Die Drei Fragezeichen
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Das Grab der Inka-Mumie

erzählt von Christoph Dittert

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2015, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14772-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Albert Hitfield meldet sich zu Wort

Liebe Leser der Abenteuer von Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews! Es ist lange her, dass ich einige Worte an euch gerichtet habe. Die drei ??? kennt ihr ganz sicher, richtig, aber mich vielleicht nicht.

Hitfield mein Name, Albert Hitfield. Ich war früher Privatdetektiv, betätigte mich aber auch als Schriftsteller, vor allem seit diesem furchtbaren Flugzeugabsturz. Ich hinke seitdem, wisst ihr, und das ist nicht sehr hilfreich beim Ermitteln. Von meinen Büchern redet man übrigens schon lange nicht mehr – außer von denjenigen, in denen ich die Fälle meiner drei jungen Freunde aufgezeichnet habe. Früher haben sie mir über jedes ihrer aufregenden Abenteuer ganz genau Bericht erstattet, dafür bekam ich von Bob einen dicken Stapel mit Akten und wichtigen Dokumenten aus seinem Archiv. Es war ein Klacks, daraus die Bücher zu machen, die von den drei ??? erzählen.

Inzwischen sind Justus, Peter und Bob viel selbstständiger geworden und ich habe mich aus meiner Rolle als ihr väterlicher Freund im Hintergrund ein wenig zurückgezogen. Stattdessen beobachte ich sie lieber aus der Ferne und freue mich immer, wenn ich etwas über sie höre. Langweilig wird’s den Burschen ja nie!

Aber das interessiert euch alles vielleicht gar nicht. Ich rede viel zu viel von mir. Viel wichtiger ist, warum ich mich nun plötzlich an den Beginn dieses Buches dränge! Ganz einfach: Ich glaubte, ich hätte längst alle Fälle aufgeschrieben, von denen unsere drei Detektive aus Rocky Beach mir berichtet hatten. Weit gefehlt!

Vor wenigen Tagen fand ich einen ganzen Stapel alter Berichte in der hintersten Ecke der untersten Schublade meines Schreibtischs. Ich bin ein Chaot, müsst ihr wissen. Ich habe meinen Augen kaum getraut: drei Fälle der drei ???, von denen meine Leser nie etwas erfahren haben!*

Das musste sich ändern, aber schleunigst.

Ich habe alles sauber geordnet und aufgeschrieben. Dabei konnte ich es mir nicht verkneifen, mich hin und wieder selbst zu Wort zu melden. Aber das werdet ihr ja merken, wenn ihr anfangt zu schmökern! Lasst euch von mir nicht stören … Aber vielleicht helfen meine unwesentlichen Einwürfe dabei, eure Gedanken bei diesem vertrackten Fall in die richtige Richtung zu lenken.

Um eine Mumie geht es und um Inkas. Bestimmt habt ihr von diesem Indianer-Volk schon einmal gehört, das vor über einem halben Jahrtausend ein großes Reich hatte, dort, wo heute Peru liegt. Die Inkas waren nicht so, wie wir uns meist Indianer vorstellen – mit Wigwams, Tomahawks und Mokassins. Die Inkas bauten große Straßen und Städte mit steinernen Tempeln und herrschten über ein riesiges Reich … Aber ich will nicht vorgreifen. Lest das alles am besten selbst.

Ehe ich nun endlich still bin und meinen drei jungen Freunden das Wort überlasse, noch ein kleiner Hinweis (aber das werdet ihr euch schon gedacht haben): Einen der drei wiederentdeckten Fälle aus den Tiefen meines Schreibtischs haltet ihr gerade in der Hand. Mein Tipp: Haltet auch Ausschau nach den anderen beiden!

Mit den besten detektivischen Grüßen aus Rocky Beach

Euer

003.tif

* Und wer weiß, was in meinem Durcheinander noch alles auftaucht …

Ein Mumienschrein in Rocky Beach

»Tut mir leid«, sagte Justus Jonas, »aber wir gehen keinen Schritt weiter, wenn du uns nicht mehr erzählst.« Demonstrativ verschränkte er die Arme vor der Brust und blieb stehen – sodass Peter Shaw in der engen Abstellkammer gegen ihn rempelte.

»Mensch, Just!«, nörgelte der Zweite Detektiv, ging rasch zurück und stieß dabei einen Besen um, der an einem vollgeladenen Regal lehnte.

Nayra Paredes, die Kontakt zu den drei ??? aufgenommen hatte, um sie mit einem Auftrag zu betrauen, gab sich bislang sehr geheimnisvoll. Sie schob ihren Kaugummi von der rechten in die linke Backentasche und kaute einige Sekunden darauf herum, ehe sie seufzte und die Hand auf den Türgriff legte.

»Kommt erst mal mit und werft selbst einen Blick in den Keller. Ihr würdet mir ja doch kein Wort glauben.«

»Das überlass mal uns«, sagte der Erste Detektiv. »Wir haben schon so einiges gesehen. Richtig, Kollegen?«

Peter nickte. »Mehr, als uns lieb ist. Grüne Geister, flammende Spuren, tanzende Teufel, Gespensterschlöss–«

»Aber bestimmt noch keine gestohlene Inka-Mumie mitten in Rocky Beach!«, unterbrach ihn Nayra. Sie war im Alter der drei ???. Ihr Haar fiel wie ein schwarzer Wasserfall über Schultern und Rücken bis zur Taille. Sie trug eine rahmenlose Brille mit knallroten Bügeln.

»Eine gestohlene Mumie haben wir noch nicht gesehen«, gab Bob Andrews zu, der bei den drei Detektiven für Recherchen und Archiv zuständig war. »Wohl aber eine, die geflüstert hat. Zumindest hat es so …«

»Schon gut, Bob«, unterbrach Justus. Sein Interesse war geweckt. Eine gestohlene Inka-Mumie? Darum ging es also? »Das klingt vielversprechend, Nayra. Wenn ich dich auch auf einen Fehler hinweisen muss.«

»Und der wäre?«, fragte das Mädchen verwirrt.

»Wenn die Mumie, von der du gesprochen hast, gestohlen worden ist, werden wir sie eben nicht gleich sehen – höchstens den Platz, von dem sie jemand entwendet hat.«

»Äh … ja … natürlich«, stotterte sie. »Also kommt ihr jetzt mit?«

»Selbstverständlich!« Der Anführer der drei ??? konnte es kaum mehr erwarten. Nayra öffnete die Tür, die in den Angeln knarrte. Ein kalter Hauch schlug ihnen entgegen. Nur wenig Licht fiel aus der Abstellkammer auf das obere Ende einer Treppe aus ausgetretenen Steinstufen.

Nayra Paredes ging einige Schritte voraus und legte einen Schalter um. An der kahlen Steinwand flammten drei Lampen auf. Das Licht strahlte rot und flackerte wie brennende Fackeln.

Die drei ??? folgten dem Mädchen in den Keller. Ihre Schritte hallten in dem engen Treppenabgang. Justus versuchte, an Nayra vorbei nach unten zu spähen, doch er konnte kaum etwas erkennen.

Bald erreichten sie das untere Ende der Treppe. Von einem kleinen Vorraum gingen zwei Türen ab. Die eine hing windschief in den Angeln, stand halb offen und führte offenbar in einen Vorratskeller. Ihr Blick reichte bis zu einem Wandregal, in dem sich Einmachgläser stapelten. Auf dem Boden lag eine einzelne, vergessene Kartoffel. Doch deshalb hatte Nayra die drei Detektive garantiert nicht hierhergeführt.

Die zweite Tür sah im Gegensatz zur ersten erstaunlich sauber und stabil aus. Was noch mehr auffiel: Sie war nicht rechteckig, sondern trapezförmig und verjüngte sich nach oben hin. Ihr Anstrich war sicher nicht älter als einige Monate – es sei denn, sie wurde im Unterschied zum übrigen Keller besonders gut in Schuss gehalten. Nayra ging zielstrebig auf die Tür zu. »Seid ihr bereit?«

»Klar«, meinte Bob. »Dort drinnen ist eine Mumie gestohlen worden, ja? Mach dir keine Sorgen, wir haben schon viele Tatorte gesehen.«

»So einen nicht.« Das Mädchen lächelte breit, drückte den Lichtschalter neben der Tür und öffnete sie.

Justus trat ein. »Erstaunlich.«

Das war es in der Tat. Erstaunlich groß, erstaunlich gut hergerichtet, erstaunlich sauber und vor allem erstaunlich fremdartig.

Die Lampen lagen hinter künstlichen Felsen an der Decke und der Wand verborgen, sodass der ganze Raum in indirektes Licht getaucht wurde. Fast die halbe Fläche nahm ein etwa drei Meter langes und mindestens fünf Meter breites Modell einer altertümlich wirkenden Stadt ein.

Die drei ??? starrten es verblüfft an. Eine Unzahl nachgebauter Steinhäuschen breitete sich auf einer Felsenlandschaft aus. Sie fügten sich natürlich in die Landschaft, fast so, als wären sie gewachsen und nicht von Menschenhand geschaffen worden. Irgendetwas an der Miniaturlandschaft kam Justus seltsam vor, aber er konnte es nicht in Worte fassen.

In der gegenüberliegenden Wand aus großen Steinblöcken gab es eine knapp mannshohe Nische, von der Größe her bestens geeignet, um sich darin zu verstecken.

»Ich gebe dir recht, Nayra«, sagte Bob. »Das hätte ich in einem Keller mitten in Rocky Beach tatsächlich nicht erwartet.«

Nayra winkte ab, gab sich lässig. Ihr dunkles Haar glänzte in dem eigenartig schummrigen Licht. »Das ist ein typischer Inka-Mumienschrein. Man gewöhnt sich daran, wenn man oft genug hier ist. Wie auch an meinen Vornamen. Der ist auch so … Inka-mäßig.«

»Wundervoll«, meinte Justus, während er sich umsah.

Nayra drehte sich zu ihm um. »Mein Name?«

Das brachte den Ersten Detektiv für einen Moment aus dem Konzept. »Ja, also, klar, der … der auch, aber ich meinte eigentlich diesen Tempel.«

»Wir nennen es Schrein«, unterbrach Nayra, was Peter mit einem Lachen quittierte. »Da hast du’s, Just. So fühlt sich das an, wenn man verbessert wird.«

Der Anführer der drei ??? räusperte sich. »Ob ihr’s mir glaubt oder nicht, Kollegen, das kenne ich durchaus und das ist auch gut so. Wenn man nichts dazulernt, kommt man nicht weiter.«

Die drei Jungen schauten sich in dem Raum um. Vor dem Stadtmodell stand eine Art wuchtiger Thron aus edlem Holz, die Arm- und Rückenlehne mit goldenen Mustern verziert. Wer darauf saß, schaute genau in die Wandnische. Justus musterte sie genauer. Wie die Eingangstür in den Mumienschrein war auch die Nische trapezförmig. Um sie herum zog sich ein goldenes Schlangenmuster über das Gestein.

»Wie ihr euch denken könnt«, sagte Nayra, »saß die Mumie in der Nische.«

»Saß?«, fragte Peter verwundert.

»Inka-Mumien befinden sich oft in der sogenannten Hock-Stellung«, erklärte das Mädchen. »Man hat die Toten meist auf diese Art und Weise für die Ewigkeit hergerichtet.«

Justus beugte sich in die Nische und ging in die Knie. »Man kann auf dem Boden noch die genaue Stelle stehen. Dort hat das Gestein eine etwas andere Farbe.«

Nayra setzte sich auf den Holzthron. Auf Justus wirkte das ein wenig respektlos, aber das musste sie selbst wissen. »Die Mumie befindet sich seit vielen Generationen dort. Von diesem Platz aus« – sie klopfte auf die Armlehnen – »konnte man sie perfekt sehen und mit ihr … na ja …« Sie brach ab.

Peter schaute das Mädchen verwundert an. »Mit ihr – was?«

»Mit ihr in Zwiesprache treten. Sie befragen.«

Der Zweite Detektiv starrte sie an. »Das ist nicht dein Ernst. Die Mumie ist doch schon seit Jahrtausenden tot!«

Justus wollte etwas sagen, doch Nayra war schneller. »Klar ist sie tot. Aber das war bei den Inkas so üblich. Die Mumien galten als heilig. Sie waren für das Volk die wahren Schätze – nicht das Gold, von dem man in Geschichten immer liest. Ihr wisst sicher, dass die Spanier das Inka-Reich überfallen und am Ende ausgelöscht haben. Aber was ihr vielleicht nicht wisst, ist, dass die Inkas nicht etwa versucht haben, ihr Gold in Sicherheit zu bringen.«

»Sondern die Mumien?«, fragte Bob.

»Genau!«

Justus knetete seine Unterlippe. »Und nun wurde sie gestohlen.«

»Mal im Ernst«, sagte Peter. »Wer klaut eine Mumie?«

»Falsche Frage!«, konterte der Erste Detektiv. »Zuerst kommt das Warum! Welchen Sinn hat es, eine Mumie zu stehlen?«

Bob schüttelte den Kopf. »Davor steht noch etwas anderes. Wie in aller Welt kommt Nayras Familie überhaupt zu so einer tausende Jahre alten Mumie?«

»Also wirklich, Kollegen!«, sagte Justus entrüstet. »Denkt doch erst mal nach, bevor ihr redet! Schon Peter hat vorhin was von ›Jahrtausenden‹ gesagt. Selbstverständlich ist die Mumie noch nicht so alt. Das wäre bei einer ägyptischen Mumie der Fall, aber doch nicht bei einer Inka-Mumie!«

Während Bob »Ja sicher« murmelte, sah Peter eher genervt aus.

Nayra rutschte auf der großen Sitzfläche des Holzthrons weiter zurück. »Justus hat recht. Inka-Mumien wie unsere sind allenfalls Jahrhunderte alt.«

»Gerade alt genug«, knurrte Peter.

»Ich kann euch auch erklären, wie diese Mumie nach Rocky Beach gekommen ist. Dieses Haus ist eines der ältesten in Rocky Beach. Meine Vorfahren haben die Inka-Mumie mitgebracht, als sie hierherkamen. Wir sind direkte Nachfahren der Inkas. Als die Spanier das Inka-Reich überfallen haben, das war um 1530 herum, wollten meine Vorfahren auch diese Mumie in Sicherheit bringen. Der Überlieferung nach wurden sie dabei entdeckt, von Spaniern, die aber Mitleid zeigten und die Flüchtlinge ziehen ließen. Angeblich hat sich ein spanischer Soldat in meine Ur-Ur-Ur-was-weiß-ich-wie-viele-Ur-Großmutter verliebt. Keine Ahnung, ob das stimmt. Die Mumie kam dann später mit den ersten Siedlern hierher in diese Gegend. Nach Rocky Beach. Nur hat das meine Familie natürlich immer geheim gehalten. Dieser Schrein ist schon ziemlich alt, wisst ihr.«

»Du bist eine Nachfahrin der Inkas?«, fragte Bob.

Nayra zuckte mit den Schultern. »Meine Familie ist sehr stolz darauf und hütet die Mumie als ihren größten Schatz. Weil sie so stolz auf ihre Wurzeln sind, haben sie mir ja auch diesen seltsamen Vornamen gegeben. Er bedeutet: Das Uralte kann gefunden werden. Ich mag ihn nicht.«

»Ach, ist doch ein schöner Name«, sagte Bob.

»Findest du?«

Justus wollte das Thema zurück auf den Punkt bringen, der ihn brennend interessierte. »Die Inkas verehrten also ihre Mumien. Man spricht von einem echten Totenkult mit Wahrsagerei und all solchen Sachen, wenn ich mich nicht irre.«

»Just kennt sich fast überall aus«, sagte Peter mit einem etwas entschuldigenden Tonfall. »Er liest viel.«

Der Erste Detektiv ließ sich nicht beirren. »Aber es muss noch mehr geben. Jemand hat ausgerechnet diese Mumie gestohlen. Und nachdem wir ins Haus gekommen waren, hast du eine Alarmanlage wieder aktiviert, das habe ich genau gesehen.«

Nayra grinste. »Gut beobachtet. Ich habe euch extra gerade jetzt hierhergebeten, weil ich im Vorfeld wusste, dass weder meine Eltern noch mein Bruder zu Hause sein würden. Und wenn ich allein bin, schalte ich die Anlage immer ein, das ist eine alte Gewohnheit. Erst recht, seit ich weiß, dass jemand in unser Haus eingebrochen hat.«

»Jemand, der die Alarmanlage ausgetrickst hat, auf die du so viel gibst«, ergänzte Justus. »Also bietet sie keinen besonders guten Schutz.«

»Da irrst du dich gewaltig!« Nayra seufzte. »Das macht das alles ja noch viel mysteriöser. Die Alarmanlage ist eine der besten überhaupt! Man muss schon ein absoluter Profi sein, um sie zu überwinden.«

»Ein Meisterdieb«, sagte Justus langsam und genoss die Vorstellung. Der Fall interessierte ihn immer mehr. Kein plumper Diebstahl – nein, es steckte viel mehr dahinter! »Aber noch etwas anderes. Warum sollten deine Eltern und dein Bruder nichts von unserem Besuch erfahren?«

Peter stand vor dem Stadtmodell und musterte es. »Ich schätze mal«, meinte er beiläufig, »weil das alles eine heilige Angelegenheit ist für Nayras Familie. Es ist ja nicht so, als wäre eben mal eine Perlenkette gestohlen worden. Deine Eltern würden nicht wollen, dass irgendjemand diesen Schrein zu Gesicht bekommt, richtig?«

»Deshalb haben sie es auch nicht der Polizei gemeldet.« Nayra stand auf und stellte sich neben den Zweiten Detektiv. »Gefällt dir das Modell?«

»Fantastisch! Obwohl es ein paar Quadratmeter groß ist, sind die einzelnen Häuser winzig. Wie viele sind es insgesamt?«

»Keine Ahnung«, musste das Mädchen zugeben.