Cover

Norbert Schreiber

PRAG

Eine Stadt in Biographien

TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH

Herausgegeben von Norbert Lewandowski

INHALTSVERZEICHNIS

ÜBER DIESES BUCH

Auf welche Straße verweist der Titel von Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt«? Wo drehte Forman einige Szenen seines oscarprämierten Films »Amadeus«? In welchen Cafés diskutierte Lenka Reinerová mit Freunden? Die Lebensgeschichten ihrer Bewohner prägen die Identität einer Stadt.

 

Zwanzig Biographien geben einen facettenreichen Einblick in Vergangenheit und Gegenwart, Kultur und Lebensgefühl Prags:

 

Wenzel von Böhmen

Der Nationalheilige und Staatsgründer gab Millionen Tschechen den Vornamen

 

Karl IV.

Der bedeutende Kaiser machte Prag zur ersten Metropole Europas

 

Jan Hus

Der Reformator starb für seinen Glauben auf dem Scheiterhaufen

 

Judah Löw

Der Legende nach schuf der Prager Rabbiner den Golem

 

Rudolf II.

Er lockte viele Alchimisten in die Stadt. Sie sollten ihm Gold erschaffen …

 

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein

Der Feldherr veränderte Böhmen – und fand ein entsetzliches Ende

 

Wolfgang Amadeus Mozart

Fünf seiner Kompositionen sind auf ewig mit Prag verbunden

 

Božena Němcová

Ihr Roman »Babička« verhalf der tschechischen Sprache zum Durchbruch

 

Bedřich Smetana

Seine »Moldau« fließt unsterblich durch die Musikgeschichte

 

Antonín Dvořák

Er liebte Böhmen über alles – und hatte seinen größten Erfolg in den USA

 

Jaroslav Hašek

Ein hochbegabter Chaot und Trinker schrieb Weltliteratur

 

Franz Kafka

Die Romane des größten Prager Autors hinterlassen beim Lesen tiefe Wunden

 

Max Brod

Der einst erfolgreiche Schriftsteller ist heute als Nachlassverwalter Kafkas bekannt

 

Edvard Beneš

Als tschechischer Regierungschef ließ er Millionen Deutsche vertreiben

 

Egon Erwin Kisch

Der Journalist und Schriftsteller prägte die literarische Reportage

 

Lenka Reinerová

Von den Nationalsozialisten verfolgt, von den Kommunisten geächtet

 

Alexander Dubček

Sein Name steht für den Prager Frühling, der 1968 so tragisch endete

 

Emil Zátopek

Der große tschechische Langstreckenläufer nahm in Prag kein Blatt vor den Mund

 

Miloš Forman

Der tschechische Regisseur wurde bereits mit zwei Oscars ausgezeichnet

 

Václav Havel

Er war Taxifahrer, dann Dramatiker, schließlich charismatisches Staatsoberhaupt

IMPRESSUM

Liebe Leserinnen und Leser,

vielen Dank, dass Sie sich für einen Titel aus unserer Reihe MERIAN porträts entschieden haben. Wir freuen uns, Ihre Meinung zu diesem Buch zu erfahren. Bitte schreiben Sie uns an merian-portraets@travel-house-media.de.

 

© 2013 TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH, München

MERIAN ist eine eingetragene Marke der GANSKE VERLAGSGRUPPE.

 

ISBN 978-3-8342-1543-7

1. Auflage

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

 

TRAVEL HOUSE MEDIA

Postfach 86 03 66

81630 München

www.merian.de

 

PROGRAMMLEITUNG

Dr. Stefan Rieß

PROJEKTLEITUNG

Susanne Kronester

REDAKTION

Juliane Helf

BILDREDAKTION

Lisa Grau

SCHLUSSREDAKTION

Ulla Thomsen

REIHENGESTALTUNG

independent Medien-Design, Horst Moser, München

SATZ

h3a GmbH, München

REDAKTION E-BOOK

Juliane Helf, Gloria Schlayer

PRODUKTION E-BOOK

pagina GmbH, Tübingen

 

ABBILDUNGSNACHWEIS

Auf einen Blick (v.l.n.r.): fotolia: marekz99, Interfoto: Sammlung Rauch, Prisma: Yadid Levy, interfoto: Sammlung Rauch, TopicMedia: ib

Orientierung: Gecko Publishing GmbH

 

EXTERNE LINKS

Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.

THM 8-1542 04_2017_02

ISBN 978-3-8342-1543-7

DER AUTOR

Norbert Schreiber arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Journalist und Autor. Für die ARD war er seit 1970 als Korrespondent, Redakteur, Moderator und Reporter in den Programmbereichen Politik, Zeitgeschehen und Kultur tätig. Er veröffentlichte über zehn Bücher zu den Themen Demokratie, Europa, Russland und Tschechien. In seinen beiden Büchern über Lenka Reinerová und den Böhmerwald beschäftigte er sich auch mit Prag und dem deutsch-tschechischen Verhältnis. Mehr Informationen unter www.norbertschreiber.de

Prag, die Goldene – die Stadt der Brücken und Türme, der fantasievollen Menschen und der Magie. Prag, der Magnet, der Reisende seit Jahrhunderten mit seinem rätselhaften Flair anzieht.

Eine Großstadt wie Prag wird nicht nur von historischen Gebäuden und Straßenzügen geprägt, sondern von den Menschen, die hier geboren wurden, gestorben sind oder entscheidende Jahre verbracht haben. Diese Figuren bestimmen das Flair und den Puls der Stadt.

MERIAN porträts beschreibt 20 Persönlichkeiten und lässt sie die Besucher wie individuelle Reiseführer durch Vergangenheit und Gegenwart der Stadt begleiten. In Prag haben Komponisten ihre Geniestreiche vollführt, haben Autoren Weltliteratur definiert und Staatsmänner das Land in eine neue Zeit geführt.

Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Personen auszuwählen. Vermutlich ist es sogar unmöglich, schließlich wurde Prag in seiner 1200-jährigen Geschichte von weit mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll die subjektive Auswahl jenes unverwechselbare Kaleidoskop ergeben – das Faszinosum Prag.

Wir lernen Wenzel und Karl IV. kennen, erleben den Mythos des Golems und Rabbi Löws, begegnen den Alchimisten von Rudolf II., Jan Hus und Wallenstein, erfahren, was es mit den Prager Fensterstürzen auf sich hat. Wir sind fasziniert von den starken Frauengestalten Němcová und Reinerová. Wir streifen mit Mozart durch die Gassen, lauschen Smetanas unsterblicher Moldaumelodie und der Symphonie »Aus der Neuen Welt« von Dvořák. Kafka schickt uns auf eine düstere Reise ins Innere des Seelenlebens, und Schwejk, der ewige Prager, erlöst uns bei einem Bier davon. Das Mysterium Prag freilich kann auch er nicht erklären. Man muss es fühlen, um zu verstehen, denn Prag, so heißt es, ist weiblich …

AUF EINEN BLICK

Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne Karl IV., Lenka Reinerová und Václav Havel … wäre Prag nicht Prag.

ORIENTIERUNG

Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen ( D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.

WENZEL VON BÖHMEN

ca. 908–ca. 929

Er ist alles in einer Person: Christianisierer, Befreier Böhmens, Namensstifter, Staatsgründer, Nationalheiliger. In Krisenzeiten versammelte sich das tschechische Volk und rief ihn an.

Es war einmal, so fangen alle Märchen und Geschichten über alte Städte an. Also, es waren einmal zwei Brüder. »Was ist über dich gekommen?«, soll Wenzel (Václav) von Böhmen Boleslav I.gefragt haben. Das brüderliche Schwert tötete den Fürsten am 28. September 929; er wurde zum Nationalheiligen. Es wenzelt und václavt überall in Tschechien. Ob der Brudermord 929 oder 935 geschah, darüber streiten die Historiker bis heute. Eines ist sicher: Wenzels Leib wurde vor der Kirche des heiligen Kosmas und Damian in Stará Boleslava (Alt-Bunzlau) von einem Schwert durchbohrt. Das Volk erzählt sich die Geschichte gottesfürchtig: »Da ließ Wenzel seine Seele fahren und sprach: ›In deine Hände, Herr, befehle ich meinen Geist.‹«

Historiker können über das Mordmotiv des Täters nur rätseln. War es die tief verwurzelte christliche Religiosität Wenzels, die ihn von den profanen Regierungsgeschäften abgelenkt hat, und musste er deshalb sterben? Steckten hinter dem feigen Anschlag finstere Auftraggeber aus dem Deutschen Reich? Hatte Boleslav den Brudermord als nationale Großtat geplant, weil der die immensen Geldzahlungen an die Deutschen verhindern wollte? Oder ging es schlicht und ergreifend um die ewig währende Machtfrage und die daraus folgende Nachfolgeregelung im Fürstengeschlecht der Přemysliden, die seit dem Ende des 9. Jahrhunderts bis 1306 als Herzöge von Böhmen und lokale Fürsten einige Landesteile des heutigen Tschechiens regierten?

Achtung Verwechslungsfahr! In Böhmen saßen so viele Václavs, also Wenzels, auf dem Thron, dass Beobachter in der Genealogie leicht ins falsche Jahrhundert geraten können. In unserem Fall handelt es sich um Herzog Wenzel, einen gütigen Regenten, der, so heißt es, die Galgen abgeschafft haben soll. Er war sozial eingestellt und auch im Strafvollzug zum Äußersten bereit, nämlich einmal Eingekerkerte auch wieder auf freien Fuß zu setzen. Auch die Cihristianisierung Böhmens darf er sich auf die Fahne schreiben.

Svatý Václav, der heilige Wenzel, wurde um 908 geboren. Seine Großmutter, die ebenso heiliggesprochene Ludmilla, sorgte für seine christliche Erziehung, wie eine alte Schrift berichtet: »Und Gott legte solche Gnade auf den Fürsten Venceslav, dass er begann, lateinische Bücher zu verstehen wie ein guter Bischof oder Priester, und wenn er ein griechisches oder slavisches Buch aus der Hand legte, so rezitierte er es aus dem Gedächtnis ohne Mühe.«

Widerständig war der überwiegend heidnische Adel damals, als der 13-jährige Václav nach dem frühen Tod seines Vaters Vratislav I. zum Fürsten ernannt wurde. Es regierte jedoch seine Mutter Drahomíra, eine ebenso entschlossene wie rücksichtslose Frau, die sogar Wenzels Großmutter – und ihre Schwiegermutter – Ludmilla ermorden ließ, um die Erziehungsgewalt über den Jungen an sich zu reißen. Sie soll auch später gegen den Sohn opponiert haben. Hatte sie auch ihren zweiten Sohn Boleslav zum Kampf gegen seinen Bruder aufgestachelt?

Trotz aller Querelen des Adels und mit seiner Familie wurde der reformfreudige Wenzel 921 Herzog von Böhmen. Der nach ihm benannte Václavské náměstí (Wenzelsplatz) 36 ( J 7) liegt mitten in Prag. Dort steht auch seine monumentale Statue. Das Denkmal wurde 1912 von Josef Václav Myslbeck errichtet und zeigt einen Wenzel mit Lanze auf einem Bronzepferd.

DER WENZELMYTHOS HÄLT BIS HEUTE

Die Menschen in Tschechien versammeln sich immer dann um ihren Nationalheiligen, wenn sie hilfsbedürftig sind. Meist geht es dann ums Ganze: 1918 bei der Staatsgründung, 1939, als Hitler einmarschierte, 1968, als die Sowjetarmee die Reformbewegung des Prager Frühlings mit Panzern niederwalzte, und 1989, als die Samtene Revolution mit der politischen Wende die neue Demokratieepoche einleitete.

Bei jedem Ereignis von großer Bedeutung gruppiert sich das tschechische Volk zu Füßen des heiligen Wenzels. Der tschechische Senatspräsident Petr Pithart formulierte es einmal so: »Dieser Magnet, der uns zum Landespatron zieht, befindet sich wahrscheinlich wirklich in den tiefsten Ebenen des tschechischen Staatsgebäudes. Er ist es, der uns verbindet, uns zusammenhält, der uns von Zeit zu Zeit das Gefühl verleiht, dass etwas wie ein WIR existiert.«

Dieses WIR, also das gesamte tschechische Volk, setzt noch eins drauf. Es lässt seit vielen Jahrhunderten seine Nachkommen vielfach auf den Namen Václav taufen. Das ist keine Modeerscheinung, sondern ein historisch-politisches Bekenntnis. Deshalb ist Wenzel – also Václav – der in Tschechien beliebteste und am häufigsten vorkommende Vorname. Ohne diesen jungen Mann geht gar nichts: Wenzel ist Kult, Wenzel ist Kultfigur: Christianisierer, Nationalheiliger, Staatssymbol, Befreier Böhmens, Leitfigur des Landesbewusstseins, Staatsgründer, Wundervollbringer, Reliquie. Wenzel ist der Garant für den Frieden im Land, Wenzel ist Nothelfer. Und er vereint, wie praktisch, alles in einer Person.

Politische Wunder hat er zu Lebzeiten keine vollbracht, dazu war sein Herrschaftsgebiet Böhmen zu eingezwängt von Ungarn, dem Ostfrankenreich und Sachsen, das immer wieder in böhmische Lande einfiel. Möglicherweise beruht der Wenzelmythos auf seinem entsetzlichen Ende, denn er starb wie ein Märtyrer nach einem Fest zu Ehren von St. Kosmas und Damian in der Festung seines Bruders. Man hatte ihn vor Boleslavs Verschwörung gewarnt, er hatte sogar sein Gefolge mitgenommen. Als er am nächsten Morgen allein den Kirchgang antreten wollte und seine Beschützer ihren Rausch ausschliefen, schlugen sein Bruder und dessen Männer zu. Václav wollte noch in die Kirche fliehen, doch ein Priester, der zu Boleslavs Gefolge zählte, verschloss die Tür. So wurde Wenzel auf den Kirchenstufen getötet. Sein Ende bleibt als Opfertod im kollektiven Gedächtnis – und man betet:

»Heiliger Wenzel,

Herzog des böhmischen Landes,

unser Fürst,

bitte für uns zu Gott,

den Heiligen Geist. (…)

Wir ersuchen Deine Hilfe,

erbarme Dich unser; tröste die Traurigen,

zernichte alles Böse.«

Kaiser Karl IV. schuf mit der böhmischen Königskrone ein Zeichen ewigen Angedenkens an Václav.

In Böhmen, Mähren und Schlesien gibt es über 330 Gotteshäuser, die dem heiligen Wenzel von Böhmen geweiht sind – allein drei der St.-Wenzel-Kirchen stehen in Prag. Kostel svatého Václava na Zderaze (St. Wenzel am Zderaz) liegt am südlichen Stadtrand. Im spätgotischen Gewölbe sind Legendendarstellungen der Wenzelgeschichte zu sehen. Noch bekannter ist die Wenzelskapelle im Prager Chrám sv.Víta (St.-Veits-Dom) ( B 3), in dem sich das Grab mit den sterblichen Überresten von Václav befindet. Der Kopf der goldenen Reliquienbüste trägt die unsterbliche Krone. Vermutlich war es der deutsche Bildhauer und Baumeister Heinrich Parler der Ältere, der im 14. Jahrhundert die Statue des heiligen Wenzels für die Nachwelt schuf.

Über der eigentlichen Kapelle sind streng gesichert die Kronjuwelen untergebracht, seit 1791 siebenfach durch sieben Schlösser gesichert. Räuber müssten demnach die passenden Schlüssel bei sieben Personen und an sieben verschiedenen Stellen erbeuten. Der Schatz wird nur selten der Öffentlichkeit gezeigt: die St. Wenzelskrone, das Zepter und der Apfel aus dem 16. Jahrhundert, der Krönungsmantel sowie die dazugehörigen originalen Schatullen und Kissen.

Einmal im Jahr feiern die Tschechen ihren Nationalheiligen mit einem staatlichen Feiertag, aber das wäre zu wenig. Festliche Musik mit Werken von christlichen und jüdischen Komponisten und Künstlern aus dem In- und Ausland erklingt beim jährlichen Wenzel-Festival. Jaroslav Elias, Vorsitzender der Gesellschaft für die geistliche Musik: »Historisch gesehen – und das war für den Grundgedanken unserer Festtage ausschlaggebend – stellte der Heilige Wenzel einen Herrschertypus dar, der gegenüber allen Gläubigen in Böhmen und Mähren tolerant aufgetreten ist – seien es Christen oder Juden.« Die Schauplätze der Konzerte sind prominent: der St.-Veits-Dom, der Wladislaw-Saal der Prager Burg 28 ( A/B 3), die jüdische Synagoge im Prager Stadtviertel Palmovka oder die Teynkirche am Altstädter Ring. Übrigens steht auch auf der Karlsbrücke 20 ( D/E 4) eine heilige Statue von Großmutter Ludmilla und ihrem Enkel Wenzel.

WEM GEHÖRT DER DOM ZU PRAG?

Die Streitigkeiten um die Vorherrschaft zwischen Kirche und Staat reichen bis in unser Jahrhundert hinein. 14 Jahre lang währte eine Auseinandersetzung, in der die Eigentumsrechte am Dom zwischen dem tschechischen Staat und der katholischen Kirche ein für alle Mal geklärt werden sollten. Kommunistische Führer hatten 1954 in ihrer Sozialisierungswut den Dom St. Veit für ihre Ideologie reklamiert und enteignet. Später gewann die Kirche den Prozess um das Eigentum vor der unteren Instanz eines Gerichtes, zuletzt war der Staat vor der obersten Instanz der Obsiegende. Die Erzdiözese Prag legte gegen das Urteil Einspruch ein. Am Ende fanden Richter ein salomonisches Urteil: Der Staat zahlt aus der Haushaltskasse die Unterhaltung des Domes und organisiert die Nutzung. Die Gelder werden jedoch von Würdenträgern der Kirche verwaltet.

Als das Volk zur Wendezeit auf die Straße strebte und die Samtene Revolution einleitete, kam der eine oder andere auf die Idee, der St.-Veits-Dom könne ja nun wieder einmal dem Volk gehören. Doch für die Rechtswissenschaftler waren jene Aneignungsphilosophien weder praktikabel noch akzeptabel: Der Jurist Jiří Kejř meinte in einem Interview mit Radio Prag: »Dem Volk gehört nichts. Es gab einst Volksbetriebe, es gibt immer noch Nationalparks, ein Nationalmuseum, ein Nationaltheater, es gibt verschiedene nationale Symbole. Aber setzen wir mal voraus, dass die Kirche dem Volk gehören würde. Wenn dort der Strom ausfällt, kommt ein Handwerker, der die Störung beseitigt. Und wem schickt er die Rechnung? Dem Volk? Dem Volk gehört nichts. Das Volk besitzt nichts.«

KOSTEL VÁCLAVA NA ZDERAZE

(St. Wenzel am Zderaz)

Resslova/Na Zderaze, Nové Město

Metro: Karlovo náměstí, Tram: Karlovo náměstí

PRAŽSKÝ HRAD 28 A/B 3

(Prager Burg)

Hradčany

www.hrad.cz

Metro: Hradcanská, Malostranská, Staroměstská, Tram: Pražský hrad, Královský Lethohradék

VÁCLAVSKÉ NÁMĚSTÍ 36 A 1

(Wenzelsplatz)

Václavské náměstí, Nové Město

Metro: Muzeum oder Můstek, Tram: Václavské náměstí

KARL IV.

13161378

Als Wenzel geboren, als Karl gefirmt, als Karl IV. gekrönt: Er war König von Böhmen und römischer Kaiser. Er machte Prag zum intellektuellen Zentrum Europas und gilt als »größter Tscheche aller Zeiten«.

Seine großen, dunklen Augen vermieden den direkten Blickkontakt, im Gespräch senkte er den Kopf nach vorne, denn er hatte sich auf dem Schlachtfeld einen Halswirbel verletzt. Bei Audienzen schnitt er mit einem Messer an Holzstücken herum. So schildern Zeitgenossen den Regenten, der als Sohn von Johann von Luxemburg und Elisabeth von Böhmen wie kein anderer die Topografie der Stadt Prag geprägt hat. Am Křižovnické náměstí (Kreuzherrenplatz), am Zugang zur Karlsbrücke 20 ( D/E 4), steht das von Ernst Hähnel 1846 errichtete Denkmal für Karl IV. hinter einem Gitterzaun.

In jenen Tagen des späten Mittelalters leben Adel, Klerus, Untertanen, deutsche, jüdische sowie arabische Kaufleute und später das sich entwickelnde Bürgertum gemeinsam mit den Studenten und Professoren bis zu den Religionskriegen noch halbwegs einvernehmlich miteinander. Der siebenjährige Knabe Wenzel wird zur Erziehung an den französischen Hof geschickt. Nach Prag zurückgekehrt steigt in seiner Zeit der Regentschaft die Stadt an der Moldau zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches auf und er selbst 1355 zum römisch-deutschen Kaiser. Karl IV. gründet die Karls-Universität Prag (Univerzita Karlova v Praze): »Auf dass Unsere getreuen Untertanen, die unablässig nach dem Genusse der Wissenschaft dürsten, nicht gezwungen, in der Fremde um Brocken zu betteln, im Königreich ihren gedeckten Tisch finden«, heißt es in der Stiftungsurkunde aus dem Jahre 1348.

Karl IV. baut »den Aufschwung«: zunächst den St.-Veits-Dom (Katedrála oder chrám sv. Víta), dann die Karlsbrücke (Karlův most), er erweitert den Hradschin (Hradčany) 16 ( A 3) und die Burganlagen um den Wyschehrad (Vyšehrad) und baut für die sichere Aufbewahrung der Insignien die Burg Karlštejn.

Auch kirchlich gewinnt Prag an Bedeutung. Das Prager Bistum wird 1344 zum Erzbistum aufgewertet, Karl IV. hortet eben auch gern Reliquien. Ein Kreuz- und Speersplitter aus dem Kreuzungsszenario um Jesus Christus, auch ein Teil der Peitsche, mit der Christus gegeißelt worden sein soll, zwei Dornen aus dessen Krone, die Gebeine von Abraham, Isaac und Jakob, das Tischtuch vom Abendmahl und vieles andere mehr. Seit 1355 wird das Haupt des heiligen Veit im St-Veits-Dom ( B 3) als Reliquie aufbewahrt. Dort sind auch die Gebeine von Ottokar I., Rudolf II., Karl IV., Wenzel IV., Ferdinand I., Maximilian II. und Maria Amalia von Österreich bestattet, also die wichtigsten Kaiser und böhmischen Könige.

Als Karl IV., aus Frankreich kommend, zurückkehrt, klagt er: »Die Prager Burg ist nicht bewohnbar, sie ist verwahrlost, wurde verlassen und zerstört.« Seine ganze Aktivität gilt nun der Modernisierung der böhmischen Hauptstadt. 1348 legt er den Grundstein zur Nové Město (Neustadt). Den Christen und Juden verspricht der König zwölf Jahre Steuerfreiheit, wenn sie in der Neustadt ein Haus erbauen. Prag wächst zur größten Stadt Europas heran und läuft London und Paris den Rang ab.

PRAG WIRD DAS ABENDLÄNDISCHE ZENTRUM

Karl baut neue Wirtschaftszweige auf, importiert Weinstöcke und Obstbäume, sorgt für die Wiederaufforstung der Wälder und fördert weitblickend den europäischen Handelsverkehr, der durch Prag strömt. Der Historiker Petr Hlaváček sagt: »Gerade er leitete auch den anhaltenden Dialog Böhmens mit Europa ein, als er das böhmische Königreich in einen intensiven Kontakt mit deutschen, französischen und italienischen Kulturzentren brachte.«

Der Hof des Kaisers ist in dieser Zeit das Zentrum des Abendlandes. Karl IV. schreibt in gravitätischem Latein sogar eine Biographie, »Vita Caroli Quarti«, die von der Geburt Karls 1316 bis zu seiner ersten Königswahl 1346Petrarca»Ein jedes Reich, das der Zwietracht verfällt, wird in sich zusammenbrechen, weil seine Fürsten sich zu Gefährten von Räubern und Dieben gemacht haben.«