Cover

Franziska Sperr

MÜNCHEN

Eine Stadt in Biographien

TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH

Herausgegeben von Norbert Lewandowski

INHALTSVERZEICHNIS

ÜBER DIESES BUCH

In welchem Viertel begann Franz Beckenbauers Fußballkarriere? Wo fand der Braunbär aus der Villa der Familie Mann ein neues Zuhause? In welchen Schwabinger Lokalen feierte Franziska zu Reventlow, bis es hell wurde? Die Lebensgeschichten ihrer Bewohner prägen die Identität einer Stadt.

 

Zwanzig Biographien geben einen facettenreichen Einblick in Vergangenheit und Gegenwart, Kultur und Lebensgefühl Münchens:

 

Maximilian II. Emanuel von Bayern

Ihm haben die Münchner Schloss Nymphenburg zu verdanken

 

Benjamin Thompson, Graf von Rumford

Der »Erfinder« des Englischen Gartens

 

Ludwig I. von Bayern

Kein Herrscher hat Münchens Gesicht so stark geprägt

 

Franz von Lenbach

Ein talentierter Bub vom Land wird der Malerfürst von München

 

Ludwig II. von Bayern

Ein Märchenkönig auf der Flucht – vor der Realität und sich selbst

 

Richard Strauss

Der berühmte Komponist hatte ein Herz für arme Musiker

 

Frank Wedekind

Verfemt, verleumdet, verboten: ein Dramatiker im Kampf gegen die Zensur

 

Kurt Eisner

Bayerns erster Ministerpräsident wurde heimtückisch ermordet

 

Franziska zu Reventlow

Die »wilde Gräfin« von Schwabing und ihr romanhaftes Leben

 

Thomas Mann

Er war der bedeutendste Schriftsteller der Stadt – und musste ins Exil

 

Franz Marc

Maler und Mitbegründer der Künstlerplattform Der Blaue Reiter

 

Karl Valentin

War er Komiker, Dadaist oder Philosoph? Seine Kunst irritiert

 

Oskar Maria Graf

Ein Schriftsteller, der seine Heimat über alles liebte

 

Sigi Sommer

Kolumnist, Schriftsteller und professioneller Flaneur

 

Franz Josef Strauß

An diesem politischen Urgestein rieb sich ein ganzes Land

 

Sophie Scholl

Die Studentin opferte ihr Leben im Widerstand gegen die Nazis

 

August Everding

Ein Staatsintendant als dynamisches Gesamtkunstwerk

 

Gerhard Polt

Er spielt uns den gemeinen Alltag vor – und wir lachen hilflos

 

Rainer Werner Fassbinder

Der wohl bedeutendste deutsche Filmemacher der Nachkriegszeit

 

Franz Beckenbauer

Ein »Kaiser«, der aus Giesing stammt

IMPRESSUM

Liebe Leserinnen und Leser,

vielen Dank, dass Sie sich für einen Titel aus unserer Reihe MERIAN porträts entschieden haben. Wir freuen uns, Ihre Meinung zu diesem Buch zu erfahren. Bitte schreiben Sie uns an merian-portraets@travel-house-media.de.

 

© 2013 TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH, München

MERIAN ist eine eingetragene Marke der GANSKE VERLAGSGRUPPE.

 

ISBN 978-3-8342-1545-1

1. Auflage

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

 

TRAVEL HOUSE MEDIA

Postfach 86 03 66

81630 München

www.merian.de

PROGRAMMLEITUNG

Dr. Stefan Rieß

PROJEKTLEITUNG/REDAKTION

Susanne Kronester

REDAKTIONSASSISTENZ

Juliane Helf

BILDREDAKTION

Lisa Grau

SCHLUSSREDAKTION

Ulla Thomsen

REIHENGESTALTUNG

independent Medien-Design, Horst Moser, München

SATZ

h3a GmbH, München

REDAKTION E-BOOK

Juliane Helf, Gloria Schlayer

PRODUKTION E-BOOK

pagina GmbH, Tübingen

 

ABBILDUNGSNACHWEIS

Auf einen Blick (v.l.n.r.): Interfoto: Sammlung Rauch, fotolia: lesniewski, Caro: Riedmiller, JALAG-Fotostudio, fotolia: Kautz 15

Orientierung: Gecko Publishing GmbH

 

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THM 8-1545 04_2017_02

ISBN 978-3-8342-1545-1

DIE AUTORIN

Franziska Sperr, in München geboren, Abitur am Königlich Bayerischen Max-Josef-Stift in München, Studium der Politischen Wissenschaft und Philosophie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Nach einigen »unruhigen« Jahren im Ausland lebte sie in Berlin, kehrte dann zurück und lebt heute mit ihrer Familie am Starnberger See. Sie schreibt Romane, Kurzgeschichten und Rundfunkfeatures; ihre Romanbiographie über Franziska zu Reventlow ist seit fast 20 Jahren im Buchhandel.

München leuchtet – so beschreibt es Thomas Mann in seiner Novelle »Gladius Dei«. Und so sehen es auch die Münchner. Kunst und Kultur, Bier und Fußball, sehen und gesehen werden, leben und leben lassen.

Wie jede Metropole wird auch München nicht nur von Bauwerken und Straßenzügen geprägt, sondern auch von den Menschen, die hier geboren und gestorben sind oder gelebt haben. In MERIAN porträts begleiten 20 Persönlichkeiten die Leser durch die Stadt.

So begegnen wir der glanzvollen Barock- und Rokoko-Epoche unter dem Kurfürsten Maximilian II. Emanuel von Bayern oder dem amerikanischen Grafen von Rumford, auf den der Englische Garten zurückgeht. Wir flanieren durch das italienisch anmutende Stadtbild König Ludwig I., der München geprägt hat wie kein Zweiter. Und wir verharren am Grab seines so tragisch geendeten Enkels König Ludwig II., der es, ähnlich wie der Münchner Franz Beckenbauer, zu weltweitem Ruhm gebracht hat.

Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Personen auszuwählen, vermutlich sogar unmöglich, schließlich wurde München von mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll unsere subjektive Auswahl das unverwechselbare Kaleidoskop München ergeben.

Wir erleben die Kunststadt mit den Malern Franz von Lenbach und Franz Marc, mit der Literatur von Thomas Mann, Frank Wedekind und Oskar Maria Graf, mit der Musik von Richard Strauss. Wir lernen das dunkle München kennen mit den Morden an Kurt Eisner und Sophie Scholl – und sein heiteres, wenn auch nicht unkompliziertes Innenleben mit Karl Valentin, Sigi Sommer und Gerhard Polt. Und wir lassen uns mit Franz Josef Strauß, Rainer Werner Fassbinder und August Everding von einem einzigartigen weißblauen Beziehungsgeflecht aus Kultur, Politik und Society faszinieren, mit einem »Kaiser« namens Franz …

AUF EINEN BLICK

Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne König Ludwig I., Karl Valentin und August Everding … wäre München nicht München.

ORIENTIERUNG

Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen ( D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.

MAXIMILIAN II. EMANUEL VON BAYERN

16621726

Das waren noch Zeiten, als die Männer ihren Frauen zur Geburt des ersten Sohnes ein Schloss schenkten. So geschehen bei der Geburt des Erbprinzen Max II. Emanuel, aus dem ein großer Kurfürst werden sollte.

Die Hoffnung des Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern, seine Gemahlin Henriette Adelaide von Savoyen möge einem gesunden Sohn und Stammhalter das Leben schenken, war in Erfüllung gegangen. Die Freude war groß, und auch mehrere Gelübde waren einzulösen. Aus Italien holte man den Theatinerorden nach München und stiftete ihm die Kirche St. Kajetan, heute Theatinerkirche 33 ( F 4) genannt, und ein Kloster. Die Kirche sollte nur einen Steinwurf entfernt, gegenüber der Residenz, errichtet werden, damals am äußersten Stadtrand Münchens, heute braucht es einige Fantasie, sich das vorzustellen.

Die junge Mutter erhielt die großzügig bemessenen Mittel zum Bau eines Schlosses, das nordwestlich von München errichtet werden sollte und welches jener so heiß ersehnte Sohn dann nach dem Tod des Vaters im Jahr 1679 erweiterte und schließlich selbst als Sommerresidenz nutzte: Schloss Nymphenburg. Italienischer Barock war passé, Schloss Nymphenburg wirkte dagegen fast streng und schnörkellos. Es lag weit außerhalb der Stadtgrenze, dort, wo die Luft rein war, nicht schwer vom Gestank des Pferdemists. Hier störte kein Getrappel der Hufe, man konnte sich ausruhen und erholen. Das ist heute noch so: Im Nymphenburger Park ist man in einer anderen Welt, weit weg von der tosenden Stadt, hier können sich Liebespaare im Flüsterton verständigen, die Alten spazieren auf den Sandwegen, durchs satte Grün im Sommer oder durch verschneite Traumlandschaften im Winter.

Der Sohn genoss die beste Erziehung und sah gut aus mit seinen feinen Gesichtszügen und den bis über die Schultern reichenden Locken. Sein Territorium umfasste die größeren Teile von Ober- und Niederbayern, der Oberpfalz und das Innviertel. Doch das Land war arm: Mehr als die Hälfte der Güter befand sich im Besitz von Kirchen und Klöstern, zwei Drittel der Menschen rackerten sich in der Landwirtschaft ab. Seinen zunehmend aufwendigen höfischen Haushalt konnte Max Emanuel bald nicht mehr über die Abgaben und Steuern seiner Untertanen finanzieren, er ließ immer häufiger das Volk ohne Bezahlung für sich arbeiten.

Max Emanuel hätte sich schon in jungen Jahren zur Ruhe setzen und ein Luxusleben am Hof genießen können, aber zuerst wollte er sich und der Welt etwas beweisen. Ganz Europa fühlte sich von den Türken bedroht, doch um gegen sie gerüstet zu sein, musste Max Emanuel sein Heer stärken. Was hieß: Mehr Soldaten mussten her. Und wie macht man das? Der Trick war schon damals kein Geheimnis und hieß: Sondersteuer.

ER BRACHTE DIE TÜRKEN NACH MÜNCHEN

Sichtbar zum Manne gereift, tapfer, stolz und herrlich, erwarb er sich den Ruf eines herausragenden Feldherrn. Die goldenen Tressen an der blauen Uniform glitzerten im Sonnenlicht. Die Lockenmähne, die wie sein Pferd kaum zu bändigen war, trug zum stolzen Bild des »Blauen Königs« bei (wie er von den Türken wegen der Farbe seiner Uniform genannt wurde), der in ganz Europa als Türkenbezwinger bekannt war. Der dankbare Kaiser ernannte ihn zum Generalissimus und Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. So jung, so erfolgreich, so heldenhaft! Aus dynastischen Überlegungen heiratete er in Wien die Kaisertochter Maria Antonia von Österreich, die schon sieben Jahre später, nach der Geburt ihres dritten Sohnes, Joseph Ferdinand, mit 23 Jahren starb. Seine zweite Ehe schloss er mit Therese Kunigunde von Polen, Tochter des Königs Jan III. Sobieski, der ebenfalls als großer Feldherr gegen die Türken und Retter Wiens in die Geschichte einging.

In den siegreichen Feldzügen zwischen 1683 und 1699 hatte das Heer des Kurfürsten aus Bayern viele türkische Gefangene gemacht, die vom Kurfürsten teilweise nach München geschickt wurden, um sie als Arbeiter beim Bau des Nymphenburger Kanals, des Gartenschlösschens Lustheim oder als Diener einzusetzen. In Adelskreisen war es inzwischen Mode, sich von Türken bedienen zu lassen. Die Missionierung der Türken betrieb man eifrig mithilfe von Dolmetschern, 1688 wurde in München eine eigene
Zunft der (türkischen) Sesselträger gegründet. Pech nur, dass, sobald der Kaiser in Karlowitz mit dem Sultan 1699 Frieden geschlossen hatte, die türkischen Gefangenen nach Hause zurückkehrten. In München war man plötzlich gezwungen, sich mit gerade mal 36 türkischen Sklaven zu begnügen. Der Bau des Kanals, der von der Residenz bis zum Schloss Schleißheim führen sollte, wurde dummerweise erst begonnen, als die Türken nicht mehr zur Verfügung standen. Der unvollendete Graben wurde zugeschüttet.

Heute befindet sich dort die Türkenstraße ( E 4–F 1), und wenn man etwa unkonventionelle Mode oder Delikatessen aus aller Welt sucht, wird man in dieser Straße mit ihren vielen kleinen Läden fündig. Schlendert man weiter, kommt man zur Kurfürstenstraße und zur Belgradstraße, die an die Eroberung Belgrads durch Max II. Emanuel im Jahr 1688 erinnert.

Aber nicht alle listig eingefädelten dynastischen Pläne des bayerischen Kurfürsten gingen auf. Sein ältester lebender Sohn Joseph Ferdinand, der Anspruch auf den Thron des spanischen Imperiums gehabt hätte, starb im Alter von sechs Jahren. Als der spanische König Karl II. dann im Jahr darauf starb, dachte Max Emanuel, dass er nun selbst als Alleinerbe in Frage käme. Doch sowohl der französische König als auch die Habsburger meldeten ihre Ansprüche an. Im dadurch ausgelösten Spanischen Erbfolgekrieg (17011714) schlug sich Max Emanuel auf die Seite der Franzosen und hatte wieder Pech. In der blutigen Entscheidungsschlacht bei Höchstädt an der Donau wurden die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Bayern von den alliierten Österreichern, Preußen und Engländern entscheidend geschlagen. Über den bayerischen Kurfürsten wurde die Reichsacht verhängt. Er floh über den Rhein und überließ in den darauf folgenden zehn Jahren seine Bayern schutzlos den Österreichern.

Die Residenzstadt München wurde dazu verdonnert, Besatzungssoldaten zu beherbergen, die Familie des Kurfürsten nahm man gefangen, die Bevölkerung wurde ausgebeutet. Ein idealer Nährboden für tragische Heldenlegenden wie die vom Schmied von Kochel, der, so heißt es, an der Spitze eines Haufens aufständischer Bauern in der Weihnachtsnacht 1705 nach München stürmte, um das bayerische Volk aus den Klauen der Österreicher zu befreien. Die Aufständischen wurden brutal niedergemetzelt.

Das Ereignis ging als »Sendlinger Mordweihnacht« in die Geschichte ein und bietet heute noch den historischen Hintergrund für farbenprächtige Gedenkfeiern und -gottesdienste. Ein Denkmal im Stadtteil Sendling zeugt von der angeblichen Großtat des Schmieds: ein uriges Mannsbild mit nacktem Oberkörper und Lederschurz, in der Rechten den Schmiedehammer, die Fahne des Aufstands um die Schultern gelegt.

DER FELDHERR WURDE EIN SCHÖNGEIST

Irgendwann wurde die Reichsacht aufgehoben und Max Emanuel kehrte zurück. In der Hoffnung, Glanz und Gloria Bayerns weiter zu mehren, verheiratete er seinen Sohn Karl Albrecht mit der Tochter Kaiser Joseph I., Maria Amalie, allerdings konnte er die Früchte dieses Heiratsmanövers nicht mehr ernten, weil er 1726 im Alter von 63 Jahren an einem Schlaganfall starb.

Was den Münchnern bis heute im Gedächtnis geblieben ist, ist nicht der Kriegsheld und Machtpolitiker, sondern der Schöngeist und Kunstsammler, der er auch war. Er kaufte über 100 Gemälde – allein zwölf vom niederländischen Großmeister Peter Paul Rubens, die den Grundstock für eines der wichtigsten Museen der Welt legten, die Alte Pinakothek 2 ( D 2).

Gegenüber dem Nobelhotel Bayerischer Hof steht auf dem Promenadeplatz die Statue des Kurfürsten Max Emanuel 21 ( E 5), 1861 geschaffen von Friedrich Brugger im Auftrag von Ludwig I., zwischen den Denkmälern der Komponisten Orlando di Lasso und Christoph Willibald Gluck. Der Sockel des Monuments von Orlando di Lasso ist aufs Liebevollste geschmückt mit Fotos, Bildchen, Liebesschwüren, Kitschpostkarten, auf den Stufen liegen Blumenkränze mit Plastikputten, Grablaternen, Stoffpüppchen und Kuscheltieren. »Dein für immer. Heide« steht da oder »We will always love you!« oder »Du Licht des Friedens – Kiki«. Die Erinnerungsaktion gilt nicht etwa dem bedeutendsten Komponisten der Hochrenaissance auf dem Sockel, sondern Michael Jackson, der 1998 seinen Sohn Prince Michael Junior ans Fenster seiner Suite hielt. Eine Inszenierung, die nicht nur die Herzen von Münchner Schwiegermüttern höher schlagen ließ.

ALTE PINAKOTHEK 2 D 2

Barer Straße 27, Maxvorstadt

www.pinakothek.de

Tram: Pinakotheken

MAX-EMANUEL-DENKMAL 21 E 5

Promenadeplatz, Altstadt

U- und S-Bahn: Marienplatz

SCHLOSS NYMPHENBURG

Nymphenburg

www.schloss-nymphenburg.de

Tram: Schloss Nymphenburg

SCHLOSS SCHLEISSHEIM

Max-Emanuel-Platz 1, Oberschleißheim

www.schloesser-schleissheim.de

S-Bahn: Oberschleißheim, Fahrzeit ca. 25 Min.

THEATINERKIRCHE 33 F 4

Theatinerstraße 22, Altstadt

www.theatinerkirche.de

U-Bahn: Odeonsplatz

BENJAMIN THOMPSON, GRAF VON RUMFORD

17531814

Ein cleverer Amerikaner kommt nach München, verwirklicht viele Reformideen, »erfindet« eine Suppe und wird geadelt. Dass er dann noch den Englischen Garten plant, macht ihn unsterblich.

Ein Bauernbub aus einem Dorf im heutigen Staat Massachusetts/USA sitzt in der Ecke und bastelt. Das macht er am liebsten. Er will wissen, wie die Dinge funktionieren, er konzentriert sich, probiert etwas aus, während die anderen draußen spielen. Es ist ein einsamer Bub, der Vater starb früh, den Stiefvater, auch die Halbgeschwister lehnt er ab, weil sie der Mutter Aufmerksamkeit entziehen. Der Junge sondert sich ab. Aus seinem Interesse für Mathematik, Naturwissenschaft und Technik wird eine Leidenschaft für das Konstruieren mechanischer Apparate. Seinen Wissensdurst beschreibt er als »unstillbar«, und nach einer gescheiterten Medizinerausbildung arbeitet er als Lehrer in der kleinen Stadt Rumford (heute Concord, New Hampshire).

Nur ein paar Jahre später stehen dem genialen Erfinder in Europa Tür und Tor offen. Er steht auf Du und Du mit Kaiser, König, Kurfürst, bekommt hohe Staatsämter angetragen. Geldsorgen wird er keine mehr haben – noch keine 30, und er ist mit einer Pension bis zum Ende seiner Tage ausgestattet.

Nur gemocht, heißt es, wird er nicht. Angefeindet und geschnitten, hinter vorgehaltener Hand oder ganz offen. Viel Feind – viel Ehr. Einer, der aus seinem Holz geschnitzt ist, hat keine Zeit, sich darum zu sorgen, ob er gemocht wird. Einer wie er konzentriert sich auf eines: seine Ziele im Auge zu behalten. Die Ziele werden im Lauf seines Lebens andere, und er wird immer alles daran setzen, sie selbst zu bestimmen. Ein bewegtes Leben, eine schillernde Persönlichkeit, eine amerikanische Karriere: vom Tellerwäscher zum Millionär.

Keiner ahnt, dass, kaum 200 Jahre später, sein Denkmal 26 ( H 3) im Park einer bayerischen Residenzstadt am Alpenrand von Joggern, Bikern und Skatern umrundet würde. Noch zu seinen Lebzeiten stellte man es dort auf, geschaffen nach Entwürfen des Bildhauers Franz Schwanthaler, dessen Sohn später die gewichtige Bavaria an der Theresienwiese entwerfen sollte. Kaum zu glauben, dass die nahezu naturbelassene Parklandschaft mitten in München – der Englische Garten – einem geadelten Münchner und Amerikaner aus Massachusetts zu verdanken ist.

Benjamin Thompson wusste schon in jungen Jahren, was er tat. Er heiratete mit 19 eine ältere, wohlhabende, gesellschaftlich vielversprechende Witwe, die alsbald ein Kind von ihm erwartete. Ein beliebter Weg zum Glück, wenn man etwas werden will. Seine Entscheidung, sich im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf die Seite der englischen Kolonialherren zu schlagen und nicht auf die der Rebellen, ließ ihn schnell Tuchfühlung mit den höchsten militärischen Kreisen aufnehmen. Sein Ehrgeiz machte auch nicht davor halt, sich als eine Art Spion zu beweisen und verräterische Berichte zu schreiben. Als ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, verabschiedete er sich von Weib und Kind, versilberte sein Vermögen und reiste an Bord eines britischen Kriegsschiffes in Richtung Großbritannien.

Wieder gehörte er schnell zur »upper class«, denn er hatte ein paar wertvolle, strategisch wichtige Depeschen in der Tasche, die er geschickt an die richtigen Stellen brachte. Der britische Kolonialminister bedankte sich mit einer Anstellung in seinem Amt. Thompson konnte sich auf sein taktisches Gespür verlassen. Dazu war er der Liebling der adeligen Damen, die sich an seinem rücksichtslosen, wachen Geist, vielleicht sogar am großspurigen Gehabe, seiner intellektuellen Arroganz und Egozentrik erfreuten.

SOZIALREFORM DURCH EINEN AMERIKANER

Drei Jahre später ist er Mitglied der Royal Society, der Königlich Britischen Akademie der Wissenschaften. Die Ergebnisse seiner Versuche verblüffen die interessierte Welt: Mit einem aufwendigen Experiment widerlegt er die Ansicht, dass feuchtes Schießpulver im Gewehr wirksamer sei als trockenes, »new Experiments upon Gunpowder«. Er entwickelt ein Kommunikationssystem für Schiffe, einen Code für Marinesignale. Der Amerikaner gehört mit 27 Jahren zur wissenschaftlichen und politischen Elite Englands. Jetzt kann er sich einiges davon versprechen, seine Fähigkeiten in den Dienst des Kaisers in Wien zu stellen. Er reist auf den Kontinent.

Schon am Tag seiner Ankunft erregt er Aufmerksamkeit: In Straßburg fällt er dem Garnisonskommandanten Maximilian I. Joseph auf, der – Glück für Thompson – im Jahr 1799 Herzog von Bayern wird. Auf dem Weg nach Wien macht er halt in München. Hier empfängt ihn der Kurfürst Karl Theodor und bietet ihm sofort eine gut bezahlte Stellung an. Der Amerikaner ist geschmeichelt, behält jedoch sein eigentliches Ziel im Auge: Wien. Wieder steht eine Entscheidung an, und Thompson tut das Richtige. Er beschließt, dem »kriegerischen Wahnsinn« gegen die Türken den Rücken zu kehren und in Zukunft nicht mehr der Vernichtung von Menschen zu dienen. Mit neuen Plänen kehrt er in ein durch Kriege ausgezehrtes Bayern zurück.

In den folgenden vier Jahren in München hatte er Zeit und Muße, sich umzusehen. Er wohnte in der Schwabinger Landstraße, der heutigen Theatinerstraße ( F 4/5)