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Cover

Vorwort

Stellaris 21

Vorwort

»Reisen mit den Bonfyres« von Wim Vandemaan

Stellaris 22

Vorwort

»Die Elianer: Vergeltung« von Roman Schleifer (Trilogie – Teil 1)

Stellaris 23

Vorwort

»Die Elianer: Versuchung« von Roman Schleifer (Trilogie – Teil 2)

Stellaris 24

Vorwort

»Die Elianer: Entscheidung« von Roman Schleifer (Trilogie – Teil 3)

Stellaris 25

Vorwort

»Ein unbedeutender Mann« von Andreas Eschbach

Stellaris 26

Vorwort

»Liebe Gäste« von Michael G. Rosenberg

Stellaris 27

Vorwort

»Transportschaden« von Dieter Bohn

Stellaris 28

Vorwort

»Absolute Finsternis« von Wim Vandemaan

Stellaris 29

Vorwort

»Nelson im Dunkel des Drago-Nebels« von H. G. Ewers

Stellaris 30

Vorwort

»Gute Geschäfte« von Michael G. Rosenberg

Impressum

 

Das Raumschiff STELLARIS lädt ein zu einer besonderen Reise in das Perryversum

 

Die STELLARIS ist ein besonderes Raumschiff: Seit vielen Jahren reist sie durch das Universum der PERRY RHODAN-Serie, bemannt von einer wechselnden Besatzung, unter wechselnder Leitung und mit wechselnden Zielen. Die Abenteuer, die ihre Besatzung und Passagiere erleben, sind Thema zahlreicher Geschichten ...

Unterschiedliche Autoren verfassten die Kurzgeschichten rings um das Raumschiff STELLARIS. Sie werden seit Jahren regelmäßig im Mittelteil der PERRY RHODAN-Hefte veröffentlicht – hier präsentieren wir die Folgen 21 bis 30 in einer Sammlung.

Mit dabei sind Kurzgeschichten von Wim Vandemaan, Robert Schleifer, Andreas Eschbach, Michael G. Rosenberg, Dieter Bohn, und H. G. Ewers. Zu lesen gibt es humoristische Geschichten, Krimis und phantasievolle Reisen durch die unbekannten Gebiete der heimatlichen Milchstraße …

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Folge 21: »Reisen mit den Bonfyres« von Wim Vandemaan

 

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Titelillustration: Dominik Beyerler von der Alligator Farm,

Herausgeber des PERRY RHODAN-Comics

Willkommen an Bord der img2.jpg

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

die STELLARIS ist ein Frachter der Minerva-Klasse, einer von vielen Millionen Raumschiffen, die zwischen den Welten der Milchstraße verkehren.

Mit ihrem Rumpfdurchmesser von 200 Metern und einem Volumen von annähernd fünf Millionen Kubikmetern ist die STELLARIS eine Welt für sich. Sie befördert Passagiere ebenso wie Handelsgüter.

Der Zeitsprung der PERRY RHODAN-Serie ist auch an der STELLARIS nicht vorbeigegangen. Lewis Silberling, der Erste Kapitän, ist längst von Bord. Nach einigen anderen Kapitänen der Zwischenzeit kommandiert nun eine Frau das in die Jahre gekommene Schiff: Sourou Gashi.

Etwas mehr als 200 Besatzungsmitglieder bevölkern derzeit die STELLARIS, um in drei Schichten die Funktionalität des Schiffs jederzeit und unter allen Umständen zu gewährleisten. Denn wenn der Schiffsbetrieb meist auch Routine ist, weiß jeder Raumfahrer: Raumfahrt wird niemals ganz zur reinen Gewohnheit.

Dazu ist das Weltall ein zu wunderbarer Ort.

 

Viel Spaß mit der folgenden Story und …

 

… zu den Sternen!

Euer Hartmut Kasper

Folge 21

Reisen mit den Bonfyres

von Wim Vandemaan

 

»Hallo, hallo! Da bin ich«, sagte Sanji Bonfyre, als er sich zu seiner Gattin an den Tisch setzte. Groß, wuchtig, die weißen Haare kurz geschoren. Seine Frau hieß, wenn Sourou Gashi sicht recht entsann, Thossa.

Die Begeisterung ihres Mannes über das Wiedersehen quittierte sie mit grenzenlosem Desinteresse. Wie immer verkündete Bonfyre, was er zu sagen hatte, mit posaunenartiger Stentor-Stimme in der Messe des Schiffes.

Seit sie Bonfyre mit Thossa und ihren beiden Kindern in Medusa City auf Perseus an Bord genommen hatten, um ihnen eine Passage nach Phanariot zu verschaffen, erfreute sich das Mittagessen offenbar bei immer mehr Gästen wachsender Beliebtheit. Das Angebot des Küchenchefs schien dabei den meisten Gästen völlig gleichgültig zu sein. Allerdings bestanden sie darauf, für exakt dieselbe Uhrzeit zu reservieren wie Familie Bonfyre.

Sobald Sanji, Thossa und deren gemeinsame Kinder auftauchten – mal zusammen, mal in wechselnden Reihenfolgen nacheinander –, verstummten alle anderen Gespräche im Saal. Jedermann kaute und aß plötzlich mit Bedacht und schien auf irgendetwas Fernes zu lauschen.

»Wie gesagt: Da bin ich!«, dröhnte Sanji Bonfyre. »Und ich habe alles erledigt.«

»Wo bist du noch gewesen?«, fragte Thossa, ohne aufzusehen, ganz in ihr Magazin vertieft; die eine Hand rührte mit dem Löffel im Kaffee. Sie war eine auffällig schöne Frau mit dunklen Augen, schmucklos und ungeschminkt und von einem Alter, das Gashi nicht schätzen konnte: 30 Jahre? 50?

»In der Hyperfunkabteilung, da bin ich gewesen. Ich musste etwas erledigen.«

Thossa las und rührte.

»Ich musste was erledigen«, wiederholte Bonfyre. »Stell dir vor: Ich habe ein Beileidsholo und die entsprechende Sendezeit erworben.«

»Ein Beileidsholo? Für wen denn?«

»Für einen alten Nachbarn von uns in Medusa Wallstadt: Nono Zagphiro.«

»Kenne ich nicht.«

»Natürlich kennst du den. Unser Nachbar, als wir noch in dem Opal-Turm im Westen der Wallstadt gewohnt haben. Der Mann, der mit den Versteinerungen handelte, du weißt schon.«

»Ach«, sagte Thossa, Fleisch gewordenes Gelangweiltsein. »Der. Ja, den kenne ich. Der ist neuerdings tot?«

»Ja«, sagte Bonfyre, und dann, vertraulicher: »Willst du wissen, wie es passiert ist?«

Thossa schüttelte abwesend den Kopf. »Nur nicht.«

»Er ist nämlich gestorben«, verriet Bonfyre.

Thossa seufzte. »Das wäre eine logische Erklärung. Wie hast du davon erfahren?«

»Hab es im Datenstrom Algol gelesen. Todesanzeigen.«

»Seit wann liest du Todesanzeigen?«

»Nur, wenn jemand gestorben ist, den ich kenne«, verteidigte sich Bonfyre.

»Na dann«, sagte Thossa. Sie legte den Löffel ab, hob die Tasse und nippte mit regungslosem Gesicht. Dann wandte sie alle Aufmerksamkeit wieder ihrer Lektüre zu. Gashi bemerkte, dass es ein Magazin über Kampfroboter und Drohnen topsidischer Bauart war: nicht sehr smarte, aber sehr robuste Mechaniken. Bei jedem Umblättern entfalteten sich farbenprächtige und animierte Holografien der Maschinenwesen.

»Hier«, sagte Bonfyre. Er stellte einen etwas antiquierten Taschenholoprojektor auf den Tisch, tippte einen Kode ein und wies auf das Hologramm, das sich aufgebaut hatte: eine Todesanzeige. Drei kleine Porträts des Dahingeschiedenen: als junger Mann; in der Blüte seiner Jahre mit einem aufrechten Schnäuzer; im reifen Alter mit einem eingekniffenen Techno-Monokel vor dem linken Auge. Geburtsort, Lebensdaten, Traueranschrift in kupferfarbenen Lettern. Thossa sah kurz auf, las und sagte: »Das ist nicht Nono Zagphiro.«

»Er hat sich natürlich verändert. Menschen verändern sich.«

»Wie?«

»Sie werden alt. Er ist alt geworden.«

»Und er hat im hohen Alter noch seinen Geburtsort gewechselt, sein Geburtsdatum und seinen Namen? Respekt.« Ihre Stimme klang nach Eis und Glas, klar und kalt.

»Woher kennst du seinen Geburtsort und sein Geburtsdatum? Hast du mit ihm geschlafen?«

»Selten«, sagte Thossa und widmete sich wieder ihrer Lektüre. »Du kannst mir glauben, das war kein reines Vergnügen.«

»Immerhin ist er jetzt tot!«, triumphierte Bonfyre.

»Je nachdem, wer. In deinem Holo steht, dass ein gewisser Honor Zarphiro verstorben ist. Geboren auf Pamantul im Cel Batran-System. Honor Zarphiro, und nicht Nono Zagphiro.«

»Oh«, sagte Bonfyre. Er vergrößerte das Holo und betrachtete es ausgiebig. Gashi spürte, wie sich eine gewisse Spannung in der Messe aufbaute. Und auch sie war gespannt. Endlich seufzte Bonfyre leise. »In der Tat. Was für ein Mist.«

»Je nachdem, für wen«, bemerkte Thossa.

»Für mich natürlich. Ich geb 23 Galax für ein Beileidsholo via Hyperkom aus, und jetzt ist der gar nicht tot?«

»Quietschlebendig wird er sein.«

»Das ist ja eine – eine Dreistigkeit!«

»Was – dass der noch lebt, meinst du?«

»Genau.«

Gashi biss in ihre Serviette und bemühte sich, nicht laut hinauszulachen. Bifonia hielt die Hand vor den Mund und gab vor, einen Hustenanfall bändigen zu müssen. Erste Lachtränen kullerten ihr über die Wange. Auch von den Nachbartischen klangen merkwürdig gepresste, erstickte Laute.

»Vorsicht«, gluckste Gashi und flüsterte: »Sonst wirst du zur Beisetzung eingeladen.«

Bifonia versuchte zu sprechen; es misslang. Gashi verstand nur einige Worte: … wenn Beisetzung … totlachen … Massaker …

»Ich meine«, verkündete Bonfyre eben, »der war ja immer schon ganz schön dreist – aber das jetzt, also, das schlägt dem Fass den Pudel ins Gesäß!«

»Und du mochtest den doch auch nie, oder?«

»Nein, deswegen hab ich mich ja so gefreut – ich mein, deswegen hab ich ja so ein schönes Beileidsholo gekauft.«

»Für 23 Galax. Du erwähntest es angelegentlich bereits.«

»23 Galax. Und jetzt ist der gar nicht tot. – Frechheit, so was. – Was mach ich denn jetzt mit dem Holo?«

»Mit dem Holo für 23 Galax?«

»Genau. Kann man das jemand anderem schicken?«

»Schick sie doch dem Zarphiro, der wirklich gestorben ist.«

»Den kenn ich doch gar nicht. Wär doch absurd.«

»Aber der ist immerhin tot.«

Bonfyre überlegte. »Ja, schon. Find ich ja auch nett von ihm, aber – nein, für einen, den ich nicht kenn, 23 Galax – nein, nein.«

Thossa seufzte. »Na, dann gib die Sendezeit zurück und verwahr das Holo doch, bis dass der Zagphiro wirklich mal – ich mein …«

Der Vorschlag missfiel Bonfyre sichtlich: »Und so lange soll das Holo unversendet in meinem Speicher liegen und mich immer an diesen Kretin erinnern? Wer weiß, vielleicht ist der schweinegesund und macht noch ewig – wie soll ich das wissen?«

»Ja, wie sollst du das wissen?«, sinnierte Thossa. »Ich weiß. Funk ihn an, die Sendezeit hast du doch, und sag ihm: Du, ich hab da 'ne Karte für dich und wollte mal fragen … Und grüß ihn von mir.«

Bonfyre schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, so etwas mach ich nicht, nein, nein. – Unmöglich. – Aber – könntest du nicht …?«

»Ist doch dein Holo.«

Bonfyre wog den Kopf und wog ihn noch einmal, und es wurde ein langsames, bedächtiges Kopfschütteln daraus.

Thossa seufzte. »Dann lösch es.«

»Ein Holo für 23 Galax? Bin ich Whistler? Habe ich in der Medusischen Lotterie gewonnen?«

»Tja – wer weiß. Was meinst du denn?«

Bonfyre dachte nach. »Vielleicht – wenn ich die Sätze hier drauf mit dem Löschprogramm eliminiere und noch was Schönes draufmale was Persönliches –, könnten wir die dann als Urlaubspostkarte von der STELLARIS schicken, an irgendwen.«

»Zum Beispiel an den Zagphiro«, schlug Thossa vor.

»Zum Beispiel. Obwohl – der ist mir jetzt doch gar keine 23 Galax wert.«

»Jetzt, wo er wieder lebt.«

»Genau. So eine Dreistigkeit.« Er schaute kläglich vor sich hin und biss sich auf die Unterlippe. Thossa sah es, und die Muse des Mitleids musste sie ergriffen haben. Sie schloss ihr Magazin über Kampfroboter und Drohnen. »Schick ihm halt dieses Holo und ergänze so:«

»Warte«, sagte Bonfyre und aktivierte eine virtuelle Tastatur, die sich über den Tisch ausbreitete wie eine Lache Milch. »Ich schreib gleich mit!«

Thossa diktierte: »Sehr geehrter Nono Zagphiro, mit Entsetzen habe ich zur Kenntnis genommen, dass kürzlich ein falscher Zarphiro gestorben ist.«

Bonfyre nickte heftig. »Genau. Ein falscher Zarphiro, aber unter deinem Namen!«

»Beinahe unter deinem Namen, jedenfalls. Das von mir leichtsinnigerweise erworbene Beileidsholo beehre ich mich hiermit, dir … «

Bonfyre stutzte: »Wieso leichtsinnigerweise

»Dann schreib halt: Das von mir freudig, aber unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erworbene Holo …«

»… zu 23 Galax …«

»… sende ich dir hiermit und zu meiner Entlastung zu und bitte um gelegentliche Verwendung!«

Bonfyre schlug sich zufrieden auf den Schenkel. »Prima, so mach ich das. Soll ich noch schöne Grüße von dir mit draufschreiben?«

Thossa winkte ab. »Ach, lass mal, du bist ja der Leidtragende.«

Bonfyre schüttelte ergriffen den Kopf. »Eben. Traurig ist so was, sehr traurig.«

 

*

 

»Wer, um alles in der Welt, sind diese Bonfyres eigentlich?«, fragte Bifonia Glaud sie auf dem Weg zur Zentrale der STELLARIS. Sie hatten beide eine Weile gebraucht, um wieder zu Atem zu kommen. Wie bei jedem Mittagessen hatten Bonfyre und seine Gattin sämtliche anderen Gäste ignoriert und schließlich so getan, als würden sie das schallende Gelächter nicht hören, das sich gegen Ende von Bonfyres Vortrag Bahn gebrochen hatte.

Als wären wir alle bloße Hologramme. Als wären die Bonfyres allein im Kosmos.

»Ich weiß nicht, wer sie sind«, sagte Gashi. »Woher soll ich es auch wissen? Sie haben den Flug nicht vorab gebucht, sondern sind spontan zugestiegen. Wir hatten noch drei Kabinen frei, also warum nicht?«

»Ich mache dir ja keinen Vorwurf«, sagte Glaud. »Sollen wir mal ein bisschen nachforschen?«

Gashi hob mahnend die Augenbrauen. »Du willst nicht im Ernst unseren Passagieren hinterherspionieren?«

»Natürlich nicht«, sagte Glaud indigniert. »Nur ein bisschen.«

Das Schiff hatte eben eine Linearetappe beendet. Es tangierte mit einem Drittel Licht das Komor Fény-System und nahm dabei ein Dutzend Kybernetische Container auf, die ebenfalls nach Phanariot wollten – keine Leichtigkeit bei einer derart hohen Geschwindigkeit, aber die Autopiloten der Container waren immerwache Gehirne der neuesten Bauart und, wie ihr Bordrechner STELLATRICE versicherte, ebenso dienstbeflissen wie akribisch. Dennoch wartete Gashi ab, bis die Container eingeschleust und die Hangars wieder geschlossen waren.

Dann bat sie STELLATRICE, mal nachzuschauen.

»Über die Routineüberprüfung hinaus?«, fragte der Rechner.

»Ja«, sagte Gashi. STELLATRICE kontrollierte bei jedem Passagier die persönlichen Daten so weit wie nötig. Hätte STELLATRICE in Sachen Bonfyres etwas Verdächtiges gefunden, wäre darüber Gashi längst in Kenntnis gesetzt worden.

STELLATRICE machte sich auf die Suche.

Die Milchstraße war mit ihren etwa 400 Milliarden Sonnen ein ziemlich ausgedehntes Gelände. Alles in allem standen, großzügig gerechnet, etwa 100.000 Planeten in engerer Kooperation und im weitgehenden Datenaustausch miteinander – in erster Linie die Welten der Terraner, ihrer aschfarbenen arkonidischen Verwandten und der weit verzweigten Bruderschaften der Blues.

Von weiteren 300.000 bis 500.000 belebten Planeten wussten nur die Spezialisten – Exobiologen, Stellarkartografen, Geheimdienste und Militärs. Rundete man die bekannten und im ständigen wissenschaftlichen oder politischen Fokus stehenden Planeten großzügig auf 4 Millionen auf – um die Rechnung übersichtlicher zu machen –, erfreute sich etwa ein Hunderttausendstel Teil der Galaxis einer näheren Aufmerksamkeit der Terraner.

Der Rest – nun ja.

»Nichts«, sagte der Bordrechner nach beinahe einer Minute. »Ich habe in allen mir zugänglichen Archiven nachgeforscht. Über die Familie Bonfyre ist nichts bekannt.«

»Hm«, machte Gashi. »Was sagt uns das?«

Wenigstens in den Datenspeichern von Medusa City, auf die Sourou Gashi dank Walliams, des dort regierenden Sultans, außerordentlich umfassend zugreifen konnte, hätten sich Spuren der Familie finden müssen. Schließlich waren sie dort an Bord gegangen. Aber auch dort: Fehlanzeige.

»Das sagt uns«, sagte Glaud, »dass sie allem Anschein nach nicht existieren.«

»Eine etwas pointierte Hypothese«, befand STELLATRICE. »Immerhin konsumieren sie Sauerstoff, Wasser und Nahrungsmittel und scheiden in nennenswertem Umfang Stoffwechselendprodukte aus, zum Beispiel …«

»Wir müssen nicht ins Detail gehen«, kürzte Gashi die Beweisführung des Bordrechners ab. »Nehmen wir ihre Existenz als hinreichend bekundet an und überlegen, warum wir keine Information über die vier besitzen. Deine Vermutung, STELLATRICE?«

»Sie bedienen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Datenschleiers«, sagte der Bordrechner.

»Oh je«, meinte Glaud.

Gashi nickte. »Denkbar. Nicht eben billig.«

Ein professioneller Datenschleier war ein komplexes Programm, ein virtueller Skorpion, der sich durch die Speicher wühlte, gezielt nach bestimmten Daten suchte und sie löschte, ohne dabei selbst identifizierbare Spuren zu hinterlassen. Ein immer maßgeschneidertes Luxusprogramm.

Dabei machten die Bonfyres keinen übermäßig wohlhabenden Eindruck.

»Wir haben Phantome an Bord«, sagte Glaud.

»Phantome produzieren keine Exkremente«, widersprach STELLATRICE. »Wohingegen …«

»Wir hatten dieses Thema abgeschlossen«, erinnerte Gashi.

Einige Stunden später – die STELLARIS war vor einigen Minuten in den Linearraum eingetaucht – meldete sich der Bordrechner: »Es gibt Neuigkeiten in Sachen Bonfyres.«

»Gute oder schlechte?«

»Moralische Urteile stehen mir nicht zu«, sagte STELLATRICE. »Die Familie hat einen Tisch für das Supper reserviert. 20 Uhr Terra Standard.«

Gashi und Glaud sahen einander an, dann zur Uhr.

Noch gut zwei Stunden bis dahin.

Die Zeit verstrich.

»Ich geh dann mal«, sagte Gashi zu gegebener Zeit und stand auf. »Das Schiff gehört dir.«

»Ich will auch«, sagte Glaud. »He, du kannst mich nicht einfach hierlassen!«

»Doch«, sagte Gashi. »Kann ich. Ich bin die Kapitänin.«

»Ich protestiere nachdrücklich!«

»Viel Glück dabei«, wünschte Gashi und verließ die Zentrale.

 

*

 

Bonfyre und Thossa löffelten schweigsam aus einer tiefen Porzellantasse Mulligatawny-Suppe. Bis zu ihrem Tisch duftete es nach Curry und Muskat und nach einem Verdacht von Portwein.

»Bitte?«, fragte Thossa.

»Ich sagte«, sagte Bonfyre, so weithin vernehmlich, als wäre er Moses und hätte die Zehn Gebote vom Berge herab dem ganzen Volk Israel zu verkünden, »diese Pfeffersuppe ist ausgezeichnet.«

»Ah«, sagte Thossa. »Und ich habe gedacht, du hättest gefragt, wo die Kinder bleiben.«

»Habe ich nicht«, sagte Bonfyre. »Wo bleiben sie denn?«

Wie aufs Stichwort betrat der bonfyresche Nachwuchs die Messe: Alloree, ein Mädchen von zehn oder zwölf, und ihr vielleicht 17-jähriger Bruder Vangas. Der Junge trug eine gewaltige Keule über der Schulter, wie Gashi sie einmal in einer historischen Galerie als Allzweckwerkzeug von Lord Zwiebus gesehen hatte, des legendären Pseudo-Neandertalers. Aus der Art, wie Vangas die Keule trug und, während er sich setzte, von der Schulter neben seinen Stuhl schwang, erkannte Gashi, dass sie aus einem leichten, fast schwerelosen Kunststoff gefertigt sein musste, vielleicht eine bloße, luftgefüllte Form war.

Natürlich. Eine echte Waffe in die Messe zu nehmen, hätte STELLATRICE unterbunden.

»Und?«, fragte Bonfyre zwischen zwei Löffeln, »wart ihr brav, Nachkommen?«

Ein Servorobot glitt an den Tisch und reichte den beiden Kindern eine Karte.

Alloree nahm sie, überflog sie und sagte: »Ich möchte das Yalla-Ragout ohne Beilage, Sire, dazu einen heißen Kakao und finde, dass mein Bruder schwer erziehbar ist.«

Vangas griff mit einer beispiellos graziösen Bewegung nach der Keule, hob sie, schwang sie und haute sie Alloree auf den Kopf.

Plopp.

Gashi dachte: tatsächlich, hohl und aufgeblasen.

»Da!«, triumphierte Alloree. »Schwerst erziehbar!«

»Ich mache eben was aus meinem Leben!«, sagte Vangas entschuldigend zu dem Servorobot. »Ich nehme das Wildschwein-Carpaccio mit einer Vinaigrette und eine Waldmeisterbrause.«

»Schlüpfen alle Babys aus einem Ei?«, fragte Alloree.

Plopp.

Alloree lächelte entrückt und schien den Schlag nicht zu spüren. »Babys!«

Vangas sagte: »Woher die Babys auch in jedem Einzelfall schlüpfen: Sie sind gemein, und man muss sie erziehen mit viel Gewalt und Liebe. Damit sie nicht schwer erziehbar werden.«

Plopp.

Alloree seufzte: »Maman, darf ich nicht lieber ein Einzelkind sein?«

»Einzelkindsein ist eine Erbkrankheit«, sagte Vangas.

»Sagt wer?«, fragte Alloree schnippisch.

»Der hier«, sagte Vangas und schlug wieder zu.

Plopp.

»Maman«, sagte Alloree. »Was Vangas tut, ist nicht ergötzlich.«

»Ist es doch«, widersprach Vangas. »Ergötzlich, ergötzlich, ergötzlich.«

»Lass das«, verlangte Alloree. »Von solchen Wörtern kriege ich immer eine Gänsehaut.«

»Wer Gänse haut, der haut auch Menschen«, sagte Vangas und schlug wie zum Beweis noch einmal fest zu.

Plopp.

Der Servorobot kam und trug die Speisen auf.

»Das Wildschwein-Carpaccio für mich«, sagte Alloree.

»Und für mich das Yalla-Ragout«, sagte Vangas.

Während der Robot die Teller tauschte, haute Vangas erneut seine Schwester mit der Luftkeule.

Plopp.

»Da!«, rief Alloree und schaute den Robot anklagend an. »Haben Sie das gesehen, Sire? Er haut mich.«

»Tu ich nicht!«

Plopp.

»Da! Haben Sie das gesehen, Sire?«

Plopp.

»Du Petze! Ich habe deinetwegen Adipositas bekommen, und du beschwerst dich über einen Klaps unter Geschwistern?«

Endlich mischte sich Thossa ein. Mit flacher Hand gab sie beiden Kindern einen Klaps an den Hinterkopf. »Hier wird nicht gehauen!«

»Mein Bruder, mein Bruder!«, jammerte Alloree. »Machen Sie ihn mir nicht kaputt, Maman!«

»Du tollwütiges Suppengrün!«, rief Vangas und schwang die Keule. »Was Mutter Natur sich bei dir nur wieder gedacht hat.«

»Alloree«, mischte sich nun auch Vater Bonfyre ein. »Fahr deiner Mutter nicht so in die Parade.«

»Und zack!«, sagte Vangas – Plopp.

Thossa seufzte ergeben und sagte: »Man haut keine Mädchen.«

»Ich schon«, sagte Vangas.

Plopp.

 

*

 

»Ich habe von den Gewaltexzessen in der Messe gehört«, sagte Glaud.

»Ja«, sagte Gashi. »Es war zum Fürchten. Ein Gemetzel ohnegleichen.«

»Es heißt, die Kapitänin wäre nicht eingeschritten, obwohl Kinder betroffen waren.«

»Sie war zu schüchtern. Und die Kinder waren schwer erziehbar.« Sie schaute Glaud sorgenvoll an. »Glaubst du, diese Tatenlosigkeit wäre ein Grund zum Meutern? Wolltest du eventuell gegen mich meutern?«

»Ich hätte allen Grund, oder?«, sagte Glaud und gähnte ausgiebig. »Du hast das Schiff. Ich gehe schlafen. Noch drei Tage bis Phanariot.«

»Was ist eigentlich aus deinem Freund geworden, der zwischen Phanariot und Olymp gependelt ist, zum Stelldichein mit dir? Dieser – wie hieß er gleich …«

»Hat sich ausgependelt«, sagte Glaud.

»Tut mir leid.«

»Mir nicht.«

Das Schott glitt zu. Gashi lehnte sich im Pneumosessel zurück, reckte sich und gähnte ebenfalls. Sie und die Pilotin der Nachtschicht waren nun die einzigen Besatzungsmitglieder in der Zentrale. Das Schiff würde noch gut zwei Stunden im Linearraum verbringen. Zum nächsten Orientierungsmanöver würden auch die Funk- und Ortungsoffiziere in die Zentrale kommen. Bis dahin wäre sie mit Karyn allein.

Karyn van Ganswinkel war die Zweite Pilotin der STELLARIS, eine junge Frau von eben 30 Jahren. Schmal, sehr helle Haut, die roten Haare hochgebunden zu einem kunstvollen Turm. Sie schaute mit der Konzentration der Novizen in den Holoschirm, wo eine schematische Darstellung der Position des Schiffes zu sehen war; die umgebenden Sterne schienen überproportional vergrößert. Purpurrot leuchtete ihr Zielstern, Phanar, die Sonne von Phanariot.

»Soll ich das Licht dämmen?«, bot STELLATRICE an.

»Damit ich einschlafe und du freie Hand hast? Nur nicht.«

Karyn lachte leise. »Sie will uns entführen.«

»Falls eine von euch beiden einschläft, wecke ich sie«, sagte die Positronik.

»Du bist humorlos«, klagte Gashi.

»Ich bin nur eine Maschine, die Gedankengänge generiert und äußert«, sagte STELLATRICE. »Aber falls du meine Humorlosigkeit als Mangel empfindest: Es soll da dieses Humor-Update für die Baureihe geben, der ich angehöre«, deutete das Bordhirn an.

»Lass gut sein, altes Mädchen«, sagte Gashi. Altes Mädchen – natürlich waren weder das Bordhirn noch das Schiff fabrikneu. Aber da Positroniken nicht lebten, hatten sie auch keine eigentliche Lebenserwartung, anhand derer man hätte ablesen können, ob sie jung oder alt waren.

Sie waren weder jung noch alt. Sie waren in gewissem Sinn zeitlos. Andererseits alterte das Schiff. Manchmal meinte Gashi, ihm die Jahre, wenn schon nicht ansehen, so doch sie erreichen zu können – ein schwer fassbares Aroma wachsender Reife.

Zwar gab es olfaktorische Mittel und Wege, solche Duftstoffe, wie sie von den Maschinen und ihren Verkleidungen, vom Boden- und Wandbelag ausgedünstet wurden, zu bändigen und sie durch solche zu ersetzen, die das Schiff unberührt hätten duften lassen.

Aber Gashi wollte das nicht.

Es war kurz nach Mitternacht. Sie schaute Karyn fragend an; die Pilotin nickte zustimmend. »Dämpfen wir das Licht ein wenig«, sagte Gashi.

Ein mildes, fast honigfarbenes Licht breitete sich aus, besänftigte Gashis leicht brennende Augen. Das Orientierungsholo vor der Pilotin leuchtete stärker hervor. Gashi staunte über die Schönheit der Darstellung.

Es war die Zeit, in der man, wenn man sich wach halten musste, viel fast Vergessenes in Erinnerung rief, heimlich an den eigenen Gewinn- und Verlustlisten schrieb, wobei das Saldo zwischen Soll und Haben selten zu ihren, Gashis, Gunsten ausfiel, wie sie fand.

Oder?

Hätte sie ein anderes Leben vorgezogen? Hatten ihr andere Möglichkeiten offengestanden?

Natürlich hätten ihr andere Möglichkeiten offengestanden. Die terranische Zivilisation war groß darin, Gaben zu entdecken und zu fördern. Gashi versuchte, sich ein paar dieser anderen, nicht oder noch nicht gelebten Leben auszumalen, aber die Bilder blieben blass und fahrig. Vielleicht war sie einfach zu normal. Eine normale Frau auf einem normalen Schiff auf einer normalen Fahrt.

Die sich manchmal, in der Nähe zu Walliams, ein wenig Aufregung borgte.

Aber taten das nicht alle Normalen?

Und die Bonfyres? Sie lachte.

Karyn schaute sich zu ihr um.

»Ich habe an die Bonfyres gedacht«, sagte sie und fragte die Pilotin: »Was hältst du von ihnen?«

»Ich hab nur einmal das Vergnügen gehabt, mit ihnen zu speisen«, sagte Karyn. »Wir haben alle gelacht, sogar viel gelacht, ich weiß aber kaum noch, worüber.« Sie dachte nach. »Es war irgendein großes Durcheinander wie in einem Traum. Es ging, glaube ich, um Magnetbahnen. Ob Rhodan oder Bostich mit einer Schnellbahn zur Arbeit fahren und dass Bonfyre einmal einen Mann auf einem Magnetbahnhof gefragt hat, was er da tue, und der Mann habe geantwortet: Er warte auf die Bahn. Und darauf habe sich er, Bonfyre, nur ausschütten können vor Lachen und lauthals gerufen: Wahnsinn. Auf welche Ideen die Menschen in ihrem Hochmut verfallen. – Wie gesagt: völlig konfus. Wie in einem Traum.«

»So?«

»Vielleicht«, überlegte Karyn, »sind diese vier Bonfyres ja tatsächlich nur Traumprojektionen. Wir haben irgendeine Maschine an Bord, einen Trauminjektor. Wir sind sein erstes Opfer. Von hier aus erobert er die Galaxis.«

»Nein«, sagte Gashi. »So viel Glück haben wir nicht. Wir befördern nur einige brave Passagiere und einen Haufen autonomer Container nach Phanariot.«

Sie schwiegen eine Weile.

»Ob sie schlafen?«, fragte Gashi mehr sich als van Ganswinkel.

»Wer?«

»Die Bonfyres. STELLATRICE?«

»Du willst doch nicht deine Passagiere ausspionieren?«, fragte die Pilotin.

»Nur ein bisschen.«

 

*

 

Da die Suite der Familie Bonfyre keine Überwachungsoptiken besaß, musste STELLATRICE eine Drohne schicken. Die Drohne – ein Gerät mit hochempfindlichen Sensoren – postierte sich vor die Tür zur Zimmerflucht und lauschte.

Leider weitgehend erfolglos.

STELLATRICE sagte: »Unsere Passagiere müssen eine Art sensorisches Dämpfungsfeld errichtet haben.«

»Welcher Art?«

»Unbekannter Art. Jedenfalls arbeitet das Feld ohne nennenswerten energetischen Aufwand.«

»Entnimmt diese Struktur vielleicht dem Schiff Energie? Oder richtet es sonst einen Schaden an?«

»Nein«, sagte STELLATRICE. »Wahrscheinlich handelt es sich um ein hochwertiges Technoseparee«.

Gashi ergänzte in Gedanken: Ein Technoseparee, wie es vor einigen Jahren bei der Dorfjugend von Terrania City und andernorts in Mode gekommen war, um sich einerseits in der Öffentlichkeit, andererseits völlig ungestört zu vergnügen.

Karyn van Ganswinkel krauste die Stirn. »Aber wozu sollten sie innerhalb ihrer Suite so ein Separee errichten? Fürchten sie denn, bespitzelt zu werden?«

»Eine offenbar völlig unbegründete Sorge«, kommentierte STELLATRICE.

»Es ist also nichts zu hören, gar nichts?«

»Ich habe aus den Aufzeichnungen meiner Drohne etwas wie eine vage Geräuschkulisse rekonstruiert. Soll ich es euch vorspielen?«

Es klang wie ein sehr entfernter Jammer, ein leises, aber eindringliches Klagen, mehrstimmig vielleicht, mehrstimmig sogar ganz gewiss, aber alles, was man von diesen Stimmen sagen konnte, war: Sie waren nicht menschlich.

Und sie entsprachen, grundlose Klage, die sie waren, so gar nicht dem clownesken Auftreten der Familie in der Messe.

»Was ist das?«, fragte Karyn leise.

»Die Geräuschkulisse«, sagte das Bordhirn.

Alte, merkwürdige Geschichten kamen Gashi in den Sinn. Sternfahrerlegenden, wie man sie seit Anbeginn der überlichtschnellen Raumfahrt in den Schänken der Raumhäfen hören konnte, immer gleich und immer leicht verwandelt, die astronautischen Märchen von Sternendjinns und Hyperraumsirenen, die in ihren Festungen aus schwarzer Materie hockten und die Raumfahrer ins Verderben sangen.

Gashi lachte auf. Bei genauerer Betrachtung besaß Sanji Bonfyre wenig von einer Sternensirene.

Thossa vielleicht?

Aber blätterten Sternensirenen tatsächlich so gerne in Bestellkatalogen für Kampfroboter topsidischer Bauart?

»Wer sind diese Bonfyres wirklich?«, fragte sich Gashi wieder.

»Vielleicht«, sagte Karyn und überlegte. »Vielleicht sind sie gar keine Menschen. Vielleicht sind sie Gestaltwandler. Die Letzten ihrer Art. Gestaltwandler auf der Flucht. Flüchtlinge, die sich im Offenbaren verbergen.«

»Und ihre Spuren von einem Datenskorpion löschen lassen«, ergänzte Gashi. Sie dachte nach. Was, wenn die Bonfyres überhaupt nur falsche Spuren gelegt hatten? An der Geschichte von Thossas Liebhaber, der sich zu seinen Ahnen versammelt hatte – oder auch nicht –, war doch wohl kein wahres Wort.

Oder?

»STELLATRICE – wir wecken Vitus.«

Sekunden später sah Gashi den korpulenten Funkoffizier des Schiffes im Holo. Vitus Kastelan lag mehr, als dass er saß, auf einem Mittelding zwischen Pneumosessel und Couch. Er war sichtbar in nichts als einen Chalat gehüllt, einen weiten, flauschigen Morgenmantel. Auf seinem Bauch balancierte er einen Teller, auf dem Teller ein Stück Kuchen, auf dem Kuchen eine Sahnepyramide, die er soeben mit einem Löffel abzutragen begonnen hatte.

»Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt«, sagte Gashi.

»Die Hoffnung stirbt zuletzt«, erwiderte Kastelan verständnisinnig. »Womit kann ich dir eine Freude bereiten?«

»Ich habe kürzlich einen Passagier in der Mensa davon erzählen hören, wie er bei dir eine Sendezeit für ein Beileidsholo gebucht haben will.«

Kastelan hob die dichten schwarzen Augenbrauen, die einer Gewitterfront gleich über seinem blassen Gesicht standen. »Sanji Bonfyre«, sagte er. »Das ist richtig.«

»Wie hatte er davon erfahren?«

»Er hat kurz nach seinem Einchecken ein Abonnement für den Datenstrom Algol gebucht. Das ist ein Programmkomplex, der …«

Gashi winkte ab. Sie kannte den Datenstrom Algol bestens. Er war im Besitz des Sultanats, arbeitete aber frei von jeder politischen oder religiösen Bevormundung. »Danke!«, sagte sie und nickte Kastelan zu. »Gute Nacht.«

»Immer eine Freude, dir zu helfen«, sagte Gus. Der Funkoffizier verwandelte sich, wurde durchscheinend. Es wirkte ein wenig, als würde sich Gus vergeistigen, verwehen, in ES aufgehen. Dann war das Holo erloschen. Gashi seufzte. Wie hatte Gus sich diesen Spezialeffekt nur wieder beschafft?

Bonfyre hatte also tatsächlich eine Todesannonce gelesen und Sendezeit gebucht. Aber was hieß das schon? Konnte er nicht selbst auf Perseus diese Anzeige aufgegeben haben?

Aber warum hätte er das tun sollen? Um eine Affäre seiner Frau aufzudecken?

Das vermeintliche Dahinscheiden ihrer Liebschaft hatte Thossa wenig erschüttert. Auch die spätere Nachricht, dass dieser stille Teilhaber an ihrem Leben von den Beileidsbekundungen ihres Mannes unbeschadet im Diesseits weilte, hatte Thossa sehr gefasst aufgenommen.

Gashi grübelte über ein denkbares Motiv für diese Inszenierung nach, kam aber zu keinem Ergebnis: nichts. Alles verlief sich ins Nichts. Nichts blieb als das Gelächter über die Bonfyres, das nachhallte in den Korridoren der STELLARIS.

 

*

 

Am letzten Abend, kurz vor der Landung auf Phanariot, luden die Bonfyres alle Besatzungsmitglieder und die Passagiere ein, ihre Gäste in der Messe zu sein. Die Einladungskarten waren aus antikem Papier, handbeschrieben. Bonfyre rief Gashi an und bat: Die Küche möge sich nach jedermanns Leibspeise erkundigen; Kosten würden nicht gescheut.

Sourou Gashi und Bifonia Glaud waren die Letzten in der Zentrale. »Ich geh dann mal«, sagte Gashi zu gegebener Zeit und stand auf. »Das Schiff gehört dir.«

»Es gibt meine Leibspeise«, begehrte Glaud auf.

»Wie kann man so egoistisch sein«, wies Gashi sie zurecht.

Der Speisesaal war übervoll. Mehr Tische als je zuvor, mehr Stühle. Inmitten des Raumes erhob sich ein Podest. Die vier Bonfyres thronten dort auf Stühlen, festlich gekleidet. Sie hielten Streichinstrumente in den Händen, begrüßten ihre Gäste knapp und begannen zu spielen.

Ihr Spiel war herzzerreißend schön. Sie spielten Streichquartette von Schubert, Salamon & Tesh und Fhanva da Bhrysul. Die melodischen Bögen verbanden sich zu einer akustischen Architektur von unerhörter Schönheit. Gashi spürte, wie ihre Augen feucht wurden und wie sich, als sie die Lider schloss, Tränen lösten und andächtig die Wangen herniederglitten. Sie betätigte ihr Kom und flüsterte so leise wie möglich: »Bifonia? Komm in den Speisesaal. Sofort. Überlass das Schiff STELLATRICE.«

Kurz nachdem Glaud in der Messe eingetroffen war, wechselten die Bonfyres ihre Instrumente. Sie griffen zu Gitarre, Banjo, Saxophon und Fagott und gaben Indrani Novodins Miniatur-Oper Sternwärts & Pogurello. Vangas spielte das Saxophon, Alloree Klarinette. Die Stimmen der Eltern klingende Kristalle. Gashi, die ihre Augen immer noch geschlossen hielt, glaubte förmlich die Sternenbrücke der Uralten zu sehen, die Verwegenen Korridore nach M 87, schließlich Pogurellos Landung im Gegenstern. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Novodins Musik je reiner, je halluzinatorischer geklungen hatte als hier.

Am Ende des Konzertes brach der Saal in einen Beifall aus, wie ihn Gashi noch nie gehört hatte. Endloser Jubel, klatschende Hände, trampelnde Füße.

Die Bonfyres standen da, verneigten sich bescheiden und verließen wortlos den Raum.

»Was war denn das?«, fragte Glaud völlig atemlos. Einige Tränen kullerten auch ihr noch über die Wangen.

»Musik«, sagte Gashi.

Bifonia Glaud sagte: »Ich meinte: Wer sind diese Bonfyres?«

Gashi hatte keinen Zweifel, dass dieses Ensemble in der ganzen Milchstraße berühmt sein könnte. Die Bonfyres wollten es anders. Sie machten alle Welt neugierig auf ihre Darbietungen und ließen gleich darauf einen Datenschleier über ihre Auftritte fallen. Warum? »Wer sie sind? Ich glaube«, sagte Gashi und dachte eine Weile nach, dann sagte sie: »Ich glaube, sie sind einfach Reisende.«

 

ENDE

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Folge 22: »Die Elianer: Vergeltung« von Roman Schleifer (Trilogie – Teil 1)

 

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Titelillustration: Frank Freund von der Alligator Farm,

Herausgeber des PERRY RHODAN-Comics

Willkommen an Bord der img2.jpg