, dass ich mich weder geprügelt noch beklagt habe. Ich habe eben einfach mitgeholfen und auf meine Schnüre gepfiffen. So ging es eigentlich ganz gut, und ich habe nur einmal einen Stich bekommen, weil ich zwei Leute trennen wollte, die aufeinander mit den Messern losgingen. Es war Streit ausgebrochen bei einem Kartenspiel, und die beiden, es waren ein Russe und ein Italiener, waren nicht ganz einig. Ich habe es nicht aus Tapferkeit getan, sondern weil ich Zimmerchef war und für Ordnung sorgen musste. Dem Russen hat es dann leid getan, dass er mich getroffen hat. Er sagte immer: «Nicht dich ich hab wollen, Caporal!» Die Russen sangen. Ihr habt sicher die Donkosaken einmal gehört, im Radio wahrscheinlich oder auf einem Grammophon. Vielleicht habt ihr gefunden, dass diese Lieder schön sind. Aber ihr könnt euch sicher nicht vorstellen, wie sie dort unten im kleinen Posten geklungen haben.

Der Mond ist dort sehr groß und weiß, und sein Licht legt sich über die Ebene, über die Wellblechdächer, über die Mauern und über die Erde wie dicke geronnene Milch. Man glaubt, man könne das Licht greifen. Und an solchen Abenden sangen die Russen. Es begann tief und traurig, im Chor, und von dem brummenden Bass löste sich nach und nach eine sehr helle Stimme ab, welche die Melodie übernahm, und im Bass begleitete sie weiter der Chor. Die Lieder fügten sich ein in den stillen Abend, der hoch und einsam war, ein kleiner Wind, der von den Bergen kam, nahm die Lieder mit fort in die Ebene und zerstreute sie. Das Stampfen der Maultiere in ihrem Pferch war zu hören und dazwischen das feuchte Weinen eines Lammes. Die Lieder waren wie ein Traum, und sie sangen von den Pferden, von den verlassenen Bergen und von der Heimat. Die Russen waren fast alle Kosaken gewesen. Die große Ebene, die kahl bis an die Berge reichte, erinnerte sie wohl an Russland …

Es war einer unter ihnen, mit dem ich oft gesprochen habe. Er hieß Vanagass, wenigstens nannte er sich so, und er ist der einzige gewesen, dem ich wirklich geglaubt habe, dass er etwas anderes gewesen ist. Auch die andern, besonders die Deutschen, blagierten viel. Sie waren alle Grafen oder Barone gewesen, dabei waren sie unwissend; dieser Vanagass erzählte mir einmal, dass er Fürsprech in Odessa gewesen sei. An einem Morgen sei er über die Straße gegangen, um sich rasieren zu lassen, und als er wieder zurückwollte, war sein Haus von den roten Truppen besetzt. Er musste fliehen. Am Hafen fand er ein Detachement der Legion und schloss sich an. Er brachte es dann zum Sergeanten, zum Wachtmeister. Wir haben viel miteinander gesprochen, er war sehr gelehrt und hatte viel gelesen. Als mich der Hauptmann vors Kriegsgericht schicken wollte (es fehlte allerlei in der Verwaltung, aber ich hatte sie mit allen Fehlbeständen übernommen und sollte nun dafür haften), hat mir Vanagass geholfen. Er war wirklich ein ausgezeichneter Fürsprech, und der Hauptmann ließ sich denn auch umstimmen. Sonst wäre ich wahrscheinlich dort unten geblieben.

Ihr wisst ja, dass es jetzt streng verboten ist, in die Fremdenlegion einzutreten. Ob dieses Verbot einen großen Sinn hat, möchte ich bezweifeln. Übrigens ist es ja gar nicht so leicht mehr hineinzukommen. Schon 1921, als ich in Straßburg engagierte, wurden viele, die sich gemeldet hatten, zurückgeschickt. Die Legion hat genug Leute. Soviel ich weiß, ist sie jetzt auf vier Regimenter angewachsen, und ein fünftes, ein Kavallerieregiment, wird auch noch gebildet. Die Geschichte mit Werbern, die Leute betrunken machen, um sie zum Unterschreiben zu bringen, ist glatt erlogen. Das gibt es jetzt nicht mehr.

Ich muss euch offen sagen, dass ich die zwei Jahre, die ich in der Legion gedient habe, nicht aus meinem Leben streichen möchte. Ich habe viel gelernt. Ich habe Menschen gesehen und ein Land, das schön ist, weil es so streng ist und hart und weil die Leute, die es bewohnen, uns so gar nicht gleichen. Sie sind stiller, stolzer, kindlicher. Ich habe mich oft gefragt, ob es wirklich nötig sei, ihnen unsere sogenannte Zivilisation zu bringen. Sie sind viel glücklicher, so, wie sie sind, genügsam, mit wenigem zufrieden, und wenn sie sich auch bekriegt haben, so haben sie dies auf eine männliche Art getan, ohne Giftgasbomben, Schrapnells und Flammenwerfer, wie wir das gerne tun, wir Europäer.

Ich denke oft zurück an die weiten Ebenen und an die hohen Nächte. Aber ich sehe auch die kleinen Cafés mit ihren Steinbänken längs der Wände, wo man süßen Tee und dicken Kaffee trank und dazu Küchli aß, die zäh waren wie Gummi und an den Zähnen kleben blieben. Ich rieche noch oft, im Traum, den Geruch des wilden Thymians, der in der Mittagssonne duftete, und ich sehe Gazellenrudel, ganz in der Ferne, vor den roten Bergen, vorüberhuschen. Und ich denke an den Winter und an seine kalten Nächte im Zelt, wo man unter sechs Decken, eng aneinandergepresst, noch fror, und an die Morgen, an denen man mit Pickeln das Eis des Flüsschens aufschlagen musste, um Wasser zu holen. Und den großen Kalkofen sehe ich, in dem wir die Kalksteine für den Posten brannten und vor dessen Feueröffnung wir am Abend saßen und sangen …

Ich möchte euch noch einmal wiederholen: Es ist nicht schön dort, oder vielmehr ist die Sache so, dass alles seine zwei Seiten hat. Ich habe vielleicht das Glück gehabt, eine nicht zu schauerliche Seite der Legion zu erleben, ich habe nicht fünf Jahre zu machen brauchen, weil ich dienstuntauglich wurde. Vielleicht hat das alles mitgewirkt, um meine Erinnerungen so zu gestalten, wie sie jetzt sind; dass ich die harten Märsche vergessen habe, den Hunger und den Durst und dass mir nur die Sehnsucht geblieben ist nach den großen Weiten, über die ich tagelang geritten bin …

Seppl

Als der alte Kainz, ein Wiener, der nicht mehr gut marschieren konnte, wegen Herzschwäche in die Küche versetzt wurde, hielt er mir eine kleine Rede. Er sagte, ich solle den Seppl gut behandeln, es sei kein Tier wie ein anderes, bockig sei er ja schon manchmal, wie alle Maulesel, aber das Bockigsein habe immer seinen Grund. Er tue es nie aus Bosheit, sagte der alte Kainz und zündete eine Pfeife an, sondern es sei immer ein Grund vorhanden, wenn der Seppl dumm tue, entweder sitze der Sattelgurt nicht gut, oder ein Büschel Haare habe sich unter der Satteldecke aufgestellt und drücke ihn, ich müsse eben dann nachschauen, mir Zeit lassen, und Kainz klopfte dem Seppl die grauen Flanken und den glatten Hinterschenkel … Der Seppl schnaufte.

Ich versprach, mich um den Seppl zu kümmern, und gab ihm ein Stück Brot; das war ein großes Opfer, denn in unserem Posten, Gourrama hieß er und war ganz im Süden von Marokko, war das Brot rar, zeitweise … Seppl nahm das Brot sehr gnädig und zart mit seinen Zähnen, die gelb und vorstehend waren wie bei einer alten Engländerin. Er schnaufte, schnupperte an meinem Ärmel, blies mir seinen warmen Atem in den Hals, dass es mich kitzelte, nieste dann geräuschvoll und klapperte mit seiner Kette.

Jetzt kenne er mich, und das In-den-Hals-Blasen sei ein Zeichen von Sympathie.

«Er mog di gern …», sagte der alte Kainz, und seine Stimme war nicht ganz fest. Darum schraubte er seine Pfeife auseinander und blies lange und anhaltend ins Mundstück. Es war verstopft, Tränen traten dem alten Kainz in die Augen, und das war wohl der Zweck des Manövers. Jetzt konnte er seine Tränen ohne Verlegenheit sehen lassen, sie kamen ja vom Pfeifenausblasen.

Am Morgen gab ich dem Seppl zwei Kilo Gerste, am Mittag eins, am Abend wieder zwei. Wenn wir im Posten waren, ritten wir um elf Uhr ohne Sattel zur Tränke. Die Tränke, das war ein kleiner Fluss, Oued nennt man sie dort unten, eingesäumt von Oleanderbäumen, die im Juni unwahrscheinlich rot blühten.

Er benahm sich sehr anständig, der Seppl, als ich ihn zum ersten Mal ohne Sattel ritt. Er war kleiner als die anderen Tiere der Kompagnie, seine Mutter war eine Eselin gewesen. Er hatte sehr lange Ohren, der Seppl, und mit ihnen konnte er allerlei Kunststücke ausführen. Er konnte Einhorn spielen, das linke Ohr eng an den Kopf gelegt, so dass man es gar nicht mehr sah, das andere stach vor wie ein Spieß, und dann wandte er sich etwa um, nickte mit seinem vornehmen Engländerinnenkopf und begann einen Galopp. Das Umsehen tat er nur aus Höflichkeit, damit ich nicht etwa hinunterfiele. So kamen wir an die Spitze der Kompagnie, der Adjutant, der das Tränken leitete, brüllte mich an, was ich da vorn zu suchen habe. Da stellte Seppl seine beiden Ohren auf, machte ein lammfrommes Gesicht, sah den Adjutanten von unten an, so, als wolle er sagen: «Verstehst du denn keinen Spaß?», und dann lachte der Seppl. Ich will einen Eid darauf schwöü–…«»ä