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Andrea Camilleri
König Zosimo

Roman

Aus dem Sizilianischen und Italienischen von Moshe Kahn

Verlag Klaus Wagenbach    Berlin

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel Il re di Girgenti bei Sellerio editore in Palermo. Für die deutsche Ausgabe wurde in Absprache mit dem Autor der Titel König Zosimo gewählt.

E-Book-Ausgabe 2014

© 2001 Sellerio editore, Palermo

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978 3 8031 4171 2

VOM GLEICHEN AUTOR

Der unschickliche AntragRoman

Ein höchst komischer Roman aus Sizilien über die Wirren, Intrigen, Verhaftungen, Morde und Liebesdramen, die ein einfacher Antrag auf ein Telephon auslöst.

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.

Quartbuch. Gebunden. 280 Seiten. Auch als E-Book erhältlich

Der vertauschte SohnRoman

Auf verblüffende Weise verknüpft Camilleri zwei Leben ineinander – sein eigenes und das Pirandellos.

»Ein Schriftsteller, der seine Leser verzaubert.« Giuseppe Conte, Il Giornale

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.

Quartbuch. Gebunden. 304 Seiten. Auch als E-Book erhältlich

Die Mühlen des HerrnRoman

In Camilleris berühmt-berüchtigtem Sizilien wird, um die Staatskasse zu betrügen, sogar über Nacht eine ganze Mühle abgebaut.

Ein eifriger Inspekteur, eine schöne Witwe, ein sündiger Pfarrer und natürlich ein gerissener Mafioso: jeder will etwas anderes, keiner entkommt den Mühlen des Herrn.

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.

Quartbuch. Gebunden. 224 Seiten. Auch als E-Book erhältlich

Die Ermittlungen des Commissario Collura

Acht Kriminalgeschichten

Commissario Cecé Collura muss als Bordkommissar die wunderlichsten Fälle lösen. Ein sehr vergnügliches Buch über seltsame Gäste auf einem großen Schiff.

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.

WAT 476. Broschiert. 96 Seiten. Auch als E-Book erhältlich

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Verlag Klaus Wagenbach    Emser Straße 40/41    10719 Berlin

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Ein vergnüglicher Roman über den Bauern Zosimo, der im Jahre 1718 in Agrigent nach dem Willen des sizilianischen Volkes zum König gekrönt wird. Komisch, fantasievoll, verschroben, deftig, spannend wie nur Camilleri erzählen kann.

Alle schlitzohrigen Typen aus Montelusa, die wir aus Camilleris schönsten historischen Romanen Der unschickliche Antrag oder Die Mühlen des Herrn kennen, treten hier in prächtiger Gestalt auf: der korrupte Advokat und Priester, der Unannehmlichkeiten scheuende Polizeibeamte, der Diener, der die Wahrheit kennt, dem sie aber ausgeredet werden muss. Hinzu kommen ein spanischer Herzog – der Roman spielt im 18. Jahrhundert, Sizilien stand unter spanischer Krone – und natürlich das sizilianische Volk, das sich die soziale Gerechtigkeit, die ihm die Herrschenden verwehren, mit höchst eigenwilligen Mitteln erwirbt.

»Nach Vollendung der Lektüre bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als es dem Herzog gleichzutun: sich vor Zosimo bis zum Boden zu verneigen.«

Vittorio Coletti, L’Indice.

INHALT

ERSTER TEIL

Wie Zosimo gezeugt wurde

Intermezzo

ZWEITER TEIL

Mitteilungen über Zosimos
Kindheit und Jugend

DRITTER TEIL

Was in den folgenden
Jahren geschah

VIERTER TEIL

Wie Zosimo König wurde

FÜNFTER TEIL

Wie Zosimo starb

Anmerkung des Autors

ERSTER TEIL

Wie Zosimo
gezeugt wurde

ERSTES KAPITEL

Jetzt endlich erging es den Zosimos gut. Doch vor sechzehn Jahren, als sie frisch vermählet waren, mußten Gisuè und Filònia quälenden Hunger ertragen, Hunger von der Art, der einen gar noch den schwarzen Rauch aus der Öllampe einatmen und herunterschlucken läßt. Sie waren Kinder und Kindeskinder von Taglöhnern, und Taglöhner waren auch sie selber, Landarbeiter, die, je nach Jahreszeiten, zusammenkamen und von Lehen zu Lehen zogen, immer auf der Suche nach Arbeit, wie die Erntezeiten es erforderten, und hatten sie Arbeit gefunden, konnten sie sich des Glücks erfreuen, einige Wochen lang etwas zu beißen zu haben, zum Beispiel einen Kanten Brot mit was drauf, und das konnte ein Stück Käse sein oder eine Sardelle oder eine Caponata aus Auberginen. Des Sommers schliefen sie bei Nacht im Freien unterm gestirnten Himmel; winters schliefen sie zu viert oder fünft in einem Strohschober und wärmten sich mit ihrem Atem.

Eines Morgens, als die Ernteschar aus an die dreißig Menschen, Männer und Frauen, Alte und Kinder, vom Lehnsgut Trasatta zum Lehnsgut Tumminello aufbrach, hatten Gisuè und Filònia von weitem eine Stimme vernommen, die näher kam und sich wieder entfernte, je nachdem wie der Wind sich drehte. Ihnen war, als wäre es die Stimme eine Sterbenden. Und sie rief:

»Bei den heiligen Seelen im Fegfeuer, errettet mich! Hört doch! Zu Hilfe, ihr Leute! Im Namen Gottes, ziehet mich doch hier heraus!«

Gisuè sagte zu Filònia, die sich angesichts dieser klagenden Stimme sehr erschreckt hatte, weil sie ihr von einem Geiste oder von einer verdammten Seele zu kommen schien, sie solle wieder zur Gruppe gehen, die weiter vorausgegangen war, ohne etwas gehört zu haben, doch sie dürfe niemandem etwas sagen. So eilte er zu der Stelle, von welcher der immer verzweifelter werdende Ruf gekommen war. Er erreichte den oberen Rand der Schlucht des Flusses Pirrera, der nur dann zum Flusse wurde, wenn’s ihm in den Kram paßte, das übrige Jahr aber blieb er nur ein Spalt, eine Narbe in der Erdkruste, und Gisuè sah auf halber Höhe, ungefähr fünfzehn Meter weiter unten, einen Mann, der seinen Sturz in die Tiefe abzuwenden gewußt, weil er sich an einem Strauch festhielt, einem wilden Salbeibusche, wohingegen sein Pferd sich die Knochen dreißig Meter weiter unten, auf dem Erzgestein und den spitzigen weißlichen Gesteinsbrocken, die das Bett des Flusses bildeten, zerschmettert hatte. Eilig band Gisuè die geschliffene Machete ab, die er um die Hüfte gebunden trug, mit kräftigen Schlägen schnitt er einen Olivenzweig herunter und machte daraus einen widerstandsfähigen Stab. Er steckte die Machete wieder in den Gürtel, zog das Wams aus, warf es zu Boden und begann den schwierigen und äußerst gefährlichen Abstieg. Hätte er auch nur einen Fuß ins Leere gesetzt, hätte nachher niemand mehr das Fleisch dieses Christenmenschen von dem des Pferdes zu unterscheiden vermocht. Er brauchte eine gute halbe Stunde, bis er auf gleicher Höhe mit dem Manne war, der sich an den Strauch geklammert und das gesamte Körpergewicht auf die linke Fußspitze verlagert hatte, welche in einer hervorspringenden Wurzel steckte. Der Unglückselige schien nach so viel Geschrei die Sprache verloren zu haben. Seinen Erretter blickte er mit den Augen eines verwaisten Lämmleins an.

Er war ein sehr wohlhabender Herr, gekleidet in feines Tuch mit Goldstickereien, in Stiefeln aus Ziegenleder, die so viel gekostet haben mußten, wie Gisuè in seinem ganzen miserablen Leben nicht verdienen würde, er trug große goldene Ringe mit Edelsteinen an sämtlichen Fingern beider Hände, eine Kette aus purem Golde am Hals mit einem riesigen glitzernden Anhänger an der Brust. Heilige Jungfrau! Gisuè verschlug es die Sprache. Das war kein Mann aus Fleisch und Blut, sondern eine Schatzmine, ein richtiger Fund, der ihn all seine ihm noch verbleibenden Jahre aushalten und seiner Familie und allen noch zu zeugenden Kindern ein Auskommen sichern würde! Heiliger Strohsack, was für ein Schatz war ihm da zugefallen! Jetzt endlich würde er reich werden!

»Rettet mich!« sagte der Mann mit hauchdünner Stimme.

»Darauf kannst du bauen«, dachte Gisuè.

Doch sagte er nichts, er dachte nach, hier mußte das Für und das Wider abgewogen werden. Was war die sicherste Art? Ihn an Ort und Stelle umzubringen, wäre möglicherweise ein Fehler, es mangelte an Platz, um das zu tun; würde er ihn mit der Machete erschlagen, wäre der wohl imstande, den Halt zu verlieren, ohne daß er, Gisuè, Gelegenheit hätte, ihn im Fall noch zu packen, und der Mann würde hinabstürzen und neben dem Pferd aufschlagen, und dann wäre es auch noch möglich, daß er im Sturz die Goldkette verlor oder sich die Kleidung zerfetzte. Und dann gute Nacht, schöner Reichtum! Es blieb also nur, sich mit Kraft und Geduld zu wappnen, den Mann in Sicherheit zu bringen und ihn, alsobald man vom Abgrund entfernt war, mit einem Machetenschlage abzumurksen. Doch Gisuè wußte nicht, wo er eigentlich anfangen sollte, der Mann schien ja nicht mehr in der Lage zu sein, sich zu rühren oder auch nur, ihn zu hören. Und wenn der, zugerichtet wie er war, eine falsche Bewegung mit dem Fuße machte und sie beide abstürzten und dem Pferde Gesellschaft leisteten? Nein, nein: das einzige, was in Frage kam, war etwas an Ort und Stelle. Gisuè hielt sich an einem andern Strauche fest, ließ sich ein kleines Stückchen weiter hinab und grub, als er in Höhe der Stiefel des Mannes war, mit einer Hand ein Loch, damit der Mann einen Fuß da hineinstellen konnte, und zwar den rechten, welcher sich hinter dem anderen Bein verschränkt hatte. Der Mann mußte sich allerdings ganz auf der linken Fußspitze drehen und sein Gesicht zur Wand kehren. Aber es wollte nicht gelingen, der Mann war zur Marmorstatue erstarrt, er bewegte sich keinen Zentillimeter nicht. Da packte Gisuè den Fuß gewaltsam auf halber Höhe, um ihn in das Loch zu stecken.

»Nein! Nein!« sagte der Mann verzweifelt, preßte die Schenkel aneinander und stieß einen Weiberschrei aus, der Gisuè vorkam wie der von Filònia, als er sie damals entjungferte. Endlich entschloß er sich, den verdammten Fuß in das Loch zu stecken, er bekam Halt und konnte das Körpergewicht besser ausgleichen. Jetzt mußte Gisuè nur die richtige Stellung finden, die es ihm erlaubte, sich allein mit den Füßen zu halten und die Hände frei zu haben. Er versuchte und versuchte es immer wieder, und schließlich, nach einer halben Stunde endloser Mühen, hatte er sie gefunden. Bevor er sich ans Werk machte, ging er seinen Plan noch einmal durch. Mit einer Hand mußte er den Mann zur Wand hin halten und mit der anderen ihm einen Schlag mit der Machete versetzen. Mit dem Rücken zu ihm gekehrt, würde der überhaupt nichts merken. So löste Gisuè vorsichtig die Machete aus seinem Gürtel.

»Heh! Ihr da unten!«

Gisuè erstarrte. Das war ganz gewiß die Stimme Gottes, die Stimme des Herrn Jesus, der ihm Vorhaltungen machte ob der Sünd, ob des Mords, den er im Begriffe stand zu begehen. Doch gleich darauf kam ihn ein weiterer Gedanke, und diesmal war er zornig:

»Wie nur ist es möglich, daß der Herrgott bei allem, was er im weiten Himmelsall zu tun hat, ausgerechnet mich aussucht, um mir die Eier weichzutrampeln?«

»Heh! Ihr da unten, blickt nach oben!«

Unter Mühen hob Gisuè seinen Kopf. Da waren an die zwanzig Gesichter oben, am Rande des Abgrunds, und ein Anführergesicht, das sprach:

»Haltet den Fürsten. Rühret euch nicht. Wir kommen hinunter.«

Gisuè verfluchte das Unglück, das über ihn gekommen war in Gestalt eines zum Greifen nahen Schatzes, den er jetzt verlor, und er gehorchte. Seine Nase war auf gleicher Höhe mit dem Hintern des Fürsten, und er gewahrte, daß der sich vor lauter Angst in die Hosen geschissen. Eines konnte er nicht begreifen: alle Geschöpfe dieser Welt verrichteten ihre Notdurft, keine Frage, aber wie kam es, daß das Geschiß eines Mannes von Adel so viel gemeiner stank als das eines armen Hundes?

Er war todmüde, als er nach oben gelangte, an den Rand der Schlucht. Keiner hatte ihm beim Hinaufklettern eine Hand entgegengestreckt, alle zwanzig dieser Christenmenschen hatten sich mit Stricken und Zügen dicht um den Fürsten geschart, ihn eingeseilt und ins Sichere gezogen. Bei ihm dagegen weder Oh noch Ah! Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß, wenn alle verschwunden wären, er sich einfach wieder in die Schlucht hinablassen würde, um das Sattel- und Zaumzeug des zerschmetterten Pferdes zu bergen, das auch von weitem so aussah, als könne er davon noch viele Jahre glücklich und zufrieden leben.

Der Fürst saß auf der Erde, einer hatte sich auf allen vieren hinter ihm niedergeknieet, damit der edle Herr sich bequem anlehnen könne. Ein anderer hatte sich vor ihm auf den Hintern gesetzet und ließ ihn bald an einem Fläschlein mit Essenzen riechen, bald ließ er ihn aus einer kleinen Bauchflasche trinken, die mit violettem Sammet überzogen war.

Neben ihm zur Rechten stand ein spindeldürrer, hochaufgeschossener Mensch mit verschränkten Armen, ganz in Schwarz gekleidet und noch reicher mit Gold und Edelsteinen behangen als der Fürst. Man hatte ein Tragbett herbeigeschafft, weil eine Karosse in dieser hügeligen Gegend umgestürzt wäre, und dem Fürsten ein Pferd zu geben, wäre nicht sinnvoll gewesen, denn sobald er aufstand, hielt er sich kaum auf den Beinen, weshalb er von zwei Dienern gestützet werden mußte. Doch schien es, daß er sich nichts Schlimmes zugezogen, nur hinkte er etwas.

»Jemand steige in die Schlucht hinab und berge das Sattel- und Zaumzeug des Pferdes«, befahl er, kaum daß er wieder etwas Farbe gewonnen und zu Atem gekommen.

Doch Gisuè fand wieder einen Weg sich zu trösten: alsobald sie alle verschwunden wären, würde er sich hinablassen und vom Pferd einen schönen Schenkel ablösen.

»Nachher«, fuhr der landesherrliche Fürst fort, »soll ein anderer die Karkasse des Pferdes sich aufladen und zur Villa schaffen.«

Gisuè fand nun nichts mehr, womit er sich trösten konnte.

»Du da, tritt her.«

Ängstlich kam Gisuè näher, der Fürst wirkte verfinstert, dieweil er ihn betrachtete. Wollen wir wetten, daß der seine Absicht erraten, ihn umzubringen und alles Gold an sich zu reißen, das er bei sich trug?

»Wie heißest du?«

»Zosimo Gisuè.«

»Und welches ist dein Vorname?«

»Gisuè.«

»Was machst du?«

»Nichts mach’ ich, Xellenza. Was ich gemacht hab’? Nichts. Euer Xellenza rief mich herbei, und da bin ich gekommen.«

»Ich meine nicht jetzt, tumber Esel. Arbeitest du?«

»Jaja, wenn’s denn Arbeit gibt. Morgen fangen wir auf dem Lehnsgut Tumminello an, da sind Oliven zu ernten.«

»Gut so, dann geh. Ich werde dich rufen lassen.«

Gisuè bückte sich, nahm sein Wams und eilte davon. Der andere Mensch, der hochaufgeschossene, spindeldürre, hatte ihm Furcht eingejagt. Der hatte kein einziges Wort gesagt, wohl aber ihn gemustert, Zentillimeter für Zentillimeter, so als würde er abschätzen, wieviel auf dem Markt ein Kilo von seinem Fleische könnte erbringen. Reiche waren doch zu allem fähig.

Als am Ende des Arbeitstages die Schar eingeschlafen war, erzählte Gisuè Filònia flüsternd die ganze Geschichte und auch von seiner Absicht, den hinabgestürzten Mann, den steinreichen Fürsten, abzumurksen. »Schlecht hast du gehandelt, es nicht zu tun«, sagte Filònia, die eine Frau von klaren Vorstellungen war. »Allzumal der Fürst dir nicht einmal ein’ Taler gegeben, dafür, daß du ihm das Leben gerettet. Hättest du ihm gleich einen Schlag mit der Machete versetzt, wären wir jetzt reich. Doch was soll’s? Der Herr im Himmel hat’s so gewollt.« – »Nun je, er sagte, er würde mich rufen lassen.« – »Und du glaubst wirklich dem Wort eines Reichen?«

Doch Filònia täuschte sich. Am Morgen des dritten Tages nach dem Ereignis stellte sich der Verwalter des Lehnsguts Trasatta ein, Don Aneto Purpigno.

»Gisuè, tritt her.«

Er erklärte ihm, daß der Herr und Fürst ihn am folgenden Morgen sehen wollte, um ihm die verlorene Arbeit zu bezahlen.

»Ihr werdet mit mir kommen, Don Anè?« fragte Gisuè.

»Nein, du gehst alleine«, sagte der Verwalter Purpigno und blickte verstohlen zu Filònia hinüber, die ihm das Blut zum Wallen brachte. »Ich bleibe hier.«

»Aber wer soll mir dann den Weg zur Villa des Fürsten zeigen?«

»Den zeigt dir mein Tier«, sagte der Verwalter und stieg vom Pferde. »Später, wenn du zurückkömmst, nehme ich es wieder an mich.«

Im Hof der Villa, der, hätte man ihn bewirtschaften wollen, fünf Familien hätte ernähren können, kümmerte sich ein Knecht um das Pferd. Drei Stunden war es gelaufen. Am Tor tauchte jemand in einem über und über mit Stickereien besäten Gehrock auf, der bis halb zu den Oberschenkeln hinabreichte. Er trug Schuhe mit Absätzen von eineinhalb Spannen Höhe, und doch stand er in völligem Gleichgewichte auf ihnen. Gisuè ließ sich nicht beeindrucken: Der da war ein Diener, vielleicht ein bißchen wichtiger als der Knecht, welcher sich um das Pferd kümmerte, aber trotzdem ein Diener.

»Ihr seid Gisuè?« fragte er und verzog seinen Mund, als befände er sich vor etwas, das ihn anwiderte.

»Ja? Dann geht, unser Herr und Fürst erwartet Euch. Steiget die Treppe empor, dann kommt Ihr vor eine Tür, weiter geradeaus befindet sich ein Saal, und danach folgt das Schlafgemach unseres Herrn und Fürsten.«

Die Treppe schien für Riesen gemacht und bestand ganz aus eiskaltem Marmor. Gisuès Füße, lehmverkrustet seit er angefangen hatte zu laufen und mit dicken Schwielen bedeckt, hatten niemals Schuhe gekannt und wurden erst kalt und dann eisig. Er ging in den Salon und fing so an zu niesen, daß er davon ganz benommen wurde und Tränen in seine Augen traten. Er spürte, wie ihm der Rotz aus der Nase lief. Da säuberte er sie, indem er kräftig durch zwei Finger schneuzte: ein Teil des Rotzes flog auf den Boden, der andere Teil blieb an seinen Fingern kleben, und Gisuè rieb sie sich an seiner Hose sauber. Doch plötzlich blieb er stehen. Zu seiner Linken, in einer Ecke, stand eine Frau, sie war ganz nackt, ohne auch nur einen Zentillimeter Stoffs am Leibe, und strich mit einem Arm über ihre Brüste und mit einer Hand über ihr Geschlecht. Die, das war so sicher wie der Tod, war die Frau des Fürsten und gerade erst aufgestanden, und deshalb lief sie so herum, im Glauben, daß niemand anwesend sei.

Gisuè wandte sich ab und verließ den Salon. Er hatte Angst, man könnte ihn mit Knüppeln traktieren, weil er die Fürstin nackt gesehen. Er wartete eine kleine Weile, und dann, als er meinte, die Fürstin habe nun ausreichend Zeit gehabt, in ihre Gemächer zurückzukehren, steckte er langsam und vorsichtig den Kopf herein. Die Frau war nicht weggegangen, sondern stand immer noch in derselben Stellung da. Er blickte sie genauer an: Sie war weiß wie der Tod, vielleicht hatte der Fürst sie ja einbalsamieren lassen. Er drehte den Kopf und sah eine weitere Frau, die war, wie die erste, völlig nackt, und diesmal bedeckte sich diese Metze nicht einmal. Sie stand da und zeigte ganz unverhohlen ihre Brüste und ihr Geschlecht. Gisuè fing an zu laufen und gelangte schließlich in den anderen Saal. Da gab es keinen Stuhl, nichts. An der Wand gegenüber befanden sich vier Türen, und alle waren geschlossen.

Er übte sich in heiliger Geduld, näherte sich der ersten Türe auf der rechten Seite, hob die zur Faust geballte Hand und klopfte fest gegen sie. Das tat weh, denn die Türe war nicht aus Holz, sondern aus Mauerwerk. Er ging zwei Schritte zurück: die Türe war da und war auch wieder nicht da. Sie war da, denn sie sah aus wie eine Türe, und sie war auch wieder nicht da, weil sie eben nicht da war. So war’s, was für ein Wichserspiel, sagte er sich, erdacht und gemacht, um die Leute für blöd zu verkaufen. Er ging zur zweiten, und vorsichtig klopfte er mit der Linken. Das gleiche, auch diese Tür war aus Mauerwerk. Und so auch die dritte und so auch die vierte. Aber, wo ging’s hinein?

»Itzt geh ich runter, geb dem Kammerdiener ein paar Tritte und laß mir erzählen, welches die rechte Tür wohl sei«, dachte Gisuè.

Er wandte sich um und sah an der Türschwelle gerade den Obersten Diener erscheinen.

»Ihr irret euch«, sagte er, frisch wie das Viertelstück von einem Huhne. »Die Türe ist dort.«

Und ging schnurstracks auf die linke Wand zu. Was für eine Tür? Die Wand war ganz in Weiß gestrichen. Über diesen Streich ärgerte sich Gisuè und starrte den Diener fest an, ohne einen Schritt zu tun. Dem Kammerdiener schwanten Prügel, und also bewegte er sich, gelangte genau in die Mitte der Wand und klopfte an. Gisuè vernahm den Klang von Holz.

»Gisuè ist eingetroffen, Eccellenza.«

»Laß ihn eintreten.«

Der Oberste Diener legte eine Hand an die Wand und drückte. Da öffnete sich eine Türe, die so weiß war wie die Wand und dergestalt beschaffen, daß, wenn sie geschlossen, keiner sie zu erkennen vermochte.

»Tretet ein«, sagte er und verbeugte sich vor Gisuè bis zum Boden.

Das war natürlich tückisch gemeint, doch Gisuè tat, als würde ihm die Verbeugung gebühren.

Kaum war er eingetreten, war das erste, was er sah, ein großes Bett mit offenem Baldachin, ein so großes Bett, daß darauf leicht drei Ehemänner mit drei Ehefrauen Platz hätten finden mögen.

»Küßdiehand, Xellenza«, sagte Gisuè und verbeugte sich. Er machte alles genau so, wie es ihm abends zuvor sein Onkel Casio Lippo beigebracht hatte, der in seiner Jugend ein vielgesehener Mann war. »Wir erwidern den Gruß, du tumber Esel«, sagte eine Stimme hinter ihm. Blitzschnell wandte Gisuè sich um. Das war eine Hexe, ganz ohne Zweifel. Jetzt sah er ein Bett, das so groß war wie das erste, und in seiner Mitte lag ausgestreckt ein Fürst, der genauso aussah wie der andere. Wollte man ihn in diesem Hause zum Wahnsinn treiben? Der Fürst erkannte Gisuès Schrecken.

»Dreh’ dich langsam um«, sagte er.

Gisuè wandte sich um und wieder sah er das nämliche Bett mit dem nämlichen Fürsten.

»Das ist ein Spiegel, du tumber Esel.«

Dieses Wort Spiegel hatte Gisuè noch nie gehöret. Wohl kannte er das Wort Spargel, was das Gerät war, durch welches der Samen des Mannes schießt. Sollte es denn sein, daß der Spargel zu einem großen Spiegel wird, der einem sagt, wie ein Mann beschaffen sei? Glückseligerweise löste der Fürst seine Zweifel.

»Hast du dich nie in gefrorenem Wasser betrachtet?«

»Jaja, einmal. Ich war damals zehn. In der Nähe eines Dorfes, das Cammarata heißt. Es war so kalt, daß einem die Knochen krachten.«

»Ausgezeichnet. Dann stell’ dir vor, daß der Spiegel aus gefrorenem Wasser besteht.«

Da fiel Gisuè wieder der Augenblick ein, als er ein zehnjähriger Junge war und sich damit vergnügte, sein Gesicht anzuschauen. Auch diesmal, vor diesem Spiegel, machte Gisuè Schielaugen und lachte. Er hob seine zum Zeichen der Gehörnung gebildete Hand an die Stirn und lachte.

»O du anmutiges, sanftmütiges Tier«, sagte der Fürst.

»Meint Ihr mich?«

»Schon gut«, sagte der Fürst und machte sich daran, aus dem Bette zu steigen.

»Hast du Appetit?«

»Ein winziges bißchen, Xellenza. Der Weg zu Pferde war lang.«

Der Fürst klatschte in die Hände, und im Nu öffnete sich eine Türe, die Gisuè vorher nicht gesehen, und durch sie trat ein in Gold gewandeter Kammerdiener ein, noch ganz jung und von oben bis unten geschniegelt und gestriegelt.

»Das ist Cocò, mein Kammerpage. Und er ist so viel wert, wie er wiegt. Nur hat er einen einzigen Fehler, wenn’s man denn einen Fehler nennen kann: hin und wieder mag er’s, die Frauenrolle zu übernehmen.«

Gisuè verstand überhaupt nichts, außer, daß der Junge da Cocò hieß.

»Sag Mesjö Filibert, er soll mir das halbe Zicklein auftischen lassen, das ich gestern abend nicht verspeist. Und dann bring auch ruhig noch einen Krug guten Weines.«

Bevor Cocò das Zimmer verließ, streichelte der Fürst ihm über das Ärschlein, und Cocò blickte mit einem verschämten Lächeln zu Gisuè hinüber.

»Du weißt, wer ich bin?«

»Aber ja, Signore«, antwortete Gisuè, der sich eines guten Gedächtnisses erfreute und sich der Worte seines Onkels Casio erinnerte. »Euer Xellenza ist der Fürst Don Filippo Pensabene von Baucina, Herr über die Lehen Trasatta, Tumminello, Argirò und Ponentino.«

»Da hast du dich getäuscht. Zwar heiße ich weiterhin so, doch besitze ich meine Lehen nicht mehr. Ja, mehr noch, ich besitze überhaupt nichts mehr. Nicht einmal mehr dieses Haus, nicht einmal mehr dieses Bett.«

»Ist das so? Und wie habt Ihr’s angestellt, Eure Reichtümer zu verlieren?«

»Mit Karten.«

»Oh, oh, oh, Karten! Sie sind der Ruin aller Menschen!«

»Was weißt du denn davon, du Tor?«

»Ei, das hat mir mein Onkel Casio gesagt. Auch hat mein Onkel Casio gesagt, besser wär’s, einen Dolchstoß zu empfangen als eine Mitteilungskarte von einem Advokaten.«

»Ach, woher!« rief der Fürst lachend. »Ich meinte Spielkarten. Fünfzehn Tage und fünfzehn Nächte lang habe ich mit dem Herzog Sebastiano Vanasco Pes y Pes gespielt, der jener Mann war in schwarzer Kleidung, den du gesehen, als du mich aus dem Abgrund errettet hast. Und immer habe ich verloren. Nichts konnte ich tun, mochte ich das Spiel auch wechseln, vom Bàzzica, mit oder ohne Variante der Bésigue, zum Tierspiel, mit oder ohne Variante der Maus, vom Zwergfrauenspiel zum Gefahrenspiel, vom Landsknecht zum Doppellaus, was immer du auch willst, das Schicksal blieb mir unhold. In der Nacht, bevor du mich errettet, hab’ ich auch noch dieses Haus verloren. Der Herzog hat mir großmütig die Gunst erwiesen, noch sieben Tage hier wohnen zu dürfen. Und weißt du was? Dieses gehörnte Vieh hatte mich immer betrogen. Das verstand ich ganz unversehens, als wir gemeinsam ausritten, um uns die Müdigkeit zu vertreiben. Doch konnt’ ich nichts tun. Er hatte gewonnen.«

»Ei, wie, Xellenza? Glaubte ich doch verstanden zu haben, daß dieser Herzog Euch betrog! So geht mit dem Gesetze gegen ihn vor!«

»Mit dem Gesetze! Weißt du, wer auf Sizilien das Sagen hat?«

»Der König von Hispanjen.«

»Richtig, doch der König befindet sich in Hispanien, und hier befindet sich sein Vizekönig, dessen wunderschöne Tochter Isabella heißt und sich just mit dem Herzog Pes y Pes vermählet hat. Verstehest du nun die Geschichte?«

»Oh ja, Signore. Wie immer Ihr’s auch drehet und wendet, Euer Xellenza wird immer unrecht behalten.«

»Und an jenem Morgen, kaum daß ich das System des Herzogs durchschauet, mit welchem er mich betrog, fand ich gar die Lösung all meiner künftigen Leiden. Ich galoppierte im wilden Flug davon und stürzte mich in den Abgrund.«

Gisuè brauchte eine halbe Minute, um zu verstehen, was der Fürst da eben gesagt hatte. Dann hob er die Arme und öffnete den Mund und nahm die Haltung ein wie die Krippenfigur, die man »den Erschreckten« nennt. Eine falsche Haltung in diesem Augenblicke, denn Gisuès Bauch blieb ungeschützt vor dem mächtigen Tritt des Fürsten, für welchen er sich eigens die Stiefel übergezogen.

Gisuè sank auf die Knie, beugte sich und hielt sich den Bauch mit beiden Händen. Und wieder war diese Haltung falsch, denn der Fürst hatte einen langen Stiefelanzieher aus Leder und Knochen gepackt, briet ihm ein paar mächtige Hiebe auf die Schultern und stieß dabei wütende Worte aus.

»Aber es waren doch Euer Gnaden, die um Hilfe hatte gerufen! Welche Schuld habe dann ich?« konnte Gisuè unter den Schlägen hervorbringen, die ihm das Fleisch zeichneten.

»Ja, freilich rief ich, du ignorante Bestie! Ich rief, weil es mich instinktiv trieb zu rufen! Ich rief, weil ich mich instinktiv an diesen Strauch geklammert! Entschließt sich ein Mensch sich umzubringen, muß er gleich tot sein, sonst, wenn sein Entschluß ein Obstaculum findet, fängt sein Körper an, gleich einem Pferde zu scheuen!«

Seiner Worte waren’s viele, und viele waren’s auch der Hiebe, welche der Fürst auf ihn niederdrosch, dieweil er redete. Gisuè entschloß sich, den Mund zu verschließen, denn unrecht hätte er so oder so gehabt, so wie der Fürst gegenüber dem Herzog Pes y Pes. Endlich ermüdete der Fürst und warf sich mehr tot als lebendig in einen Armstuhl. Gisuè spürte ein Höllenfeuer in der Wunde, zu der seine Schultern geworden.

»Willst du noch weiteren Dank?« fragte der Fürst.

»Nicht doch, was Ihr mir an Dank erwiesen, reicht und läßt auch noch einiges übrig.« Es wurde an die Türe geklopft. Cocò trat ein, der sich daranmachte, ein Tischchen in die Nähe des Fensters zu rücken. Er bedeckte es mit einem Tuch aus weißem Leinen, das wie das Leichentuch eines Kindleins war, das gleich nach der Geburt gestorben, und darauf stellte er einen silbernen Teller, einen silbernen Becher, eine silberne Karaffe und ein Messer, auch dieses aus Silber. Alles glänzte. Zuletzt stellte er am einen Ende ein Becken auf, natürlich auch dieses aus Silber, das halb voll Wassers war.

»Und was soll ich mit all diesem Kram?« fragte Gisuè sich besorgt.

Und wieder ein Klopfen. Diesmal trat ein Mann ein, mit einem Schnurrbart so lang wie die Zweige einer Trauerweide, ganz in Weiß gekleidet, mit einer weißen Schürze und einer ebenfalls weißen Haube von der Gestalt eines Steinpilzes. Auf der erhobenen Handfläche hielt er ein silbernes Tablett, und darauf lag das halbe Zicklein mit im Backrohr gerösteten Kartoffeln. Gisuè spürte einen Duft, der wie ein Unheil in seine Nase drang, und es war ihm, als würden die Schmerzen auf dem Rücken schwächer und schwächer werden.

»Bien levé, Monsieur le Prince. Voilà!« sagte der Mann in Weiß.

»Merci, Monsieur Filibert.«

Mesjö Filibert stellte das Tablett auf dem Tischchen ab.

»Qu’y a-t-il à déjeuner?« fragte der Fürst Mesjö.

»Dehjöneh, oh, das ist gewiß das didjunare, wie wir einfachen Leute zum Fasten sagen«, dachte Gisuè. »Und das bei dem Unheile, das über uns gekommen!«

Da begann Mesjö eine Litanei herunterzurasseln, die keine Litanei war, wie Gisuè merkte, wohl aber war’s die Aufzählung der Dinge, die Mesjö für das Mittagessen des Fürsten zubereitet hatte, und zählte es ihm in der sonderlichen Sprache auf, in welcher sie sich unterhielten.

»Càzzica!« sagte Gisuè zu sich. »Auch mir würd’s wohl gefallen, auf diese Weise zu fasten!«

Der Fürst entließ Mesjö, welcher hinausging mit einer Verbeugung, daß nicht viel mehr fehlte, und er wäre mit der Stirn auf den Boden geschlagen.

Weder Cocò noch Mesjö Filibert hatten Gisuè bemerkt, der immer noch auf dem Boden kniete und dessen Schultern immer noch bluteten.

»Begleite mich zur Kammer der Erleichterung«, sagte der Fürst zu Cocò, dieweil er sich langsam erhob.

Cocò stürzte zu ihm und hielt ihm seinen Arm hin. Gisuè blieb weiterhin knien, nicht, weil er nicht aufrecht hätte stehen können, das konnte er sehr wohl, schließlich war er ein kräftiger, ein starker Mensch, doch wenn er in dieser Stellung verblieb, konnte er möglicherweise Mitleid erregen und ersparte sich so weitere Schläge.

Der Fürst und sein Diener verschwanden hinter einer Türe. Nach einer kurzen Weile kam Cocò alleine zurück.

»Der Fürst hat gesagt, Ihr könntet essen. Stehet also auf.«

Er streckte die Hände hin, Gisuè ergriff sie und stand auf.

»Lasset mal sehen«, sagte Cocò und stellte sich hinter ihn.

»Oh Dio! Dieser widerliche, gemeine Kerl von Fürst hat Euch Aua gemacht! Zieht Euch das Hemde aus.«

Gisuè zog es aus, auch wenn von dem Hemde nichts mehr übrig war, es war ein in Stücke zerrissener Lumpen, von dem nur das Brustteil und die Ärmel da waren.

Cocò lief zum Armoar, öffnete ihn, aus einer Schublade zog er zwei seidene Tüchlein hervor und nahm von einer Etagère ein Töpfchen Salbe. Vorsichtig strich er ihm die Salbe auf die Schulter und trocknete sie dann mit den Tüchlein und flüsterte alsdann:

»Sieh nur einer, wie dieser grausame Mensch diese schönen Schultern zugerichtet! Schultern so fest! Schultern so muskulös! Ach, was für eine Schande, die Anmut Gottes so zu zerstören!« Unter Cocòs weiblichen Händen und dem Auftragen der Salbe fühlte Gisuè sich wieder erfrischen. Dann führte Cocò ihn zu dem Tischchen. Und weil die Hiebe Durst bei Gisuè hervorgerufen hatten, nahm er die Schüssel und trank sie bis zum letzten Tropfen aus. Cocò nahm sie ihm weg.

»Mit diesem Wasser wäscht man sich die Hände, Dummchen!«

Und schänkte ihm aus der Karaffe den Wein in den Becher. Selbst als der Fürst aus der Kammer der Erleichterung gewaschen und parfümiert zurückkehrte, hielt Gisuè nicht inne mit Essen und Trinken. Als er fertig war, bemerkte er, daß der Fürst völlig angekleidet vor ihm saß.

»Gib’ ihm eines meiner Hemden«, sagte der Fürst zu Cocò.

Der Kammerpage zog ein seidenes Hemde aus dem Armoar hervor. Und dieweil er Gisuè half, es anzuziehen, fuhr er ihm mit der Hand über die Brust.

»Habt Ihr gesehen, mein Herr und Fürst, was für eine Behaarung? Es ist, als wären’s feste Kräuterbüschel.«

»Geh’ jetzt«, sagte der Fürst. Und Cocò verließ das Zimmer.

»Setz dich.«

Gisuè setzte sich nieder.

»Reden wir von Mann zu Mann«, sagte der Fürst und blickte ihm fest in die Pupillen. »Mir verbleiben nur noch vier Tage. Und du mußt mir helfen zu sterben.«

ZWEITES KAPITEL

Gisuè wurde des Ritts zurück nach Hause nicht einmal gewahr, denn seine Gedanken waren ganz von der Unterredung bestimmt, die der Fürst mit ihm geführet, und jedes Wort dieser Unterredung drehte und wendete er viele Male um.

»Mein Freund, die Sache ist ganz klar im Grunde. Wie reines Quellwasser. Sicher ist, daß ich in Armut nicht will leben müssen. Und so bleibt mir nur, mich umzubringen. Doch fühle ich, daß es mir im letzten Augenblicke an Mut gebrechen könnte. Daher brauche ich einen, der mir zur Seite steht und im geeigneten Augenblicke mir hilft. Du bist ein großherziger Mensch, du hast dein Leben eingesetzt, um mich zu erretten, jetzt aber setzest du nichts ein, wenn du mich umbringst. Ich bin sogar überzeuget, daß selbst unser Herr im Himmel dir nichts vorzuwerfen hat: Du hast nur eine weitere großherzige Tat vollbracht. Und ich meinerseits werde mich großherzig erweisen, ich schenke dir hundert Unzen, das letzte, was mir noch verbleibet. Und niemand wird nichts nicht erfahren, wir bringen die Dinge unter uns ins reine. Ich muß in vier Tagen die Villa verlassen. Daher nimmst du dir jetzt das Pferd und kehrest zurück an deine Arbeit. Sag dem Verwalter, daß auf meinen Befehl hin du das Tier auf den Augenblick behältst. Von heute an bis in drei Tagen hast du Zeit, dich zu entscheiden. Ist es ein Ja, dann gib dem Pferd die Sporen und kehre hierher zurück, zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht, ich werde bereit sein. Ist es ein Nein, schickst du mir das Pferd zurück mitsamt dem Verwalter.«

Hundert Unzen! Mit hundert Unzen konnte man ein Stückchen Landes kaufen, klein zwar, doch ausreichend, um einen Gemüsegarten anzulegen, von dem er und seine Familie leben konnten. Wieso nur hatte er dem Fürsten nicht gleich Ja gesagt? Diese Frage zermarterte ihm das Gehirn, bis er schließlich die Antwort fand, als er bereits der Schar ansichtig wurde, die bei der Arbeit war: denn eines ist es, heißblütig zu morden, und ein anderes ist es, kaltblütig zu morden.

Die Schar brachte ein langes »Oh!« des Erstaunens hervor, als sie ihn kommen sah. Alle wußten längst von der Geschichte der Rettung, und sie waren der Überzeugung, daß der Fürst ihn habe rufen lassen, um sich der Schuldigkeit für die Errettung seines Lebens zu entledigen. Und wenn soviel mir das und das erbringt, dann war das seidene Hemd dafür ein gutes Omen. Gisuè sprang vom Pferde und band es an einem Baumstamme fest. Don Aneto Purpigno war nicht am Orte. Auch Filònia war nicht da. Gisuè zog das Hemde aus und wollte gerade mit der Arbeit beginnen.

»Was machst du denn da?«

Es war die Stimme des Vorarbeiters Colotto Zìcari, ein Mann von zwergenhafter Gestalt und traurig, von bösem Herzen und immer von Niedertracht bestimmt.

»Was ich da mache? Ich mache mich an die Arbeit.«

»Oh nein. Heute arbeitest du nicht, du ruhest aus. Wen willst du denn hier für dumm verkaufen? Willst du das Doppelte verdienen? Don Aneto Purpigno sagte mir, der Fürst würde dir den verlorenen Tag bezahlen. Und? Tat er’s?«

»Ja, Signore, er fragte mich, wieviel ich am Tag verdienen würde, und bezahlte mir’s dann.«

»Was also? Geh lieber dein Weibe suchen, es ist eine halbe Stunde schon her, daß sie gegangen, um ihre Notdurft zu verrichten, und noch ist sie nicht wieder da. Was tut sie wohl? Drehet sie Stricke, dein Weib?«

Da war etwas, das nicht stimmte. Gisuè blickte zu Onkel Casio hinüber, und der gab mit einem Zeichen des Kopfes zu verstehen, er solle nicht gehen. Also gab’s eine Falle.

»Gleich geh’ ich«, sagte Gisuè, zog sich das Hemd wieder über und tat, um Zeit zu gewinnen, so, als würde er sich einen Stachel aus dem Fuße ziehn.

Da stimmten die Taglöhner das Lied vom heiligen Johannes an, das, welches so geht:

Gevatter, Gevatter vom heil’gen Johannes,

Gevatter sind wir bis Weihnacht.

Haben wir’n Bissen, woll’n wir ihn teilen.

Auch Wasser, daß wir lebend verweilen.

Haben wir Brot, doch nur noch Knochen,

ach! hätten wir uns in die Grube verkrochen!

Haben wir Brot und haben wir Reis,

gehen wir schnurstracks ins Paradeis.

Gisuè lächelte. Mit diesem Liedlein erinnerte ihn die Schar an seine Pflicht, und das war, daß er mit allen teilte, was der Fürst ihm als Dank mitgegeben. Es war immer praktiziertes Gesetz: den Verdienst eines Tages behielt ein jeder für sich, doch gab es einen Verdienst außerhalb der Regel, so wurde dieser unter allen aufgeteilt.

So wie im Jahre zuvor, als Onkel Casio den Vorarbeiter Billìa zu überreden vermochte, sich die Zukunft deuten zu lassen. Onkel Casio hatte eine besondere Gabe, weit in die künftigen Jahre eines Menschen zu blicken: Er ließ sie auf die Erde pinkeln und zog aus der Art, wie sich die Flüssigkeit verteilte, seine Schlußfolgerungen. Als er das damals bei Billìa machte, schien die Pisse von schwieriger Lesart, und er brauchte Zeit: just die Zeit, welche die Schar brauchte, um einen halben Zentner Oliven verschwinden zu lassen, die hinterher zu gleichen Maßen verteilet wurden.

»Oh, Weib, du süßes schurriges Entlein! Oh, Weib, du süßes Zuckerhäubelein!« stöhnte Don Aneto Purpigno.

Filònia stand aufrecht vor ihm, mit niedergeschlagenem Blicke, wie’s sich für eine Frau von Tugend geziemt.

»Oh, wilde Stute, wem’s gelingt, dich ins Geschirr zu legen, der wird zum Gotte!« sprach Don Aneto weiter, der in seiner Jugend als Unterdiener im Haus eines spanischen Grafen gedienet und wohl auch gelernt hatte, daß bei den Weibern der Klang des Wortes mehr Wert besaß als der des klingenden Silbers. Doch Filònia war da ganz anderer Meinung.

»Ach, ist dieser Mensch weitschweifig! Wann kömmt er nur endlich zum Kerne?« dachte sie.

Don Aneto hob mit einem umständlichen Vergleich zwischen Filònia und dem Monde an, doch Filònia entschloß sich, die Initiative zu ergreifen, weil es über diese Weitschweifigkeit bald Nacht sein würde.

»Ach, warum quälet Euer Ehren mich? Was wollt Ihr denn von einer armen Frau wie mir?«

Don Aneto Purpigno fuhr auf, so, als habe Filònia ihn beleidigt.

»Eine Arme?! Ihr eine arme Frau! Oh, sagt das nicht einmal zum Scherze!«

»Ach, so denkt Ihr, Euer Ehren, ich bin reich?«

»Reich? Steinreich seid Ihr, reicher als die Königin von Hispanien!« Wollen wir sehen, daß es jetzt doch noch Nacht wird?

»Und wo hätte ich wohl solche Reichtümer?«

»In Eurem Fleische, Filònia! Ihr besitzet drei Güter, eines gen Morgen, eines gen Abend und das letzte auf halber Höhe. In dem gen Morgen liegt ein lieblich duftendes feuchtes Tal, über dem sich auch ein dichtes Wäldchen erhebt. In dem gen Abend finden sich keine Bäume noch Gräser, alles ist glatt, die Erde ist gleich wie Seide, und inmitten zweier Hügel liegt eine Grotte, eng und verborgen. In dem auf halber Höhe liegen zwei Berge, die sind weiß wie Milch und haben eine rosarote Kuppe. Und das soll kein Reichtum sein?«

»Doch weiß Euer Ehren denn nicht, daß diese Güter, wie Euer Ehren es nennt, mein Mann Gisuè erworben?« fragte Filònia und lachte im Innern, weil die Worte von Don Aneto sie amüsierten.

»Aber ich will sie ja nicht kaufen! Ich will nur gelegentlich in ihnen einherwandeln, einmal im kleinen Tale und einmal in der kleinen Grotte. Doch immer mit dem Blick auf das Gut mit den kleinen Bergen.«

Filònia verstand recht: es ging nicht darum, den Rock hochzuwerfen und sich an einen Baum zu lehnen oder sich im Grase auszustrekken. Der da wollte sie nackt.

»Und wie oft wollt ihr dort einherwandeln?«

»Sagen wir einmal im Monat? Und jedesmal kann ich, wegen des Umstands, den ich mache, eine Tarìmünze zahlen.«

Einen Tarì? Wie geizig war doch das Schwein da! Sie würde ihn zum Stöhnen bringen. Sie warf einen empörten Blick auf Don Aneto.

»Ich will Euch durchaus nicht beleidigen, Donna Filònia. Aber denkt drüber nach.«

»Was soll ich da schon nachdenken? Buonasera.«

Filònia wandte sich um, sie wollte gehen, doch hörte sie, wie sie zurückgerufen wurde. Don Aneto hielt in der Hand einen Tarì und zeigte ihn ihr.

»Was wollt Ihr noch? Ihr selbst habt doch gesagt, ich soll drüber nachdenken.«

»Donna Filònia, hört mich an. Auf dem Gut auf halber Höhe liegen zu beiden Seiten zwei Stücke Land, üppig bewachsen und voller Blumen. Ich würde wohl gerne den Duft von nur einer dieser Blumenwiesen einatmen.«

Filònia trug für die Arbeit ein ärmelloses Mieder mit einem Schulterschal darüber, mit der rechten Hand ergriff sie den Tarì und hob zur gleichen Zeit den linken Arm hoch. Don Aneto vergrub seine Nase in Filònias Achselhaaren.

O Zimmet! O kostbarstes Gewürz! O Nelke! O Jasmin aus den Weiten Arabiens!

Schon dunkelte es, und die Olivenbäume waren kaum mehr sichtbar, als Colotto Zìcari sich zwei Finger in den Mund schob und nach Art der Ziegenhirten pfiff, um das Ende des Arbeitstages anzuzeigen. Die ganze Schar umringte Gisuè, der unter einem Baume lag und ein Stöcklein in Händen hielt, das er aus einem Zweige geschnitten.

»Was hat der Fürst dir gegeben?«

»Hat er dir Gold geschenkt?«

»Ein Stückchen Landes?«

Ohne Antwort zu geben, hob Gisuè das seidene Hemde hoch und drehte sich um, so daß alle seine wunden Schultern betrachten konnten.

»So dankte er’s mir! Und den Dank teile ich itzo mit euch.«

Und teilte Rohrhiebe an alle aus, blindlings, und wen’s eben traf, den traf’s. Die Schar wich zurück, wie’s möglich war, und dann zog sie ab, murrend über den Geiz und die Undankbarkeit des Fürsten.

Gisuè hielt das seidene Hemde Filònia entgegen, die unterdessen zu ihm gekommen.

»Dieses nimm du, mir sieht’s doch eher nach Weiberkram aus.«

Und dann noch, zur Schar gewandt, die sich für den heiligen Nachtschlaf rüstete:

»Ach, fast hätt’ ich’s vergessen! Er gab mir ein halbes Zicklein zu essen. Wenn ich’s verdaut, dann teilet’s nur unter euch auf.«

Gisuè, der nicht einschlafen konnte, flüsterte seiner Frau zu:

»Komm mit mir. Wir müssen reden.«

Ringsum schlief die Schar, die Mühe des Tages war schwer, und jetzt schien’s, als würden sie Bäume fällen.

Weit genug entfernt von lauschenden Ohren, fing Gisuè an.

»Als ich zurückkam, warst du nicht da, und Colotto Zìcari sagte mir, ich sollte dich suchen gehen. Doch Onkel Casio gab mir zu verstehen, daß ich’s nicht sollte.«

»Ach, dieser gehörnte Riesenochs!« antwortete Filònia. »Er wollte, daß hier ein ungeheuer Chaos ausbricht. Er wollte, daß du mich mit Don Aneto erwischst.«

Das also war der Hinterhalt, die Fallgrube, in die er, wie Colotto hoffte, stürzen würde.

»Und was wollte Don Aneto Purpigno von dir?«

»Das, was Männer immer wollen. Er sagt, daß er mir, wenn er ihn einmal reinstecken darf im Monat, einen Tarì pro Mal bezahlen würde.«

Gisuè spuckte vor Verachtung auf die Erde.

»So sehr mag er dich?« fragte er voller Ironie.

»Müssen wir die Nacht denn damit vertun, über diesen blöden Sack zu reden?« sagte Filònia kurz angebunden. »Erzähl mir lieber die Wahrheit darüber, was beim Fürsten geschah, du überzeugest mich nicht, du bist benommen.«

Und Gisuè erzählte in allen Einzelheiten, wie’s um den Fürsten stand und welchen Vorschlag er ihm gemacht.

»Und du denkst noch nach? Wie ist das, vor wenigen Tagen noch, als er in der Schlucht hing, da wolltest du ihn abmurksen, und itzo, wo er dich eigenhändig darum bittet, sagst du nein? Tu ihm doch diesen Gefallen, dem Fürsten, dann können wir endlich mal ans Essen denken!«

Es war eine aufwühlende Nacht für fast alle, denen wir bisher in unserer Geschichte begegnet sind.

Don Aneto Purpigno, nackt und allein in einem Heuhaufen, versuchte mit gewölbter Hand über der Nase den Duft der Achselhöhlen Filònias aufzubewahren, während die andere damit beschäftiget war, den Feuerwehrschlauch im Griffe zu halten und hektisch versuchte, den Brand zu löschen.

Der Fürst, Don Filippo Pensabene von Baucina, warf sich in seinem Bette hin und her. Das Bettlaken verdrehte und verknäuelte sich irgendwann derart, daß ihm war, als habe er sich darin eingepuppt. Er klingelte mit dem Glöcklein an seinem Bette, und nach wenigen Augenblicken erschien der schlaftrunkene Cocò.

»Was wollt Ihr, Eccellenza?«

»Zieh dich aus und leg dich zu mir. Tröste mich, Cocò.«

In Palermo saß im Schlafgemache seines Palazzos nahe dem Kerker der Herzog Sebastiano Vanasco Pes y Pes nackt und ungetröstet in einem Armstuhl, dieweil die Herzogin Isabella nackt und wunderschön mit den Händen auf ihren Hüften von einer Wand zur anderen tigerte.

»Me siento agitada, aufgewühlt, ja aufgewühlt.«

Ihrem Gemahle gab sie immer die gleiche Antwort, der sie nach dem Grunde für ihre Ruhelosigkeit fragte, die aufkam, alsobald sie sich der Liebe hingegeben. Doch als zum zwanzigsten Male der Herzog ihr ohne alle Phantasie und daher ohne auch nur ein Wort mehr zu sagen die gleiche Frage gestellt, platzte Donna Isabella der Kragen, und aus ihr brach heraus, was sie drei Jahre lang, seit ihrer Vermählung, in sich vergraben hatte.

Sie sagte, daß es ihr mucho gustava practicar mit ihrem Gemahle im casamiento, es sei sacramental und daher wohl auch jede noche, doch alleine mit ihm, denn die anderen hombres erregten ihr asco, Ekel, und daher el problema non era aquél. Die cuestión war, daß sie durchaus verstand, daß ihr esposo, gleich nach dem juntarse, ihrer Vereinigung, sich immer die misma pregunta stellte: Ist wohl diesmal die concepción de un hijo gelungen? Ebbien, daß es ihr esposo ein für alle Male wisse: sie sei bien cierta de no ser estéril, la verdad sei, daß sie fühle, como in ihrem regazo die semilla de su esposo schon fría y muerta hineinschösse. Ecco todo. Daß ihr esposo sie excusieren möge, doch im Kloster habe man ihr las reglas de Sancta Teresa d’Avila beigebracht. Und la Sancta sagte, man solle siempre hablar simple, rein y religioso.

Was hingegen das Denken betraf, folgte Donna Isabella einer ganz persönlichen Regel, doch dieses sagte sie ihrem Gemahle nicht.

Vernichtet und zerstört nahm Don Sebastiano seinen Kopf in die Hände.

Erst gegen Morgen war es Don Filippo Pensabene gelungen einzuschlafen, auch Cocò schlief, erschöpft von den Tröstungen, die er seinem Herrn hatte zuteil werden lassen. Daher explodierte das Klopfen der Obersten Dieners im Kopfe des Fürsten wie ein Kanonenschlag.

»Wer ist es?« fragte er zornig.

»Ich bin’s, Eccellenza. Dieser Mensch ist zurückgekommen, der schon gestern morgen war gekommen, und er wünscht, Euch zu sprechen.«

»Einen Augenblick.«

Er weckte Cocò auf, der alsogleich erblaßte.

»Schon wieder?!«

»Nein«, sagte der Fürst. »Du mußt jetzt schnellstens in dein Zimmer stürzen.«

»Herein«, sagte Don Filippo dann, nachdem er sich mit einem Blick versichert, daß in dem Zimmer keine Spuren mehr von Cocò zurückgeblieben waren.

Gisuè trat ein. Sogleich fühlte der Fürst sich heiter und bei klarem Kopfe.

»Nun? So hast du dich entschieden?«

»Da bin ich, Xellenza«, sagte Gisuè und öffnete seine Arme.

»Ich bin dir dankbar. Und ich bin bereit«, erwiderte der Fürst, sprang aus dem Bette und packte ihn beim Arm. »Setz dich, dann reden wir.«

Auch Don Filippo setzte sich neben ihn.

»Mir ist angst und bange«, fing Gisuè an.

»Aber wovor denn, du tumber Esel?«

»Daß mir dann die Schuld an Eurem Tode wird gegeben. Auch wird man sagen, daß ich ihn abgemurkst, den Fürsten, nur um die hundert Unzen an mich zu bringen.«

»Hältst du mich für so töricht? Ich hab’ an alles gedacht. Am späten Vormittage gehst du fort von hier und kehrest wieder zu deiner Arbeit auf dem Lehen zurück. Du übergibst das Pferd an Don Aneto und sagst ihm, daß du’s nicht mehr brauchst. Verstanden?«

»Schon, schon, Xellenza. Bis zu diesem Punkte schon.«

»Wer immer dich auch fragt, warum ich dich hätt’ wiedersehen wollen, dem antwortest du, es war, weil ich dich für meine Errettung hatte belohnen wollen. Wenn sich dann alle schlafen gelegt, kommst du zu mir geeilt, ohne daß keiner nichts merkt, zur Schlucht, bis dahin, wo das Tragbett stand. Klar?«

»Dazu brauche ich mindestens, allermindestens zwei Stunden zu Fuß und das im Laufschritt.«

»Mach dir keine Sorgen nicht. Wer als erster ankömmt, wartet auf den anderen. Verstanden?«

»Jaja, Xellenza.«

»Hast du Appetit?«

»So wie immer, Xellenza.«