Cover

Bettina Winterfeld

SAN FRANCISCO

Eine Stadt in Biographien

TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH

Herausgegeben von Norbert Lewandowski

INHALTSVERZEICHNIS

IMPRESSUM

Liebe Leserinnen und Leser,

vielen Dank, dass Sie sich für einen Titel aus unserer Reihe MERIAN porträts entschieden haben. Wir freuen uns, Ihre Meinung zu diesem Buch zu erfahren. Bitte schreiben Sie uns an merian-portraets@travel-house-media.de.

 

© 2013 TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH, München

MERIAN ist eine eingetragene Marke der GANSKE VERLAGSGRUPPE.

 

ISBN 978-3-8342-1618-2

1. Auflage

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

 

TRAVEL HOUSE MEDIA

Postfach 86 03 66

81630 München

www.merian.de

PROGRAMMLEITUNG

Dr. Stefan Rieß

PROJEKTLEITUNG

Susanne Kronester

REDAKTION

Anne-Katrin Scheiter

BILDREDAKTION

Lisa Grau

SCHLUSSREDAKTION

Gisela Wunderskirchne

REIHENGESTALTUNG

independent Medien-Design, Horst Moser, München

SATZ

Ewald Tange, tangemedia, München

REDAKTION E-BOOK

Juliane Helf, Katrin Uplegger

PRODUKTION E-BOOK

pagina GmbH, Tübingen

 

ABBILDUNGSNACHWEIS

Auf einen Blick (v.l.n.r.): akg-images: Universal Images Group, www.bridgemanart.com, Shutterstock: A. Solodov, ddp images

Orientierung: Gecko Publishing GmbH

 

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THM 8-1618 04_2017_02

ISBN 978-3-8342-1618-2

DIE AUTORIN

Bettina Winterfeld schreibt Reportagen für renommierte Blätter wie »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Süddeutsche Zeitung« und die »Vogue«. Sie hat Bücher über Bali, Marokko, Burma, Portugal, Südengland und Österreich verfasst und lehrt als Dozentin Biographisches Schreiben. Ihre Leidenschaft für San Francisco entdeckte sie während ihres Amerikanistik-Studiums. Sie bereist Kalifornien regelmäßig und fand die biographische Spurensuche in der Stadt am Pazifik und der San Francisco Bay besonders inspirierend.

»If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair«, sang Scott McKenzie. Flowerpower, sanfte Musik und sonnige Toleranz scheinen noch heute die gefühlten Ingredienzen dieser Stadt zu sein.

Auch – oder gerade – die schönsten Städte der Welt werden nicht nur von ihren Bauwerken und Straßenzügen geprägt, sondern von den Menschen, die in der Stadt geboren wurden, hier gestorben sind oder entscheidende Jahre verbracht haben. MERIAN porträts beschreibt 20 dieser Menschen und lässt sie die Leser wie Reiseführer durch die Historie und Gegenwart begleiten. Sie führen direkt ins Innenleben der Metropole.

Wir wandeln auf den Spuren der spanischen Franziskanermönche, die San Francisco den Namen gaben, begegnen einem gewissen Levi Strauss aus dem Frankenland, der in Kalifornien die Jeans erfunden hat, treffen auf die unerschrockene liebeswert-verrückte Lillie Hitchcock Coit, die der Feuerwehr von San Francisco ihr Leben gewidmet hat, lassen uns faszinieren von den publizistischen Raub- und Kriegszügen des großen Verlegers William R. Hearst. Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Persönlichkeiten auszuwählen, vermutlich ist es sogar unmöglich. Schließlich wurde San Francisco von weit mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll diese subjektive Auswahl jenes unverwechselbare Kaleidoskop ergeben – das Faszinosum San Francisco.

Wir begegnen den Schriftstellern Jack London, John Steinbeck und Allen Ginsberg, bewundern die Leistungen eines Robert Stroud, Steve Jobs, George Lucas, schlendern mit Clint Eastwood und Amy Tan durch die Stadt, joggen mit Jack LaLanne, wiegen uns zu der Musik von Janis Joplin und Carlos Santana. Die weißen Schwaden, die dann aufsteigen, stammen nicht von Joints. Es ist vielmehr der berühmte Nebel von San Francisco, der die Stadt und manche Wirklichkeit gnädig in Watte packt …

AUF EINEN BLICK

Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne Jack London, Janis Joplin und Harvey Milk … wäre San Francisco nicht San Francisco.

ORIENTIERUNG

Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen ( D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.

JUNÍPERO SERRA

17131784

Er kam von der Insel Mallorca in die Neue Welt und gründete San Francisco – eine Missionskirche des Franziskanerordens. Und ganz nebenbei schenkte der spanische Pater Kalifornien den Wein.

Mythos Kalifornien. Glitzerndes, verführerisch schäumendes Land zwischen Pazifik und Wüste. Blauer Himmel, goldene Strände. Ein Paradies für Glückssucher und Goldgräber, Blumenkinder und Beatniks unter einer ewig scheinenden Sonne. Der Golden State ist von Anfang an ein Versprechen – »a state of mind«. Der klangvolle Name spukt schon in den Köpfen herum, bevor es den Staat überhaupt gibt. Anfang des 16. Jahrhunderts veröffentlicht der spanische Schriftsteller Garci Rodríguez de Montalvo eine utopische Schrift mit dem Titel »Las Sergas de Esplandián«. Darin entwirft er ein sagenhaftes Inselparadies, in dem schwarze Amazonen goldene Schwerter schwingen. Diese mythische Insel nennt Montalvo Kalifornien.

Die Vorstellung, dass es hier irgendwo eine Unmenge Gold gibt, mit dem man königliches Geschmeide und Weltreiche schmieden kann, beflügelt die Fantasie der Spanier und lässt sie nicht mehr los. Die spanische Krone beginnt, von ihren neuen Kolonien in Süd- und Mittelamerika aus auch den nordamerikanischen Kontinent zu besetzen. Ihre Expeditionscorps sind auf der Suche nach sieben legendären Goldstätten, die sie in der Gegend des heutigen Arizonas und New Mexico vermuten.

1542 geht als erster europäischer Kalifornien-Reisender der portugiesische Seefahrer Juan Rodríguez Cabrillo vor dem heutigen San Diego vor Anker. Doch es wird noch zwei Jahrhunderte dauern, bis die Spanier dauerhaft in Kalifornien Fuß fassen. Die vom Meer aus uneinsehbare Bucht von San Francisco, gut 1000 Kilometer nördlich von San Diego gelegen, formt einen der größten Naturhäfen der Welt. Ein idealer Ort, um vor den Stürmen des Pazifiks und feindlichen Angriffen Schutz zu finden und einen gut gesicherten Militär- und Handelsstützpunkt einzurichten. Trotzdem wird San Francisco nicht vom Meer aus, sondern auf dem Landweg besiedelt. Nicht nur Cabrillo, sondern auch der britische Seefahrer Francis Drake segelt 1579 achtlos an der versteckten Hafeneinfahrt vorbei. Vermutlich herrscht mal wieder der berühmte Nebel, der die Bucht von San Francisco wie in Watte einpackt. Zwar reklamiert Drake nach seiner Stippvisite ein paar Meilen nördlich vom späteren San Francisco das Land für die britische Krone, doch das bleibt folgenlos.

Erst 1769 blickt ein spanisches Expeditionscorps unter Gaspar de Portolà erstmals von einem der Hügel direkt auf die San Francisco Bay herunter. Der spanische Kapitän Juan Manuel de Ayala segelt mit seinem Schiff »San Carlos« als Erster durch das Golden Gate in der Bay von San Francisco. Sieben Jahre später, am 17. September 1776, trifft dort der spanische Franziskanerpater Junípero Serra ein und eröffnet unter kalifornischer Sonne die Missionsstation Dolores.

Junípero Serra, der »Heilige von San Francisco«, wird am 24. November 1713 als drittes Kind einer Bauernfamilie auf der Mittelmeerinsel Mallorca geboren. Er wächst in der Ortschaft Petra auf und entscheidet sich mit 15 Jahren für ein Leben im Franziskanerorden. Acht Jahre später wird er zum Ordinarius der Universität von Palma de Mallorca ernannt und beginnt, seine Glaubensbrüder in Philosophie und Theologie zu unterrichten.

DER MISSIONSFELDZUG BEGINNT IN MEXIKO

Junípero Serra ist bereits 37 Jahre alt, als ihn die spanische Krone in ihre neue Überseekolonie schickt, um die mexikanischen Indios zu missionieren. Wenig Persönliches ist zu Serra überliefert, in alten Schiffspapieren ist lediglich vermerkt, dass er mittelgroß ist, dunkelhaarig, mit braunen Augen, dunklem Teint und spärlichem Bart. 1750 trifft Serra in Mexico City ein, wo er fast zwei Jahrzehnte lebt und Tausende von Indios so zum katholischen Glauben bekehrt, wie eben die europäischen Eroberer zu bekehren pflegen. Manchmal wird das Kreuz mit dem Schwert verwechselt.

Als die Spanier beginnen, von Mexiko aus nach Norden vorzurücken, schließt sich Pater Junípero Serra der Expedition von Gaspar de Portolà an. Am 16. Juli 1769 eröffnet er in San Diego die erste Missionsstation auf kalifornischem Boden. Mit weit ausholender Geste setzt Serra seine krakelige, mit einer schwungvollen Arabeske endende Unterschrift auf das Gründungsdokument.

Von dort aus arbeiten sich die spanischen Missionare in Begleitung eines militärischen Trosses Meile für Meile weiter nordwärts. Am 30. November setzt sich eine Vorhut aus 16 Soldaten und Serras Schriftführer Palóu von der Missionsstation Monterey aus in Bewegung.

Das Expeditionscorps hat Proviant für 40 Tage bei sich und erreicht am 4. Dezember die Westküste von San Francisco. Auf dem höchsten Punkt eines Hügels, im heutigen Mission District, rammt Palóu das Kreuz Christi in den Boden. Und 1776 beginnt der Bau der Missionskirche. Weitere Missionsstationen entstehen rund um die Bay von San Francisco. Zwischen 1769 und 1823 bauen die Franziskanermönche eine Mission nach der anderen. Am Ende reihen sich 21 weiß gekalkte Kirchen wie eine Perlenkette von Norden nach Süden. Noch heute folgen die Freeways den Trails, die damals Pater Junípero Serra benutzt hat. Der Camino Real, der Königsweg, erinnert an die Pfade der Padres.

Zu Serras Zeit leben in Kalifornien über 300000 Indianer. Am Nordufer des Golden Gate haben sich gut 3000 Angehörige der Miwok niedergelassen, an seinem Südufer etwa 10000 Angehörige der Ohlone. Im Gegensatz zu anderen Regionen leben die kalifornischen Indianerstämme friedlich nebeneinander. Sie jagen Wild und sammeln Eicheln und Muscheln. Erst durch die Spanier lernen sie Ackerbau und Viehzucht kennen. Serra hat aus Mexiko Obst, Getreide, Rinder und Schafe mitgebracht und bringt ihnen bei, wie sie Plantagen anlegen und Tiere züchten können.

Junípero Serra verbringt den Rest seines Lebens in Kalifornien. »Hier in Kalifornien ist mein Leben, und hier, so Gott will, möchte ich sterben«, schreibt er an seinen Neffen in Spanien. Er überwacht acht der insgesamt 21 spanischen Missionsstationen und tauft allein in San Francisco an die 6000 Indianer. Sein Hauptquartier ist die Mission von Carmel, die zweitälteste Kirche des kalifornischen Franziskanerordens, südlich von San Francisco. Hier, in der San Carlos Borromeo Mission, findet er nach seinem Tod im Jahr 1784 auch die letzte Ruhestätte.

Über Serras Rolle bei der Missionierung der Indianer gehen die Meinungen weit auseinander. Einige Historiker halten den Franziskanerpater für einen moderaten Missionar, der die Rechte der Indianer respektierte. Demgegenüber betonen die Indianer, Serras Missionsarbeit habe dazu beigetragen, die Kultur der Ureinwohner zu zerstören. Eines steht jedenfalls fest: Auch wenn der Pater mit den besten Absichten gekommen ist, so hat er seine bekehrten Schäfchen nicht vor den Folgen der Besetzung schützen können. Für die Indianer wirkt sich die spanische Okkupation verheerend aus. Die Europäer zerstören nicht nur ihre Kultur, Religion und Traditionen. Sie bringen auch Krankheiten wie Masern ins Land; dagegen hat die Urbevölkerung keine Abwehrkräfte. Die Sterblichkeitsrate steigt innerhalb weniger Jahre auf fast 40 Prozent. Insgesamt halbiert sich die indianische Bevölkerung während der spanischen Okkupation nahezu von 320000 auf 170000.

Vier Jahrzehnte nach Serras Tod 1824 revoltieren die Indianer gegen die Missionen. Kurz zuvor hat sich Mexiko, zu dem Kalifornien damals gehört, von Spanien unabhängig gemacht. 1846 schließen die »Californos«, die hier Geborenen, mit den neuen Siedlern aus dem Westen zusammen, um gegen die mexikanische Herrschaft zu kämpfen. 1835 baut sich der Engländer William Anthony Richard zwei Meilen nördlich der Missionsstation von San Francisco am Strand von Yerba Buena Cove eine Hütte aus Redwoodstämmen, die er mit dem Vorsegel eines Schiffes deckt. Die Engländer erkennen, dass die San Francisco Bay einen perfekten Handelsplatz abgibt und versuchen erfolglos, der mexikanischen Regierung das Land abzukaufen. Ein Zeitgenosse notiert: »Falls Kalifornien jemals ein prosperierendes Land wird, ist diese Bucht ihr Zentrum.«

Am 24. Januar 1848 macht eine sensationelle Entdeckung die Runde. Am American River nordöstlich von Sacramento ist Gold gefunden worden, der Traum vom glitzernden Reichtum scheint sich endlich zu erfüllen. Der Goldrausch lockt Zigtausende. Die Einwohnerzahl explodiert: Zwischen Januar 1848 und Dezember 1849 wächst San Francisco von 1000 auf 25000 Einwohner. Kalifornien wird weltweit als Golden State bekannt.

FATALE FOLGEN FÜR DIE INDIANER

Nur für die Indianer sind die Aussichten alles andere als golden. Sie sind die Leidtragenden, ihr Territorium wird durch den Zustrom der Siedler weiter eingeschränkt. Da das Land der Allgemeinheit gehört, kann sich jeder Neuankömmling nach Belieben ein Stück Boden abstecken. So versetzt der Goldrausch der indianischen Kultur den zweiten vernichtenden Schlag. San Francisco wird zur rasch wachsenden Boomtown, in den Goldgräber-Camps gelangen Abenteurer über Nacht zu unglaublichem Reichtum. Im Modoc War von 1872 wehren sich die kalifornischen Indianer zum letzten Mal erfolglos gegen die Weißen.

Die von Serra gebaute Kapelle Mission Dolores bildet heute das Zentrum des größtenteils von Mexikanern bewohnten Mission Districts. Überragt von einer großen Basilika, die erst 1918 fertiggestellt wurde, ist sie im hispanischen Adobe-Baustil errichtet und mit Kalk verputzt. Das gedrungene Bauwerk hat bis zu 1,20 Meter dicke Mauern und duckt sich unter einem Dach, das an alpenländische Häuser erinnert. Wie durch ein Wunder hat die Kirche vier Erdbeben überstanden, sogar das große von 1906.

Dem ältesten Bauwerk von San Francisco, in dem heute noch Messen zelebriert, Hochzeiten gefeiert und Kinder getauft werden, ist ein kleines Museum angeschlossen. Auf dem Friedhof liegen neben Pionieren der spanischen Ära etwa 5000 Indianer begraben. Das Anwesen ist weltberühmt, schließlich drehte hier Alfred Hitchcock 1957 Szenen seines Psychothrillers »Vertigo – Aus dem Reich der Toten«. Unweit von Kirche und Friedhof liegt der Mission Dolores Park, der an schönen Tagen einen überwältigenden Blick auf die Stadt bietet. Die »Hispanos« des Viertels verbringen hier ihre Freizeit bei Icecream, Tacos, Burger, Bier, Coke oder einem Joint; manche packen ihr Picknick aus und öffnen eine Flasche Wein aus dem Napa Valley oder Sonoma County. Die wenigsten wissen, wem sie das zu verdanken haben: Junípero Serra hat den kalifornischen Weinbau begründet, weil er dringend Nachschub an Messwein brauchte …

An den Pater erinnert eine Statue im östlichen Teil des Golden Gate Parks. Dort steht er mit wehender Kutte, in der Rechten das Kreuz, die Linke zum Gruß erhoben – oder in Erwartung eines vollen Bechers?

MISSION DOLORES

300 Dolores Street, Mission District

www.missiondolores.org

Straßenbahn: Church St & 16th St

MISSION DOLORES PARK

566 Dolores Street, Mission District

Straßenbahn: Church St & 18th St

LEVI STRAUSS

18291902

Er kam aus einem Dorf in Franken nach Amerika. Der Goldrausch trieb ihn nach San Francisco. Und er fand tatsächlich Gold: Es war blau und hatte Kupfernieten – die Blue Jeans. Eine Legende begann …

Was für eine Frau! Haare wie ein Wasserfall, Kurven an den richtigen Stellen. Dieses begehrenswerte Geschöpf aus der benachbarten Traumfabrik Hollywood hätte sicher auch dem aus Bayern nach San Francisco eingewanderten Junggesellen gefallen. Die Dame trägt ein glitzerndes Bolerojäckchen, ihre Hüften stecken in fabrikneuen Blue Jeans – aber was um Himmelswillen ist das? Knapp über ihrem Knie prangt ein notdürftig geflicktes Loch! Levi Strauss würde sich vermutlich gleich mehrmals im Grab umdrehen, wenn er gesehen hätte, dass ein Weltstar wie Angelina Jolie zu einem offiziellen Termin in einer durchgescheuerten Denim posiert. Nagelneue Hosen mit Löchern zu verkaufen – das wäre ihm nicht im Traum eingefallen!

Gönnen wir dem alten Löb seinen ewigen Frieden auf dem Friedhof Hills of Eternity in Colma südlich von San Francisco, behelligen wir ihn nicht mit dem »Shabby Chic« des 21. Jahrhunderts. Ihn, der so stolz darauf war, dass seine »Waist Overalls«, wie sie damals heißen, einst die strapazierfähigsten Beinkleider weit und breit waren. So unverwüstlich, dass sie selbst ein Cowboy, der täglich zehn Stunden täglich im Sattel verbringt, nicht kleinkriegt. Damals, als der Westen noch wild war, als Frauen noch Röcke trugen und nur Männer die Hosen anhatten.

Die Hosen müssen vor allem eines sein: praktisch und robust. Sie haben eine Menge auszuhalten. Auf Knien rutschen die Goldgräber über Stock und Stein. Stundenlang hocken sie an den Ufern der Flüsse im Schlamm und schütteln erwartungsvoll ihre Siebe. Es ist die Zeit des Goldrauschs, und alle strömen sie an die kalifornische Westküste. San Francisco ist noch ein armseliges Kaff, doch das wird sich bald ändern. Unter den Pionieren ist auch der deutsch-jüdische Immigrant Löb Strauss, der seinen Vornamen in Levi ändert. Auch er ist nach San Francisco gekommen, um hier sein Glück zu finden. Allerdings sucht Levi Strauss kein Gold, sondern gute Geschäfte. Und die macht er dann auch. Bis zum heutigen Tag.

Die Erfolgsgeschichte seiner blauen Hosen reicht zurück in den kleinen fränkischen Fachwerkort Buttenheim bei Bamberg. Im 19. Jahrhundert wohnt dort die jüdische Familie Strauss. Vater Hirsch zieht als Hausierer von Dorf zu Dorf und bietet seine Waren an deren Haustüren an. In seinem Bauchladen verkauft er alles, was in kinderreichen Haushalten gebraucht wird, um die abgetragenen Jacken, Hosen und Röcke auszubessern, die von den älteren Geschwistern an die Jüngeren weitergegeben werden: Nadel und Faden, Knöpfe, Ösen, Bänder, Schnüre, Stoffe. Hirschs Einkommen reicht gerade aus, um seine achtköpfige Familie zu ernähren. Um bessere Verdienstmöglichkeiten zu finden, wandern seine beiden älteren Söhne aus erster Ehe, Jonathan und Lippmann, nach Amerika aus. Dort ändern sie ihre Vornamen in Jonas und Louis um und eröffnen in New York einen Tuchladen.

GO WEST – DAMIT BEGANN ALLES

Als Hirsch Strauss 1846 an Tuberkulose stirbt, folgen auch die jüngeren Kinder, Löb und Fanny mit ihrer Mutter Rebecca nach. Fanny heiratet den New Yorker Juden David Stern und zieht mit ihm an die Westküste, wo die erste Goldader entdeckt worden ist und Abenteurer und Arbeitssuchende anlockt. Auch Löb, der inzwischen US-Staatsbürger geworden ist, zieht 1853 nach San Francisco. Bei seinen Brüdern in New York hat er gelernt, wie der Textilhandel funktioniert. Er eröffnet in San Francisco eine Niederlassung ihres New Yorker Handelshauses und versorgt von dort aus die Westküste mit Waren. Im Sortiment ist alles, was die Minenarbeiter, Holzfäller, Eisenbahnangestellten, Cowboys und andere hart arbeitende Männer für ihren Alltag brauchen: von der Zahnbürste über Unterwäsche, Handtücher, Regenschirme, Hosenträger und Knöpfe bis zur Ausgehkleidung.

Sein erstes Geschäft eröffnet er unter dem schlichten Namen »Levi Strauss« in der Sacramento Street ( J 5). Der Laden liegt nah am Hafen, wo die Schiffe mit den Tüchern aus New York eintreffen. Mit ihnen kommen auch immer mehr Menschen nach Kalifornien. Die meisten sind jüngere Männer, die darauf hoffen, in den Minen oder beim Ausbau der Eisenbahn Arbeit zu finden. Das Geschäft von Strauss läuft gut. 1856 vergrößert er sein Handelshaus und nimmt als Teilhaber seinen Schwager David Stern mit in den Betrieb auf. Unter dem Firmennamen »Levi Strauss & Co.« zieht das Handelshaus in die 1416 Battery Street ( J 5) um. Mit Mitte 30 ist der gebürtige Franke mit dem buschigen Backenbart bereits ein wohlhabender, in der ganzen Stadt respektierter und anerkannter Selfmademan. Trotz seines Erfolgs ist er ein umgänglicher Chef, der sich von seinen Angestellten mit Levi anreden lässt. Er engagiert sich im jüdischen Kulturleben und unterstützt die jüdische Gemeinde beim Bau ihrer ersten Synagoge Emanu-El 26 ( C 5). Der Nachfolgerbau wird 1925 im Stil der Hagia Sophia errichtet. Obwohl die Kuppel des Tempels nur 46 Meter hoch ist, ergänzt sie die Skyline von San Francisco geradezu perfekt.

San Franciscos Bevölkerung wächst rasch, seine Infrastruktur wird ausgebaut. Die Brüder Strauss verschicken ihre Tuchballen an Schneidereien im gesamten Westen Amerikas. Denn überall wird jetzt gebuddelt, geschürft, gebaut.

Auch Jacob W. Davis68