Gegen Sand, Sonne und sich selbst

11.000 Kilometer mit dem Mountainbike durch Afrika

 

von Michael Schmitz

 

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Bilder und Text Copyright © 2012 Michael Schmitz

Alle Rechte vorbehalten

www.radtouren4u.de

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Für meine Eltern

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Ich danke Martina Lenk, Thomas Wallig und Rüdiger Darsow für die Anregungen und Tipps.

 

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Inhaltsverzeichnis

 


KENIA

Auf nach Afrika

Da sitzen wir nun: Nach 1 1/2 Jahren Planung und vielen Vorbereitungen schlürfen wir unser erstes kenianisches Bier noch direkt auf dem Flughafen von Nairobi. Man muss eben Prioritäten setzen. Statt wie andere Touristen von im Voraus gebuchten Tourguides abgeholt zu werden, verbringen wir nach mehrfachen Genusses der Hefekaltschorle die erste Nacht auf afrikanischem Boden unter der Treppe eines Flughafengebäudes. Bei Dunkelheit ist es zu gefährlich, mit dem Bike nach Nairobi hereinzufahren.

Als wir am nächsten Morgen von drei reinigenden und schwatzenden Frauen geweckt werden, reiben wir uns ordentlich die Augen: Ja, wir sind offensichtlich wirklich in Afrika, kaum zu glauben. Flugzeuge sind schon eine eigenartige Einrichtung. Nicht nur, dass sie Tonnen schwer sind und trotzdem fliegen können, nein, sie bringen Menschen auch noch in kurzer Zeit von einem hochentwickelten Industrieland in ein armes Entwicklungsland. Früher, als es diese Stahlvögel noch nicht gab, war zumindest eine lange Schiffs- oder Landreise erforderlich, währenddessen man sich auf die zu erwartende Situation einstellen konnte. Heute schlägt man wenige Stunden nach Verlassen des heimischen Flughafens die Augen auf und guckt drei erstaunt grinsenden schwarzen Frauen ins Gesicht, die einem ein freundliches „Good morning“ entgegenschmettern.

Dazu empfängt uns das typische Dritte-Welt-Großstadt-Chaos. Automassen bewegen sich unkoordiniert auf vollgestopften Straßen und Fußgänger springen dazwischen herum, immer mit Todespanik im Gesicht. An Radfahrer hat hier nie jemand gedacht. Also müssen wir uns zwischen Autos und Fußgängern einen Weg bahnen. Wir steuern ein kleines Hotel an, das in unserem Reiseführer ganz oben auf der alphabetischen Liste steht - andere Entscheidungskriterien haben wir nicht. Das „Hotelzimmer“ besteht aus zwei quietschenden Betten und unglaublich durchgelegenen Matratzen. Dafür kostet es auch nur 2,50 € - für beide versteht sich. Es beruhigt ungemein, erst einmal die eigenen vier Wände als Sicherheit im Rücken zu spüren.

Der Hunger treibt uns aus unserem netten Hotelzimmer in die hektischen Straßen Nairobis. An einer Straßenecke entscheiden wir uns für das besonders exotische Gericht „Fish and Chips“. Dabei können wir nichts verkehrt machen. Denken wir. Das Öl hat aber doch wohl einen deutlichen Anranzer verdient - im wahrsten Sinne des Wortes. Wenige Stunden später müssen wir das Plumpsklo des Bujumbura-Hotels intensiv nutzen...

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Eineinhalb Jahre ist es her, dass am Kneipentisch die Idee entstand, eine Radtour durch einen Großteil Afrikas zu machen. Thomas und ich hatten schon vorher zusammen eine Tour zu den Grizzlybären in Alaska unternommen und wollten nun mit Löwen und Elefanten Bekanntschaft schließen. Bevor wir mit aller Kraft nach dem Studium und ersten, kurzen und harten Arbeitserfahrungen in das „normale“ Arbeitsleben einsteigen, müssen wir mal so richtig raus aus dem deutschen Alltag und Exotisches und Abenteuerliches erleben. Lange haben wir überlegt, in welchen Teil der Erde es gehen soll. Nachdem sich Afrika herauskristallisierte, bedurfte es noch viel Zeit, um Länder und Strecke auszuwählen. In der Presse ist viel von blutigen Zusammenstößen und ethnischen Konflikten in Afrika zu lesen, die es nicht vermuten lassen, dass es überhaupt möglich ist, dort eine Radtour zu machen. Nach dem Durchsehen von Reiseführern und den wenigen Büchern, die über Radtouren in Afrika geschrieben wurden, stand unsere grobe Route fest: Nairobi - Kapstadt - Windhoek.

Irgendwie passten dann auch die Kilometerschätzungen, die wir Pi mal Daumen an einer Weltkarte vornahmen, mit der geplanten Reisezeit von einem halben Jahr zusammen. Glück muss man haben - oder einen passenden Daumen. Und da sind wir nun mitten in Nairobi und haben den ersten Durchfall.

 

Beim Bummeln durch die Straßen der kenianischen Hauptstadt werden wir dauernd von freundlichen Schwarzen angesprochen. Jeder will uns eine Safari in einen der wunderschönen Nationalparks Kenias verkaufen. Unserer grellen weißen Körperfarbe haben wir es zu verdanken, dass uns jeder sofort als Neuankömmling erkennt. Zwischen dem Kauf eines Moskitonetzes und einem erneuten Versuch, gut verdauliches Essen aufzutreiben, entscheiden wir uns, für einen Tag den Nairobi Nationalpark zu besuchen, der nur wenige Kilometer außerhalb der Stadtgrenze beginnt. Der Kurzausflug kostet 40 US $ pro Nase. Dafür holt uns am nächsten Morgen ein Fahrer mit Jeep vor dem Hotel ab. Vermutlich hätte man den Trip auch irgendwo für 30 US $ einhandeln können, aber an das ausdauernde Verhandeln mit verschiedenen Anbietern müssen wir uns erst noch gewöhnen.

Kurz hinter dem Eingang des Parks sehen wir schon ein Rudel Löwen, das sich über die Reste eines Zebras hermacht. Unglaublich. Da haben wir die heimatliche Wohnstube mit den Tierfilmen gerade erst zwei Tage hinter uns gelassen, schon spüren wir fast den Atem des Löwen im Gesicht. Aber damit nicht genug: Wenig später laufen uns Giraffen, verschiedene Antilopenarten und Emus über den Weg, als wäre es das Normalste der Welt. Um dem unwirklich Wirklichen noch das i-Tüpfelchen aufzusetzen, ist am Horizont Nairobi zu sehen! Im Vordergrund Löwen, im Hintergrund eine der größten Städte Afrikas - da freut sich das Fotografenherz.

 

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Die ersten fünf Wochen unserer Tour

Um nach dem ersten, schönen Eindruck von Afrika neueste Infos über unsere geplante Route zu erfahren, verbringen wir einen Tag mit dem Abklappern der angesagtesten Low-Budget-Traveller Unterkünften. Hier hausen sie, die ewig Reisenden. Interessante Leute, die Monate in einer einzigen - natürlich billigen - Stadt verbringen können, ohne sich zu langweilen. Nächte mit billigem Fusel und dem richtigen Kraut in der selbstgedrehten Zigarette bestimmen die Wochen. Nebenbei wird die Sprache des Gastlandes erlernt und sich richtig mit der Kultur und den Gebräuchen des Landes vertraut gemacht. Am Körper kleben noch Stoffreste vom letzten Indienurlaub - „war mal wieder drei Monate in X, war sehr aufregend und hat viele neue Erkenntnisse fürs Leben gebracht“ - und Sandalen runden das Bild ab. Kein Afrikaner würde so herumlaufen, wenn er es irgendwie vermeiden kann. Die legen nämlich viel Wert auf ihr Äußeres.

 

Wir, sportlich gekleidet, ohne Probleme Stufen hoch laufend und immer irgendetwas planend, sind von den Langzeitreisenden meist komisch angesehen: „Radfahrer! Das sind die Typen, die manchmal mehr als 100 km am Tag fahren und dabei auch noch Spaß haben. Das schaffe ich nicht mal mit dem Bus, ist viel zu anstrengend!“ Trotzdem bekommen wir bereitwillig Auskünfte über alle Teile Afrikas; in welcher Ecke gerade mehr Blei als Sauerstoff in der Luft schwebt, welche Absteige besonders billig und trotzdem gut ist und natürlich, dass es das beste Dope in Malawi gibt.

Von besonderer Bedeutung sind für uns die aktuellen Krisengebiete. Informationen, die trotz langer Suche nie in Europa zu bekommen sind, weil sich die Umstände in Afrika eben von heute auf morgen ändern können. So müssen wir zu unserer Überraschung feststellen, dass der Norden Kenias nicht mit dem Rad zu befahren ist. Selbst Busse fahren nur mit Militärbegleitung, weil somalische Banditen dort ihr Unwesen treiben. Das wirft unsere Planung komplett über den Haufen, weil wir genau durch dieses Gebiet zur Trauminsel Lamu fahren wollten. Aber Veränderungen dieser Art waren zu vermuten und werden uns noch oft nötigen, die Route zu ändern.

Die „New Kenia Lodge“, DER Treffpunkt der Szene schlechthin, gibt einen weiteren, zugegeben etwas lästerlichen Einblick in die Traveller-Szene Afrikas. Sie ist für Nairobi an aller erster Stelle in der Reisebibel, dem „Lonely Planet Guide“, als Unterkunft genannt. Hier kommt jeder mal irgendwann hin, wenn er in Afrika ist. Die Betten sind teurer als woanders (sobald eine Unterkunft im „Lonely Planet“ steht, werden die Preise erhöht) und fast immer ausgebucht. Die Nächte sind laut. Keiner nimmt Rücksicht auf den anderen, obwohl alle „ganz relaxed und locker“ sind. Und es riecht in jeder Ecke nach Sprit oder Shit. Trotzdem - die besten Infos, die coolsten Traveller und die - 'tschuldigung- abgefucktesten Typen lohnen einen Besuch.


 

Ausflug in die Massai Mara

In der „New Kenia Lodge“ buchen wir eine dreitägige Safari in die Massai Mara, dem nördlichen Ausläufer der Serengeti. Eigentlich wollten wir mit dem Rad dort hinfahren, aber davon wird uns dringend abgeraten. Radfahrer dürfen aufgrund der hohen Raubtierpopulation ohnehin nicht in den Park, und in der Lodge bekommen wir den Kurztrip für 50 US $ pro Tag. Das einzige, was uns daran nicht gefällt, ist die Tatsache, dass sich der Start der eigentlichen Radtour damit nach hinten verschiebt. Und es juckt uns in den Fingern, endlich in die ländlichen Gebiete, in das alltägliche Afrika aufzubrechen. Sonst werden wir am Ende noch von einem Löwen verspeist, bevor wir auch nur einen Meter Asphalt unter die Räder genommen haben! Doch das Risiko müssen wir eingehen, um die Massai Mara kennenzulernen. Sie soll schließlich das ganz große Highlight Kenias, wenn nicht Afrikas, sein.

 

Mit neun Leuten, einem Engländer, einem Aussie und dem Rest Amerikanern geht es los. Aber nicht um 7 Uhr wie besprochen, sondern so gegen Mittag. „Pole, pole“, immer langsam. Worte, die wir uns merken sollten. Dafür beginnt die Safari bereits am Stadtausgang: Die Straße ist unglaublich schlecht. Wir werden durchgeschüttelt, stoßen mit dem Kopf immer wieder an das Autodach - und haben trotzdem Spaß dabei. Gemeinsam ertragenes Leid fördert die Kommunikation und bildet ein Gruppengefüge. Wie schön. Den größten Witz reißt Ken, unser Fahrer: Nach einer Fahrt, bei der wir schon mehrmals dem Tod ins Auge geschaut hatten, sagte er: „The road is getting rough.“ Wir trauen Ohren und Augen nicht, aber er hat recht. Mit Vollgas geht's durch riesige, tiefe Schlaglöcher und nur manchmal verirrt sich ein Stück Asphalt auf die Wüstenpiste. Ken braucht nur zu fragen „all sit?“ und schon krallt sich die ganze Mannschaft an den Sitzkissen fest. Dabei fliegen wir an Massaidörfern, Bretterbuden, und Autowracks vorbei - der Unterschied zwischen der modernen Großstadt Nairobi und dem Umland ist unglaublich.

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Obwohl es keiner richtig erwartet hat, kommen wir lebend und ohne nennenswerte Verletzungen bis zur Massai Mara. Diese grandiose Landschaft, die mit Akazien, unendlich weiter Steppe und mit ihren unglaublichen Massen an Tieren für sich wirbt, sollte sich keiner entgehen lassen. Das Problem dabei liegt auf der Hand: Es sind viele Touristen unterwegs - so viele, dass man fast immer irgendwo ein anderes Auto sieht. Manchmal stehen 10 Minibusse zusammen, wenn es etwas Besonderes zu sehen gibt. Das Touristenaufkommen ist so groß, dass die Raubtiere schon ihre Jagdzeiten umgestellt haben. Statt wie früher in den Morgen- und Abendstunden auf Jagd zu gehen, machen sie es jetzt mittags. Dann nämlich, wenn die Touristen ihre Jagd auf das kalte Buffet der Reiseveranstalter gestartet haben!

Wir erleben Afrika wie im Bilderbuch und machen unendlich viele Fotos von Tieren. Wenn der Löwe sein Maul aufreißt, die Zebras schmusen, die Gnus völlig albern in der Gegend herumspringen oder die Büffel miteinander kämpfen. Besonderen Spaß macht es, wenn man bestimmte Exemplare der Gattung Homo Sapiens vor die Linse nimmt und dicke Kameras vor noch dickeren Bäuchen fotografiert. Oder die Typen, die teuerste Safarikleidung und unmögliche Schlapphüte miteinander kombinieren. Köstlich.

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Der Löwin aufs Maul geschaut

Abends sitzen wir nur wenige Meter von der Parkgrenze entfernt mit Massaikriegern am Lagerfeuer. Wir haben unsere Zelte in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem ihrer durch Dornenhecken geschützten Dörfer aufgeschlagen. Gegen ein geringes Entgelt versorgen sie uns mit Wasser und halten nachts Wache: Löwen und anderes Getier machen an den Parkgrenzen nicht halt! In ihren roten Gewändern und stolzen Körperhaltungen wirken die Krieger beruhigend auf uns. Dennoch: Der Schrei einer Hyäne in nächster Nähe lässt uns kurz eine Gänsehaut über den Rücken laufen.

 

Natürlich grassieren in der Massai Mara die wildesten Geschichten über mordende Löwen und andere Bestien. Ein realer Einstieg in dieses Thema darf da nicht fehlen. Während einer Bachdurchquerung - wofür unser Toyota-Bus mit Sicherheit nicht gedacht ist - bleibt der Wagen stecken und sinkt bis zu den Achsen ein. Wir steigen alle aus, obwohl das im Nationalpark strengstens verboten ist, aber irgendwie müssen wir uns aus dieser Situation befreien. Wenig später taucht hinter uns ein anderes Fahrzeug auf, dessen Insassen ihre Schadenfreude nicht unterdrücken können: „Hey passt auf, nur wenige Meter von Euch entfernt lauert ein Rudel Löwen auf euch!“ - „Netter Scherz“, denken wir bei uns, trotzdem werfe ich einen verstohlenen Blick durch mein Fernglas. Ich traue meinen Augen nicht! Da liegen vier Löwinnen und einige Junge auf einem kleinen Hügel. Na Klasse. Allerdings lauern sie nicht auf uns, sondern langweilen sich offensichtlich in der Sonne. Ich wende keinen Blick mehr von ihnen ab, bis der Bus aus dem Schlamm gezogen ist. Kurz darauf fahren wir an das Rudel heran und genießen das Familienleben der Löwen. Als eine Löwin ca. vier Meter neben uns ihr Maul weit aufreißt, wird es mir aber doch mulmig.

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Nach drei Tagen Tiere von morgens bis abends und vielen neuen Eindrücken kehren wir nach Nairobi zurück. Dabei bleibt unser Minibus mit einem Motorschaden 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegen. Dampfschwaden steigen aus der Motorhaube und das dauernde Nachfüllen von Wasser hilft auch nicht mehr. Die letzten 40 Kilometer müssen wir mit dem Taxi zurücklegen, der Bus muss repariert werden.


Endlich biken!

Gleich am nächsten Morgen starten wir endlich unsere Radtour, zusammen mit Anni, einer Amerikanerin. Sie hängt schon eine ganze Weile in Nairobi herum und braucht den richtigen Einstieg für ihre Radtour. Sie fährt schon seit Jahren durch verschiedene Kontinente, nur von kurzen „Arbeitseinheiten“ in Florida unterbrochen. Diesmal will sie ein wenig Ostafrika kennenlernen, um dann nach Indien überzusetzen, ihrem Lieblingsland.

Aus einer Großstadt herauszufahren, ist immer wieder schrecklich. Massen von stinkenden Vehikeln versuchen, uns die Lungen mit Kohlenmonoxid zu füllen, damit wir tot vom Rad fallen. Da das offensichtlich nicht reicht, werden wir durch völlig mordlüsterne Überholmanöver in den Straßengraben abgedrängt. Besonders radsportbegeisterte Zeitgenossen fahren mit ihren Lastern direkt neben uns, um uns genau zusehen zu können. Dabei hüllen sie uns in schwarze Rußwolken, die aus allen Rohren dieser steinalten Gefährte pusten.

Kurz nach der Stadtgrenze führt uns die erste Rast in ein 3 m² großes Teehaus. Die Leute freuen sich, dass wir auf Kisuaheli Tee und Mandazi, ein einheimisches Fettgebäck, bestellen können. Ein Gespräch auf Kisuaheli kommt aber nicht zustande, da unsere Sprachkenntnisse noch zu schlecht sind. Meistens ist es in Kenia ganz einfach, sich auf Englisch zu verständigen. Und so wird uns erzählt, dass die kommende Strecke flach, ja geradezu abschüssig ist. Aber wie ist das immer beim Radfahren? Es geht bergauf und man hat Gegenwind - allen Ankündigungen zum Trotz! Uns ergeht es nicht anders. Es geht 70 km bergauf, fast bis auf 3000 m über dem Meeresspiegel. Für Anni ist das zuviel für den ersten Tag, sie nimmt sich ein Hotel am Wegesrand, das wenig vertrauenerweckend aussieht. Sie ermuntert uns weiterzufahren, wir würden uns morgen wiedertreffen. Bis zum ersten angepeilten Ziel, dem Lake Naivasha, sind es am Ende 112 km, die letzten 20 km mit Gegenwind - war ja klar.

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In Kenia haben wir Besuche in verschiedenen Nationalparks eingeplant, und gleich morgen wartet schon der nächste auf uns: Der Hell's Gate Nationalpark. Er ist der einzige, in den man mit einem Fahrrad hineinfahren darf oder auch zu Fuß gehen kann - es gibt hier keine Katzen (außer ein paar versprengten Leoparden, wie wir später erfahren).

Am Eingang versuchen wir Studentenermäßigung zu bekommen, aber unsere Ausweise werden nicht anerkannt. Skandal! Na gut, sie sind auch nicht echt. So kostet uns der Eintritt 20 US $ pro Nase! Im Prinzip sind wir natürlich voll damit einverstanden, wenn die „reichen“ Touristen zur Kasse gebeten werden, uns schmerzt dieser Betrag aber doch ganz schön.

Radelnderweise sehen wir Zebras, Antilopen und Paviane. Wir verbringen den ganzen Tag in einer schönen Landschaft, die durch Steppen- und Buschland geprägt ist. Am Ende sind wir aber nicht so begeistert, wie wir es uns auf Grund von Erzählungen erhofft hatten. Vermutlich liegt das an den überragenden Eindrücken, die wir in der Massai Mara gesammelt haben. Jeder professionell veranstaltete Keniaurlaub setzt den Besuch in dem größten Nationalpark nicht umsonst ans Ende des Urlaubs, denn danach verblasst vieles andere.

Zurück im YMCA, unserer Unterkunft, flirtet Thomas mit einer schicken Schwarzen, und wir essen gemeinsam einen leckeren Obstsalat. Dabei klärt sie uns über die üblichen Preise für Obst und Lebensmittel in Kenia auf. Wie zu erwarten haben wir bisher immer zuviel bezahlt. Für ein schönes Tuch sogar den zehnfachen Preis!

 

Bevor wir am nächsten Tag weiterfahren, gibt uns der Vermieter noch eine Nachricht von Anni. Sie ist in einer anderen Hotelanlage abgestiegen und wünscht uns alles Gute (Eineinhalb Jahre später erreicht mich eine Karte aus Ägypten: „War 7 Monate in Afrika, 8 Monate in Indien - quer durch das Himalayagebirge. Saalam & smooth, downhill pedling, Anni“). Wir lernen aber gleich zwei neue, diesmal einheimische Radfahrer kennen, die sich in unseren Windschatten hängen. Bei einer Rast erzählen sie uns Zigaretten rauchend (!), dass sie auf dem Weg von Nairobi in ihr Heimatdorf sind. Das ist 600 km entfernt! Daraus machen die beiden drahtigen Burschen aber keine lange Radtour, sondern bewältigen die Strecke in zwei Tagen. Unglaublich. Ausgerüstet sind sie mit einfachen Rädern, die nur einen Gang haben. Als Verpflegung führen sie ein Brause-Wasser-Gemisch mit sich und etwas getrocknetes Fleisch. Das würde für uns nicht mal von 12 Uhr bis Mittag reichen. Wir schenken den beiden eine Auswahl verschiedener Fahrradaufkleber, die wir als Gastgeschenke mitgenommen haben und verabschieden uns - mit 20 Gängen mehr geht es doch etwas schneller.


 

Ein paar Worte zur Ausrüstung

Bei dieser Gelegenheit wird uns mal wieder bewusst, an welchen Komfort wir uns gewöhnt haben. Dabei meine ich nicht einmal den Wasserfilter oder die selbstaufblasbare Isomatte, sondern unsere Bikes. Beide Räder sind auf dem allerneusten Stand der Tourentechnik. Jahrelange Arbeit in einem großen Radladen haben mir reichlich Erfahrung in der Auswahl der Teile gegeben, und natürlich haben alle Mitarbeiter bei den Rädern ihren „Senf“ dazugegeben. So fahren wir mit 2,34 mm dicken Speichen in stabilen Hohlkammerfelgen. Da ist noch nie eine Speiche gebrochen, trotz wildester Touren durch Alaska oder Island. Zum Vergleich: Auf einer früheren Tour zum Nordkap sind zwanzig Speichen gebrochen!

Die Schaltungs-, Naben- und Bremsteile sind alle aus der XT- oder neuen LX-Reihe von Shimano. Wobei Bremsklötze und Kettenblätter von anderen Herstellern gewählt wurden, da diese langlebiger sind (das mittlere Kettenblatt aus Stahl!). Auch wenn die Verkaufs- und Erneuerungsphilosophie jeden Verkäufer und Radinteressierten an den Rand des Wahnsinns treibt, haben Shimano-Komponenten einen Vorteil: Man bekommt die Ersatzteile in fast jeder Ecke der Welt. Zumindest eher, als ein Ritzel von Campa oder Einzelteile eines exklusiven Weinmann-Bremsgriffes (Gruß an Rüdiger!).

Wichtig sind auch die Gepäckträger. Diesmal habe ich CrMo-Träger von Tubus verwandt, die nicht nur schön, sondern (leider) auch teuer sind. Deren Vorteil ist, dass sie sich im Ernstfall schweißen lassen. Ein Aluschweißgerät zu finden, wie man es für die üblichen Träger benötigen würde, ist mehr als unwahrscheinlich. Allerdings habe ich auch noch keinen vernünftigen Aluträger (Blackburn) zerbrochen.

Die Gepäcktaschen sind von der Firma Ortlieb. Einige werden lachen und sagen „wasserdichte Gepäcktaschen in Afrika - einen dümmeren Ort gibt es für die teuren Dinger ja wohl nicht!“ Aber weit gefehlt, einen heftigen Regenguss in Kenia oder besonders in Südafrika erlebt man viel entspannter, wenn alles trocken bleibt. Außerdem ist es deutlich stressloser, als ansonsten bei Bedarf die Regenüberzüge über die auch erstklassigen Karrimortaschen zu ziehen (wobei das Klopapier trotzdem garantiert nass wird!).

Leider kostet gutes Material auch gutes Geld - da führt kein Weg dran vorbei. Natürlich ist eine Radtour auch mit weniger High-Tech-Equipment möglich. Auf meiner zweiten Radtour vor vielen Jahren bin ich im ersten Gang meiner 3-Gang Nabenschaltung von Amsterdam nach Den Haag gefahren. Und weiter bis Paris - dann im Zweiten. Es geht, aber es macht eben weniger Spaß, auch wenn man danach viel zu erzählen hat. Irgendwann war für mich das Abenteuer „Fahrrad“ vorbei, und Abenteuer „Landschaft, Leute und Tiere“ bekam Priorität. In diesem Sinne kann ich nur jedem raten, sich bei einem guten Radhändler beraten zu lassen und lieber ein halbes Jahr länger für ein vernünftiges Bike zu sparen, als ein halbes Jahr im Dschungel von Zaire auf ein Ersatzteil zu warten.


 

Zentralkenia

In Nakuru, 250 km entfernt von Nairobi, lasse ich beim Eintragen ins Gästebuch verlauten, dass wir den See und sein Wildleben erkunden wollen. Noch haben wir nämlich keine Idee, wie wir das schnell organisieren sollen. Und richtig, es dauert keine halbe Stunde, da steht jemand vor der Tür und bietet uns eine Tour an. Da er schon vier andere Reiseteilnehmer hat, drücken wir den Preis bis zur Schmerzgrenze. Dazu gehört es, zwischendurch mal essen zu gehen, über das Wetter zu sprechen und sich für „später“ zu verabreden. Am Ende haben wir einen guten Preis und versprechen ihm dafür, mit den anderen Reisenden nicht über die Kosten zu reden.

Auf der Vier-Stunden-Safari sehen wir sogar einen Leoparden auf der Jagd nach einem Hirsch. Die Landschaft um den See herum ist schon Regenwald-ähnlich. Zebras, Büffel und anderes Getier kann sich gut verstecken. Die Flamingos, für die der See berühmt ist, haben im Wasser aber keine Chance: Wir fotografieren sie rücksichtslos. Der Nationalpark, mit seiner etwa 200 km² großen Fläche, ist als einer der herausragendsten ornithologischen Parks der Welt beschrieben. Bis zu zwei Millionen Flamingos und mehrere zehntausend andere Vögel leben hier.

Während wir den Blick von den Baboon Cliffs auf den unter uns liegenden See genießen, versucht unser Fahrer einen Reifen zu wechseln. Ein Plattfuß gehört zu jeder guten Safari dazu. Leider hat er den Wagenheber vergessen, und so spielen Thomas und ich Herkules und heben den Minibus an...

 

Da die kleine Exkursion schon gegen 10 Uhr zu Ende ist, fahren wir weiter nach Nyahururu. Vor diesem leicht auszusprechenden Ort wird uns ein Berg angekündigt. Der „Berg“ entpuppt sich als 70 Kilometer bergauf mit zwei Pässen über je 2600 Meter! Wobei mir noch ein weiterer Ausrüstungsgegenstand einfällt: Der Höhenmesser. Diese nette Spielerei habe ich mir noch gegönnt, weil ich vorher in Deutschland so viele Überstunden gemacht habe... Und es hat sich gelohnt. Nichts finde ich ärgerlicher, als den ganzen Tag einen Berg hochzufahren, und dann steht oben nicht einmal ein Schild, auf dem die Passhöhe angegeben ist!

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Die Strecke durch die reiche Bergregion Kenias ist traumhaft schön. Alle erdenklichen Früchte werden auf den Feldern und am Wegesrand angebaut. Besonders Kaffee- und Teeplantagen bestimmen das Bild in diesen Höhenlagen. Zu Anfang können wir die verschiedenen Obst, Gemüse- und Pflanzensorten nicht auseinanderhalten, aber wir haben über lange Strecken "Fremdenführer". Bewohner mit ihren Rädern begleiten uns, z. T. über beeindruckend lange Strecken. Bevor wir das jeweils nächste Dorf erreichen, fahren sie vor und kündigen uns an. Natürlich immer mit dem Hinweis darauf, dass wir ihre besten Freunde sind und auf einen kurzen Klönschnack vorbeikommen. Das hat zur Folge, dass nicht nur das Ansehen unseres Begleiters steigt, sondern die Straßenränder mit staunenden Einheimischen gesäumt sind, die uns anfeuern. So muss das bei der Tour de France sein!

Besonders nett sind die Reaktionen, wenn wir eine Schule passieren. Schlagartig ist der Unterricht Nebensache und die Lehrer haben keine Gewalt mehr über ihre Schüler. Diese laufen auf die Straße und liefern sich Wettrennen mit uns. Was für ein Gefühl, wenn 200 Kinder hinter einem her sind!

Leider werden wir dauernd auf Geld oder Süßigkeiten angesprochen. Nur selten gibt es nette Gespräche, die nicht mit der Frage nach einem „kleinen Souvenir“ enden. Wenn wir dann einen „Erinnerungsaufkleber“ oder andere Kleinigkeiten verschenken, merken wir meistens, dass eigentlich schnöder Mammon Ziel der Begierde war. Bei der wirtschaftlichen Lage vieler Bewohner ist das aber verständlich.

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In Nyahururu werfen wir einen kurzen Blick auf die wenig beeindruckenden Thompson-Fälle, bevor wir völlig geschafft in die knarrenden Bettgestelle einer Billigabsteige sinken. Die Thompson Lodge, in unserem Reiseführer als günstige Übernachtungsmöglichkeit angegeben, ist zur Luxusherberge „verkommen“, und zelten kann man auf dem Anwesen auch nur gegen viel Geld.

Bevor wir schlafen können, müssen wir noch Wasser für den nächsten Tag pumpen. Jeden Abend setzen wir uns lange hin und reinigen das Trinkwasser mit unserem Wasserfilter, den wir aus Deutschland mitgebracht haben. Sicherheitshalber trinken wir das afrikanische Leitungswasser nicht, da unsere Körper vielen Krankheitserregern nichts entgegenzusetzen haben.

Diesmal brauche ich für eineinhalb Liter etwa eine dreiviertel Stunde! Irgendetwas kann da nicht stimmen, es dauert jeden Abend länger. Nach kurzem Nachdenken fällt uns ein, dass der Filter vielleicht regelmäßig, und nicht nur routinemäßig einmal im Monat, gereinigt werden müsste! Und wie wahr, nach einer Reinigung kommt das Wasser geradezu aus dem Filter herausgeschossen. Thomas braucht anschließend keine 15 Minuten, um seine Flaschen zu füllen. Manchmal scheint die tägliche Sonne unsere Gehirnwindungen auszutrocknen...


 

Aufstieg zum Mt. Kenia

Unser erstes größeres Ziel nach den Nationalparks ist der Mount Kenia. Dazu fahren wir einige Tage lang durch eine rolling-hill-Landschaft. Es geht immer hoch und runter, ohne Aussicht oder sonstige Besonderheiten. Die Hügel sind ziemlich steil, machen ein Hochkommen schwer und anstrengend. Und wenn dann als „Belohnung“ nur das nächste Tal und der nächste Anstieg warten, schlaucht das mächtig. Besonders gemein ist ein LKW, der auf seiner Rückseite eine riesige Bierreklame spazieren fährt! Während wir bei kurz unter 30°C schwitzend jeden Kilometer erkämpfen, läuft uns bei diesem Anblick das Wasser im Mund zusammen.

Thomas ist heute schwer zu motivieren. Die dauernden Auf und Ab's zehren auch an seinen Nerven. Als wir dann noch eine der typischen Abkürzungen fahren (die Strecke ist bergiger, schlechter und länger als die Hauptroute), gibt es nur noch eine Möglichkeit: Ich zaubere echte Gummibärchen aus den Abgründen meiner Satteltasche! Gestern Abend sind sie zwischen Ausrüstungsgegenständen aufgetaucht - was ich natürlich geheim gehalten habe. Umso größer ist die Wirkung: Antilopen am Wegesrand werden bedeutungslos, wann gibt's die nächsten Teddys?

So kommen wir spät abends in Naro Moru an, dem Ausgangspunkt für unseren Gipfelsturm. An der „Naro Moru Riverlodge“ zelten wir und wollen von hieraus alles vorbereiten. Am wichtigsten ist dabei der morgige Ruhetag, um uns von den Anstrengungen der letzten Tage etwas zu erholen.

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Der Point Lenana des Mt. Kenia mit seinen 4985 m lässt sich mit normalen Schuhen besteigen - schreiben zumindest die Reiseführer. Wir vermuten also einen Spaziergang, den wir alleine organisieren wollen. Gebuchte Touren sind eben viel teurer, als wenn man alles selbst in die Hand nimmt. Allerdings ist es auch schwieriger. Einen ganzen Tag brauchen wir, um unseren Transport zum Basislager zu organisieren. Hier werden Touristen richtig abgezockt, und da nützen uns auch die bisher erworbenen Preisverhandlungsstrategien wenig. Wir zahlen am Ende 25 US $ für die Fahrt, die etwa einen halben Tag dauert. Nebenbei kaufen wir Lebensmittel für drei Tage ein, schließlich gibt es in den luftigen Höhen des Mt. Kenia noch keine Restaurants. Die meisten Bergsteiger bringen sich die Nahrung aus Nairobi mit, was auch klüger ist, da die Auswahl dort größer ist. Auf einer Radtour lässt sich das verständlicherweise nicht machen. So sind wir auf die Vorräte des nächstgelegenen Dorfes angewiesen, die nicht gerade üppig sind. Der einzige Laden ist eine große Bretterbude, in der sich auf durchhängenden Regalen wenige Waren präsentieren. Wir greifen auf wenig nahrhafte Dinge wie Kekse, Brot und Obstdosen zurück, mehr können wir nicht auftreiben. Als Ergänzung bleiben uns da nur die Müsliriegel und die Dauerwurst, die wir noch aus Deutschland mitgenommen haben - und unsere Tütensuppensammlung.

 

Um Informationen über die Wanderstrecke zu bekommen, fahre ich unter anderem zu einem abgelegenen Hotel, das unser Reiseführer als Infobörse empfiehlt. Es liegt auf einem Berg - das war ja klar. Bei der Abfahrt - nachdem ich keine brauchbaren Hinweise bekommen habe - war ja auch klar - traue ich meinen Augen nicht: Plötzlich schlängelt sich eine grüne Schlange blitzschnell auf den Schotterweg. Ich habe keine Chance mehr zu bremsen, und fahre über sie rüber. Erinnerungen an Australien werden wach, wo Autofahrer vor solchen Situationen gewarnt haben: Mit etwas Pech können die Schlangen hoch geschleudert werden, um sich dann irgendwo festzubeißen. Entweder waren das die üblichen Gruselstorys oder ich habe Glück. Auf jeden Fall bleibe ich von einem Schlangenbiss verschont. Der Schreck sitzt mir aber tief in den Knochen.

 

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Brücke in der Mt.-Kenia Region

Als wir im Dorf essen gehen, gesellt sich Peter, ein Einheimischer, zu uns und bietet sich als Bergführer an. Nach unseren Erkenntnissen kann man den Berg auch ohne Führer besteigen, aber Peter und seine Freunde belehren uns eines Besseren: Wenn wir zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein wollen, müssen wir bei absoluter Dunkelheit wandern, und dabei sind Wegkenntnisse unerlässlich. Das macht Sinn.

Wir leihen von ihm noch einen Rucksack und zwei Wintermützen, schließlich wird es auf knapp 5000 m ziemlich kalt. Handschuhe und winterfeste Unterwäsche haben wir extra zu diesem Zweck mitgebracht, aber an Mützen haben wir nicht gedacht. Leihen kann man hier übrigens alles - allerdings zu enormen Preisen. Hier weiß man, was Touristen zahlen können.

 

Am nächsten Morgen geht es los. Mit den Rädern auf dem Autodach fahren wir mit einem Vierrad angetriebenen Jeep zur Mt. Kenia Wetterstation auf ca. 3000m. Zwischendurch passieren wir die Parkgrenze, an der wir einen guten Teil unserer Dollars lassen: Pro Tag werden 20 US $, pro Nacht 8 US $ fällig. Das geht mal wieder richtig ins Geld.

Da wir die Naro Moru Route gewählt haben, wird es für uns nicht ganz so teuer, wie auf den anderen, längeren Routen. Dafür haben wir aber den Nachteil, dass wir die regenreiche Seite des Berges erklettern. Hintergrund dafür ist die Tatsache, dass wir uns eigentlich auf einer Radtour befinden, und nicht zu viel Zeit für das "herumklettern" verwenden wollen. Mal kurz den beschriebenen Höhenmesser richtig ausprobieren und wieder runter - so ungefähr war unsere Vorstellung...

Nachdem wir uns in der ersten Nacht akklimatisieren, brechen wir am nächsten Morgen in strömendem Regen zu unserem Basislager auf. Beim Frühstück klaut uns noch ein vorwitziger Affe ein ganzes Brot, das wir trotz aufgenommener Verfolgung nicht mehr sicherstellen können. Ein ganzes Brot! Hoffentlich verhungern wir deshalb nicht!

Obwohl es regnet, sind wir schwer beeindruckt: Die hier wachsenden Pflanzen gibt es nirgends sonst auf der Welt. Riesige, futuristisch anmutende Gewächse säumen den Weg. In Regenbekleidung und Turnschuhen stiefeln wir durch tiefen Matsch bis hoch zum MacInders Camp auf 4200 m. Es wird merklich kälter und die Luft dünner. Gegen Abend reißt dann überraschend die Wolkendecke auf und wir staunen nicht schlecht: Direkt über uns erhebt sich der Batian, der höchste Gipfel des Mt. Kenia mit 5199 m. Ein beeindruckender Anblick, besonders für uns Flachländer.

Spaß machen uns die Klippschliefer, die sich auch in diesen Höhen wohlfühlen. Die neugierigen Nagetiere mit ausgeprägtem Familiensinn sehen aus wie übergroße, graue Hamster, aber ihr nächster Verwandter ist der Elefant! Warum das so ist, kann man irgendwo nachlesen, mir glaubt das sowieso keiner.

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Abends wird es so richtig kalt. Wir tragen drei T-Shirts, Weste, Pullover und Regenjacke übereinander, aber auch das hilft nur wenig. Unser Zelt steht neben einer Wanderhütte, in der man für viel Geld übernachten könnte. Hier drinnen ist es einigermaßen auszuhalten, weil wir eine weitere Wandergruppe getroffen haben und 12 Leute strahlen doch einiges an Hitze ab. Das Highlight in den Abendstunden ist ein Norweger, der eine Trompete mit sich herumschleppt. Er bringt uns ein kleines Ständchen, und es hat schon Stil, auf fast viereinhalbtausend Metern einem Trompetenkonzert zu lauschen.

Um 2.30 Uhr stehen wir auf. Im Zelt ist es sagenhafte 1,6° C „warm“. Afrika? Wir klappen den von einer Eisschicht überzogenen Zelteingang zur Seite und bereiten uns auf den Gipfelsturm vor. Alle Wanderer sind wach, und wir treffen uns zu einem schnellen Kaffee in der Hütte. Nur einer ist nicht da: unser Bergführer!

Kurz entschlossen marschieren wir hinter der anderen Gruppe her. Es ist stockfinster und nur mit einer Taschenlampe, die der Führer ganz vorn auf seine Füße hält, wandern wir mit fünf anderen Touristen über einen schmalen Pfad dem steilen Hang entgegen, der zum höchsten begehbaren Punkt des Mt. Kenya führen soll. Wir klettern über Felsvorsprünge und leicht vereiste Bäche. Oft hören wir das Eis unter unseren Füßen knirschen, bevor der Schuh im kalten Matsch versinkt. Es ist mehr ein Hochstolpern als Hochwandern. Alle 15 Minuten legen wir eine kurze Pause ein, um uns zu erholen. In dieser Höhe macht uns die dünne Luft ziemlich zu schaffen.

Nach einem steilen, serpentinenartigen Aufstieg holt uns David ein, der als Ersatzführer für Peter einspringt. Angeblich ist Peter krank geworden. Später stellt sich aber heraus, dass Peter nur vorgegeben hat ein Bergführer zu sein. Den Weg im Dunkeln zum Gipfel hätte er wahrscheinlich niemals gefunden.

Nach ca. zwei Stunden Aufstieg verlassen David, Thomas und ich die Gruppe, um schneller zu gehen. Wir wollen zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein, und die Zeit wird knapp. In dieser Höhe ist ein schnelles Gehen für den Körper eine große Belastung. Thomas' Beine beginnen zu brennen, er atmet schnell. Bei 4700 m ist für ihn der Aufstieg zu Ende. Sein Blut pocht wie wild im Kopf und Schmerzen setzen ein. Das sind die ersten Anzeichen der Höhenkrankheit. Dann rutscht David plötzlich aus und seine Taschenlampe verschwindet laut scheppernd in der Tiefe. Zum Glück haben wir eine eigene griffbereit, nur die Batterien sind schwach.

Während Thomas in einer Hütte auf unsere Rückkehr warten will, treibe ich den Führer an: Für die restlichen knapp 300 Höhenmeter sind 1 1/2 Stunden eingeplant - wir schafften es in 20 Minuten. Aber wie! Während unter uns der mehrere hundert Meter tiefe Abgrund gähnt, springen wir von Stein zu Stein. Ohne Netz und doppelten Boden! Wir rutschen auf Geröll aus und schlittern tiefer; wenn möglich krallen wir uns mit den bloßen Fingern in den gefrorenen Schnee. Die Handschuhe habe ich lange ausgezogen, um besseren Halt zu finden. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass auch David nur ein Möchtegern-Bergführer ist. Als es etwas heller wird, erkenne ich seine Schuhe: Es sind Gummistiefel!! Das Ganze kommt mir vor wie ein schlechter Traum.

Aber wir schaffen es, kurz vor Sonnenaufgang sind wir oben. In meinem Kopf hämmert es wie in einer riesigen Fabrikhalle und mein Atem rast wie in der letzten Runde eines Moutainbike-Rennens. 4985 m und - 4° C mitten in Afrika!

Der Ausblick auf das gerade erwachende Kenia ist atemberaubend. Passend dazu bläst der Schwede auf seiner Trompete einige hundert Meter unter mir die Erkennungsmelodie von Star Wars - was für ein Gefühl.

Der eisige Wind pfeift mir um die Ohren, trotzdem will ich möglichst lange den Ausblick genießen und Fotos machen. Dazu gehört natürlich auch eine Aufnahme mit dem Gipfelkreuz und einer Spitzhacke, die David mitgeschleppt hat.

Der Abstieg wird noch lebensgefährlicher als der Aufstieg. Stück für Stück arbeite ich mich zu einem Schneefeld vor, es geht fast senkrecht herunter. Wieder bemächtigt mich die Frage, warum ich mir das eigentlich antue. Schließlich könnte ich jetzt auch bequem mit einem Bier in der Hand vor der Glotze sitzen und mir einen Bericht über eine Reise durch Afrika ansehen. Ich erreiche das Schneefeld, auf dem ich in meinen Turnschuhen ganz gut vorankomme. Meinen "Bergführer" lasse ich zurück, mit seinen Gummistiefeln hat er auf dem gefrorenen Schnee keine Chance. Er braucht eine halbe Stunde länger, um zur Gruppe zu stoßen, die in der Hütte auf uns wartet. Thomas hat sich ganz gut erholt, er macht schon wieder Witze. Anders geht es einem Engländer, den die Höhenkrankheit richtig hart erwischt hat: Der ganze Fußboden ist mit dem Abendbrot von gestern bedeckt. Einige Stückchen kleben auch an der Wand. Er zittert am ganzen Körper und ist nicht mehr ansprechbar.

Thomas, David und ich sind die einzigen, die zum Basislager zurückgehen, die anderen wählen eine alternative Abstiegsroute. Zum Abschied schenkt Thomas der frierenden Freundin des Engländers seine Handschuhe: Wir werden jetzt in das warme Afrika zurückkehren!


 

Zum Indischen Ozean

Auf dem Weg vom Mt. Kenia zum Indischen Ozean - jetzt endlich wieder auf den voll beladenen Mountainbikes - geht es über den Äquator. Wie überall auf der Welt auch hier ein guter Grund, eine ganze Souvenirstadt aufzubauen. Mittlerweile haben wir uns auf das Handeln um alles und jedes eingestellt, und das merken auch die Händler. Wir nehmen uns viel Zeit, sprechen über das Wetter, Europa und das Leben an sich. Wie nebenbei werden uns Gegenstände gezeigt, denen wir nur beiläufig Beachtung schenken. Scherzhaft werden von beiden Seiten Preise genannt, um dann über gefährliche Autofahrer herzuziehen.

Der Trick beim Handeln ist einfach: Nie ernsthaftes Interesse zeigen und immer nur einen Bruchteil dessen bezahlen, was die Händler haben wollen. Die ersten Tage sind wir natürlich wie alle, die sich neu auf Preise und Verhandlungsstrategien einstellen müssen, mächtig über den Tisch gezogen worden. Nun bemühen die Verkäufer auch schon mal die kranke Oma und den Hunger ihrer großen Verwandtschaft um uns von ihren „sehr, sehr niedrigen Preisen“ zu überzeugen: „A very special price, only for you!“. Nachdem beide Seiten lange genug ihren Spaß hatten, erstehen wir kleine Geschenke für etwa 10% des ursprünglich geforderten Preises. Dem Grinsen des Verkäufers entnehmen wir, dass wir - wie es Europäer wohl immer tun - mal wieder zuviel bezahlt haben.

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